Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 5 Ar 385/85
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 6 Ar 648/92
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
§ 239 AFG regelt in Satz 1 die abgeschlossenen Fälle, in denen auch bereits die Erstattungsforderung der Bundesanstalt erfüllt wurde, und in Satz 2 die noch nicht abgeschlossenen Fälle, in denen noch nicht gezahlt wurde. Da die Bundesanstalt bis Mitte 1986 aus Erstattungsfällen auch bei erhobenem Widerspruch oder Klage vollstreckt hat, gibt es die weitere im Gesetz nicht ausdrücklich geregelte Fallgruppe, bei der zwar gezahlt wurde, aber der Erstattungsfall gleichwohl wegen Erhebung von Widerspruch oder Klage nicht abgeschlossen ist. Diese Fallgruppe ist nach der Gesetzessystematik entsprechend § 239 Satz 2 AFG zu behandeln mit der Folge, daß die angefochtenen Bescheide als aufgehoben gelten.
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 17. Juni 1992 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Es geht in dem Rechtsstreit um die Erstattung von Arbeitslosengeld für den früheren Arbeitnehmer der Beklagten A. B. in der Zeit vom 1. Januar 1985 bis 31. Oktober 1985 in Höhe von DM 5.763,64.
Der 1923 geborene A. B. war vom 1. April 1969 bis 31. Dezember 1984 bei der Klägerin als kaufmännischer Angestellter/Verkäufer beschäftigt. Ausweislich der Arbeitsbescheinigung vom 10. Dezember 1984 kündigte die Klägerin ihrem Arbeitnehmer B. am 30. Juni 1984 zum 31. Dezember 1984. Die Klägerin kreuzte an, daß kein vertragswidriges Verhalten des Arbeitnehmers Anlaß für die Kündigung gewesen sei und bescheinigte, daß eine Abfindung in Höhe von DM 10.000,00 gezahlt worden sei.
Der Arbeitnehmer B. bezog von der Beklagten auf seinen Antrag Arbeitslosengeld für die Zeit vom 1. Januar 1985 bis 19. Mai 1986 und für die Zeit ab 1. Januar 1986 von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) vorzeitiges Altersruhegeld. Die BfA erstattete der Beklagten die in der Zeit vom 1. Januar 1986 bis 19. Mai 1986 für den Arbeitnehmer Binder aufgebrachten Leistungen.
Nachdem die Beklagte der Klägerin Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hatte, verlangte sie mit Bescheid vom 15. August 1985 von der Klägerin unter Hinweis auf § 128 Abs. 3 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) die Erstattung von in der Zeit vom 1. Januar bis 31. Juli 1985 für den Arbeitnehmer B. erbrachter Leistungen in Höhe von DM 16.064,57. Auf den Widerspruch der Klägerin vom 30. August 1985 ermäßigte die Beklagte mit Bescheid vom 23. September 1985 den Erstattungsbetrag auf 25 % (DM 4.016,14), da die Klägerin in der Regel nicht mehr als 20 Arbeitnehmer beschäftige.
Mit Widerspruchsbescheid vom 24. Oktober 1985 hat die Beklagte den Widerspruch zurückgewiesen und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt, soweit die Klägerin sich auf die Ausnahmevorschriften des § 128 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 und Nr. 9 AFG berufe, lägen deren Voraussetzungen nicht vor. Der Betrieb müsse innerhalb eines zusammenhängenden Zeitraums von höchstens 3 Jahren, in den das Ende der Beschäftigung des Arbeitnehmers falle, die Beschäftigtenzahl um mehr als 15 % vermindert haben. Von 1983 bis 1985 sei der Beschäftigtenstand von 20 auf 17 zurückgegangen, so daß das Erfordernis "mehr als 15 %” nicht erfüllt sei. Aus dem Verlust in 1982 von DM 17.400,00 einem Gewinn in 1983 von DM 13.290,00 und 1984 von DM 513,00 könne nicht auf nachhaltige Schwierigkeiten geschlossen werden. Es sei auch nicht davon auszugehen, daß die Klägerin berechtigt gewesen sei, dem Arbeitnehmer Binder fristlos zu kündigen, da sie fristgerecht gekündigt, ein vertragswidriges Verhalten des Arbeitnehmers verneint und diesem eine Abfindung von DM 10.000,00 gezahlt habe.
