L 15/13 RA 1378/01

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
15
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 2 RA 579/00
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 15/13 RA 1378/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 4 RA 27/03 R
Datum
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 20. September 2001 aufgehoben. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 20. März 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. August 2000 verurteilt, die von dem Kläger für die Zeit vom 1. Januar 1994 bis 29. Februar 2000 gezahlten freiwilligen Beiträge zu erstatten.

II. Die Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten beider Instanzen zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Erstattung freiwilliger Beiträge für die Zeit vom 1. Januar 1994 bis 29. Februar 2000 streitig.

Der 1954 geborene Kläger legte in der Zeit vom 1. August 1969 bis zum 31. Dezember 1989 - zuletzt als Arbeitnehmer in einer Firma für Leiterplatten - Pflichtbeitragszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung zurück. Für die nachfolgende Zeit vom 2. Januar 1990 bis 30. Juni 1990 ist im Versicherungsverlauf eine Anrechnungszeit wegen Arbeitslosigkeit vorgemerkt. Seit Juni 1990 war der Kläger sodann selbständig erwerbstätig als Geschäftsführer der Firma Sch. C. L. GmbH in L ... Aus wirtschaftlichen Gründen wurden zunächst keine Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung entrichtet.

Im Jahre 1993 wurde der Kläger nach eigenen Angaben von seinem neuen Steuerberater darauf hingewiesen, dass für ihn kein Versicherungsschutz gegen Erwerbsunfähigkeit bestehe. Er begab sich daraufhin im November/Dezember 1993 zu einem Beratungsgespräch in die Auskunfts- und Beratungsstelle der Beklagten in Gießen. Die Einzelheiten und der genaue Inhalt des seinerzeit geführten Beratungsgespräches sind streitig.

Am 27. Dezember 1993 ging bei der Hauptstelle der Beklagten in Berlin ein vom Kläger eigenhändig unterschriebener "Antrag auf Beitragszahlung zur Angestelltenversicherung” ein. In dem handschriftlich ausgefüllten und mit "Marburg, den 22. Dezember 93” schließenden Antragsformular wurde durch Ankreuzen einer der drei aufgeführten Möglichkeiten (freiwillige Versicherung/Pflichtversicherung von selbständig Tätigen/Höherversicherung) die Zulassung zur Entrichtung freiwilliger Beiträge für die Zeit ab dem 1. Januar 1994 beantragt. Diesem Antrag gab die Beklagte durch Bescheid vom 11. Januar 1994 statt. Der Kläger zahlte in der Folgezeit bis einschließlich Februar 2000 lückenlos freiwillige Beiträge.

Nach eigenen Angaben erfuhr der Kläger erstmals anlässlich eines weiteren, am 29. Februar 2000 in der Auskunfts- und Beratungsstelle der Beklagten in Gießen geführten Beratungsgespräches, dass durch die Entrichtung freiwilliger Beiträge kein Versicherungsschutz gegen Berufsunfähigkeit bzw. Erwerbsunfähigkeit begründet werden könne. Er erklärte daraufhin zur Niederschrift am 29. Februar 2000, dass er die Zahlung freiwilliger Beiträge mit sofortiger Wirkung einstelle. Zugleich beantragte er die Erstattung der seit 1994 bereits entrichteten freiwilligen Beiträge und machte geltend, er habe die Beiträge in der unzutreffenden Annahme entrichtet, hiermit werde sein Versicherungsschutz im Hinblick auf eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bzw. Berufsunfähigkeit aufrechterhalten. Im Rahmen des Beratungsgespräches bei der Beklagten im Dezember 1993 sei ihm mitgeteilt worden, im Falle der Entrichtung von mindestens 36 freiwilligen Beiträgen werde ein entsprechender Versicherungsschutz wiedererlangt. Nachdem dies nicht zutreffe, bringe die Beitragsentrichtung ihm keinen Nutzen.

Durch Bescheid vom 20. März 2000 lehnte die Beklagte den Erstattungsantrag des Klägers mit der Begründung ab, der Kläger habe im Dezember 1993 für die Zeit ab dem 1. Januar 1994 die Zahlung von freiwilligen Beiträgen beantragt. Diesem Antrag sei entsprochen worden, weil für den Kläger die Berechtigung zur Entrichtung freiwilliger Beiträge bestanden habe. Ein Versicherungsschutz im Hinblick auf eine Rente wegen Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit sei hierdurch nicht erreicht worden, weil entweder eine Pflichtbeitragszeit von 36 Monaten in den letzten fünf Jahren vor Eintritt des Leistungsfalles oder aber die lückenlose Belegung der Zeit seit dem 1. Januar 1984 mit Anwartschaftserhaltungszeiten erforderlich sei. Diese lückenlose Belegung ende hier am 30. Juni 1990. Möglicherweise habe der Kläger die ihm anlässlich des Beratungsgesprächs gegebenen Informationen missverstanden.

Der Kläger erhob am 18. April 2000 Widerspruch und führte aus, bei dem in Rede stehenden Beratungsgespräch sei ihm erklärt worden, dass er seinen Versicherungsschutz im Hinblick auf eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bzw. Berufsunfähigkeit durch Einstellung der Beitragszahlungen verloren habe. Hieraus ergebe sich auch der Verlust eines Anspruches auf Hinterbliebenenrente zugunsten seiner Ehefrau. Der Berater der Beklagten habe ihm den Vorschlag unterbreitet, Rentenbeiträge freiwillig zu zahlen. Nach einer Beitragszahlung für 36 Monate erlange er den vollen Versicherungsschutz zurück. Diese Angaben habe er nicht in Zweifel gezogen und sich danach gerichtet. Soweit durch die Zahlung freiwilliger Beiträge der erstrebte Versicherungsschutz nicht wiederaufgelebt sei, gehe dies auf einen Beratungsfehler zurück.

Die Auskunfts- und Beratungsstelle in Gießen teilte der Hauptstelle der Beklagten mit Schreiben vom 27. Juni 2000 mit, die Aufbewahrungsfrist für Termin- und Wartelisten von sechs Jahren sei zwischenzeitlich abgelaufen, so dass keine Unterlagen mehr für Dezember 1993 vorhanden seien.

