L 4 KR 335/07

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 4 KR 254/05
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KR 335/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts
Landshut vom 10. Mai 2007 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Erstattung von Fahrtkosten vom klägerischen Wohnort in A-Stadt zum Transplantationszentrum M. vom 06.09.2005 streitig.

Der 1948 geborene Kläger, der weiterhin bei der Beklagten in der Krankenversicherung der Rentner (KVdR) versichert ist, wurde 1986 und 1992 nierentransplantiert. Bei ihm liegt zusätzlich unter anderem eine chronisch aktive Hepatitis C vor. Beim Kläger lag gemäß dem Bescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung L. vom 23.09.2003 ein Gesamt-Grad der Behinderung (GdB) von 80 ohne Zuerkennung von Merkzeichen vor.

Mit Bescheiden vom 13.04.2004 und 11.08.2005 erstattete die Beklagte dem Kläger die angefallenen Fahrtkosten für die Krankenfahrten zum Transplantationszeitrum. Im letztgenannten Bescheid belehrte die Beklagte den Kläger über die Krankentransport-Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses, wonach eine weitere Kostenerstattung nicht möglich sei.

Am 17.08.2005 beantragte der Kläger (erneut) eine Fahrtkostenerstattung für einen ambulanten Termin am 06.09.2005 im Transplantationszentrum in M ...

Mit streitigem Bescheid vom 22.08.2005 lehnte die Beklagte unter Hinweis auf ihren Bescheid vom 11.08.2005 eine Kostenerstattung ab.

Mit seinem dagegen erhobenen Widerspruch machte der Kläger insbesondere geltend, die Kontrollen im Transplantationszentrum seien für ihn besonders wichtig, da bei ihm eine chronisch aktive Hepatitis C vorliege. Diese könne bei transplantierten Patienten weder mit Interferon bzw. einem Virusstaticum behandelt werden. Ein Verzicht auf die Beförderung zu diesen Behandlungen würde bei ihm zu Schaden an Leib und Leben führen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 21.09.2005 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Eine Beteiligung an den Fahrtkosten zur ambulanten Behandlung sei nicht möglich, da die Kosten für Fahrten und Krankentransporte hierfür ab 01.01.2004 grundsätzlich keine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung (KV) mehr seien und auch kein besonderer Ausnahmefall vorliege. Auch läge kein besonderer Ausnahmefall nach § 8 der Krankentransport-Richtlinien vor. Die mit dem PKW durchgeführten Fahrten nach M. ins dortige Klinikum würden nicht der Vermeidung einer an sich gebotenen stationären oder teilstationären Krankenhausbehandlung dienen und würden auch nicht im Zusammenhang mit einer ambulanten Operation stehen.

Zur Begründung der dagegen am 06.10.2005 zum Sozialgericht Landshut (SG) erhobenen Klage hat der Kläger im Wesentlichen vorgetragen, festzustellen sei, dass § 8 der Krankentransport-Richtlinien der Beklagten ein eingeschränktes Ermessen einräume, Fahrten aufgrund zusätzlicher Ausnahmefälle zu gestatten. Ein derartiger Ausnahmefall läge hier vor, da er zusätzlich an einer Hepatitis-C-Erkrankung leide. Eine Nachsorge durch örtliche Krankenhäuser oder etwa niedergelassene Fachärzte sei nicht möglich. Soweit die Beklagte auch darauf abstelle, dass das Kriterium einer hohen Behandlungsfrequenz nicht erfüllt sei, werde darauf hingewiesen, dass der Gemeinsame Bundesausschuss bewusst keine Bezifferung der hohen Behandlungsfrequenz vorgenommen habe, weil eine konkrete Zahl nicht sachgerecht gewesen wäre. Des Weiteren hat der Kläger auf eine Übersicht über stattgefundene Untersuchungstermine (für 2005 14-mal und für 2007 10-mal) hingewiesen.

Mit Urteil vom 10.05.2007 hat das SG der Klage stattgegeben und die Beklagte zur Erstattung der Fahrtkosten verurteilt. Nach Auffassung des Gerichts lag eine hohe Behandlungsfrequenz vor. Für die Bewertung "hoch" könne nach Ansicht der Kammer kein objektiver Maßstab gelten, sondern müsse jeweils auf die individuelle Situation des Versicherten unter Berücksichtigung aller gegebenen Umstände eine Entscheidung getroffen werden. Beim Kläger sei festzuhalten, dass die Behandlungen alle vier bis sechs Wochen erfolgen hätten müssen und weiterhin müssten. Im Übrigen stehe dem Kläger kein relativ dichtes Netz an verschiedenen "Anbietern" zur Verfügung.