Gegen den am 28. Oktober 1985 zugestellten Widerspruchsbescheid hat die Klägerin am 27. November 1985 Klage erhoben.
Mit Bescheid vom 29. November 1985 hat die Beklagte von der Klägerin eine Erstattung von in der Zeit vom 1. August bis 31. Oktober 1985 erbrachter Leistungen in Höhe von DM 1.747,50 verlangt.
Ausweislich einer Bescheinigung des Hauptzollamtes Kassel vom 13. Juni 1986 hat die Klägerin einen Betrag von DM 1.786,80 (einschließlich Vollstreckungskosten) unter Vorbehalt gezahlt. Am 7. Mai 1986 hat die Klägerin der Zahlstelle Kassel einen Verrechnungsscheck über DM 4.036,74 übergeben. Der Betrag wurde am 23. Mai 1986 auf das Konto der Beklagten überwiesen.
Die Klägerin hat sich zur Begründung der Klage auf ihr Vorbringen im Verwaltungsverfahren bezogen und ergänzend vorgetragen, Herr B. sei im Verkauf beschäftigt gewesen. Die Verkaufstätigkeit sei in den letzten Jahren immer hektischer geworden. Diesen Anforderungen sei Herr B. aufgrund seines Alters nicht mehr gewachsen gewesen; es seien Alkoholprobleme hinzugekommen.
Die Beklagte hat vorgetragen, die Feststellungslast dafür, daß entweder die Voraussetzungen für die Erstattungspflicht nicht vorgelegen hätten, ein Befreiungstatbestand gegeben gewesen wäre oder der Arbeitnehmer statt Arbeitslosengeld eine andere Sozialleistung hätte beanspruchen können, liege bei dem Arbeitgeber.
Mit Urteil vom 17. Juni 1992 hat das Sozialgericht Kassel festgestellt, daß die angefochtenen Bescheide kraft Gesetzes als aufgehoben gelten. Zur Begründung hat es ausgeführt, daß § 239 Satz 2 AFG erfüllt sei, da die Vorbehaltszahlungen der Klägerin bei gleichzeitiger Einlegung von Rechtsmitteln nur dem Ziel der Abwehr von Vollstreckungsmaßnahmen gedient hätten und damit nicht als Erstattung gewertet werden könnten.
Gegen das ihr am 8. Juli 1992 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 31. Juli 1992 Berufung eingelegt.
Die Beklagte trägt vor, in der Begründung des Gesetzentwurfes der Fraktionen der CDU/CSU und FDP sei auch die Erstattungszahlung durch den Arbeitgeber unter Vorbehalt erwähnt, so daß die Bescheide als Rechtsgrundlage für die Erstattungsforderung bestehen blieben. Die vom Sozialgericht vorgenommene Auslegung des § 239 Satz 2 AFG sei nicht zulässig, da sie der Intention des Gesetzgebers widerspreche. Die Bescheide seien nur dann zurückzunehmen, wenn die Klägerin nachweise, daß die Voraussetzungen für die Erstattung nicht vorgelegen hätten. Diesen Nachweis habe die Klägerin nicht führen können. Auf die von der Klägerin gewünschte Differenzierung, daß sie nur zur Abwendung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gezahlt habe, könne es nicht ankommen. Eine Zahlung erfolge regelmäßig nur deshalb, um Zwangsvollstreckungsmaßnahmen abzuwenden. Bei Nachprüfung müsse jetzt festgestellt werden, daß nicht nachgewiesen sei, daß die erste Zahlung der Klägerin über 4.016,14 DM unter Vorbehalt erfolgt sei. In der Regel sei aus den Erstattungsbescheiden auch vollstreckt