L 2 An 808/72

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 2 An 808/72
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Wird die Arbeitskraft eines Auszubildenden ganz oder überwiegend zur Erreichung des Ausbildungszweckes in Anspruch genommen, dann liegt eine Berufsausbildung i.S. der §§ 1262 Abs. 3 RVO, 39 Abs. 3 AVG, 1267 Satz 2 RVO, 44 Satz 2 AVG auch dann vor, wenn der Auszubildende für die Dauer der Berufsausbildung einen Unterhaltszuschuss in Höhe der bisher gewährten BAT-Vergütung erhält, der nicht an den üblichen Einkommenssteigerungen teilnimmt.
2. Ist die gewährte entgeltliche Zuwendung keine Gegenleistung für erbrachte Dienste, dann ist die Höhe des Unterhaltszuschusses genau so unbeachtlich wie die Form, in der er gewährt wird.
3. Aus den in §§ 1262 Abs. 3 RVO, 39 Abs. 3 AVG, 1267 Satz 2 RVO, 44 Satz 2 AVG aufgeführten Gründen kann nicht zwingend geschlossen werden, dass die Leistungen des Versicherungsträgers Unterhaltsersatzfunktion haben d.h., dass sie wegfallen – oder nicht zu gewähren sind – wenn der Unterhalt des Auszubildenden durch den Unterhaltszuschuss oder auf sonstige Weise sichergestellt ist.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 13. Juli 1972 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin erhält von der Beklagten Versichertenrente wegen Berufsunfähigkeit seit dem 1. September 1968 (Bescheid 19. Februar 1969). Zu dieser Rente wurde ein Kinderzuschuss für ihren 1950 geborenen Sohn R. gewährt, der sich seit dem 1. September 1968 als Verwaltungslehrling (Lehrlingsrolle Nr. 67/67) bei der Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) FF. in Berufsausbildung befand. Die Lehre war am 31. August 1970 beendet. Darum stellte die Beklagte mit dem Schreiben vom 19. Juni 1970 die Zahlung des Kinderzuschusses ein.

Am 23. Oktober 1970 beantragte die Klägerin die Wiedergewährung des Kinderzuschusses für ihren Sohn R., der am Vorbereitungsdienst zum gehobenen Verwaltungsdienst teilnehme. Sie bezog sich dabei auf eine Bescheinigung der AOK FF. vom 30. September 1970, nach der R. P. (künftig R.P.) ab 1. Oktober 1970 zum Vorbereitungsdienst zum gehobenen Verwaltungsdienst gemäß der Ausbildungs- und Prüfungsordnung für den Verwaltungsdienst bei den Trägern der Sozialversicherung zugelassen worden ist. Seit dem 1. September 1970 erhielt R.P. eine monatliche Vergütung nach Bundesangestelltentarif (BAT)/OKKen vom 25. August 1961 nach den Sätzen der Gruppe VII in Höhe von 1.071,– DM. Durch Beschluss des Vorstandes der AOK vom 16. April 1971 wurde er mit Wirkung ab 1. Mai 1971 in das dienstordnungsmäßige Angestelltenverhältnis auf Widerruf als Inspektor-Anwärter übernommen; die zuletzt bezogene BAT-Vergütung von 1.071,– DM wurde ihm für die Dauer des Vorbereitungsdienstes für den gehobenen Verwaltungsdienst als Unterhaltszuschuss weiter gewährt. Diesen Unterhaltszuschuss bezog er in unveränderter Höhe bis zur Ablegung der Inspektorenprüfung und Übernahme in das Beamtenverhältnis im April 1973. Während des Vorbereitungsdienstes war R.P. im wesentlichen zwei Abteilungen der AOK zur Ausbildung zugewiesen. In der Abteilung Nr. 32.5, in der die von dem Regelfall abweichenden Rechtsfälle gesammelt und bearbeitet wurden, hatte er Bescheide vorzubereiten und zu entwerfen, die Versicherungspflicht oder -freiheit von Arbeitnehmern zu überprüfen, an Betriebsprüfungen teilzunehmen, statistische Erhebungen anzustellen, sie auszuwerten und zu registrieren. Auf diese Weise wurde er mit dem größten Teil der der AOK zugewiesenen Verwaltungsaufgaben vertraut gemacht. Eine eigene Entscheidungsbefugnis stand ihm nicht zu; seine Entscheidungsvorschläge, die oftmals noch von mehreren Sachbearbeitern überprüft und ergänzt wurden, hatte er mit dem zuständigen Abteilungsleiter zu besprechen. In der Abteilung Nr. 32.5, in der mehrere Sachgebiete zentral zusammengefasst sind, wurde er mit allen dort vorkommenden Verwaltungsarbeiten vertraut gemacht und zur Bearbeitung anstehender Rechtsfragen herangezogen. Zum 1. Oktober 1971 wurde er in die Abteilung 41 für allgemeine Leistungen versetzt, die in Bar- und Sachleistungen untergliedert ist. Hier wurde er abwechselnd in beiden Abteilungen eingesetzt. Daneben arbeitete er in der Abteilung für Ersatzforderungen und Regressansprüche. Die einzelnen ihm zugewiesenen Aufgabenbereiche im Schalterdienst, als Prüfer, als stellvertretender Schaltervorsteher und Zuarbeiter waren ihm jeweils nur kurzfristig, höchstens für zwei Monate übertragen. Als stellvertretender Schaltervorsteher stand er unter der Überwachung des Abteilungsleiters. Eine Unterschriftsbefugnis stand ihm in dieser Eigenschaft nicht zu. Die mit R.P. zur gleichen Zeit in Ausbildung stehenden Inspektoren-Anwärter waren in gleicher Weise wie er eingesetzt. Alle 14 Tage hatten die Inspektoren-Anwärter an einem ganztägigen theoretischen Kursus teilzunehmen. Der Stellen- oder Abteilungsleiter hatte sie theoretisch zu unterweisen, mindestens wöchentlich einen halben Tag lang. In dem zur Pflicht gemachten Fernunterricht hatten die Inspektoren-Anwärter schriftliche Arbeiten anzufertigen, deren Unterlagen sie während ihrer Dienstzeit zusammen trugen, die sie aber nach ihrer Dienstzeit zu Hause erledigten. In der Zeit vom 8. Februar bis 16. März 1973 nahm R.P. an einem Internatslehrgang für die B-Prüfung teil.

