L 5 VU 784/05

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
5
1. Instanz
SG Altenburg (FST)
Aktenzeichen
S 8 VU 1141/04
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 5 VU 784/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Altenburg vom 27. September 2005 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die 1955 geborene Klägerin begehrt Beschädigtenversorgung wegen Schwerhörigkeit nach einer in der DDR zu Unrecht verbüßten Freiheitsstrafe.

Sie litt bereits während ihrer Kindheit an chronischer Mittelohrentzündung. 1965 (nach anderer Angabe 1967) wurde deswegen am linken Ohr eine Radikal-Operation durchgeführt. Eine weitere Operation erfolgte 1973 (nach anderer Angabe 1975) am rechten Ohr.

Vom 10. Mai bis 18. Dezember 1972 war die Klägerin aufgrund eines Urteils des Kreisgerichts Saalfeld vom 21. August 1972 wegen versuchten ungesetzlichen Grenzübertritts inhaftiert. Dieses Urteil wurde mit Beschluss des Bezirksgerichts Gera vom 14. Januar 1993 aufgehoben; die Klägerin wurde rehabilitiert.

Im April 2002 beantragte sie bei dem Beklagten Beschädigtenversorgung. Während der Haftzeit habe sie die wegen des vorbestehenden Ohrenleidens erforderliche regelmäßige Behandlung nicht erhalten. Die Schwerhörigkeit habe sich deswegen verschlimmert. Sie sei noch heute deshalb in Behandlung.

Der Beklagte zog Befundberichte von dem früher behandelnden HNO-Arzt Dr. F. sowie dem Facharzt für HNO Dr. C. bei. Nachfragen bei der HNO-Klinik der S. Klinikum gGmbH W. zu der Operation 1973 (bzw. 1975) sowie dem Gesundheitsamt P. und dem Landratsamt S. wegen Unterlagen über die Klägerin aus dem Jahr 1972 blieben erfolglos. Von dem befragten Bundesarchiv wurden Kopien aus der Zentralen Gefangenen¬kartei des Archiv¬bestandes DO 1 Ministerium des Innern der DDR über die Klägerin übersandt; Gerichts- oder Straf¬vollzugs¬akten oder Belege über Arbeits- und Krank¬heits¬zeiten waren dort nicht vorhanden. Ebenso konnte die Justizvollzugsanstalt (JVA) G. nur die Gefangenen¬kartei¬karte übersenden; andere Unterlagen seien dort nicht vorhanden, weil die Klägerin während der Haftzeit in die damalige Strafvollzugsanstalt H. verlegt worden sei. In deren nach Schließung dieser Einrichtung von der JVA P. verwalteten Archiv wurden keinerlei Unterlagen der Klägerin gefunden.

Sodann gab der Beklagte ein Gutachten bei der Fachärztin für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde Dipl.-Med. H. in Auftrag. Diese diagnostizierte eine chronische Mittelohrentzündung beidseits mit Zustand nach Radikaloperation beidseits, eine hochgradige, an Taubheit grenzende kombinierte Schwerhörigkeit rechts, eine mittelgradige überwiegende Innenohrschwerhörigkeit links mit Hörgeräteversorgung sowie eine ständig auftretende Sekretion. Die Entstehung der Krankheit sei konstitutionell bedingt, was auch die entscheidende Rolle für den Verlauf (wiederkehrende Ohrsekretion, Operations¬notwendigkeit) spiele. Eine Nichtbehandlung während der Inhaftierung sei sicher ungünstig für den Krankheitsverlauf gewesen; es könne jedoch eine mit ausreichender Sicherheit anzunehmende Verschlimmerung nicht nach¬gewiesen werden. Zum einen fehlten hierfür die dazu notwendigen Audiogramme aus früherer Zeit, zum anderen könne aus fachlicher Sicht der Verlauf der Erkrankung oftmals nur schwer beeinflusst werden. Ob das Gehör heute besser wäre, wenn während der Inhaftierung eine Behandlung erfolgt wäre, sei nicht mit ausreichender Sicherheit feststellbar und fachlich nicht begründbar.

Daraufhin lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 17. November 2003 den Antrag der Klägerin ab. Ihren Widerspruch wies er mit Widerspruchsbescheid vom 5. April 2004 zurück.

