S 48 KR 310/09 ER

Land
Hamburg
Sozialgericht
SG Hamburg (HAM)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
48
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 48 KR 310/09 ER
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt. 2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens. 3. Der Streitwert wird auf EUR 28.863,01 festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes um eine Retaxierung.

Der Antragsteller ist Inhaber der G.-Apotheke in Hamburg, die Antragsgegnerin ist eine Ersatzkasse nach § 168 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V). Zwischen den Beteiligten gilt der Arzneilieferungsvertrag (ALV) in der Fassung vom 21.08.2008, abgeschlossen zwischen dem Verband der Angestellten Krankenkassen e. V. und dem Arbeiter-Ersatzkassen-Verband e. V. einerseits und dem Deutschen Apothekerverband e. V. Berlin, darunter der Hamburgische Apothekerverein e. V., dessen Mitglied der Antragsteller ist, andererseits.

Die Apotheke des Antragstellers belieferte in den Monaten Juli und August 2007 mehrere zu Gunsten von bei der Antragsgegnerin Versicherten ausgestellte Verordnungen über Oxybutynin-Fertigspritzen. Anwendungsbereich von Oxybutynin ist die neurogene Blasenentleerungsstörung. Das Mittel dient der Relaxierung einer überaktiven Harnblase und kommt u. a. bei Patienten mit Querschnittslähmung, Spina befida (offener Rücken), multipler Sklerose und anderen neurologischen Schädigungen zum Einsatz. Der Wirkstoff Oxybutynin wird auch als Fertigarzneimittel in Tablettenform angeboten (z. B. Dridase®). Bei Gegenanzeigen zur oralen Verabreichung wird eine Oxybutynin-Lösung direkt über einen Katheter in die Blase eingespült. Der Antragsteller stellt die Lösung in seiner Apotheke durch Autoklavierung (Dampfdruck-Sterilisierung) aus Oxybutynin, sterilem Wasser, Natriumchlorid und Chlorwasserstoff her. Die Lösung wird anschließend steril bzw. aseptisch in Einmalspritzen eingefüllt. Die einzelne Spritze wird sodann mit einem für die Anbindung an den Katheter erforderlichen Adapter versehen und steril sowie lichtundurchlässig verpackt. Die Herstellung einer Oxybutynin-Rezeptur zur Instillation in die Blase erfolgt nach den Vorschriften des Neuen Rezeptur-Formulariums (NRF). Das NRF ist in den Bänden 3-5 des Deutschen Arzneimittel Codex enthalten. In Kapitel 9.3 Urologika des NRF ist die "Oxybutyninhydrochlorid-Instillationslösung 0,025%" aufgeführt.

Die Apotheke des Antragstellers gibt bereits seit Jahren Fertigspritzensets an bei der Antragsgegnerin versicherte Patienten auf Grundlage vertragsärztlicher Verordnungen ab. Das Oxybutynin-Fertigspritzen-Instillationsset besitzt keine arzneimittelrechtliche Zulassung nach § 21 des Gesetzes über den Verkehr mit Arzneimitteln (Arzneimittelgesetz – AMG).

Die Antragsgegnerin hatte bereits in der Vergangenheit – ebenso wie andere Krankenkassen – die Abrechnungen des Antragstellers beanstandet und eine Retaxierung vorgenommen, die Gegenstand eines anhängigen Klageverfahrens ist (Az.: S 48 KR 1134/05). Zwischen den Beteiligten steht dabei in Streit, ob die Oxybutynin-Lösungen als parenterale Lösungen zu berechnen sind und demzufolge ein Rezepturzuschlag nach Anlage 3 der Hilfstaxe anzusetzen ist oder ob sich der Arbeitspreis nach Punkt 4 der Hilfstaxe Rezepturzuschläge ("Anfertigung von Arzneimitteln mit Durchführung einer Sterilisation, Sterifiltration oder aseptischer Zubereitung") richtet.

