L 13 R 56/08

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Regensburg (FSB)
Aktenzeichen
S 3 R 762/04
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 13 R 56/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Aus einer - auch lange andauernden - Arbeitsunfähigkeit kann nicht auf eine teilweise oder volle Erwerbsminderung geschlossen werden.
2. Zum Ende einer und später aufgrund psychischer Gesundheitsbeeinträchtigungen nach einer Krebsoperation erneut eintretenden Erwerbsminderung.
Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 25. Oktober 2007 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens in vollem Umfang zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob der Klägerin ein Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung zusteht.

Die 1950 geborene Klägerin hat keine Berufsausbildung absolviert. Sie war als Näherin und zuletzt als Hilfsarbeiterin in einer Kunststofffabrik tätig. Ab 10. Februar 2003 bestand Arbeitsunfähigkeit. Am 11. Februar 2003 wurde eine Operation wegen eines festgestellten Mamma-Carcinoms durchgeführt. Sie bezog ab 24. März 2003 Krankengeld und ab 1. Mai 2004 Arbeitslosengeld.

Einen Antrag vom 5. November 1996 auf medizinische Reha-Maßnahme hatte die Beklagte abgelehnt. Bei den vorliegenden Gesundheitsbeeinträchtigungen (depressives Syndrom, chronische Migräne, Radiculopathie C 8 links, lumbale Wurzelirritation S 1 links und allergische Rhinitis) sei eine ambulante Behandlung ausreichend. Aus einer stationären Reha-Maßnahme vom 27. Januar bis 17. Februar 2004 auf internistischem Fachgebiet wurde die Klägerin nach dem Entlassungsbericht vom 20. Februar 2004 arbeitsunfähig entlassen. Leichte körperliche Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes könnten noch sechs Stunden und mehr täglich verrichtet werden. Die Beklagte gelangte am
16. März 2004 in Auswertung des Reha-Schlussberichts zu dem Ergebnis, dass eine Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit bzw. eine volle oder teilweise Erwerbsminderung nicht vorlägen.

Der Versicherungsverlauf der Klägerin wies folgende Beitragszeiten auf:
bis 12. März 1984: Pflichtbeitragszeiten
vom 1. Juli 1997 - 19. April 1998: Pflichtbeitragszeiten
vom 1. Mai bis 30. Juni 1999 und vom 1. Dezember 1999 bis 30. April 2001: geringfügige versicherungsfreie Beschäftigung
vom 1. Mai 2001 bis 28. Februar 2003: Pflichtbeiträge

Am 15. Juni 2004 beantragte die Klägerin eine Rente wegen voller Erwerbsminderung. Der Sozialmedizinische Dienst der Beklagten vertrat am 13. Juli 2004 die Auffassung, dass die Klägerin die Tätigkeit als Hilfsarbeiterin sowie leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes nur mehr drei bis unter sechs Stunden täglich verrichten könne. Dies gelte ab Eintritt der Arbeitsunfähigkeit. Mit Bescheid vom 16. Juli 2004 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab. Zwar bestehe seit 10. Februar 2003 teilweise Erwerbsminderung bzw. Berufsunfähigkeit, auch sei die erforderliche Wartezeit mit fünf Jahren anrechenbaren Zeiten erfüllt, jedoch seien in den letzten fünf Jahren nicht drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit vorhanden (§ 43 Abs. 2 Nr. 2 des Sechsten Buchs Sozialgesetzbuch - SGB VI). In dem maßgeblichen Zeitraum vom 10. Februar 1998 bis 9. Februar 2003 seien nur zwei Jahre und ein Kalendermonat mit Beiträgen belegt.

Zur Begründung des Widerspruchs machte die Klägerin geltend, die Erwerbsminderung sei zum 1. Mai 2004 eingetreten. Sie verwies auf ein Attest des behandelnden Allgemeinarztes Dr. M. vom 12. Oktober 2004. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 15. November 2004 zurück. Maßgebender Fünfjahreszeitraum sei die Zeit vom 10. Februar 1998 bis 9. Februar 2003. In der Zeit vom 1. Januar 1984 bis
31. Januar 2003 sei die Zeit von Dezember 1992 bis Juni 1997 und von Mai 1998 bis April 2001 nicht mit Anwartschaftserhaltungszeiten nach § 241 Abs. 2 SGB VI belegt.

