S 18 KR 285/09 ER

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Dresden (FSS)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
18
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 18 KR 285/09 ER
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Bemerkung
1. Mit der bei Überleitung des Arbeitsverhältnisses auf eine Transfergesellschaft mit Bezug von Transferkurzarbeitergeld nach § 216b SGB III enden das bisherige Beschäftigungsverhältnis und die Versicherungsfreiheit nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V in dieser
I. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt im Wege einer einstweiligen Anordnung festzustellen, dass er in der gesetzlichen Krankenversicherung versicherungsfrei oder von der Versicherungspflicht befreit ist.

Der Antragsteller war ab dem 01.01.2003 im Rahmen seines Beschäftigungsverhältnisses bei der Q. GmbH & Co. KG wegen Erzielung eines die Jahresarbeitsentgeltgrenze überschreitenden Einkommens versicherungsfrei und privat krankenversichert. Im Zusammenhang mit der Insolvenz des bisherigen Arbeitgebers wurde im Rahmen eines dreiseitigen Vertrages das Beschäftigungsverhältnis mit der Q. GmbH & Co. KG zum Ablauf des 31.03.2009 einvernehmlich beendet und ab dem 01.04.2009 ein bis zum 15.07.2009 befristetes Arbeitsverhältnis mit "Kurzarbeit Null" bei der P. gGmbH begründet, einem Unternehmen, dessen Zweck auf die Qualifizierung, Aus-, Fort- und Weiterbildung von Personen im Strukturwandel, von Personen, die von ihren ehemaligen Arbeitgebern freigesetzt wurden und/oder unter Strukturkurzarbeitergeld laufen, gerichtet ist (Amtsgericht A., HRB Nr. ). Seit dem 01.04.2009 bezieht der Antragsteller Transferkurzarbeitergeld nach § 216b SGB III zuzüglich eines Arbeitgeberzuschusses zur Aufstockung der Einkünfte auf 70 % des zuvor bezogenen Nettoarbeitsentgelts auf rechnerischer Basis eines Bruttoarbeitsentgelts in Höhe der Beitragsbemessungsgrenze Ost in der Rentenversicherung 2009 von monatlich 4.550,00 EUR.

Um eine Kündigung seiner bislang geführten privaten Krankenversicherung für den Fall der künftigen Versicherungsfreiheit zu vermeiden, beantragte der Antragsteller die Befreiung von der Versicherungspflicht in direkter bzw. entsprechender Anwendung von § 8 Abs. 1 Nr. 3 oder Nr. 1a SGB V ab dem 01.04.2009.

Die Antragsgegnerin lehnte mit Bescheid vom 03.04.2009 eine Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V ab. In einem ergänzenden Schreiben vom 23.04.2009 erläuterte die Antragsgegnerin ihren ablehnenden Bescheid damit, dass der Antragsteller in der Beschäftigung bei der P. gGmbH die Jahresarbeitsentgeltgrenze auf Dauer unterschreite. Weder das Transferkurzarbeitergeld noch der Arbeitgeberzuschuss zählten zum hierfür maßgeblichen Arbeitsentgelt. Die Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 Nr. 3 SGB V seien nicht erfüllt, weil mit der Überführung des Arbeitsverhältnisses auf die Transfergesellschaft keine Teilzeitbeschäftigung begründet worden sei. Eine entsprechende Anwendung des § 8 Abs. 1 Nr. 1a SGB V komme nicht Betracht.

Gegen den Bescheid vom 03.04.2009 erhob der Antragsteller Widerspruch, über den die Antragsgegnerin noch nicht entschieden hat.

