L 3 R 1796/08

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 97 R 5277/07
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 3 R 1796/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 26. September 2008 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob die Klägerin einen Anspruch auf eine unbefristete Rente wegen Erwerbsminderung statt auf Zeit hat.

Die 1955 in der Türkei geborene Klägerin, die seit 1973 in der Bundesrepublik lebt und mittlerweile die deutsche Staatsangehörigkeit erworben hat, war, ohne eine Ausbildung abgeschlossen zu haben, zunächst als Küchenhelferin und von 1992 bis zum 31. März 2004 als Hauswartin beschäftigt. Als Hauswartin war sie im Rahmen einer 30-Stunden-Woche mit Reinigungsarbeiten und der Hof- und Gartenpflege betraut. Seit April 2004 ist sie arbeitslos.

Im Mai 2006 stellte die Klägerin einen Antrag auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Die Beklagte zog u. a. einen Befundbericht des sie behandelnden Neurologen und Psychiaters Dr. B vom 01. Juni 2006 bei, der zur Krankheitsvorgeschichte eine depressive Entwicklung seit ca. drei Jahren und als Therapie Trimipramin 100 mg sowie stützende Gespräche angab. Die Beklagte bewilligte eine stationäre Heilbehandlung, die vom 11. Juli bis zum 05. September 2006 in der B-Klinik B stattfand. In dem Entlassungsbericht vom 07. September 2006 wurde eine Panikstörung mit agoraphobischen Aspekten, eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode, sonstige Rückenschmerzen im Zervikothorakalbereich sowie eine Kyphose als Haltungsstörung im Thorakalbereich diagnostiziert. Die Klägerin sei aus orthopädischer und psychiatrischer Sicht noch fähig, mittelschwere Arbeiten täglich sechs Stunden und mehr im Wechsel der Haltungsarten zu verrichten. Der Trimipraminspiegel liege mit ( 5 ng/ml unter dem Referenzwert (70-170). Die Klägerin habe angegeben, seit zwei Jahren unter Ängsten, Depression und Schlafstörungen zu leiden. Seitdem befinde sie sich in ambulant-psychiatrischer Behandlung bei Dr. B. Dort habe sie alle vier Wochen ein ca. 10minütiges Gespräch. Als psychosoziales Ergebnis wurde in dem Bericht ausgeführt, die Beeinträchtigung der Wegefähigkeit im Klinikgelände habe aufgehoben werden können, die Beeinträchtigung des Fahrens mit öffentlichen Verkehrsmitteln bestehe jedoch weiterhin. Die Klägerin sei sehr motiviert, den therapeutischen Prozess fortzusetzen. Kurz vor der Entlassung, die im Status der Arbeitsfähigkeit erfolgte, sei ein Therapieplatz für eine ambulante Psychotherapie gefunden und gleich ein Termin vereinbart worden. Mit Bescheid vom 13. September 2006 bewilligte die Beklagte der Klägerin außerdem Leistungen zu einer weiterführenden ambulanten Psychotherapie, an der die Klägerin in der Zeit vom 04. Oktober 2006 bis zum 26. April 2007 in der B-Klinik B teilnahm. Im September 2007 nahm die Klägerin außerdem eine Verhaltenstherapie bei Dipl. Psych. Ö von der B A f P auf.

Am 16. März 2007 stellte die Klägerin einen Antrag auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung, zu dessen Begründung sie angab, sich seit Anfang 2000 wegen sehr starker Ganzkörperschmerzen, starker Depressionen und Angstzuständen für voll erwerbsgemindert zu halten. Mit Bescheid vom 16. April 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05. Juli 2007 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab, denn die Klägerin könne noch mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts und in der letzten Tätigkeit als Hauswartin erwerbstätig sein.

