L 10 R 2897/08

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 6 R 5091/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 R 2897/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 22.04.2008 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Kläger erstrebt die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung.

Der im Jahre 1965 geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger und lebt seit 1989 im Bundesgebiet. Zuletzt war er ab 1992 als Estrichleger beschäftigt. Seit dem Jahre 2004 ist er arbeitsunfähig bzw. arbeitslos. Er lebt mit seinen beiden Kindern und seiner früheren Ehefrau, die nach seinen Angaben Frührente wegen Rheuma und Depressionen bezieht, gemeinsam in einem Haushalt.

Der Kläger leidet im Wesentlichen an einer anhaltenden affektiven Störung depressiver Prägung im Sinne einer Dysthymie, einer Somatisierungsstörung, Adipositas, Lumbalgien ohne wesentliche Bewegungseinschränkungen und ohne radikuläre Symptomatik, einer Chondropathie des linken Kniegelenks, einem Zustand nach Beinvenenthrombose links sowie einem mit einer Schlafmaske behandelten Schlafapnoesyndrom.

Im März und April 2005 befand sich der Kläger zu einer dreiwöchigen stationären Rehabilitationsbehandlung in der H. Bad S ... Die Entlassung erfolgte unter der Annahme einer auszuschließenden koronaren Herzerkrankung als vollschichtig leistungsfähig für mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes zeitweise im Stehen, ständig im Gehen bzw. auch überwiegend im Sitzen.

Am 03.01.2006 beantragte der Kläger die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung. Die daraufhin von der Beklagten veranlasste Begutachtung durch den Internisten Dr. M. nebst Zusatzbegutachtung durch den Neurologen und Psychiater Dr. B. und den Orthopäden Dr. Sch. erbrachte die Einschätzung einer vollschichtigen Leistungsfähigkeit für leichte und mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes ohne Tätigkeiten zu unebener Erde, mit erheblichem Zeitdruck, ständiger nervöser Anspannung und ausgeprägten Stressfaktoren, überdurchschnittlich fordernden sozialen Interaktionen, überwiegenden und längeren Steh- und Gehbelastungen, längeren Zwangshaltungen des Rumpfes, häufigen und vollen Bückanforderungen, Heben und Tragen von Lasten über 15 kg sowie Steigen auf Gerüste und hohe Leitern.

Gestützt hierauf lehnte die Beklagte den Rentenantrag mit Bescheid vom 20.04.2006 und Widerspruchsbescheid vom 27.09.2006 ab.

Am 27.10.2006 hat der Kläger beim Sozialgericht Karlsruhe Klage erhoben. Das Sozialgericht hat schriftliche sachverständige Zeugenaussagen des Orthopäden Dr. A. (mindestens sechsstündiges Leistungsvermögen je Arbeitstag für körperlich leichte und nervlich wenig belastende Tätigkeiten bei Beachtung verschiedener qualitativer Einschränkungen), der Internistin Dr. Sch. (fünftägige Tätigkeit ca. sechs Stunden pro Tag nicht möglich) sowie des Neurologen und Psychiaters D. (zurzeit kein mindestens sechsstündiges Leistungsvermögen für körperlich leichte und nervlich wenig belastende Tätigkeiten im Rahmen einer Fünftagewoche) eingeholt. Darüber hinaus hat der Neurologe und Psychiater Dr. W. ein schriftliches Sachverständigengutachten erstattet. Darin ist ausgeführt, der Kläger sei in der Lage, leichte körperliche und geistig nicht anspruchsvolle Arbeiten im Rahmen einer Fünftagewoche arbeitstäglich sechs Stunden und mehr auszuüben. Nicht mehr zumutbar seien schwere und mittelschwere körperliche Arbeiten mit Heben und Tragen von Lasten über 15 kg und Arbeiten, die überwiegendes Stehen und Gehen, Wirbelsäulenzwangshaltungen, häufiges Treppensteigen sowie Tätigkeiten auf Leitern und Gerüsten erforderten. Ebenfalls nicht mehr zumutbar seien Arbeiten unter Akkord-, Fließband-, Schicht- und Nachtarbeitsbedingungen, Arbeiten mit überwiegendem Publikumsverkehr sowie Arbeiten mit besonderer sozialer Beanspruchung wie z.B. die Tätigkeit eines Pförtners. Zusätzliche betriebsunübliche Arbeitsbedingungen seien nicht erforderlich. Auch sei der Kläger in der Lage, täglich viermal einen Fußweg von 500 m in jeweils 15 bis 18 Minuten zurückzulegen und öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen.

