L 15 V 7/08

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
15
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 2 V 10/06
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 15 V 7/08
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zu Fragen einer "wiederaufgelebten"Witwenrente im Sinne von § 44 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) bei verspäteterAntragstellung unter Berücksichtigung der Grundsätze des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs, einer fraglichen Verletzung allgemeiner Hinweis- und Beratungspflichten gemäß §§ 13 ff. SGB I und einem nicht erfolgten Hinweis des Rentenversicherungsträgers gemäß § 115 Abs.6 SGB VI.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts
Nürnberg vom 15. Januar 2008 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand:


Der Kläger begehrt als Rechtsnachfolger von A., geboren 1914, verstorben 07.02.2007, Leistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG). Streitig ist zwischen den Parteien der Beginn der sog. "wiederaufgelebten Witwenrente" im Sinne von § 44 Abs.2 und 6 BVG.

A. ist in erster Ehe mit J. H., geboren 1916, verheiratet gewesen. Dieser ist als Angehöriger der 134. Infanterie-Division kriegsbedingt am 25.03.1944 in einem Lazarett verstorben. Aus dieser Ehe ist der 1938 geborene Sohn W. H. hervorgegangen, der ebenfalls bereits verstorben ist.

In zweiter Ehe ist A. mit J. A. verheiratet gewesen. Dieser ist am 02.06.1988 verstorben. Aus dieser Ehe ist der nunmehrige Kläger, geboren 1952, hervorgegangen.

A. hat ihrem Sohn A. am 25.04.2006 Generalvollmacht und darüber hinaus eine spezielle Vollmacht erteilt, sie in ihrer Versorgungsangelegenheit gegenüber dem Beklagten zu vertreten. Dementsprechend hat der Kläger mit Schreiben vom 02.05.2006 für seine zwischenzeitlich verstorbene Mutter A. das Wiederaufleben der Witwenrente nach J. H. beantragt.

Diesem Antrag hat der Beklagte mit dem streitgegenständlichen Bescheid des Zentrum Bayern Familie und Soziales Region Mittelfranken (ZBFS) vom 28.06.2006 insoweit stattgegeben, als beginnend ab 01.05.2006 (Antragsmonat) eine wiederaufgelebte Witwenrente im Sinne von § 44 Abs.2 und 6 BVG bewilligt worden ist. Beginnend ab 01.05.2006 sind monatlich 401,- EUR eingewiesen worden, ab 01.07.2006 monatlich 398,- EUR.

Der Widerspruch vom 24.07.2006 gegen den Bescheid des ZBFS vom 28.06.2006 ist mit Widerspruchsbescheid des ZBFS vom 10.08.2006 zurückgewiesen worden. Die wiederaufgelebte Witwenrente stehe gemäß § 44 Abs.2 und 6 BVG erst ab der Antragstellung im Mai 2006 zu, nicht jedoch rückwirkend ab 01.07.1988. Im sozialen Entschädigungsrecht gelte grundsätzlich das Antragsprinzip. Die Voraussetzungen für einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch seien nicht gegeben. Ein Verstoß des Rentenversicherungsträgers gegen seine Beratungspflichten sei nicht nachgewiesen. Die Voraussetzungen für die Anwendung des Härteausgleichs nach § 89 BVG seien ebenfalls nicht erfüllt.