Durch Widerspruchsbescheid vom 15. August 2000 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Zur Begründung führte sie aus, nach § 210 Sozialgesetzbuch, Sechstes Buch, Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) sei eine Beitragserstattung auf Antrag nur möglich für Versicherte, die nicht versicherungspflichtig seien und nicht das Recht zur freiwilligen Versicherung hätten oder für Versicherte, die das 65. Lebensjahr vollendet und die allgemeine Wartezeit nicht erfüllt hätten. Diese Voraussetzungen seien bei dem Kläger nicht gegeben. Vielmehr sei er zur freiwilligen Versicherung berechtigt. Die Erstattung der rechtswirksam entrichteten Beiträge sei damit nicht möglich. Soweit der Kläger eine fehlerhafte Beratung geltend gemacht habe, seien die entsprechenden Nachforschungen ohne Erfolg geblieben. Ein Beratungsmangel könne deshalb nicht mehr geprüft werden.

Mit der am 14. September 2000 bei dem Sozialgericht Marburg erhobenen Klage verfolgte der Kläger sein Begehren weiter. Er berief sich erneut auf eine Falschberatung in der Dienststelle der Beklagten in Gießen im November/Dezember 1993. Nur hierdurch sei es zu dem Antrag auf Zulassung zur Entrichtung freiwilliger Beiträge gekommen. Die Beratung sei von dem Bediensteten H. vorgenommen worden. Bei der Beratung sei es ihm vorrangig um die Erlangung eines Versicherungsschutzes für den Fall der Erwerbsunfähigkeit bzw. Berufsunfähigkeit gegangen. Für den Fall des Alters habe er zu diesem Zeitpunkt bereits durch private Initiative Vorsorge getroffen gehabt. Der Bereich der Altersrente habe deshalb im Rahmen des Beratungsgesprächs bzw. bei dem Antrag auf freiwillige Versicherung für ihn praktisch keine Bedeutung gehabt. Der Kläger vertrat die Auffassung, aufgrund des Beratungsfehlers stehe ihm ein Anspruch auf Beitragserstattung zu. Der Erstattungsanspruch ergebe sich aber auch daraus, dass er sich bei der Begründung der freiwilligen Versicherung in einem rechtserheblichen Inhaltsirrtum im Sinne des § 119 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) befunden habe mit der Folge der Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts nach § 142 BGB. Er habe auch eine fristgemäße Anfechtungserklärung abgegeben. Insoweit sei seine im Rahmen des Beratungsgesprächs vom 29. Februar 2000 abgegebene Erklärung als Anfechtungserklärung zu werten. Vorsorglich erklärte der Kläger nochmals mit Schriftsatz vom 24. Oktober 2000 die Anfechtung seiner Erklärung aus dem Antrag auf freiwillige Versicherung vom 22. Dezember 1993.

Die Beklagte verwies auf ihre Ausführungen im angefochtenen Widerspruchsbescheid und führte ergänzend aus, zu Recht gezahlte freiwillige Beiträge seien grundsätzlich jeglicher Verfügungsmacht sowohl seitens des Klägers als auch der Beklagten entzogen. Etwas anderes gelte nur dann, wenn die Beklagte ihre sich aus § 14 Sozialgesetzbuch, Erstes Buch, Allgemeiner Teil (SGB I) ergebenden Beratungspflichten verletzt habe. Nur dann bestehe im Rahmen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruches die Möglichkeit, zu Recht gezahlte freiwillige Beiträge zu erstatten. Den Nachweis über die Verletzung der Beratungspflichten habe der Kläger zu führen. Davon ausgehend erscheine das Vorbringen des Klägers zu dem Ablauf des Beratungsgesprächs wenig glaubhaft. Dies gelte sowohl im Hinblick auf eine Rente wegen Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit als auch hinsichtlich einer Hinterbliebenenrente. Vielmehr liege die Vermutung nahe, dass dem Kläger seinerzeit geraten worden sei, anstelle der Zahlung freiwilliger Beiträge eine Antragspflichtversicherung freiwillig aufzunehmen. In diesem Fall würde die Anwartschaft auf eine Rente wegen Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit ab Zahlung des 36. Pflichtbeitrages wieder erfüllt gewesen sein. Dass nur ein Rat in diesem Sinne erteilt worden sei, sei auch deshalb anzunehmen, weil es vergleichbare Vorschriften zur Antragspflichtversicherung und zu den versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rente wegen Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit bereits in dem bis zum 31. Dezember 1991 geltenden Recht gegeben habe. Insoweit stelle das ab dem 1. Januar 1992 geltende SGB VI für Mitarbeiter der Beklagten kein Neuland dar. Völlig unglaubhaft sei weiterhin der Vortrag des Klägers, der Berater habe seinerzeit angegeben, dass auch der Anspruch auf Hinterbliebenenrente erloschen sei. Die einzige versicherungsrechtliche Voraussetzung für den Bezug einer Witwenrente sei seit jeher und bis heute, dass die Wartezeit von 60 Monaten bzw. fünf Jahren mit Beitrags- und gegebenenfalls Ersatzzeiten erfüllt sei. Insgesamt würden damit die Voraussetzungen für einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch nicht vorliegen.

Das Sozialgericht Marburg hat zu dem Hergang des Beratungsgesprächs in der Auskunfts- und Beratungsstelle der Beklagten in Gießen vom Dezember 1993 Beweis erhoben durch Vernehmung der Ehefrau des Klägers sowie des Bediensteten H. als Zeugen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 20. September 2001 verwiesen.

