Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Detmold (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
23
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 23 AS 22/07
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger ist eine von 69 sogenannten "Optionskommunen", die gemäß § 6 a SGB II als Leistungsträger im Rahmen des SGB II zugelassen sind. Die Aufwendungen nach dem SGB II trägt zum Teil der Bund und zum Teil der Kläger. Die Erstattung der vom Kläger als Leistungsträger verauslagten, aber vom Bund zu tragenden Aufwendungen ist verfahrensmäßig in einer zwischen den Beteiligten abgeschlossenen "Verwaltungsvereinbarung über die vom Bund zu tragenden Aufwendungen des zugelassenen kommunalen Trägers der Grundsicherung für Arbeitsuchende" geregelt.
Zwischen den Beteiligten ist streitig, wie bei einer Person, die zu einer Bedarfsgemeinschaft im Sinne des § 7 Abs. 3 SGB II gehört und über Einkommen oder Vermögen verfügt, dieses Einkommen bzw. Vermögen berücksichtigt wird. Nach der vom Kläger von Januar 2005 bis Mai 2007 praktizierten "vertikalen" Einkommensanrechung wird Einkommen oder Vermögen zunächst zur Deckung des Bedarfs des Einkommensbeziehers oder Vermögensinhabers verwendet. Bleiben dann noch Beträge übrig, werden sie auf die übrigen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft verteilt. Demgegenüber wird bei der von der Beklagten für zutreffend gehaltenen "horizontalen" Einkommensanrechnung das anrechenbare Einkommen bzw. Vermögen von vornherein auf alle Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft gleichmäßig verteilt.
Dies hat Auswirkungen auf die Lastenverteilung zwischen Bund und Kommunen, weil zu berücksichtigendes Einkommen und Vermögen nach § 19 Satz 3 SGB II zunächst die Leistungen des Bundes mindert; nur soweit Einkommen und Vermögen darüber hinaus zu berücksichtigen ist, mindert es die Geldleistungen der kommunalen Träger. Die Beteiligten haben einvernehmlich errechnet, dass die Beklagte gegenüber dem Kläger im Zeitraum von Januar 2005 bis Mai 2007 um 1.265.186,86 EUR entlastet worden wäre, wenn der Kläger statt der "vertikalen" die "horizontale" Einkommensanrechnung angewendet hätte.
In einer Besprechung am 27.6.2007 zwischen dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales und dem Kläger in Bonn haben die Beteiligten sich darauf geeinigt, dass der Kläger eine schnellstmögliche höchstrichterliche Klärung der streitigen Rechtsfrage der Einkommensanrechnungsmethode anstrebt. Zu diesem Zweck werde eine Feststellungsklage erhoben.
Am 10.12.2007 hat der Kläger diese Klage erhoben. Er vertritt mit ausführlicher Begründung ist Rechtsauffassung, dass die von ihm bis Mai 2007 praktizierte "vertikale" Einkommensanrechnung der Rechtslage entspreche. Zudem gebe es keine Rechtsgrundlage für Rückforderungen durch die Beklagte.
Der Kläger beantragt,
1. festzustellen, dass der Bundesrepublik Deutschland gegen den Kreis Minden-Lübbecke keine Forderungen wegen unzutreffender Berechnung von Leistungen nach dem SGB II in Höhe von - 606.478,13 EUR für das Jahr 2005 - 315.273,22 EUR für das Jahr 2006 - 343.435,51 EUR für die Monate Januar bis Mai 2007 zustehen, sowie
2. festzustellen, dass der Kreis Minden-Lübbecke berechtigt ist, rechnerisch das von dem Mitglied einer Bedarfsgemeinschaft erzielte Einkommen zunächst zur Deckung des Bedarfs dieses Mitglied zu verwenden und nur den diesen Bedarf übersteigenden Betrag zur Deckung des nicht gedeckten Bedarfs der übrigen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft zu verwenden.
Die Beklagten beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie vertritt mit ausführlicher Begründung die Auffassung, allein die "horizontale" Einkommensanrechnung entspreche den Vorschriften des SGB II und beruft sich für ihre Rückforderung auf den öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch sowie auf § 6 b SGB II i.V.m. § 5 Abs. 2 der Verwaltungsvereinbarung.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten (1 Ordner) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG zulässige negative Feststellungsklage ist unbegründet. Der Kläger hat der Beklagten für den Zeitraum Januar 2005 bis Mai 2007 insgesamt 1.265.186,86 EUR zu erstatten. Er ist auch nicht berechtigt, bei der Anrechnung von Einkommen oder Vermögen im Rahmen einer Bedarfsgemeinschaft die sogenannte "vertikale" Berechnungsmethode anzuwenden.
