L 9 U 1415/08

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 1 U 812/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 U 1415/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 20. Februar 2008 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat auch die außergerichtlichen Kosten des Klägers im Berufungsverfahren zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist zwischen den Beteiligten noch, ob beim Kläger eine Berufskrankheit (BK) der Nr. 1301 - Schleimhautveränderungen, Krebs oder andere Neubildungen der Harnwege durch aromatische Amine - der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) vorliegt.

Der 1942 geborene Kläger war nach einer Lehre zum Maschinenbauer von 1956 bis 1959 und nach einer Ausbildung zum Meister von 1975 bis 1976 seit 1976 in den Albtal-Gummiwerken Hartig in Marxzell beschäftigt. Von 1976 bis 1986 war er in Marxzell und zu einem Drittel der Arbeitszeit in dem seit 1986 geschlossenen Betriebsteil in Busenbach als Instandhalter eingesetzt. Von 1986 an war er Betriebsleiter und Sicherheitsfachkraft. Seit dem 1. August 2006 bezieht der Kläger von der Deutschen Rentenversicherung Bund eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen.

Am 22. Oktober 2005 zeigte der Arzt für Arbeitmedizin Dr. Z. in seiner Eigenschaft als Betriebsarzt der Albtal-Gummiwerke bei der Beklagten den Verdacht auf eine BK an. Im Jahr 1992 sei beim Kläger ein bilokuläres Urothelkarzinom der Harnblase diagnostiziert worden. Seither sei es zu zahlreichen Rückfällen mit erneuten Operationen gekommen. Der Kläger sei bei den Albtal-Gummiwerken seit 1976 gegenüber Tri, Toluol, diversen Gummichemikalien inklusive Beschleunigern, Alterungsschutzmitteln und Weichmachern exponiert gewesen. Zwar sei es trotz intensiver Durchsicht der Betriebsunterlagen nicht möglich gewesen, die Bezeichnungen der Gummichemikalien in den Jahren vor 1985 zu rekonstruieren, es sei aber zu unterstellen, dass zumindest in der Anfangszeit die eingesetzten Beschleuniger und Alterungsschutzmittel Spuren von aromatischen Aminen als Verunreinigung aufwiesen. Der Anzeige angeschlossen waren die Berichte der Urologischen Klinik des Klinikums Karlsruhe vom 20. Mai 1992 nach stationärer Behandlung vom 22. bis 30. April 1992 und vom 25. August 2005 nach stationärer Behandlung vom 19. bis 24. Juli 2005 sowie eine Auflistung der Arztberichte von Mai 1992 bis August 2005.

In einem Gespräch mit dem BK-Sonderbeauftragten der Beklagten J. am 16. November 2005 gab der Kläger unter Übergabe einer Liste von etwa seit 1985 verwendeten Stoffen an, im Betriebsteil Busenbach seien die Einsatzstoffe mit Schippen aus Säcken offen abgewogen und eingefüllt worden. Die Weichmacher seien aus 200-Liter-Fässern in Gefäße abgefüllt und umgeschüttet worden. Ein Kontakt mit den Händen habe nicht immer vermieden werden können. Als Instandhalter habe er "immer an vorderster Front" an allen Anlageteilen zu tun gehabt und auch bei der Produktion mitgewirkt. Als Betriebsleiter und Sicherheitsfachkraft habe er seit 1986 bis ca. 1996 je zur Hälfte im Büro und im Betrieb gearbeitet. Seit 1996 habe er zwar überwiegend im Büro gearbeitet, sei aber oft genug im Betrieb an verschiedenen Arbeitsplätzen gewesen und sei dort gegenüber den umherfliegenden Stäuben und austretenden Dämpfen exponiert gewesen. Der Kläger legte eine Aktennotiz vom 15. April 1988, ein Schreiben des Staatlichen Gewerbeaufsichtsamt Karlsruhe vom 19. September 1994 und eine Gefahrstoffliste der im Jahr 1999 verwendeten Komponenten vor.

Des weiteren zog die Beklagte die Berichte der Urologischen Klinik des Städtischen Klinikums Karlsruhe vom 20. Mai 1992 nach stationärer Behandlung vom 22. bis 30. April 1992, vom 10. Juli 1992 nach stationärer Behandlung vom 25. Juni bis 3. Juli 1992, vom 27. Januar 1993 nach stationärer Behandlung vom 17. bis 24. November 1992, vom 7. September 1999 nach stationärer Behandlung vom 10. bis 16. August 1999, vom 18. Februar 2000 nach stationärer Behandlung vom 3. bis 8. Februar 2000, vom 4. Mai 2000 nach stationärer Behandlung vom 11. bis 14. April 2000, vom 30. April 2003 über ambulante Vorstellungen am 3. und 15. April 2003, vom 3. Januar 2005 (richtig 2006) über ambulante Vorstellungen am 8. und 23. November 2005 und vom 5. Mai 2006 nach stationärer Behandlung vom 19. bis 25. April 2006 bei, aus denen zu entnehmen ist, dass nach der Erstdiagnose im April 1992 im August 1999, Februar 2000 und April 2005 jeweils ein Tumorrezidiv behandelt werden musste.