Dagegen hat die Klägerin Klage bei dem Sozialgericht Berlin erhoben, zu deren Begründung sie geltend gemacht hat, die Beklagte verkenne die Schwere ihrer psychischen Erkrankung. Im Weiteren hat sich die Klägerin auf Atteste des Arztes Dr. K vom 21. Juni 2007, der Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. S-P vom 15. Juni 2007 und des Dr. B vom 15. Mai 2007 bezogen. Dr. B hat angegeben, die Klägerin seit 1994 zu behandeln und sie mit Trimipramin 100 mg zu therapieren. Er hat ausgeführt, aufgrund der langjährigen Anamnese sei von einer sehr ungünstigen Prognose auszugehen. Die Beschwerden und Befunde hätten zu einem Verlust an Lebensqualität sowie zu einer weitgehenden Einschränkung der beruflichen Leistungsfähigkeit geführt. Die Klägerin sei arbeitsmäßig nicht mehr belastbar, so dass Erwerbsunfähigkeit vorliegen dürfe.

Das Sozialgericht hat zunächst eine Arbeitgeberauskunft der Firma U Hgesellschaft mbH vom 13. November 2007 und Befundberichte von Dr. B vom 16. November 2007, Dr. S-P vom 20. November 2007, Dipl.-Psych. Ö vom 26. November 2007, dem Facharzt für Allgemeinmedizin Y vom 03. Dezember 2007, der die Klägerin seit Juli 2007 behandelt, sowie von Dr. K vom 08. Januar 2008 eingeholt.

Dann hat das Sozialgericht eine Begutachtung durch die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. D, Referat Ärztlicher Dienst des Polizeipräsidenten in B, veranlasst. Diese hat in ihrem Gutachten vom 22. April 2008 aufgrund einer unter Mitwirkung einer Dolmetscherin für die türkische Sprache erfolgten Untersuchung am 31. März 2008 eine Agoraphobie ohne Panikstörung, eine leichte depressive Episode bei rezidivierender depressiver Störung mit somatischem Syndrom, ein leichtes chronisches Schmerzsyndrom aufgrund leichter Abnutzungserscheinungen der Hals- und Brustwirbelsäule sowie einen Bluthochdruck und eine Adipositas diagnostiziert. Es handele sich bei der seelischen Erkrankung um eine gestörte Erlebnisverarbeitung, die sich durch Schwitzen, Zittern, Ohnmachtsgefühle beim Fahren von U- und S-Bahn sowie anderen öffentlichen Verkehrsmitteln äußere. Die Klägerin leide unter einer leichten depressiven Verstimmung, unter Schmerzen am gesamten Körper, Kribbeln und rascher Erschöpfbarkeit. Die Überwindung sowohl der depressiven Störung als auch der Agoraphobie setze eine fachspezifische Behandlung voraus. Durch die aktu-elle Verhaltenstherapie befinde sich die Klägerin bereits in Behandlung wegen der Agoraphobie. Unter Berücksichtigung der mittlerweile geschafften Wegstrecke von ca. drei bis sechs Stationen in einem Zeitraum von acht Monaten müsse die Verhaltenstherapie mindestens noch ein Jahr fortgeführt werden, um die Agoraphobie vollständig zu heilen. Bezüglich der Depression bedürfe es einer Umstellung der antidepressiven Therapie. Die Medikation mit 150 mg (gemeint wohl 100 mg) Trimipramin seit acht Jahren entspräche nicht den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie zur Behandlung einer depressiven Episode. Nach den Leitlinien solle nach sechs Wochen Höchsttherapie (Tagesmaximaldosis von Trimineurin 200 mg) ohne Erfolg die antidepressive Medikation umgestellt werden. Unterstützt werden solle die medikamentöse Therapie durch sozio-therapeutische Ansätze. Unter solch einer leitliniengestützten Therapie sei mit einer Besserung der Depression nach ca. einem halben Jahr zu rechnen. Zur sozialmedizinischen Leistungsbeurteilung im Einzelnen hat die Sachverständige ausgeführt, die Klägerin könne zwar noch viermal täglich einen Fußweg von mehr als 500 m in jeweils 20 Minuten zurücklegen. Es sei ihr jedoch nicht möglich, zweimal täglich öffentliche Verkehrsmittel ohne Begleitperson zu benutzen, wenn mehr als fünf Stationen zurückgelegt werden müssten. Bei Fortgang der Therapie sei aber mit einer Besserung zu rechnen. Im Übrigen reiche das verbliebene Leistungsvermögen noch für körperlich leichte Arbeiten im Wechsel von Stehen, Gehen und Sitzen unter Beachtung weiterer qualitativer Leistungseinschränkungen über die volle übliche Arbeitszeit von acht Stunden täglich aus.

