L 2 U 4165/08

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 9 U 347/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 U 4165/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 6. Mai 2008 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist die Anerkennung von Unfallfolgen auf Grund der Arbeitsunfälle vom 21.3.2005 bzw. vom 10.7.2005 und die Gewährung von Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung.

Die am geborene Klägerin ist Mutter von 5 Kindern und arbeitet vollschichtig als Helferin in der Betreuung in einem Behindertenheim. Auf dem Weg zur Arbeitsstelle erlitt sie am 21.3.2005 einen Verkehrsunfall, als ein PKW von rechts kommend ihr die Vorfahrt nahm und sie nahezu frontal auf die linke Seite dieses PKW auffuhr. Die Klägerin war angeschnallt, ihr Auto verfügte über keinen Airbag. Sie prallte bei gelockertem Gurt mit dem Kopf gegen die Windschutzscheibe, die splitterte. Die Klägerin wurde aufgrund ihrer Verletzungen mit Halskrawatte äußerlich stabilisiert in die H. Klinik, M. eingeliefert, wo sie über brennende Kopf- sowie leichte Knieschmerzen links klagte. Nach einer Röntgenuntersuchung diagnostizierte Prof. Dr. W. eine schwere Schädel- und Nasenbeinprellung mit Epistaxis (Nasenbluten) sowie Kniedistorsion links. Ein neurologisches Konsil erbrachte keinen pathologischen Befund. Nach unauffälliger stationärer Beobachtung wurde die Klägerin am nächsten Tag nach Hause entlassen, Arbeitsunfähigkeit zunächst bis einschließlich 24.3.2005 bescheinigt (Zwischenbericht vom 23.3.2005 und D-Arztbericht vom 29.3.2005), die von den behandelnden Orthopäden Dres. E./K. wegen im Verlauf der Behandlung nachlassenden Schmerzen und Schwindelgefühlen bis zum 1.5.2005 verlängert wurde. Zahnarzt Dr. Dr. N. diagnostizierte am 30.3.2005 eine Kontusion beider Kiefergelenke, Luxation 1. bis 2. Grades der Zähne 12 bis 21, Hämatom Oberlippe und infizierte Bisswunde Unterlippeninnenseite (Blatt 22 VA).

Am 11.5.2005 suchte die Klägerin Dr. M. (Neurologe und Psychiater) wegen seit fünf Tagen wieder stärker gewordener Kopfschmerzen und rezidivierendem Schwindel sowie am 20.5.2005 wegen kognitiver Störungen auf (Parkplatz des PKW vergessen), woraufhin Dr. M. weiterhin Physiotherapie empfahl und auf Grund der Schädelprellung oder des Unfallerlebnisses eine leichte Hirnleistungsschwäche auf der Grundlage einer blanden posttraumatischen Belastungsstörung annahm, weswegen er ein Antideperessivum verordnete (Berichte vom 11.5. und 20.5.2005). Unfallchirurg Dr. K. veranlasste bei Restbeschwerden ein MRT der HWS, das zwei sehr kleine Bandscheibenprotrusionen - möglicherweise vorbestehend - ohne apinale oder foraminale Enge und mäßiger Fehlstreckhaltung wahrscheinlich durch muskuläre Verspannung ohne Anhalt für eine discoligamentäre Verletzung ergab (Untersuchung vom 8.7.2005, Blatt 46,47 VA). Am 10.7.2005 erlitt die Klägerin einen weiteren Unfall an ihrem Arbeitsplatz, als im Zusammenhang mit dem Ausräumen der Geschirrsspülmaschine eine betreute behinderte Person versuchte die Schranktür zuzuknallen und die Klägerin am Hinterkopf traf. Dr. K., den die Klägerin am Folgetag wegen anhaltender Kopfschmerzen aufsuchte, diagnostizierte bei unauffälligem Röntgenbefund eine Schädelprellung mit vegetativer Symptomatik und bescheinigte Arbeitsunfähigkeit zunächst bis 14.7.2005, die bis auf weiteres fortbestand.