I. Ein Erstattungsanspruch lässt sich allerdings nicht auf § 6 b SGB II i.V.m. § 5 Abs. 2 der zwischen den Beteiligten abgeschlossenen "Verwaltungsvereinbarung über die vom Bund zu tragenden Aufwendungen des zugelassenen kommunalen Trägers der Grundsicherung für Arbeitsuchende" stützen. § 6 b SGB II regelt das Rechtsverhältnis zwischen Kläger und Beklagter. Dabei umschreibt § 6 b Abs. 1 SGB II die Funktion des Klägers als grundsätzlich alleiniger Leistungsträger im Rahmen des SGB II. Der Bund trägt gemäß § 6 b Abs. 2 Satz 1 SGB II die Aufwendungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende einschließlich der Verwaltungskosten mit Ausnahme der in § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II genannten Leistungen, die der Kläger selbst tragen muss. Demnach sind die zugelassenen kommunalen Träger – zu denen der Kläger nach § 6 a SGB II in Verbindung mit der Kommunalträger-Zulassungsverordnung vom 24.9.2004 (BGBl. I, Seite 2349) gehört – kraft gesetzlicher Delegation originär für die Aufgabenerfüllung zuständig, die sonst von den nach § 44 b SGB II gegründeten Arbeitsgemeinschaften wahrgenommen werden (vgl. nur Eicher/Spellbrink, Grundsicherung für Arbeitsuchende, Kommentar, 2. Auflage 2008, § 6 b Rdnr. 2, 2 a). Eine Haftungsregel enthält die Vorschrift nicht. Allerdings ergibt sich aus dem Wortlaut des § 6 b Abs. 2 Satz 1 SGB II, wonach der Bund (nur) "die Aufwendungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende" trägt unter Einbeziehung der Tatsache, dass der Kläger als hoheitlicher Leistungsträger gemäß Artikel 20 Abs. 3 GG an Gesetz und Recht gebunden ist, dass der Bund nur Leistungen erstatten muss, die der Kläger nach den Vorschriften des SGB II rechtmäßig bewilligt und ausgezahlt hat. Wie bei einer rechtswidrigen Bewilligung zu verfahren ist, regelt die Vorschrift hingegen nicht.
Der zwischen den Beteiligten abgeschlossenen Verwaltungsvereinbarung über die vom Bund zu tragenden Aufwendungen des zugelassenen kommunalen Trägers der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20.12.2004/6.1.2005 misst die Kammer nur organisatorische Bedeutung zu. Die Vereinbarung begründet insbesondere keine eigenständigen Rechte und Pflichten hinsichtlich der Frage der Wahrnehmung von Aufgaben in der Funktion als Leistungsträger und der Verteilung der Finanzierung der Aufwendungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende zwischen Bund und Kommunen. Die in § 5 Abs. 2 der Verwaltungsvereinbarung getroffene Regelung, dass Überzahlungen vom Kläger zu erstatten sind, wenn eine Prüfung ergibt, "dass Aufwendungen nicht vom Bund gemäß § 6 b Abs. 2 Satz 1 SGB II zu tragen sind", setzt voraus, dass sich die Verpflichtung, bestimmte Aufwendungen zu tragen oder nicht zu tragen, aus dem materiellen Recht ergibt. Die Verwaltungsvereinbarung will ersichtlich keine Ansprüche begründen und auch keine materiell-rechtlichen Regelungen treffen.
II. Als Rechtsgrundlage kommt daher nur der allgemeine öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch in Betracht.
1. Bei diesem Rechtsinstitut handelt es sich um einen aus allgemeinen Grundsätzen des Verwaltungsrechts, insbesondere der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, abgeleiteten Anspruch, der gegeben ist, wenn die Gerechtigkeit einen Ausgleich der mit der Rechtslage nicht mehr übereinstimmenden Vermögenslage erfordert (BVerwG, Urteil vom 9.6.1975 – VI C 163.73 –, BVerwGE 48, 279, 286 m.z.N. aus Rechtsprechung und Schrifttum).
Danach gilt im öffentlichen Recht – mithin auch im Sozialrecht – auch ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung allgemein der Grundsatz, dass Leistungen, die eines rechtlichen Grundes entbehren, zu erstatten sind. Das gilt auch, wenn etwa eine Behörde einem Leistungsträger ohne Rechtsgrund eine Leistung erbracht hat (vgl. BSG, Urteil vom 11.10.1994 – 1 RK 34/93 –, Rdnr. 12; ferner etwa BSG, Urteil vom 16.7.1974 – 1 RA 183/73 –, NJW 1975, 359; BSG, Urteil vom 28.9.2006 – B 3 KR 20/05 R –, BSGE 97, 125, jeweils m.w.N.).
In der vorliegenden Fallkonstellation nicht einschlägig ist hingegen der Erstattungsanspruch in Form eines Ausgleichsanspruchs zwischen zwei alternativ zuständigen Leistungsträgern i.S.d. §§ 102 ff. SGG (vgl. auch allgemein BVerwG, Urteil vom 27.9.2007 – 2 C 14.06 –). Denn als Leistungsträger zur Leistung verpflichtet war gemäß § 6 b Abs. 1 SGB II nur der Kläger.
2. Auf ein Verschulden bzw. Vertretenmüssen kommt es im Rahmen des allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs nicht an (vgl. BSG, Urteil vom 16.7.1974 – 1 RA 183/73 –, NJW 1975, 359).
3. Die Voraussetzungen für einen allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch sind damit gegeben, wenn zulasten des Klägers und zugunsten der Beklagten eine unmittelbare Vermögensverschiebung stattgefunden hat, für die ein Rechtsgrund fehlt oder später weggefallen ist; maßgebend ist die materiell-rechtliche Rechtslage (vgl. zusammenfassend etwa Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 17. Auflage 2009, § 29 Rdnr. 23, 24).