Die Beklagte lehnte mit ihrem Bescheid vom 5. Januar 1971 die Gewährung des Kinderzuschusses zur Rente der Klägerin mit der Begründung ab, dass die Ausbildung zum Vorbereitungsdienst für den gehobenen Verwaltungsdienst mit der Zahlung von vollen Dienstbezügen nach dem BAT/OKKen verbunden sei.

Mit ihrer Klage machte die Klägerin geltend, dass die gewährte Vergütung dem Bestehen eines echten Ausbildungsverhältnisses nicht widerspreche. Die seitherige Vergütung werde nach der neuen Dienstordnung der AOK FF., da ein Anstellungsverhältnis auf Widerruf bestehe, zur Wahrung des Besitzstandes als Unterhaltszuschuss in Höhe von DM 1.071,– weiter gewährt und nehme an einer Steigerung nicht teil.

Die Beklagte trug demgegenüber vor, dass die Dienstbezüge es dem Sohn R. ermöglichten, seinen Lebensunterhalt selbst zu bestreiten. Der Kinderzuschuss habe Unterhaltsersatzfunktion, so dass er wegfalle, bzw. nicht zu gewähren sei, wenn der Unterhalt des Kindes durch Einkünfte aus eigener Erwerbstätigkeit gesichert sei.