Sodann hat das Sozialgericht durch Urteil vom 20. September 2001 die Klage mit der Begründung abgewiesen, der Kläger erfülle nicht die Voraussetzungen des § 210 SGB VI, so dass er keinen Anspruch auf Erstattung der in der Zeit vom 1. Januar 1994 bis 29. Februar 2000 gezahlten freiwilligen Beiträge habe. Eine andere Beurteilung ergebe sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruches. Dieser setze im Wesentlichen eine Verletzung der dem Versicherungsträger obliegenden Pflicht zur Auskunft und Beratung voraus. Ein solcher Beratungsfehler sei jedoch nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht mit der erforderlichen an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit erwiesen. Zunächst ergebe sich eine Ungereimtheit im Vortrag des Klägers daraus, dass er sich nach seinen Angaben noch genau an den Inhalt des Beratungsgesprächs erinnern könne, jedoch nicht mehr wisse, ob er den Antrag auf freiwillige Versicherung noch während des Gesprächs in der Auskunfts- und Beratungsstelle der Beklagten in Gießen ausgefüllt oder diesen später unmittelbar an die Beklagte nach Berlin geschickt habe. Auch habe der Kläger keine Angaben dazu machen können, wer den von ihm gestellten Antrag vorausgefüllt habe. Dieselben Erinnerungslücken hätten sich bei der Vernehmung der Ehefrau des Klägers, der Zeugin Sch., ergeben. Auch die Zeugin Sch. habe nichts weiter zu der Frage beitragen können, ob der Antrag auf freiwillige Versicherung durch den Kläger noch im Beratungsgespräch oder im Anschluss daran gestellt worden sei. Auch habe die Zeugin nichts dazu sagen können, wer den Antrag vorausgefüllt habe. Im Übrigen sei bei der Aussage der Zeugin aufgefallen, dass eine Beratung durch den Zeugen H. dahingehend erfolgt sein solle, dass der Kläger für mindestens 36 Monate Beiträge nachzuzahlen habe, die dann dauernd weitergezahlt werden müssten. Dies könne als ein Hinweis dafür gewertet werden, dass von dem Zeugen H. entgegen den Angaben des Klägers und der Zeugin Sch. kein Rat zur Zahlung von freiwilligen Beiträgen erfolgt sei, sondern der Abschluss einer Antragspflichtversicherung, die ebenfalls freiwillig sei, angeraten worden sei. Der Zeuge H. habe sich an den Inhalt des Beratungsgesprächs nicht mehr erinnern können. Insgesamt sei, vor allem vor dem Hintergrund der Erinnerungslücken des Klägers und der Zeugin Sch., gerade nicht mit der erforderlichen an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit von dem geltend gemachten Beratungsverstoß auszugehen. Unabhängig davon erscheine es auch als höchst unwahrscheinlich, dass der Zeuge H. dem Kläger gesagt haben solle, durch das Nichtvorhandensein von rentenrechtlich relevanten Zeiten ab dem 1. Juli 1990 sei der Anspruch auf eine Hinterbliebenenrente erloschen. Der fehlende Nachweis eines Beratungsfehlers gehe nach den Grundsätzen der objektiven Beweislast zu Lasten des Klägers. Bereits wegen einer fehlenden Pflichtverletzung könne deshalb nicht von einem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch des Klägers ausgegangen werden.

Gegen dieses, dem Kläger gegen Empfangsbekenntnis am 27. November 2001 zugestellte Urteil richtet sich seine am 6. Dezember 2001 eingelegte Berufung. Er hält an seiner Auffassung fest, wonach von einem Beratungsfehler seitens der Beklagten auszugehen sei. Der Beratungsfehler sei erwiesen durch die glaubhaften Bekundungen der Zeugin Sch., seiner Ehefrau. Im Falle ordnungsgemäßer Beratung würde er keine freiwilligen Beiträge entrichtet haben.

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 20. September 2001 sowie den Bescheid der Beklagten vom 20. März 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. August 2000 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die für die Zeit vom 1. Januar 1994 bis zum 29. Februar 2000 gezahlten freiwilligen Beiträge zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verweist auf den Inhalt des angefochtenen Bescheides sowie auf die Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil und trägt ergänzend vor, es sei hier nicht nur ungeklärt, sondern sogar ausgeschlossen, dass der Zeuge H. eine Falsch- bzw. Nichtberatung durchgeführt habe mit der Folge der Zahlung freiwilliger Beiträge durch den Kläger. Vielmehr sei davon auszugehen, dass im damaligen Beratungsgespräch eine Antragspflichtversicherung und damit die naheliegendste Gestaltungsmöglichkeit angeraten worden sei. Wie es zu der Beantragung der freiwilligen Versicherung gekommen sei, sei dem Kläger nicht mehr erinnerlich. Das entsprechende Formular sei nicht in der Auskunfts- und Beratungsstelle vorausgefüllt worden, wie es in einem solchen Fall üblich sei. Vielmehr habe der Kläger den Antrag direkt nach Berlin gesandt. Insgesamt sei deshalb ein Beratungsmangel nicht nachgewiesen. Hinsichtlich einer analogen Anwendung der zivilrechtlichen Anfechtungsregeln sei zu berücksichtigen, dass die einer Willenserklärung zugrundeliegenden Motive unbeachtlich seien. Der Kläger habe sich freiwillig versichern wollen und einen entsprechenden Antrag direkt bei ihr in Berlin gestellt. Nur dies sei relevant.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist zulässig und auch begründet.

Das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 20. September 2001 kann nicht aufrechterhalten bleiben. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 20. März 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. August 2000 ist rechtswidrig. Der Kläger hat einen Anspruch auf Erstattung der von ihm in der Zeit vom 1. Januar 1994 bis zum 29. Februar 2000 gezahlten freiwilligen Beiträge.

Rechtsgrundlage für den Erstattungsanspruch ist § 26 Abs. 2 Sozialgesetzbuch, Viertes Buch, Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB IV). Soweit auch § 210 SGB VI die Erstattung von Rentenversicherungsbeiträgen regelt, findet diese Vorschrift lediglich auf den Fall der Erstattung rechtmäßig entrichteter Beiträge Anwendung. Die von dem Kläger in der Zeit vom 1. Januar 1994 bis 29. Februar 2000 gezahlten freiwilligen Beiträge sind jedoch zu Unrecht entrichtet, so dass ein Fall des § 26 Abs. 2 SGB IV gegeben ist. Danach sind zu Unrecht entrichtete Beiträge zu erstatten, es sei denn, dass der Versicherungsträger bis zur Geltendmachung des Erstattungsanspruches aufgrund dieser Beiträge oder für den Zeitraum, für den die Beiträge zu Unrecht entrichtet worden sind, Leistungen erbracht oder zu erbringen hat.

