L 6 U 46/05

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 13 U 28/04
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 6 U 46/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Landessozialgericht Sachsen-Anhalt L 6 U 46/05 S 13 U 28/04 (Sozialgericht Magdeburg) Aktenzeichen Im Namen des Volkes Urteil in dem Rechtsstreit gegen Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und Gaststätten, vertreten durch die Geschäftsführung, Bezirksverwaltung Erfurt, Lucas-Cranach-Platz 2, 99099 Erfurt – Beklagte und Berufungsbeklagte – Der 6. Senat des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt in Halle hat auf die mündliche Verhandlung vom 25. März 2009 durch den Vorsitzenden Richter am Landessozialge-richt Eyrich als Berichterstatter für Recht: Die Berufung wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über einen Anspruch der Klägerin auf Gewährung einer Stützrente wegen eines Arbeitsunfalls.

Die Klägerin bezieht wegen der Folgen eines Arbeitsunfalls vom 3. Januar 2001 eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 20 v. H., die wegen höherer Ansprüche noch im Streit steht.

Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist ein Unfall der Klägerin vom 12. Dezember 1989. Dabei erlitt sie infolge eines Sturzes eine schwere Prellung der rechten Hand mit einem Bruch des rechten Daumens. Bei einer Begutachtung am 6. Dezember 1990 schätzte der Gutachter den Körperschaden mit 10 Prozent ein. Es bestand ein Druckschmerz im Grund- und Endgliedbereich des rechten Daumens. Dieser war gegenüber dem linken Daumen um einen halben Zentimeter verdickt. Die Beweglich-keit war gegenüber links in der Streckung und Beugung des Grundgelenkes um 50 Grad auf 0/0/50 Grad, im Endgelenk um 45 Grad auf 0/0/25 Grad und in der An- und Abführung um 20 Grad auf 30/0/10 Grad eingeschränkt. Es verlieb ein Hohlhandab-stand von 1 cm.

Mit Bescheid vom 21. Oktober 1991 lehnte die Beklagte die Zahlung einer Unfallrente aus Anlass des Unfalles ab. Zur Begründung verwies sie auf das Ergebnis einer Begutachtung, dass ein Körperschaden von 10 % vorliege.

Mit Eingangsdatum vom 2. Mai 2003 beantragte die Klägerin im Hinblick auf den weiteren Arbeitsunfall nunmehr eine Rentenzahlung.

In einem Gutachten für die Beklagte vom 16. September 2003 vertrat der Oberarzt Dr. med. W. von der Universitätsklinik für Unfallchirurgie M. die Auffas-sung, es lägen keine messbaren Unfallfolgen aus dem Unfall von 1989 vor. Verglichen mit dem Vorbefund seien die Beschwerden im rechten Daumen rückläufig. Die Änderung sei wesentlich. Eine Bruchfolge sei im Röntgenbild nicht mehr eindeutig nachzuweisen. Außer einem gelegentlichen Taubheitsgefühl im rechten Daumen bestünden keinerlei Beschwerden. Beide Daumen seien seitengleich frei beweglich. Die Zweipunktediskri-mination sei normal. Die Beugung im Grundgelenk war rechts gegenüber links um 5 Grad auf 0/0/60 Grad eingeschränkt. Die Beweglichkeit im Endgelenk war mit 0/0/60 Grad seitengleich. Die Abspreizung war seitengleich. Mit der Daumenspitze konnte rechts lediglich der kleine Finger nicht erreicht werden; dieser ist von den Funktionsstö-rungen im Zusammenhang mit dem zweiten Arbeitsunfall betroffen.

Mit Bescheid vom 26. November 2003 lehnte die Beklagte weiterhin einen Anspruch der Klägerin auf Rente ab. Zur Begründung bezog sie sich auf das Gutachten, wonach eine wesentliche Besserung eingetreten sei und die Minderung der Erwerbsfähigkeit bei unter 10 Prozent liege. Diese Besserung sei schon zum Unfallzeitpunkt am 3. Januar 2001 eingetreten gewesen.

Gegen den Bescheid legte die Klägerin am 11. Dezember 2003 Widerspruch ein und bezog sich auf den Bescheid vom 21. Oktober 1991.

Mit Widerspruchsbescheid vom 20. Januar 2004 wies die Widerspruchsstelle der Beklagten den Widerspruch zurück.