Am 17. Januar 2006 suchte Dr. St. vom Technischen Aufsichtsdienst (TAD) der Beklagten den Betrieb des Klägers auf. Im Bericht vom 20. Januar 2006 führte er aus, aus den vom Kläger vorgelegten Gefahrstofflisten der Jahre 1999 ergäben sich keine Hinweise auf Verwendung von Stoffen, die als Auslöser für die BK 1301 gelten könnten. Allerdings befinde sich in der Betriebsakte der Albtal-Gummiwerke eine Aktennotiz aus dem Jahr 1978, wonach der Betrieb in Marxzell im Jahr 1978 Phenyl-beta-naphthylamin von der Fa. R.-Ch. in Mannheim verarbeitet habe. Phenyl-beta-naphtylamin sei seinerzeit regelmäßig mit Beta-naphthylamin verunreinigt gewesen, welches seinerseits geeignet sei, eine BK Nr. 1301 hervorzurufen. Weitere Hinweise auf den Umgang mit solchen Stoffen fänden sich in der Betriebsakte nicht. Bei einschlägigen Erfassungsaktionen habe der Betrieb den Umgang mit solchen Stoffen nicht gemeldet. Allerdings dürfte es in dem Betrieb auch niemanden gegeben haben, der in der Lage gewesen wäre zu beurteilen, ob aromatische Amine im Betrieb vorgekommen seien oder nicht. Auf Grund der Aktennotiz gehe er davon aus, dass bei den Albtal-Gummiwerken in der für Gummibetriebe üblichen Weise mit den für diese Betriebe üblichen Rohstoffen umgegangen worden sei. Daher sei für den Zeitraum von 1976 (Eintritt des Klägers in den Betrieb) bis 1993 (Einstellung der Produktion von Phenyl-beta-naphthylamin) von einer Verwendung von Stoffen, die Beta-naphthylamin enthielten, auszugehen.

Nach den für den TAD nach dem Rundschreiben der Beklagten T-02/2001 anzuwendenden Vorgaben zur Ermittlung der Exposition errechne sich für den Kläger eine Gesamtdosis in 17 Jahren von 0,250 mg.

In der arbeitsmedizinischen Stellungnahme nach Aktenlage vom 19. Juni 2006 führte Prof. Dr. B. unter Mitarbeit von Diplom-Chemiker Dr. W. und unter Vorlage des von ihm und PD Dr. K. verfassten Exemplarischen Sachverständigengutachtens "Blasenkrebs durch aromatische Amine bei Beschäftigten in der Gummiindustrie" aus, beim Kläger lägen die arbeitmedizinischen Voraussetzungen für eine BK Nr. 1301 (Urothelkarzinom der Harnblase) ebenso vor wie formal die arbeitstechnischen Voraussetzungen, nämlich die Exposition zu aromatischen Aminen, insbesondere zu Phenyl-beta-Naphthylamin, das das Humankanzerogen Beta-Naphthylamin freisetzen könne. Aus dem von der Beklagten initiierten Exemplarischen Sachverständigengutachten (BGFA 2004) sei abgeleitet worden, dass die Anerkennung einer BK Nr. 1301 grundsätzlich dann in Betracht kommen könne, wenn die arbeitsbedingte Einwirkung krebserzeugender aromatischer Amine näherungsweise in dem Umfang erfolgt sei, die bei einem Raucher zu einer Verdoppelung des Blasenkrebsrisikos führe. Diese kumulative Gesamtdosis der einwirkenden aromatischen Amine im Haupt- und Nebenstromrauch liege bei ca. 6 mg. Die beim Kläger vom TAD ermittelte kumulative Dosis liege mit 0,25 mg deutlich unterhalb der im exemplarischen Gutachten abgeleiteten Verdoppelungsdosis in Höhe von 6 mg (Faktor 1/24). Daher könne wegen nicht ausreichender Quantität der Einwirkungen eine BK Nr. 1301 nicht zur Anerkennung vorgeschlagen werden.

Dem schloss sich die Gewerbeärztin Dr. E. in der Stellungnahme vom 20. Juli 2006 an.

Mit Bescheid vom 11. August 2006 lehnte die Beklagte die Anerkennung der beim Kläger vorliegenden Harnblasenerkrankung als BK nach Nr. 1301 ab. Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung seien nicht zu erbringen.