Die von dem Kläger gezahlten freiwilligen Beiträge sind zu Unrecht entrichtet. Die Unrechtmäßigkeit der Beitragsentrichtung ergibt sich allerdings nicht bereits aus einer Falschberatung bzw. aus einem daraus entstandenen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch. Der insoweit von dem Kläger vorrangig vertretenen Rechtsauffassung vermag der Senat nicht zu folgen.

Das richterrechtliche Institut des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs beruht im Wesentlichen auf der Erwägung, dass mit der Begründung eines Sozialrechtsverhältnisses hieraus für den Versicherungsträger bestimmte Nebenpflichten erwachsen. Dazu zählt u.a. die Pflicht zur Auskunft und Beratung sowie zur "verständnisvollen Förderung” des Versicherten. Der Anspruch auf Auskunft und Beratung ist in den §§ 14 und 15 SGB I auch ausdrücklich normiert. Daraus folgt, dass der Versicherungsträger bei Vorliegen eines konkreten Anlasses den Versicherten auf solche Gestaltungsmöglichkeiten hinzuweisen hat, die klar zutage liegen und deren Wahrnehmung offenbar so zweckmäßig ist, dass jeder verständige Versicherte sie mutmaßlich nutzen würde (vgl. § 115 Abs. 6 Satz 1 SGB VI). Verletzt der Versicherungsträger diese ihm obliegende Nebenpflicht, so kann dem Versicherten daraus ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch erwachsen. Dieser ist auf Vornahme einer Amtshandlung zur Herstellung desjenigen Zustandes gerichtet, der bestehen würde, wenn der Versicherungsträger die ihm aus dem Versicherungsverhältnis erwachsenen Nebenpflichten ordnungsgemäß wahrgenommen hätte. Dabei ist allerdings Voraussetzung, dass die Verletzung der Nebenpflicht ursächlich für einen Schaden des Versicherten gewesen ist. Zudem muss sich der Versicherungsträger bei Vornahme der Amtshandlung im Rahmen von Gesetz und Recht halten. Eine dem widersprechende Amtshandlung kann im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs nicht begehrt werden (vgl. zu allem BSG, Urteil vom 24. April 1980, Az.: 1 RA 33/79 m.w.N.).

Davon ausgehend, könnte sich zwar grundsätzlich ein Anspruch des Klägers auf Beitragserstattung aus dem Rechtsinstitut des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches ergeben. Indes fehlt es an dem erforderlichen Nachweis einer für die freiwillige Versicherung ursächlichen Falschberatung. Der Nachweis im Sinne eines Vollbeweises ist regelmäßig erst dann geführt, wenn für das Vorliegen der behaupteten rechtserheblichen Tatsachen ein derart hoher, an Gewissheit grenzender Grad von Wahrscheinlichkeit spricht, dass kein vernünftiger, die Lebensverhältnisse klar überschauender Mensch noch zweifelt (vgl. BSG, Urteil vom 28. November 1957, Az.: 4 RJ 186/56 = BSGE 6, 142, 144). Ein solcher Nachweis ist hier nicht erbracht. Der Kläger ist von dem Sozialgericht im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 20. September 2001 nochmals eingehend gehört worden. Zudem hat das Sozialgericht die Ehefrau des Klägers sowie den Bediensteten H., den nach Angaben des Klägers tätig gewordenen Berater der Auskunfts- und Beratungsstelle der Beklagten in Gießen, eingehend als Zeugen vernommen. Trotz der zum Teil detaillierten Angaben sind Ungereimtheiten verblieben, die den Vortrag des Klägers zum Ablauf des Beratungsgesprächs begründet in Zweifel ziehen.

So bleibt unklar, wer den Formantrag auf freiwillige Versicherung ausgefüllt hat. Ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch kann nur gegeben sein, wenn die Beklagte den Kläger durch ursächliche Falschberatung zur Beantragung und Entrichtung der freiwilligen Beiträge veranlasst hat. Hier ist aber bereits unklar, wer den Antrag überhaupt ausgefüllt hat. Der Kläger hat hierzu vorgetragen, dass es sich nicht um seine Handschrift handelt. Ebenso haben die Zeugin Sch. und der Zeuge H. verneint, den Antrag ausgefüllt zu haben. Dies kann nicht nachvollzogen werden. Zum einen wäre denkbar, dass der Antrag dem Kläger mitgegeben und nicht sogleich ausgefüllt in der Beratungsstelle abgegeben worden ist. Hierfür spricht der Eingangsstempel der Beklagten in Berlin (wobei allerdings fraglich bleibt, warum der Antrag die Ortsangabe "Marburg, den ...” enthält; der Kläger wohnt in L.). In diesem Fall ist nicht erklärbar, dass der handschriftlich ausgefüllte Antrag weder die Handschrift des Klägers noch der Zeugin Sch. trägt. Zum anderen wäre denkbar, dass der Antrag im Rahmen des Beratungsgesprächs ausgefüllt worden ist. Dann müsste er aber den Eingangsstempel der Auskunfts- und Beratungsstelle Gießen tragen. Auch bliebe hier die Frage, wer den Antrag handschriftlich ausgefüllt hat.