Mit seinem am 26.05.2009 beim Sozialgericht Dresden eingegangenen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz begehrt der Antragsteller die Feststellung, dass er über den 31.02.2009 hinaus in der gesetzlichen Krankenversicherung "versicherungsfrei" bleibe. Der Bezug von Transferkurzarbeitergeld beende - wie der Bezug von Kurzarbeitergeld - gemäß § 6 Abs. 4 Satz 5 SGB V nicht die Versicherungsfreiheit, weil die Überführung in die Transfergesellschaft letztlich mit dem Ziel erfolge, den Arbeitnehmer zur Fortführung des ursprünglichen Beschäftigungsverhältnisses bereit zu halten. Zudem stehe in verfassungskonformer Auslegung der Bezug des Transferkurzarbeitergeldes nach § 216b SGB III dem Bezug von Arbeitslosengeld nach § 8 Abs. 1 Nr. 1a SGB V gleich. Ein Anordnungsgrund ergebe sich aus den mit einer Kündigung der privaten Krankenversicherung verbundenen Nachteilen vor dem Hintergrund der Dreimonatsfrist nach § 205 Abs. 2 Satz 1 VVG.

II.

Das Ersuchen des Antragstellers auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist als Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG statthaft, aber unbegründet.

Gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Anordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt gemäß § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 ZPO voraus, dass der Antragsteller glaubhaft macht, dass ihm ein materielles Recht zusteht, für das er einstweiligen Rechtsschutz beantragen kann (Anordnungsanspruch) und dass wesentliche Nachteile drohen, die nach den Umständen des Einzelfalles unter Abwägung der widerstreitenden Interessen ein Abwarten bis zur Entscheidung in der Hauptsache als unzumutbar erscheinen lassen (Anordnungsgrund).

Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Dem Antragsteller fehlt ein Anordnungsanspruch.

In sachgerechter Würdigung des Rechtsschutzinteresses ist das Antragsbegehren abweichend von der Fassung des Antrags (§ 123 SGG) dahingehend auszulegen, dass der Antragsteller für den Zeitraum bis zur bestands- bzw. rechtskräftigen Klärung seines Versicherungsstatus im Hauptsacheverfahren einstweilen in der gesetzlichen Krankenversicherung als weiterhin versicherungsfrei (§ 6 SGB V), hilfsweise von der Versicherungspflicht befreit (§ 8 SGB V) gelten möchte.

Weder die einstweilige Aufrechterhaltung der Versicherungsfreiheit noch eine Befreiung von der Versicherungspflicht kommen indessen in Betracht.

Die bis zum 31.03.2009 bestehende Versicherungsfreiheit besteht nicht auf Grundlage des § 6 Abs. 4 Satz 5 SGB V fort. Mit der Überführung der Beschäftigung auf die Transfergesellschaft hat die Beschäftigung des Antragstellers eine wesentliche Änderung erfahren, so dass im sozialversicherungsrechtlichen Sinne nicht von einer Kontinuität des bisherigen Beschäftigungsverhältnisses auszugehen ist (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 14.12.2006, Az. B 1 KR 9/06 R, im Zusammenhang mit der Berechnung des Krankengeldes). Die Überbrückungsregelung des § 6 Abs. 4 Satz 5 SGB V setzt dagegen den Bezug von Entgeltersatzleistungen während eines fortbestehenden Beschäftigungsverhältnisses voraus und ist deshalb in den Fällen des § 216b SGB III nicht anwendbar. Für dieses Ergebnis spricht schon, dass - entgegen der Auffassung des Antragstellers - das Arbeitsverhältnis nicht in die Transfergesellschaft ausgelagert wird, um nach einer Unterbrechung das ursprüngliche Beschäftigungsverhältnis fortzusetzen. Es gehört vielmehr zu den wesentlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Transferkurzarbeitergeld, dass der Arbeitsausfall von Dauer ist und die Beschäftigungsmöglichkeiten für die Arbeitnehmer nicht nur vorübergehend entfallen (§ 216b Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 SGB III). Ziel des Transfers ist nicht die Stabilisierung oder künftige Fortsetzung der ursprünglichen Beschäftigung, sondern die Qualifizierung und Eingliederung der Beschäftigten in Arbeitsverhältnisse bei neuen Arbeitgebern im Rahmen eines sozialverträglichen Personalabbaus; eine Beschäftigung beim früheren Arbeitgeber oder im bisherigen Konzernverbund schließt den Anspruch dagegen aus (§ 216b Abs. 7 Satz 1 SGB III).