Das Sozialgericht Frankfurt/Main hob mit dem Urteil vom 13. Juli 1972 den Bescheid der Beklagten auf und verpflichtete sie, der Klägerin für ihren Sohn R. ab 1. Oktober 1970 für die weitere Dauer der Berufsausbildung – längstens bis zur Vollendung seines 25. Lebensjahres – Kinderzuschuss zu ihrer Rente zu zahlen. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass sich der Sohn R. in Berufsausbildung befinde, die nach einer festgesetzten Ausbildungs- und Prüfungsordnung erfolge. Die Art und Höhe der Vergütung stehe dem nicht entgegen. Bei Beginn des Vorbereitungsdienstes sei die Vergütung für die Auszubildenden noch nicht dienstordnungsmäßig geregelt gewesen, so dass eine BAT-Vergütung gezahlt worden sei. Nach der neuen Dienstordnung(DO) der AOK stünde dem Sohn der Klägerin als Anwärter für den Landesdienst lediglich ein Unterhaltszuschuss zu, der geringer wäre als die jetzt gewährte Vergütung. Die BAT-Vergütung werde aus Gründen des Besitzschutzes als Unterhaltszuschuss weiter gewährt und sei keine Fortzahlung von Dienstbezügen. Dafür spreche, dass die Vergütung nicht an Steigerungen der üblichen Dienstbezüge teilnehme. Mit der allgemeinen Erhöhung der Unterhaltszuschüsse in den letzten Jahren werde angestrebt, jedem unabhängig von den finanziellen Verhältnissen der Eltern eine Ausbildung zu ermöglichen und den notwendigen Lebensunterhalt selbst zu bestreiten. Er solle nicht nur ein kleiner Beitrag zum Lebensunterhalt des Auszubildenden sein. Aus diesem Grunde könne aus der Höhe des Unterhaltszuschusses nicht geschlossen werden, dass es sich nicht um eine Berufsausbildung handele. Weder der Kinderzuschuss noch die Gewährung der Waisenrente seien von der Bedürftigkeit des Kindes oder des Rentenempfängers abhängig, so dass es nicht entscheidend sei, ob die Klägerin, ihren Sohn noch unterstütze oder noch unterstützen müsse. Die Ausbildung des Sohnes werde auch nicht im Rahmen einer Erwerbstätigkeit durchgeführt, weil er nur Angestellter auf Widerruf sei und auch nach Ablegung der Prüfung keinen Anspruch auf Anstellung oder Beförderung habe.

Die Beklagte wendet sich mit ihrer am 24. August 1972 eingegangenen Berufung gegen das ihr am 31. Juli 1972 zugestellte Urteil. Nach ihrer Meinung hängt die Entscheidung des Rechtsstreites davon ab, ob sich der Sohn der Klägerin in einer "Berufsausbildung” i.S. des § 39 Abs. 3 Satz 2 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) befinde. Dies sei nicht der Fall. Nicht jede Ausbildung, der sich ein Kind – oder eine Waise – nach Vollendung des 18. Lebensjahres unterziehe, sei als Schuld – oder Berufsausbildung anzusehen. Der allgemein sozialpolitische Sinn und Zweck des Kinderzuschusses – der Waisenrente – als Unterhaltsersatz, sowie der Vergleich mit den anderen Alternativen in § 39 Abs. 3 AVG und 44 AVG machten deutlich, dass die Regelungen über einen zeitlich verlängerten Anspruch auf Kinderzuschuss bzw. Waisenrente diejenigen Fälle erfassen sollten, in denen ein Kind anders als im angenommenen Regelfall auch nach Vollendung des 18. Leben Jahres noch auf elterliche Unterhaltsleistungen angewiesen sei, weil es sich nicht selbst unterhalten könne. Eine Berufsausbildung könne daher einen Anspruch auf verlängerten Kinderzuschuss nur dann begründen, wenn das Kind infolge dieser Ausbildung daran gehindert sei, sich selbst seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Eine Berufsausbildung liege dann nicht vor, wenn die Ausbildung sich im Rahmen einer Berufstätigkeit vollziehe, die den vollen Unterhalt des Kindes sichere, so dass es auf elterliche Unterhaltsleistungen nicht mehr angewiesen sei. Der Sohn der Klägerin erhalte nicht etwa nur einen Unterhaltszuschuss oder eine Ausbildungsbeihilfe, sondern die volle Vergütung eines Berufstätigen, die nicht wesentlich geringer sei als das Einkommen in dem angestrebten Beruf.

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt/Main vom 13. Juli 1972 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil und bezieht sich auf den unstreitigen Sachverhalt und ihren Klagevortrag. Ihr Sohn habe während des Vorbereitungsdienstes keine selbstverantwortliche Tätigkeit auszuüben gehabt. Erst nach der bestandenen Prüfung habe er die Befähigung für seine Laufbahn erhalten. Er habe, entgegen der Ansicht der Beklagten, keine Dienstbezüge, sondern einen Unterhaltszuschuss bezogen. Die Höhe des Einkommens könne nur als Indiz in den Fällen von Bedeutung sein, in denen es zweifelhaft sei, ob überhaupt ein Ausbildungsverhältnis vorliege.