Die Klägerin hat sich dem Ergebnis der Begutachtung nicht anzuschließen vermocht und sich auf Atteste des Allgemeinmediziners Y vom 22. Mai 2008 und Dr. B vom 16. Mai 2008 bezogen. Dr. B hat die Auffassung vertreten, die therapeutischen Maßnahmen seien ausgeschöpft. Die seit August laufende Psychotherapie habe keine Besserung erbracht. Die medikamentöse Behandlung mit verschiedenen Antidepressiva sei ebenfalls erfolglos geblieben. Es müsse von einer Therapieresistenz ausgegangen werden. Dazu hat das Sozialgericht eine ergänzende Stellungnahme von Dr. D vom 16. Juni 2008 veranlasst, in der sie im Einzelnen ausgeführt hat, aus welchen Gründen eine Therapieresistenz bei der Klägerin nicht vorliegen könne.

Durch Urteil vom 26. September 2008 hat das Sozialgericht die Beklagte unter Aufhebung der streitgegenständlichen Bescheide verurteilt, der Klägerin eine Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit vom 01. März 2007 bis zum 30. April 2009 zu gewähren und im Übrigen die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das Sozialgericht ausgeführt, die Klägerin, die die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen einer Rente wegen Erwerbsminderung erfülle, verfüge zwar über ein vollschichtiges Leistungsvermögen, sie habe aber einen Anspruch auf eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung, da sie derzeit nicht in der Lage sei, eine Arbeitsstelle aufzusuchen. Die Sachverständige habe dargelegt, dass die Klägerin zurzeit öffentliche Verkehrsmittel nicht ohne eine Begleitperson benutzen könne. Damit liege Wegeunfähigkeit im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) vor. Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit gemäß § 43 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) seien gemäß § 102 Abs. 2 Satz 1 SGB VI auf Zeit zu leisten, es sei denn, es sei unwahrscheinlich, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden könne (§ 102 Abs. 2 Satz 5 SGB VI). Die gerichtliche Sachverständige Dr. D habe in ihrem Gutachten plausibel und nachvollziehbar ausgeführt, dass bei Fortsetzung der bereits begonnenen Verhaltenstherapie mit einer Besserung der Agoraphobie, an der die Klägerin seit dem Jahr 2004 leide, und damit mit einem Wiedererlangen der Wegefähigkeit nach einem Jahr zu rechnen sei. Hieraus resultierende Einschränkungen der Wegefähigkeit lägen seit Juli 2006, dem Beginn des stationären Heilverfahrens, vor. Die Beeinträchtigung beim Fahren mit öffentlichen Verkehrsmitteln habe durch das Heilverfahren nicht behoben werden können. Der Rentenbeginn falle daher gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 SGB VI auf den 01. März 2007, den Monat der Rentenantragstellung. Wegen der Besserungsaussicht binnen eines Jahres sei der Anspruch auf den 30. April 2009 zu befristen gewesen. Ein Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit gemäß § 240 SGB VI bestehe nicht, da die Klägerin, die keine Berufsausbildung absolviert habe und zuletzt als Hauswartin tätig gewesen sei, keinen Berufsschutz genieße. Sie sei daher auf alle Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts zu verweisen. Ihr Leistungsvermögen reiche auch noch für die bisherige Tätigkeit einer Hauswartin aus.

Zur Begründung ihrer dagegen eingelegten Berufung hat die Klägerin geltend gemacht, das Gericht habe seine Entscheidung auf die Feststellungen der Sachverständigen Dr. D gestützt, ohne sich kritisch mit deren Ausführungen auseinanderzusetzen. Die Feststellungen der Sachverständigen stünden konträr zu denen der sie seit langem behandelnden Ärzte, die mit einer Besserung ihres Gesundheitszustands nicht rechneten. Dieser habe sich vielmehr über den Zeitraum der Behandlung stetig verschlechtert.