Mit Urteil vom 22.04.2008 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger, der aufgrund seines geringen Alters keinen Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit habe, sei nicht voll oder teilweise erwerbsgemindert. Dies ergebe sich hinsichtlich der Gesundheitsstörungen auf orthopädischem Fachgebiet aus dem von der Beklagten eingeholten Gutachten und der Einschätzung des behandelnden Facharztes Dr. Adler. In neurologisch-psychiatrischer Hinsicht sei dem überzeugenden und durch das von der Beklagten eingeholte Gutachten gestützten Einschätzung des Sachverständigen Dr. W. zu folgen. Die abweichende Leistungseinschätzung der behandelnden Ärzte Dr. Sch. und D. überzeugten demgegenüber nicht. Diese Entscheidung ist dem Kläger am 21.05.2008 zugestellt worden.

Am 18.06.2008 hat der Kläger Berufung eingelegt. Er ist der Auffassung, er sei wegen seit langem bestehender schwerer Depressionen und einer Fixierung auf bei ihm bestehende Schmerzen erwerbsgemindert. Zur Begründung legt er Arztberichte der behandelnden Ärzte Dr. Sch. und D., jeweils mit der Einschätzung, der Kläger könne einer fünftägigen Tätigkeit nicht ca. drei Stunden pro Tag nachgehen, vor.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 22.04.2008 sowie den Bescheid der Beklagten vom 20.04.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.09.2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt sinngemäß,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten des Senats und des Sozialgerichts Karlsruhe sowie die beigezogenen Renten-, und Rehaakten der Beklagten verwiesen.

II.

Der Senat entscheidet ohne mündliche Verhandlung und ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter durch Beschluss, da er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält (§ 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Die Beteiligten sind hierzu gehört worden.

Die Berufung ist zulässig, jedoch nicht begründet. Denn der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung der von ihm im Berufungsverfahren allein noch begehrten Rente wegen voller Erwerbsminderung.

Rechtsgrundlage für die begehrte Rente wegen voller Erwerbsminderung ist § 43 Abs. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI). Danach haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie - unter anderem - voll erwerbsgemindert sind. Nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI sind voll erwerbsgemindert Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Volle Erwerbsminderung besteht über die Regelung des § 43 Abs. 2 SGB VI hinaus nach der Rechtsprechung des BSG (Großer Senat, Beschluss vom 10.12.1976, u.a. GS 2/75 in SozR 2200 § 1246 Nr. 13) bei regelmäßig bejahter Verschlossenheit des Arbeitsmarktes auch dann, wenn eine zeitliche Leistungseinschränkung von drei bis unter sechs Stunden vorliegt. Nach § 43 Abs. 3 SGB VI ist aber nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Hiervon besteht eine Ausnahme, wenn wegen einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung oder bei einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen und bei Vorliegen bestimmter, so genannter Katalogfälle die Benennung einer Verweisungstätigkeit nicht möglich ist. In diesen Fällen führen rein qualitative Einschränkungen selbst im Falle sechsstündigen Leistungsvermögens zur Annahme voller Erwerbsminderung (Großer Senat, Beschluss vom 19.12.1996, GS 2/95 in SozR 3-2600 § 44 Nr. 8).

Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.

So ist zunächst das zeitliche Leistungsvermögen des Klägers nicht auf unter sechs Stunden abgesunken. Dies hat das Sozialgericht mit Blick auf die Gesundheitsstörungen des Klägers auf orthopädischem Fachgebiet zutreffend dargelegt; hierauf wird verwiesen (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG).

Auch das Schlafapnoe-Syndrom des Klägers steht einem mindestens sechsstündigen Leistungsvermögen je Arbeitstag nicht entgegen. Denn dieses ist ausweislich der vom Kläger bereits erstinstanzlich vorgelegten Arztbriefe des Schlaflabors der Stadtklinik B. durch eine Schlafmaske ausreichend behandelt (vgl. hierzu das Gutachten von Dr. W.). Auch ergibt sich aus der vom Kläger berichteten Tagesmüdigkeit, die nach dem Gutachten von Dr. W. jedenfalls zum Teil mit einer "doch recht hohen Medikamentendosierung" erklärt wird, in Ermangelung von Anhaltspunkten für eine fehlende Durchhaltefähigkeit (vgl. auch hierzu das Gutachten von Dr. W.: Konzentration und Durchhaltevermögen im unteren Normalbereich) keine hier erhebliche Einschränkung des zeitlichen Leistungsvermögens.