Auf den Inhalt der Renten- und Streitakten sowie der Personalakten wird im übrigen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte und auch statthafte Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat richtig erkannt, dass es sich bei der von dem Sohn der Klägerin im Oktober 1970 begonnenen Ausbildung um eine echte Berufsausbildung i.S. von § 39 Abs. 3 S. 2 AVG gehandelt hat. "Berufsausbildung ist die Ausbildung für einen zukünftig gegen Entgelt auszuübenden Lebensberuf, welche die Arbeitskraft des Auszubildenden ausschließlich oder überwiegend in Anspruch nimmt.” (vgl. Wilke, Handkommentar zum Bundesversorgungsgesetz (BVG) § 33 b, Erl.V; BSG 25, 276, 277). Der Beklagten kann daher nicht gefolgt werden, wenn sie meint, die Weitergewährung der bisherigen Angestelltenvergütung an R.P. nach Beginn des Vorbereitungsdienstes – anstelle eines sonst festzusetzenden Unterhaltszuschusses – schließe eine Berufsausbildung im üblichen Sinne aus, es handele sich lediglich um eine Gelegenheit zur weiteren Ausbildung eines bereits Berufstätigen unter Fortzahlung der bisherigen vollen Gebührnisse. Ihr Hinweis auf die Entscheidung des 4. Senates des BSG vom 6. April 1965 – Az.: 4 RJ 479/61 (BSG in SozR Nr. 15 zu § 1267 RVO) ist nicht stichhaltig. Der 4. Senat hielt vielmehr seine früher vertretene Auffassung in BSG 9, 196, 198, 199 ausdrücklich aufrecht. Er hat in einem anders gelagerten Fall entschieden, dass ein Polizeibeamter auf Probe, der vor seiner Ernennung zum Beamten auf Lebenszeit bei voller Weiterzahlung seiner Beamtenbezüge an einem Lehrgang in einer Polizeischule teilzunehmen hatte, sich während dieser Zeit nicht in Berufsausbildung i.S. von § 1265 RVO befindet. Auch der vom 10. Senat des BSG am 12. Juli 1966 – Az.: 10 RV 879/64 entschiedene Fall betrifft einen anderen, nicht mit dem vorliegenden vergleichbaren Sachverhalt.

Der Sohn der Klägerin befand sich bis zum 31. März 1973 in einer echten Berufsausbildung (Plog-Wiedow, Bundesbeamtengesetz Anm. 7 zu § 5). Er durchlief während dieser Zeit verschiedene Abteilungen der AOK zu seiner Information, in Kursen wurde seine Ausbildung in theoretischer Hinsicht ergänzt. Als Inspektorenanwärter musste er während seines Vorbereitungsdienstes in der vorgeschriebenen Zeit – ohne eigenverantwortliche Tätigkeit – bei praktischer Unterweisung zu seiner Information tätig sein. Er war in zwei Abteilungen der AOK eingesetzt, in denen zentral die von dem Regelfall abweichenden Rechtsfragen zu erörtern und zu entscheiden waren. Es handelte sich nach der Darstellung der Klägerin dabei um Abteilungen, in denen nahezu alle Verwaltungsaufgaben und Rechtsfälle zu erledigen waren, die auf die Ausbildungsbehörde zukommen. Dieser Sachverhalt ist unstreitig; die Tatsache wird von der Beklagten zugestanden. Bei der Erledigung der ihm zugewiesenen Aufgaben unterstand R.P. der Anleitung und Aufsicht des Stellen- oder Abteilungsleiters, er war grundsätzlich nicht zeichnungsberechtigt (höchstens nur für ganz geringe Beträge), seine Arbeiten wurden überprüft und von dem Abteilungsleiter mindestens 1 mal wöchentlich in einer theoretischen Unterweisung besprochen. Er unterstand einzelnen Sachbearbeitern, da die Abteilungen in mehrere Sachbereiche aufgegliedert waren. Er hatte die gleiche Ausbildung wie die anderen Inspektorenanwärter, die mit ihm zur gleichen Zeit in den verschiedenen Ausbildungsabteilungen eingesetzt waren, gleichgültig ob sie mit dem Abitur als Inspektorenanwärter aufgenommen waren oder ob sie – wie der Kläger – über eine Verwaltungsprüfung den Befähigungsnachweis zur Aufnahmeanwartschaft in den gehobenen Dienst erlangt hatten. Seine Arbeitskraft war durch die Ausbildung voll in Anspruch genommen; einen Teil der schriftlichen Hausarbeiten hatte er im Rahmen eines ihm zur Pflicht gemachten Fernkursus nach Dienstschluss zu erbringen.