Darüber hinaus ist im Hinblick auf den Inhalt des Beratungsgesprächs nicht vorstellbar, dass der Zeuge H. dem Kläger erklärt haben soll, im Falle der Zahlung von 36 freiwilligen Beiträgen lebe der Versicherungsschutz im Hinblick auf Erwerbsunfähigkeit bzw. Berufsunfähigkeit wieder auf. Wegen der nicht mehr zu schließenden Lücke im Versicherungsverlauf des Klägers vom Juli 1990 bis Dezember 1993 sind freiwillige Beiträge für das Wiedererlangen des Versicherungsschutzes gegen Erwerbsunfähigkeit bzw. Berufsunfähigkeit ohne Bedeutung. Hier liegt vielmehr die Annahme nahe, dass der Zeuge H., bei dem es sich um einen erfahrenen Bediensteten der Auskunfts- und Beratungsstelle der Beklagten in Gießen handelt, auf eine Pflichtversicherung auf Antrag nach § 4 Abs. 2 SGB VI für die Dauer der selbstständigen Tätigkeit des Klägers hingewiesen hat. Weiter ist nicht vorstellbar, dass der Zeuge H. die Auffassung vertreten haben soll, aufgrund der Versicherungslücke für die Zeit ab dem 1. Juli 1990 sei ein etwaiger Anspruch auf Hinterbliebenenrente der Zeugin Sch. aus der Versicherung des Klägers verloren gegangen. Insgesamt kann gerade nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass sich der Ablauf des Beratungsgesprächs so zugetragen hat, wie er von dem Kläger geschildert worden ist. Da der Kläger weitere relevante Tatsachen nicht in das Wissen der Zeugen gestellt hat und auch sonstige Ermittlungsmöglichkeiten weder von dem Kläger aufgezeigt worden noch erkennbar sind, verweist der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen ergänzend auf die von dem Sozialgericht vorgenommene ausführliche und zutreffende Beweiswürdigung, macht sich diese zu eigen und sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe insoweit ab (§ 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Der fehlende Nachweis einer Falschberatung geht zu Lasten des Klägers. Dieser trägt die objektive Beweislast für die Nachweisbarkeit der von ihm behaupteten und ihm günstigen bzw. anspruchsbegründenden Tatsachen. Im Ergebnis kann der Kläger seinen Beitragserstattungsanspruch nicht auf einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch stützen. Der Anspruch ist jedoch aufgrund wirksamer Anfechtung des Rechtsgeschäfts der freiwilligen Versicherung begründet. Der Kläger hat die der Beitragsentrichtung zugrunde liegende Erklärung vom 22. Dezember 1993 wirksam gemäß § 119 Abs. 1 BGB angefochten mit der Folge der Nichtigkeit dieser Erklärung (§ 142 Abs. 1 BGB).

Die zivilrechtlichen Vorschriften über die Willenserklärung bzw. die Anfechtung von Willenserklärungen sind zumindest entsprechend auf den Fall der Entrichtung freiwilliger Beiträge im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung anwendbar. Das ergibt sich aufgrund folgender Erwägungen: Die zwischen einem Versicherten und einem Versicherungsträger der gesetzlichen Sozialversicherung bestehenden Rechtsbeziehungen gründen sich auf ein öffentlich-rechtliches Verwaltungsrechtsverhältnis, das Sozialrechtsverhältnis. Dabei erstreckt sich das Sozialrechtsverhältnis nicht nur auf das Bestehen eines Sozialleistungsanpruches, sondern auch auf das Versicherungsverhältnis vor Eintritt des Versicherungsfalles. Es kann damit in zwei Stufen unterteilt werden, die Stufe des Beitragsrechts und die Stufe des Leistungsrechts. Das Sozialrechtsverhältnis ähnelt einem privatrechtlichen Versicherungsvertragsverhältnis und ist im Hinblick auf die zentrale Bedeutung des Leistungsanspruches einem Schuldverhältnis zwischen dem Sozialleistungsträger als Schuldner und dem Versicherten bzw. Leistungsempfänger als Gläubiger vergleichbar. Dementsprechend ist in der Literatur das Sozialrechtsverhältnis als öffentlich-rechtliches Schuldverhältnis qualifiziert worden (Bley, Sozialrecht, 4. Aufl. 1982, II 1 c, S. 58). Für die Vergleichbarkeit des Sozialrechtsverhältnisses mit einem privatrechtlichen Schuldverhältnis spricht auch der Gesichtspunkt der Dauer. Sozialleistungen sind häufig Dauerleistungen auf der Grundlage eines auf Dauer angelegten Sozialrechtsverhältnisses. Vergleichbare Konstellationen finden sich im bürgerlichen Recht abgesehen von dem bereits genannten Versicherungsvertrag z. B. auch als Unterhaltsanspruch des Familienrechts, als Leibrente im Bereich des Schuldrechts oder als auf Rente gerichteter Schadensersatzanspruch des Deliktsrechts (vgl. Bley, a.a.O., II 1 d, S. 59). Eine weitere Vergleichbarkeit ergibt sich aus der Unterscheidung zwischen Hauptpflichten und Nebenpflichten sowie aus der Gleichartigkeit dieser Pflichten. Sowohl das Sozialrechtsverhältnis als auch das zivilrechtliche Schuldverhältnis sind durch Haupt- und Nebenpflichten gekennzeichnet. So ist Hauptpflicht des Sozialleistungsträgers in aller Regel die Pflicht zur Erbringung der Leistung, während typische Nebenpflichten die Betreuungspflicht und die Pflicht zum Sozialdatenschutz sind. Vergleichbare Haupt- und Nebenpflichten bestehen auch für den privatrechtlichen Versicherer. Umgekehrt bestehen vergleichbare Haupt- und Nebenpflichten des Versicherten bzw. Leistungsempfängers einerseits und des zivilrechtlichen Versicherungsnehmers andererseits. In der Gesamtschau sind das Sozialrechtsverhältnis und das Schuldverhältnis des bürgerlichen Rechts weitgehend vergleichbar. Dies gilt in besonderem Maße für die freiwillige Rentenversicherung und eine entsprechende privatrechtliche Versicherung. Die freiwillige gesetzliche Rentenversicherung kommt im Gegensatz zur Pflichtversicherung durch einen freiwilligen Entschluss zustande und ist damit dem Abschluss eines privatrechtlichen Versicherungsvertrages vergleichbar. Weiter ist zu berücksichtigen, dass die aktuelle sozialpolitische Entwicklung auf ein Nebeneinander von gesetzlicher Rente und privatrechtlicher Rente ("Riester-Rente”) als weitere Säule der Rentenversicherung hinausläuft. Auch dieses Nebeneinander von Rechtsverhältnissen mit zwar unterschiedlichen Wurzeln im Sozialrecht einerseits und im Zivilrecht andererseits, aber mit gleicher Zielrichtung und vergleichbaren Strukturen macht anschaulich deutlich, dass die beiden Rechtsverhältnisse weitgehend ähnlich sind. Nach Auffassung des Senats ist es deshalb gerechtfertigt, die zivilrechtlichen Regeln über die Anfechtung von Willenserklärungen auf das Sozialrechtsverhältnis entsprechend anzuwenden.