III. Diese Voraussetzungen liegen vor.
1. Die Vermögensverschiebung liegt darin, dass der Kläger im streitbefangenen Zeitraum von der Beklagten insgesamt 1.265.186,86 EUR an Aufwendungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende im Sinne des § 6 b Abs. 2 SGB II erhalten hat, die auf der Anwendung der "vertikalen" anstelle der "horizontalen" Einkommensanrechnung beruhen.
2. Für diese Vermögensverschiebung gab es keinen Rechtsgrund.
a. Nach mittlerweile ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ergibt sich die horizontale Berechnungsmethode aus dem Wortlaut des § 9 Abs. 2 Satz 3 SGG (grundlegend BSG, Urteil vom 7.11.2006 – B 7b AS 8/06 R –, Rdnr. 15; ferner BSG, Urteil vom 15.4.2008 – B 14/7b AS 58/06 R –, Rdnr. 38, 47; BSG, Urteil vom 18.6.2008 – B 14 AS 55/07 R –, Rdnr. 20, 22, 23). Danach gilt jede Person der Bedarfsgemeinschaft im Verhältnis des eigenen Bedarfs zum Gesamtbedarf als hilfebedürftig, wenn in einer Bedarfsgemeinschaft nicht der gesamte Bedarf aus eigenen Kräften und Mitteln gedeckt ist. Dies entspreche dem Willen des Gesetzgeber, der nicht einfach übergangen werden könne (BSG, Urteil vom 7.11.2006, a.a.O., Rdnr. 13). Es handele sich um eine Berechnungsvorschrift, die für den Regelfall eine vereinfachte Zuordnung des nicht durch Einkommen und Vermögen gedeckten Bedarfs zu den einzelnen Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft ermögliche (BSG, Urteil vom 15.4.2008, a.a.O., Rdnr. 48). Dem Einwand, § 9 Abs. 2 Satz 3 SGB II sei verfassungswidrig, weil durch diese Vorschrift nichtbedürftige Personen zu Bedürftigen würden, hat das Bundessozialgericht entgegengehalten, dass dem individuell
Nichtbedürftigen sogar noch ein Leistungsanspruch nach dem SGB II zugestanden werde (Urteil vom 7.11.2006, a.a.O., Rdnr. 15). Das verfassungsrechtliche Problem liege allenfalls in der Kürzung der Leistungsansprüche der übrigen bedürftigen Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft. Diese Rechtsfolge sei jedoch solange hinzunehmen, als es sich um eine "funktionierende" Bedarfsgemeinschaft handele, in der die bewilligten Leistungen tatsächlich auch den bedürftigen Personen im Einzelfall zufließen.
Die obergerichtliche Rechtsprechung ist dem Ansatz des Bundessozialgerichts überwiegend gefolgt (vgl. z.B. LSG NRW, Beschluss von 13.6.2007 – L 20 B 6/07 AS ER –; in LSG, Beschluss vom 29.4.2008 – L 7 B 295/07 AS NZB – wird die Rechtsfrage, ob die horizontale oder die vertikale Berechnungsmethode anzuwenden sei, ausdrücklich als höchstrichterlich geklärt bezeichnet). Gleiches gilt für die Mehrheit des Schrifttums (vgl. etwa Eicher/Spellbrink, SGB II, Kommentar, 2. Auflage 2008, § 9 Rdnr. 30, 30 a; Hohm (Hrsg.), Gemeinschaftskommentar zum SGB II, Stand: Oktober 2007, § 9 Rdnr. 33, 35).
b. Demgegenüber hatte das Bundesverwaltungsgericht zur früheren Rechtslage nach dem Bundessozialhilfegesetz ausgeführt, eine – von ihm nicht ausdrücklich so bezeichnete – horizontale Verteilung von Einkommen auf andere Familienmitglieder "verstieße gegen das Grundrecht auf Achtung und Schutz der Menschenwürde (Artikel 1 Abs. 1 GG), weil sie denjenigen, der sich selbst helfen kann (§ 2 Abs. 1 BSHG), verpflichtet, seine Mittel für andere einzusetzen, mit der Folge, dass er dadurch selbst mittellos wird und auf staatliche Hilfe angewiesen ist ..." (BVerwG, Urteil vom 26.11.1998 – 5 C 37.97 –, BVerwGE, 108, 36, 38). Hierbei ist allerdings zu berücksichtigen, dass das Bundessozialhilfegesetz anders als das SGB II die Konstruktion der Bedarfsgemeinschaft nicht kannte und insbesondere keine dem § 9 Abs. 2 Satz 3 SGB II entsprechende oder ähnliche Vorschrift enthielt, sondern jeder Angehöriger einer Bedarfsgemeinschaft einzeln leistungsberechtigt war.
Die Rechtsprechung hat auch nach Ergehen der oben zitierten Entscheidungen des Bundessozialgerichts vereinzelt die Auffassung vertreten, § 9 Abs. 2 Satz 3 SGB II sei verfassungsrechtlich zweifelhaft bzw. verfassungskonform auszulegen, was zur Anwendung der vertikalen Berechnungsmethode führe (vgl. VG Bremen, Beschluss vom 17.12.2007 – S 3 V 3461/07 – unter Bezugnahme auf einen Beschluss des OVG Bremen vom 24.4.2007; SG Schleswig, Urteil vom 25.1.2008 – S 7 AS 287/07 –, Rdnr. 29 bis 37). Auch im Schrifttum wird § 9 Abs. 2 Satz 3 SGB II – nach wie vor – in erster Linie wegen Verstoßes gegen Artikel 1 Abs. 1 GG und/oder Artikel 20 Abs. 1 GG für verfassungswidrig gehalten (vgl. aus neuerer Zeit etwa Rosenow, SGb 2008, 282 bis 290; Labrenz, ZfF 2008, 217 bis 224).