Hiergegen erhob der Kläger am 30. August 2006 Widerspruch unter Vorlage einer arbeitsmedizinisch-wissenschaftlichen Stellungnahme von Dr. S ... Dieser verwies auf den Fall eines anderen Versicherten, der unter vergleichbaren Bedingungen wie der Kläger in der Gummiindustrie gearbeitet habe und bei dem eine BK Nr. 1301 anerkannt worden sei. Bei diesem habe der TAD eine Gesamtlebensdosis von 0,5 mg Beta-naphthylamin ermittelt. Beim Kläger sei wegen der in seinem Betrieb vorhandenen schlechten Arbeitsbedingungen und dem ubiquitären Einsatz der Klägers damit zu rechnen, dass die Dosis höher sei als von Dr. St. abgeschätzt. Die Dosisdiskussion sei im Fluss und die Grenzdosis unter arbeitsmedizinischen Experten nicht unumstritten. Auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der Kläger nie geraucht habe, sei die Ablehnung nicht zu rechtfertigen.

Mit Widerspruchbescheid vom 17. Januar 2007 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

Hiergegen erhob der Kläger am 15. Februar 2007 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG), mit der er die Feststellung seiner Erkrankung als BK und die Gewährung von Entschädigungsleistungen, insbesondere Verletztenrente, begehrte. Er führte unter Hinweis auf das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 3. November 2004 - L 3 U 1613/97 - (in Juris) aus, auf die Frage einer Gesamtdosis könne es nicht entscheidungserheblich ankommen. Arbeitsmedizinische Untersuchungen erachteten die Festlegung eines Grenzwerts nicht für geboten. Auch bestreite er, dass er lediglich eine Gesamtdosis von 0,25 mg erreicht habe. Er habe während des im Ausgangsbescheid nicht berücksichtigten Zeitraums von 1977 bis 1986 die in Bezug auf seine Krankheit gefährlichsten Arbeiten verrichtet. Im Jahr 1979 habe die Beklagte mit dem Kläger eine Begehung der Betriebsstätte durchgeführt und die Anweisung erteilt, größere technische Sicherheitsmaßnahmen in die Wege zu leiten, anderenfalls die Stilllegung der Mischerei drohe. Dies sei damals mit einer weiten Überschreitung der zulässigen Staubkonzentration pro Kubikmeter Luft begründet worden, vom Vorhandensein von aromatischen Aminen oder K1-Stoffen sei damals, vermutlich in Unkenntnis der Gefährdung, nicht gesprochen worden. Er sei als Sicherheitsfachkraft von der Beklagten aufgefordert worden, eine neue Mischerei zu bauen, wodurch die Demontage und Entsorgung der alten Mischerei erforderlich geworden sei. Erst im Anschluss an diese - zusätzlich - gesundheitsgefährdenden Tätigkeiten sei er krank geworden.

Die Beklagte trat der Klage entgegen und führte aus, gerade bei offen formulierten BK-Tatbeständen wie bei der Nr. 1301 sei die Frage, ab welcher Expositionshöhe eine berufliche Verursachung zu bejahen sei, einer ständigen Fortentwicklung der medizinischen Wissenschaft unterworfen. Insoweit werde auf die aktuelle Rechtsprechung zur ebenfalls offenen BK Nr. 1303 (Erkrankungen durch Benzol und seine Homologe) hingewiesen. Hier seien nun eindeutig Dosiswerte für eine krebserzeugende Wirkung wissenschaftlich und in der Rechtsprechung anerkannt. Es stelle sich die Frage, weshalb für den K1-Stoff Benzol eine Dosis-Wirkung-Beziehung bestehe, jedoch für K1-Amine jedweder Umgang auch in noch so geringem Ausmaß für eine Krebserkrankung ausreichend sein solle.

Das SG holte das fachurologische Gutachten von Privatdozent (PD) Dr. L. vom 24. Oktober 2007 ein. Der Sachverständige führte aus, seit der Erstdiagnose eines bilokulären Urothelcarcinoms der Harnblase im April 1992 seien insgesamt 14 transurethrale Resektionen (TUR) der Harnblase durchgeführt worden. Zuletzt habe sich am 26. April 2005 ein Urothelcarcinom der Harnblase im Tumorstadium pTis, G3 sowie pT1, G3 gefunden. Bei der Nachresektion im Juli habe die histologische Untersuchung keinen Anhalt für Malignität erbracht. Zusätzlich zu den TUR seien Harnblaseninstillationen mit Mitomycin C sowie BCG bis 2001 und von Januar bis März 2006 erfolgt. Im weiteren Verlauf habe sich eine Stauungsniere links entwickelt, welche am 19. April 2006 mit einer percutanen Nephrostomieanlage therapiert worden sei. Die Untersuchungen am 19. Juli 2007 hätten keinen Hinweis auf ein Tumorrezidiv erbracht.