Mit der Klage zum Sozialgericht Regensburg begehrte die Klägerin weiterhin Rente wegen Erwerbsminderung. Als Zeitpunkt des Eintritts der Erwerbsminderung sei vom 1. Mai 2004 auszugehen. Es sei nicht verständlich, warum ausgerechnet der Operationstag für den Zeitpunkt des Eintritts der Erwerbsminderung maßgeblich sein soll. Es sei von
Dr. B. und Dr. M. bestätigt, dass erst ab 1. Mai 2004 eine Erwerbsminderung eingetreten sei. Erst die schwierige Lebenssituation nach dem Mamma-Carcinom, insbesondere die anschließende Chemotherapie und eine starke depressive Symptomatik, hätten zu der Leistungsminderung geführt. Bis 30. April 2004 habe sie ferner Krankengeld bezogen; Arbeitsunfähigkeit sei jedoch nicht mit Erwerbsminderung gleichzusetzen. Maßgeblicher Zeitpunkt für das Vorliegen der Voraussetzungen nach § 43 Abs. 2 Nr. 2 SGB VI sei deshalb die Zeit vom 1. Mai 1999 bis 30. April 2004. In diesem Zeitraum seien die
Voraussetzungen erfüllt.

Der gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gehörte Gynäkologe und Onkologe Prof. Dr. S. gelangte in seinem Gutachten vom 23. Mai 2006 zu dem Ergebnis, dass eine Leistungsminderung nicht durch Folgezustände der Operation bedingt sei. Die Klägerin gelte zum gegenwärtigen Zeitpunkt als geheilt. Maßgeblich seien jedoch eine allgemeine Erschöpfung und eine depressive Verstimmung. Gründe für das Eintreten einer Leistungsminderung zwischen Februar 2004 und Juli 2004 bestünden nicht. Erwerbsminderung sei erst nach der Entlassung aus der Rehabilitation im Februar 2004 eingetreten.

Die Beklagte schloss sich, gestützt auf eine sozialmedizinische Stellungnahme des
Dr. S. vom 11. Oktober 2006, der Einschätzung des Prof. Dr. S. nicht an. Nach dessen Einschätzung, gestützt auf die Befunddokumentation, sei es nicht vorstellbar, dass die Klägerin nach der Brustoperation, anschließender Bestrahlung und Chemotherapie tatsächlich in der Lage war, voll erwerbsfähig zu sein. Die Klägerin sei daher vom
10. bzw. 11. Februar 2003 bis zunächst 30. Juni 2005 nicht voll erwerbsfähig gewesen.

Die Klägerin vertrat die Ansicht, es ergebe sich u.a. aus einer Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung in Bayern (MDK) vom 19. Oktober 2005, dass die Erwerbsminderung erst ab dem 1. Mai 2004 eingetreten sei. Danach ist angenommen, dass eine Erwerbsunfähigkeit zum Zeitpunkt vor Juni 2004 nicht bestehe, da sich die Klägerin bei der D. meldete.

Das Sozialgericht vertagte den Rechtsstreit in der Sitzung vom 11. Dezember 2006; die Klägerin legte als weitere ärztliche Befunde einen Bericht des Orthopäden Dr. R. vom 12. März 2004 sowie vom 5. April 2004, eine Stellungnahme des MDK vom 7. April 2004, wonach eine Arbeitsaufnahme erst ab Mai 2004 angestrebt werde, eine gutachterliche Äußerung des ärztlichen Dienstes der D. vom 26. Oktober 2004, wonach Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes drei bis unter sechs Stunden verrichtet werden könnten, sowie ein Attest des Dr. M. vom 21. Dezember 2006 vor. Der Sozialmedizinische Dienst der Beklagten sah sich in seiner Stellungnahme vom 23. Januar 2007 vor allem durch die Stellungnahme des MDK in seiner Annahme bestätigt, dass die Klägerin seit 10. Februar 2003 arbeitsunfähig erkrankt sei und eine zeitliche Leistungsminderung von 10. Februar 2003 bis 30. Juni 2005, gestützt in erster Linie auf die durchgemachte Brustkrebserkrankung und die Therapiefolgen, bestehe.