c. Im Ergebnis teilt die Kammer die gegen § 9 Abs. 2 Satz 3 SGB II erhobenen verfassungsrechtlichen Bedenken nicht. Sie möchte allerdings nicht soweit gehen, die Bedenken als "akademisch" zu werten (so LSG NRW, Beschluss vom 13.6.2007 – L 20 B 6/07 AS ER –). Immerhin wird die vom Gesetzgeber im SGB II gewählte Konstruktion der Bedarfsgemeinschaft und die Regelung in § 9 Abs. 2 Satz 3 SGB auch vom Bundessozialgericht als "wenig sinnvoll" bezeichnet (Urteil vom 7.11.2006, a.a.O., Rdnr. 13); dies begründet aber nicht ihre Verfassungswidrigkeit. Der im Kern erhobene Einwand, ein an sich nicht Hilfebedürftiger im Sinne des § 9 Abs. 1 SGB II werde durch die Verteilung seines Einkommens auf die übrigen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft hilfebedürftig, während diesen Mitgliedern durch fiktive Anrechnung von Einkommen Ansprüche nach dem SGB II teilweise entzogen würden, ist zu sehr von der früher geltenden Regelung im Bundessozialhilfegesetz geprägt und berücksichtigt die engen wechselseitigen Beziehungen in einer Bedarfsgemeinschaft nach dem SGB II nicht ausreichend. Für die Annahme einer Bedarfsgemeinschaft setzen § 7 Abs. 3 und 3 a SGB II entweder eine besonders enge Verwandtschaft oder einen wechselseitigen Willen, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, voraus. Dementsprechend kann typisierend vom Wirtschaften "aus einem Topf" ausgegangen werden (vgl. LSG NRW, Beschluss vom 13.6.2007 – L 20 B 6/07 AS ER –). Daher erscheint § 9 Abs. 2 Satz 3 SGB II in der Tat – wie vom Bundessozialgericht angenommen – als Berechnungsvorschrift. Die Gesamtsumme der einer Bedarfsgemeinschaft bewilligten Leistungen bleibt gleich. Die Anwendung der horizontalen oder vertikalen Einkommensanrechnung betrifft nur die Leistungshöhe für die einzelnen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft. Die durch § 19 Satz 3 SGB II bedingten Unterschiede hinsichtlich der Finanzierung der Leistungen durch den Bund oder die Kommunen berühren die Ansprüche der Bedarfsgemeinschaft insgesamt im Ergebnis nicht.
In diesem Zusammenhang hält es die ausschließlich für Streitigkeiten der Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständige Kammer für bezeichnend, dass ihr noch nicht ein einziger Fall unterbreitet wurde, in dem ein Hilfebedürftiger die horizontale Verteilung von Einkommen mit der Begründung angefochten hat, sie verletze ihn in Grundrechten bzw. sei menschenunwürdig.
3. Auf ein Verschulden des Klägers kommt es nicht an. Die Kammer weist aber darauf hin, dass dem Kläger nicht der Vorwurf gemacht werden kann, vorsätzlich oder fahrlässig geltendes Recht verletzt zu haben. Die Frage, ob die "vertikale" oder die "horizontale" Einkommensanrechnung der Rechtslage entspricht, war und ist bis heute in Rechtsprechung und Schrifttum umstritten, auch wenn die Kammer sie in Übereinstimmung mit der Rechsprechung des Bundessozialgerichts beurteilt. Auf eine rechtliche "Vertretbarkeit" kann es jedoch nicht ankommen, da auf die materiell-rechtliche Rechtslage abzustellen ist, die nach Auffassung der Kammer die "horizontale" Einkommensanrechnung vorsieht.
IV. Ergänzend weist das Gericht darauf hin, dass dem Kläger durch die horizontale Berechnungsmethode kein Vermögensschaden entsteht. Allerdings wäre eine vertikale Einkommensanrechung für den Kläger günstiger, weil sie eine erweiterte Anwendung der Anrechnungsvorschrift in § 19 Satz 3 SGB II zugunsten des Klägers als kommunalem Träger bedeuten würde. Die in § 46 SGB II getroffene Regelung über die Aufteilung der Finanzierung der Leistungen nach dem SGB II auf den Bund und die Kommunen legt allerdings "die Rechtsauffassung zugrunde, dass entsprechend § 9 SGB II eine horizontale Einkommensanrechung der Bedarfsanteilsmethode bei Bedarfsgemeinschaften, die Leistungen nach diesem Buch beziehen, erfolgt." (BT-Drs. 16/3572 vom 27.11.2006). Es widerspräche dieser sehr kompliziert und differenziert (vgl. nur § 46 Abs. 7 SGB II) geregelten Lastenverteilung zwischen Bund und Kommunen, wenn zugunsten der Kommunen die wegen der Anrechungsvorschrift in § 19 Satz 3 SGB II für sie günstigere vertikale Einkommensrechnung praktiziert würde. Der Kläger wird daher durch die horizontale Einkommensanrechnung hinsichtlich der Finanzierung der Lasten nach dem SGB II so behandelt wie § 46 SGB II das vorsieht.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197 a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Revision wird gemäß § 161 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat.
