L 9 KR 72/03

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 82 KR 1229/02
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 9 KR 72/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 8. April 2003 aufgehoben und die Klage abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Krankengeld.

Die 1942 geborene Klägerin ist Gesellschafter-Geschäftsführerin der A A P S Gesellschaft mbH und seit dem 1. Januar 1992 Mitglied der Beklagten. Aufgrund des inzwischen bestandskräftig gewordenen Bescheides der Beklagten vom 18. Juli 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Beklagten vom 22. August 2001 sieht der Beklagte die Klägerin als Selbständige an und führt sie als freiwilliges Mitglied in der Beitragsklasse 671 (Bescheid vom 24. Mai 2002). Nach § 21 Abs. 3 der Satzung der Beklagten in der bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Fassung entstand u. a. für Selbständige dieser Beitragsklasse ein Anspruch auf Krankengeld am 8. Tag der Arbeitsunfähigkeit; Zeiten der stationären Behandlung waren der Arbeitsunfähigkeit gleichgestellt.

Die Klägerin war u. a. vom 12. September bis zum 2. Dezember 2001 arbeitsunfähig erkrankt. Ihr behandelnder Arzt bescheinigte ihr deswegen eine Arbeitsunfähigkeit wegen einer Exacerbation einer chronisch rezidivierenden Sinusitis sphenaidalis sowie eines Reizmagens; depressive psychosomatische Symptome stellte er ebenfalls fest, diese dominierten jedoch nicht (ärztliche Stellungnahme des Arztes Dr. R R vom 20. September 2002). In einem an die Klägerin gerichteten Schreiben vom 29. November 2001 stellte die Beklagte das Ende der Arbeitsunfähigkeit zum 2. Dezember 2001 fest. Auf einem Auszahlschein der Beklagten bescheinigte der behandelnde Arzt der Klägerin unter dem 5. Dezember 2001 dementsprechend Arbeitsunfähigkeit bis zum 2. Dezember 2001; die Klägerin teilte auf demselben Auszahlschein am selben Tag mit, dass sie ihre Tätigkeit am 3. Dezember 2001 wieder aufgenommen habe. Mit Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 7. Dezember 2001 (Erstbescheinigung) stellte Dr. R eine am 7. Dezember 2001 beginnende Arbeitsunfähigkeit wegen der Diagnose "F 32. 8" (sonstige depressive Episoden) und der ergänzenden Bemerkung "mißlungener Arbeitsversuch" fest. In seiner ärztlichen Bescheinigung vom 20. September 2002 führte Dr. R hierzu aus: Ein missglückter Arbeitsversuch habe ab dem 7. Dezember 2001 erneut in die Arbeitsunfähigkeit mit einem psychosozialen Syndrom mit depressiver Entwicklung bei gleichzeitiger Somatation geführt.

