L 29 AS 296/09 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
29
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 75 AS 3064/09 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 29 AS 296/09 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 10. Februar 2009 wird, soweit damit der Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung abgelehnt worden ist, als unzulässig verworfen. Soweit sich die Beschwerde gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Antragsverfahren wendet, wird sie aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung gemäß § 142 Abs. 2 Satz 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) als unbegründet zurückgewiesen. Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde der Antragstellerin ist nicht statthaft; sie war deswegen als unzulässig zu verwerfen, soweit das Sozialgericht den Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung abgelehnt hat. Im Übrigen ist sie aus den vom Sozialgericht im angefochtenen Beschluss dargelegten Gründen unbegründet.

Nach § 172 Abs. 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) in der seit dem 1. April 2008 geltenden und hier anzuwendenden Fassung des Art. 1 Nr. 29 b) und Art. 5 des Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes vom 26. März 2008 (BGBl. I S. 444) ist die Beschwerde ausgeschlossen,

1. in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, wenn in der Hauptsache die Berufung nicht zulässig wäre, 2. gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe, wenn das Gericht ausschließlich die persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Prozesskostenhilfe verneint, 3. gegen Kostengrundentscheidungen nach § 193 SGG, 4. gegen Entscheidungen nach § 192 Abs. 2 SGG, wenn in der Hauptsache kein Rechtsmittel gegeben ist und der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro nicht übersteigt.

Hier liegt ein die Beschwerde ausschließender Fall von § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG vor, denn die Antragstellerin begehrt, den Antragsgegner zur Übernahme von Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung in Höhe von 38,00 EUR monatlich für den Zeitraum vom 1. Januar 2009 bis 30. Juni 2009 zu verpflichten. Dieser Betrag erreicht nicht den Beschwerdewert von 750,00 EUR (38,00 EUR x 6 Monate=228,00 EUR).

Ausnahmen hat der Gesetzgeber zu § 172 Abs. 3 SGG in der seit dem 1. April 2008 geltenden Fassung nicht zugelassen. Insbesondere liegen auch die Voraussetzungen für eine Nichtzulassungsbeschwerde nach § 145 SGG nicht vor.

Nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG in der oben näher bezeichneten Fassung bedarf die Berufung der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluss durch das Landessozialgericht, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld- und Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750 EUR nicht übersteigt. Ein solcher Fall ist hier gegeben. Die Nichtzulassung der Berufung durch das Sozialgericht kann durch Beschwerde angefochten werden (§ 145 Abs. 1 Satz 1 SGG).

Nach § 144 Abs. 2 SGG ist die Berufung zuzulassen, wenn

1. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, 2. das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts oder des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder 3. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

Der Wortlaut der Vorschrift macht schon hinreichend deutlich, dass § 144 SGG "nur" auf die Nichtzulassung einer Berufung, nicht aber auf die Nichtzulassung einer Beschwerde anwendbar ist.

Eine entsprechende Anwendung dieser Norm auf das Beschwerdeverfahren würde im Übrigen im Widerspruch zum Gesetzeszweck des § 172 Abs. 3 SGG stehen und kommt hier deswegen nicht in Betracht. Ziel des Gesetzes vom 26. März 2008 (a. a. O.) ist nämlich u. a. eine nachhaltige Entlastung der Sozialgerichtsbarkeit durch Vereinfachung und Straffung des sozialgerichtlichen Verfahrens (BT-Drs. 16/7716 S. 12 f.). Danach wurde die Beschwerde ausgeschlossen bei wirtschaftlich nicht relevanten Kostengrund- und sonstigen Nebenentscheidungen sowie in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes und der Prozesskostenhilfe (BT-Drs. a. a. O. S. 14). Schließlich soll der Ausschluss der Beschwerde gegen Entscheidungen im einstweiligen Rechtsschutz, wenn in der Hauptsache die Berufung nicht zulässig wäre, dazu führen, dass die Rechtsschutzmöglichkeiten im einstweiligen Anordnungsverfahren nicht gegenüber denjenigen im Hauptsacheverfahren privilegiert werden. Der Senat hält insoweit - entgegen LSG Niedersachsen-Bremen - Beschluss vom 21.10.2008 - L 6 AS 458/08 ER – in NdsRpfl 2009, 32 und juris – an seiner Rechtsprechung fest (Beschluss vom 16. Januar 2009 – L 29 B 2004/08 AS ER) und schließt sich diesbezüglich der zu der Entscheidung des LSG Niedersachsen-Bremen geäußerten Auffassung des Hessischen Landessozialgerichts (Beschluss vom 12. Januar 2009 - L 7 AS 421/08 B ER – zitiert nach juris ) nach eigener Prüfung als ihn überzeugend an, wenn dieses ausführt:

" Eine gesonderte Zulassungsbefugnis für das Beschwerdeverfahren ist § 177 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 SGG F. 2008 schon deshalb nicht zu entnehmen, weil Maßstab für die Statthaftigkeit der Beschwerde ausdrücklich nur die allerdings hypothetische Statthaftigkeit einer Berufung in der Hauptsache ist. Damit hat der Gesetzgeber allein auf die ausdrückliche Regelung in §§ 144, 145 SGG F. 2008 für das Berufungsverfahren abgestellt, ohne ein eigenständiges Zulassungsverfahren im Beschwerdeverfahren vorzusehen. Es widerspräche auch der gebotenen Dringlichkeit im einstweiligen Rechtsschutz ein solches dem Beschwerdeverfahren vorzuschalten. Die Beschwerde wäre auch nicht statthaft, wenn ohne gesonderte Zulassung im Beschwerdeverfahren alleine einer der in § 144 Abs. 2 SGG aufgeführten Zulassungsgründe vorläge. Der Wortlaut des § 172 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 SGG F. 2008 gibt dafür nichts her. Der Gesetzgeber hat sich leider gegen eine eindeutige Formulierung entschieden, nach der entweder die Zulassungsgründe einzubeziehen wären oder unberücksichtigt bleiben müssen. Weder hat er ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Beschwerde ausgeschlossen ist, wenn in der Hauptsache die Berufung der Zulassung bedürfe noch hat er angeordnet, der Ausschluss greife nicht, soweit Zulassungsgründe vorlägen. Gestützt wird die Auffassung des Senats aber nach Sinn und Zweck des Zulassungsverfahrens und der hierfür erforderlichen Gründe in der Hauptsache gemäß §§ 144, 145 SGG sowie dem gesetzgeberischen Zweck der Neuregelung in § 172 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 SGG F. 2008. Getragen ist die Neuregelung von dem gesetzgeberischen Willen, die Landessozialgerichte zu entlasten. Aus diesem Blickwinkel heraus, soll die Privilegierung von Rechtsschutzmöglichkeiten im Beschwerdeverfahren gegenüber dem Hauptsacheverfahren entfallen (BT-Drucks 16/7716, S. 106, zu Nr. 29, Buchstabe b). Angestrebt ist damit eine Kongruenz zwischen der Rechtsmittelbefugnis in der Hauptsache und im einstweiligen Rechtsschutz. Bei einfacher Betrachtung könnte das zunächst dafür sprechen, im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gleichermaßen wie im Hauptsacheverfahren auch die Zulassungsgründe nach § 144 Abs. 2 SGG für die Statthaftigkeit der Beschwerde ausreichen zu lassen. Eine solche oberflächliche Betrachtung berücksichtigt aber nicht ausreichend die zeitlichen und sachlichen Unterschiede einer Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutz gegenüber der Hauptsache. Dabei lässt es der Senat offen, ob aus der Verwendung des Konjunktivs in der Formulierung "die Berufung zulässig wäre" zu folgern ist, § 172 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 SGG F. 2008 stelle nicht auf die Zulässigkeit, enger: Statthaftigkeit, der Berufung für den Gegenstand der Hauptsache ab (so noch: Senat, 11.8.2008 – L 7 AS 213/08 B ER; auch: LSG Hamburg, 1.9.2008 – L 5 AS 70/08 NZB; LSG Niedersachsen-Bremen, 8.9.2008 – L 13 AS 178/08 ER), sondern übertrage nur die Zulässigkeitsvoraussetzungen des Berufungsverfahrens auf den Gegenstand des Beschwerdeverfahrens im einstweiligen Rechtsschutz (LSG Niedersachsen-Bremen, 21.10.2008 – L 6 AS 458/08 ER). Denn nach beiden Lesarten können die Zulassungsgründe nach § 144 Abs. 2 SGG nicht die Beschwerde gemäß § 172 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 SGG F. 2008 eröffnen. Sollte hypothetisch auf die Statthaftigkeit der Berufung für das zugrunde liegende Hauptsacheverfahren abzustellen sein, das ggf. noch gar nicht anhängig ist, weil der gerichtliche einstweilige Rechtsschutz nach § 86b SGG bereits für das Verwaltungsverfahren eröffnet ist, fehlte es bereits an der dann erforderlichen zeitlichen Kongruenz zwischen dem Berufungs- und Beschwerdeverfahren. In der Hauptsache können Zulassungsgründe nach § 144 Abs. 2 SGG die Berufung nur in dem Zeitpunkt statthaft werden lassen, in dem das Sozial- oder Berufungsgericht die Berufung deswegen zugelassen hat. Die Zulassungsentscheidung ist konstitutive Voraussetzung für die Statthaftigkeit der Berufung. Solange sie nicht ergangen ist, bleibt die Berufung schwebend unzulässig. Eine Zulassung kann aber vor dem Abschluss des Beschwerdeverfahrens über den einstweiligen Rechtsschutz nicht ergangen sein und ob sie zu einem späteren Zeitpunkt ergehen wird, bleibt in jedem Fall schon deshalb fraglich, weil eine Entscheidung im vielleicht nachfolgenden Klageverfahren nicht – zwingend – zu ergehen hat. Bei der anderen Lesart ist hingegen zu bedenken, dass die Zulassungsgründe des § 144 Abs. 2 SGG auf den einstweiligen Rechtsschutz nicht zugeschnitten sind und deshalb auch nicht übertragen werden können. Grundsätzliche Bedeutung nach § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG kann nicht die vorläufige Regelung im einstweiligen Rechtsschutz haben, sondern können nur die ihr zugrunde liegenden Ansprüche in der Hauptsache haben, welche gerade nicht den Streitgegenstand des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens bilden. Auch eine Vereinheitlichung der Rechtsprechung nach § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG ist nicht angezeigt, weil durch die Verkürzung des Rechtswegs auf die Tatsachengerichte eine einheitliche Rechtsprechung im einstweiligen Rechtsschutz ohnehin nicht herzustellen ist. Allein der Zulassungsgrund des § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG - Verfahrensfehler, auf dem die Entscheidung des SG beruhen kann -, könnte grundsätzlich auch für das einstweilige Rechtsschutzverfahren greifen ..."

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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