Tatbestand:
Der Kläger ist eine von 69 sogenannten "Optionskommunen", die gemäß § 6 a SGB II als Leistungsträger im Rahmen des SGB II zugelassen sind. Die Aufwendungen nach dem SGB II trägt zum Teil der Bund und zum Teil der Kläger. Die Erstattung der vom Kläger als Leistungsträger verauslagten, aber vom Bund zu tragenden Aufwendungen ist verfahrensmäßig in einer zwischen den Beteiligten abgeschlossenen "Verwaltungsvereinbarung über die vom Bund zu tragenden Aufwendungen des zugelassenen kommunalen Trägers der Grundsicherung für Arbeitsuchende" geregelt.
Zwischen den Beteiligten ist streitig, wie bei einer Person, die zu einer Bedarfsgemeinschaft im Sinne des § 7 Abs. 3 SGB II gehört und über Einkommen oder Vermögen verfügt, dieses Einkommen bzw. Vermögen berücksichtigt wird. Nach der vom Kläger von Januar 2005 bis Mai 2007 praktizierten "vertikalen" Einkommensanrechung wird Einkommen oder Vermögen zunächst zur Deckung des Bedarfs des Einkommensbeziehers oder Vermögensinhabers verwendet. Bleiben dann noch Beträge übrig, werden sie auf die übrigen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft verteilt. Demgegenüber wird bei der von der Beklagten für zutreffend gehaltenen "horizontalen" Einkommensanrechnung das anrechenbare Einkommen bzw. Vermögen von vornherein auf alle Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft gleichmäßig verteilt.
Dies hat Auswirkungen auf die Lastenverteilung zwischen Bund und Kommunen, weil zu berücksichtigendes Einkommen und Vermögen nach § 19 Satz 3 SGB II zunächst die Leistungen des Bundes mindert; nur soweit Einkommen und Vermögen darüber hinaus zu berücksichtigen ist, mindert es die Geldleistungen der kommunalen Träger. Die Beteiligten haben einvernehmlich errechnet, dass die Beklagte gegenüber dem Kläger im Zeitraum von Januar 2005 bis Mai 2007 um 1.265.186,86 EUR entlastet worden wäre, wenn der Kläger statt der "vertikalen" die "horizontale" Einkommensanrechnung angewendet hätte.
In einer Besprechung am 27.6.2007 zwischen dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales und dem Kläger in Bonn haben die Beteiligten sich darauf geeinigt, dass der Kläger eine schnellstmögliche höchstrichterliche Klärung der streitigen Rechtsfrage der Einkommensanrechnungsmethode anstrebt. Zu diesem Zweck werde eine Feststellungsklage erhoben.
Am 10.12.2007 hat der Kläger diese Klage erhoben. Er vertritt mit ausführlicher Begründung ist Rechtsauffassung, dass die von ihm bis Mai 2007 praktizierte "vertikale" Einkommensanrechnung der Rechtslage entspreche. Zudem gebe es keine Rechtsgrundlage für Rückforderungen durch die Beklagte.
Der Kläger beantragt,
1. festzustellen, dass der Bundesrepublik Deutschland gegen den Kreis Minden-Lübbecke keine Forderungen wegen unzutreffender Berechnung von Leistungen nach dem SGB II in Höhe von - 606.478,13 EUR für das Jahr 2005 - 315.273,22 EUR für das Jahr 2006 - 343.435,51 EUR für die Monate Januar bis Mai 2007 zustehen, sowie
2. festzustellen, dass der Kreis Minden-Lübbecke berechtigt ist, rechnerisch das von dem Mitglied einer Bedarfsgemeinschaft erzielte Einkommen zunächst zur Deckung des Bedarfs dieses Mitglied zu verwenden und nur den diesen Bedarf übersteigenden Betrag zur Deckung des nicht gedeckten Bedarfs der übrigen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft zu verwenden.
Die Beklagten beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie vertritt mit ausführlicher Begründung die Auffassung, allein die "horizontale" Einkommensanrechnung entspreche den Vorschriften des SGB II und beruft sich für ihre Rückforderung auf den öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch sowie auf § 6 b SGB II i.V.m. § 5 Abs. 2 der Verwaltungsvereinbarung.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten (1 Ordner) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG zulässige negative Feststellungsklage ist unbegründet. Der Kläger hat der Beklagten für den Zeitraum Januar 2005 bis Mai 2007 insgesamt 1.265.186,86 EUR zu erstatten. Er ist auch nicht berechtigt, bei der Anrechnung von Einkommen oder Vermögen im Rahmen einer Bedarfsgemeinschaft die sogenannte "vertikale" Berechnungsmethode anzuwenden.