Dem vorliegenden Verfahren liegt hingegen eine schriftliche Abrechnungskorrektur der Antragsgegnerin vom 11.07.2008 iHv EUR 28.863,01 für die Belieferung von Verordnungen von Oxybutynin-Fertigspritzen-Instillationssets in den Monaten Juli und August 2007 zugrunde. Die Antragsgegnerin begründete die Beanstandung damit, dass die Oxybutynin-Fertigspritzen-Instillationssets im Zeitpunkt der Abgabe in Deutschland nicht zugelassen und daher auch nicht verordnungsfähig gewesen seien. Eine Abrechnung zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) sei daher nicht zulässig gewesen.

Gegen die Absetzung legte der Antragsteller unter dem 28.07.2008 Einspruch ein, dem die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 24.09.2008 nicht abhalf.

Mit Schreiben vom 11.02.2009 übersandte die Antragsgegnerin dem Arznei- und Heilmittel-Fachzentrum B. die Berichtigungsnachweise aus den Monaten Juli und August 2007 und bat um Berücksichtigung der dort genannten Beträge bei der nächsten Abrechnung.

Der Antragsteller hat am 05.03.2009 das Sozialgericht um einstweiligen Rechtsschutz ersucht.

Er trägt vor, die Frage der Verkehrs- oder Verordnungsfähigkeit könne im Rahmen einer Beanstandung nach § 17 ALV nicht geltend gemacht werden. Im Übrigen aber ergebe sich die Verkehrsfähigkeit des streitgegenständlichen Arzneimittels aus § 141 Abs. 4 AMG, die Verordnungsfähigkeit aus § 31 Abs. 1 SGB V. Gem. § 4 Abs. 1 ALV sei die Antragsgegnerin zur Abgabe des angegebenen Arzneimittels auf der ordnungsgemäß ausgestellten vertragsärztlichen Verordnung verpflichtet. Ein Ausschluss der Belieferung bestehe nur im Rahmen des § 4 Abs. 5 ALV, dessen Voraussetzungen nicht vorlägen. Letztlich sei im ALV eine Absetzung bzw. Aufrechnung von Forderungen nicht vorgesehen, so dass ein vertragliches Aufrechnungsverbot bestehe. Die Sache sei auch eilbedürftig. Die Apotheke des Antragstellers stehe unter Sanierungsbeobachtung ihrer Gläubiger und habe zum 31.12.2008 Verbindlichkeiten in Höhe von EUR 1.530.298,48 gehabt. Die Richtigkeit dieses Vortrags wird durch den Prokuristen der Apotheke an Eides Statt versichert. Die nun drohende Aufrechnung sei so erheblich, dass die Gläubiger der Apotheke bestehende Darlehenverträge kündigen könnten. Zudem sei es der Apotheke unzumutbar, Versicherte einer der größten gesetzlichen Krankenkassen nicht mehr zu beliefern.

Der Antragsteller beantragt:

Der Antragsgegnerin wird verboten, durch Aufrechnung mit Forderungen des Antragstellers gegen die Antragsgegnerin die Absetzungsbeträge aus der Abgabe von Oxybutynin-Instillationssets aus dem Schreiben der Antragstellerin vom 11.07.2008 in Höhe von EUR 28.863,01 zu verrechnen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.

Sie meint, die fehlende arzneimittelrechtliche Zulassung der Fertigspritzensets stelle eine sachliche Unrichtigkeit im Sinne des § 17 Abs. 1 ALV und damit einen Beanstandungsgrund dar. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus § 141 Abs. 4 AMG, da der Tatbestand der Norm nicht erfüllt sei. Die Fertigspritzensets hätten sich in der Form, in der sie im Juli und August 2007 von der Apotheke des Antragstellers abgegeben worden seien, nicht bereits am 05.09.2005 im Verkehr befunden. Vielmehr seien die Fertigspritzensets mit eigener Pharmazentralnummer (PZN) erst ab 15.03.2007 im Handel, wie sich aus der Lauer-Taxe ergebe. Letztlich komme es darauf aber gar nicht an. Denn selbst wenn der Tatbestand des § 141 Abs. 4 AMG erfüllt wäre, bedeutete dies lediglich, dass die Sets weiter im Sinne von § 4 Abs. 17 AMG in den Verkehr gebracht werden dürften. Die bloße Verkehrsfähigkeit begründe aber im Leistungsrecht der GKV keinen Anspruch auf Versorgung mit diesem Arzneimittel. Auch die Listung der Fertigspritzensets in der Lauer-Taxe vermöge nichts an ihrer fehlenden Zulassung zu ändern. Letztlich bestehe kein Anordnungsgrund, da dem Antragsgegner, bezogen auf den Marktanteil der Antragsgegnerin und den Gesamtumsatz der Apotheke, nur geringe wirtschaftliche Nachteile drohten.