Mit Bescheid vom 12. Juni 2002, bestätigt durch den Widerspruchsbescheid vom 30. Oktober 2002, gewährte die Beklagte der Klägerin u. a. wegen der vorgenannten Erkrankungen für die Zeit vom 19. September 2001 bis zum 2. Dezember 2001 und ab 14. Dezember 2001 Krankengeld; für die Zeit vom 7. Dezember bis zum 13. Dezember 2001 lehnte sie die Bewilligung von Krankengeld ab, da in dieser Zeit aufgrund der satzungsmäßig geregelten Wartezeit für den Personenkreis der freiwillig versicherten Selbständigen kein Krankengeldanspruch bestehe. Außerdem handele es sich bei der seit dem 7. Dezember 2001 bescheinigten Arbeitsunfähigkeit weder um eine Fortsetzung der bis zum 2. Dezember 2001 bestehenden noch um eine durchgehende Arbeitsunfähigkeit seit dem 12. September 2001. Auf die u. a. hiergegen erhobene Klage hat das Sozialgericht Berlin mit Urteil vom 8. April 2003 die Ablehnung von Krankengeld für die Zeit vom 7. bis 13. Dezember 2001 aufgehoben und die Beklagte zur Gewährung von Krankengeld für diese Zeit verurteilt. Nach der regelmäßigen Verwaltungspraxis der Beklagten gewähre diese in entsprechender Anwendung des § 3 Abs. 1 Satz 2 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) Krankengeld auch dann, wenn Versicherte aufgrund der zur Arbeitsunfähigkeit führenden Krankheit bereits zuvor arbeitsunfähig gewesen seien und die Wartefrist von sieben Tagen bei Gewährung von Krankengeld für den ersten Zeitraum beachtet worden sei. Diese Verwaltungspraxis sei aus Gründen der Gleichbehandlung auch hier anzuwenden. Denn die der Klägerin von ihrem behandelnden Arzt bescheinigte Erkrankung beruhe auf demselben Grundleiden oder sei jedenfalls auf dieselbe chronische Veranlagung zurückzuführen. Als solche sei die Erkrankung der Klägerin an einer Depression anzusehen. Zwischen den Arbeitsunfähigkeitszeitpunkten hätten nur vier Tage gelegen, was darauf hindeute, dass die Klägerin auch in der Zeit vom 3. bis zum 6. Dezember 2001 wegen dieser Erkrankung arbeitsunfähig gewesen sei. Da die Fristen des § 3 Abs. 1 Satz 2 EFZG nicht abgelaufen seien, hätte die Klägerin niemals einen neuen Anspruch auf Entgeltfortzahlung wegen der erneuten Arbeitsunfähigkeit gehabt, was zur Verpflichtung der Beklagten führen müsse, der Klägerin wegen dieser Erkrankung bereits ab dem ersten Tag der erneuten Arbeitsunfähigkeit Krankengeld zu gewähren.

Gegen das ihr am 20. Mai 2003 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 11. Juni 2003 Berufung mit der Begründung eingelegt, dass sie ihre Verwaltungspraxis, auf die neuerliche Einhaltung der Wartefrist bei Eintritt einer Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Erkrankung innerhalb von sechs Monaten bei der Gewährung Krankengeld zu verzichten, auf Intervention des Bundesversicherungsamtes schon 1997 aufgegeben habe. Sie wende die Wartezeit, dem Wortlaut des § 21 Abs. 3 ihrer Satzung strikt folgend, bei jeder Arbeitsunfähigkeit neu an.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 8. April 2003 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene sozialgerichtliche Urteil für zutreffend. Die Klägerin sei in der Zeit vom 3. bis zum 6. Dezember 2001 gar nicht in der Lage gewesen, einer Arbeit nachzugehen. Ihr Arbeitsversuch sei deshalb misslungen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Das Sozialgericht hat der Klage zu Unrecht stattgegeben; die Beklagte hat die Gewährung von Krankengeld für den Zeitraum vom 7. bis zum 13. Dezember 2001 rechtfehlerfrei abgelehnt und die Klägerin dadurch nicht in ihren Rechten verletzt.

Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch/Fünftes Buch (SGB V) in der hier anzuwendenden, bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Fassung haben Versicherte Anspruch auf Krankengeld, wenn die Krankheit sie arbeitsunfähig macht oder sie auf Kosten der Krankenkasse stationär in einem Krankenhaus, einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung (§ 23 Abs. 4, §§ 24, 40 Abs. 2 und § 41) behandelt werden. Gemäß § 46 Abs. 1 Satz 1 SGB V entsteht der Anspruch auf Krankengeld bei Krankenhausbehandlung oder Behandlung in einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung (§ 23 Abs. 4, §§ 24, 40 Abs. 2 und § 41) von ihrem Beginn an (Nr. 1), im Übrigen von dem Tag an, der auf den Tag der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit folgt (Nr. 2). Nach § 44 Abs. 2 SGB V kann die Satzung der Krankenkasse für freiwillig Versicherte den Anspruch auf Krankengeld jedoch entweder ganz ausschließen oder auch zu einem späteren Zeitpunkt entstehen lassen.