Mit Schriftsatz vom 09. Oktober 2008 hat die Klägerin vorsorglich die Einholung eines weiteren Gutachtens nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beantragt. In dem Erörterungstermin am 22. Januar 2009 ist dem Klägerbevollmächtigten eine Frist von drei Wochen eingeräumt worden, um einen Gutachter nach § 109 SGG namentlich und mit genauer Anschrift zu benennen. Am 27. Februar 2009 ist dem Klägerbevollmächtigten die Ladung zu dem Termin am 26. März 2009 zugestellt worden. Mit Schriftsatz vom 03. März 2009, eingegangen bei Gericht am selben Tag, hat die Klägerin beantragt, Dr. S (wohl: S-)-O gemäß § 109 SGG zu hören.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts vom 26. September 2008 abzuändern und die Be-klagte unter Aufhebung des Bescheids vom 16. April 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05. Juli 2007 zu verurteilen, ihr ab dem 01. März 2007 eine unbefristete statt einer auf Zeit geleisteten Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren, hilfsweise ihr eine unbefristete Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, hilfsweise eine unbefristete Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit zu gewähren.

Die Klägerin beantragt außerdem,

nach § 109 SGG ein Gutachten von Frau Dr. M S-O einzuholen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig, aber unbegründet. Ihr steht, wie das Sozialgericht zutreffend entschieden hat, keine unbefristete Rente wegen Erwerbsminderung zu.

Der ab dem 01. März 2007 geltend gemachte Rentenanspruch richtet sich nach § 43 Abs. 1 und 2 SGB VI in der ab dem 01. Januar 2001 geltenden Fassung. Danach haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung, wenn sie teilweise oder voll erwerbsgemindert sind.

Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 1 S. 2 SGB VI).

Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 2 S. 2 SGB VI).

Nach § 43 Abs. 3 SGB VI ist nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstä-tig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Die Voraussetzungen für eine Rente wegen voller Erwerbsminderung sind bei der Klägerin nur für den Zeitraum vom 01. März 2007 bis zum 30. April 2009 erfüllt. Zur Überzeugung des Senats ist die Klägerin nach dem Ergebnis der medizinischen Ermittlungen noch in der Lage, mindestens sechs Stunden täglich leichte Arbeiten zu verrichten. Sie ist aus diesem Grund weder voll noch teilweise erwerbsgemindert. Eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit gemäß § 240 SGB VI steht der ungelernten Klägerin aufgrund der Ausübung ungelernter Tätigkeiten und damit mangels Berufsschutz ebenfalls nicht zu.

Der Senat stützt seine Überzeugung auf das ausführliche und nachvollziehbare Gutachten der Sachverständigen Dr. D. Im Vordergrund der Gesundheitsstörungen steht bei der Klägerin ein psychisches Leiden. Auf orthopädischem und internistischem Fachgebiet sind weder im Heilverfahrensentlassungsbericht vom 07. September 2006 noch in dem Gutachten von Dr. D wesentliche körperliche Funktionseinschränkungen festgestellt worden. Bei der Klägerin bestehen zwar ein HWS-Syndrom mit muskulären Verkürzungen und Verspannungen sowie ein Dorsalsyndrom bei fixierter BWS-Kyphose, allerdings sind mit diesen Erkrankungen keine erheblichen Einschränkungen verbunden. Die Gelenke sind im Wesentlichen frei beweglich bzw. nur geringfügig eingeschränkt gewesen, wie sich aus dem orthopädischen Status im Heilverfahrensentlassungsbericht ergibt. Auch die gerichtliche Sachverständige hat einen unauffälligen körperlichen Untersuchungsbefund erhoben. Sie hat die Abnutzungserscheinun-gen im Bereich der Hals- und Brustwirbelsäule als leicht eingeschätzt. Ein pathologischer neurologischer Befund ist von keinem der Ärzte berichtet worden. Die behandelnden Allgemeinmediziner Dr. S-P und Y haben in ihren Befundberichten angegeben, es bestünden hinsichtlich der somatischen Beschwerden noch Behandlungsoptionen in Form von Muskelaufbautraining und Schmerztherapie. Der Senat hat keine Zweifel, dass diese Befunde allenfalls qualitative, jedoch keine quantitativen Leistungseinschränkungen rechtfertigen. Die Auffassung, die Klägerin könne wegen der geklagten Schmerzen nur eine stundenweise Arbeit verrichten, hat Dr. S-P in ihrem Befundbericht nicht näher begründet. Dass die Klägerin an Konzentrationsstörungen (wegen der Schmerzen?) leidet, wie die Ärztin angegeben hat, hat die gerichtliche Sachverständige jedenfalls nur hinsichtlich einer allenfalls leichten Minderung bestätigen können.

