L 4 KA 42/08

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
4
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 12 KA 158/07
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KA 42/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 9. April 2008 wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert wird auf 5.704,21 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Rücknahme von Honorarbescheiden für die Quartale III und IV/2003.

Der Kläger ist als Internist zur vertragsärztlichen Versorgung im Zuständigkeitsbereich der Beklagten zugelassen und nimmt an der hausärztlichen Versorgung teil. Mit bestandskräftig gewordenen Honorarbescheiden vom 16. März 2004 (Quartal III/2003) und vom 17. Juni 2004 (Quartal IV/2003) hatte die Beklagte das Honorar des Klägers unter Anwendung von Honorarbegrenzungsmaßnahmen nach LZ 503 ihrer Grundsätze zur Honorarverteilung (HVM) festgesetzt und infolgedessen insgesamt für beide Quartale 5.704,21 EUR von der ursprünglichen Honoraranforderung nicht ausgezahlt, obwohl das Honorar des Klägers unter dem durchschnittlichen Honorar der Fachgruppe lag.

Den Antrag des Klägers vom 7. Juni 2006 auf Rücknahme der bestandskräftigen Honorarbescheide lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 8. Januar 2007 ab, weil eine Rücknahme für die Vergangenheit nach dem Gleichbehandlungsgrundsatz dazu führen müsse, auch alle anderen bestandskräftig gewordenen Honorarbescheide insoweit rückabzuwickeln. Dies würde aber zu einem außergewöhnlichen Verwaltungsaufwand und hohen finanziellen Belastungen führen, so dass mit einem hohen Punktwertverfall in den aktuellen Quartalen zu rechnen wäre. Unter Billigkeitsgesichtspunkten könne dieses Ergebnis nicht akzeptiert werden. Den dagegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 18. April 2007 mit ähnlicher Begründung zurück.

Gegen den ihm am 27. April 2007 zugestellten Widerspruchsbescheid hat der Kläger am 30. April 2007 Klage beim Sozialgericht Marburg erhoben, die das Sozialgericht mit Urteil vom 9. April 2008 als unbegründet abgewiesen hat. Nach § 44 Abs. 2 Sozialgesetzbuch, Zehntes Buch (SGB X), stehe die Rücknahme bestandskräftiger Honorarbescheide im pflichtgemäßen Ermessen der Beklagten. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes (BSG - Urteil vom 22. Juni 2005, Az.: B 6 KA 21/04 R) könne sich die Beklagte im Rahmen der Ermessensausübung ohne Ermessensfehler auf die finanziellen Auswirkungen einer Rückabwicklung zur Ablehnung einer Rücknahme berufen, sofern kein atypischer Fall vorliege, etwa wenn sie auf die Entscheidung ihrer Mitglieder, Rechtsmittel einzulegen, direkten oder indirekten Einfluss genommen habe, was vorliegend nicht der Fall sei. Die Beklagte habe ihr Ermessen erkannt und auch in zulässiger Weise ausgeübt. Aus welchen Gründen der bestandskräftige Bescheid rechtswidrig sei, sei hierbei unerheblich.

Gegen das ihm am 17. April 2008 zugestellte Urteil hat der Kläger am 30. April 2008 Berufung zum Hessischen Landessozialgerichts eingelegt, die er im Wesentlichen damit begründet, die Beklagte sei schon deshalb zur Rücknahme verpflichtet, weil sie die rechtswidrigen Honorarbescheide noch nach der Entscheidung des Bundessozialgerichtes vom 10. Dezember 2003 (Az.: B 6 KA 54/02 R) unter Inkaufnahme ihrer Rechtswidrigkeit erlassen habe. Dies sei ein wesentlicher Unterschied im Vergleich zu den bisher in der Rechtsprechung des BSG entschiedenen Fällen.

Der Kläger beantragt (sinngemäß),
das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 9. April 2008 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 8. Januar 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. April 2007 zu verurteilen, die Honorarbescheide vom 16. März 2004 und vom 17. Juni 2004 zurückzunehmen und ihn über seine Honoraransprüche für die Quartale III und IV/2003 neu zu bescheiden.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Ihre Abwägung im Rahmen der Ermessensausübung, die Funktionsfähigkeit des Systems der vertragsärztlichen Versorgung gegenüber dem Anspruch des einzelnen Vertragsarztes auf materiellen Gerechtigkeit stärker zu gewichten, sei von der Rechtsprechung gedeckt und nicht zu beanstanden. Auf ein Verschulden der Beklagten komme es in diesem Zusammenhang nicht an.

Der Senat hat die Beteiligten zu seiner Absicht, die Berufung ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss als unbegründet zurückzuweisen, angehört. Wegen weiterer Einzelheiten und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten, der Gegenstand der Beratung gewesen ist, ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte die Berufung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung zurückweisen, weil er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind vorher angehört worden (§ 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz – SGG).

Die zulässige Berufung ist sachlich unbegründet.

Das angegriffene Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 9. April 2008 ist nicht zu beanstanden. Das Sozialgericht hat zutreffend ausgeführt, dass die Rücknahme der bestandskräftigen Honorarbescheide nach § 44 Abs. 2 SGB X im pflichtgemäßen Ermessen der Beklagten steht. Die Beklagte hat von ihrem Ermessen auch fehlerfrei Gebrauch gemacht. Es liegt kein atypischer Fall vor, der das Ermessen der Beklagten ausnahmsweise auf die Rücknahme des rechtswidrigen bestandskräftigen Honorarbescheids reduzieren würde. Insbesondere handelt es sich nicht etwa deshalb um einen atypischen Fall, weil die Rechtswidrigkeit der bestandskräftigen Honorarbescheide aufgrund der Entscheidung des Bundessozialgerichtes vom 10. Dezember 2003 (a.a.O.) bereits objektiv erkennbar und der Beklagten grundsätzlich auch bekannt gewesen sein mag, denn der Anwendungsbereich des § 44 Abs. 2 SGB X erstreckt sich typischerweise auch auf Fälle, in denen die Behörde schuldhaft rechtswidrig handelt, weil sie eine hinlänglich bekannte Rechtslage nicht beachtet. Ein Verschulden der Beklagten im Zusammenhang mit dem Erlass der rechtswidrigen Bescheide kann daher keine Atypik begründen. Auch sonst sind keine Gesichtspunkte erkennbar, die das Ermessen der Beklagten im Sinne des klägerischen Begehrens reduziert hätten.

Im Übrigen wird ergänzend auf die zutreffenden Entscheidungsgründe des angegriffenen Urteils des Sozialgerichts Bezug genommen, die sich der Senat zu Eigen macht und insoweit von einer erneuten Darstellung derselben absieht (§ 153 Abs. 2 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Die Revision war nicht zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG).

Die endgültige Streitwertfestsetzung beruht auf § 197a Abs. 1 SGG i.V.m. §§ 63 Abs. 2 S. 1, 47,52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG), wobei der volle Betrag der Honorarminderung zu Grunde zu legen war, weil das Begehren des Klägers wirtschaftlich nicht nur auf eine Neubescheidung sondern die vollständige Rücknahme der Honorarbegrenzungsmaßnahme gerichtet war.
Rechtskraft
Aus
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