Der Kläger habe in der Zeit seit 1976 durch seine Tätigkeit als Instandhalter, Betriebsleiter und Sicherheitsfachkraft der Albtal-Gummiwerke in Marxzell regelmäßig Kontakt zu aromatischen Aminen gehabt. Aufgrund der Zeitspanne zwischen der Aufnahme der beruflichen Tätigkeit 1976 und dem erstmaligen Auftreten des Urothelcarcinoms im Jahr 1992 werde festgestellt, dass ein für die Entwicklung eines Urothelcarcinoms ausreichender Expositionzeitraum vorliege. Die Unterlagen belegten eine kontinuierliche Exposition des Klägers mit aromatischen Aminen, wenngleich die Abschätzung der Expositionskonzentration keine ausgeprägte Belastung mit aromatischen Aminen nachweise. Es bleibe jedoch festzuhalten, dass bislang keine gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse über eine Dosiswirkungsbeziehung bei der Exposition von aromatischen Aminen gegenüber der Entstehung von Urothelcarcinomen bekannt seien. Beim Kläger könnten andere kanzerogene Risiken wie beispielweise der regelmäßige Zigarettenkonsum ausgeschlossen werden. Angesichts der Angaben des Klägers müsse die rechnerisch ermittelte Expositionzeit auch als Mindestkonzentration und weniger als tatsächliche Konzentration interpretiert werden.

Der Zustand nach dem im April 2005 histologisch nachgewiesenen Urothelcarcinom werde nach nun abgelaufener 2-jähriger Heilungsbewährung und für die weitere 3-jährige Heilungsbewährung mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 50 vH eingeschätzt. Die im April 2006 als Operationsfolge aufgetretene Nierenfunktionseinschränkung werden mit 25 vH eingeschätzt, sodass die MdE des Klägers gegenwärtig auf 75 vH angesetzt werde.

Mit Urteil vom 20. Februar 2008 hob das SG den Bescheid vom 11. August 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Januar 2007 auf und verurteilte die Beklagte, dem Kläger unter Feststellung von "operiertes bilokuläres Urothelkarcinom der Harnblase und Funktionseinschränkung der linken Niere" als Folge einer BK nach der Nr. 1301 der Anlage zur BKV ab Oktober 2005 Verletztenrente nach einer MdE um 60 v.H. zu gewähren. Zur Begründung führte es aus, es stehe zur Überzeugung der Kammer fest, dass der Kläger während seiner versicherten Tätigkeit über eine Zeitspanne von etwa 17 Jahren Einwirkungen von Beta-Naphthylamin ausgesetzt gewesen sei. Dieser Stoff gehöre zu den krebsgefährdenden aromatischen Aminen und sei als sogenannter K 1-Stoff geeignet, eine BK nach Nr. 1301 zu verursachen. Ebenso stehe fest, dass der Kläger seit April 1992 an einem bilokulären Urothelcarcinom der Harnblase leide und dass es als Folge der diversen Operationen zu einer Nierenfunktionsstörung links gekommen sei. Diese Gesundheitsstörungen seien auf die Einwirkungen aromatischer Amine zurückzuführen. Hierfür lägen nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens Indizien in ausreichender Zahl vor. Der Kläger sei von 1976 bis 1993, mithin rund 17 Jahre berufsbedingten Einwirkungen des kanzerogenen Gefahrstoffes Beta-Naphthylamin ausgesetzt gewesen, wenn auch nach den Berechnungen des TAD der Beklagten lediglich mit einer Gesamtbelastungsdosis von 0,25 mg. Im Zeitpunkt der Erstdiagnose sei der Kläger 50 Jahre alt gewesen, während bei der unbelasteten Bevölkerung der Erstmanifestationszeitpunkt einer Blasenkrebserkrankung bei 69 Jahren liege. Die Organlokalisation der Erkrankung stimme mit arbeitsmedizinischen Erfahrungen in Zusammenhang mit Expositionen gegen bestimmte Gefahrstoffe überein. Wesentliche außerberufliche Ko-Faktoren als Ursache oder überragende Mitursache der Blasenkrebserkrankung, wie Nikotinkonsum oder Alkoholgenuss, lägen beim Kläger nicht vor.

Entgegen der Auffassung der Beklagten könne auch keine Rede davon sein, dass mit einem Dosiswert von 6 mg die arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK Nr. 1301 in Bezug auf Krebserkrankungen der Harnwege konkretisiert worden seien. Bislang gebe es nach den Ausführungen von PD Dr. L. keine gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse über eine Dosis-Wirkungs-Beziehung bei der Exposition aromatischer Amine gegenüber der Entstehung von Urothelcarcinomen. Auch Prof. Dr. B. führe in seinem Exemplarischen Gutachten im Erfahrungssatz 5 ausdrücklich aus, dass wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse über die Frage und den Umfang eines erhöhten Blasenkrebsrisikos durch berufliche Einwirkung aromatischer Amine im Niedrig-Dosis-Bereich nicht bestünden. Diese Datenlage erlaube deshalb weder die Angabe einer "sicheren Dosis" noch die Ermittlung einer Dosis, bei der sich das Normalrisiko verdoppele. Eine Verdoppelung des Erkrankungsrisikos werde auch vom Gesetz in § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII nicht verlangt, sondern lediglich eine Gefährdung "in erheblich höherem Grade" als die übrige Bevölkerung.