Dagegen hat die Klägerin bei dem Sozialgericht (SG) Altenburg Klage erhoben und vorgetragen, es bestehe ein kausaler Zusammenhang zwischen der Inhaftierung und der Verschlimmerung ihres Krank¬heits¬bildes. Die Behandlung durch einen Facharzt in dem Inhaftierungs¬zeitraum hätte einen deutlich anderen Krankheitsverlauf bewirkt und zu einer verbesserten Heilungs¬wahr¬scheinlichkeit geführt. Eine Verschlechterung des Krankheitsbildes zeige sich gerade in der kurz nach dem Ende der Inhaftierung erforderlich gewordenen Radikal¬operation am linken Ohr. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass eine fachgerechte fachärztliche Behandlung die Operationsnotwendigkeit verhindert hätte und eine Verschlechterung der Hör¬fähigkeit nicht eingetreten wäre.

Ermittlungen des SG zu dem Gesundheitszustand der Klägerin in zeitlichem Zusammen¬hang mit der Inhaftierung blieben erfolglos. In dem Archiv der ehemaligen HNO-Poliklinik W. bei dem Gesundheitsamt der Stadtverwaltung W. waren keine Unterlagen über die Klägerin vorhanden. Dr. F. hat mitgeteilt, sie erst seit 1988 zu kennen. Zu der Operation am rechten Ohr im Jahre 1965 oder 1967 lägen in dem ihm zugänglichen Archiv der Thüringen Klinik S. keine Unterlagen mehr vor.

Mit Gerichtsbescheid vom 27. September 2005 hat das SG die Klage abgewiesen. Weder sei eine Verschlechterung der Hörfähigkeit der Klägerin während der Haft nachgewiesen, noch könne – selbst wenn sie nachzuweisen wäre – ein ursächlicher Zusammenhang mit der Nicht¬behandlung während der Haft mit überwiegender Wahrscheinlichkeit angenommen werden.

Mit der dagegen eingelegten Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren fort. In einer persönlichen Stellungnahme schildert sie, dass sie während der Haftzeit unter "Ohrenlaufen" und eitrigem Ausfluss gelitten habe, aber lediglich mit Schmerzmitteln und Watte versorgt worden sei, obwohl dreimal wöchentliches Aussaugen und Trocknen des Ohres erforderlich gewesen wären. Weil sie damals keinem Facharzt vorgestellt worden sei, leide sie bis heute an Schmerzen und "Ohrenlaufen", sei ständig in HNO-ärztlicher Behandlung und trage seit Jahren ein Hörgerät.

Die Klägerin beantragt (sinngemäß),

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Altenburg vom 27. September 2005 sowie den Bescheid des Beklagten vom 17. November 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. April 2004 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihr eine Beschädigten¬versorgung in gesetzlicher Höhe ab dem Tag der Antragstellung zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er bezieht sich auf die Ausführungen in den Verwaltungsentscheidungen, die durch die Argumentation der Klägerin nicht widerlegt werden könnten.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Der beklagte Freistaat wurde bis zum 30. April 2008 durch das Landesamt für Soziales und Familie, Abteilung 3 – Versorgung und Integrationsamt – vertreten. Dieses Amt wurde durch § 1 Abs. 1 der Anordnung über die Auflösung des Landesamtes für Soziales und Familie und der Versorgungsämter und Thüringer Verordnung zur Änderung der Zuständig¬keiten in der Versorgungs- und Sozialverwaltung (ThürVersorgAmtAuflAO) vom 1. April 2008 aufgelöst. Seine Aufgaben – mit Ausnahme derjenigen nach dem Thüringer Blinden¬geldgesetz und des Schwer¬behinderten¬feststellungsverfahrens – werden nach § 2 Abs. 1 der Anordnung von dem Landes¬verwaltungs¬amt (LVwA) wahrgenommen. In dem LVwA ist nunmehr die neu gebildete Abteilung VI – Versorgung und Integration – für das soziale Entschädigungs¬recht zuständig.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der Gerichts- sowie der Verwaltungsakte verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

A.