worden. Erst nach Bekanntwerden des Vorlagebeschlusses des BSG vom 21. Mai 1986 seien wirksam angefochtene Erstattungsbescheide nicht mehr vollstreckt worden. Bezüglich des Vorliegens des Befreiungstatbestandes nach § 128 Abs. 1 Nr. 9 AFG a.F. fehle es an dem erforderlichen Nachweis seitens des Arbeitgebers. Die Klägerin trage zwar vor, Ursache für die Kündigung sei vertragswidriges Verhalten des Arbeitnehmers Binder gewesen, in der Arbeitsbescheinigung vom 10. Dezember 1984 habe sie jedoch angegeben, daß die Kündigung nicht wegen vertragswidrigen Verhaltens des Arbeitnehmers erfolgt sei. Zweifel hinsichtlich des wahren Sachverhaltes gingen zu Lasten der Klägerin.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 17. Juni 1992 aufzuheben und die Klage abzuweisen,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Klägerin trägt vor, die Zahlungen seien unter Vorbehalt und nur deshalb erfolgt, um die drohende Zwangsvollstreckung abzuwenden. Insoweit sei der Begründung des Gesetzentwurfs nichts Konkretes zu entnehmen. Daraus sei zu folgern, daß diese Konsequenz den Gesetzgebungsorganen nicht vor Augen gestanden habe. Es könne auch nicht der Intention des Gesetzgebers entsprochen haben, daß ausgerechnet diejenigen Arbeitgeber belohnt würden, die es verstanden hätten, sich durch entsprechende Maßnahmen einer erfolgreichen Vollstreckung zu entziehen. Dabei sei es außerordentlich schwierig gewesen, zum damaligen Zeitpunkt im Wege der einstweiligen Anordnung Rechtsschutz zu erlangen. Eine größere Anzahl von Landessozialgerichten habe damals sehr hohe Anforderungen an den Erlaß einstweiliger Anordnungen gestellt. Mit anderen Worten hätte danach die sofortige Durchsetzung des Erstattungsanspruchs der Beklagten den Arbeitgeber in so große Schwierigkeiten bringen müssen, daß er schon am Rande des Konkurses hätte sein müssen, was glücklicherweise nicht der Fall gewesen sei. Unabhängig davon, daß die Bescheide zu Recht nach § 239 Satz 2 AFG bereits aufgehoben seien, seien sie jedenfalls aufgrund § 239 Satz 1 Nr. 2 AFG aufzuheben, da die Klägerin berechtigt gewesen sei, ihrem Arbeitnehmer Binder aus wichtigem Grund fristlos zu kündigen. Insoweit hätten die Voraussetzungen für die Erstattung gemäß § 128 Abs. 1 Nr. 9 AFG nicht vorgelegen. Darauf, daß die Klägerin von ihrem Recht mit Rücksicht auf den Arbeitnehmer tatsächlich keinen Gebrauch gemacht habe, könne es nicht ankommen.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten sowie der Gerichtsakten ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt, § 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Berufung ist auch zulässig.
Die Berufung ist jedoch unbegründet.
Das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 17. Juni 1992 ist im Ergebnis nicht zu beanstanden.
Zutreffend hat das Sozialgericht die angefochtenen Bescheide vom 15. August 1985, vom 23. September 1985, vom 24. Oktober 1985 und vom 29. November 1985 als von Gesetzes wegen als aufgehoben festgestellt.