Der Antragsteller hat dagegen vorgebracht, das streitgegenständliche Arzneimittel sei zunächst als Rezepturarzneimittel abgegeben worden, habe sich zu dieser Zeit also unstreitig im Verkehr befunden und sei über die Regelung für Rezepturarzneimittel auch für die Versorgung von gesetzlich krankenversicherten Patienten zugelassen gewesen. Über diesen Weg sei es auch bisher von der Antragsgegnerin erstattet worden. Durch die Änderungen der 14. AMG-Novelle falle das streitgegenständliche Arzneimittel nunmehr unter den Begriff des Fertigarzneimittels. Aufgrund der Ausnahmevorschrift des § 141 Abs. 4 AMG dürfe dieses Fertigarzneimittel weiterhin in den Verkehr gebracht werden. Hier sei zu beachten, dass das Arzneimittel zuvor als Rezepturarzneimittel abrechnungsfähig gewesen sei. Entgegen der Behauptung der Antragsgegnerin würden die Instillationssets in dieser Form seit mindestens April 2005 in den Verkehr gebracht. Andernfalls wäre nicht zu erklären, weshalb die Gesundheitsbehörde am 30.06.2008 die weitere Verkehrsfähigkeit bestätigt habe. Die Frage, ob bzw. wann das Arzneimittel mit seiner neuen PZN versehen worden sei, sei für die Frage des § 141 Abs. 4 AMG nicht entscheidend. Das streitgegenständliche Arzneimittel sei i. Ü. nicht von der L. GmbH, sondern von der I. GmbH, Informationsstelle für Arzneimittelspezialitäten, gelistet worden. Diese habe die PZN erst erteilt, nachdem die nach § 141 Abs. 4 AMG gesetzlich vorgeschriebenen Voraussetzungen nachgewiesen worden seien. Bei der Frage des Anordnungsgrundes dürfe nicht außer Acht gelassen werden, dass die Antragsgegnerin für die Zeit ab 15.03.2009 weitere Aufrechnungen iHv rund EUR 250.000 angekündigt habe.

II.

Der Antrag ist zulässig (1.), aber unbegründet (2.).

1. Der Antrag ist zulässig. Statthaft ist der Antrag nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Der Antragsteller will erreichen, dass der Antragsgegnerin die Aufrechnung mit einem Rückforderungsanspruch gegen laufende Zahlungsansprüche des Antragstellers aus Arzneimittellieferungen verboten wird. In der Hauptsache würde es sich wegen des zwischen den Beteiligten bestehenden Gleichordnungsverhältnisses um eine allgemeine Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG in Form der vorbeugenden Unterlassungsklage handeln. Das hierfür erforderliche qualifizierte Rechtsschutzbedürfnis (BSG, Urteil vom 15.11.1995, Az.: 6 RKa 17/95, juris) liegt vor. Es ist dem Antragsteller nicht zuzumuten, zunächst die Aufrechnung, bei der es sich der Sache nach um Zahlungsverweigerungen (BSG, Urteil vom 03.08.2006, Az.: B 3 KR 7/05 R, juris) handelt, abzuwarten und erst dann um einstweiligen Rechtsschutz nachzusuchen. Vielmehr muss wegen des Grundsatzes effektiver Rechtsschutzgewährung in dieser Konstellation schon vorbeugender vorläufiger Rechtsschutz möglich sein.