I. Ein Erstattungsanspruch lässt sich allerdings nicht auf § 6 b SGB II i.V.m. § 5 Abs. 2 der zwischen den Beteiligten abgeschlossenen "Verwaltungsvereinbarung über die vom Bund zu tragenden Aufwendungen des zugelassenen kommunalen Trägers der Grundsicherung für Arbeitsuchende" stützen. § 6 b SGB II regelt das Rechtsverhältnis zwischen Kläger und Beklagter. Dabei umschreibt § 6 b Abs. 1 SGB II die Funktion des Klägers als grundsätzlich alleiniger Leistungsträger im Rahmen des SGB II. Der Bund trägt gemäß § 6 b Abs. 2 Satz 1 SGB II die Aufwendungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende einschließlich der Verwaltungskosten mit Ausnahme der in § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II genannten Leistungen, die der Kläger selbst tragen muss. Demnach sind die zugelassenen kommunalen Träger – zu denen der Kläger nach § 6 a SGB II in Verbindung mit der Kommunalträger-Zulassungsverordnung vom 24.9.2004 (BGBl. I, Seite 2349) gehört – kraft gesetzlicher Delegation originär für die Aufgabenerfüllung zuständig, die sonst von den nach § 44 b SGB II gegründeten Arbeitsgemeinschaften wahrgenommen werden (vgl. nur Eicher/Spellbrink, Grundsicherung für Arbeitsuchende, Kommentar, 2. Auflage 2008, § 6 b Rdnr. 2, 2 a). Eine Haftungsregel enthält die Vorschrift nicht. Allerdings ergibt sich aus dem Wortlaut des § 6 b Abs. 2 Satz 1 SGB II, wonach der Bund (nur) "die Aufwendungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende" trägt unter Einbeziehung der Tatsache, dass der Kläger als hoheitlicher Leistungsträger gemäß Artikel 20 Abs. 3 GG an Gesetz und Recht gebunden ist, dass der Bund nur Leistungen erstatten muss, die der Kläger nach den Vorschriften des SGB II rechtmäßig bewilligt und ausgezahlt hat. Wie bei einer rechtswidrigen Bewilligung zu verfahren ist, regelt die Vorschrift hingegen nicht.
Der zwischen den Beteiligten abgeschlossenen Verwaltungsvereinbarung über die vom Bund zu tragenden Aufwendungen des zugelassenen kommunalen Trägers der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20.12.2004/6.1.2005 misst die Kammer nur organisatorische Bedeutung zu. Die Vereinbarung begründet insbesondere keine eigenständigen Rechte und Pflichten hinsichtlich der Frage der Wahrnehmung von Aufgaben in der Funktion als Leistungsträger und der Verteilung der Finanzierung der Aufwendungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende zwischen Bund und Kommunen. Die in § 5 Abs. 2 der Verwaltungsvereinbarung getroffene Regelung, dass Überzahlungen vom Kläger zu erstatten sind, wenn eine Prüfung ergibt, "dass Aufwendungen nicht vom Bund gemäß § 6 b Abs. 2 Satz 1 SGB II zu tragen sind", setzt voraus, dass sich die Verpflichtung, bestimmte Aufwendungen zu tragen oder nicht zu tragen, aus dem materiellen Recht ergibt. Die Verwaltungsvereinbarung will ersichtlich keine Ansprüche begründen und auch keine materiell-rechtlichen Regelungen treffen.
II. Als Rechtsgrundlage kommt daher nur der allgemeine öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch in Betracht.
1. Bei diesem Rechtsinstitut handelt es sich um einen aus allgemeinen Grundsätzen des Verwaltungsrechts, insbesondere der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, abgeleiteten Anspruch, der gegeben ist, wenn die Gerechtigkeit einen Ausgleich der mit der Rechtslage nicht mehr übereinstimmenden Vermögenslage erfordert (BVerwG, Urteil vom 9.6.1975 – VI C 163.73 –, BVerwGE 48, 279, 286 m.z.N. aus Rechtsprechung und Schrifttum).
Danach gilt im öffentlichen Recht – mithin auch im Sozialrecht – auch ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung allgemein der Grundsatz, dass Leistungen, die eines rechtlichen Grundes entbehren, zu erstatten sind. Das gilt auch, wenn etwa eine Behörde einem Leistungsträger ohne Rechtsgrund eine Leistung erbracht hat (vgl. BSG, Urteil vom 11.10.1994 – 1 RK 34/93 –, Rdnr. 12; ferner etwa BSG, Urteil vom 16.7.1974 – 1 RA 183/73 –, NJW 1975, 359; BSG, Urteil vom 28.9.2006 – B 3 KR 20/05 R –, BSGE 97, 125, jeweils m.w.N.).
In der vorliegenden Fallkonstellation nicht einschlägig ist hingegen der Erstattungsanspruch in Form eines Ausgleichsanspruchs zwischen zwei alternativ zuständigen Leistungsträgern i.S.d. §§ 102 ff. SGG (vgl. auch allgemein BVerwG, Urteil vom 27.9.2007 – 2 C 14.06 –). Denn als Leistungsträger zur Leistung verpflichtet war gemäß § 6 b Abs. 1 SGB II nur der Kläger.
2. Auf ein Verschulden bzw. Vertretenmüssen kommt es im Rahmen des allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs nicht an (vgl. BSG, Urteil vom 16.7.1974 – 1 RA 183/73 –, NJW 1975, 359).
3. Die Voraussetzungen für einen allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch sind damit gegeben, wenn zulasten des Klägers und zugunsten der Beklagten eine unmittelbare Vermögensverschiebung stattgefunden hat, für die ein Rechtsgrund fehlt oder später weggefallen ist; maßgebend ist die materiell-rechtliche Rechtslage (vgl. zusammenfassend etwa Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 17. Auflage 2009, § 29 Rdnr. 23, 24).
III. Diese Voraussetzungen liegen vor.
1. Die Vermögensverschiebung liegt darin, dass der Kläger im streitbefangenen Zeitraum von der Beklagten insgesamt 1.265.186,86 EUR an Aufwendungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende im Sinne des § 6 b Abs. 2 SGB II erhalten hat, die auf der Anwendung der "vertikalen" anstelle der "horizontalen" Einkommensanrechnung beruhen.