Das Bundessozialgericht hat sich bislang hierzu noch nicht eindeutig geäußert. In der Entscheidung vom 17. Dezember 1980 (Az.: 12 RK 68/79) hat der 12. Senat die Frage der Irrtumsanfechtung einer Beitragsnachentrichtung gemäß § 119 BGB geprüft und das Vorliegen einer Anfechtungserklärung sowie eines beachtlichen Erklärungsirrtums verneint, ohne auch zu der Frage Stellung zu nehmen, ob die zivilrechtlichen Regeln der Irrtumsanfechtung überhaupt im Recht der Beitragsentrichtung Anwendung finden. In der Entscheidung vom 16. Dezember 1980 (Az.: 11 RA 128/79) hat der 11. Senat des Bundessozialgerichtes dies ausdrücklich offen gelassen und lediglich Bedenken gegenüber der Anwendbarkeit des § 119 BGB geäußert, indem er die Frage aufgeworfen hat, ob nicht Willenserklärungen im Verwaltungsverfahren ähnlich wie Willenserklärungen im Sozialgerichtsprozess der Irrtumsanfechtung entzogen seien, im Sonderfall der Beitragsentrichtung auch deshalb, weil der Gesetzgeber die Folgen irrtümlicher Beitragsentrichtung besonders geregelt habe (früher §§ 144 Angestelltenversicherungsgesetz - AVG - und 1422 Reichsversicherungsordnung - RVO -, jetzt § 202 SGB VI) und weil auch sonst in der Vergangenheit abgeschlossen zurückliegende Versicherungsverhältnisse im Hinblick auf eine geordnete Rechnungsführung der Versicherungsträger nicht nachträglich rückwirkend umgestaltet werden dürften. Diese Bedenken greifen letztlich nicht durch. Zunächst bestehen zwischen einem Verwaltungsverfahren und einem Sozialgerichtsverfahren derart große Unterschiede, dass es nicht sachgerecht ist, die allgemeine Meinung, wonach auf Prozesserklärungen die Vorschriften des Bürgerlichen Rechts über die Nichtigkeit und Anfechtung nicht anwendbar sind, auch auf Erklärungen des Versicherten im Verwaltungsverfahren zu übertragen. Soweit das Bundessozialgericht weiter auf die genannten Vorschriften betreffend die irrtümliche Beitragsentrichtung hingewiesen hat, ist nach der Gesetzessystematik nicht erkennbar, dass der Gesetzgeber damit eine abschließende Regelung im Hinblick auf Willensmängel bei der Beitragsentrichtung schaffen wollte. So beschränkt sich § 202 SGB VI (wie auch die Vorgängervorschriften der §§ 144 AVG und 1422 RVO) zwar auf den Fall der Entrichtung von Beiträgen in der irrtümlichen Annahme von Versicherungspflicht. Daraus kann jedoch nicht abgeleitet werden, dass damit Willensmängel, die im Bürgerlichen Recht zur Anfechtbarkeit führen, im Recht der Beitragsentrichtung abgesehen von der geregelten Fallgestaltung unbeachtlich sein sollen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber die Rechtsfolgen von Willensmängeln bei der Beitragsentrichtung nur zum Teil geregelt hat und die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit nicht gehindert sind, über den geregelten Teil hinaus weitere Regelungen im Wege der entsprechenden Anwendung zivilrechtlicher Vorschriften zu entwickeln.

Letztlich hindert auch der Gedanke an eine für die Versicherungsträger notwendige geordnete Rechnungsführung nicht die entsprechende Anwendung des § 119 BGB. Zwar führt die wirksame Anfechtung einer der Beitragsentrichtung zugrunde liegenden Erklärung zur Rückabwicklung des Rechtsgeschäftes der Beitragsentrichtung, so dass der Versicherungsträger die gezahlten Beiträge, die er als rechtswirksam angesehen und mit denen er bei seiner Finanzplanung gerechnet hat, wieder erstatten muß. Mit dieser Folge ist der Versicherungsträger jedoch nur in eng begrenzten Fällen konfrontiert. Zudem kann der Versicherungsträger ohnehin nicht damit rechnen, dass im Rahmen von Versicherungsverhältnissen gezahlte Beiträge stets auch bei ihm verbleiben. Vielmehr ist eine Beitragserstattung in den Vorschriften der §§ 202 und 210 SGB VI sowie § 26 Abs. 2 SGB IV gesetzlich vorgesehen. Darüber hinaus kann sich die Pflicht zur Beitragserstattung auch aus einem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch ergeben. Daraus folgt, dass der Versicherungsträger die Beitragserstattung nicht von vornherein ausschließen kann und dass er sich hierauf bei seiner Finanzplanung einzustellen hat.

Nach alledem davon ausgehend, dass § 119 BGB auch im Recht der Beitragsentrichtung der gesetzlichen Rentenversicherung entsprechende Anwendung findet, ist hier die Anfechtungserklärung des Klägers in der im Rahmen seiner persönlichen Vorsprache am 29. Februar 2000 abgegebenen Erklärung zu sehen, er storniere mit sofortiger Wirkung die Zahlung freiwilliger Beiträge und er beantrage die Erstattung der bislang seit 1994 gezahlten Beiträge. Zur Begründung hat der Kläger geltend gemacht, dass er die Beiträge in der irrtümlichen Annahme gezahlt habe, er halte damit seinen Versicherungsschutz im Hinblick auf Erwerbsunfähigkeit bzw. Berufsunfähigkeit aufrecht. Mithin hat der Kläger der Beklagten gegenüber zum Ausdruck gebracht, dass er an der der Beitragsentrichtung zugrunde liegenden früheren Erklärung vom 22. Dezember 1993 rückwirkend nicht mehr festhalten will. Seine Erklärung stellt deshalb eine Anfechtungserklärung im Sinne des § 143 Abs. 1 BGB dar, worauf er zutreffend hingewiesen hat. Auf die vorsorglich mit Schriftsatz vom 24. Oktober 2000 an das Sozialgericht erklärte weitere Anfechtung des Klägers kommt es deshalb nicht mehr an.