Die hiergegen gerichtete Klageschrift vom 23.08.2006 ist am selben Tag beim Sozialgericht Nürnberg (SG) eingegangen. Der Bevollmächtigte von A. bzw. nunmehr A. hat mit Klagebegründung vom 07.11.2006 hervorgehoben, dass nach dem Wortlaut von § 44 Abs.4 Satz 1 2. Halbsatz BVG ein Rentenbeginn auch ohne Antrag möglich sei. Das Gesetz verlange auch für eine Abfindung nach § 44 Abs.1 Satz 1 BVG keinen vorherigen Antrag. Weiterhin habe der Beklagte seine Beratungs- und Hinweispflichten nach den §§ 13 ff. des Sozialgesetzbuches - Allgemeiner Teil - (SGB I) verletzt. In § 115 Abs.6 des Sozialgesetzbuches - Gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI) sei ein Beratungsgebot des Rentenversicherungsträgers enthalten, welches dieser ebenfalls nicht ausreichend beachtet habe, da hier ein sog. "geeigneter" Fall vorliege. Vorliegend habe durch eine Akteneinsicht eruiert werden können, dass seitens des Beklagten bereits mit Bescheid vom 16.04.1952 eine Waisenversorgung an W. H., dem Sohn des J. H., bis zu dessen 18. Lebensjahr gezahlt worden sei. Es hätte sich dem Beklagten daher aufdrängen müssen, die Hinterbliebene A. umfassend über ihre bestehenden Rechte zu beraten. Entgegen der Auffassung des Beklagten seien hier auch die Voraussetzungen der Härtefallregelung im Sinne § 89 BVG gegeben. Es liege ein "klassischer Härtefall" vor, da genau für 17 Jahre und 10 Monate keine wiederaufgelebte Witwenrente bewilligt worden sei; die entgangenen Rentenleistungen von über 85.000,- EUR seien nach Maßgabe von § 44 SGB I zu verzinsen.

Die Beteiligten haben mit wechselseitigen Schriftsätzen an ihren jeweiligen Auffassungen festgehalten, dass der zwischenzeitlich verstorbenen A. eine entsprechende wiederaufgelebte Witwenrente nachzuzahlen sei bzw. erst ab dem Antragsmonat Mai 2006 zustehe.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 15.01.2008 abgewiesen. § 44 Abs.4 BVG regele unmissverständlich, dass die Witwenversorgung mit dem Monat beginne, in dem sie beantragt werde. Es würden sich keinerlei Hinweise darauf ergeben, dass die verstorbene Klägerin zu irgendeinem Zeitpunkt falsch beraten worden sei. Aufgrund der objektiven Beweislast in sozialgerichtlichen Verfahren müsse daher die Beweislosigkeit die Klägerseite tragen, da sie einen vermeintlichen Anspruch daraus herleiten wolle. Der Klägerin bzw. ihrem Rechtsnachfolger stehe auch kein Härteausgleich gemäß § 89 BVG zu, da sich aus den Vorschriften des BVG, insbesondere § 44 Abs.4 BVG, keine besonderen Härten ergeben würden.

Die hiergegen gerichtete Berufung vom 29.02.2008 ging am selben Tag beim Bayer. Landessozialgericht (LSG) ein. Zur Begründung führte der Bevollmächtigte des nunmehrigen Klägers als Rechtsnachfolger von A. mit Schriftsatz vom 14.08.2008 aus, auch aus dem Wortlaut des § 60 Abs.1 Satz 2 und Satz 3 sowie des Abs.3 Satz 1 BVG gehe klar hervor, dass es sogar für Zeiträume vor einer Antragstellung Leistungen geben könne, und dass es auch zu einer Gewährung höherer Leistungen kommen könne, ohne dass hier ein entsprechender Antrag gestellt werden müsse. Im Übrigen wiederholte der Bevollmächtigte des Klägers im Wesentlichen sein bisheriges erstinstanzliches Vorbringen.

In der mündlichen Verhandlung vom 03.03.2009 stellt der Bevollmächtigte des Klägers den Antrag aus dem Schriftsatz vom 29.02.2008:
Der Beklagte wird unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Nürnberg vom 15.01.2008 und des Bescheides vom 28.06.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.08.2006 verurteilt, dem Kläger als Rechtsnachfolger von A. rückwirkend ab dem 01.07.1988 unter Berücksichtigung des gesetzlichen Zinssatzes eine Witwenrente nach den gesetzlichen Bestimmungen des BVG zu gewähren.

Gleichzeitig wird hilfsweise beim Beklagten der Antrag gestellt,
eine identische Zahlung im Wege des Härteausgleichs gemäß § 89 BVG zu gewähren bzw. eine Abfindung in gesetzlicher Höhe.