Der Senat durfte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, nachdem die Beteiligten sich damit einverstanden erklärt haben, § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Dass das SG durch Gerichtsbescheid entschieden hat, steht dem nicht entgegen. Nach § 153 Abs. 4 SGG ist in diesem Fall lediglich eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss unzulässig. Im Gegensatz zu einem Urteil ohne mündliche Verhandlung ist ein solcher Beschluss – wie der Gerichtsbescheid im erstinstanzlichen Verfahren – zwar von einer Anhörung, jedoch nicht von einer Zustimmung der Beteiligten abhängig. Mit dem Ausschluss zweier solcher Entscheidungen soll vermieden werden, dass ein Beteiligter in beiden Tatsacheninstanzen keine Gelegenheit hat, sein Anliegen im Rahmen einer mündlichen Verhandlung vorzubringen, obwohl er dies wünscht. Im hier vorliegenden Fall eines Urteils ohne mündliche Verhandlung verzichten die Beteiligten jedoch gerade auf diese Möglichkeit. Das steht ihnen frei.

Die Berufung ist zulässig; der Senat konnte daher in der Sache entscheiden. Insbesondere ist der beklagte Freistaat auch nach der Auflösung des Landesamtes für Soziales und Familie und der Übertragung der Zuständigkeit unter anderem in Angelegenheiten zur Durchführung der §§ 21, 22 des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes (StrRehaG) auf das Landesverwaltungsamt prozessfähig im Sinne des § 71 Abs. 1 SGG und ordnungs¬gemäß vertreten im Sinne des § 71 Abs. 5 SGG. Zur näheren Begründung wird auf das Urteil des Senats vom selben Tage (Az. L 5 VH 1055/06; zur Veröffentlichung vorgesehen) Bezug genommen.

Zusammengefasst ist darauf hinzuweisen, dass als juristische Person der Freistaat Thüringen nur prozessfähig ist, wenn er durch eine natürliche Person gesetzlich vertreten wird. Nach § 71 Abs. 5 SGG (in der Fassung des 6. SGG-Änderungs¬gesetzes vom 17. August 2001, BGBl. I S. 2144) wird ein Land in Angelegen¬heiten des sozialen Entschädigungsrechts, zu denen die Regelungen der §§ 21, 22 StrRehaG zählen, durch das Landesversorgungsamt oder durch die Stelle, der dessen Aufgaben übertragen worden sind, vertreten. Da "das Landesversorgungsamt" oder "die Stelle" als solche nicht handeln können, müssen sie ihrerseits durch eine hierzu berechtigte natürliche Person vertreten werden. Nach § 71 Abs. 3 SGG handeln für Behörden ihre gesetzlichen Vertreter, Vorstände oder besonders Beauftragte.

Die Aufgaben des Landesversorgungsamts wurden durch § 2 Abs. 1 ThürVersorgAmt¬AuflAO dem LVwA übertragen. Dieses wird mangels besonderer Beauftragter durch seinen Präsidenten vertreten.

Das LVwA ist auch geeignete "Stelle" im Sinne des § 71 Abs. 5 SGG. Diese muss – im Gegensatz zur früheren Rechtslage (vgl. hierzu vor allem das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 12. Juni 2001 – Az.: B 9 V 5/00 R; nach juris) den Anforderungen des Gesetzes über die Errichtung der Verwaltungs¬behörden der Kriegsopfer¬versorgung (KOV-ErrG) nicht mehr entsprechen. Infolge der mit der Föderalismusreform 2006 (Gesetz zur Änderung des Grund¬gesetzes vom 28. August 2006 (BGBl. I S. 2034)) vorgenommenen Änderung des Art. 84 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) ist es den Ländern nunmehr unbenommen, die für die Durchführung der Kriegsopferversorgung und damit nach § 25 Abs. 4 Satz 1 StrRehaG auch für die hier streitige Gewährung von Leistungen nach §§ 21 und 22 StrRehaG zuständigen Behörden selbst – und auch abweichend von den bundesgesetzlichen Bestimmungen des KOV-ErrG – zu regeln.

Die Berufung ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt worden.

B.

Die Berufung ist jedoch unbegründet. Das SG hat zu Recht entschieden, dass die Klage abzuweisen ist, weil die Bescheide des Beklagten die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Beschädigtenversorgung.