Am 25.7.2005 wurde die Klägerin unter der Diagnose eines cervicocephalen Syndroms mit Gedächtnis-, Konzentrations- und Wortfindungsstörungen, unscharfem Sehen und sekundärer Depressionen sowie Störungen an der BWS und in der dorsolumbalen Übergangszone in der Ambulanz für manuelle Therapie der R. Klinik, Bad K. behandelt (Bl. 59 VA). Die Kostenübernahme für eine langfristige manuelle Therapie dort lehnte die Beklagte ab. Eine HNO-ärztliche Untersuchung zur Abklärung des Drehschwindels war negativ (Befundbericht Dr. M. vom 19.9.2005). Dr. K. vereinbarte mit der Klägerin eine stufenweise Wiedereingliederung ab 29.08.2005 und hielt Arbeitsfähigkeit wieder ab dem 26.9.2005 für gegeben (Zwischenbericht vom 20.9.2005, Blatt 122 VA).

Das von der Beklagten beigezogene Vorerkrankungsverzeichnis der IKK Baden-Württemberg bescheinigt für 1995 eine 12-tägige Arbeitsunfähigkeit wegen akuter Cervikobrachialgie (Schulter-Arm-Syndrom), bei der Barmer Ersatzkasse ist vom 30.12.2002 bis 17.1.2003 Arbeitsunfähigkeit wegen multipler Prellungen und vom 22.9. bis 2.10.2003 wegen Myalgie (Muskelschmerz) vermerkt. Dr. K. berichtete von rezidivierenden HWS-Syndromen in der Vergangenheit und legte hierzu einen Behandlungsbericht vom 7.5.1998 vor (Blatt 127 VA). Im beigezogenen Unfallbericht der Polizeidirektion L. ist vermerkt, dass auf Grund der fehlenden Spuren auf der Fahrbahn keine Angaben hinsichtlich der Kollisionsgeschwindigkeit getroffen werden können.

Im Auftrag der Beklagten erstattete Dr. P., Chefarzt der Orthopädie der S., ein Zusammenhangsgutachten zum Unfall vom 21.3.2005. Im Gutachten vom 1.11.2005 berichtete er über die Schilderung der Klägerin, bereits früher im Bereich der LWS und des Schultergürtels Beschwerden gehabt zu haben, die die Klägerin auf ihre alltägliche Arbeit zu Hause sowie auf ihre Tätigkeit in einem Behindertenheim zurückführte, die sich jedoch durch den Unfall vom 21.3.2005 in Form von Nackenverspannungen mit Schwindelgefühlen unter Belastung verschlimmert hätten. Er diagnostizierte auf Grund des Wegeunfalls eine HWS-Distorsion Grad I bis II ohne kernspintomographisch nachgewiesene höhergradige Weichteilverletzung, Gesichtsschädelprellung mit Epistaxie (Nasenbluten), Oberlippenschürfung, Knieprellung beidseits, rechts mehr als links, klinisch folgenlos ausgeheilte Prellungen der Kniegelenkevorderseiten beidseits ohne Funktionsbeeinträchtigung. Er wies auf eine Vorschädigung der Halswirbelsäule durch einen PKW-Auffahrunfall mit HWS-Distorsion am 28.12.2002 hin, vorbestehende mehrjährige rezidivierende muskuläre Verspannungen im lumbalen und Schulternacken-Bereich, röntgenologisch beginnende degenerative Veränderungen in Form einer beginnenden ventralen Spondylose der Segmente C4 bis C6 und eine anlagebedingte leichte Hypermobilität (vermehrte Mobilität) der Halswirbelsäule. Es habe sich bei dem PKW-Zusammenstoß lediglich um eine Beschleunigungsverletzung der Halswirbelsäule leichteren Grades - nach Erdmann - gehandelt, deren Symptome bei der Mehrzahl der betroffenen Personen innerhalb von wenigen Tagen bzw. Wochen, maximal nach drei Monaten wieder abklingen. Er schloss dies daraus, dass die Nackenbeschwerden erst eine Stunde nach dem Unfallzeitpunkt auftraten und die radiologische und kernspintomographische Diagnostik einen weitgehenden Normalbefund der HWS ohne Hinweis für eine stattgehabte Weichteilverletzung oder für ein Knochenmarködem ergeben habe sowie Instabilitätszeichen sich ausschließen ließen. Auch die subjektiven Angaben der Klägerin nach dem Unfallereignis belegten dies. Das jetzige chronifizierter Beschwerdebild erkläre sich als sogenannte prädiskotische Deformität, die nicht selten zu rezidivierenden muskulären Verspannungen im Bereich der HWS mit Ausstrahlung in den Hinterkopfbereich führe. Das Unfallereignis vom 21.3.2005 habe zu einer vorübergehenden Verschlimmerung einer bis dahin klinisch stummen Schadensanlage der Wirbelsäule bzw. eines Vorschadens durch einen PKW-Auffahrunfall vom 28.12.2002 geführt. Unfallfolgen lägen auf orthopädischem Fachgebiet nicht vor.