Der Kläger habe ab 1. Oktober 2005 wegen der Folgen der BK Anspruch auf Verletztenrente. Bezüglich des Urothelcarcinoms sei mit Blick auf die seit April abgelaufene (richtig: laufende) Heilungsbewährung eine MdE von 50 zutreffend. Die Nierenfunktionsstörung bedinge eine Teil-MdE von 25 vH. Die Gesamt-MdE werde im Sinne einer integrierenden Gesamtschau und -wertung auf 60 vH eingeschätzt.

Gegen das am 29. Februar 2008 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten, die am 20. März 2008 beim Landessozialgericht Baden-Württemberg eingegangen ist. Entgegen der vom SG vertretenen Auffassung halte sie die stattgehabte Exposition gegenüber Beta-Naphthylamin nicht für geeignet, eine BK nach Nr. 1301 der Anlage zur BKV zu verursachen. Aus den Erkenntnissen, die man im Zusammenhang mit dem Zigarettenrauchen gewonnen habe, habe Prof. Dr. B. abgeleitet, dass sich bei einer Exposition gegenüber Beta-Naphthylamin in Höhe von 6 mg das Risiko, an Harnblasenkrebs zu erkranken, annähernd verdoppele. Zwar sehe die Beklagte den Dosiswert von 6 mg nicht als starren Grenzwert an, den es zu erreichen gelte, um überhaupt eine BK nach Nr. 1301 anerkennen zu können. Er liefere aber aussagekräftige Anhaltspunkte dafür, ob überhaupt eine Exposition gegenüber Beta-Naphthylamin in dem Umfang vorgelegen habe, der geeignet gewesen wäre, eine Harnblasenkrebserkrankung zu verursachen. Dies sei bei einer Dosis von 0,25 mg, 1/24 des als Verdoppelungsdosis bezeichneten Wertes, nicht der Fall, wobei es sich bei dieser Dosis um eine worst-case Betrachtung handele, bei der alle Fakten zugunsten des Klägers berücksichtigt worden seien.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 12. Mai 2009 hat der Kläger die Leistungsklage zurückgenommen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 20. Februar 2008 aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise ein weiteres Gutachten bei Prof. Dr. B. zur Frage der Geeignetheit einer Exposition und insbesondere des erforderlichen Ausmaßes für die Entstehung einer BK 1301 einzuholen und äußerst hilfsweise die Revision zuzulassen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil hinsichtlich seines Anfechtungs- und Feststellungsbegehrens für zutreffend. Es könne mangels ausreichender wissenschaftlicher Erkenntnis auf die Frage, welcher Dosis der Kläger ausgesetzt gewesen sei, nicht ankommen.

Die Beklagte hat auf Anfrage des Senats mitgeteilt, dass unter Berücksichtigung des Technischen Reports "Aromatische Amine", Eine Arbeitshilfe in Berufskrankheiten-Ermittlungsverfahren, 1. Auflage, Stand Mai 2008 (vgl. Lichtenstein, Hilfestellung in Ermittlungsverfahren zur BK 1301 "Aromatische Amine" in die BG, 2008, 278) die Gesamtdosis von ca. 0,250 mg, die im Bericht des TAD vom 20. Januar 2006 genannt worden sei, in der Größenordnung aus heutiger Sicht bestätigt werden könne.

Die Beteiligten wurden darauf hingewiesen, dass Gegenstand der mündlichen Verhandlung am 12. Mai 2009 auch die im Internet zugängliche Dokumentation über das Symposium Aromatische Amine vom 27. Februar 2007 www.dguv.de/bgia/de/vera/2007/aromatische amine/index.jsp mit der zusammenfassenden Darstellung (Stand der Erkenntnisse und Vorschlag für die Praxis-12 Folien) sein wird.

Zu weiteren Darstellung des Sachverhalts wird Bezug genommen auf die Verwaltungsakten der Beklagten, die Akte des SG und die Senatsakte.

Entscheidungsgründe:

Die form- fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig, aber nicht begründet. Das SG hat unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide zur Recht das operierte bilokuläre Urothelcarcinom der Harnblase und die Einschränkung der Nierenfunktion links als Folgen einer BK nach Nr. 1301 der Anlage 1 zur BKVO (der Anlage zur BKV) festgestellt.