Auf psychiatrischem Gebiet leidet die Klägerin an einer Agoraphobie ohne Panikstörung und einer leichten depressiven Episode bei rezidivierender depressiver Störung mit somatischem Syndrom. Der Diagnose einer Panikstörung im Heilverfahrensentlassungsbericht hat Dr. D widersprochen, denn die von der Klägerin geschilderte Ohnmacht nach Erhalt der Kündigung im Jahr 2004 erfülle nicht die Kriterien des Diagnosemanuals ICD-10. Der Senat hat keine Bedenken, der Auffassung der Sachverständigen darin zu folgen, dass auch die psychiatrischen Einschränkungen die Annahme eines quantitativ aufgehobenen Leistungsvermögens nicht stützen. Der psychopathologische Befund hat eine wache und klare Klägerin beschrieben, die zu allen Qualitäten voll orientiert gewesen ist. Konzentrationsstörungen sind bei der Untersuchung nicht aufgefallen, Aufmerksamkeit und Auffassungsvermögen sind ungestört gewesen. Die Sachverständige hat keinen reduzierten Antrieb feststellen können, lediglich die Schwingungsfähigkeit war leicht eingeschränkt. Dementsprechend sind die Auffassungsgabe, das Gedächtnis, die Lern-, Merk-, Konzentrations-, Entschluss- und Verantwortungsfähigkeit sowie die Anpassungs- und Umstellungsfähigkeit objektiv nur leicht gemindert. Wegen der Medikamentengabe (Trimineurin=Trimipramin) hält Dr. D die Reaktionsfähigkeit für eingeschränkt, weshalb Arbeiten unter Zeitdruck (Akkord- und Fließbandarbeit) zu vermeiden sei. Hier ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Sachverständige selbst einen Wechsel der Medikation empfiehlt und außerdem der Heilverfahrensentlassungsbericht den Hinweis auf einen Trimineurin/Trimipramingebrauch unter dem Referenzwert enthält.

Allerdings ist die Klägerin, die nach ihren Angaben gegenüber der Sachverständigen keine Fahrerlaubnis besitzt, wegen der Agoraphobie (noch) nicht in der Lage, einen zumutbaren Arbeitsplatz ohne eine Begleitperson zu erreichen. Deshalb ist der Klägerin nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) (vgl. BSG in SozR 2200 § 1247 Nr. 56 und SozR 4-2600 § 43 Nr. 8) trotz des sechsstündigen Leistungsvermögens eine Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren. Dies ist zwischen den Beteiligten nicht streitig.

Jedoch ist es vorliegend nicht unwahrscheinlich, dass die insoweit bestehende Minderung der Erwerbsfähigkeit bis Ende April 2009 behoben werden kann. Der Klägerin steht deshalb keine unbefristete Rente wegen voller Erwerbsminderung zu.

