Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 13 RA 3793/98
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 2 RA 1502/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 4 RA 6/02 R
Datum
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 31. August 2000 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin berechtigt ist, auf die Einbeziehung von Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung bei der Rentenberechnung zu verzichten.
Die 1953 geborene Klägerin beantragte im Januar 1997 bei der Beklagten die Gewährung von Rente wegen Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit. Daneben legte die Klägerin der Beklagten einen Antrag auf Feststellung von Kindererziehungszeiten/Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung für die am 20. Februar 1984 geborene Tochter S. bei. Hierbei verneinte sie die Fragen danach, ob Kindererziehungszeiten dem Vater zugeordnet werden sollten. Mit Bescheid vom 26. März 1997 bewilligte die Beklagte der Klägerin Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab 1. November 1996. Bei der Rentenberechnung legte die Beklagte Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung in dem Zeitraum vom 1. Februar 1984 bis 28. Februar 1994 zugrunde. Mit ihrem hiergegen gerichteten Widerspruch machte die Klägerin geltend, bei einer Probeberechnung habe sich herausgestellt, dass sich die Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung negativ auswirkten und die Höhe der Rente beeinträchtigten. Sie bitte um Prüfung, ob ein Verzicht auf diese Zeit möglich sei. Mit Bescheid vom 30. September 1998 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Ein Verzicht auf rentenrechtlich bedeutsame Tatbestände sei nicht möglich. Insbesondere sei ein Verzicht auf Berechnungselemente der Rente unwirksam bzw. unzulässig. Hierin läge ein Verstoß gegen die Bestimmungen der Rentenversicherungsgesetze, die zwingend vorschreiben würden, wie und welche Beiträge und Zeiten bei der Rentenberechnung zu berücksichtigen seien.
Gegen den Widerspruchsbescheid erhob die Klägerin am 21. Oktober 1998 Klage vor dem Sozialgericht Frankfurt am Main. Sie machte geltend, bedingt durch die Anrechnung einer Berücksichtigungszeit komme es zu einer Rentenminderung. Dies könne nicht Sinn und Zweck einer Leistung des Familienlastenausgleichs sein. Deshalb müsse sie unbeschadet von § 46 Sozialgesetzbuch I (SGB I) auf die Anerkennung der Berücksichtigungszeiten verzichten können. Außerdem habe sie am 9. Dezember 1996 bei der Auskunfts- und Beratungsstelle der Beklagten vorgesprochen. Bei dieser Besprechung sei eine Probeberechnung durchgeführt worden, die mit einer monatlichen Rentenanwartschaft in Höhe von 1.871,34 DM geendet habe, bezogen auf einen Versicherungsfall am 9. Dezember 1996. Hier habe ihr der Sachbearbeiter der Beklagten auch empfohlen, die Anerkennung von Berücksichtigungszeiten zu beantragen, da sich dadurch noch eine Rentenerhöhung ergeben könne, ohne dass er genau angeben könne, in welchem Umfang. Daraufhin habe sie den Rentenantrag und den Antrag auf Anerkennung von Berücksichtigungszeiten gestellt. Der Rentenbescheid habe jedoch eine monatliche Rente in Höhe von 1.732,- DM ergeben. Im April 1997 sei eine erneute Probeberechnung vorgenommen worden, und zwar mit dem vollständigen Versicherungsverlauf und ohne Berücksichtigungszeiten. Hier habe sich ergeben, dass die Rente ohne Berücksichtigungszeit um rund 50,- DM höher liege. Ohne Empfehlung des Beraters bei der Auskunfts- und Beratungsstelle hätte sie die Anerkennung von Berücksichtigungszeiten nicht beantragt. Sie sei deshalb so zu stellen, als ob sie den Antrag nicht gestellt habe. Die Klägerin legte eine Probeberechnung vom 22. April 1997 vor.
Die Beklagte hielt den Widerspruchsbescheid weiterhin für zutreffend. Aus der Sicht der Beklagten liege auch keine fehlerhafte Beratung vor. Die Beklagte legte eine Stellungnahme des Beraters von der Auskunfts- und Beratungsstelle der Beklagten in Frankfurt am Main, F., vom 31. Mai 1999 vor, außerdem Probeberechnungen vom 7. August 2000.