Gegenstand der Berufungsverfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 11. August 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Januar 2007, mit dem die Beklagte im Verfügungssatz die Feststellung der beim Kläger vorliegenden Harnblasenerkrankung als BK nach Nr. 1301 und die Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung abgelehnt hat. Mit der Ablehnung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung hat die Beklagte aber nicht über eine konkrete Leistung - z. B. Verletztengeld oder Verletztenrente - entschieden. Bei sachgerechter Auslegung ist daher das Begehren des Klägers im Hinblick auf die im Ausgangsbescheid erfolgte Ablehnung einer BK als Anfechtungs- und Feststellungsklage zu sehen (BSG, Urt. vom 20.3.2007 - B 2 U 19/06 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 23; Urteil vom 15.2.2005 - B 2 U 1/04 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 12; LSG Baden-Württemberg, Urt. vom 29.9.2008 - L 1 U 2116/08 -). Dem hat der Kläger durch die Rücknahme der im erstinstanzlichen Verfahren noch verfolgten Leistungsklage im Termin zur mündlichen Verhandlung auch Rechnung getragen.

Das Feststellungsbegehren des Klägers ist angesichts des erstmals im April 1992 diagnostizierten Urothelcarcinoms noch nach dem Recht der Reichsversicherungsordnung (RVO) und nicht nach den Vorschriften des am 1. Januar 1997 in Kraft getretenen SGB VII zu beurteilen, denn gemäß § 212 SGB VII gelten die Vorschriften des Ersten bis Neunten Kapitels des SGB VII für Versicherungsfälle, die nach Inkrafttreten dieses Gesetzes eintreten, soweit in den folgenden Vorschriften nicht etwas anderes bestimmt ist. Die für den Anspruch des Klägers maßgeblichen Vorschriften des alten und des neuen Rechts stimmen im Übrigen in den streitigen Punkten inhaltlich völlig überein.

BKen sind nach § 551 Abs. 1 Satz 2 RVO (§ 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII ) Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als BKen bezeichnet und die Versicherte bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO (§§ 2, 3 und 6 SGB VII) genannten Tätigkeiten erleiden. Die Bundesregierung wurde ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als BKen zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind.

Die Voraussetzungen für die Anerkennung der umstrittenen BK ergeben sich aus § 551 Abs 1 Satz 2 RVO (§ 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII) iVm Nr. 1301 der Anlage 1 zur BKVO (der Anlage zur BKV). Danach muss der Versicherte bei seiner versicherten Tätigkeit besonderen Einwirkungen in Form von aromatischen Aminen ausgesetzt gewesen sei, welche Schleimhautveränderungen, Krebs oder andere Neubildungen der Harnwege hervorgerufen haben.

Nach ständiger Rechtsprechung müssen die anspruchsbegründenden Tatsachen, zu denen neben der versicherten Tätigkeit die Dauer und Intensität der schädigenden Einwirkungen sowie die in der BKV bezeichnete Krankheit gehören, nachgewiesen sein, d.h. bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens muss der volle Beweis für das Vorliegen der genannten Tatsachen als erbracht angesehen werden können. Hingegen genügt hinsichtlich des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der versicherten Tätigkeit und den schädigenden Einwirkungen (haftungsbegründende Kausalität) sowie der schädigenden Einwirkungen und der Erkrankung (haftungsausfüllende Kausalität) eine hinreichende Wahrscheinlichkeit (vgl. BSGE 19, 52; 32, 203, 207 bis 209; 45, 285, 287). Wahrscheinlich ist diejenige Möglichkeit, der nach sachgerechter Abwägung aller - wesentlichen - Umstände gegenüber jeder anderen Möglichkeit ein deutliches Übergewicht zukommt (vgl. BSGE 45, 286); eine Möglichkeit verdichtet sich dann zur Wahrscheinlichkeit, wenn nach der geltenden ärztlich-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen Zusammenhang spricht (vgl. Mehrtens/Brandenburg, Berufskrankheitenverordnung, Kommentar, Stand November 2006, E § 9 SGB VII Rdnr. 26). Kommen mehrere Ursachen in Betracht, so sind nur solche Ursachen als rechtserheblich anzusehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben (vgl. BSG SozR 2200 § 548 Nr. 91). Lässt sich eine Tatsache nicht nachweisen, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast (Feststellungslast) zu Lasten dessen, der einen Anspruch aus der nicht erwiesenen Tatsache für sich herleitet (BSGE 19, 52, 53; 30; 121, 123; 43, 110, 112). Das gleiche gilt, wenn der für die haftungsbegründende und haftungsausfüllende Kausalität erforderliche wahrscheinliche Zusammenhang nicht nachweisbar ist. Der Senat stellt zunächst auf der Grundlage der Angaben des Klägers und insbesondere der Mitteilung des TAD über den Eintrag in der Betriebsakte der Beklagten über den Einsatz von Phenyl-beta-naphthylamin im Betrieb des Arbeitgebers des Klägers fest, dass der Kläger während seiner versicherten Tätigkeit als Instandhalter und Sicherheitsfachkraft (von 1976 bis 1986) und als Betriebsleiter und Sicherheitsfachkraft (ab 1986 bis zur Einstellung der Produktion von Phenyl-beta-naphthylamin im Jahr 1993) an seinen wechselnden Arbeitsplätzen im Betrieb in Marxzell und in dem 1986 geschlossenen Zweigbetrieb in Busenbach dem aromatischen Amin Beta-Naphthylamin ausgesetzt war, mit dem das im Betrieb des Arbeitgebers eingesetzte Phenyl-beta-naphthylamin verunreinigt war. Dieser Stoff wird vorwiegend durch Hautresorption, aber auch in Dampf und Staub über die Atemwege aufgenommen. Den Senat überzeugt auch die Feststellung des TAD der Beklagten, dass trotz fehlender Meldung dieses Stoffes durch den Betrieb in den Albtal-Gummiwerken in der Zeit von 1976 bis 1993 in der für Gummibetriebe üblichen Weise mit den für diese Betriebe üblichen Rohstoffen umgegangen wurde.