Ergänzend äußerte sich Dr. P. zum Unfall vom 10.7.2005. Am 3.1.2006 teilte er mit, dass laut dem D-Arztbericht vom 14.7.2005 keine wesentlichen Unfallfolgen festgestellt wurden. Das Unfallereignis rechtfertige eine Arbeitsunfähigkeit von maximal drei bis vier Werktagen, höchstens bis zum 14.7.2005. Die im Anschluss daran weiterhin bestehenden Kopfbeschwerden mit vegetativer Symptomatik führe er auf die unfallunabhängige Wirbelsäulenfehlstatik zurück.

Auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet nahm Dr. F. nach Aktenlage am 8.5.2006 beratungsärztlich Stellung. Er hielt auf seinem Fachgebiet Unfallfolgen nicht für gegeben und auch eine neuropsychiatrische Begutachtung nicht für erforderlich.

Mit Bescheid vom 2.6.2006 teilte die Beklagten der Klägerin mit, dass sie die Behandlungskosten ab dem 21.6.2005 für den Unfall vom 21.3.2005 nicht mehr übernehme, da diese dann nicht mehr wegen der Halswirbelsäulenzerrung bzw. wegen der Schädel- und Nasenbeinprellung erforderlich gewesen sei, sondern unfallunabhängige Erkrankungen im Bereich der Wirbelsäule behandelt worden seien. Mit Bescheid vom 19.6.2006 wurde die Übernahme der Behandlungskosten für den Unfall vom 10.7.2005 ab 15.7.2005 abgelehnt. Gegen beide Bescheide legte die Klägerin Widerspruch ein und legte Behandlungsberichte von Dr. M., Facharzt für Neurochirurgie Bühl vom 1.9.2006, Dr. K. HNO-Arzt Bad K. vom 18.9.2006, und über eine MRT-Untersuchung der ligamenta alaria vom 25.9.2006 von Dr. F., Zeppelinzentrum K. vor. Jeweils mit Widerspruchsbescheiden vom 19.12.2006 wurden die Widersprüche zurückgewiesen.

Dagegen hat die Klägerin jeweils Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben, die das SG mit Beschluss vom 28.6.2007 unter dem Aktenzeichen S 9 U 347/07 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden hat. Sie führt ihre erheblichen gesundheitlichen Beschwerden, die sich in ständigem Kopfschmerz, deutlicher Einschränkung ihrer beruflichen Leistungsfähigkeit, Erschöpfungszuständen und Schwindelattacken bemerkbar machten, auf die Unfälle vom 21.3. bzw. 10.7.2005 zurück. Vorher - auch nach dem Privatunfall am 28.12.2002 - sei sie vollschichtig in der Lage gewesen, ihre Tätigkeit als Betreuerin in einer Behindertengruppe auszuüben, was ihr nach den Unfällen so nicht mehr möglich sei.

