S 20 AY 5/09

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
20
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 20 AY 5/09
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten haben die Beteiligten nicht zu erstatten. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von dem Beklagten für die Monate Februar, April, Mai, Juni, August, September und Dezember 2008 Leistungen nach § 2 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) in entsprechender Anwendung des Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) anstelle der bewilligten Leistungen nach § 3 AsylbLG.

Der am 00.00.2005 geborene Kläger ist das Kind einer libanesischen Staatsangehörigen. Diese hielt sich erstmals von März 1990 bis Dezember 1992 in Deutschland auf. Im Januar 1993 kehrte sie in den Libanon zurück. Im Dezember 1994 reiste sie erneut nach Deutschland ein und beantragte zum zweiten Mal Asyl. Nach bestandskräftiger Ablehnung des Asylantrags war sie ab 05.06.1998 im Besitz einer "Duldung". Ab 17.12.1999 besaß sie eine Aufenthaltsbefugnis gemäß § 30 Abs. 3 des (damals geltenden) Ausländergesetzes. Seit 28.11.2005 ist sie im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Aufenthaltsgesetz (AufenthG). Der Kläger ist seit seiner Geburt ebenfalls im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG. Die Mutter des Klägers bezog bis Oktober 2005 Leistungen nach § 3 AsylbLG; seit November 2005 erhält sie Leistungen nach § 2 AsylbLG in entsprechender Anwendung des SGB XII. Der Kläger bezog von seiner Geburt an bis zum 20.01.2009 - 48 Monate - Leistungen nach § 3 AsylbLG; seit dem 21.01.2009 erhält er Leistungen nach § 2 AsylbLG in entsprechender Anwendung des SGB XII.

Mit Schreiben vom 23.01.2009 legte der Kläger Widerspruch gegen die Bescheide der letzten zwölf Monate ein, soweit diese noch nicht bestandskräftig geworden waren. Zugleich beantragte er die Überprüfung aller bereits bestandskräftig gewordener Bescheide über Leistungsgewährung nach dem AsylbLG nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Zur Begründung wies er darauf hin, dass ihm aus seiner Sicht von Amts wegen bereits ab Geburt eine Aufenthaltserlaubnis nach § 33 AufenthG hätte erteilt werden müssen; mit diesem Titel hätten ihm Leistungen unmittelbar nach dem SGB XII zugestanden. Zudem machte er verfassungsrechtliche Bedenken geltend, da er als in Deutschland geborenen Kind eines Elternteils mit rechtmäßigen Aufenthalt nicht für die Dauer von vier Jahren auf ein Grundleistungsniveau verwiesen werden dürfe; die verfassungsrechtlichen Bedenken bestünden auch im Hinblick auf die Höhe der seit 1993 nicht mehr angehobenen Grundleistungen.

Der Beklagte wies den Widerspruch gegen die noch nicht bestandskräftig gewordenen Bescheide durch Widerspruchsbescheid vom 24.02.2009 zurück. Hinsichtlich der beantragten Überprüfung der bestandskräftig gewordenen Bescheide kündigte der Beklagte eine gesonderte Überprüfungsentscheidung nach § 44 SGB X an; diese ist - soweit ersichtlich - bisher noch nicht ergangen.