Nach §§ 3 Abs. 1, 16 Abs. 1 und 3 des Gesetzes über die Rehabilitierung und Entschädigung von Opfern rechtsstaatswidriger Strafverfolgungsmaßnahmen im Beitrittsgebiet (Strafrecht¬liches Rehabilitierungsgesetz – StrRehaG – verkündet als Artikel I des Ersten Gesetzes zur Bereinigung von SED-Unrecht – 1. SED-UnBerG – vom 29. Oktober 1992) in Verbindung mit (i. V. m.) § 1 Abs. 1 StrRehaG begründet die Aufhebung eines Straf¬urteils im Beitrittsgebiet als rechtsstaatswidrig (so genannte Rehabilitierung) einen Anspruch auf soziale Ausgleichsleistungen unter anderem in Form einer Beschädigten¬versorgung nach Maßgabe der §§ 21 bis 24 StrRehaG. Nach § 21 Abs. 1 Satz 1 StrRehaG erhält ein Betroffener, der infolge einer rechtsstaats¬widrigen Freiheitsentziehung eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirt¬schaftlichen Folgen dieser Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung des BVG.

§ 21 Abs. 1 Satz 1 StrRehaG geht dabei von einer dreigliedrigen Kausalkette aus. Das erste Glied ist der schädigende Vorgang, das zweite Glied bildet die durch den schädigenden Vorgang hervorgerufene Schädigung (Primärschaden), das dritte Glied stellt die Folge der gesund¬heit¬lichen Schädigung (Schädigungsfolge) dar, also das Versorgungs¬leiden, dessen Feststellung ein Antragsteller durch die Versorgungsverwaltung begehrt (vgl. zu der in gleicher Weise aufgebauten Vorschrift des § 1 Abs. 1 BVG Fehl in Wilke, Soziales Entschädigungsrecht, 7. Auflage 1992, BVG § 1 Rdnr. 61).

Diese drei Glieder der Kausalkette bedürfen als anspruchs¬begründende Tatsachen des Vollbeweises. Das heißt, dass der schädigende Vorgang, der Primärschaden und die Schädigungsfolge grundsätzlich nachgewiesen werden müssen. Für den Beweisgrad ist es zwar nicht notwendig, dass die Tatsachen mit absoluter Gewissheit feststehen. Ausreichend, aber auch erforderlich ist indes ein so hoher Grad an Wahrschein¬lichkeit, dass bei Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens kein vernünftiger, den Sachverhalt überschauender Mensch noch zweifelt, das heißt, dass die Wahrscheinlichkeit an Sicherheit grenzt. Dabei können nach § 15 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung – KOVVfG – die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung in Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, in den Fällen, in denen Unterlagen nicht mehr vorhanden oder nicht mehr zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verloren gegangen sind, der Entscheidung zu Grunde gelegt werden, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen. Diese Beweiserleichterung ist auch im Bereich der sozialen Entschädigung nach strafrechtlicher Rehabilitierung anwendbar, denn soweit die Verwaltungs¬behörden der Kriegs¬opfer¬versorgung zuständig sind, richtet sich nach § 25 Abs. 4 Satz 2 StrRehaG das Verfahren nach den für die Kriegs¬opferversorgung geltenden Vorschriften. Nach § 25 Abs. 4 Satz 1 StrRehaG sind für die Gewährung von Leistungen nach den §§ 21 und 22 die Behörden zuständig, denen die Durchführung des BVG obliegt. Die Beweiserleichterung gilt nicht nur im Verwaltungs-, sondern auch im gerichtlichen Verfahren (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 31. Mai 1989 – Az.: 9 RVg 3/89; nach juris). Während der Beweis grundsätzlich die Vermittlung richterlicher Überzeugung von der Wahrheit der – streitigen – Behauptung erfordert, tritt bei der Glaub¬haft¬machung an die Stelle des Vollbeweises die Feststellung überwiegender Wahrscheinlichkeit.

Zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung genügt nach § 21 Abs. 5 Satz 1 StrRehaG dagegen schon die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammen¬hangs. Wahrscheinlich ist jede Möglichkeit, der nach sachgerechter Abwägung aller wesentlichen Umstände gegenüber jeder anderen Möglichkeit ein deutliches Übergewicht zukommt (vgl. BSG, Urteil vom 22. September 1977 – Az.: 10 RV 15/77 in SozR 3900 § 40 BVG Nr. 9; ständige Rechtsprechung, vgl. auch BSG, Urteil vom 5. Mai 1993 – Az.: 9/9a RV 1/92 in SozR 3-3100 § 38 BVG Nr. 2). Sie wird auch als hinreichende Wahrscheinlichkeit bezeichnet (vgl. Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz mit Erläuterungen, 8. Auflage, 2005, § 118 Rdnr. 5 a).

Die Voraussetzung des § 21 StrRehaG i. V. m. §§ 1, 16 StrRehaG sind zwar insoweit erfüllt, als die Klägerin für ihre Haftzeit vom 10. Mai bis 18. Dezember 1972 durch den Beschluss des Bezirksgerichts G. vom 14. Januar 1993 rehabilitiert wurde.

Sie hat jedoch keinen Anspruch auf Leistungen, denn der geltend gemachte Gesund¬heits¬schaden, die Verschlimmerung eines Ohrenleidens, ist nicht mit der erforderlichen Gewissheit auf die Haftzeit zurückzuführen.

Bereits der schädigende Vorgang als erstes Glied der oben dargestellten Kette kann nicht nachgewiesen werden. Die Klägerin behauptet insoweit, während der Haftzeit trotz medizinischer Notwendigkeit nicht fach¬ärztlich, sondern nur mittels Schmerztabletten behandelt worden zu sein. Irgendwelche medizinischen Unterlagen – auch solche über die allgemeinmedizinische Behandlung – waren trotz umfangreicher Ermittlungen des Beklagten sowohl bei dem Bundesarchiv als auch bei den verschiedenen in Betracht kommenden Justizvollzugsanstalten nicht aufzufinden. In diesem Fall kommt zwar die beschriebene Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG in Betracht. Als nach den Umstän¬den des Falles glaubhafte Angabe der Klägerin, die sich auf die mit der Schädigung in Zusammenhang stehenden Tatsachen bezieht, kann danach ihre Erklärung zugrunde gelegt werden, sie habe während der Inhaftierung unter "Ohren¬laufen" gelitten und sei nicht fachärztlich behandelt worden. Die Fragen jedoch, wie dieses "Ohren¬laufen" diagnostisch einzuordnen ist und ob eine fachärztliche Behandlung überhaupt erforderlich oder die tatsächlich erfolgte Behandlung medizinisch ausreichend war, können nach dieser Vorschrift nicht beantwortet werden. Dabei handelt es sich nicht um allgemeine Tatsachen, sondern um medizinische Fragen, die ohne einschlägige Fachkenntnisse nicht geklärt werden können. Über solche Fachkenntnisse verfügt die Klägerin jedoch nicht, so dass ihre eigenen Aussagen nur Vermutungen und damit nicht nach den Umständen des Falles glaubhaft sein können.

Selbst wenn aus den Tatsachenschilderungen mit Hilfe medizinischen Sachverstandes das Krankheitsbild und die Behandlungsbedürftigkeit im Nachhinein noch geklärt werden könnten, so dass die Schädigung als solche zugrunde zu legen wäre, sind weitere Ermittlungen in dieser Richtung nicht erforderlich, denn jedenfalls das zweite Glied der oben dargestellten Kette, der Primärschaden, ist nicht nachweisbar. Hierfür bedürfte es des Beweises für eine tatsächlich eingetretene Verschlimmerung des Gesundheitszustandes der Klägerin. Dieser Beweis kann aber nicht geführt werden. Die Behauptung der Klägerin, ihr Hörvermögen habe sich verschlechtert, genügt hierfür nicht. Sie ist in keiner Weise objektivierbar. Erforderlich dafür wären Audio¬gramme sowohl aus der Zeit unmittelbar vor als auch unmittelbar nach der Inhaftierung. Auch diese konnten trotz intensiver Bemühungen sowohl des Beklagten als auch des Sozialgerichts nicht aufgefunden werden. Weder konnten die Kliniken, die nach den Angaben der Klägerin die Operationen am rechten (1965 oder 1967) und am linken Ohr (1973 oder 1975) vorgenommen haben sollen, Unterlagen hierüber auffinden, noch konnten in den Archiven der in Betracht kommenden Gesundheits¬ämter Krankenakten über ambulante Behandlungen der Klägerin aus der damaligen Zeit ermittelt werden. Dr. F., der die Klägerin ihrer Angabe zufolge bereits seit 1962 behandelt hat, hat erklärt, die Klägerin erst seit 1988 zu kennen. Aus früherer Zeit konnte er auch unter Zuhilfenahme des ihm zugänglichen Archivs der HNO-Klinik der Thüringen-Klinik "G." keine Angaben machen.