Diese Exposition gegenüber Beta-Naphthylamin genügt auch dem Begriff der "besonderen Einwirkungen" im Sinne des § 551 Abs. 1 Satz 2 RVO (§ 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII), denen der Kläger durch seine versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Maß als die übrige Bevölkerung ausgesetzt war. Die "besonderen Einwirkungen" sind synonym mit dem Begriff der "arbeitstechnischen Voraussetzungen" einer BK (BSG, Urteil vom 27. Juni 2006 - B 2 U 20/04 R, Orientierungssatz in Juris). Das Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen hat die Beklagte unter Hinweis auf die von ihr errechnete Gesamtbelastungsdosis von 0,250 mg zu Unrecht verneint.

Bei der Formulierung des Tatbestandes der bereits durch die 3. BKVO vom 16. Dezember 1936 Nr. 14 eingeführten BK Nr. 1301 (vgl. Mehrtens/Brandenburger, Die Berufskrankheitenverordnung, M 1301 S. 3) hat der Verordnungsgeber auf die Angabe eines konkreten Belastungsgrenzwerts verzichtet. Der Verzicht auf die Angabe konkreter Belastungsarten und Belastungsgrenzwerte bei der Formulierung von BK-Tatbeständen geschah vielfach bewusst, um bei der späteren Rechtsanwendung Raum für die Berücksichtigung neuer, nach Erlass der Verordnung gewonnener oder bekannt gewordener Erkenntnisse zu lassen (BSG, Urteil vom 27. Juni 2006 - B 2 U 20/04 R -, in Juris Rdnrn. 18 ff mwN). Daher ist es notwendig, den Begriff der besonderen Einwirkung durch aromatische Amine auf der Grundlage des im Entscheidungszeitpunkt erreichten Forschungsstandes zu konkretisieren und festzustellen, wie danach die beruflichen Einwirkungen beschaffen sein müssen, um die in Nr. 1301 genannten Krankheiten (Schleimhautveränderungen, Krebs oder andere Neubildungen der Harnwege) hervorzurufen. Das Gericht, das die für die Anerkennung als BK erforderlichen Einwirkungen zu präzisieren hat, muss sich Klarheit darüber verschaffen, welches in der streitigen Frage der aktuelle Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis ist. Ausgehend von der Begründung des Verordnungsgebers zur Einführung der BK können dazu einschlägige Publikationen, beispielsweise die Merkblätter des zuständigen Bundesministeriums und die wissenschaftliche Begründung des ärztlichen Sachverständigenbeirats, Sektion Berufskrankheiten, zu der betreffenden BK oder Konsensusempfehlungen der mit der Fragestellung befassten Fachmediziner herangezogen werden, sofern sie zeitnah erstellt oder aktualisiert worden sind und sich auf dem neuesten Stand befinden. Da Gerichte regelmäßig nicht selbst über den notwendigen medizinischen und technischen Sachverstand verfügen, um den Stand der fachlichen Diskussion zuverlässig nachzeichnen und bewerten zu können, muss in solchen Fällen ein Sachverständiger gehört werden (BSG aaO).