Der Bevollmächtigte des Beklagten beantragt,
die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 15.01.2008 als unbegründet zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird gemäß § 202 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i.V.m. § 540 Zivilprozessordnung (ZPO) sowie entsprechend § 136 Abs.2 SGG auf die beigezogenen Unterlagen des Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.



Entscheidungsgründe:


Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist gemäß den §§ 143, 144 und 151 SGG zulässig, jedoch unbegründet.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 15.01.2008 - S 2 V 10/06 - zutreffend abgewiesen. Der Beklagte hat mit Bescheid vom 28.06.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.08.2006 ebenso zutreffend die wiederaufgelebte Witwenrente im Sinne von § 44 Abs.2 und 6 BVG erst beginnend ab 01.05.2006 bewilligt.

Vorab wird zur Vermeidung von Wiederholungen gemäß § 153 Abs.2 SGG auf die Gründe der angefochtenen erstinstanzlichen Entscheidung Bezug genommen.

In Berücksichtigung des klägerischen Vorbringens ist ergänzend nochmals auf § 44 Abs.4 Satz 1 BVG hinzuweisen. Danach beginnt die Witwenversorgung mit dem Monat, in dem sie beantragt wird (hier: Mai 2006), frühestens jedoch mit dem auf den Antrag der Auflösung oder Nichtigerklärung der Ehe folgenden Monat. § 44 Abs.4 Satz 1 BVG gewährleistet somit, dass auch bei einer vorzeitigen Antragstellung der Beklagte erst dann leisten muss, wenn sämtliche gesetzlichen Voraussetzungen hierfür vorliegen. § 44 Abs.4 Satz 1 BVG kann jedoch nicht entnommen werden, dass auf einen Antrag gänzlich verzichtet werden kann.

Letzteres gilt auch in Berücksichtigung von § 60 Abs.1 Satz 1 BVG. Die in § 60 Abs.1 Sätze 2 und 3 BVG vorgesehenen Ausnahmen greifen vorliegend nicht zu Gunsten der verstorbenen A. bzw. ihres Rechtsnachfolgers. Denn nach Aktenlage ist nicht mehr aufklärbar, aus welchen Gründen A. selbst den erforderlichen Antrag nicht wesentlich früher bzw. zeitnah nach dem Tode ihres zweiten Ehegattens eingereicht hat. Mutmaßungen über die hierfür maßgeblichen Gründe sind spekulativer Natur, wie der Bevollmächtigte des Beklagten in der mündlichen Verhandlung vom 03.03.2009 zutreffend ausgeführt hat.

Im Hinblick auf den geltend gemachten sozialrechtlichen Herstellungsanspruch bzw. die Verletzung von Beratungs- und Hinweispflichten gemäß §§ 13 ff. SGB I ist auszuführen, dass im Zeitpunkt des Ablebens von J. A., verstorben 02.06.1988, der Beklagte nicht hat tätig werden können, weil ihm dessen Tod zum damaligen Zeitpunkt nicht mitgeteilt worden ist. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob der Rentenversicherungsträger Landwirtschaftliche Alterskasse Oberfranken und Mittelfranken A. entsprechend § 115 Abs.6 SGB VI über deren Rechte nach § 44 BVG hätte informieren müssen. Ein "geeigneter" Fall im Sinne dieser Vorschrift liegt jedoch nicht vor, weil dem Rentenversicherungsträger regelmäßig nicht bekannt ist, welche weitergehenden Rechte Antragsteller als nach dem SGB VI wie z.B. hier nach dem sozialen Entschädigungsrecht inne haben.

Zudem hat das Bundessozialgericht (BSG) mit Urteil vom 24.07.2003 - B 4RA 13/03 R - entschieden, dass die Beratungspflicht eines Sozialleistungsträgers sich grundsätzlich nur auf die Gewährung der sozialen Rechte nach dem SGB erstreckt, nicht jedoch auf außerhalb des SGB existierende Sicherungssysteme anderer Art (hier: nach dem sozialen Entschädigungsrecht). Denn § 13 SGB I betrifft allein die generelle Aufklärungspflicht der Sozialleistungsträger gegenüber der Bevölkerung; aus deren Verletzung kann kein Herstellungsrecht entstehen.