Mit Urteil vom 31. August 2000 änderte das Sozialgericht den Bescheid der Beklagten vom 26. März 1997 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. September 1998 und verpflichtete die Beklagte, die Rentenleistung der Klägerin ohne Berücksichtigungszeit für Kindererziehung festzustellen. Zur Begründung seiner Entscheidung führte das Sozialgericht im Wesentlichen aus, die Beklagte sei verpflichtet, die Rentenleistung der Klägerin ohne Anrechnung einer Berücksichtigungszeit zu gewähren. Die Berücksichtigungszeit wegen Kindererziehung habe im Falle der Klägerin zu einer Minderung der Rentenleistung geführt. Diese Minderung sei bewirkt worden durch das Hinzutreten weiterer beitragsgeminderter Zeiten, die ein Absinken des Durchschnittswertes für die Gesamtleistungsbewertung hervorriefen. Dies sei eine vom Gesetzgeber so nicht gewollte Folge. Vielmehr sei mit der Anerkennung von Kindererziehungszeiten und Kinderberücksichtigungszeiten eine Besserstellung und keine Verschlechterung von kindererziehenden Leistungsberechtigten beabsichtigt gewesen. Die Kammer selbst sei nicht befugt, in das gesetzlich festgelegte Rechenwerk der Rentenberechnung einzugreifen. Sie sehe es jedoch als geboten an, dieses Rechenwerk verfassungskonform auf den Fall der Klägerin so anzuwenden, dass ihr die Rücknahme des Antrags auf Anerkennung der Kinderberücksichtigungszeit als Einzelfall zuzugestehen sei. Grundsätzlich stehe dem Versicherten kein Dispositionsrecht über die Anerkennung von ihm zurückgelegter rentenrechtlicher Zeiten zu, ebenso wenig könne er im Einzelfall auf Leistungsansprüche aus Elementen der Rentenberechnung verzichten. Dies sei im Falle der Klägerin jedoch nicht so. Die Anerkennung der Kinderberücksichtigungszeit bewirke hier eine schlichte Benachteiligung der Klägerin, die nach dem Willen des Gesetzgebers so nicht habe entstehen sollen.
Mit ihrer am 5. Dezember 2000 eingelegten Berufung richtet sich die Beklagte gegen das ihr am 6. November 2000 zugestellte Urteil. Nach Auffassung der Beklagten steht der Klägerin bezüglich der anerkannten Berücksichtigungszeit wegen Kindererziehung kein Dispositionsrecht zu. Sie sei nicht berechtigt, auf für sie ungünstige Berechnungsmerkmale zu verzichten. Ein solcher Verzicht sei im Gesetz nicht vorgesehen und nicht zulässig. Es sei nicht gestattet, sich die Berechnungsfaktoren der Rente herauszusuchen. Diese Auffassung verstoße auch weder gegen sozialversicherungsrechtliche Grundsätze noch gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz. Für eine verfassungskonforme Auslegung sei kein Raum. Auch werde vom Sozialgericht nicht dargelegt, inwieweit das Sozialgericht vorliegend einen Einzelfall als begründet ansehe, der eine Abweichung von den im Übrigen vom Sozialgericht anerkannten Grundsätzen der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts rechtfertigen könne. Eine Übertragung der Berücksichtigungszeiten vom 1. März 1985 bis 28. Februar 1994 und vom 1. bis 28. Februar 1984 auf den Vater sei zum Zeitpunkt der Beratung im Dezember 1996 noch durch gemeinsame Erklärung möglich gewesen. Die durch den Bediensteten F. erfolgte Beratung sei nicht fehlerhaft gewesen, da eine Beratungspflicht des Rentenversicherungsträgers, insbesondere die Verpflichtung zu Optimierungsberechnungen zur fakultativen Berücksichtigung bestimmter rentenrechtlicher Zeiten, nicht bestehe.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 31. August 2000 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend. Hierzu legt die Klägerin in Kopie ein Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 22. März 2000 (Az.: S 5 RA 22/99) vor.
Wegen der Einzelheiten im Übrigen wird auf die Gerichts- und Rentenakten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig und auch sachlich begründet.
Das Sozialgericht hat die Beklagte zu Unrecht verurteilt, die zugunsten der Klägerin anerkannten Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung bei der Rentenberechnung unbeachtet zu lassen.
Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass die Beklagte die mit Bescheid vom 26. März 1997 bewilligte Rente wegen Erwerbsunfähigkeit entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen berechnet hat. Die sich durch die Zugrundelegung von Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung ergebende Rentenminderung kann nicht dadurch korrigiert werden, dass die Berücksichtigungszeiten aus der Rentenberechnung herausgenommen werden. Zwar sollen Berücksichtigungszeiten rentenrechtliche Nachteile für den Versicherten verhindern, der aus Gründen der Kindererziehung vorübergehend keine Beiträge entrichten kann (vgl. Bundestagsdrucksache 11/4124, S. 166). Die Berücksichtigungszeiten sollen eine höhere Bewertung von beitragsfreien und beitragsgeminderten Zeiten bei der Gesamtleistungsbewertung bewirken. Diese Folge ist bei der Rentenberechnung der Klägerin allerdings nicht eingetreten. Vielmehr bewirken die Berücksichtigungszeiten im Falle der Klägerin eine Rentenminderung. Für die Rentenberechnung sind Entgeltpunkte zu ermitteln nach Maßgabe der §§ 70 ff. SGB VI. Dabei findet sich die Regelung über die Feststellung von Entgeltpunkten für beitragsfreie und beitragsgeminderte Zeiten (Gesamtleistungsbewertung) in § 71 SGB VI. Bei der Gesamtleistungsbewertung ist zunächst eine Grundbewertung nach § 72 SGB VI durchzuführen. Anschließend hat eine Vergleichsberechnung nach § 73 SGB VI zu erfolgen, wonach dann der höhere Wert maßgebend ist. Im Falle der Klägerin ist unter Einbeziehung von Berücksichtigungszeiten eine Rentenminderung dadurch entstanden, dass bei der Ermittlung der belegungsfähigen Kalendermonate 278 Monate für die Grundbewertung nach § 71 SGB VI maßgebend sind und sich im Rahmen der Vergleichsbewertung nach § 73 SGB VI infolgedessen 222 Monate errechnet haben, auf die die Entgeltpunkte aus ausschließlich vollwertigen Beiträgen und Berücksichtigungszeiten zu verteilen sind. Dagegen hätten die errechneten Entgeltpunkte ohne Berücksichtigungszeiten auf lediglich 185 Monate verteilt werden müssen, wodurch sich eine höhere Entgeltpunktzahl ergeben hätte. Gleichwohl besteht keine rechtliche Möglichkeit, die Berücksichtigungszeit aus der Rentenberechnung im Falle der Klägerin herauszunehmen. Die Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung sind ein Berechnungselement der Rente. Ein Verzicht hierauf ist nicht möglich, auch nicht im Hinblick darauf, dass sich die Berücksichtigungszeiten rentensteigernd auswirken sollen, denn die Vorschriften zur Rentenberechnung enthalten keine Regelung, wonach möglicherweise im Einzelfall auftretende ungünstige Auswirkungen von Berücksichtigungszeiten ausgeschlossen werden. Auch über die sog. verfassungskonforme Auslegung kann für die Klägerin kein günstigeres Ergebnis herbeigeführt werden, denn die Voraussetzungen für eine verfassungskonforme Auslegung sind nicht gegeben. Nur wenn eine Norm mehrere Auslegungen zulässt, die teilweise zu einem verfassungswidrigen, teils zu einem verfassungsmäßigen Ergebnis führen, muss verfassungskonform ausgelegt werden. Von mehreren Auslegungsmöglichkeiten einer Bestimmung ist diejenige auszuschließen, die der Verfassung zuwiderläuft. Dabei findet die verfassungskonforme Auslegung ihre Grenze in dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes. Jede verfassungskonforme Auslegung endet dort, wo sie mit dem Wortlaut und dem klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers in Widerspruch treten würde. Auch wenn eine verfassungskonforme Auslegung dazu führen würde, an die Stelle einer gesetzlichen Vorschrift inhaltlich eine andere Vorschrift zu setzen, würde damit die Grenze der Gerichtsbarkeit überschritten und ein Akt der Rechtsetzung vorgenommen, der nur dem Gesetzgeber zukommt (Leibholz-Rink-Hesselberger, Grundgesetz, Kommentar anhand der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Einführung