Das SG hat Beweis erhoben durch die Vernehmung des behandelnden Arztes für physikalische und rehabilitative Medizin Dr. B. als sachverständiger Zeuge und die Einholung eines orthopädischen Gutachtens bei Dr. von S., Leitender Oberarzt der Abteilung Orthopädie-Traumatololgie II im KKL K ... Dr. B. wies unter Bezugnahme auf die Funktions-Diagnostik bei Dr. F. auf rezidivierende Funktionsstörungen im Bereich des Atlanto-Occipital- sowie des Atlanto-Axial-Gelenkes hin. Es fänden sich zeitweise Hypomobilitäten (erniedrigte Mobilität) sowie Funktionsstörungen der zugehörigen Muskulatur mit entsprechenden Tonuserhöhungen und Druckschmerzhaftigkeiten sowie Bewegungseinschränkungen, die zu glaubhaften subjektiven Empfindungen erst seit dem Unfallereignis führten, wie sie von Patienten mit HWS- und Kopftraumata häufig noch lange nach den Unfällen geschildert würden. Durch die Untersuchung bei Dr. K. sei eine multisensorische neurootologische Funktionsstörung festgestellt worden.

Dr. von S. berichtete in seinem Gutachten vom 22.9.2007 (ergänzt durch die Richtigstellung vom 23.10.2007, Blatt 70 SG Akte) hinsichtlich der Beschwerden der Klägerin von wechselnden, zum Teil stichartigen Schmerzen in verschiedenen Körperbereichen (Schultern, Hüften, unterer LWS, mitunter HWS) mit Muskelverspannung der paravertebralen Muskulatur und Ausstrahlung in die Nacken-Hinterkopf-Region. Wiederholt käme es auch zu morgendlichen Taubheitsgefühlen beider Hände ohne radikuläre Zuordnung und Antriebsarmut. Er stellte im Bereich des Kopfes und der Wirbelsäule folgende Gesundheitsstörungen fest: generalisierte Bandlaxidität und konstitutionelle Hypermobilität, die sich auch in der Laxidität der ligamenta alaria im C1/2 Gelenk bemerkbar mache, mit intermittierenden Muskelverspannungen in der paravertebralen Muskulatur im oberen HWS-Bereich sowie Nacken-Hinterkopf-Schmerzen; altersentsprechend durchschnittliche degenerative Veränderungen der mittleren und unteren HWS ohne Hinweise auf Nervenwurzelreiz- oder Kompressionssymptomatik; eine Ansatztendinose im Bereich der ligamenta iliolumbalia am linken dorsalen Beckenkamm; folgenlos ausgeheilte Schädelprellung nach Anpralltrauma frontal beim Schlag auf die Scheibe sowie occipital durch Auftreffen der Schranktür. Folgen des Unfallgeschehens vom 21.3.2005 lägen nicht mehr vor. Vorübergehend sei die vorbestehende und konstitutionelle bedingte Hypermobilität klinisch auffällig geworden, ohne Eintritt einer richtungweisenden Verschlimmerung. Ebenso habe das Unfallgeschehen vom 10.7.2005 lediglich zu einer Schädelprellung ohne richtungweisende Verschlimmerung der konstitutionellen Hypermobilität geführt. Für einen ursächlichen Zusammenhang der jetzt noch bestehenden Beschwerden mit dem stattgehabten Unfallereignis vom 21.3.2005 spreche allein der zeitliche Zusammenhang. Die noch bestehenden Beschwerden seien durch die vorhandene Bandlaxidität im Bereich der Kopfgelenke, die sich auch ansonsten am Körper nachweisen ließ, zu erklären, da diese ein sogenanntes zweites Gleichgewichtsorgan darstellten, das seinerseits durch zahlreiche Rezeptoren direkt mit dem Hirnstamm und weiteren Stellreflexen im Körper verbunden sei. Ohne eine begleitende strukturelle Störung, die durch das Rotations-CT und das NMR des Kopfgelenkebereiches nicht nachgewiesen werden konnte, sei der vorbestehenden konstitutionellen Hypermobilität der überwiegende Anteil bei der Entstehung des chronischen jedoch zwischenzeitlich ebenfalls rückläufigen Schmerzsyndroms zuzusprechen. Das zweite Unfallereignis vom 10.7.2005 stelle vom Unfallmechanismus her einen ungeeigneten Ablauf dar, um zu einer richtungsweisenden Verschlimmerung einer solchen Bandlaxidität zu führen. Eine unfallbedingte MdE habe nach Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit nicht vorgelegen, da strukturelle Störungen wie eine Zerreißung der Weichteilstrukturen im Bereich der Kopfgelenke oder auch nur eine größere Einblutung nicht nachgewiesen werden konnten. Er stimme mit der Einschätzung von Dr. P. im Ergebnis überein. Die sonstigen gutachterlichen Stellungnahmen gäben lediglich klinische Hinweise, könnten strukturelle Schäden und Störungen als Folge des Unfallgeschehens vom 21.3.2005 sowie vom 10.7.2005 nicht nachweisen.

