L 13 B 98/00 RJ

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 1 RJ 1140/97
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 13 B 98/00 RJ
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Darmstadt vom 20. November 2000 wird zurückgewiesen.

Gründe:

Die Beschwerde ist zulässig; sie ist form- und fristgerecht eingelegt sowie an sich statthaft (vgl. §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz - SGG).

Die Beschwerde ist jedoch sachlich nicht begründet. Der Beschluss des Sozialgerichts Darmstadt vom 20. November 2000 ist zu Recht ergangen. Die Beklagte hat der Klägerin die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen notwendigen Aufwendungen des Klageverfahrens zur Hälfte zu erstatten. Kosten des Vorverfahrens sind von der Beklagten nicht zu erstatten.

Nach § 193 Abs. 1 SGG hat das Gericht im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Es entscheidet gemäß § 193 Abs. 1 2. Halbsatz SGG auf Antrag durch Beschluss, wenn das Verfahren anders beendet wird.

Bei der Kostenentscheidung nach § 193 Abs. 1 SGG entscheidet das Gericht nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, § 193 Rdnr. 13). Für die Entscheidung über die Kosten sind neben den Erfolgsaussichten der Klage auch die Gründe für die Einlegung des Rechtsmittels und dessen Erledigung zu prüfen (vgl. Meyer-Ladewig, a.a.O.). Im Rahmen der Kostenentscheidung nach § 193 Abs. 1 2. Halbsatz SGG sind alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen, wobei neben dem mutmaßlichen Verfahrensausgang (vgl. § 93 ZPO) auch das sog. Veranlassungsprinzip zu beachten ist, das bei der Kostenentscheidung das Verschulden einbezieht, das einen Beteiligten an der Entstehung eines Prozesses trifft (vgl. Meyer-Ladewig, a.a.O.). Andererseits hat ein Beteiligter bei Änderung der Sachlage nach Erlass des Verwaltungsaktes keine Kosten zu tragen, wenn er dem sofort Rechnung trägt (vgl. Meyer-Ladewig, a.a.O., § 193 Rdnr. 12). Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze und des Prozessverlaufs im erstinstanzlichen Verfahren hat die Beklagte die Kosten des Klageverfahrens zur Hälfte zu tragen. Außergerichtliche Kosten des Widerspruchsverfahrens können der Beklagten nicht - auch nicht zur Hälfte - auferlegt werden.

Vorliegend beantragte die Klägerin am 21. Juni 1996 die Gewährung von Rente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit. Dieser Antrag wurde nach Einholung eines Gutachtens des Internisten Sch. vom 1. November 1996 durch Bescheid vom 13. November 1996 mit der Begründung abgelehnt, mit dem noch vorhandenen Leistungsvermögen könne die Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Arbeiten vollschichtig ausüben. Nach Vorlage von Befundunterlagen und Einholung einer Stellungnahme des Internisten Sch. vom 11. März 1997 wurde der Widerspruch der Klägerin durch Widerspruchsbescheid vom 26. Mai 1997 zurückgewiesen. Nach Klageerhebung am 19. Juni 1997 und Vorlage einer Stellungnahme des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. W. vom 22. Februar 1999 wurde auf Antrag der Klägerin nach § 109 SGG ein nervenärztliches Gutachten bei Dr. B. eingeholt, der nach ambulanter Untersuchung der Klägerin am 13. Dezember 1999 im Gutachten vom 16. Dezember 1999 eine schwer ausgeprägte, mehrdimensionale (ängstlich-zwanghaft-dysthym-somatoforme) psychosomatische ("neurotische") Störung diagnostizierte und der Klägerin eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit nicht mehr zumutete. Unter Hinweis auf die Stellungnahme von Dr. W. vom 22. Februar 1999 empfahl der Sachverständige, seine Beurteilung ab dem Zeitpunkt der erstmaligen Untersuchung durch Dr. W. zugrunde zu legen. Nach Auswertung des Sachverständigengutachtens unterbreitete die Beklagte mit Schriftsatz vom 15. März 2000 ein Vergleichsangebot dahin, dass das Vorliegen von Erwerbsunfähigkeit im Sinne von § 44 Sozialgesetzbuch - Sechstes Buch (SGB VI) seit dem 15. Dezember 1997 anerkannt und Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab 1. Januar 1998 gewährt werde. Unter Ziffer 3 dieses Vergleichsangebots erklärte sich die Beklagte bereit, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen notwendigen außergerichtlichen Kosten im Sinne des § 193 SGG für das Klageverfahren zur Hälfte zu erstatten. Mit Schriftsatz vom 11. April 2000 hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin erklärt, das Vergleichsangebot der Beklagten aus dem Schriftsatz vom 15. März 2000 werde für die Klägerin angenommen. Diese Erklärung beinhaltet aber nach dem eindeutigen Wortlaut auch die Annahme des Vergleichsangebots der Beklagten im Kostenpunkt. Die weitere Erklärung im Schriftsatz vom 11. April 2000, die Beklagte sollte den Kostenvorschlag (Ziffer 3) im Hinblick auf das Prozessergebnis überdenken, hat angesichts der uneingeschränkten Annahme des Vergleichsangebots demgegenüber keine besondere rechtliche Bedeutung. Diese Formulierung stellt lediglich eine Anregung an die Beklagte dar, den Kostenvorschlag zu überprüfen und gegebenenfalls zu erweitern. Nach dem Wortlaut der Formulierung im Schriftsatz vom 11. April 2000 handelt es sich nicht etwa um die Ablehnung des Vergleichsvorschlags der Beklagten verbunden mit einem neuen Angebot im Kostenpunkt. Mit diesem am 12. April 2000 zustande gekommenen außergerichtlichen Vergleich ist auch eine bindende Kostenregelung dahin getroffen worden, dass die Beklagte der Klägerin deren außergerichtliche Kosten des Klageverfahrens zur Hälfte zu erstatten hat. Kosten des Vorverfahrens sind danach nicht von der Beklagten zu übernehmen. Das Angebot der Beklagten im Kostenpunkt ist unter angemessener Berücksichtigung des Sach- und Streitstandes im Zeitpunkt des Vergleichsangebots nach sachgemäßem Ermessen abgegeben worden. Die Klägerin begehrte aufgrund der Antragstellung vom 21. Juni 1996 Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit ab 1. Juli 1996. Nach Einholung des nervenärztlichen Sachverständigengutachtens von Dr. B. vom 16. Dezember 1999 hat die Beklagte das Vergleichsangebot vom 15. März 2000 abgegeben und dabei der Aussage des Sachverständigen zum Zeitpunkt seiner sozialmedizinischen Beurteilung (Seite 31 des Gutachtens) Rechnung getragen. Der Sachverständige Dr. B. hat zur Begründung seiner rückwirkenden Beurteilung auf die Stellungnahme von Dr. W. vom 22. Februar 1999 verwiesen, derzufolge sich die Klägerin erstmals am 15. Dezember 1997 bei diesem Arzt bei der Diagnose einer so