Am 20.03.2009 hat der Kläger Klage erhoben. Er ist der Auffassung, als minderjähriges Kind eines Elternteils mit rechtmäßigem Aufenthalt genieße er zumindest bis zur Volljährigkeit den Schutz aus Artikel 6 des Grundgesetzes (GG) und Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Bestehe ein auf mehrere Jahre fortbestehendes rechtliches Abschiebehindernis, sei es unter keinem Gesichtspunkt gerechtfertigt, von einem nur vorübergehenden Aufenthalt auszugehen. Daran ändere auch der rein formale Besitz des nach § 25 Abs. 5 AufenthG erteilten Aufenthaltstitels nichts. Schon zum Zeitpunkt der Geburt sei der Aufenthalt des Klägers als nicht nur vorübergehend anzusehen. Er habe daher von Anbeginn an nicht auf ein Grundleistungsniveau verwiesen werden dürfen. Zumindest von dem Zeitpunkt an, ab dem ein Elternteil selbst Leistungen nach § 2 AsylbLG in entsprechender Anwendung des SGB XII erhalte, bestehe auch für das Kind ein entsprechender Anspruch. Es sei nicht gerechtfertigt, den in Deutschland geborenen Kindern in einer Situation wie der des Klägers ebenfalls den Erhalt von Grundleistungen für einen Zeitraum von vier Jahren abzuverlangen. Der Wortlaut des § 2 AsylbLG lasse die Frage der Leistungsansprüche hier geborener Kinder zumindest offen und sei daher auch einer Auslegung zugänglich, dass das im Bundesgebiet geborene Kind nicht in eigener Person die Vorbezugszeiten nach § 2 Abs. 1 AsylbLG erfüllen müsse. Der Schutz der Menschenwürde aus Artikel 1 GG und das Willkürverbot aus Artikel 3 GG gebiete unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes eine Auslegung dahingehend, dass zumindest die hier geborenen minderjährigen Kinder einen Zugang zu Analogleistungen haben müssen, wenn die Eltern oder ein Elternteil entsprechend anspruchsberechtigt sind. Schließlich stelle sich im Falle eines Verweises auf die Gewährung von Grundleistungen nach § 3 AsylbLG die Frage der Verfassungsmäßigkeit auch vor dem Hintergrund, dass die Grundleistungen seit 1993 nicht angehoben worden und unter Beachtung der Inflationsrate, der Anhebung der Mehrwertsteuer und des Anstiegs der Lebenshaltungskosten nicht mehr als Sicherung der verfassungsrechtlich gebotenen Mindestsicherung anzusehen seien.

Der Kläger beantragt schriftsätzlich,

den Beklagten unter entsprechender Abänderung der bescheidlosen Bewilligungsentscheidungen für die Monate Februar, April, Mai, Juni, August, September und Dezember 2008 in der Fassung des Widerspruchs- bescheides vom 24.02.2009 zu verurteilen, ihm für die Monate Februar, April, Mai, Juni, August, September und Dezember 2008 anstelle der bewilligten Leistungen nach § 3 AsylbLG Leistungen nach § 2 AsylbLG in ent- sprechender Anwendung des SGB XII zu gewähren, hilfsweise, das Verfahren auszusetzen und dem Bundesverfassungs- gericht zur Entscheidung der Frage vorzulegen, ob § 2 AsylbLG sowie § 3 AsylbLG mit Artikel 1, Artikel 2, Artikel 3, Artikel 6 und Artikel 20 GG vereinbar sind.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er verweist auf die Ausführungen des Bundessozialgerichts (BSG) in seiner Entscheidung vom 17.06.2008 (B 8/9b AY 1/07 R). Soweit in § 2 Abs. 1 AsylbLG als Voraussetzung für den Bezug von höheren Analogleistungen nach dem SGB XII der Vorbezug von Leistungen nach § 3 AsylbLG über einen Zeitraum von 48 Monaten verlangt werde, gelte dies auch für den Kläger. Dies entspreche dem eindeutigen und klaren Willen des Gesetzgebers und sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung der Kammer durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen den Kläger betreffenden Verwaltungsakten des Beklagten, die bei der Entscheidung vorgelegen haben, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer konnte durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil sich die Beteiligten übereinstimmend mit dieser Verfahrensweise einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG).

Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Der Kläger hat für die mit der Klage geltend gemachten und allein streitbefangenen Monate Februar, April, Mai, Juni, August, September und Dezember 2008 keinen Anspruch auf Leistungen nach § 2 AsylbLG in entsprechender Anwendung des SGB XII, da er für diese Monate jeweils die Voraussetzungen des Abs. 1 dieser Vorschrift in der ab 28.08.2007 geltenden Fassung nicht erfüllt hat. Nach § 2 Abs. 1 AsylbLG ist abweichend von den §§ 3 bis 7 das SGB XII auf diejenigen Leistungsberechtigten entsprechend anzuwenden, die über eine Dauer von insgesamt 48 Monaten Leistungen nach § 3 erhalten haben und die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben. Der Kläger hat erst am 20.01.2009 über die Dauer von insgesamt 48 Monaten Leistungen nach § 3 AsylbLG bezogen und erhält deshalb zurecht erst am 21.01.2009 Leistungen nach § 2 AsylbLG in entsprechender Anwendung des SGB XII. Das BSG hat im Urteil vom 17.06.2008 (B 8/9b AY 1/07 R) mit ausführlicher Begründung dargelegt, dass § 2 AsylbLG im Hinblick auf die Anspruchsvoraussetzungen eines Vorbezugs von Leistungen nach § 3 AsylbLG über einen Zeitraum von insgesamt 48 Monaten einer erweiternden Auslegung nicht zugänglich ist. Das BSG hat hierzu ausgeführt:

"Die Vorbezugszeit ist nämlich keine Wartefrist, innerhalb der es unerheblich wäre, ob und welche (Sozial-)Leistungen der Ausländer bezogen hat (Hohm in Schellhorn/Schellhorn/Hohm, SGB XII, 17. Aufl 2006, § 2 AsylbLG RdNr 8 bei Unterbrechungen durch Erhalt von Leistungen nach dem SGB II oder dem SGB XII; ders, AsylbLG, § 2 RdNr 39, Stand März 2007; vgl auch Herbst in Mergler/Zink, Handbuch der Grundsicherung und Sozialhilfe, § 2 AsylbLG RdNr 12, Stand August 2007, zu sonstigen Sozialleistungen; aA Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 2. Aufl 2008, § 2 AsylbLG RdNr 2 und Birk in Lehr- und Praxiskommentar (LPK) SGB XII, 8. Aufl 2008, § 2 AsylbLG RdNr 3; zum Streitstand auch Hachmann/Hohm, NVwZ 2008, 33, 35 mwN). Dies ergibt sich aus dem hier zwingenden Wortlaut der Vorschrift. Zwar ist eine bestimmte Auslegungsmethode oder gar eine reine Wortinterpretation von der Verfassung nicht vorgeschrieben. Eine teleologische Reduktion, eine systematische oder eine historische Auslegung von Vorschriften entgegen ihrem Wortlaut gehört sogar zu den anerkannten, verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Auslegungsgrundsätzen (Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 7. April 1997 - 1 BvL 11/96 -, NJW 1997, 2230, 2231). Diese kann zulässig sein, wenn die in den Gesetzesmaterialien oder der Gesetzessystematik zum Ausdruck kommende Regelungsabsicht eine analoge oder einschränkende Anwendung des Gesetzes auf gesetzlich nicht umfasste Sachverhalte gebietet und deswegen sowie wegen der Gleichheit der zu Grunde liegenden Interessenlage auch der nicht geregelte Fall hätte einbezogen werden müssen (BSGE 57, 195, 196 = SozR 1500 § 149Nr 7 S 7). Dabei darf dem Gesetz aber kein entgegenstehender Sinn verliehen werden, der normative Gehalt der auszulegenden Norm nicht grundlegend neu bestimmt oder das gesetzgeberische Ziel in einem wesentlichen Punkt verfehlt werden.