Soweit der Bevollmächtigte des Klägers darüber hinaus problematisiert hat, dass der Beklagte mit Bescheid vom 16.04.1952 eine Waisenversorgung am W. H., den Sohn aus erster Ehe mit J. H., bis zu dessen 18. Lebensjahr bewilligt hat, ist dies ebenfalls nicht anspruchsbegründend. Denn weder mit Ablauf des 18. Lebensjahres von W. H. noch bei dessen Ableben hat auf Seiten des Beklagten eine Pflicht bestanden, zu Gunsten von A. Ermittlungen aufzunehmen, ob deren zweite Ehe mit J. A. noch bestand, um diese dann ggf. über ihre Rechte nach § 44 BVG aufzuklären.

Auch die Grundsätze des Härteausgleiches im Sinne von § 89 BVG stützen das klägerische Begehren nicht. Entgegen den Ausführungen des Bevollmächtigten des nunmehrigen Klägers in der mündlichen Verhandlung vom 03.03.2009 können auch nicht die Grundsätze einer "Brautversorgung" vergleichbar herangezogen werden. Denn eine besondere Härte ist nicht immer dann gegeben, wenn die Braut mit ihrem Verlobten infolge von dessen kriegsbedingtem Tod die Ehe nicht schließen konnte, deshalb auch nicht seine Witwe im Sinne von § 38 Abs.1 BVG geworden ist, und sie daher nach der Auflösung der Ehe mit einem anderen Mann keine "wiederaufgelebte" Witwenversorgung nach § 44 Abs.2 beanspruchen kann (BSG, Urteil vom 11.09.1975 - 9 RV 152/74 - bei Fehl, in Wilke, Soziales Entschädigungsrecht, 7. Auflage, Rz.7 zu § 89 BVG). Das BSG hat hervorgehoben, dass die Braut der Witwe eines Kriegstoten nicht in vollem Umfang rechtlich gleichstehe und deshalb auch der Witwe nicht bei der Versorgung uneingeschränkt wegen aller Nachteile durch einen Härteausgleich gleichzustellen sei, die ihr durch das Unterbleiben der Eheschließung mit dem Kriegstoten entstanden seien. So wie die Erstbewilligung einer "Brautversorgung" nach § 89 BVG davon abhängig sei, dass die Lage der Braut derjenigen einer versorgungsberechtigten Witwe nahekomme, setze eine besondere Härte im Sinne des § 89 BVG eine der Witwe ähnliche Lage voraus, die durch das Fehlen eines Rechtsanspruchs auf die "wiederaufgelebte" Versorgung nach § 44 BVG bedingt sein müsste. Dies sei eine Frage des Einzelfalles. Wer seinen Verlobten durch eine Gewalttat verloren habe, könne Witwenversorgung als Härteausgleich ("Brautversorgung") grundsätzlich nicht erhalten (BSG, Urteil vom 24.04.1991 - 9a RVg 2/90 -, a.a.O.).

Vorliegend besteht nach Auffassung des erkennenden Senats vorbehaltlich einer nochmaligen Prüfung durch den Beklagten (vgl. Hilfsantrag vom 03.03.2009) kein "klassischer Härtefall" im Sinne von § 89 BVG, auch wenn die entgangenen Rentenleistungen mit rund 85.000,- EUR erheblich sind. Dies gilt auch in Berücksichtigung des Umstandes, dass nach dem glaubhaften Vorbringen des nunmehrigen Klägers in der mündlichen Verhandlung vom 03.03.2009 dieser seine zuletzt pflegebedürftige Mutter nennenswert mit eigenen Mitteln unterstützt hat.

Nach alledem ist die Berufung des Klägers als Rechtsnachfolger von A. gegen das Urteil des SG vom 15.01.2008 zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich (§ 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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