Nach dem durch Gesetz vom 21. Juni 1991 (BGBl. I Seite 1.306) eingeführten § 239 Satz 2 AFG gelten die auf der Grundlage des § 128 AFG a.F. ergangenen Verwaltungsakte als aufgehoben, soweit Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe oder Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung und Rentenversicherung nicht erstattet worden sind. Zwar hat die Klägerin die von der Beklagten geforderten Erstattungsbeträge tatsächlich gezahlt, dennoch ist sie nach Auffassung des erkennenden Senats entsprechend § 239 Satz 2 AFG zu behandeln. Aus der Gesetzessystematik und der Begründung des Gesetzentwurfes (BT-Drucks. 12/222 zu Nr. 8) lassen sich in § 239 AFG zwei Fallgruppen unterscheiden, die unterschiedlich abgewickelt werden. Fallgruppe 1) entsprechend § 239 Satz 1 AFG erfaßt die abgeschlossenen Fälle, in denen bereits gezahlt wurde und die nur durch einen neuen Antrag bis 30. Juni 1992 wieder aufgegriffen werden konnten. Fallgruppe 2) entsprechend § 239 Satz 2 AFG erfaßt die noch nicht abgeschlossenen Fälle, in denen noch nicht gezahlt worden ist.
Betrachtet man in diesem Zusammenhang die Gesetzesbegründung:
"In den Fällen, in denen Erstattungszahlungen durch den Arbeitgeber, sei es auch unter Vorbehalt oder aufgrund eines nicht bestandskräftigen Verwaltungsaktes, erbracht worden und damit bestimmte Vermögensdispositionen erfolgt sind, werden die Verwaltungsakte dann aufgehoben, wenn der Arbeitgeber dies beantragt und die Voraussetzungen für die Erstattungspflicht nicht vorlagen oder ein Befreiungstatbestand nach § 128 Abs. 1 Satz 2 AFG gegeben ist.”
so ergibt sich, daß es sich dabei um abgeschlossene Verwaltungsverfahren handelt, denn sonst hätte es bei dieser Gruppe nicht eines neuen Antrages bedurft. Der Hinweis auf die Zahlung unter Vorbehalt oder aufgrund eines nicht bestandskräftigen Verwaltungsaktes muß dann dahin sinngemäß ergänzt werden "und das Verwaltungsverfahren gleichwohl zur Bestandskraft gelangt ist”. In diesem Zusammenhang erscheint es systematisch verständlich, daß abgeschlossene Erstattungsverfahren trotzdem der Fallgruppe 1) zugerechnet werden, auch wenn die Zahlung unter Vorbehalt erfolgte oder zum Zeitpunkt der Zahlung der Verwaltungsakt noch nicht bestandskräftig war, immer unter der Voraussetzung, daß das Verwaltungsverfahren jedenfalls zum Zeitpunkt der Einführung des § 239 AFG bestandskräftig abgeschlossen war.
Nicht ausdrücklich im Gesetz geregelt ist eine dritte Gruppe, zu der der vorliegende Fall zu rechnen ist. Hier ist zwar bereits gezahlt worden, jedoch haben die Adressaten der Erstattungsbescheide von Anfang an durch Widerspruch, Klage und Berufung verhindert, daß der Fall abgeschlossen werden konnte. Dies hat u.a. seinen Grund darin, daß Widerspruch und Klage keine aufschiebende Wirkung hatten und auch die verschiedentlich gestellten Anträge auf Erlaß einstweiliger Anordnungen nur teilweise von Erfolg gekrönt waren. Erst ab etwa Mitte 1986 hat die Beklagte nach ihrem Vorbringen wegen des Vorlagebeschlusses des BSG vom 21. Mai 1986 aus Erstattungsbescheiden, die mit Widerspruch oder Klage angefochten waren, nicht mehr vollstreckt. Von der Gesetzessystematik her gesehen, ist diese Fallgruppe nach Auffassung des erkennenden Senats entsprechend § 239 Satz 2 AFG wie die noch nicht abgeschlossenen Fälle zu behandeln, so daß die angefochtenen Bescheide als aufgehoben gelten. Auf die Frage, ob beide Erstattungsbeträge unter Vorbehalt gezahlt worden sind, kam es deshalb nicht mehr an.