Der vom SG herangezogene Sachverständige PD Dr. L. hat in Übereinstimmung mit dem Erfahrungssatz 5 des am 21. März 2003 in Heidelberg bei der Beklagten mit Fachleuten und Wissenschaftlern aus den Gebieten der Epidemiologie, Arbeitsmedizin, Toxikologie, der BG Ch. und der Industrie durchgeführten Konsensusgesprächs festgestellt, dass es wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse über die Frage und den Umfang eines erhöhten Blasenkrebsrisikos durch berufliche Einwirkung aromatischer Amine im Niedrig-Dosis-Bereich nicht gibt. Die Datenlage erlaubt weder die Angabe einer "sicheren Dosis" noch die Ermittlung einer Dosis, bei der sich das Normalrisiko verdoppelt. Der im Rahmen des Konsensusgesprächs "in Ermangelung besserer Vergleichmöglichkeiten" vorgeschlagene Vergleich mit Rauchern bei der quantitativen Einordnung der Aufnahme krebserzeugender aromatischer Amine (Erfahrungssatz 7) und der Vorschlag, die Anerkennung einer BK grundsätzlich in Betracht zu ziehen, wenn die berufsbedingte Einwirkung krebserzeugender aromatischer Amine in dem Umfang erfolgte, die bei einem Raucher zu einer Verdoppelung des Blasenkrebsrisikos führt (Erfahrungssatz 8), sind nach dem Ergebnis des Symposiums Aromatische Amine, das am 27. Februar 2007 in der Berufgenossenschaftlichen Akademie in Bad Hennef mit 180 Teilnehmern stattfand, in der aktuellen wissenschaftlichen Diskussion noch nicht Konsens. Vielmehr entnimmt der Senat dem Bericht über das Symposium, dass das Berufsgenossenschaftliche Forschungsinstitut für Arbeitmedizin (BGFA) ein im Vergleich mit seinem exemplarischen Sachverständigen-gutachten aus dem Jahr 2004 erweitertes Modell für ein Dosismaß als Hilfestellung zur gutachterlichen Beurteilung vorgestellt hat, welches während des Symposiums intensiv und zum Teil kontrovers diskutiert wurde. Eine vertiefte Diskussion unter Berücksichtigung aller Aspekte wird für erforderlich gehalten, um den Boden zu bereiten für eine Konvention, die ihrerseits als fachübergreifender Konsens als Grundlage für Verwaltungs- und sozialgerichtliche Entscheidungen dienen kann. In der Zusammenfassung des Symposiums (Folie 7) werden für die Erarbeitung einer Konvention eine belegbare Risikoerhöhung und weitere konkrete Kriterien für die Bejahung eines Kausalzusammenhangs für ausreichend erachtet und die Berücksichtigung der Mitursächlichkeit mehrerer Faktoren für eine Kausalitätsbeurteilung gefordert. Der im Konsensusgespräch am 21. März 2003 in Heidelberg im Erfahrungssatz 8 enthaltene Vorschlag, die Anerkennung einer BK grundsätzlich in Betracht zu ziehen, wenn die berufsbedingte Einwirkung krebserzeugender aromatischer Amine in dem Umfang erfolgte, die bei einem Raucher zu einer Verdoppelung des Blasenkrebsrisikos führt, wird in der Zusammenfassung nicht als zwingende Voraussetzung, aber als starkes Indiz für die Feststellung einer wahrscheinlichen Kausalität angesprochen, auch sei ein Dosis-Wirkungskonzept wünschenswert, aber nicht zwingend. Die Folie 8 enthält einen Vorschlag für eine Konvention, wonach bis zu einem - aus dem Vergleich mit Rauchern abgeleiteten - 1,5 fachen relativen Risiko eine Ablehnung, bei einem relativen Risiko zwischen 1,5 und 2 eine Einzelfallbegutachtung und ab einer Verdoppelung des Risikos eine Anerkennung der BK Nr. 1301 stattfinden soll. Eine Konvention im Sinne eines fachübergreifenden Konsenses steht daher noch aus.

Unter Zugrundelegung dieses wissenschaftlichen Kenntnisstandes sieht der Senat unter Berücksichtigung der Ausführungen des Sachverständigen PD Dr. L. und in Übereinstimmung mit den Ausführungen des Hessischen Landessozialgerichts vom 3. November 2004 - L 3 U 1613/97 (in Juris) und des SG die nachgewiesene Exposition des Klägers gegenüber Beta-naphthylamin, unbestritten einem der wirkungsstärksten K 1-Stoffe für Harnblasencarcinome, in Höhe einer Belastungsdosis von 0,250 mg als geeignet an, die beim Kläger vorliegende Krankheit zumindest wesentlich mitverursacht zu haben. Zu Recht hat das SG, hiervon ausgehend, eine weitere Indizienkette aufgebaut und dargelegt, dass neben einem ausreichenden Expositionszeitraum mit kontinuierlicher Belastung der Haut und der Atemwege der im Vergleich zur unbelasteten Bevölkerung vorzeitige Ausbruch der Krankheit im Alter von 50 Jahren und das Fehlen des wesentlichen außerberuflichen Risikofaktors, das Rauchen, für die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs sprechen. Insoweit verweist der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Ausführungen auf Seite 10 bis 12 des angefochtenen Urteils, die sich der Senat nach Überprüfung zu eigen macht.

Mithin hat das SG das operierte bilokuläre Urothelcarcinom der Harnblase und die als Folge der zahlreichen transurethralen Resektionen und Harnblaseninstillationen entstandene Funktionseinschränkung der linken Niere zu Recht als Folgen einer BK nach Nr. 1301 der Anlage 1 zur BKVO (Anlage zur BKV) festgestellt.

Angesichts des vom SG eingeholten Sachverständigengutachtens und des dargelegten wissenschaftlichen Kenntnisstandes, der auch Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, sah der Senat keine Veranlassung ein weiteres Gutachten, wie von der Beklagten beantragt, einzuholen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht gegeben.
Rechtskraft
Aus
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