matoformen Depression vorgestellt hat. Für den davor liegenden Zeitraum hat der Sachverständige Dr. B. auf das Fehlen entsprechender nervenärztlicher Befundberichte hingewiesen. Im Hinblick auf den fehlenden Nachweis einer bedeutsamen Einschränkung der objektiven Leistungsfähigkeit für den Zeitraum vor dem 15. Dezember 1997 muss das Vergleichsangebot der Beklagten als sachgerecht eingeordnet werden. Nach dem Sach- und Streitstand im Zeitpunkt des Vergleichsangebots ist der Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit erst während des Klageverfahrens am 15. Dezember 1997 nachgewiesen worden. Entsprechend dem außergerichtlichen Vergleich ist danach Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab 1. Januar 1998 zu gewähren. Im Hinblick auf den Nachweis des Versicherungsfalls erst am 15. Dezember 1997 ist das Klageverfahren nur teilweise erfolgreich gewesen. Unter Berücksichtigung der Antragstellung und des Nachweises des Versicherungsfalls kann nicht zweifelhaft sein, dass das Widerspruchsverfahren insgesamt erfolglos geblieben ist. Der Beklagten können danach Kosten für das Vorverfahren nicht auferlegt werden. Dem steht neben dem Sach- und Streitstand im Zeitpunkt des Vergleichsangebotes vor allem auch die infolge uneingeschränkter Annahme bindende Kostenregelung des außergerichtlichen Vergleichs entgegen. Im Gegensatz zur Auffassung der Klägerin können Vorverfahren und gerichtliches Verfahren nicht als Einheit angesehen werden. Zwar setzt die Zulässigkeit einer Anfechtungs- und Leistungsklage zwingend ein Vorverfahren voraus (vgl. § 78 SGG). Das fakultative Vorverfahren nach § 78 Abs. 2 ist durch den Einigungsvertrag mit Wirkung vom 3. Oktober 1990 gestrichen worden. Das Vorverfahren ist aber ein besonderes Verwaltungsverfahren, das sich an den mit Erlass des Verwaltungsaktes beendeten ersten Teil des Verwaltungsverfahrens anschließt (vgl. Meyer-Ladewig, a.a.O., vor § 77 Rdnr. 4). Eine Kostenregelung zum Klageverfahren erfasst danach zweifelsfrei nicht auch eine Kostenübernahme für das Vorverfahren. Demgemäß hat die Beklagte der Klägerin keine Kosten des Vorverfahrens - auch nicht teilweise - zu erstatten.

Danach war die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Darmstadt vom 20. November 2000 als unbegründet zurückzuweisen.

Dieser Beschluss kann gemäß § 177 SGG mit der Beschwerde nicht angefochten werden.
Rechtskraft
Aus
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