Ebenfalls zu Recht sieht die Antragsgegnerin die Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 Nr. 3 SGB V als nicht erfüllt an, weil der Übergang zu "Kurzarbeit Null" keine Umwandlung eines fortbestehenden Beschäftigungsverhältnisses in ein Teilzeitarbeitsverhältnis darstellt, bei dem der Gesetzgeber aus arbeitsmarktpolitischen Gründen die Befreiungsmöglichkeit vorgesehen hat, um Hemmnisse, die einem freiwilligen Übergang zur Teilzeitarbeit entgegen stehen könnten, auszuräumen; diese Anreizfunktion ginge bei einer Anwendung der Regelung auf die Übernahme von Beschäftigten in Transfergesellschaften mit "Kurzarbeit Null" unter den in § 216b SGB III genannten Umständen ins Leere.

Schließlich ist auch der Befreiungstatbestand des § 8 Abs. 1 Nr. 1a SGB V im vorliegenden Fall nicht entsprechend anwendbar. Einer solchen analogen Anwendung der Norm auf Bezieher von Transferkurzarbeitergeld steht schon der in der Gesetzessystematik zum Ausdruck kommenden Wille des Gesetzgebers entgegen, weil es sich beim Katalog der Befreiungstatbestände des § 8 Abs. 1 SGB V um eine enumerative Aufzählung handelt, die mithin abschließend und einer entsprechenden Anwendung nicht zugänglich ist (zum Erfordernis einer eindeutigen Regelung für Befreiungstatbestände: Bundessozialgericht, Urteil vom 17.07.1997, Az. 12 RK 16/96). Eine Analogie ist auch nicht, abweichend vom gesetzgeberischen Willen, von Verfassung wegen geboten, um eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes aus Artikel 3 Abs. 1 GG zu vermeiden. Die Differenzierung zwischen den privat krankenversicherten Beziehern von Arbeitslosengeld einerseits und den Beziehern von Transferkurzarbeitergeld andererseits ist sachlich gerechtfertigt, weil Letztere im Gegensatz zu Ersteren immer noch dem Kreis der Beschäftigten zuzurechnen sind, so dass das Eingreifen der Versicherungspflicht die Gleichbehandlung mit solchen Beschäftigten gewährleistet, die nach Verlust oder Aufgabe einer über der Jahresarbeitsentgeltgrenze vergüteten Beschäftigung in eine darunter entlohnte Tätigkeit wechseln oder ihre regelmäßige Arbeitszeit um weniger als die Hälfte reduzieren und deshalb ebenfalls das Ende der Versicherungsfreiheit ohne die Möglichkeit der Befreiung in Kauf nehmen müssen. Das die Bezieher von Transferkurzarbeitergeld mit diesen Beschäftigten verbindende gemeinsame Merkmal ist die wenigstens formale Aufrechterhaltung des Beschäftigtenstatus durch Überleitung des Arbeitsverhältnisses unter Vermeidung einer Kündigung mit anschließender Arbeitslosigkeit - und zwar auch und gerade zur Verbesserung der Eingliederungsaussichten - unter gleichzeitigem Wegfall der Prognose, dass auch künftig noch das in der bisherigen Beschäftigung bezogene Entgelt über der Jahresarbeitsentgeltgrenze erzielt werden wird. Wenn sich der Gesetzgeber, ob bewusst oder unbewusst, zwischen den beiden grundsätzlich in Frage kommenden Lösungen - Gleichstellung mit Arbeitslosengeldbeziehern wegen des Bezugs von Entgeltersatzleistungen oder Gleichstellung mit Beschäftigten nach Unterschreitung der Jahresarbeitsentgeltgrenze - für die zuletzt genannte entschieden hat, so hält sich dies im Rahmen des ihm zustehenden weiten Gestaltungsermessens.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 183 Satz 1 und § 193 Abs. 1 SGG.
Rechtskraft
Aus
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