Das Sozialgericht holte ergänzend einen Befundbericht des Neurologen und Psychiaters Dr. V. vom 17. April 2007 sowie des Orthopäden Dr. R. vom 19. April 2007 ein.

Mit Urteil vom 25. Oktober 2007 verurteilte das Sozialgericht die Beklagte in Abänderung des Bescheides vom 16. Juli 2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom
15. November 2004, der Klägerin unter Zugrundelegung eines am 15. Juni 2004 eingetretenen Versicherungsfalls der vollen Erwerbsminderung auf Zeit Leistungen nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen bis 31. Dezember 2007 zu gewähren. Im Übrigen wies es die Klage ab. Die Beklagte wurde ferner verurteilt, ein Drittel der außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu tragen. Unstreitig sei, dass die Klägerin erwerbsgemindert sei. Aufgrund der ärztlichen Unterlagen, des Heilverfahrens-Entlassungsberichts vom
20. Februar 2004, der Stellungnahme des Dr. M. vom 12. Oktober 2004 und des Gutachtens des Prof. Dr. S. ergebe sich zur Überzeugung des Gerichts, dass der Versicherungsfall erst am 15. Juni 2004, dem Zeitpunkt der Rentenantragstellung, eingetreten ist. Nach dem Reha-Entlassungsbericht sei die Einsatzfähigkeit der Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mit sechs Stunden und mehr eingeschätzt worden. Damit stehe fest, dass der Versicherungsfall der Erwerbsminderung nicht bereits im Februar 2003 und auch nicht im Februar 2004 eingetreten sei. Dr. M. habe auf die starke depressive Symptomatik hingewiesen; diese sei jedoch zum Zeitpunkt des Heilverfahrens nicht so ausgeprägt gewesen, dass die Klägerin nicht vollschichtig auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt hätte tätig sein können. Im Übrigen bezog sich das Sozialgericht auf die Ausführungen des Prof. Dr. S ... Der Leistungsfall sei nicht durch die Folgezustände der Brustoperation, sondern durch eine Summation der psychischen und physischen Erkrankungen bedingt.

Zur Begründung der gegen dieses Urteil eingelegten Berufung hat sich die Beklagte auf eine Stellungnahme des Dr. S. vom 20. Dezember 2007 sowie auf dessen früheren Äußerungen gestützt. Die Annahme des Datums der Rentenantragstellung sei willkürlich und lasse sich nicht durch vorhandene medizinische Fakten stützen. Die Klägerin sei seit 10. Februar 2003 aufgrund ihrer Brustkrebserkrankung durchgehend arbeitsunfähig gewesen. An die Operation hätten sich eine Bestrahlung und eine Chemotherapie angeschlossen. Er könne sich nicht vorstellen, dass der Zeitpunkt des Leistungsfalls später als das medizinisch nachvollziehbare Datum der Arbeitsunfähigkeit (10. Februar 2003) anzusetzen sei. Ferner hat die Beklagte ausgeführt, es sei unzweifelhaft, dass die Klägerin ab 10. Februar 2003 aufgrund der Tumorerkrankung nicht nur in ihrem Beruf, sondern auch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr habe arbeiten können. Diese Einschätzung habe zumindest bis 1. Dezember 2007 bestanden. Die Klägerin habe so lange mit der Antragstellung gewartet, bis die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen wieder gewesen seien. Auch wenn der Sachverständige ausführe, dass die Verschlechterung nach dem Februar 2004 eingetreten sein müsse, sei es durchaus wahrscheinlich, dass sie vor dem 2. April 2004 eingetreten sei.

Der Senat hat für die Zeit vom Februar 2003 bis Juli 2004 Befundberichte des Dr. V. vom 20. Mai 2008 sowie des Dr. M. vom 25. Juni 2008 eingeholt. Dr. V. hat angegeben, dass Behandlungen wegen Hitzewallungen, Schweißausbrüchen und einer depressiven Stimmungslage stattgefunden hätten. Die Befunde seien unverändert. Dr. M. hat bestätigt, dass sich die Beschwerden in dieser Zeit in erster Linie auf das Mamma-Carcinom bezogen hätten. Der Allgemeinarzt Dr. P. hat angegeben, in diesem Zeitraum kaum Kontakt mit der Klägerin gehabt zu haben.