Gestützt auf das Gutachten hat das SG mit Urteil vom 6.5.2008 die Klage abgewiesen.

Gegen das ihrem Bevollmächtigten am 31.7.2008 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 29.8.2008 durch ihren Prozessbevollmächtigten Berufung beim Landessozialgericht (LSG) eingelegt und ihr Begehren auf Anerkennung und Entschädigung ihrer Beschwerden als Unfallfolgen weiterverfolgt. Zur Begründung beruft sie sich darauf, dass eine Schadensanlage nur dann als allein wesentliche Ursache gelten kann, wenn sie so stark ausgeprägt und so leicht ansprechbar war, dass es zur Auslösung des akuten Krankheitsbildes keiner besonderen, in ihrer Art unersetzlichen äußeren Einwirkung aus der versicherten Tätigkeit bedurfte. Nach dem Krankheitsverlauf bestünden gesundheitliche Einschränkungen erst seit dem Arbeitsunfall vom 21.3.2005, die Beschwerden aus dem Jahr 1998 und als Folge aus dem Unfall im Jahre 2002 seien ausgeheilt und die Klägerin vor dem Unfall 2005 beschwerdefrei gewesen. Der zeitliche Zusammenhang sei ein Indiz für die Kausalität. Im Gegensatz zu den Feststellungen von Dr. von S., der von einer Hypermobilität ausgehe, habe Dr. Friedburg eine Hypomobilität bei Rechtsrotation festgestellt. Auch Dr. M. führe die Beschwerden auf die HWS-Distorsion zurück. Ein hoher Anteil der Betroffenen sei auch nach einem leichten Schleudertrauma nach dem vom Gutachter angesetzten Zeitraum nicht beschwerdefrei.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 6. Mai 2008 sowie die Bescheide der Beklagten vom 2. Juni 2006 und vom 19. Juni 2006 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 19. Dezember 2006 aufzuheben und die bei der Klägerin bestehenden gesundheitlichen Einschränkungen "chronisches Schmerzsyndrom bei Zustand nach wiederholten HWS-Traumata und Cervicocephalgien mit Belastungsreaktionen" als Folgen des Arbeitsunfalles vom 21.3.2005, hilfsweise als Folgen des Arbeitsunfalles vom 10.7.2005 anzuerkennen und die gesetzlichen Entschädigungsleistungen zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Berichterstatterin hat den Rechtsstreit im Termin am 12.2.2009 mit den Beteiligten erörtert, in dem sich diese mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt haben.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Prozessakten beider Instanzen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg.

Die statthafte (§§ 143, 144 Abs. 1 Satz 2 SGG) sowie frist- und formgerecht (§ 151 SGG) eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist zulässig, aber unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, da die angefochtenen Bescheide rechtmäßig sind und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzen. Sie hat gegenüber der Beklagten keinen Anspruch auf Feststellung von Unfallfolgen und auf weitere Entschädigungsleistungen.

Streitgegenstand des Berufungsverfahrens sind die Bescheide vom 2.6.2006 und 19.6.2006 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 19.12.2006, mit denen die Beklagte die Übernahme von Behandlungskosten und damit inzidenter die Anerkennung von weiteren Unfallfolgen und die Gewährung von weiteren Entschädigungsleistungen auf Grund der Unfälle vom 21.3.2005 und 10.7.2005 abgelehnt hat. Auf den zutreffend im Wege der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und 4 SGG) i.V.m. der Feststellungsklage gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG geltend gemachten Anspruch finden die Vorschriften des Sozialgesetzbuchs Siebtes Buch (SGB VII) Anwendung.

