L 9 KR 204/07

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 73 KR 225/06
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 9 KR 204/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Setzt ein zivilrechtlicher Pflegeleistungsvertrag zwischen einem Versicherten und einem Pflegedienst die Erstellung eines Kostenvoranschlags durch den Pflegedienst für den Fall voraus, dass der Versicherte die ärztliche verordnete, von der Krankenkasse jedoch abgelehnte Leistung in Anspruch nehmen will, entsteht ohne einen solchen Kostenvoranschlag keine zivilrechtliche Zahlungsverpflichtung des Versicherten gegenüber dem Pflegedienst mit der Folge, dass auch kein Kostenerstattungsanspruch des Versicherten gegenüber der Krankenkasse gem. § 13 Abs. 3 SGB V besteht.
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 31. Januar 2007 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um Kostenerstattung wegen der Erbringung von Leistungen der häuslichen Krankpflege.

Der 1927 geborene Kläger schloss am 13. Dezember 1999 mit Wirkung zum 1. Januar 2000 mit der L GmbH & Co. KG, heute firmierend unter Seniorenwohnhaus W GmbH & Co. KG, vertreten durch die Geschäftsführerin L K, einen Mietvertrag über eine 14,68 qm2 große Ein-Zimmer-Wohnung im Haus W. Darüber hinaus schloss er - auch mit Wirkung zum 1. Januar 2000 - mit dem "H W", ebenfalls vertreten durch L K, einen "Servicevertrag", der ihn berechtigte, bestimmte Leistungen des Betreibers (Hauswirtschaft, Verpflegung, Hausdienst, Verwaltung, Sozialdienst u. a.) gegen ein "Serviceentgelt" in Anspruch zu nehmen. Wegen der weiteren Einzelheiten dieser Verträge wird auf Blatt 8 – 20 der Gerichtsakte S 86 KR 365/06 verwiesen.

Die Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. M verordnete dem Kläger am 7. November 2005 bzw. 30. November 2005 für den Zeitraum vom 7. November bis zum 31. Dezember 2005 Maßnahmen der Behandlungspflege (Injektionen s.c., Medikamentengabe, "BZ-Stix" bzw. Blutzuckermessung) als häusliche Krankenpflege. Darüber hinaus verordnete diese Ärztin dem Kläger am 16. November 2005 für den Zeitraum vom 16. November bis zum 14. Dezember 2005 auch Behandlungspflege in Form von Blutzuckermessungen. Diese Pflegemaßnahmen ließ der Kläger durch die P GmbH durchführen. Mit diesem Pflegedienst hatte der Kläger am 8. November 2005 einen Vertrag über ambulante Pflegeleistungen (im folgenden: Pflegeleistungsvertrag) geschlossen, demzufolge der Pflegedienst ab dem 7. November 2005 für den Kläger u. a. Leistungen der Krankenversicherung nach dem Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) erbringen sollte. Bewilligte Sachleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung sollten vom Pflegedienst unmittelbar mit dem Sozialleistungsträger abgerechnet werden (Ziffer 2, 5. Abs., Satz 1 des Vertrages). Ziffer 2, 6. Abs. dieses Vertrages lautet:

"Bewilligt die Krankenversicherung ärztlich angeordnete Leistungen nicht und will der Kunde diese dennoch in Anspruch nehmen, erstellt der Pflegedienst einen Kostenvoranschlag für diese Leistungen auf Basis der zwischen der jeweiligen gesetzlichen Krankenkasse und dem Pflegedienst vereinbarten Vergütung. Diese Vergütungssätze sind Vertragsbestandteil, der Kunde hat die Möglichkeit zur Kenntnisnahme. Die nicht bewilligten, aber aufgrund ärztlicher Anordnung weiterhin in Anspruch genommenen Leistungen hat der Kunde selbst zu bezahlen. Die mit den gesetzlichen Krankenkassen und den Sozialhilfeträgern vereinbarten Entgeltverzeichnisse sind in der Anlage beigefügt und Bestandteil dieses Vertrages."

Mit Schreiben vom 25. November 2005 und 1. Dezember 2005 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass eine Kostenübernahme der beantragten häuslichen Krankenpflege nicht erfolgen könne, da der Kläger keinen eigenen Haushalt im Sinne der gesetzlichen Bestimmungen mehr führe. Den hiergegen gerichteten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 18. Januar 2006 – wegen dessen Begründung wird auf Blatt a bis d der Gerichtsakte verwiesen – zurück. Mit seiner am 3. Februar 2006 unter dem hiesigen Aktenzeichen erhobenen Klage hat der Kläger sein Anliegen weiter verfolgt.