Nach Ansicht des Dr. S. (Stellungnahme vom 16. Juli 2008) wird auch aus diesen Befundberichten deutlich, dass bei der Klägerin ab Diagnosestellung eines Brustkrebses im Februar 2003 eine fortdauernde Arbeitsunfähigkeit und damit der Eintritt des Leistungsfalls ab Februar 2003 bestanden habe.

Der Senat hat ein Gutachten nach Aktenlage des Gynäkologen Dr. C. vom 27. September 2008 eingeholt. Die Brusterkrankung sei nach den Befundberichten der Reha-Klinik und der Begutachtung von Prof. Dr. S. als geheilt einzustufen und damit nicht die Ursache für die Leistungsminderung, die zur Berentung führe. Es bestünden weitere Erkrankungen, deren Summierung für die Leistungsminderung in Frage kämen. Vom Vorliegen eines Leistungsfalls sei deshalb nach dem Februar 2004 auszugehen. Die Leistungsminderung sei durch die Summierung von psychischen und physischen Erkrankungen aufgetreten. Durch die Diagnose und die operative Behandlung des Mamma-Carzinoms sei eine Leistungsminderung nicht bedingt gewesen.

Auch hierzu hat die Beklagte eine sozialmedizinische Stellungnahme vom 20. Oktober 2008 übersandt. Nach Aktenlage sei nicht ersichtlich, dass zwischen dem 10. Februar 2003 und Februar 2004 wieder eine Arbeitsfähigkeit bestanden habe.

Der Senat hat eine Auskunft der AOK Bayern über die Arbeitsunfähigkeitszeiten ab
10. Februar 2003 eingeholt. Danach hat Arbeitsunfähigkeit vom 10. Februar 2003 bis
30. April 2004 bestanden. Die Beklagte hat darauf hingewiesen, dass damit Zeiten der Arbeitsfähigkeit zwischen Februar 2003 und Februar 2004 nicht dokumentiert seien. Das Ende der Arbeitsunfähigkeit am 30. April 2004 sei damit zu erklären, dass das Arbeitsverhältnis zum 30. April 2004 geendet habe. Warum sich die Klägerin nicht weiterhin arbeitsunfähig krank gemeldet habe, entziehe sich ihrer Kenntnis. Die Tatsache, dass sie sich arbeitslos gemeldet habe, sei kein Beweis dafür, dass sie erwerbsfähig auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gewesen sei. Die Beklagte hat im Übrigen auf eine weitere Stellungnahme des Dr. S. vom 7. Januar 2009 verwiesen. Dem Reha-Entlassungsbericht vom 20. Februar 2004 sei nicht zu folgen. Nach der zum Zeitpunkt der Entlassung vorliegenden objektiv-medizinisch funktionalen Befundlage sei nicht davon auszugehen, dass die Klägerin zum damaligen Zeitpunkt arbeitsfähig gewesen sei. Im Übrigen sei die Klägerin ausdrücklich arbeitsunfähig bis zur nächsten frauenärztlichen Nachsorgeuntersuchung entlassen worden. Subjektiv habe sich die Klägerin den Belastungen des Arbeitslebens nicht mehr gewachsen gefühlt. Arbeitsfähigkeit in der Zeit vom 10. Februar 2003 bis
30. April 2004 sei somit nach sozialärztlicher Überzeugung nicht gegeben und auch nicht möglich gewesen.

Die Klägerin hat auf das Gutachten des Dr. C. verwiesen. Es sei von ärztlicher Seite mehrfach bestätigt worden, dass erst zum Zeitpunkt der Rentenantragstellung von einer eingetretenen Erwerbsminderung ausgegangen werden könne. Auch seien die ab 1. Mai 2004 bestätigten Zeiten der Arbeitslosigkeit Indiz für die von ihr vertretene Rechtsauffassung.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 25. Oktober 2007 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Im Übrigen wird gemäß § 136 Abs. 2 SGG zur Ergänzung des Tatbestandes auf den Inhalt der Akten der Beklagten, der D. C., die vom Senat beigezogen wurden, sowie der Klage- und Berufungsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist zulässig (§§ 143, 151 SGG), aber unbegründet. Das Urteil des Sozialgerichts ist nicht zu beanstanden.