Einer den Wortlaut erweiternden Auslegung des § 2 AsylbLG, mit der Bezugszeiten anderer Leistungen als der nach § 3 AsylbLG - auch solcher nach § 2 AsylbLG - oder Zeiten ohne irgendeinen Leistungsbezug gleichgestellt würden, stehen Sinn und Zweck der Regelung und deren Gesetzesentwicklung entgegen; ob für Zeiten, in denen ein durchsetzbarer Anspruch auf Leistungen nach § 3 AsylbLG bestand, der erst später zugestanden wird, etwas Anderes gilt (vgl dazu in anderem Zusammenhang: Behrend in Eicher/Schlegel, SGB III, § 126 RdNr 45 mwN, Stand August 2004), kann offen bleiben. So normierte § 2 AsylbLG in der Fassung des Gesetzes zur Neuregelung der Leistungen für Asylbewerber vom 30. Juni 1993 (BGBl I 1074) für geduldete Ausländer überhaupt keine Vorbezugszeit und für Asylbewerber eine reine Wartefrist von zwölf Monaten nach Asylantragstellung. Auch der Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des AsylbLG vom 24. Oktober 1995 sah zunächst ebenfalls keinen Vorbezug von Leistungen nach § 3 AsylbLG vor, sondern eine reine Wartefrist von 24 Monaten nach dem Erteilen einer Duldung, und verzichtete auf die Wartefrist bei Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlingen, deren Abschiebung wegen des Krieges in ihrem Heimatland ausgesetzt war, sogar gänzlich (BT-Drucks 13/2746, S 5). Die Verschärfung des Zugangs zu den Leistungen nach § 2 AsylbLG im Verhältnis zur Vorgängerregelung stand dabei im engen Zusammenhang mit der in § 1 Abs 1 AsylbLG vorgenommenen Erweiterung des leistungsberechtigten Personenkreises, insbesondere um geduldete Ausländer, sowie der Beseitigung der vormals ungleichen Behandlung von Ausländern mit Duldung, die nicht Kriegs- oder Bürgerkriegsflüchtlinge waren, und Asylbewerbern (BT-Drucks 13/2746, S 11). Vom Grundsatz sollten alle Ausländer, die sich typischerweise nur vorübergehend im Bundesgebiet aufhielten, die gleichen, niedrigeren Leistungen nach §§ 3 ff AsylbLG erhalten (BT-Drucks 13/2746, S 12). Der Gesetzentwurf war (noch) von dem Gedanken getragen, dass der Status der Duldung nur ein schnell vorübergehender ist. Bei längerer Aufenthaltsdauer und einer damit verbundenen Verfestigung des Aufenthaltsstatus (die Zweijahresfrist korrespondierte mit dem damaligen § 30 Abs 4 Ausländergesetz (AuslG), der nach dieser Frist die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis vorsah) sollte dem Ausländer durch die Gewährung von Analog-Leistungen eine Integration in die deutsche Gesellschaft durch öffentliche Mittel ermöglicht werden (BT-Drucks 13/2746, S 15). Diese Integrationskomponente verlor sich dann in der endgültigen Fassung des Ersten Gesetzes zur Änderung des AsylbLG vom 26. Mai 1997 (BGBl I 1130). Erstmals stellte das Gesetz auf den Bezug ("erhalten haben") von Leistungen nach § 3 AsylbLG ab und verlangte dies für eine Dauer von 36 Monaten ab 1. Juni 1997. In den Vordergrund trat der Gedanke der Kosteneinsparung (vgl auch Ausschussbericht vom 7. Februar 1996, BT-Drucks 13/3728, S 3), zu erkennen daran, dass der Zeitraum von 36 Monaten am 1. Juni 1997 zu laufen begann, also alle Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG ohne Rücksicht darauf erfasste, ob sie bereits zuvor Analog-Leistungen erhalten hatten. Dies zeigt, dass der Gesetzgeber schon 1997 bewusst allein auf den Bezug von Grundleistungen nach § 3 AsylbLG abstellen und sonstige Vorbezugszeiten, auch solche nach § 2 AsylbLG (in der Zeit vor dem 1. Juni 1997), und Zeiten ohne jeglichen Leistungsbezug ausklammern wollte (aA Herbst in Mergler/Zink, Handbuch der Grundsicherung und Sozialhilfe, § 2 AsylbLG RdNr 11a, Stand August 2007). Er beabsichtigte also, die höheren Leistungen nach § 2 AsylbLG daran zu koppeln, dass das Existenzminimum für