2. Für diese Vermögensverschiebung gab es keinen Rechtsgrund.
a. Nach mittlerweile ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ergibt sich die horizontale Berechnungsmethode aus dem Wortlaut des § 9 Abs. 2 Satz 3 SGG (grundlegend BSG, Urteil vom 7.11.2006 – B 7b AS 8/06 R –, Rdnr. 15; ferner BSG, Urteil vom 15.4.2008 – B 14/7b AS 58/06 R –, Rdnr. 38, 47; BSG, Urteil vom 18.6.2008 – B 14 AS 55/07 R –, Rdnr. 20, 22, 23). Danach gilt jede Person der Bedarfsgemeinschaft im Verhältnis des eigenen Bedarfs zum Gesamtbedarf als hilfebedürftig, wenn in einer Bedarfsgemeinschaft nicht der gesamte Bedarf aus eigenen Kräften und Mitteln gedeckt ist. Dies entspreche dem Willen des Gesetzgeber, der nicht einfach übergangen werden könne (BSG, Urteil vom 7.11.2006, a.a.O., Rdnr. 13). Es handele sich um eine Berechnungsvorschrift, die für den Regelfall eine vereinfachte Zuordnung des nicht durch Einkommen und Vermögen gedeckten Bedarfs zu den einzelnen Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft ermögliche (BSG, Urteil vom 15.4.2008, a.a.O., Rdnr. 48). Dem Einwand, § 9 Abs. 2 Satz 3 SGB II sei verfassungswidrig, weil durch diese Vorschrift nichtbedürftige Personen zu Bedürftigen würden, hat das Bundessozialgericht entgegengehalten, dass dem individuell
Nichtbedürftigen sogar noch ein Leistungsanspruch nach dem SGB II zugestanden werde (Urteil vom 7.11.2006, a.a.O., Rdnr. 15). Das verfassungsrechtliche Problem liege allenfalls in der Kürzung der Leistungsansprüche der übrigen bedürftigen Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft. Diese Rechtsfolge sei jedoch solange hinzunehmen, als es sich um eine "funktionierende" Bedarfsgemeinschaft handele, in der die bewilligten Leistungen tatsächlich auch den bedürftigen Personen im Einzelfall zufließen.
Die obergerichtliche Rechtsprechung ist dem Ansatz des Bundessozialgerichts überwiegend gefolgt (vgl. z.B. LSG NRW, Beschluss von 13.6.2007 – L 20 B 6/07 AS ER –; in LSG, Beschluss vom 29.4.2008 – L 7 B 295/07 AS NZB – wird die Rechtsfrage, ob die horizontale oder die vertikale Berechnungsmethode anzuwenden sei, ausdrücklich als höchstrichterlich geklärt bezeichnet). Gleiches gilt für die Mehrheit des Schrifttums (vgl. etwa Eicher/Spellbrink, SGB II, Kommentar, 2. Auflage 2008, § 9 Rdnr. 30, 30 a; Hohm (Hrsg.), Gemeinschaftskommentar zum SGB II, Stand: Oktober 2007, § 9 Rdnr. 33, 35).
b. Demgegenüber hatte das Bundesverwaltungsgericht zur früheren Rechtslage nach dem Bundessozialhilfegesetz ausgeführt, eine – von ihm nicht ausdrücklich so bezeichnete – horizontale Verteilung von Einkommen auf andere Familienmitglieder "verstieße gegen das Grundrecht auf Achtung und Schutz der Menschenwürde (Artikel 1 Abs. 1 GG), weil sie denjenigen, der sich selbst helfen kann (§ 2 Abs. 1 BSHG), verpflichtet, seine Mittel für andere einzusetzen, mit der Folge, dass er dadurch selbst mittellos wird und auf staatliche Hilfe angewiesen ist ..." (BVerwG, Urteil vom 26.11.1998 – 5 C 37.97 –, BVerwGE, 108, 36, 38). Hierbei ist allerdings zu berücksichtigen, dass das Bundessozialhilfegesetz anders als das SGB II die Konstruktion der Bedarfsgemeinschaft nicht kannte und insbesondere keine dem § 9 Abs. 2 Satz 3 SGB II entsprechende oder ähnliche Vorschrift enthielt, sondern jeder Angehöriger einer Bedarfsgemeinschaft einzeln leistungsberechtigt war.
Die Rechtsprechung hat auch nach Ergehen der oben zitierten Entscheidungen des Bundessozialgerichts vereinzelt die Auffassung vertreten, § 9 Abs. 2 Satz 3 SGB II sei verfassungsrechtlich zweifelhaft bzw. verfassungskonform auszulegen, was zur Anwendung der vertikalen Berechnungsmethode führe (vgl. VG Bremen, Beschluss vom 17.12.2007 – S 3 V 3461/07 – unter Bezugnahme auf einen Beschluss des OVG Bremen vom 24.4.2007; SG Schleswig, Urteil vom 25.1.2008 – S 7 AS 287/07 –, Rdnr. 29 bis 37). Auch im Schrifttum wird § 9 Abs. 2 Satz 3 SGB II – nach wie vor – in erster Linie wegen Verstoßes gegen Artikel 1 Abs. 1 GG und/oder Artikel 20 Abs. 1 GG für verfassungswidrig gehalten (vgl. aus neuerer Zeit etwa Rosenow, SGb 2008, 282 bis 290; Labrenz, ZfF 2008, 217 bis 224).