Entgegen der Rechtsansicht der Beklagten erhielt er während der Dauer seiner Ausbildung keine Dienstbezüge, sondern einen Unterhaltszuschuss, der kein Entgelt für geleistete Dienste war. Der Unterhaltszuschuss diente ausschließlich dem Zweck, was das Sozialgericht richtig erkannt hat die wirtschaftliche Lage des R.P. zu erleichtern und eine wirtschaftliche Hilfe für die Bestreitung seines Lebensunterhalts zu gewähren (Plog/Wiedow a.a.O. § 79 a Anm. 3). Zu Unrecht weist die Beklagte auf die Höhe der von R.P. bezogenen "Vergütung” hin und zieht daraus den Schluss, dass er sich nicht mehr in Berufsausbildung befand. Die Höhe des bezogenen Unterhaltszuschusses ist im Hinblick darauf, dass § 39 Abs. 3 Satz 2 AVG keinerlei Einschränkungen bezüglich eines etwaigen Einkommens der in der Berufsausbildung Befindlichen enthält, genau so unbeachtlich wie die Form, in der er gewährt wird (so BSG 25, 276, 278). Dem Sohn der Klägerin wurde, worauf die ausbildende AOK hinweist, als einem bereits im öffentlichen Dienst beschäftigt gewesenen Angestellten – als Bewerber für den Vorbereitungsdienst – die "bisherige” Vergütung nach den geltenden Bestimmungen als Unterhaltszuschuss weiter gewährt, ohne dass sie an den üblichen Steigerungen teilnahm. Daraus erhellt, dass ein echter Unterhaltszuschuss, nicht aber ein Arbeitsentgelt gewährt worden war. Er war eine wirtschaftliche Hilfe für den Auszubildenden, nicht aber ein seiner Arbeitsleistung entsprechendes Entgelt. Der Unterhaltszuschuss wurde für die gesamte Dauer des Vorbereitungsdienstes stets in Höhe der "zuletzt bezogenen” Vergütung gewährt und nahm nicht an allgemeinen Vergütungserhöhungen teil.

Die Beklagte schließt aus den in § 39 Abs. 3 AVG aufgeführten Gründen, die zur Weitergewährung des Kinderzuschusses über die Vollendung des 18. Lebensjahres des Kindes hinausführen, dass diese Leistung nur dann zu gewähren sei, wenn der Unterhalt des Kindes nicht durch eine eigene Erwerbstätigkeit gesichert sei. Die Unterhaltsersatzfunktion komme in der Aufzählung der einzelnen Weiterzahlungsgründe klar zum Ausdruck. Diese Auslegung kann dem Wortlaut des Gesetzes jedoch nicht entnommen werden; denn dieser ist eindeutig und nicht auslegungsfähig. Es kann dahingestellt bleiben, ob eine Regelung – wie sie der Beklagten vorschwebt – billig ist, die einem in der Berufsausbildung Befindlichen dann den Kinderzuschuss versagt, wenn er einen Unterhaltszuschuss in Höhe der BAT-Vergütung bezieht.

Der Gesetzeswortlaut kann nicht im Wege einer – wie auch immer vorgenommenen und in jedem Fall unzulässigen – Auslegung eingeengt werden. Es kann nicht Aufgabe der Sozialgerichte sein, einem vermuteten Willen des Gesetzgebers durch Auslegung zu entsprechen (so BSG 9, 196, 198, 199). Die Höhe des Einkommens kann nur als Indiz dafür herangezogen werden, ob überhaupt ein Ausbildungsverhältnis vorliegt. Es ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber bewusst aus Verwaltungsvereinfachungsgründen darauf verzichtet hat, in jedem Einzelfall die laufende Überprüfung der Höhe des Einkommens des Auszubildenden zu verlangen. Entgegen der Behauptung der Beklagten entsprach der Unterhaltszuschuss auch nicht dem Einkommen in dem angestrebten Beruf. Der Senat vermag auch dem Hinweis der Beklagten auf die Unterhaltsersatzfunktion des Kinderzuschusses nicht zu folgen. Nicht alle Hinterbliebenenrenten haben Ersatzfunktion, denn die Witwenrente wird z.B. gewährt, ohne dass zu prüfen ist, ob der verstorbene Versicherte seine Frau tatsächlich unterhalten hat oder ob sie bedürftig ist und eine Unterhaltsverpflichtung des Versicherten bestand. Auch einer verheirateten Waisen wird für die Dauer der Berufsausbildung die verlängerte Waisenrente gewährt ohne Rücksicht auf den Unterhaltsanspruch gegen den Ehegatten nach § 1360 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). In § 39 Abs. 3 AVG ist der Leitgedanke der Unterhaltsersatzfunktion außer Betracht geblieben, eine Regelung, die der Gesetzgeber hätte treffen können; ihm kam es jedoch auf den Nachweis eines Einkommens des Auszubildenden nicht an. Jedenfalls hätte die Auffassung der Beklagten eine ausdrückliche, also wörtliche Regelung finden müssen. Es ist nicht Aufgabe der Sozialgerichte, durch eine einengende Auslegung des § 39 Abs. 3 AVG von der gesetzlichen Regelung abzuweichen.