Versicherte haben gemäß § 43 Abs. 2 bzw. Abs. 1 SGB VI bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie
voll bzw. teilweise erwerbsgemindert sind,
in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen, § 43 Abs. 3 SGB VI.

Die Voraussetzungen des § 43 Abs. 2 SGB VI liegen bei der Klägerin vor. Auch nach Einschätzung der Beklagten ist von einer vollen Erwerbsminderung bis Dezember 2007 auszugehen. Es besteht zumindest bis zu diesem Zeitpunkt ein vermindertes Leistungsvermögen: Zumutbar sind nur mehr Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes von über drei bis unter sechs Stunden. Da die Klägerin keinen Arbeitsplatz inne hat, wird bei der derzeitigen Arbeitsmarktlage aus dem insoweit gegebenen Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung ein Anspruch auf eine volle Erwerbsminderungsrente, d.h. die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung schlägt in die Rente wegen voller Erwerbsminderung durch (KassKomm-Niesel, § 43 SGB VI, Rdnr. 32 m.w.N.).

Umstritten ist zwischen den Beteiligten allerdings der Zeitpunkt des Eintritts des Leistungsfalls bzw. ob die unmittelbar nach der Krebsoperation zunächst wohl anzunehmende Erwerbsminderung vor der Stellung des Rentenantrags beendet war. Dies ist vorliegend von zentraler Bedeutung für den Rechtsstreit, da die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nach § 43 Abs. 2 Nr. 2 SGB VI bei Annahme des Leistungsfalls mit Beginn der Arbeitsunfähigkeit am 10. Februar 2003 nicht gegeben sind. In dem dann maßgeblichen Zeitraum vom 10. Februar 1998 bis 9. Februar 2003 sind nur zwei Jahre und ein Kalendermonat mit Beiträgen belegt. Etwas anderes ergibt sich nur, wenn die Erwerbsminderung endete und ein erneuter Leistungsfall erst am 1. Mai 2004 oder zum Zeitpunkt der Rentenantragstellung im Juni 2004 eingetreten ist. In diesem Fall sind die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nach § 43 Abs. 2 Nr. 2 SGB VI gegeben, da die Klägerin ab 24. März 2003 Krankengeld und ab 1. Mai 2004 Arbeitslosengeld bezogen hat. Maßgeblich ist hierbei der Zeitraum vom 1. Mai 1999 bis 30. April 2004 bzw. vom
1. Juni 1999 bis 31. Mai 2004.

Wenn die Beklagte in ihren Stellungnahmen wiederholt darauf hinweist, dass nach dem 10. Februar 2003 keine Arbeitsfähigkeit mehr eingetreten ist, ist dies zwar zutreffend, wie sich auch aus der Auflistung der zuständigen Krankenkasse ergibt. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass Arbeitsunfähigkeit von einer Erwerbsminderung im rentenrechtlichen Sinn zu unterscheiden ist. Die durchgehende Arbeitsunfähigkeit betrifft allein den konkret zuletzt ausgeübten Beruf, hier als Hilfsarbeiterin in einer Kunststofffabrik. Der Begriff der Erwerbsminderung ist erheblich weiter gefasst und betrifft neben dem zuletzt ausgeübten Beruf auch vergleichbare Tätigkeiten, Verweisungstätigkeiten und vorliegend vor allem auch Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes. Aus einer - auch lange andauernden - Arbeitsunfähigkeit als Hilfskraft kann damit nicht auf eine teilweise oder volle Erwerbsminderung geschlossen werden.