2. Der Antrag bleibt aber in der Sache ohne Erfolg.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht – soweit ein Fall nach Abs. 1 nicht vorliegt – auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach Satz 2 der Vorschrift sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes setzt in diesem Zusammenhang einen Anordnungsanspruch, also einen materiell-rechtlichen Anspruch auf die Leistung, zu der der Antragsgegner im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet werden soll, sowie einen Anordnungsgrund, nämlich einen Sachverhalt, der die Eilbedürftigkeit der Anordnung begründet, voraus. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft zu machen.

Die Kammer hat sich, was zulässig ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005, Az.: 1 BvR 569/05, NVwZ 2005, 927), bei der Entscheidung über den Antrag an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientiert. Sie hat dabei, angesichts der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren mit seinen im Verhältnis zum Hauptsacheverfahren geringeren Erkenntnisquellen, eine lediglich summarische, d. h. nur überschlägige und vorläufige, unter dem Vorbehalt des Ausgangs eines möglichen Hauptsacheverfahrens stehende Prüfung der Sach- und Rechtslage durchgeführt. Ausreichend ist es nämlich nach den einfach-gesetzlichen Maßgaben des § 86b Abs. 2 SGG, dass dem Antragsteller der geltend gemachte Anspruch mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zusteht und dass ohne Eilrechtsschutz bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache mit überwiegender Wahrscheinlichkeit eine erhebliche Rechtsverletzung droht. Es genügt deshalb im Regelfall bei der Prüfung der Erfolgsaussichten eines Hauptsacheverfahrens ein herabgesetzter Grad der Rechtsüberzeugung; dies umso mehr, wenn es sich um schwierige Rechtsfragen handelt (Krodel, Das sozialgerichtliche Eilverfahren, 2. Aufl. 2008, Rn. 285).

Eine abschließende Prüfung der Sach- und Rechtslage ist vorliegend nicht erforderlich, da dem Antragsteller bei Nichtgewährung einstweiligen Rechtsschutzes – über die für den Anordnungsgrund ohnehin zu fordernden möglichen erheblichen Rechtsverletzung hinaus – keine schweren und unzumutbaren, nicht anders abwendbaren Beeinträchtigungen, insbesondere schwere Grundrechtsverletzungen im Sinne der zur Existenzsicherung entwickelten Rechtsprechung des BVerfG (aaO), drohen. Der Antragsteller trägt zwar vor, es drohe die Insolvenz der Apotheke, so dass eine Betroffenheit von Art. 12 GG in Rede steht. Das Vorbringen des Antragstellers und die der Kammer vorliegenden Erkenntnisse genügen aber nicht, um mit einiger Sicherheit von einer Bedrohung der wirtschaftlichen Existenz auszugehen. Denn zum einen ist im vorliegenden Eilverfahren allein die angekündigte Aufrechung mit einem Rückzahlungsanspruch der Antragsgegnerin iHv rund EUR 28.000 gegen laufende Forderungen des Antragstellers streitbefangen, nicht aber die im Schriftsatz des Bevollmächtigten vom 24.03.2009 genannten weiteren Rechnungsberichtigungen. Zum anderen ist auch die Bezugnahme auf die Eidesstattliche Versicherung des Prokuristen nicht geeignet, um eine aktuell drohende Insolvenz glaubhaft zu machen. An Eides Statt versichert worden ist nur, dass die Apotheke unter Sanierungsbeobachtung ihrer Gläubiger stehe und dass ihre Verbindlichkeiten zum 31.12.2008 EUR 1.530.298,48 betragen hätten. Der Antragsteller ist dem Einwand der Antragsgegnerin, angesichts ihres eigenen Marktanteils und des Gesamtumsatzes der Apotheke sei eine Existenzgefährdung nicht zu erkennen, nicht substantiiert entgegen getreten, sondern hat die Berechnungen der Antragsgegnerin lediglich als "aus der Luft gegriffen" bezeichnet. Auch fehlt es an einer Darlegung, welche Darlehensverträge konkret von einer Kündigung bedroht sind.