Am 29. Dezember 2005 verordnete Dr. M dem Kläger erneut Maßnahmen der Behandlungspflege für den Zeitraum vom 1. Januar bis zum 31. Januar 2006. Auch insoweit lehnte die Beklagte einen Kostenübernahme ab (Schreiben vom 4. Januar 2006, Widerspruchsbescheid vom 16. Februar 2006). Die hiergegen gerichtete Klage (AZ: S 86 KR 365/06) hat das Sozialgericht zum hiesigen Verfahren verbunden.

Mit Gerichtsbescheid vom 31. Januar 2007, dem Kläger zugestellt am 19. Februar 2007, wies das Sozialgericht die Klagen ab. Zur Begründung verwies es im Wesentlichen auf die angegriffenen Widerspruchsbescheide. Ergänzend hob es hervor, dass der Haushalt des Klägers von Seiten des Vermieters geführt werde, wie sich aus dem Miet- und Servicevertrag ergebe. Zur eigenen Haushaltsführung sei der Kläger auch gar nicht mehr imstande, da es an einer Kochgelegenheit und an der Möglichkeit der Bevorratung, etwa durch einen Kühlschrank in der Wohnung des Klägers, fehle.

Mit seiner am 26. Februar 2007 eingelegten Berufung macht der Kläger geltend, die Begleichung der Rechnungen des Pflegedienstes vom 16. Januar 2006 über insgesamt 2.083,91 EUR für im Zeitraum vom 7. November 2005 bis zum 31. Januar 2006 erbrachte Leistungen sei ihm gestundet worden. Ob ihm durch den Pflegedienst ein Kostenvoranschlag erstellt worden sei, könne nicht mehr ermittelt werden.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 31. Januar 2007 und die Bescheide der Beklagten vom 25. November 2005 und 1. Dezember 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Januar 2006 sowie den Bescheid der Beklagten vom 04. Januar 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Februar 2006 aufzuheben und

die Beklagte zu verurteilen, ihn Kläger von den Kosten in Höhe von 2083,91 EUR für verordnete und erbrachte Leistungen der häuslichen Krankenpflege vom 7. November 2005 bis zum 31. Dezember 2005 sowie vom 1. Januar 2006 bis zum 31. Januar 2006 freizustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angegriffene Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend.

Der Senat hat eine am 11. Oktober 2007 eingegangene Stellungnahme der Seniorenhaus W GmbH & Co. KG veranlasst, wegen deren Inhalts auf Blatt 73 bis 75 der Gerichtsakte verwiesen wird.

Wegen des Sach- und Streitstandes im Einzelnen sowie wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat hat gemäß § 153 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in der Besetzung mit dem Berichterstatter und den ehrenamtlichen Richtern entschieden, nachdem das Sozialgericht durch Gerichtsbescheid entschieden und die Berufsrichter des Senats durch Beschluss vom 16. Oktober 2008 die Berufung dem Berichterstatter übertragen haben.

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Im Ergebnis zu Recht hat das Sozialgericht die Klagen abgewiesen. Denn dem Kläger steht kein Anspruch auf Kostenerstattung gegenüber der Beklagten zu.

Gemäß § 13 Abs. 3 Satz 1 Sozialgesetzbuch V (SGB V) sind, wenn die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dadurch Versicherten für die selbst beschaffte Leistung Kosten entstanden sind, diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Diese Voraussetzungen sind im Falle des Klägers nicht erfüllt.

1) Gerichtliche Auseinandersetzungen zwischen dem Versicherten und seiner Krankenkasse über den Leistungsanspruch sind nur in zwei Konstellationen denkbar: Entweder der Versicherte klagt auf Gewährung einer noch ausstehenden Behandlung als Sachleistung oder er hat sich die Behandlung zunächst privat auf eigene Rechnung beschafft und verlangt von der Krankenkasse die Erstattung der Kosten. Konnte er hingegen im Zeitpunkt der Behandlung davon ausgehen, er erhalte die Leistungen als Kassenpatient zu den Bedingungen der gesetzlichen Krankenversicherung, so kann eine eigene Zahlungsverpflichtung gegenüber dem Leistungserbringer nicht entstehen; der Leistungserbringer muss einen etwaigen Streit über die Leistungspflicht der Krankenkasse dann unmittelbar mit dieser austragen. Das Kostenerstattungsverfahren nach § 13 Abs. 3 SGB V bietet keine Handhabe, die Leistungspflicht der Krankenkasse los¬gelöst von einer tatsächlichen Kostenbelastung allein im Interesse des Leistungserbringers abstrakt klären zu lassen und diesem damit einen eigenen Prozess zu ersparen (BSGE 89, 39 m.w.N.).