Nach Überzeugung des Senats ist spätestens mit dem Ende der medizinischen Rehabilitationsmaßnahme am 17. Februar 2004 eine Erwerbsminderung, die durch die gynäkologisch-onkologische Operation eingetreten war, beendet gewesen (§ 100 Abs. 3 S. 1
SGB VI). Dies ergibt sich ohne Zweifel aus dem Reha-Entlassungsbericht der LVA-Klinik vom 20. Februar 2004, nach dem zum Zeitpunkt der Entlassung das Leistungsbild auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt als vollschichtig für leichte Tätigkeiten eingestuft wurde. Die Beklagte schloss sich in Auswertung dieses Berichts am 16. März 2004 dieser Einschätzung an und stellte fest, dass Erwerbsminderung nicht vorliegt.

Auch nach dem vorliegenden Gutachten des Prof. Dr. S. sowie dem vom Senat eingeholten Gutachten des Dr. C. ergibt sich übereinstimmend, dass ein erneuter, hier maßgeblicher Leistungsfall nach dem Februar 2004 eingetreten ist. Dabei ist zu unterscheiden zwischen dem gynäkologisch-onkologischen Krankheitsbild, das seit 10. Februar 2003 mit Diagnose und Behandlung des Mamma-Carzinoms der linken Brust besteht, und den sonstigen Gesundheitsbeeinträchtigungen der Klägerin, insbesondere auch auf psychischem Gebiet. Die Sachverständigen haben ausgeführt, dass die Klägerin hinsichtlich der Krebserkrankung als geheilt gilt. Organmetastasen wurden nach Durchführung der Mastektomie, einer adjuvanten Chemotherapie und einer Strahlentherapie nicht festgestellt. Auch nach dem Reha-Entlassungsbericht vom 20. Februar 2004 wurde die Klägerin, wie dargelegt, zwar arbeitsunfähig entlassen, doch wurde das Leistungsvermögen für leichte körperliche Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes mit sechs Stunden und mehr täglich ohne wesentliche Einschränkungen eingeschätzt. Psychische Erkrankungen spielten im Rahmen der Reha-Maßnahme offensichtlich keine Rolle; sie finden in der Rehabilitationsdiagnose keine Erwähnung. Es ergibt sich lediglich aus der Feststellung, dass sich die Klägerin subjektiv den Belastungen des Arbeitslebens nicht mehr gewachsen sah. Ein Krankheitsbild oder gar eine Leistungsbeeinträchtigung wurden daraus nicht abgeleitet. Damit besteht gemäß § 43 Abs. 3 SGB VI zumindest ab dem Entlassungszeitpunkt im Februar 2004 keine Erwerbsminderung mehr.

Neben dem gynäkologisch-onkologischen Befund besteht auf psychiatrischem Fachgebiet eine depressive Symptomatik, wie sie sich ansatzweise bereits aus dem Antragsverfahren aus dem Jahre 1996 zur Durchführung einer Rehabilitation ergab. Bei der Klägerin wurden ein depressives Syndrom, eine chronische Migräne, eine Radiculopathie C 8 links, eine lumbale Wurzelirritation S 1 links und eine allergische Rhinitis bescheinigt, die in ihrer Ausprägung jedoch von der Beklagten nicht als so gravierend eingestuft wurden, dass eine stationäre Reha-Maßnahme zu genehmigen wäre. Der Allgemeinarzt Dr. M. bescheinigte am 12. Oktober 2004 neben dem Zustand nach Mamma-Carcinom eine starke depressive Symptomatik. Der MDK berichtete in der Stellungnahme vom 7. April 2004 ebenfalls von einer depressiven Symptomatik und Schulterbeschwerden der Klägerin. Besonders belastend war zum damaligen Zeitpunkt die gleichzeitige Erkrankung des Ehemannes, bei dem aktuell eine neurochirurgische Operation zur Besserung seiner Schmerzen vorgesehen war. Nach der Anamnese ist dies alles der Klägerin "zu viel geworden". Der MDK schilderte, dass eine ausgeprägt depressive Stimmungslage der Klägerin ganz augenfällig war. Ein erneuter Arbeitsversuch wurde für Mai 2004 geplant. Hierzu war die Klägerin dann offensichtlich nicht mehr bereit, da sie Leistungen der Arbeitslosenversicherung beantragte. In der späteren Stellungnahme vom 19. Oktober 2005 machte der MDK-Arzt klar, dass für ihn im Februar 2004 nicht erkennbar war, dass eine Wiederaufnahme einer Erwerbstätigkeit nicht mehr möglich sein würde. Er bestätigte dabei die Einschätzung des Reha-Entlassungsberichts.