§ 102 Abs. 2 SGB VI sieht seit dem 01. Januar 2001 die befristete Rente wegen Erwerbsminderung als Regelleistung vor, während die Dauerrente nur noch in Ausnahmefällen gewährt werden soll, nämlich wenn unwahrscheinlich ist, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden kann. Außerdem muss der Rentenanspruch unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage bestehen, was hier der Fall ist. Ein Grund für die komplette Abkehr vom alten Recht war die Gefahr bei befristeten Renten, dass sich ein Leistungsberechtigter dauerhaft auf die Situation als Rentner einrichtet und die Motivation zur Rückkehr in das Erwerbsleben verliert (so Zweng/Buschmann/Dörr, Handbuch der Rentenversicherung, RdNr. 18 zu § 102 SGB VI). Die Frage der Wahrscheinlichkeit der Beseitigung der Leistungsminderung ist prognostisch zu beurteilen. Dabei ist zu klären, ob schwerwiegende medizinische Gründe gegen eine rentenrechtlich relevante Besserungsaussicht sprechen, so dass ein Dauerzustand vorliegt. Unwahrscheinlichkeit liegt daher dann vor, wenn aus ärztlicher Sicht bei Betrachtung des bisherigen Verlaufs nach medizinischen Erkenntnissen – auch unter Berücksichtigung noch vorhandener therapeutischer Möglichkeiten – eine Besserung nicht anzunehmen ist, durch welche sich eine rentenrechtlich relevante Steigerung der Leistungsfähigkeit des Versicherten ergeben würde. Erheblich ist allein, dass alle therapeutischen Möglichkeiten in Betracht gezogen werden müssen, um ein qualitatives oder quantitatives Leistungshindernis zu beheben. Diese schließen alle Therapiemöglichkeiten nach dem allgemeinen Stand der medizinischen Erkenntnisse ein, unabhängig davon, ob sie duldungspflichtig sind, es sei denn, aus dem Gesundheitszustand des Versicherten abzuleitende spezifische Kontraindikationen stehen entgegen (so BSG in SozR 4-2600 § 102 Nr. 2).

Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben vermag sich der Senat nicht davon zu überzeugen, dass es sich bei dem Zustand der Klägerin um einen - nicht besserungsfähigen - Dauerzustand handelt. Dr. D hat ausführlich über Therapiemöglichkeiten berichtet, die der Klägerin nicht nur zumutbar und die auch nicht kontraindiziert sind, sondern angesichts der bisherigen nicht suffizienten Behandlung auf psychiatrischem Gebiet und den ersten Erfolgen durch die Verhaltenstherapie auch erforderlich sind. Dr. D hat die zukünftige Entwicklung der Agoraphobie als günstig eingeschätzt. Die Klägerin werde bereits jetzt erfolgreich behandelt, die Behandlung solle noch mindestens ein Jahr durchgeführt werden. Bezüglich der Depression komme es bei Optimierung der medikamentösen Therapie, ggf. auch unter Heranziehung nonverbaler Therapiemittel, ebenfalls zu einer Verbesserung innerhalb eines halben bis einen Jahres. Es bestehe die begründete Aussicht, dass die Leistungsminderung ganz oder teilweise behoben werden könne. Durch eine ambulante Soziotherapie oder einen Aufenthalt in einer Tagesklinik mit Türkisch sprechenden Therapeuten sei eine rasche Besserung möglich. In einer Tagesklinik werde nicht nur die medikamentöse Therapie optimiert und die Verhaltenstherapie fortgeführt, sondern es würden auch andere Therapieverfahren, z. B. Sport-, Ergo und Musiktherapie, Ernährungsberatung und vor allem Gruppentherapien durchgeführt. In ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 16. Juni 2008 hat sich die Sachverständige auch mit den entgegenstehenden Auffassungen des Allgemeinmediziners Y in dem Attest vom 22. Mai 2008 und Dr. B in dem Attest vom 16. Mai 2008, das im Wesentlichen mit dem Attest vom 15. Mai 2007 übereinstimmt, auseinandergesetzt. Der fachfremden Äußerung des Allgemeinmediziners Y der die Klägerin erst seit Juli 2007 behandelt, kann bereits deshalb nicht gefolgt werden, weil sie überwiegend in der Wiedergabe der Beschwerdeschilderung der Klägerin besteht und zudem fälschlicherweise von einer jahrelangen Psychotherapie und ausreichenden antidepressiven Behandlung ausgeht. Auch Dr. B hält die therapeutischen Möglichkeiten für ausgeschöpft, die seit August 2007 laufende Psychotherapie habe keinen Erfolg gebracht, es bestehe Therapieresistenz. Dem hat die gerichtliche Sachverständige zutreffend entgegen gehalten, dass von einer Ausschöpfung der Therapiemöglichkeiten keine Rede sein könne. Dr. B hat der Klägerin seit Jahren Trimipramin 100 mg verordnet. Ob jemals eine Kontrolle der ordnungsgemäßen Einnahme durch ihn erfolgt ist, ist nicht bekannt, nach dem Ergebnis des Medikamentenspiegels in der B Klinik aber zweifelhaft. Zwar hat Dr. B in seinem für die Beklagte erstatteten Befundbericht vom 01. Juni 2006 stützende Gespräche angegeben, was er in seinem Befundbericht für das Sozialgericht vom 16. November 2007 nicht mehr behauptet. Allerdings hat die Klägerin mehrfach erklärt, dass sie mit dem Arzt nur alle vier Wochen ein zehnminütiges Gespräch gehabt habe (so die Wiedergabe im Heilverfahrensentlassungsbericht) bzw. von ihm lediglich Medikamente bekommen habe und nach 10 bis 15 Minuten wieder aus der Praxis heraus gewesen sei (so die Angabe bei Dr. D). Angesichts des Umstands, dass die Klägerin kaum Deutsch spricht, weshalb die Fachärztin für Anästhesie - spezielle Schmerztherapie - Dr. McD eine weitere Therapieplanung nicht für möglich hielt (Bericht vom 01. Juni 2006 über eine einmalige Vorsprache der Klägerin in der schmerztherapeutischen Sprechstunde), dürften Gespräche auf Deutsch mit der Klägerin auch keinen therapeutischen Sinn gemacht haben. Eine Therapie bei einem Türkisch sprechenden Therapeuten, gegebenenfalls auch eine nonverbale Therapie, erscheint deshalb sinnvoll. Die bisherige Psychotherapie in der B A für P bei einem Türkisch sprechenden Psychologen hat nach den eigenen Bekundungen der Klägerin immerhin dazu geführt, dass sie mittlerweile mehrere Stationen mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren kann. Im Übrigen hat die Klägerin gegenüber der Sachverständigen selbst erwähnt, dass Dr. B mit ihr über eine tagesklinische oder vollstationäre Behandlung gesprochen habe, was sie wegen der Krankheit ihres Mannes im Moment aber nicht gewollt habe. Sie habe erst den Erfolg oder Nichterfolg der Psychotherapie abwarten wollen. Dr. D hat auch überzeugende Ausführungen zur – bisherigen – mangelhaften medikamentösen Therapie gemacht, die Dr. B nicht hat entkräften können. Im Hinblick auf die Vielzahl der bestehenden Therapiemöglichkeiten, die die behandelnden Ärzte bisher nicht einmal im Ansatz erwogen haben, hält der Senat es nicht für unwahrscheinlich, dass sich die psychische Erkrankung der Klägerin, die sie bisher am Erreichen eines potentiellen Arbeitsplatz hindert, bessern wird.

Die Gewährung einer unbefristeten Rente wegen voller Erwerbsminderung kommt deshalb nicht in Betracht.

Der Senat ist auch nicht deshalb daran gehindert, den Rechtsstreit zu entscheiden, weil die Klägerin – erstmals - am 03. März 2009 einen Antrag nach § 109 SGG gestellt hat. Denn dieser Antrag genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen des § 109 SGG. Die Klägerin hat nicht innerhalb der ihr gesetzten dreiwöchigen Frist, die am 12. Februar 2009 abgelaufen war, die Anhörung eines bestimmten Arztes beantragt, der mit Name und Anschrift bezeichnet werden soll (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. A. 2008, § 109 Rdnr. 4 m. w. N.). Dem Antrag war nicht zu folgen, weil ein weiteres Abwarten und Zulassen des Antrags die Erledigung des entscheidungsreifen und bereits terminierten Rechtsstreits verzögert hätte. Es sind auch keine Gründe ersichtlich, die die Klägerin daran gehindert haben könnten, fristgerecht bzw. zumindest vor Erhalt der Ladung zur mündlichen Verhandlung am 27. Februar 2009 einen bestimmten Arzt zu benennen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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