Ferner brauchte nicht mehr geprüft zu werden, ob ein Fall der besonderen Härte vorlag, der 18%ige Arbeitskräfteabbau in den Jahren 1982 bis 1984 zu berücksichtigen ist (und nicht der Abbau in den Jahren 1983 bis 1985 wie die Beklagte meint), ob die Klägerin berechtigt gewesen wäre, den Arbeitnehmer B. wegen vertragswidrigen Verhaltens ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist zu kündigen oder der Arbeitnehmer B. aus gesundheitlichen Gründen die von ihm vertraglich übernommenen Arbeiten auf Dauer nicht mehr hat verrichten können.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
II. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Es geht in dem Rechtsstreit um die Erstattung von Arbeitslosengeld für den früheren Arbeitnehmer der Beklagten A. B. in der Zeit vom 1. Januar 1985 bis 31. Oktober 1985 in Höhe von DM 5.763,64.
Der 1923 geborene A. B. war vom 1. April 1969 bis 31. Dezember 1984 bei der Klägerin als kaufmännischer Angestellter/Verkäufer beschäftigt. Ausweislich der Arbeitsbescheinigung vom 10. Dezember 1984 kündigte die Klägerin ihrem Arbeitnehmer B. am 30. Juni 1984 zum 31. Dezember 1984. Die Klägerin kreuzte an, daß kein vertragswidriges Verhalten des Arbeitnehmers Anlaß für die Kündigung gewesen sei und bescheinigte, daß eine Abfindung in Höhe von DM 10.000,00 gezahlt worden sei.
Der Arbeitnehmer B. bezog von der Beklagten auf seinen Antrag Arbeitslosengeld für die Zeit vom 1. Januar 1985 bis 19. Mai 1986 und für die Zeit ab 1. Januar 1986 von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) vorzeitiges Altersruhegeld. Die BfA erstattete der Beklagten die in der Zeit vom 1. Januar 1986 bis 19. Mai 1986 für den Arbeitnehmer Binder aufgebrachten Leistungen.
Nachdem die Beklagte der Klägerin Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hatte, verlangte sie mit Bescheid vom 15. August 1985 von der Klägerin unter Hinweis auf § 128 Abs. 3 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) die Erstattung von in der Zeit vom 1. Januar bis 31. Juli 1985 für den Arbeitnehmer B. erbrachter Leistungen in Höhe von DM 16.064,57. Auf den Widerspruch der Klägerin vom 30. August 1985 ermäßigte die Beklagte mit Bescheid vom 23. September 1985 den Erstattungsbetrag auf 25 % (DM 4.016,14), da die Klägerin in der Regel nicht mehr als 20 Arbeitnehmer beschäftige.
Mit Widerspruchsbescheid vom 24. Oktober 1985 hat die Beklagte den Widerspruch zurückgewiesen und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt, soweit die Klägerin sich auf die Ausnahmevorschriften des § 128 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 und Nr. 9 AFG berufe, lägen deren Voraussetzungen nicht vor. Der Betrieb müsse innerhalb eines zusammenhängenden Zeitraums von höchstens 3 Jahren, in den das Ende der Beschäftigung des Arbeitnehmers falle, die Beschäftigtenzahl um mehr als 15 % vermindert haben. Von 1983 bis 1985 sei der Beschäftigtenstand von 20 auf 17 zurückgegangen, so daß das Erfordernis "mehr als 15 %” nicht erfüllt sei. Aus dem Verlust in 1982 von DM 17.400,00 einem Gewinn in 1983 von DM 13.290,00 und 1984 von DM 513,00 könne nicht auf nachhaltige Schwierigkeiten geschlossen werden. Es sei auch nicht davon auszugehen, daß die Klägerin berechtigt gewesen sei, dem Arbeitnehmer Binder fristlos zu kündigen, da sie fristgerecht gekündigt, ein vertragswidriges Verhalten des Arbeitnehmers verneint und diesem eine Abfindung von DM 10.000,00 gezahlt habe.
Gegen den am 28. Oktober 1985 zugestellten Widerspruchsbescheid hat die Klägerin am 27. November 1985 Klage erhoben.