Entgegen der Argumentation der Klägerin kann aus dem Umstand, dass 1973 (nach späterer Angabe 1975) eine weitere Operation erforderlich wurde, jedenfalls nicht ohne weiteres auf eine wesentliche Verschlechterung geschlossen werden. Auch hierzu fehlen jegliche medizinischen Unterlagen. Welche Indikation zu der Operation geführt hat und wann diese gestellt wurde, ist völlig unklar, ebenso, wann die Operation tatsächlich durchgeführt wurde. Eine Aufklärung dieser Umstände ist ohne Unterlagen nicht mehr möglich. Weitere Ermittlungs¬möglichkeiten sind jedoch nicht ersichtlich.

Selbst wenn aber die Operation auf eine zwischenzeitlich eingetretene Verschlimmerung des Gesundheitszustandes der Klägerin zurückzuführen wäre, wäre damit immer noch nicht der notwendige Kausalzusammenhang mit der Inhaftierung hinreichend wahrscheinlich. Bereits die Tatsache, dass das rechte Ohr früher, trotz regelmäßiger fachärztlicher Behandlung, operiert werden musste, zeigt, dass ein derartiger Zusammenhang nicht zwangsläufig ist, sondern eine Operationsindikation auch ohne weiteres im normalen Krankheitsverlauf auftreten kann. Es ist daher ebenso gut möglich, dass die zeitliche Verbindung mit der Inhaftierung rein zufällig gewesen ist. Die in dem Verwaltungsverfahren herangezogene Sachverständige Dipl.-Med. H. hat in ihrem Gutachten vom 6. August 2003 ausgeführt, dass die Entstehung der Krankheit konstitutionell bedingt ist und dies auch die entscheidende Rolle für den Verlauf spielt. Dieser Verlauf sei aus fachlicher Sicht oftmals nur schwer beeinflussbar. Auf dieser Grundlage ist die Schlussfolgerung der Fachärztin, dass nicht mit hinreichender Sicherheit feststellbar und fachlich nicht begründbar ist, ob das Gehör heute besser wäre, wenn während der Inhaftierung eine (unterstellt unterbliebene) Behandlung erfolgt wäre, für den Senat nachvollziehbar.

Anlass für eine weitere Begutachtung bestand nach alledem nicht. Nachdem bereits die zugrunde zu legenden Tatsachen mangels auffindbarer Unterlagen nicht fest¬gestellt werden können, könnte kein Sachverständiger mit dem notwendigen Überzeugungsgrad die oben dargestellte Kausalkette bewerten. Eine weitere Aufklärung des Sachverhalts könnte daher auch mit Hilfe eines gerichtlichen Gutachtens nicht erreicht werden. Die Beweislosigkeit geht nach allgemeinen Beweislastregeln zu Lasten der Klägerin als derjenigen, die die behaupteten Umstände und Kausalzusammenhänge für sich in Anspruch nimmt (objektive Beweis- oder Feststellungs¬last; vgl. BSG, Urteil vom 22. Juni 1988 – Az.: 9/9 a BVg 4/87; nach juris). Einen Grundsatz, nach dem über die gesetzlich geregelten Beweis¬erleichterungen hinaus bei Beweisschwierigkeiten im Zweifel die Anspruchsvoraussetzungen zugunsten des Antragstellers anzunehmen sind, gibt es weder im Sozialrecht allgemein noch im sozialen Entschädigungsrecht im Besonderen (vgl. BSG, a.a.O.).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG und folgt dem Ergebnis der Hauptsache.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die in § 160 SGG genannten Voraussetzungen nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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