Es kann dahingestellt bleiben, ob angesichts dessen überhaupt von einer Eilbedürftigkeit der Sache ausgegangen werden kann. Jedenfalls aber hat der Antragsteller schon keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Denn nach vorläufiger Prüfung der Rechtslage erweist sich die von der Antragsgegnerin beabsichtigte Aufrechnung als rechtmäßig, so dass ein Hauptsacheverfahren aller Voraussicht nach ohne Erfolg bleiben wird.

Zwischen den Beteiligten ist die Berechnung der Rückforderungssumme unstreitig. Streitig ist hingegen, ob der Antragsgegnerin dem Grunde nach das Recht zur Abrechnungskorrektur für Lieferungen der Oxybutynin-Fertigspritzen-Instillationssets in den Monaten Juli und August 2007 zustand. Nach vorläufiger Einschätzung der Kammer ist dies der Fall.

Eine Aufrechung war entgegen der Auffassung des Antragstellers nach § 69 Satz 4 SGB V, § 387 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) möglich und nicht allein deshalb ausgeschlossen, weil dies im ALV nicht ausdrücklich erwähnt ist (vgl. im Weiteren BSG, Urteil vom 03.08.2006, Az.: B 3 KR 7/05 R, juris). § 17 ALV regelt das Verfahren bei Rechnungsberichtigungen, setzt also die Existenz eines öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs voraus, auf dessen Grundlage die durch rechnerische oder sachliche Unrichtigkeit verursachte unrechtmäßige Vermögensverschiebung zu korrigieren ist. Nach § 17 Abs. 4 Satz 2 ALV können bei erfolglosem Einspruch gegen eine ausgesprochene Beanstandung durch die Ersatzkasse "Rechnungskorrekturen" erfolgen. Bei diesen kann es sich nur um eine Aufrechnung gegen laufende Vergütungsansprüche des Apothekers handeln, die i. Ü. auch ständiger Praxis der Vertragsparteien des ALV entspricht.

Es liegt auch eine Aufrechnungslage vor. Voraussetzung für eine Aufrechung ist, dass sich zum Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung gegenseitige, gleichartige und fällige bzw. erfüllbare Forderungen gegenüberstehen.

Es ist zwischen den Beteiligten unstreitig, dass dem Antragsteller Zahlungsansprüche wegen laufender Arzneimittellieferungen an Versicherte der Antragsgegnerin zustehen (Hauptforderung). Der Antragsgegnerin dürfte auch eine Gegenforderung zustehen, mit der sie aufrechnen kann. Nach überschlägiger Prüfung der Sach- und Rechtslage hat die Antragsgegnerin einen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch gegen den Antragsteller. Der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch ist auf die Rückgewährung rechtsgrundlos erlangter Leistungen gerichtet (entsprechend § 812 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt. BGB).

Eine Vermögensverschiebung hat vorliegend durch die Begleichung der streitbefangenen Rechnungen für die Lieferung der Oxybutynin-Fertigspritzen stattgefunden (vgl. § 12 Abs. 1 ALV). Im Bereich des Arzneimittelrechts können bei einem unwirksamen Kaufvertrag zwischen Apotheke und Krankenkasse die gezahlten Arzneimittelvergütungen zurückgefordert werden (BSG, Urteil vom 03.08.2006 aaO). Ein wirksamer Kaufvertrag zwischen Krankenkasse und Apotheke kommt nur zustande, wenn die in den gesetzlichen und vertraglichen Regelungen niedergelegten Abgabebestimmungen eingehalten wurden (BSG, Urteil vom 03.08.2006 aaO). Der Antragsteller hatte aber nach vorläufiger Prüfung keinen Vergütungsanspruch gegen die Antragsgegnerin für die in den Monaten Juli und August 2007 erfolgte Lieferung der Oxybutynin-Fertigspritzen.

Entgegen der Ansicht des Antragstellers ist eine Rechnungs- und Taxberichtigung und die damit verbundene Aufrechung gegen spätere Zahlungsansprüche aus Arzneimittellieferungen nicht nur bei sog. Abrechnungsfehlern möglich, sondern auch dann, wenn sich nachträglich herausstellt, dass ein Medikament nicht vom Leistungskatalog der GKV erfasst wird (BSG, Urteil vom 03.08.2006 aaO).