Mit Bescheid vom 29. November 1985 hat die Beklagte von der Klägerin eine Erstattung von in der Zeit vom 1. August bis 31. Oktober 1985 erbrachter Leistungen in Höhe von DM 1.747,50 verlangt.
Ausweislich einer Bescheinigung des Hauptzollamtes Kassel vom 13. Juni 1986 hat die Klägerin einen Betrag von DM 1.786,80 (einschließlich Vollstreckungskosten) unter Vorbehalt gezahlt. Am 7. Mai 1986 hat die Klägerin der Zahlstelle Kassel einen Verrechnungsscheck über DM 4.036,74 übergeben. Der Betrag wurde am 23. Mai 1986 auf das Konto der Beklagten überwiesen.
Die Klägerin hat sich zur Begründung der Klage auf ihr Vorbringen im Verwaltungsverfahren bezogen und ergänzend vorgetragen, Herr B. sei im Verkauf beschäftigt gewesen. Die Verkaufstätigkeit sei in den letzten Jahren immer hektischer geworden. Diesen Anforderungen sei Herr B. aufgrund seines Alters nicht mehr gewachsen gewesen; es seien Alkoholprobleme hinzugekommen.
Die Beklagte hat vorgetragen, die Feststellungslast dafür, daß entweder die Voraussetzungen für die Erstattungspflicht nicht vorgelegen hätten, ein Befreiungstatbestand gegeben gewesen wäre oder der Arbeitnehmer statt Arbeitslosengeld eine andere Sozialleistung hätte beanspruchen können, liege bei dem Arbeitgeber.
Mit Urteil vom 17. Juni 1992 hat das Sozialgericht Kassel festgestellt, daß die angefochtenen Bescheide kraft Gesetzes als aufgehoben gelten. Zur Begründung hat es ausgeführt, daß § 239 Satz 2 AFG erfüllt sei, da die Vorbehaltszahlungen der Klägerin bei gleichzeitiger Einlegung von Rechtsmitteln nur dem Ziel der Abwehr von Vollstreckungsmaßnahmen gedient hätten und damit nicht als Erstattung gewertet werden könnten.
Gegen das ihr am 8. Juli 1992 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 31. Juli 1992 Berufung eingelegt.
Die Beklagte trägt vor, in der Begründung des Gesetzentwurfes der Fraktionen der CDU/CSU und FDP sei auch die Erstattungszahlung durch den Arbeitgeber unter Vorbehalt erwähnt, so daß die Bescheide als Rechtsgrundlage für die Erstattungsforderung bestehen blieben. Die vom Sozialgericht vorgenommene Auslegung des § 239 Satz 2 AFG sei nicht zulässig, da sie der Intention des Gesetzgebers widerspreche. Die Bescheide seien nur dann zurückzunehmen, wenn die Klägerin nachweise, daß die Voraussetzungen für die Erstattung nicht vorgelegen hätten. Diesen Nachweis habe die Klägerin nicht führen können. Auf die von der Klägerin gewünschte Differenzierung, daß sie nur zur Abwendung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gezahlt habe, könne es nicht ankommen. Eine Zahlung erfolge regelmäßig nur deshalb, um Zwangsvollstreckungsmaßnahmen abzuwenden. Bei Nachprüfung müsse jetzt festgestellt werden, daß nicht nachgewiesen sei, daß die erste Zahlung der Klägerin über 4.016,14 DM unter Vorbehalt erfolgt sei. In der Regel sei aus den Erstattungsbescheiden auch vollstreckt worden. Erst nach Bekanntwerden des Vorlagebeschlusses des BSG vom 21. Mai 1986 seien wirksam angefochtene Erstattungsbescheide nicht mehr vollstreckt worden. Bezüglich des Vorliegens des Befreiungstatbestandes nach § 128 Abs. 1 Nr. 9 AFG a.F. fehle es an dem erforderlichen Nachweis seitens des Arbeitgebers. Die Klägerin trage zwar vor, Ursache für die Kündigung sei vertragswidriges Verhalten des Arbeitnehmers Binder gewesen, in der Arbeitsbescheinigung vom 10. Dezember 1984 habe sie jedoch angegeben, daß die Kündigung nicht wegen vertragswidrigen Verhaltens des Arbeitnehmers erfolgt sei. Zweifel hinsichtlich des wahren Sachverhaltes gingen zu Lasten der Klägerin.