Es sind auch die Voraussetzungen für eine Irrtumsanfechtung entsprechend § 119 Abs. 1 BGB erfüllt. Danach kann, wer bei der Abgabe einer Willenserklärung über deren Inhalt im Irrtum war (1. Alternative) oder eine Erklärung dieses Inhalts überhaupt nicht abgeben wollte (2. Alternative), die Erklärung anfechten, wenn anzunehmen ist, dass er sie bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Falles nicht abgegeben haben würde. Dogmatisch sind insoweit zunächst der Inhaltsirrtum und der Erklärungsirrtum voneinander abzugrenzen.

Ein Irrtum in der Erklärungshandlung gemäß § 119 Abs. 1 2. Alt. BGB ist gegeben, wenn z.B. infolge Versprechens, Verschreibens oder Vergreifens versehentlich eine Erklärung abgegeben wird, welche mit diesem Inhalt in Wirklichkeit nicht abgegeben werden sollte. Ein solcher Fehler bei der Ausführung seines Willensentschlusses ist dem Kläger im vorliegenden Fall ganz offenkundig nicht unterlaufen. Er hat einen "Antrag auf Beitragszahlung zur Angestelltenversicherung für eine freiwillige Versicherung” gestellt, und nach seinem eigenen Vorbringen entsprach dies genau der von ihm gewollten Erklärung. Der Kläger hat bis zuletzt an seiner - aus den oben dargelegten Gründen nicht nachgewiesenen - Behauptung festgehalten, dass ihm anlässlich des Ende 1993 geführten Beratungsgespräches genau zu einer dementsprechenden Antragstellung geraten worden sei.

Der Kläger befand sich bei der Antragstellung jedoch in einem Irrtum über den Erklärungsinhalt im Sinne des § 119 Abs. 1 1. Alt. BGB. Ein solcher Inhaltsirrtum liegt vor, wenn die abgegebene Erklärung rechtlich eine andere Tragweite hat, als der Erklärende sie von seinem Willen her damit verbindet, wenn also Wille und Erklärung auseinanderfallen. Dies ist gegeben bei einem Irrtum über die Person des Erklärungsgegners (Fall 1: error in persona), wenn jemand sich über den Gegenstand des Geschäftes irrt (Fall 2: error in objecto), wenn der Erklärende sich über die Rechtsnatur des Geschäftes irrt (Fall 3: error in negotio) oder wenn er sich in einem Irrtum über die durch seine Erklärung ausgelösten Rechtswirkungen befindet (Fall 4: Rechtsfolgenirrtum). Ob ein dementsprechender Irrtum gegeben ist, lässt sich nur feststellen, wenn im konkreten Fall zunächst der Erklärungsinhalt durch Auslegung ermittelt und sodann mit dem verglichen wird, was "bei verständiger Würdigung des Falles” wirklich gewollt war. Dabei ist eine Abgrenzung vorzunehmen zu dem nicht erst anlässlich der Erklärung auftretenden, sondern bereits im vorangehenden Stadium der Willensbildung angesiedelten Irrtum im Beweggrund, der als Motivirrtum grundsätzlich unbeachtlich ist.

Im vorliegenden Fall muss bei verständiger Würdigung aller Begleitumstände davon ausgegangen werden, dass der Kläger sich anlässlich der Antragstellung in einem Rechtsfolgenirrtum gemäß § 119 Abs. 1 1. Alt. Fall 4 BGB befunden hat. Nach zivil-rechtlichen Grundsätzen ist ein solcher Rechtsfolgenirrtum regelmäßig dann beachtlich, wenn sich der Erklärende nicht lediglich über rechtliche Nebenfolgen, sondern über die unmittelbare Hauptwirkung seiner Erklärung geirrt hat (vgl. Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 60. Aufl., § 119 Rdnr. 15). Genau dies muss vorliegend in "Kenntnis der Sachlage” bejaht werden.

Der Kläger hat unwidersprochen geltend gemacht, dass er mit der zum 1. Januar 1994 beantragten "freiwilligen Versicherung” vor allem die Aufrechterhaltung des Versicherungsschutzes im Hinblick auf Erwerbsunfähigkeit oder Berufsunfähigkeit bzw. Erwerbsminderung angestrebt habe. Diese Rechtsfolge konnte der Kläger mit der Entrichtung von freiwilligen Beiträgen allerdings von Anfang an nicht erreichen. Denn es besteht eine Versicherungslücke für die Zeit vom 1. Juli 1990 bis 31. Dezember 1993, in der der Kläger als Geschäftsführer der Firma Sch. C. L. GmbH in L. nicht versicherungspflichtig war und auch keine freiwilligen Beiträge entrichtet hat. Mithin war und ist es dem Kläger nicht möglich, die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rente wegen Erwerbsminderung im Wege der lückenlosen Belegung der Zeit seit dem 1. Januar 1984 mit Anwartschaftserhaltungszeiten, zu denen auch Zeiten der Entrichtung freiwilliger Beiträge gehören, nach § 241 Abs. 2 S. 1 SGB VI zu erfüllen. Vielmehr kann die Lücke vom 1. Juli 1990 bis 31. Dezember 1993 nicht mehr geschlossen werden. Für den Kläger bestand deshalb im Januar 1994 lediglich die Möglichkeit, die Voraussetzung von drei Jahren Pflichtbeitragszeiten innerhalb der letzten fünf Jahre vor Eintritt der Erwerbsminderung durch Entrichtung von 36 neuen Pflichtbeiträgen zu erfüllen (§ 43 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB VI). Mit der von dem Kläger aufgenommenen freiwilligen Versicherung war dies demgegenüber gerade nicht zu erreichen. Insoweit hat sich der Kläger über die Rechtsfolgen der freiwilligen Versicherung geirrt.