Das SG hat die rechtlichen Voraussetzungen für die Feststellung von Unfallfolgen und Gewährung einer Verletztenrente zutreffend benannt; hierauf nimmt der Senat, um Wiederholungen zu vermeiden, Bezug (S. 5/6 der angefochtenen Entscheidung). Ergänzend wird ausgeführt: Nach der im Sozialrecht anzuwendenden Theorie der wesentlichen Bedingung werden als kausal und rechtserheblich nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben (zuletzt BSG vom 12.4.2005 -B 2 U 27/04 R). Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besondere Beziehung der Ursache zum Eintritt des Erfolgs bzw. Gesundheitsschadens abgeleitet werden (BSGE 1, 72,76). Dabei kommt es bei der Wertung im Bereich der Kausalität vor allem darauf an, welche Auswirkungen das Unfallgeschehen gerade bei der betreffenden Einzelpersonen mit ihrer jeweiligen Struktureigenschaft im körperlich-seelischen Bereich hervorgerufen hat (BSGE 66, 156, 158). Gleichzeitig ist aber im Rahmen der gegenseitigen Abwägung mehrerer, zu einem bestimmten "Erfolg" führender Umstände der Schutzzweck sowohl der gesetzlichen Unfallversicherung im Allgemeinen als auch der jeweils anzuwendenden Norm - hier der §§ 45, 56 SGB VII - zu berücksichtigen. Dies führt zu der Wertbestimmung, bis zu welcher Grenze der Versicherungsschutz im Einzelfall reicht (BSG SozR 4-2200 § 589 Nr. 1 m. w. N.). Für die wertende Entscheidung über die Wesentlichkeit einer Ursache hat die Rechtsprechung folgende Grundsätze herausgearbeitet: Es kann mehrere rechtlich wesentliche Mitursachen geben. Sozialrechtlich ist allein relevant, ob das Unfallereignis wesentlich war. Ob eine konkurrierende Ursache es war, ist unerheblich. "Wesentlich" ist nicht gleichzusetzen mit "gleichwertig" oder "annähernd gleichwertig". Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die andere Ursache keine überragende Bedeutung hat. Ist jedoch eine Ursache (oder mehrere Ursachen gemeinsam) gegenüber einer anderen von überragender Bedeutung, so ist nur die erstgenannte "wesentlich" und damit Ursache im Sinne des Sozialrechts. Beweisrechtlich ist zu beachten, dass der je nach Fallgestaltung gegebenenfalls aus einem oder mehreren Schritten bestehende Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und den Unfallfolgen als anspruchsbegründende Voraussetzung positiv festgestellt werden muss. Es gibt aber im Bereich des Arbeitsunfalls keine Beweisregel, dass bei fehlender Alternativursache die versicherte naturwissenschaftliche Ursache automatisch auch eine wesentliche Ursache ist, weil dies bei komplexen Krankheitsgeschehen zu einer Beweislastumkehr führen würde (BSG Urteil vom 7.09.2004 - B 2 U 34/03 R).

In Anwendung dieser rechtlichen Kriterien erfüllen sowohl das Unfallereignis vom 21.3.2005 als auch das vom 10.7.2005 die Voraussetzungen eines Arbeitsunfalls (von außen auf den Körper einwirkendes schädigendes Ereignis, versicherte Tätigkeit, innerer Zusammenhang, Gesundheitserstschaden = Schädel- , Nasenbein- und Knieprellung bzw. Schädelprellung mit vegetativer Symptomatik). Auch der von der Klägerin geltend gemachte Gesundheitsschaden - nämlich chronisches Schmerzsyndrom und Cervicocephalgien - ist nachgewiesen, auch wenn sich nach der Befunderhebung des Dr. von S. das Gewicht der Beschwerdesymptomatik im Laufe der Zeit nun von der HWS auf die übrige Wirbelsäule verlagert hat.