Internistischerseits liegen quantitative Leistungseinschränkungen ebenfalls nicht vor. Insbesondere hat der Internist Dr. M. keinerlei Anzeichen für eine koronare Herzerkrankung gefunden; bei Röntgen, Echokardiographie und EKG erhob er keine Auffälligkeiten des Herzens und bei der Fahrradergometrie fand er den Kläger bis zwei Minuten 150 Watt belastbar, ohne dass Zeichen von Durchblutungsstörungen der Herzmuskulatur aufgetreten wären.

Gleiches gilt schließlich auch und insbesondere mit Blick auf die psychischen Gesundheitsstörungen des Klägers. Hierzu ist im von der Beklagten eingeholten neurologisch-psychiatrischen Zusatzgutachten von Dr. B. schlüssig dargelegt, dass orientiert an Antriebslage und durchaus erkennbarer Auslenkbarkeit des Klägers in Nebenthemen sowie unter Berücksichtigung des Umstandes, dass eine vorrangige ambulante Psychotherapie bislang nicht stattgefunden hat, eine überdauernd quantitative Leistungsminderung nicht zu begründen ist. Demgemäß gab der Kläger im Rahmen der Anamnese gegenüber dem genannten Zusatzgutachter selbst an, er würde sofort arbeiten, Hauptsache es sei nicht so schwer, er frage oft selbst auf seinen Spaziergängen z.B. in den verschiedenen Betrieben nach. Damit übereinstimmend hat auch Dr. W. unter Berücksichtigung der von ihm diagnostizierten anhaltenden affektiven Störung depressiver Prägung im Sinne einer Dysthymie nebst ausgeprägter Somatisierungsstörung die Leistungsfähigkeit des Klägers auf mindestens sechs Stunden am Tag eingeschätzt und ausgeführt, entsprechende Arbeiten würden nach seinem Dafürhalten die desolate Situation des Klägers auch therapeutisch günstig beeinflussen. Die abweichende Auffassung der behandelnden Internistin Dr. Sch. und des behandelnden Neurologen und Psychiaters D. überzeugt demgegenüber nicht. Denn unter Berücksichtigung der bereits angeführten fehlenden Einschränkung des Durchhaltevermögens und der bislang nicht ausgeschöpften Behandlungsmöglichkeiten bestehen schon für eine Leistungseinschränkung auf unter sechs Stunden keine Anhaltspunkte und lässt sich die Einschätzung der genannten Ärzte, das Leistungsvermögen des Klägers betrage noch nicht einmal drei Stunden am Tag, auch nicht ansatzweise nachvollziehbar begründen.

Auch bedarf es - in qualitativer Hinsicht - nicht der Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit, da die Erwerbsfähigkeit des Klägers weder durch mehrere schwerwiegende gesundheitliche Einschränkungen noch durch eine besonders einschneidende Behinderung (z.B. Einarmigkeit, vgl. BSG, Urteil vom 14.09.1995, 5 RJ 50/94 in SozR 3-2200 § 1246 Nr. 50 m.w.N.) gemindert ist. Denn nach der Rechtsprechung des BSG (a.a.O.) steht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eine so große Anzahl von Tätigkeitsarten zur Verfügung, dass das Vorhandensein einer geeigneten Verweisungstätigkeit offensichtlich ist. Vielmehr braucht eine Verweisungstätigkeit erst benannt zu werden, wenn die gesundheitliche Fähigkeit zur Verrichtung selbst leichter Tätigkeiten in vielfältiger, außergewöhnlicher Weise eingeschränkt ist. Dies ist beim Kläger nicht der Fall. Er ist nicht gehindert, die beispielsweise in ungelernten Tätigkeiten üblicherweise geforderten Verrichtungen, wie z.B. Zureichen, Abnehmen, Transportieren, kleinere Reinigungstätigkeiten, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen (BSG, Großer Senat, Beschluss vom 19.12.1996, a.a.O.) mindestens sechs Stunden täglich auszuüben und entsprechende Arbeitsplätze aufzusuchen. Die Voraussetzungen für einen Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung liegen somit nicht vor.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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