Es handelt sich dabei nicht lediglich um eine Nebenfolge, sondern um eine wesentliche Wirkung des Rechtsgeschäfts. Zwar beinhaltet eine Rentenversicherung zunächst die Sicherstellung der Versorgung im Alter. Über die Gewährung von Altersrenten hinaus ist jedoch gleichwertiger Bestandteil die Gewährung von Versicherungsschutz für den Fall der Erwerbsunfähigkeit oder Berufsunfähigkeit bzw. Erwerbsminderung. Bereits dies rechtfertigt die Annahme, dass es sich bei einem Irrtum über den Versicherungsschutz im Hinblick auf den Eintritt einer Erwerbsminderung nicht um einen Irrtum über lediglich rechtliche Nebenfolgen handelt. Darüber hinaus hat der Kläger glaubhaft und unwidersprochen vorgetragen, dass er mit der Aufnahme der freiwilligen Versicherung vornehmlich diesen Versicherungsschutz angestrebt hat und dass es ihm weniger um die Altersvorsorge gegangen sei, weil er insoweit bereits private Vorsorge getroffen gehabt habe. Dies ist auch angesichts der Gesamtumstände nicht in Zweifel zu ziehen. Ausweislich seines Versicherungsverlaufes hat der Kläger in der Zeit vom 1. Januar 1994 bis 29. Februar 2000 freiwillige Beiträge lediglich in der Mindesthöhe entrichtet. Erkennbar hat er damit lückenlos möglichst viele Monate belegen wollen. Dies entspricht seiner irrigen Annahme, dass er im Falle der Zahlung von mindestens 36 freiwilligen Beiträge seinen Versicherungsschutz im Hinblick auf den Eintritt von Erwerbsminderung wiedererlangen könne. Wäre es dem Kläger lediglich um die Erhöhung der Rentenanwartschaft gegangen, so hätte er höhere Beträge entrichtet, denn die Höhe der von ihm tatsächlich gezahlten Beiträge führt nicht zu einer signifikanten Erhöhung der Bemessungsgrundlage. Darüber hinaus wäre die Erhöhung der Rentenanwartschaft auch durch eine entsprechende Einmalzahlung am Jahresende möglich gewesen. Hierzu hätte es einer Beitragszahlung Monat für Monat nicht bedurft.

Nach alledem ist der Irrtum des Klägers auf der Ebene der Erklärung aufgetreten und nicht bereits dem Stadium der Willensbildung anzusiedeln. Ein unbeachtlicher Irrtum im Beweggrund bzw. Motivirrtum liegt mithin nicht vor. Vielmehr steht zur Überzeugung des Senats fest, dass sich der Kläger über den Umfang des Versicherungsschutzes geirrt hat und dieser (Rechtsfolgen-) Irrtum auch eine wesentliche Wirkung des Rechtsgeschäfts betrifft. Weiter steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Kläger bei Kenntnis der Sach- und Rechtslage die der freiwilligen Versicherung zugrunde liegende Willenserklärung nicht abgegeben hätte, mithin der Irrtum für die Abgabe der Erklärung ursächlich war. Dies gilt auch unter der Prämisse einer verständigen Würdigung des Falles, wie sie § 119 Abs. 1 BGB fordert. Dem Kläger ging, es, wie ausgeführt, vorrangig um den Versicherungsschutz im Hinblick auf eine Erwerbsminderung. Die aufgenommene freiwillige Versicherung hat jedoch lediglich (geringfügigen) Einfluss auf die Höhe einer Altersrente. Dementsprechend ist nicht zweifelhaft, dass der Kläger freiwillige Beiträge nicht entrichtet hätte, wenn er die Rechtsfolgen gekannt hätte.

Nach alledem sind die Voraussetzungen für die Irrtumsanfechtung nach § 119 Abs. 1 BGB erfüllt, so dass der Kläger am 29. Februar 2000 eine wirksame Anfechtungserklärung der Beklagten gegenüber abgegeben hat. Der Kläger hat auch die Anfechtungsfrist des § 121 Abs. 1 S. 1 BGB eingehalten. Danach muss die Anfechtung wegen Irrtums ohne schuldhaftes Zögern (unverzüglich) erfolgen, nachdem der Anfechtungsberechtigte von dem Anfechtungsgrund Kenntnis erlangt hat. Der Kläger hat glaubhaft und unwidersprochen vorgetragen, dass er im Rahmen des Beratungsgesprächs in der Auskunfts- und Beratungsstelle der Beklagten in Gießen am 29. Februar 2000 erstmals von der zutreffenden Rechtslage Kenntnis erlangt habe. Noch in diesem Gespräch hat der Kläger seine als Anfechtung zu wertende Erklärung zu Protokoll gegeben. Er ist damit unverzüglich, wie es die gesetzliche Vorschrift verlangt, tätig geworden.

Als Rechtsfolge der Anfechtung ist das angefochtene Rechtsgeschäft von Anfang an nichtig (§ 142 Abs. 1 BGB). Das bedeutet, dass wegen der Unwirksamkeit der der Beitragsentrichtung zugrunde liegenden Willenserklärung des Klägers vom 22. Dezember 1993 die seit dem 1. Januar 1994 gezahlten freiwilligen Beiträge zu Unrecht entrichtet worden sind. Die Beiträge sind mithin nach § 26 Abs. 2 SGB IV an den Kläger als Gläubiger des Erstattungsanspruchs zu erstatten. Hier steht auch nicht die Verfallklausel entgegen, wonach die Beiträge nicht zu erstatten sind, wenn der Versicherungsträger aufgrund der Beiträge oder für einen Zeitraum, für den die Beiträge entrichtet sind, Leistungen bereits erbracht hat. Hinweise auf derartige Leistungen können der Aktenlage nicht entnommen werden und sind von der Beklagten auch nicht geltend gemacht worden.

Nach alledem war das angefochtene Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 20. September 2001 aufzuheben. Die Beklagte war unter Aufhebung des Bescheides vom 20. März 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. August 2000 zu verurteilen, die von dem Kläger für die Zeit vom 1. Januar 1994 bis 29. Februar 2000 gezahlten freiwilligen Beiträge zu erstatten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision zugelassen, weil grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zu bejahen ist. Insofern liegt noch keine gesicherte höchstrichterliche Rechtsprechung zur Frage der Anwendbarkeit der zivilrechtlichen Irrtumsregeln auf das Rechtsgeschäft der Entrichtung freiwilliger Beiträge vor. Vielmehr hat das Bundessozialgericht diese Frage - wie ausgeführt - bislang offen gelassen (vgl. Urteil vom 16. Dezember 1980, Az.: 11 RA 128/79).
Rechtskraft
Aus
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