Vorliegend waren die vom Antragsteller in den Monaten Juli und August 2007 abgegebenen Oxybutynin-Fertigspritzen-Instillationssets offenbar nicht vom Leistungskatalog der GKV erfasst. Nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 iVm § 31 Abs. 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln. Die Versorgungspflicht der Krankenkassen unterliegt aber den Einschränkungen aus § 2 Abs. 1 und § 12 Abs. 1 SGB V. Sie umfasst daher nur solche Leistungen, die für die Behandlung zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen. An der Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit einer Arzneitherapie fehlt es, wenn das verwendete Medikament nach den Vorschriften des Arzneimittelrechts der Zulassung nach § 21 AMG bedarf und die Zulassung nicht erteilt worden ist (BSG, Urteil vom 23.07.1998, Az.: B 1 KR 19/96 R, juris).

Vorliegend hängt die Notwendigkeit einer Zulassung davon ab, ob die Fertigspritzensets als Rezepturarzneimittel oder als Fertigarzneimittel zu qualifizieren sind.

Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AMG in der Fassung der 14. AMG-Novelle sind Fertigarzneimittel Arzneimittel, die im Voraus hergestellt und in einer zur Abgabe an den Verbraucher bestimmten Packung in den Verkehr gebracht werden oder andere zur Abgabe an den Verbraucher bestimmte Arzneimittel, bei deren Zubereitung in sonstiger Weise ein industrielles Verfahren zur Anwendung kommt oder die, ausgenommen in Apotheken, gewerblich hergestellt werden. In der Regel soll also die Anwendung eines industriellen Verfahrens oder die gewerbliche Herstellung die Fertigarzneimitteleigenschaft begründen. In der Apotheke hergestellte Rezepturarzneimittel sind nur insoweit ausgenommen, als es sich tatsächlich um eine individuelle Rezeptur handelt (Rehmann, AMG-Kommentar, 3. Aufl. 2008, § 4 Rn. 1).

Die Frage, ob es sich bei dem Oxybutynin-Fertigspritzen-Instillationsset um ein Fertigarzneimittel oder ein Rezepturarzneimittel handelt, ist schon deshalb schwierig zu beantworten, da die Vorschrift des § 4 Abs. 1 AMG, soweit die Herstellung eines Arzneimittels in der Apotheke betroffen ist, in unterschiedlicher Weise interpretiert wird (vgl. zu den Einzelheiten Rehmann aaO). Zudem ist aus dem Vortrag des Antragstellers nicht zu erkennen, ob er – in dem hier in Rede stehenden Zeitraum – entsprechende Fertigspritzen-Sets vorab oder jeweils nach Vorlage einer entsprechenden vertragsärztlichen Verordnung hergestellt hat. Der Antragsteller geht aber selbst davon aus, dass es sich bei den im Juli und August 2007 abgegebenen Spritzensets um Fertigarzneimittel iSv § 4 Abs. 1 Satz 1 AMG gehandelt hat. Er hat offenbar mit der I. GmbH die Aufnahme des Oxybutynin-Fertigspritzen-Instillationssets in die I.-Datenbank und die Vergabe einer sog. PZN vereinbart. Letztere wird aber, außer für apothekenübliche Waren iSv § 25 Apothekenbetriebsordnung, nur für Fertigarzneimittel vergeben. Es bestehen deshalb keine Bedenken, die Auffassung des Antragstellers jedenfalls im Eilverfahren zugrunde zu legen.

Nach § 21 Abs. 1 Satz 1 AMG dürfen Fertigarzneimittel nur in den Verkehr gebracht werden, wenn sie zugelassen sind. Unstreitig war für die Fertigspritzensets im Juli und August 2007 noch keine Zulassung erteilt worden. Vielmehr fehlt es auch noch gegenwärtig an einer Entscheidung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte über den offenbar am 26.08.2008 gestellten Zulassungsantrag. Bei nicht abgeschlossenem Zulassungsverfahren ist ein Arzneimittel aber nicht verordnungsfähig (BSG, Urteil vom 23.07.1998 aaO).