einen festen Zeitraum von drei Jahren nur auf einem niedrigeren Niveau sichergestellt werden solle. Mit der ab dem 1. Januar 2005 geltenden Neuregelung sollten schließlich abweichend vom bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Recht Leistungsberechtigte von Analog-Leistungen ausgeschlossen werden, denen rechtsmissbräuchliches Verhalten (Tun oder Unterlassen), bezogen auf die Dauer des Aufenthalts, vorgeworfen werden kann. Neben der beabsichtigten Sanktion sollte durch den Bezug von Grundleistungen für die Dauer von drei Jahren aber auch der Anreiz für die Einreise von Ausländern und ihren weiteren Verbleib im Bundesgebiet genommen werden (Hohm, AsylbLG, § 2 RdNr 86, Stand März 2007). Dieses Ziel würde verfehlt, wenn andere Sozialleistungen (auch Analog-Leistungen oder solche nach § 1a AsylbLG) oder gar Zeiten, in denen der Leistungsberechtigte nach dem AsylbLG seinen Bedarf aus eigenem Einkommen oder Vermögen decken konnte, die erforderlichen Zeiten des Vorbezugs erfüllten. Die Gegenauffassung, die mit der § 2 AsylbLG innewohnenden Integrationskomponenten argumentiert (vgl etwa: Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 2. Aufl 2008, § 2 AsylbLG RdNr 2; Birk in LPK-SGB XII, 8. Aufl 2008, § 2 AsylbLG RdNr 3) berücksichtigt nicht hinreichend diese Rechtsentwicklung und interpretiert die Frist von 36 Monaten zu Unrecht als reine Wartefrist. Die Gesetzesmaterialien zur Änderung des § 2 AsylbLG mit Wirkung ab 28. August 2007 (Vorbezugszeit von 48 Monaten; Art 6 Abs 2 Nr 2 des Gesetzes zur Umsetzungaufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 - BGBl I 1970) stützen die für die Zeit ab dem 1. Januar 2005 vorgenommene Auslegung. Zwar wird die Anhebung auf 48 Monate mit einer Angleichung zu Regelungen im AufenthG (§ 104a) und einer Änderung der Verordnung über das Verfahren und die Zulassung von im Inland lebenden Ausländern zur Ausübung einer Beschäftigung - Beschäftigungsverfahrensordnung - (§ 10) begründet, der nach Ablauf von vier Jahren einen gleichrangigen Arbeitsmarktzugang für Geduldete gewährt (Satz 3). Für den Zeitpunkt der Gewährung von Leistungen auf Sozialhilfeniveau wird dabei auf den Grad der zeitlichen Verfestigung des Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland abgestellt. Nach einem Voraufenthalt von 4 Jahren sei davon auszugehen, dass eine Aufenthaltsperspektive entstanden sei, die es gebiete, Bedürfnisse anzuerkennen, die auf eine "bessere soziale Integration" gerichtet seien (vgl BT-Drucks 16/5065, S 232 zu Nummer 2 (§ 2); vgl auch Adolph in Linhart/Adolph, SGB II/SGB XII/AsylbLG, § 2 AsylbLG RdNr 11, Stand Oktober 2007). Dennoch wurde die Erforderlichkeit des Vorbezugs von Leistungen nach § 3 AsylbLG beibehalten; es bestehen deshalb keine Anhaltspunkte für die Annahme, dass der Gesetzgeber die mit der Regelung des § 2 Abs 1 AsylbLG (neben der Integrationskomponente) verbundene Intention, den Bezug von Analog-Leistungen an eine bestimmte Dauer des Vorbezugs von Grundleistungen zu koppeln, aufgeben wollte. Mit der Verlängerung der Vorbezugszeit sollten vielmehr nach der Gesetzesbegründung Leistungsberechtigte des AsylbLG (auch) ermutigt werden, ihren Lebensunterhalt möglichst durch eigene Arbeit und nicht durch Leistungen des Sozialsystems zu sichern (BT-Drucks 16/5065, S 155). Niedrige Leistungen sollten also dazu dienen, Anreize für die Aufnahme einer Beschäftigung zu geben. Die Aufnahme einer Beschäftigung durch Asylbewerber bzw geduldete Ausländer ist insoweit mit Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit sogar schon möglich, wenn sie sich ein Jahr gestattet oder geduldet im Bundesgebiet aufhalten (§ 61 Abs 2 Asylverfahrensgesetz, § 10 Beschäftigungsverfahrensordnung)."