Mit der am 19. Februar 2004 beim Sozialgericht Magdeburg eingegangenen Klage hat die Klägerin ergänzend ausgeführt, das Gutachten von Prof. Dr. W. (richtig: Dr. med. W. ) könne lediglich Auswirkung für die Zukunft haben. Zumindest bis zum Zeitpunkt der Begutachtung sei jedenfalls eine Stützrente zu gewähren. Die Beklagte sei an ihren Bescheid vom 21. Oktober 1991 gebunden und könne diesen nur unter den Voraussetzungen des § 48 SGB X ändern. Die Beklagte hat darauf verwiesen, mit dem Bescheid vom 21. Oktober 1991 habe sie lediglich eine Rentenzahlung abgelehnt. Nur dieser Ausspruch sei in Bindungswirkung erwachsen. Die Höhe der Minderung der Erwerbsfähigkeit habe lediglich die Begründung betroffen.

Mit Gerichtsbescheid vom 10. März 2005 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt, die Klägerin könne eine Rente aus der gesetzlichen Unfallversiche-rung nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 10 v. H. nicht beanspruchen. Seit dem Arbeitsunfall vom 3. Januar 2001 sei durch die Folgen des Arbeitsunfalls vom 12. Dezember 1989 keine Minderung der Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v. H. bedingt gewesen. Das Gericht folge insoweit dem Gutachten von Dr. W. , dem bei sachgerechter Würdigung auch zu entnehmen sei, dass 2001 kein anderer Unfallfolgezustand vorgelegen habe. Die Feststellung der Minderung der Erwerbsfä-higkeit im Bescheid vom 21. Oktober 1991 sei nicht in Bindungswirkung erwachsen, da sie nicht Teil des Verfügungssatzes gewesen sei.

Gegen das ihr am 15. März 2005 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 12. April 2005 Berufung eingelegt. Sie ist weiterhin der Auffassung, die Beklagte könne sich von ihrem Bescheid vom 21. Oktober 1991 hinsichtlich der Beurteilung der Minderung der Erwerbsfähigkeit nur unter den Voraussetzungen von § 48 SGB X lösen. Bis zum Zeitpunkt der Bescheiderteilung nach dem Gutachten von Dr. W. sei daher die Rente noch zu gewähren.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichtes Magdeburg vom 10. März 2005 und den Bescheid der Beklagten vom 26. November 2003 in der Gestalt des Wider-spruchsbescheides vom 20. Januar 2004 aufzuheben und

die Beklagte zu verurteilen, ihr wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 12. Dezember 1989 vom 3. Januar 2001 bis zum 26. November 2003 Verletzten-rente nach einem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit um 10 v. H. zu zah-len.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie bleibt bei ihrer Auffassung und hält den Gerichtsbescheid für zutreffend.

Die Beteiligten haben einer Entscheidung allein durch den Berichterstatter mit Schrift-sätzen vom 9. Februar 2009 – die Beklagte – und 20. März 2009 – die Klägerin – zugestimmt.

Neben den Akten der Beklagten über den streitgegenständlichen Unfall – Az. 6/00635/91 S – haben in der mündlichen Verhandlung auch die Akten der Beklagten über den Unfall vom 3. Januar 2001 – Az. 6/00310/01 M (2 Bände) – vorgelegen.

Entscheidungsgründe:

Die gem. §§ 143, 144 Abs. 1 S. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte Beru-fung hat keinen Erfolg.

Darüber konnte das Gericht gem. § 155 Abs. 3, 4 SGG mit Einverständnis der Beteilig-ten durch den Berichterstatter entscheiden, weil der Fall keine schwierigen Rechtsfra-gen aufwirft und über Tatsachen jedenfalls zuletzt nicht mehr gestritten worden ist.

Der Bescheid der Beklagten vom 26. November 2003 in der Gestalt des Wider-spruchsbescheides vom 20. Januar 2004 beschwert die Klägerin im angefochtenen Umfang nicht im Sinne von §§ 157, 54 Abs. 2 S. 1 SGG, weil die Beklagte darin zu Recht die Gewährung einer Verletztenrente auch für den Zeitraum zwischen dem zweiten Unfall und der Erteilung des angefochtenen Bescheides abgelehnt hat.

Ein Anspruch auf Gewährung einer Stützrente ergibt sich nicht aus dem Bescheid der Beklagten vom 12. Oktober 1991. Dieser enthält keinen (feststellenden) Verfügungs-satz zum Körperschaden oder zur Höhe der Minderung der Erwerbsfähigkeit, an den die Beklagte gem. § 39 Abs. 2 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) gebunden wäre. Die Beklagte verweist allein in dem Teil des Bescheides, der mit "Begründung" überschrieben ist, auf das Ergebnis einer Begutachtung eines Arztes. Darin ist keine eigene unmittelbare Aussage der Beklagten zu sehen, die nur Gegen-stand einer Regelung im Sinne von § 31 S. 1 SGB X als Merkmal eines Verwal-tungsaktes sein kann.