Rand Nr. 13 ff. m.w.H.). Die Vorschriften der §§ 70 ff. SGB VI geben allerdings keinen Anlass zu einer teils verfassungsgemäßen, teils verfassungswidrigen Auslegung bezüglich der Einbeziehung von Berücksichtigungszeiten bei der Rentenberechnung. Die Begründung des Rechts zur Herausnahme einzelner Be rechnungselemente, die sich auf die Rentenberechnung ungünstig auswirken, würde eine Änderung der Gesetze bedeuten, die der Gerichtsbarkeit nicht zusteht. Auch das Gebot des sozialen Rechtsstaates in Art. 20 des Grundgesetzes, das in besonderem Maße auf einen Ausgleich sozialer Ungleichheit zwischen den Menschen ausgerichtet ist und in erster Linie der Erhaltung und Sicherheit der menschlichen Würde dient, lässt es vorliegend nicht zu, dass die Berücksichtigungszeiten bei der Rentenberechnung herausgenommen werden. Der Verfassungsgrundsatz des Gebotes des sozialen Rechtsstaates darf nicht dahin ausgelegt werden, dass mit seiner Hilfe die Einzelregelung, deren Anwendung in bestimmten Fällen zu Härten oder Unbilligkeiten führt, modifiziert werden könnte (BVerfGE 26, 61; 67, 239). Dem Sozialstaatsgebot ist mit der Einführung von Berücksichtigungszeiten bei der gesetzlichen Rentenversicherung Rechnung getragen worden. Die vorliegend eingetretene negative Folgewirkung begründet nicht die Notwendigkeit zu einer geänderten Handhabung der Vorschriften.
Entgegen der Auffassung der Klägerin begründet auch der sog. sozialrechtliche Herstellungsanspruch keinen Anspruch darauf, dass die Berücksichtigungszeiten bei der Rentenberechnung außer Acht gelassen werden. Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch setzt ein rechtswidriges Verhalten des Sozialleistungsträgers voraus, das in einer mangelnden oder fehlerhaften Beratung liegen kann. Von der Klägerin wird eine fehlerhafte Beratung der Beklagten darin gesehen, dass sie durch die Beratung des Bediensteten F. dazu veranlasst worden ist, auch die Berücksichtigungszeiten bei der Rentenberechnung geltend zu machen. Die Beratung des Bediensteten F. dahingehend, dass die Klägerin auch die Berücksichtungszeiten wegen Kindererziehung geltend machen solle, ist jedoch kein rechtswidriges Verhalten. Denn grundsätzlich hat die Rentenberechnung aus allen rentenrechtlich bedeutsamen Tatbeständen zu erfolgen. Die Aufforderung zum Verschweigen einzelner Berechnungselemente ist nicht von der Beratungspflicht umfasst. Fraglich ist vorliegend allein, ob genügend ermittelt worden ist, ob die Berücksichtigungszeiten gegebenenfalls günstigerweise dem Vater zugeordnet hätten werden sollen. Hier steht jedoch einmal der Inhalt des Beratungsgespräches nicht fest, wie der Bedienstete der Beklagten F. in seiner schriftlichen Erklärung vom 31. Mai 1999 dargelegt hat. Zum anderen ist nicht sicher, ob bei der Beratung ersichtlich eine Zuordnung der Berücksichtigungszeiten zum Vater die sinnvollere Gestaltung gewesen wäre im Hinblick auf den möglichen Versicherungsverlauf des Vaters, zumal der Eintritt der Rentenminderung bei der Rentenberechnung der Klägerin nicht offensichtlich war.
Die Anerkennung und Anrechnung von Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung ist zudem nicht von einem Antrag abhängig, so dass dieser auch nicht zurückgenommen werden kann. Nur die Gewährung von Sozialleistungen ist von der Antragstellung abhängig (§ 115 Abs. 1 SGB VI, § 16 Abs. 1 SGB I), nicht dagegen die Ermittlung und Feststellung einzelner Berechnungselemente der Sozialleistung.
Nach alledem konnte die erstinstanzliche Entscheidung nicht aufrechterhalten werden. Das angefochtene Urteil war aufzuheben und die Klage abzuweisen
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Der Senat hat die Revision aus den Gründen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin berechtigt ist, auf die Einbeziehung von Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung bei der Rentenberechnung zu verzichten.