Von dieser Möglichkeit hat die Beklagte nach § 21 Abs. 3 ihrer Satzung in der hier maßgeblichen, bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Fassung Gebrauch gemacht. Danach entsteht der Anspruch auf Krankengeld für Selbständige der Beitragsklassen 671, 676 ff. und 921 erst am achten Tag der Arbeitsunfähigkeit. Der satzungsrechtliche Ausschluss des Krankengeldanspruchs ist deshalb gerechtfertigt, weil freiwillig Versicherte zu den Personengruppen gehören, die typischerweise bei Eintritt einer Arbeitsverhinderung nicht sofort auf die Gewährung von Sozialleistungen angewiesen sind, sondern aus eigenen Mitteln den Wegfall des Arbeitseinkommens jedenfalls für einen bestimmten Zeitraum überbrücken können (BSGE 76, 1,5 m.w.N.). Hiervon ausgehend ist eine Krankenkasse auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten berechtigt, in ihrer Satzung eine generelle Wartezeit von acht Tagen auch bei wiederholter Arbeitsunfähigkeit aufgrund derselben Krankheit bei freiwillig Versicherten vorzusehen (BSG, Urteil vom 14. Februar 2007, - B 1 KR 16/06 R -, zitiert nach juris).

Danach ist die Versagung des streitigen Krankengeldes durch die Beklagte nicht zu beanstanden. Mit Bescheid vom 29. November 2001 hat die Beklagte das Ende der am 12. September 2001 begonnenen Arbeitsunfähigkeit der Klägerin zum 2. Dezember 2001 unanfechtbar festgestellt. Die inhaltliche Richtigkeit dieser die Beteiligten ohnehin bindenden Feststellung wird dadurch bestätigt, dass der behandelnde Arzt der Klägerin auf einem Auszahlschein zum Krankengeld vom 5. Dezember 2001 das Ende dieser Arbeitsunfähigkeit ebenfalls auf den 2. Dezember 2001 bescheinigt und die Klägerin erklärt hat, am 3. Dezember 2001 ihre Arbeit wieder aufgenommen zu haben. Mit diesen Feststellungen stimmt auch die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 7. Dezember 2001 überein, die nicht als Folgebescheinigung, sondern als Erstbescheinigung ausgestellt ist. Deshalb handelt es sich bei der Erkrankung der Klägerin ab dem 7. Dezember 2001 um eine neue Arbeitsunfähigkeit, die die Wartefrist des § 21 Abs. 3 der Satzung der Beklagten erneut auslöste. Ob die dieser Arbeitsunfähigkeit zu Grunde liegende Erkrankung der Klägerin dieselbe war wie die, die ihre Arbeitsunfähigkeit am 12. September 2001 auslöste (hierauf deutet der rechtliche Hinweis des behandelnden Arztes: "misslungener Arbeitsversuch" hin), ist dagegen ohne Belang, weil es nach dem Gesetz für den Wegfall des Arbeitseinkommens, den das Krankengeld ausgleichen soll, auf den Grund der jeweiligen Erkrankung nicht ankommt (BSG, Urteil vom 14. Februar 2007, - B 1 KR 16/06 R -, zitiert nach juris).

Ohne jede Bedeutung ist für den streitigen Krankengeldanspruch auch die Verwaltungspraxis der Beklagten. Der Anspruch auf Krankengeld ergibt sich für die Klägerin aus §§ 44 und 46 SGB V i.V.m. der Satzung der Beklagten, ohne dass der Beklagten bei ihrer Entscheidung über diesen Anspruch ein Ermessen oder ein Beurteilungsspielraum durch das Gesetz zugebilligt worden ist; auf eine rechtwidrige Verwaltungspraxis könnte sich die Klägerin deshalb auch nicht unter Hinweis auf den Gleichheitssatz nach Art. 3 Grundgesetz (GG) berufen, zumal das Sozialgesetzbuch in § 31 Sozialgesetzbuch/Erstes Buch einen uneingeschränkten Gesetzesvorbehalt für alle Leistungsansprüche normiert. Deshalb konnte das sozialgerichtliche Urteil keinen Bestand haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ergebnis in der Hauptsache.

Die Revision ist nicht zugelassen worden, weil hierfür kein Grund nach § 160 Abs. 2 SGG vorlag.
Rechtskraft
Aus
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