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 17. Juni 1992 aufzuheben und die Klage abzuweisen,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Klägerin trägt vor, die Zahlungen seien unter Vorbehalt und nur deshalb erfolgt, um die drohende Zwangsvollstreckung abzuwenden. Insoweit sei der Begründung des Gesetzentwurfs nichts Konkretes zu entnehmen. Daraus sei zu folgern, daß diese Konsequenz den Gesetzgebungsorganen nicht vor Augen gestanden habe. Es könne auch nicht der Intention des Gesetzgebers entsprochen haben, daß ausgerechnet diejenigen Arbeitgeber belohnt würden, die es verstanden hätten, sich durch entsprechende Maßnahmen einer erfolgreichen Vollstreckung zu entziehen. Dabei sei es außerordentlich schwierig gewesen, zum damaligen Zeitpunkt im Wege der einstweiligen Anordnung Rechtsschutz zu erlangen. Eine größere Anzahl von Landessozialgerichten habe damals sehr hohe Anforderungen an den Erlaß einstweiliger Anordnungen gestellt. Mit anderen Worten hätte danach die sofortige Durchsetzung des Erstattungsanspruchs der Beklagten den Arbeitgeber in so große Schwierigkeiten bringen müssen, daß er schon am Rande des Konkurses hätte sein müssen, was glücklicherweise nicht der Fall gewesen sei. Unabhängig davon, daß die Bescheide zu Recht nach § 239 Satz 2 AFG bereits aufgehoben seien, seien sie jedenfalls aufgrund § 239 Satz 1 Nr. 2 AFG aufzuheben, da die Klägerin berechtigt gewesen sei, ihrem Arbeitnehmer Binder aus wichtigem Grund fristlos zu kündigen. Insoweit hätten die Voraussetzungen für die Erstattung gemäß § 128 Abs. 1 Nr. 9 AFG nicht vorgelegen. Darauf, daß die Klägerin von ihrem Recht mit Rücksicht auf den Arbeitnehmer tatsächlich keinen Gebrauch gemacht habe, könne es nicht ankommen.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten sowie der Gerichtsakten ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt, § 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Berufung ist auch zulässig.
Die Berufung ist jedoch unbegründet.
Das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 17. Juni 1992 ist im Ergebnis nicht zu beanstanden.
Zutreffend hat das Sozialgericht die angefochtenen Bescheide vom 15. August 1985, vom 23. September 1985, vom 24. Oktober 1985 und vom 29. November 1985 als von Gesetzes wegen als aufgehoben festgestellt.
Nach dem durch Gesetz vom 21. Juni 1991 (BGBl. I Seite 1.306) eingeführten § 239 Satz 2 AFG gelten die auf der Grundlage des § 128 AFG a.F. ergangenen Verwaltungsakte als aufgehoben, soweit Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe oder Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung und Rentenversicherung nicht erstattet worden sind. Zwar hat die Klägerin die von der Beklagten geforderten Erstattungsbeträge tatsächlich gezahlt, dennoch ist sie nach Auffassung des erkennenden Senats entsprechend § 239 Satz 2 AFG zu behandeln. Aus der Gesetzessystematik und der Begründung des Gesetzentwurfes (BT-Drucks. 12/222 zu Nr. 8) lassen sich in § 239 AFG zwei Fallgruppen unterscheiden, die unterschiedlich abgewickelt werden. Fallgruppe 1) entsprechend § 239 Satz 1 AFG erfaßt die abgeschlossenen Fälle, in denen bereits gezahlt wurde und die nur durch einen neuen Antrag bis 30. Juni 1992 wieder aufgegriffen werden konnten. Fallgruppe 2) entsprechend § 239 Satz 2 AFG erfaßt die noch nicht abgeschlossenen Fälle, in denen noch nicht gezahlt worden ist.