Etwas anderes folgt im vorliegenden Fall auch nicht unter Berücksichtigung der Übergangsvorschrift des § 141 Abs. 4 AMG. Danach dürfen Fertigarzneimittel, die sich am 05.09.2005 im Verkehr befinden und nach dem 06.09.2005 nach § 4 Abs. 1 AMG erstmals der Zulassungspflicht nach § 21 AMG unterliegen, weiter in den Verkehr gebracht werden, wenn für sie bis zum 01.09.2008 ein Antrag auf Zulassung gestellt worden ist.

Es ist schon zweifelhaft, ob sich die vom Antragsteller an Versicherte der Antragsgegnerin abgegebenen Fertigspritzensets iSd § 141 Abs. 4 am 05.09.2005 im Verkehr befunden haben. Denkbar wäre es nämlich, dass den Herstellern von Fertigarzneimitteln durch die Übergangsvorschrift lediglich ermöglicht werden sollte, bereits hergestellte und iSv § 4 Abs. 17 AMG vorrätig gehaltene Arzneimittelbestände weiter zu veräußern. Soweit der Antragsteller nicht gerade die konkreten, im Juli und August 2007 abgegebenen Spritzensets bereits vor dem 05.09.2007 vorrätig gehalten hatte – was sich nicht aufdrängt –, wäre der Tatbestand nach dieser Auslegung nicht erfüllt.

Es kann aber dahingestellt bleiben, ob diesem Verständnis vom Regelungsgehalt der Vorschrift zu folgen ist. Denn die bloße Verkehrsfähigkeit der Fertigspritzensets nach dem AMG im Zeitpunkt der Abgabe im Jahre 2007 würde ohnehin nicht für eine Verordnungsfähigkeit nach dem SGB V ausreichen. Die arzneimittelrechtliche Verkehrsfähigkeit allein begründet im Leistungsrecht der GKV keinen Anspruch auf Versorgung mit diesem Arzneimittel (vgl. dazu im Einzelnen BSG, Urteil vom 27.09.2005, Az.: B 1 KR 6/04 R, juris). Dies gilt aber im vorliegenden Fall umso mehr, als die – vorübergehende – Verkehrsfähigkeit nach § 141 Abs. 4 AMG lediglich auf der Übergangsvorschrift des § 141 Abs. 4 AMG gründet. Das Fertigarzneimittel darf also als Ausnahme zum präventiven Verbot mit Erlaubnisvorbehalt aus § 21 Abs. 1 AMG weiter abgegeben werden. Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit der Oxybutynin-Fertigspritzen-Instillationssets sind hingegen noch nicht im Zulassungsverfahren nach § 21 AMG nachgewiesen worden. In diesem Fall ist es aber trotz arzneimittelrechtlicher Verkehrsfähigkeit sachgerecht, die Verordnungsfähigkeit des Medikaments zu Lasten der GKV zunächst zu verneinen, bis über den Zulassungsantrag positiv entschieden worden ist. Der Antragsteller kann auch nicht mit dem Argument gehört werden, die fehlende Erstattungsfähigkeit des Arzneimittels in der GKV trotz seiner Verkehrsfähigkeit bedeute das "Aus" für jedes Arzneimittel im Rahmen der Übergangsvorschrift des § 141 Abs. 4 AMG, so dass die Vorschrift nach richtigem Verständnis auch eine vorübergehende Verordnungsfähigkeit zu Lasten der GKV statuiere. Hierbei wird außer Acht gelassen, dass das AMG als reines Sicherheits- und Verkehrsrecht keine Regelungen zur Frage der Arzneimittelversorgung nach dem SGB V trifft.

Nach allem ist die angekündigte Aufrechnung durch die Antragsgegnerin vorläufig nicht zu beanstanden, so dass der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz abzulehnen war.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 197a SGG iVm § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung.

III.

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG iVm § 52 Gerichtskostengesetz.
Rechtskraft
Aus
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