L 28 AS 1066/08

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
28
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 99 AS 29022/07
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 28 AS 1066/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 24. April 2008 wird verworfen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Gewährung höherer Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II) unter Anerkennung eines höheren Regelsatzes für die Zeit vom 1. Juni bis zum 30. November 2006.

Der 1956 geborene Kläger bezog bis Ende 2004 Sozialhilfe. Seit dem 1. Januar 2005 steht er im Leistungsbezug des Beklagten. Er bewohnt unter der sich aus dem Rubrum ergebenden Anschrift eine mit einer Ofenheizung ausgestattete Einzimmerwohnung, für die eine monatliche Miete in Höhe von 230,00 EUR (Grundmiete 199,63 EUR zzgl. Betriebskostenvorschuss in Höhe von 30,37 EUR) zu zahlen ist.

Mit Bescheid vom 11. Mai 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Oktober 2007 gewährte der Beklagte ihm für die Zeit vom 1. Juni bis zum 30. November 2006 monatliche Leistungen in Höhe von 575,00 EUR. Dieser Betrag setzte sich aus Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe des Regelsatzes von 345,00 EUR und Leistungen für die Kosten der Unterkunft in Höhe von 230,00 EUR zusammen.

Am 12. November 2007 hat der Kläger hiergegen Klage vor dem Sozialgericht Berlin erhoben und die Festsetzung der pauschalierten Regelleistung auf nur 345,00 EUR gerügt. Er hat die Auffassung vertreten, diese sei höher zu bemessen. Nach den §§ 21 und 23 SGB II sei es erlaubt, ergänzende Leistungen zu erbringen. Wenn andere Personengruppen wie Mütter und Behinderte auf diese Weise bevorzugt würden, stelle dies ihm gegenüber, der darauf verzichten müsse, ein menschenwürdiges Dasein zu genießen, eine Ungleichbehandlung vor dem Gesetz dar.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 24. April 2008 abgewiesen und zur Begründung auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 23. November 2006 – B 11b AS 1/06 R – verwiesen. Dem Gerichtsbescheid hat es eine Rechtmittelbelehrung angefügt, nach der dieser mit der Berufung angefochten werden kann.

Gegen den ihm am 13. Mai 2008 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 2. Juni 2008 eingelegte Berufung des Klägers, mit der er sein Begehren weiterverfolgt. Er meint, dass die Frage, ob und in welcher Höhe ihm tatsächlich die Regelleistung zustehe, auch davon abhänge, wie das Gericht die Untätigkeit des Gesetzgebers beurteile. Nach derzeitigem ungefährem Kenntnisstand würden ihm jedoch ca. 410,00 EUR monatlich zustehen.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 24. April 2008 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 11. Mai 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Oktober 2007 zu verurteilen, ihm für die Zeit vom 1. Juni bis zum 30. November 2006 höhere Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende unter Ansatz eines höheren Regelsatzes zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

Das Gericht hat den Kläger mit Schreiben vom 15. Juli 2008 darauf hingewiesen, dass die Berufung nicht statthaft sein dürfte und er entweder Nichtzulassungsbeschwerde einlegen oder die mündliche Verhandlung vor dem Sozialgericht beantragen müsste. Beides hat er nicht getan. Stattdessen hat er geltend gemacht, dass eine falsche Entscheidung des Sozialgerichts nicht zu seinen Lasten gehen, der Senat also sehr wohl entscheiden könne. Außerdem habe er den Beschwerdewert nicht mit 390,00 EUR bestimmt, es könne durchaus auch ein solcher von 750,00 EUR angenommen werden. Schließlich könne der Senat das Verfahren nach § 114 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) aussetzen, damit er das zeitraubende, aber nachholbare Verfahren fortführen könne.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte und auf die Verwaltungsakten des Beklagten verwiesen, die dem Senat vorgelegen haben und Gegen¬stand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 24. April 2008 ist nach § 158 Satz 1 SGG als unzulässig zu verwerfen, da sie nicht statthaft ist.

Nach § 105 Abs. 2 SGG können die Beteiligten innerhalb eines Monats nach Zustellung des Gerichtsbescheides das Rechtsmittel einlegen, das zulässig wäre, wenn das Gericht durch Urteil entschieden hätte. Das Sozialgericht hat vorliegend die Berufung nicht zugelassen, sondern diese kraft Gesetzes für zulässig erachtet. Kraft Gesetzes zulässig wäre die Berufung nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 SGG in der seit dem 1. April 2008 geltenden und hier maßgebenden Fassung jedoch nur dann, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes der Klage 750,00 EUR übersteigen oder der Kläger wiederkehrende bzw. laufende Leistungen für mehr als ein Jahr geltend machen würde. Beides aber ist zur Überzeugung des Senats nicht der Fall.