Zwar hat das BSG (BSG 25, 289) zum Anspruch auf Gewährung der sogenannten verlängerten Waisenrente entschieden, dass es Sinn und Zweck dieser Leistung sei, die Fälle zu erfassen, in denen das Kind – entgegen der angenommenen Regel – auch nach Vollendung des 18. Lebensjahres noch auf elterliche Unterhaltsleistung angewiesen ist, weil seine Ausbildung noch nicht abgeschlossen ist und es sich deshalb noch nicht selbst durch eine Erwerbstätigkeit unterhalten kann (BSG vom 1. Juli 1964 in BSG 21, 185 mit weiteren Hinweisen), doch scheinen die dort gegebenen Gründe auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar. In dem vom BSG entschiedenen Fall handelte es sich um eine Weiterführung einer bereits abgeschlossenen Berufsausbildung eines Justizsekretärs. Da dieser eine echte Gegenleistung für die von ihm erbrachten Dienste (Beamtenbesoldung) erhielt, konnte nicht mehr von einem Unterhaltszuschuss gesprochen werden. Um eine Berufsausbildung handelt es sich dann nicht, insoweit ist dies auch die Rechtsansicht des erkennenden Senats, wenn sich die Ausbildung im Rahmen einer Erwerbstätigkeit vollzieht, die den vollen Unterhalt – des Kindes – sichert. Zu fordern ist jedoch, dass es sich um eine "Erwerbstätigkeit” handelt, die darauf gerichtet ist, durch eine erbrachte Arbeitsleistung den Lebensunterhalt zu gewährleisten. Der Unterhaltszuschuss des Sohnes der Klägerin bezweckt jedoch nur, die wirtschaftliche Lage während des Vorbereitungsdienstes zu erleichtern. Dagegen ist es der Zweck der Dienstbezüge eines Beamten, den Lebensunterhalt zu sichern. In dem von dem BSG 25, 289 entschiedenen Fall wurden die Ansprüche eines Beamten beurteilt, der für eine andere Berufslaufbahn vorbereitet wurde; er ging während seiner "Ausbildung” den üblichen dienstlichen Tätigkeiten nach. Das trifft aber nicht auf den Sohn der Klägerin zu. Dieser erhielt nicht die vollen Dienstbezüge eines Beamten, sondern – wie oben ausgeführt – nur einen Unterhaltszuschuss. Er befand sich in einer echten Berufsausbildung, das gilt auch dann, wenn es sich – wie hier – um eine auf der bisherigen Ausbildung aufbauende weitere Ausbildung für eine höhere Stufe innerhalb des gleichen Faches handelt (so BSG 23, 227 = SozR Nr. 19 zu § 1267 RVO). Der ihm gewährte Zuschuss ist keine Gegenleistung für erbrachte Dienste, er entspricht nicht der Arbeitsleistung-, sondern ist ein echter Unterhaltszuschuss zur Erleichterung und Sicherung des Ausbildungszweckes. Maßgebend und damit entscheidend ist, dass die tatsächlich geleisteten Bezüge den Charakter eines Unterhaltszuschusses haben, sie entsprechen nicht dem einer nominalen Vergütung für einen Berufstätigen.

Nach allem ist festzustellen, dass sich der Sohn der Klägerin noch bis zum 31. März 1973 in Berufsausbildung befand, für die er nur einen Unterhaltszuschuss erhielt, so dass zu der Versichertenrente, wie das Sozialgericht mit zutreffender Begründung festgestellt hat, bis zur Erreichung des Ausbildungszieles Kinderzuschuss zu gewähren war.

Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Rechtsfrage und wegen der Divergenz der Entscheidungen BSG 25, 276 ff. und BSG 25, 289 ff. wird die Revision zugelassen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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