Betrachtet man in diesem Zusammenhang die Gesetzesbegründung:
"In den Fällen, in denen Erstattungszahlungen durch den Arbeitgeber, sei es auch unter Vorbehalt oder aufgrund eines nicht bestandskräftigen Verwaltungsaktes, erbracht worden und damit bestimmte Vermögensdispositionen erfolgt sind, werden die Verwaltungsakte dann aufgehoben, wenn der Arbeitgeber dies beantragt und die Voraussetzungen für die Erstattungspflicht nicht vorlagen oder ein Befreiungstatbestand nach § 128 Abs. 1 Satz 2 AFG gegeben ist.”
so ergibt sich, daß es sich dabei um abgeschlossene Verwaltungsverfahren handelt, denn sonst hätte es bei dieser Gruppe nicht eines neuen Antrages bedurft. Der Hinweis auf die Zahlung unter Vorbehalt oder aufgrund eines nicht bestandskräftigen Verwaltungsaktes muß dann dahin sinngemäß ergänzt werden "und das Verwaltungsverfahren gleichwohl zur Bestandskraft gelangt ist”. In diesem Zusammenhang erscheint es systematisch verständlich, daß abgeschlossene Erstattungsverfahren trotzdem der Fallgruppe 1) zugerechnet werden, auch wenn die Zahlung unter Vorbehalt erfolgte oder zum Zeitpunkt der Zahlung der Verwaltungsakt noch nicht bestandskräftig war, immer unter der Voraussetzung, daß das Verwaltungsverfahren jedenfalls zum Zeitpunkt der Einführung des § 239 AFG bestandskräftig abgeschlossen war.
Nicht ausdrücklich im Gesetz geregelt ist eine dritte Gruppe, zu der der vorliegende Fall zu rechnen ist. Hier ist zwar bereits gezahlt worden, jedoch haben die Adressaten der Erstattungsbescheide von Anfang an durch Widerspruch, Klage und Berufung verhindert, daß der Fall abgeschlossen werden konnte. Dies hat u.a. seinen Grund darin, daß Widerspruch und Klage keine aufschiebende Wirkung hatten und auch die verschiedentlich gestellten Anträge auf Erlaß einstweiliger Anordnungen nur teilweise von Erfolg gekrönt waren. Erst ab etwa Mitte 1986 hat die Beklagte nach ihrem Vorbringen wegen des Vorlagebeschlusses des BSG vom 21. Mai 1986 aus Erstattungsbescheiden, die mit Widerspruch oder Klage angefochten waren, nicht mehr vollstreckt. Von der Gesetzessystematik her gesehen, ist diese Fallgruppe nach Auffassung des erkennenden Senats entsprechend § 239 Satz 2 AFG wie die noch nicht abgeschlossenen Fälle zu behandeln, so daß die angefochtenen Bescheide als aufgehoben gelten. Auf die Frage, ob beide Erstattungsbeträge unter Vorbehalt gezahlt worden sind, kam es deshalb nicht mehr an.
Ferner brauchte nicht mehr geprüft zu werden, ob ein Fall der besonderen Härte vorlag, der 18%ige Arbeitskräfteabbau in den Jahren 1982 bis 1984 zu berücksichtigen ist (und nicht der Abbau in den Jahren 1983 bis 1985 wie die Beklagte meint), ob die Klägerin berechtigt gewesen wäre, den Arbeitnehmer B. wegen vertragswidrigen Verhaltens ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist zu kündigen oder der Arbeitnehmer B. aus gesundheitlichen Gründen die von ihm vertraglich übernommenen Arbeiten auf Dauer nicht mehr hat verrichten können.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
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