Die 1953 geborene Klägerin beantragte im Januar 1997 bei der Beklagten die Gewährung von Rente wegen Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit. Daneben legte die Klägerin der Beklagten einen Antrag auf Feststellung von Kindererziehungszeiten/Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung für die am 20. Februar 1984 geborene Tochter S. bei. Hierbei verneinte sie die Fragen danach, ob Kindererziehungszeiten dem Vater zugeordnet werden sollten. Mit Bescheid vom 26. März 1997 bewilligte die Beklagte der Klägerin Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab 1. November 1996. Bei der Rentenberechnung legte die Beklagte Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung in dem Zeitraum vom 1. Februar 1984 bis 28. Februar 1994 zugrunde. Mit ihrem hiergegen gerichteten Widerspruch machte die Klägerin geltend, bei einer Probeberechnung habe sich herausgestellt, dass sich die Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung negativ auswirkten und die Höhe der Rente beeinträchtigten. Sie bitte um Prüfung, ob ein Verzicht auf diese Zeit möglich sei. Mit Bescheid vom 30. September 1998 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Ein Verzicht auf rentenrechtlich bedeutsame Tatbestände sei nicht möglich. Insbesondere sei ein Verzicht auf Berechnungselemente der Rente unwirksam bzw. unzulässig. Hierin läge ein Verstoß gegen die Bestimmungen der Rentenversicherungsgesetze, die zwingend vorschreiben würden, wie und welche Beiträge und Zeiten bei der Rentenberechnung zu berücksichtigen seien.
Gegen den Widerspruchsbescheid erhob die Klägerin am 21. Oktober 1998 Klage vor dem Sozialgericht Frankfurt am Main. Sie machte geltend, bedingt durch die Anrechnung einer Berücksichtigungszeit komme es zu einer Rentenminderung. Dies könne nicht Sinn und Zweck einer Leistung des Familienlastenausgleichs sein. Deshalb müsse sie unbeschadet von § 46 Sozialgesetzbuch I (SGB I) auf die Anerkennung der Berücksichtigungszeiten verzichten können. Außerdem habe sie am 9. Dezember 1996 bei der Auskunfts- und Beratungsstelle der Beklagten vorgesprochen. Bei dieser Besprechung sei eine Probeberechnung durchgeführt worden, die mit einer monatlichen Rentenanwartschaft in Höhe von 1.871,34 DM geendet habe, bezogen auf einen Versicherungsfall am 9. Dezember 1996. Hier habe ihr der Sachbearbeiter der Beklagten auch empfohlen, die Anerkennung von Berücksichtigungszeiten zu beantragen, da sich dadurch noch eine Rentenerhöhung ergeben könne, ohne dass er genau angeben könne, in welchem Umfang. Daraufhin habe sie den Rentenantrag und den Antrag auf Anerkennung von Berücksichtigungszeiten gestellt. Der Rentenbescheid habe jedoch eine monatliche Rente in Höhe von 1.732,- DM ergeben. Im April 1997 sei eine erneute Probeberechnung vorgenommen worden, und zwar mit dem vollständigen Versicherungsverlauf und ohne Berücksichtigungszeiten. Hier habe sich ergeben, dass die Rente ohne Berücksichtigungszeit um rund 50,- DM höher liege. Ohne Empfehlung des Beraters bei der Auskunfts- und Beratungsstelle hätte sie die Anerkennung von Berücksichtigungszeiten nicht beantragt. Sie sei deshalb so zu stellen, als ob sie den Antrag nicht gestellt habe. Die Klägerin legte eine Probeberechnung vom 22. April 1997 vor.
Die Beklagte hielt den Widerspruchsbescheid weiterhin für zutreffend. Aus der Sicht der Beklagten liege auch keine fehlerhafte Beratung vor. Die Beklagte legte eine Stellungnahme des Beraters von der Auskunfts- und Beratungsstelle der Beklagten in Frankfurt am Main, F., vom 31. Mai 1999 vor, außerdem Probeberechnungen vom 7. August 2000.