Der Senat ist jedoch wie bereits das SG nicht von einem hinreichend wahrscheinlichen Zusammenhang der Unfallereignisse mit den Restbeschwerden der Klägerin überzeugt, eine unfallbedingte Kausalität liegt für die geltend gemachten Gesundheitsstörungen nicht vor. Diese Feststellungen trifft der Senat auf der Grundlage der Gutachten der Dres. von S. und P., die in Auswertung der durchgeführten - auch im HWS- Bereich funktionsdiagnostischen - Untersuchungen für den Senat nachvollziehbar und übereinstimmend darlegen, dass bei der Klägerin keine strukturellen Schäden oder Störungen wie eine Zerreißung der Weichteilstrukturen im Bereich der Kopfgelenke oder auch nur eine größere Einblutung vorgelegen haben, und deshalb die Gesichts- und Kopfprellung folgenlos abgeheilt sind. Dies steht im Einklang mit der unfallmedizinischen Literatur (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Unfall und Berufskrankheit, 7. Aufl., S. 555 ff), wonach für lokale Schmerzempfindungen und Leistungsstörungen des Organs Halswirbelsäule, das vorliegend allein unfallbedingt für die Beschwerden der Klägerin verantwortlich gemacht werden könnte, Teilzerreißungen verantwortlich sind und bei einer mittelschweren HWS-Distorsion Gelenkkapseleinrisse, Gefäßverletzungen und Muskelzerrungen vorliegen. Veränderungen der Weichteile werden mit der MRT dargestellt. So hat die MRT der Klägerin am 8.7.2005 diesbezüglich einen völlig unauffälligen Befund ergeben, worauf auch Dr. K. hingewiesen hat, und was sich bei der Untersuchung durch Dr. F. bestätigt hat. Eine HWS-Distorsion mit typischer Beschwerdeschilderung ist auch nicht dem Befund und der Diagnose der H. Klinik zu entnehmen, wo trotz eines neurologischen Konsils "nur" eine Gesichtsprellung diagnostiziert wurde. Danach steht für den Senat fest, dass der Verkehrsunfall am 21.3.2005 keine nachhaltigen Verletzungen bei der Klägerin verursacht hat. Der Unfall am 10.7.2005 ist nach den überzeugenden Ausführungen von Dr. P. und Dr. von S. von vornherein nicht geeignet gewesen, eine nachhaltige Schädigung herbeizuführen.

Entgegen der Auffassung der Klägerin ist bei den Unfällen auch nicht von einer wesentlichen Bedingung für die Auslösung einer bislang stummen Schadensanlage auszugehen. Allein der von der Klägerin hierfür benannte zeitliche Zusammenhang reicht dafür nicht. Der geltend gemachte Feststellungs- und Entschädigungsanspruch scheitert daran, dass die Schulter-Nackenbeschwerden nur im Sinne einer vorübergehenden Verschlimmerung auf den Arbeitsunfall vom 21.3.2005 zurückzuführen sind. Begrifflich kann eine Verschlimmerung nur vorliegen, wenn die zu beurteilende Gesundheitsstörung vor dem Unfallereignis bereits als klinisch manifester, mit objektivierbaren Veränderungen vorhandener Krankheitszustand bestanden hat, mag sie der Versicherte auch nicht bemerkt haben (vgl. Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, SGB VII § 8 9.11; ebenso Krasney in Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Gesetzliche Unfallversicherung, § 8 Rdnr. 377 m.w.H. auf Rechtsprechung und Literatur). In diesem Fall scheidet der Arbeitsunfall als Ursache im Sinne der Entstehung von vorne herein aus, es kommt nur eine Verschlimmerung der vorliegenden krankhaften Veränderungen durch das Unfallereignis in Betracht. Der durch das Ereignis bedingte Körperschaden besteht dann in einer Verschlimmerung des bereits im Zeitpunkt seines Einwirkens vorhandenen krankhaften Zustands. Das bedeutet, dass nicht das Grundleiden als solches mit allen seinen Auswirkungen Unfallfolge ist, sondern nur der gegenwärtige und künftige Anteil des Leidens, der dem Einfluss des Unfalls auf das Leiden und seinem weiteren Verlauf zuzurechnen ist.(vgl. Krasney a.a.O. Rdnr. 383 m.w.H.). Bezogen auf den vorliegenden Fall bedeutet dies: Entgegen der Auffassung der Klägerin ist auch ein klinisch stummer (= subklinischer) Vorschaden rechtlich relevant.