Lehnt – wie im vorliegenden Fall – die Krankenkasse die ärztlich verordnete Leistung ab, hat der Kläger nach Ziffer 2, 6. Abs., Satz 3 des Pflegeleistungsvertrages die weiterhin in Anspruch genommenen Leistungen selbst zu bezahlen. Dies setzt nach Satz 2 dieser vertraglichen Regelung allerdings voraus, dass der Pflegedienst dem Kläger einen Kostenvoranschlag für die von ihm gewünschten Leistungen erstellt. Diese vertragliche Vereinbarung ist auch sachgerecht, um dem Empfänger der Pflegeleistungen vor Entstehen einer eigenen Zahlungsverpflichtung die zu erwartende Kostenbelastung vor Augen zu führen. Dass der Pflegedienst dem Kläger einen solchen Kostenvoranschlag erstellt hat, ist nicht nachgewiesen. Nach dem schriftlichen Vorbringen des Klägers kann nicht mehr ermittelt werden, ob ein solcher Kostenvoranschlag erstellt worden sei. Nach den auch im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Regeln der objektiven Beweislast, derzufolge die Nicht-Erweislichkeit einer Tatsache zu Lasten des Beteiligten geht, der durch die zu beweisende Tatsache begünstigt wäre, ist daher zu Lasten des Klägers davon auszugehen, dass kein Kostenvoranschlag erstellt wurde.

Dieses Vorbringen umfasst auch fehlende Ermittlungsmöglichkeiten bezüglich eines mündlichen Kostenvoranschlages. Der vom Klägerbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung erhobene Einwand, der Pflegeleistungsvertrag erfordere keinen schriftlichen Kostenvoranschlag, greift daher nicht durch. Unabhängig hiervon lässt sich die o.g. vertragliche Vereinbarung nach Auffassung des Senates nach Treu und Glauben und mit Rücksicht auf die Verkehrssitte (§ 157 Bürgerliches Gesetzbuch) wegen der Verwendung des Begriffs "erstellen" nur dahin auslegen, dass ein schriftlicher Kostenvoranschlag erforderlich ist; mündliche Kostenvoranschläge werden nicht "erstellt".

Fehlt es somit an einer wirksamen zivilrechtlichen Zahlungsverpflichtung, der der Kläger ausgesetzt ist, kann der Senat offen lassen, ob die Beklagte zu Recht Leistungen der häuslichen Krankenpflege abgelehnt hat, weil ein Haushalt im Sinne von § 37 SGB V nicht mehr bestehe.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und entspricht dem Ergebnis des Rechtsstreites.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe nach § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen. Insbesondere weicht der Senat nicht i.S.v. Nr. 2 dieser Vorschrift von der Rechtsprechung des BSG ab. Zwar soll es nach der Rechtsprechung des 3. Senats des BSG (Urteil vom 3. August 2006, Az.: B 3 KR 24/05 R) für den Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V nur darauf ankommen, "ob der Versicherte bei Vertragsabschluss die entstehenden Kosten nach den zu jede Zeitpunkt für ihn erkennbaren Umständen als angemessen und mit dem auch von ihm zu beachtenden Wirtschaftlichkeitsgebot (§ 12 Abs. 1 SGB V) vereinbar ansehen durfte. Unerheblich [sei] hingegen, ob der abgeschlossene Selbstbeschaffungsvertrag zivilrechtlich wirksam oder unwirksam gewesen sei." Denn diese Ausführungen tragen das Urteil des 3. Senats aus Sicht des erkennenden Senats nicht (ebenso). Dies ergibt sich aus dem Leitsatz, den weiteren Ausführungen des 3. Senats und dem Umstand, dass der 3. Senat nicht zu erkennen gegeben hat, von der anders lautenden Rechtsprechung des erkennenden 1. Senats (z.B.BSGE 79, 125 80, 181 93, 94) abweichen zu wollen (BSGE 97, 190).
Rechtskraft
Aus
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