Mit Urteil vom 31. August 2000 änderte das Sozialgericht den Bescheid der Beklagten vom 26. März 1997 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. September 1998 und verpflichtete die Beklagte, die Rentenleistung der Klägerin ohne Berücksichtigungszeit für Kindererziehung festzustellen. Zur Begründung seiner Entscheidung führte das Sozialgericht im Wesentlichen aus, die Beklagte sei verpflichtet, die Rentenleistung der Klägerin ohne Anrechnung einer Berücksichtigungszeit zu gewähren. Die Berücksichtigungszeit wegen Kindererziehung habe im Falle der Klägerin zu einer Minderung der Rentenleistung geführt. Diese Minderung sei bewirkt worden durch das Hinzutreten weiterer beitragsgeminderter Zeiten, die ein Absinken des Durchschnittswertes für die Gesamtleistungsbewertung hervorriefen. Dies sei eine vom Gesetzgeber so nicht gewollte Folge. Vielmehr sei mit der Anerkennung von Kindererziehungszeiten und Kinderberücksichtigungszeiten eine Besserstellung und keine Verschlechterung von kindererziehenden Leistungsberechtigten beabsichtigt gewesen. Die Kammer selbst sei nicht befugt, in das gesetzlich festgelegte Rechenwerk der Rentenberechnung einzugreifen. Sie sehe es jedoch als geboten an, dieses Rechenwerk verfassungskonform auf den Fall der Klägerin so anzuwenden, dass ihr die Rücknahme des Antrags auf Anerkennung der Kinderberücksichtigungszeit als Einzelfall zuzugestehen sei. Grundsätzlich stehe dem Versicherten kein Dispositionsrecht über die Anerkennung von ihm zurückgelegter rentenrechtlicher Zeiten zu, ebenso wenig könne er im Einzelfall auf Leistungsansprüche aus Elementen der Rentenberechnung verzichten. Dies sei im Falle der Klägerin jedoch nicht so. Die Anerkennung der Kinderberücksichtigungszeit bewirke hier eine schlichte Benachteiligung der Klägerin, die nach dem Willen des Gesetzgebers so nicht habe entstehen sollen.
Mit ihrer am 5. Dezember 2000 eingelegten Berufung richtet sich die Beklagte gegen das ihr am 6. November 2000 zugestellte Urteil. Nach Auffassung der Beklagten steht der Klägerin bezüglich der anerkannten Berücksichtigungszeit wegen Kindererziehung kein Dispositionsrecht zu. Sie sei nicht berechtigt, auf für sie ungünstige Berechnungsmerkmale zu verzichten. Ein solcher Verzicht sei im Gesetz nicht vorgesehen und nicht zulässig. Es sei nicht gestattet, sich die Berechnungsfaktoren der Rente herauszusuchen. Diese Auffassung verstoße auch weder gegen sozialversicherungsrechtliche Grundsätze noch gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz. Für eine verfassungskonforme Auslegung sei kein Raum. Auch werde vom Sozialgericht nicht dargelegt, inwieweit das Sozialgericht vorliegend einen Einzelfall als begründet ansehe, der eine Abweichung von den im Übrigen vom Sozialgericht anerkannten Grundsätzen der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts rechtfertigen könne. Eine Übertragung der Berücksichtigungszeiten vom 1. März 1985 bis 28. Februar 1994 und vom 1. bis 28. Februar 1984 auf den Vater sei zum Zeitpunkt der Beratung im Dezember 1996 noch durch gemeinsame Erklärung möglich gewesen. Die durch den Bediensteten F. erfolgte Beratung sei nicht fehlerhaft gewesen, da eine Beratungspflicht des Rentenversicherungsträgers, insbesondere die Verpflichtung zu Optimierungsberechnungen zur fakultativen Berücksichtigung bestimmter rentenrechtlicher Zeiten, nicht bestehe.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 31. August 2000 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend. Hierzu legt die Klägerin in Kopie ein Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 22. März 2000 (Az.: S 5 RA 22/99) vor.
Wegen der Einzelheiten im Übrigen wird auf die Gerichts- und Rentenakten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig und auch sachlich begründet.
Das Sozialgericht hat die Beklagte zu Unrecht verurteilt, die zugunsten der Klägerin anerkannten Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung bei der Rentenberechnung unbeachtet zu lassen.
Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass die Beklagte die mit Bescheid vom 26. März 1997 bewilligte Rente wegen Erwerbsunfähigkeit entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen berechnet hat. Die sich durch die Zugrundelegung von Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung ergebende Rentenminderung kann nicht dadurch korrigiert werden, dass die Berücksichtigungszeiten aus der Rentenberechnung herausgenommen werden. Zwar sollen Berücksichtigungszeiten rentenrechtliche Nachteile für den Versicherten verhindern, der aus Gründen der Kindererziehung vorübergehend keine Beiträge entrichten kann (vgl. Bundestagsdrucksache 11/4124, S. 166). Die Berücksichtigungszeiten sollen eine höhere Bewertung von beitragsfreien und beitragsgeminderten Zeiten bei der Gesamtleistungsbewertung bewirken. Diese Folge ist bei der Rentenberechnung der Klägerin allerdings nicht eingetreten. Vielmehr bewirken die Berücksichtigungszeiten im Falle der Klägerin eine Rentenminderung. Für die Rentenberechnung sind Entgeltpunkte zu ermitteln nach Maßgabe der §§ 70 ff. SGB VI. Dabei findet sich die Regelung über die Feststellung von Entgeltpunkten für beitragsfreie und beitragsgeminderte Zeiten (Gesamtleistungsbewertung) in § 71 SGB VI. Bei der Gesamtleistungsbewertung ist zunächst eine Grundbewertung nach § 72 SGB VI durchzuführen. Anschließend hat eine Vergleichsberechnung nach § 73 SGB VI zu erfolgen, wonach dann der höhere Wert maßgebend ist. Im Falle der Klägerin ist unter Einbeziehung von Berücksichtigungszeiten eine Rentenminderung dadurch entstanden, dass bei der Ermittlung der belegungsfähigen Kalendermonate 278 Monate für die Grundbewertung nach § 71 SGB VI maßgebend sind und sich im Rahmen der Vergleichsbewertung nach § 73 SGB VI infolgedessen 222 Monate errechnet haben, auf die die Entgeltpunkte aus ausschließlich vollwertigen Beiträgen und Berücksichtigungszeiten zu verteilen sind. Dagegen hätten die errechneten Entgeltpunkte ohne Berücksichtigungszeiten auf lediglich 185 Monate verteilt werden müssen, wodurch sich eine höhere Entgeltpunktzahl ergeben hätte. Gleichwohl besteht keine rechtliche Möglichkeit, die Berücksichtigungszeit aus der Rentenberechnung im Falle der Klägerin herauszunehmen. Die Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung sind ein Berechnungselement der Rente. Ein Verzicht hierauf ist nicht möglich, auch nicht im Hinblick darauf, dass sich die Berücksichtigungszeiten rentensteigernd auswirken sollen, denn die Vorschriften zur Rentenberechnung enthalten keine Regelung, wonach möglicherweise im Einzelfall auftretende ungünstige Auswirkungen von Berücksichtigungszeiten ausgeschlossen werden. Auch über die sog. verfassungskonforme Auslegung kann für die Klägerin kein günstigeres Ergebnis herbeigeführt werden, denn die Voraussetzungen für eine verfassungskonforme Auslegung sind nicht gegeben. Nur wenn eine Norm mehrere Auslegungen zulässt, die teilweise zu einem verfassungswidrigen, teils zu einem verfassungsmäßigen Ergebnis führen, muss verfassungskonform ausgelegt werden. Von mehreren Auslegungsmöglichkeiten einer Bestimmung ist diejenige auszuschließen, die der Verfassung zuwiderläuft. Dabei findet die verfassungskonforme Auslegung ihre Grenze in dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes. Jede verfassungskonforme Auslegung endet dort, wo sie mit dem Wortlaut und dem klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers in Widerspruch treten würde. Auch wenn eine verfassungskonforme Auslegung dazu führen würde, an die Stelle einer gesetzlichen Vorschrift inhaltlich eine andere Vorschrift zu setzen, würde damit die Grenze der Gerichtsbarkeit überschritten und ein Akt der Rechtsetzung vorgenommen, der nur dem Gesetzgeber zukommt (Leibholz-Rink-Hesselberger, Grundgesetz, Kommentar anhand der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Einführung