Auch wenn die Mutter des Klägers bereits im Oktober 2005 die Vorbezugszeit erfüllt hat und seit November 2005 höhere Leistungen nach § 2 AsylbLG in entsprechender Anwendung des SGB XII erhält, ist bei minderjährigen Kindern - wie dem Kläger -, die in einer Haushaltsgemeinschaft mit ihren Eltern oder einem Elternteil leben, nicht mit Blick auf § 2 Abs. 3 AsylbLG auf die Erfüllung der Vorbezugszeit in der Person des Kindes zu verzichten. Hierzu hat das BSG in der erwähnten Entscheidung vom 17.06.2008 ausgeführt:

"Nach § 2 Abs 3 AsylbLG erhalten minderjährige Kinder Analog-Leistungen nur dann, wenn mindestens ein Elternteil diese Leistungen erhält. Mit § 2 Abs 3 AsylbLG sollte zwar erreicht werden, dass innerhalb einer Familie minderjährigen Kindern (grundsätzlich) keine anderen Leistungen gewährt werden als ihren Eltern, mit denen sie in einer Haushaltsgemeinschaft leben (BT-Drucks 13/2746, S 16 zu § 2 Abs 3). Die gewollte leistungsrechtliche Gleichbehandlung bezweckt aber keine an einem Familienmitglied orientierte Besserstellung anderer Mitglieder der Haushaltsgemeinschaft, sondern normiert nur eine zusätzliche leistungseinschränkende Voraussetzung auf Analog-Leistungen für den in § 2 Abs 3 AsylbLG genannten Personenkreis. Dies ergibt sich aus Systematik ("erhalten Leistungen nach Abs 1") und Wortlaut ("nur") der Norm sowie der Rechtsentwicklung.

Der ursprüngliche Gesetzentwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des AsylbLG vom 24. Oktober 1995 (BT-Drucks 13/2746) sah Analog-Leistungen ohne Wartefrist nur für geduldete Ausländer vor; ohne die dem jetzigen Abs 3 inhaltlich entsprechende damalige Regelung des Abs 2 hatte es zu unterschiedlichen Leistungen innerhalb einer Haushaltsgemeinschaft kommen können, wenn beide Elternteile lediglich für sich einen Asylantrag gestellt haben, während die Kinder eine Duldung besaßen und so früher in den Genuss von Analog-Leistungen gekommen wären (BT-Drucks 13/2746, S 16 zu § 2 Abs 3). Nur dieser Situation sollte begegnet werden. Auf das Erfüllen (auch) der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 2 Abs 1 AsylbLG für minderjährige Kinder, die in einer Haushaltsgemeinschaft mit ihren Eltern oder einem Elternteil leben, sollte allerdings nicht verzichtet werden (Hohm, AsylbLG, § 2 RdNr 239, Stand Februar 2006; ders in Schellhorn/Schellhorn/Hohm, SGB XII, 17. Aufl 2006, § 2 AsylbLG RdNr 33 f; Adolph in Linhart/Adolph, SGB II/SGB XII/AsylbLG, § 2 AsylbLG RdNr 33, Stand August 2007; Fasselt in Fichtner/Wenzel, Kommentar zur Grundsicherung, 3. Aufl, § 2 AsylbLG RdNr 14; aA Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 2. Aufl 2008, § 2 AsylbLG RdNr 17, der von der Begründung eines akzessorischen Leistungsverhältnisses spricht; aA auch Birk in LPK-SGB XII, 8. Aufl 2008, § 2 AsylbLG RdNr 7). Ein Abweichen von der zwingenden Regelung der Vorbezugszeit für erst in Deutschland geborene Kinder ist damit nicht vereinbar. Ob der Gesetzgeber eine sinnvollere oder bessere Lösung hätte wählen können, ist vom Senat nicht zu beurteilen."

Dem schließt sich die Kammer an. Die verfassungsrechtlichen Bedenken des Klägers teilt die Kammer nicht. Da die Vorbezugszeit von 48 Monaten erfüllt sein muss, ist ein Anspruch auf Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG für die Zeit vor Vollendung des vierten Lebensjahres ausgeschlossen (so auch - jeweils noch für die Rechtslage mit 36-monatiger Vorbezugszeit -: LSG NRW, Urteile vom 10.03.2008 - L 20 AY 9/07 - und vom 05.05.2008 L 20 AY 5/07).

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung von § 193 SGG.

Für den Fall, dass die Berufung nicht bereits im Hinblick auf den Wert des Beschwerdegegenstandes (vgl. § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG) statthaft ist, hat die Kammer die Berufung zugelassen, weil sie der Rechtslage grundsätzliche Bedeutung beimisst.
Rechtskraft
Aus
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