Zunächst ist jedoch festzustellen, dass die Klägerin - durch das Vorerkrankungsverzeichnis der IKK Baden-Württemberg belegt - bereits seit 1995 - möglicherweise auch unter der Belastung von Kindererziehung, Haushalt und Berufstätigkeit, worauf sie selbst ihre früheren Beschwerden zurückführt - unter rezidivierenden Schmerzzuständen im Nacken- und Schulterbereich gelitten hat. Nach dem privaten Verkehrsunfall im Jahr 2002 sind genau die gleichen Symptome aufgetreten, wie nach dem Unfall 2003, so dass fraglich ist, ob überhaupt von einer stummen Schadensanlage gesprochen werden kann. Auch wenn die bei den Unfällen aufgetretenen, auf die HWS einwirkenden Kräfte teilursächlich für das Akutwerden der Beschwerdesymptomatik im Schulter-Nackenbereich war, ist auf Grund der überzeugenden Ausführungen im Gutachten von Dr. von S. der nachgewiesenen unfallunabhängigen Schadensanlage rechtlich die überragende Bedeutung für das Entstehen der symptomatisch gewordenen Schulter-Nacken-Schmerzen zuzumessen. So hat Dr. von S. durch Funktionsaufnahmen der HWS mit Seitneigung nach rechts und links unter Zielstrahl des C1/2 Gelenkes eine Verbreiterung der atlanto-dentalen Distanz als eindeutiges Zeichen einer Bandlaxidität mit Instabilität in den jeweiligen Seitneigungsfunktionsaufnahmen festgestellt, was zu einem Schlingern des Dens mit dann eintretender Rotationsfehlstellung im C1/2 Gelenk führt. Diese eindeutig nicht nur im HWS-Bereich, sondern auch an Armen und Beinen festgestellte anlagebedingte Hypermobilität, die manualdiagnostisch sich bestätigt hat und auch von Dr. P. festgestellt wurde, macht das sogenannte zweite Gleichgewichtsorgan im C1/2 Gelenk und den cranio-cervikalen Übergang besonders anfällig, so dass der Schadensanlage bei Ausschluss einer unfallbedingten strukturellen Schädigung die überragende Bedeutung zuzumessen ist.

Ein Widerspruch hierzu besteht entgegen der Auffassung der Klägerin nicht durch die MRT-Befundung durch Dr. F ... Dieser hat zwar eine Hypomobilität festgestellt, die sich jedoch in den atlanto-occipital und den atlanto-axial Gelenken bezogen auf eine Rotationsbewegung ergab, während Dr. von S. die Seitneigung des Kopfes untersucht hat und sich sein Befund auf Grund der körperlichen Untersuchung der Klägerin auch in anderen Bereichen bestätigt hat. Aus der allgemeinen Aussage von Dr. Friedburg, dass es sich um einen häufig nach Schleudertrauma erhobenen Befund mit anschließendem zerviko-encephalen Syndrom handelt, vermag der Senat gegenüber dem wohl begründeten und sich mit dem Unfall der Klägerin im Einzelnen auseinandersetzenden Gutachten des Dr. von S. keine anderen Schlüsse zu ziehen. Dies gilt in gleichem Maße für die nicht dezidierte Vermutung von Dr. M ... Beide Ärzte haben strukturelle Schäden und Störungen als Folge der Unfallgeschehen nicht belegen können.

Damit kommt der Senat zu dem Ergebnis, dass (weitere) Unfallfolgen nicht festzustellen sind; daraus folgt, dass die Klägerin auch keinen weitergehenden Entschädigungsanspruch gegenüber der Beklagten hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor ( § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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