Aus der Akte der D. (gutachterliche Äußerung des Ärztlichen Dienstes vom 26. Oktober 2004) ergibt sich ebenfalls eine leistungsrelevante psychische Gesundheitsbeeinträchtigung. Aufgrund der psychischen Problematik ging der begutachtende Arzt noch für längere Zeit von einer eingeschränkten psychischen Belastbarkeit aus. Die Klägerin kann nach dessen Einschätzung leichte körperliche Tätigkeiten ohne besondere Belastung der Wirbelsäule oder des linken Armes und ohne besondere psychische Belastungen nur mehr drei bis unter sechs Stunden täglich verrichten.

Eine Zunahme der depressiven Krankheitssymptome ergibt sich ergänzend auch aus den vom Senat eingeholten Befundbericht des Dr. V. für die Zeit von Februar 2002 bis Juli 2004. Die Klägerin, die bei Dr. V. seit 1995 in Behandlung ist, war danach zunächst nur mehrmals im März 2003, also zu Beginn der onkologischen Behandlung, in psychiatrischer Behandlung. Eine weitere Behandlung erfolgt dann im Oktober 2003 und im September 2004. Es zeigte sich 2003 eine verstärkte innere Unruhe und im Oktober 2003 eine "relativ gebahnte Verstärkung der depressiven Symptomatik". Auch dadurch wird deutlich, dass es sich bei der depressiven Symptomatik um einen progredienten Vorgang handelt, der sich im Jahre 2004 insbesondere durch die akute Entwicklung der Erkrankung des Ehemannes weiter zuspitzte. Unter Medikamentengabe konnte nach dem Bericht des Dr. V. vom 14. September 2004 die depressive Symptomatik verbessert werden. Auch Dr. V. verwies dabei u.a. auf die schwierige Lebenssituation der Klägerin.

Insgesamt gelangt damit der Senat zu der Überzeugung, dass die Klägerin zwar durchgehend arbeitsunfähig war, jedoch eine Erwerbsminderung, eingetreten durch die onkologische Erkrankung, spätestens im Februar 2004 endete. Die primäre Krebserkrankung war und ist ausgeheilt, wie sich insbesondere aus dem Reha-Entlassungsbericht sowie den Gutachten ergibt. Es kam jedoch, wie auch von Dr. M. und vor allem auch vom MDK bestätigt, aufgrund der persönlichen Lebenssituation der Klägerin zu einer ausgeprägten depressiven Symptomatik sowie zu zunehmenden Schmerzen in der linken Schulter, so dass der Leistungsfall aufgrund der Verschlechterung nach dem Februar 2004 anzunehmen ist. Da zum Zeitpunkt der Begutachtung durch den MDK am 7. April 2004 eine Erwerbsminderung nicht angenommen wurde, ist der Eintritt des Leistungsfalls frühestens auf den 1. Mai 2004 festzulegen. Es ist damit nicht zu beanstanden, wenn das Sozialgericht den Leistungsbeginn auf den Zeitpunkt der Antragstellung am 15. Juni 2004 festlegte.

Die Rente war gemäß § 102 Abs. 2 S. 5 SGB VI zu befristen, da nicht unwahrscheinlich war, dass die durch den Erschöpfungszustand und die depressive Verstimmung verursachte Erwerbsminderung durch ärztliche Behandlung und eine medizinische Reha-Maßnahme behoben werden kann.

Weitere medizinische Ermittlungen sind nach Ansicht des Senats nicht erforderlich, da das Bestehen einer Erwerbsminderung bis Dezember 2007 nicht umstritten ist. Aufgrund der zeitnahen Dokumentation durch den MDK und den behandelnden Allgemeinarzt ist der Sachverhalt umfassend aufgeklärt.

Die Kostenfolge stützt sich auf § 193 SGG und berücksichtigt, dass die Berufung der Beklagten ohne Erfolg geblieben ist. Die Klägerin hat sich im Berufungsverfahren nicht gegen das erstinstanzliche Urteil gewandt.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil Gründe nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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