Auch wenn der vom Kläger in seinem Berufungsschriftsatz zunächst angekündigte Antrag, "unter Auffassung des Gerichts darüber zu entscheiden, ob der Gesetzgeber hier untätig ist und deshalb verpflichtet ist, entsprechend zu handeln" anderes nahe legen mag, kann bei sachgerechter Auslegung seines Begehrens unter Berücksichtigung des von ihm angefochtenen Bescheides streitgegenständlich lediglich die Höhe der ihm nach dem SGB II zustehenden Leistungen sein. Denn für eine auf Prüfung etwaiger Untätigkeit des Gesetzgebers im Zusammenhang mit der Festsetzung der Höhe der Regelleistung gerichtete Klage besteht kein Rechtsschutzbedürfnis. Weiter ist der Streitgegenstand auf den vom 1. Juni bis zum 30. November 2006 reichenden Bewilligungsabschnitt beschränkt, da die für die Folgezeiträume ergangenen Bewilligungsbescheide nicht nach § 96 SGG (analog) Gegenstand des Verfahrens geworden sind. Es kommt daher auf den Wert des Beschwerdegegenstandes an.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes ist danach zu bestimmen, was das Sozialgericht dem Rechtsmittelkläger versagt hat und was von diesem mit seinem Berufungsantrag noch verfolgt wird. Dass dieser Wert 750,00 EUR übersteigt, hat weder der Kläger begründet geltend gemacht noch vermag der Senat dies sonst zu erkennen. Der Kläger hat seine Berufung – wie bereits zuvor seine Klage - auf die angeblich zu geringe Höhe der gesetzlich vorgesehenen Regelsätze gestützt. In welcher Höhe er diese jedoch für angemessen und verfassungskonform halten würde, in welcher konkreten Höhe er mithin einen Anspruch zu haben meint, hat er im erstinstanzlichen Verfahren nicht dargelegt. Ebenso wenig hat er für das Berufungsverfahren einen bezifferten Antrag formuliert. Der Senat hat daher den Wert des Beschwerdegegenstandes zu ermitteln (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl., § 144 Rn. 15a m.w.N.), wobei der für das Gericht und die anderen Beteiligten erkennbare gesamte Vortrag des Rechtsmittelklägers einschließlich der Verwaltungsvorgänge heranzuziehen ist (vgl. für die Auslegung des Klagebegehrens: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl., § 92 Rn. 12 m.w.N.).

Der vom Kläger in seiner Berufungsschrift formulierte Antrag ist für die Auslegung seines Berufungsbegehrens nicht aussagekräftig. Hingegen hat er zur Begründung seiner Berufung ausgeführt, dass ihm nach seinem "derzeitigen ungefähren Kenntnisstand ca. 410,00 EUR zustehen würden". Der Wert des Beschwerdegegenstandes könnte auf dieser Grundlage wohl nicht auf konkret 390,00 EUR [= 6 x (410,00 EUR - 345,00 EUR)] beziffert werden. Ebenso wenig aber besteht zur Überzeugung des Senats - auch unter Berücksichtigung des Meistbegünstigungsprinzips – Raum für die Annahme, der Kläger begehre monatlich weitergehende Leistungen in einem Umfang von mehr als 125,00 EUR. Eben dies aber wäre angesichts des auf sechs Monate beschränkten Leistungszeitraums zum Erreichen des Werts des Beschwerdegegenstandes erforderlich.

Bestärkt sieht sich der Senat in dieser Auffassung dadurch, dass der Kläger den Betrag von 410,00 EUR offensichtlich nicht lediglich unbedacht genannt hat. Unabhängig davon, ob sich dies überhaupt zu seinen Gunsten auswirken könnte, entspricht dieser Betrag vielmehr genau dem, den er mit Schreiben vom 14. April 2007 gegenüber dem Beklagten für einen nachfolgenden Bewilligungsabschnitt geltend gemacht hat. Denn dort hat er die Erhöhung der bereits bewilligten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts von 345,00 EUR ab dem 1. Juni 2007 wörtlich "um genau 65,00 EUR monatlich auf 410,00 EUR" gefordert. Vor diesem Hintergrund kann zur Überzeugung des Senats nicht davon ausgegangen werden, dass der erforderliche Wert des Beschwerdegegenstandes erreicht ist, sodass die Berufung nicht statthaft ist.

Dass das Sozialgericht Berlin in seiner Rechtsmittelbelehrung die Berufung für zulässig erachtet hat, rechtfertigt keine andere Entscheidung und entfaltet insbesondere keine Bindungswirkung für das Landessozialgericht. Auch scheidet eine Umdeutung der Berufung in eine Nichtzulassungsbeschwerde oder in einen Antrag auf mündliche Verhandlung vor dem Sozialgericht nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, der der Senat sich anschließt, aus, da der Kläger – der Rechtsmittelbelehrung in der erstinstanzlichen Entscheidung folgend – Berufung einlegen wollte. Dies hat er vorliegend mit Schriftsatz vom 04. August 2008 sogar nochmals bestätigt. Schließlich hat der Senat keine Veranlassung, das vorliegende Verfahren nach § 114 SGG auszusetzen. Ein etwaiger Antrag auf mündliche Verhandlung vor dem Sozialgericht Berlin oder die Einlegung einer Nichtzulassungsbeschwerde erfordern keine Aussetzung des hiesigen Verfahrens.

Lediglich ergänzend sei darauf hingewiesen, dass die Berufung auch unbegründet ist. Der Senat geht – wie das Sozialgericht – aus den vom Bundessozialgericht in seiner Entscheidung vom 23. November 2006 (B 11b AS 1/06 R, zitiert nach juris, Rn. 46-54) dargelegten Gründen davon aus, dass die Regelsätze verfassungskonform sind. Auch sind keine sonstigen Umstände, die die Gewährung höherer Leistungen rechtfertigen könnten, vom Kläger geltend gemacht oder sonst ersichtlich. Leistungen für die Unterkunft hat der Beklagte im streitgegenständlichen Zeitraum in Höhe der tatsächlich anfallenden Kosten übernommen. Dass bei dem Kläger schließlich Besonderheiten vorgelegen hätten, die die Grundlage für einen Anspruch auf Leistungen für Mehrbedarfe beim Lebensunterhalt (§ 21 SGB II), für unabweisbare Bedarfe oder Sonderbedarfe (§ 23 SGB II), für einen befristeten Zuschuss nach dem Bezug von Arbeitslosengeld (§ 24 SGB II), für einen Zuschuss zu Beiträgen bei Befreiung von der Versicherungspflicht (§ 26 SGB II) oder sonstige Zuschüsse bilden könnten, ist nicht zu erkennen und wird von ihm auch nicht geltend gemacht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ergebnis in der Hauptsache.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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