Die Klägerin hat zu keinem Zeitpunkt seit dem Unfall vom 3. Januar 2001 durch die Folgen des früheren Unfalls die Minderung der Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v.H. erreicht, die nach § 56 Abs. 1 S. 2, 3 des Siebten Buches des Sozialgesetzbu-ches (SGB VII – in der insoweit unveränderten Ausgangsfassung v. 7.8.1996 – BGBl. I S. 1254) Voraussetzung für einen Anspruch auf Verletztenrente ist. Das Gericht folgt dabei in vollem Umfang den überzeugenden Ausführungen des Gutachters Dr. W ... Dessen Befunderhebung ist nachvollziehbar und die Diagnosestellung schlüssig und wird auch von der Klägerin gar nicht bestritten. Das Gericht folgt auch der Beurteilung der Minderung der Erwerbsfähigkeit durch den Gutachter, die die Klägerin auch insoweit nicht angreift. Grundlage für die Bemessung der Minderung der Erwerbsfähigkeit in der gesetzlichen Unfallversicherung ist nach § 56 Abs. 2 S. 1 SGB VII der Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens. Die Bemessung ist eine Feststellung, die das Gericht gemäß § 128 Abs. 1 S. 1 SGG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung unter Berücksichtigung der in der Rechtsprechung und im einschlägigen Schrifttum herausgearbeiteten allgemeinen Erfahrungssätze trifft (BSG, Urt. v. 18. 3. 2003 – B 2 U 31/02 R – Breithaupt S. 565; Urt. v. 2. 11. 1999 – B 2 U 49/98 RSozR 3-2200 § 581 Nr. 6). Diese sind für die Entscheidung im Einzelfall zwar nicht bindend. Sie bilden aber die Grundlage für eine gleiche und gerechte Bewertung der Minderung der Erwerbsfä-higkeit in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis. Nach medizinischen Erfahrungssätzen bedingt der Verlust des kleinen Fingers oder der Verlust des Daumenendgliedes und eines weiteren Fingerendgliedes eine Minde-rung der Erwerbsfähigkeit um 10 v. H ... Mit den entsprechenden Funktionseinschrän-kungen ist der Zustand bei der Klägerin nicht zu vergleichen. Einzige aus dem Gutachten von Dr. W. hervorgehende Funktionsminderung ist eine gelegentliche Taubheit und eine winzige Einschränkung in der Beugung des rechten Daumens. Damit kann der rechte Daumen in weit höherem Maße Funktionen, insbesondere Greiffunktionen übernehmen, als er dies beim Fehlen des Endgliedes könnte. Der Zustand lag so auch schon zum Zeitpunkt des späteren Unfalls vor. Die einzigen dazu vorliegenden Befunde sind im Zusammenhang mit der Behandlung nach dem späteren Unfall erhoben worden, wie die Klägerin in der mündlichen Verhandlung bestätigt hat. Diese Befunde ergeben sich aus den beigezogenen Akten über diesen Unfall. Im Durchgangsarztbericht vom 22. Januar 2001 ist insgesamt von einer intakten Fingermotorik, -durchblutung und -sensibilität die Rede. Im ersten Rentengutachten des Dr. Sp. vom 13. Juli 2001 findet sich eine seitengleiche Fingerbeweglich-keit. Soweit die Messergebnisse der Beweglichkeit insgesamt geringer ausfallen, als bei der Messung von Dr. W. , kann dies nur auf eine abweichende Messmetho-dik zurückgeführt werden. Denn Funktionsstörungen oder Krankheitsbilder, die folgerichtig beide Hände betreffen müssten, beschreibt weder Dr. Sp. noch sind sie anderweitig beschrieben. Einziger Messunterschied zwischen der linken und rechten Hand ist eine rechts um zwei Zentimeter auf 19 Zentimeter verminderte Handspanne. Auch daraus lässt sich keine Minderung der Erwerbsfähigkeit um 10 v. H. ableiten, zumal die Verminderung nicht größer ist als bei einem Verlust von Mittel- und Endglied des kleinen Fingers, die keine Minderung der Erwerbsfähigkeit um 10 v. H. bedingen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen gem. § 160 Abs. 2, 3 SGG nicht.
Rechtskraft
Aus
Saved