c. Im Ergebnis teilt die Kammer die gegen § 9 Abs. 2 Satz 3 SGB II erhobenen verfassungsrechtlichen Bedenken nicht. Sie möchte allerdings nicht soweit gehen, die Bedenken als "akademisch" zu werten (so LSG NRW, Beschluss vom 13.6.2007 – L 20 B 6/07 AS ER –). Immerhin wird die vom Gesetzgeber im SGB II gewählte Konstruktion der Bedarfsgemeinschaft und die Regelung in § 9 Abs. 2 Satz 3 SGB auch vom Bundessozialgericht als "wenig sinnvoll" bezeichnet (Urteil vom 7.11.2006, a.a.O., Rdnr. 13); dies begründet aber nicht ihre Verfassungswidrigkeit. Der im Kern erhobene Einwand, ein an sich nicht Hilfebedürftiger im Sinne des § 9 Abs. 1 SGB II werde durch die Verteilung seines Einkommens auf die übrigen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft hilfebedürftig, während diesen Mitgliedern durch fiktive Anrechnung von Einkommen Ansprüche nach dem SGB II teilweise entzogen würden, ist zu sehr von der früher geltenden Regelung im Bundessozialhilfegesetz geprägt und berücksichtigt die engen wechselseitigen Beziehungen in einer Bedarfsgemeinschaft nach dem SGB II nicht ausreichend. Für die Annahme einer Bedarfsgemeinschaft setzen § 7 Abs. 3 und 3 a SGB II entweder eine besonders enge Verwandtschaft oder einen wechselseitigen Willen, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, voraus. Dementsprechend kann typisierend vom Wirtschaften "aus einem Topf" ausgegangen werden (vgl. LSG NRW, Beschluss vom 13.6.2007 – L 20 B 6/07 AS ER –). Daher erscheint § 9 Abs. 2 Satz 3 SGB II in der Tat – wie vom Bundessozialgericht angenommen – als Berechnungsvorschrift. Die Gesamtsumme der einer Bedarfsgemeinschaft bewilligten Leistungen bleibt gleich. Die Anwendung der horizontalen oder vertikalen Einkommensanrechnung betrifft nur die Leistungshöhe für die einzelnen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft. Die durch § 19 Satz 3 SGB II bedingten Unterschiede hinsichtlich der Finanzierung der Leistungen durch den Bund oder die Kommunen berühren die Ansprüche der Bedarfsgemeinschaft insgesamt im Ergebnis nicht.
In diesem Zusammenhang hält es die ausschließlich für Streitigkeiten der Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständige Kammer für bezeichnend, dass ihr noch nicht ein einziger Fall unterbreitet wurde, in dem ein Hilfebedürftiger die horizontale Verteilung von Einkommen mit der Begründung angefochten hat, sie verletze ihn in Grundrechten bzw. sei menschenunwürdig.
3. Auf ein Verschulden des Klägers kommt es nicht an. Die Kammer weist aber darauf hin, dass dem Kläger nicht der Vorwurf gemacht werden kann, vorsätzlich oder fahrlässig geltendes Recht verletzt zu haben. Die Frage, ob die "vertikale" oder die "horizontale" Einkommensanrechnung der Rechtslage entspricht, war und ist bis heute in Rechtsprechung und Schrifttum umstritten, auch wenn die Kammer sie in Übereinstimmung mit der Rechsprechung des Bundessozialgerichts beurteilt. Auf eine rechtliche "Vertretbarkeit" kann es jedoch nicht ankommen, da auf die materiell-rechtliche Rechtslage abzustellen ist, die nach Auffassung der Kammer die "horizontale" Einkommensanrechnung vorsieht.
IV. Ergänzend weist das Gericht darauf hin, dass dem Kläger durch die horizontale Berechnungsmethode kein Vermögensschaden entsteht. Allerdings wäre eine vertikale Einkommensanrechung für den Kläger günstiger, weil sie eine erweiterte Anwendung der Anrechnungsvorschrift in § 19 Satz 3 SGB II zugunsten des Klägers als kommunalem Träger bedeuten würde. Die in § 46 SGB II getroffene Regelung über die Aufteilung der Finanzierung der Leistungen nach dem SGB II auf den Bund und die Kommunen legt allerdings "die Rechtsauffassung zugrunde, dass entsprechend § 9 SGB II eine horizontale Einkommensanrechung der Bedarfsanteilsmethode bei Bedarfsgemeinschaften, die Leistungen nach diesem Buch beziehen, erfolgt." (BT-Drs. 16/3572 vom 27.11.2006). Es widerspräche dieser sehr kompliziert und differenziert (vgl. nur § 46 Abs. 7 SGB II) geregelten Lastenverteilung zwischen Bund und Kommunen, wenn zugunsten der Kommunen die wegen der Anrechungsvorschrift in § 19 Satz 3 SGB II für sie günstigere vertikale Einkommensrechnung praktiziert würde. Der Kläger wird daher durch die horizontale Einkommensanrechnung hinsichtlich der Finanzierung der Lasten nach dem SGB II so behandelt wie § 46 SGB II das vorsieht.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197 a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Revision wird gemäß § 161 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat.
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