Rand Nr. 13 ff. m.w.H.). Die Vorschriften der §§ 70 ff. SGB VI geben allerdings keinen Anlass zu einer teils verfassungsgemäßen, teils verfassungswidrigen Auslegung bezüglich der Einbeziehung von Berücksichtigungszeiten bei der Rentenberechnung. Die Begründung des Rechts zur Herausnahme einzelner Be rechnungselemente, die sich auf die Rentenberechnung ungünstig auswirken, würde eine Änderung der Gesetze bedeuten, die der Gerichtsbarkeit nicht zusteht. Auch das Gebot des sozialen Rechtsstaates in Art. 20 des Grundgesetzes, das in besonderem Maße auf einen Ausgleich sozialer Ungleichheit zwischen den Menschen ausgerichtet ist und in erster Linie der Erhaltung und Sicherheit der menschlichen Würde dient, lässt es vorliegend nicht zu, dass die Berücksichtigungszeiten bei der Rentenberechnung herausgenommen werden. Der Verfassungsgrundsatz des Gebotes des sozialen Rechtsstaates darf nicht dahin ausgelegt werden, dass mit seiner Hilfe die Einzelregelung, deren Anwendung in bestimmten Fällen zu Härten oder Unbilligkeiten führt, modifiziert werden könnte (BVerfGE 26, 61; 67, 239). Dem Sozialstaatsgebot ist mit der Einführung von Berücksichtigungszeiten bei der gesetzlichen Rentenversicherung Rechnung getragen worden. Die vorliegend eingetretene negative Folgewirkung begründet nicht die Notwendigkeit zu einer geänderten Handhabung der Vorschriften.
Entgegen der Auffassung der Klägerin begründet auch der sog. sozialrechtliche Herstellungsanspruch keinen Anspruch darauf, dass die Berücksichtigungszeiten bei der Rentenberechnung außer Acht gelassen werden. Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch setzt ein rechtswidriges Verhalten des Sozialleistungsträgers voraus, das in einer mangelnden oder fehlerhaften Beratung liegen kann. Von der Klägerin wird eine fehlerhafte Beratung der Beklagten darin gesehen, dass sie durch die Beratung des Bediensteten F. dazu veranlasst worden ist, auch die Berücksichtigungszeiten bei der Rentenberechnung geltend zu machen. Die Beratung des Bediensteten F. dahingehend, dass die Klägerin auch die Berücksichtungszeiten wegen Kindererziehung geltend machen solle, ist jedoch kein rechtswidriges Verhalten. Denn grundsätzlich hat die Rentenberechnung aus allen rentenrechtlich bedeutsamen Tatbeständen zu erfolgen. Die Aufforderung zum Verschweigen einzelner Berechnungselemente ist nicht von der Beratungspflicht umfasst. Fraglich ist vorliegend allein, ob genügend ermittelt worden ist, ob die Berücksichtigungszeiten gegebenenfalls günstigerweise dem Vater zugeordnet hätten werden sollen. Hier steht jedoch einmal der Inhalt des Beratungsgespräches nicht fest, wie der Bedienstete der Beklagten F. in seiner schriftlichen Erklärung vom 31. Mai 1999 dargelegt hat. Zum anderen ist nicht sicher, ob bei der Beratung ersichtlich eine Zuordnung der Berücksichtigungszeiten zum Vater die sinnvollere Gestaltung gewesen wäre im Hinblick auf den möglichen Versicherungsverlauf des Vaters, zumal der Eintritt der Rentenminderung bei der Rentenberechnung der Klägerin nicht offensichtlich war.
Die Anerkennung und Anrechnung von Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung ist zudem nicht von einem Antrag abhängig, so dass dieser auch nicht zurückgenommen werden kann. Nur die Gewährung von Sozialleistungen ist von der Antragstellung abhängig (§ 115 Abs. 1 SGB VI, § 16 Abs. 1 SGB I), nicht dagegen die Ermittlung und Feststellung einzelner Berechnungselemente der Sozialleistung.
Nach alledem konnte die erstinstanzliche Entscheidung nicht aufrechterhalten werden. Das angefochtene Urteil war aufzuheben und die Klage abzuweisen
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Der Senat hat die Revision aus den Gründen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen.
Rechtskraft
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