Gegen das Urteil des SG vom 10.05.2007 richtet sich die Berufung der Beklagten. Diese vertritt weiterhin die Auffassung, dass die Voraussetzungen eines besonderen Ausnahmefalles nach § 8 der Krankentransport-Richtlinien nicht vorlägen. Auch handle es sich um keine hohe Behandlungsfrequenz, da die Nachsorge im Durchschnitt etwa einmal monatlich erfolge ... Der unbestimmte Rechtsbegriff der hohen Behandlungsfrequenz sei an den Regelverhältnissen der ausdrücklich genannten Therapien zu messen. Diese Therapien würden sich durch eine Behandlungsdichte von deutlich mehr als zweimal monatlich auszeichnen. Ihrer Auffassung entspreche auch das Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 13.10.2006 (L 1 KR 1010/05). Dort werde zutreffend festgestellt, dass selbst bei einem sehr langen Behandlungszeitraum bei einer Behandlungsdichte von zweimal im Monat nicht mehr von einer hohen Behandlungsfrequenz gesprochen werden könne, ohne sich von dem Maßstab der Regelausnahmen all zu weit zu entfernen. Vorliegend seien die Kontrolluntersuchungen sogar noch deutlich seltener gewesen.

Mit Beschluss vom 08.10.2007 trennte der Senat die Streitsache, soweit sie die Verfahren S 4 KR 60/06 und S 4 KR 71/07 (entspricht L 4 KR 405/07 und L 4 KR 406/07) betraf.

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 10.05.2007 auf zuheben und die Klage abzuweisen.

Der Vertreter des Klägers beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das von der Beklagten angefochtene Urteil für zutreffend. Ergänzend verweist er auf § 115a Abs.2 Satz 4 SGB V, wonach die Durchführung von Kontrolluntersuchungen nach Organübertragungen im Transplantationszentrum auch nach Beendigung der nachstationären Behandlung vorgesehen seien, um die weitere Krankenbehandlung oder Maßnahme zur Qualitätssicherung wissenschaftlich zu begleiten oder zu unterstützen. Die geltend gemachten Fahrtkosten würden sich auf 52,00 EUR pro Einzeltermin belaufen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der beigezogenen Akten sowie der gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz -SGG -). Insbesondere ist der Beschwerdewert von früher 500,00 EUR bzw. seit 01.04.2008 750,00 EUR erreicht, da bei Einlegung der Berufung nicht nur die einzelne Fahrt vom 06.09.2005 in Frage stand, sondern auch die übrigen im Jahr 2005, 2006 und 2007 stattgefundenen Fahrten. In der Sache selbst ist das Rechtsmittel begründet, da das SG zu Unrecht mit Urteil vom 10.05.2007 der Klage stattgegeben hat.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erstattung von Fahrtkosten für ambulante Untersuchungen im Transplantationszentrum (Klinikum I.).

Das Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung hat die bisherige Regel, nach der die Krankenkasse die Kosten für Fahrten zu ambulanten Behandlungen zu übernehmen hatte, außer Kraft gesetzt. Nach § 60 Abs.1 Satz 3 SGB V übernimmt die Krankenkasse Fahrtkosten zu einer ambulanten Behandlung unter Abzug des sich nach § 61 Satz 1 SGB V ergebenden Betrages nur nach vorheriger Genehmigung in besonderen Ausnahmefällen, die der Gemeinsame Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen in den Richtlinien nach § 92 Abs.1 Satz 2 Nr.12 SGB V mit Verbindlichkeit auch für die Versicherten (§ 91 Abs.9 SGB V) festgelegt hat.

Nach § 8 der entsprechenden Krankentransport-Richtlinien können auch Fahrten zur ambulanten Behandlung bei zwingender medizinischer Notwendigkeit von der Krankenkasse übernommen und vom Vertragsarzt verordnet werden. Sie bedürfen der vorherigen Genehmigung durch die Krankenkasse (Abs.1). Voraussetzung für eine Verordnung und eine Genehmigung sind,

dass der Patient mit einem durch die Grunderkrankung vorgegebenen Therapieschema behandelt wird, das eine hohe Behandlungsfrequenz über einen längeren Zeitraum aufweist,
und
dass diese Behandlung oder der zu dieser Behandlung führende Krankheitsverlauf den Patienten in einer Weise beeinträchtigt, dass eine Beförderung zur Vermeidung von Schaden an Leib und Leben unerlässlich ist (Abs.2 Satz 1).

Daneben kann die Fahrt zur ambulanten Behandlung für Versicherte verordnet und genehmigt werden, die einen Schwerbehindertenausweis mit den Merkzeichen "aG", "BL" oder "H" oder einen Einstufungsbescheid gemäß dem Elften Buch Sozialgerichtsgesetz (SGB XI) in die Pflegestufen 2 oder 3 bei der Verordnung vorliegen (Abs.3 Satz 1). Die Krankenkassen genehmigen auf ärztliche Verordnung Fahrten zur ambulanten Behandlung von Versicherten, die keinen Nachweis nach Satz 1 besitzen, wenn diese von einer den Kriterien von Satz 1 vergleichbaren Beeinträchtigung der Mobilität betroffen sind und einer ambulanten Behandlung über einen längeren Zeitraum bedürfen (Satz 2).

§ 8 Abs.3 der Krankentransport-Richtlinien ist nicht erfüllt. Zwar ist der Kläger schwerbehindert, bei ihm sind jedoch keine Merkzeichen zuerkannt. Der Kläger hat auch keinen Einstufungsbescheid nach SGB XI in die Pflegestufe II oder III. Zwar bedarf es keiner ärztlichen Verordnung, da es ausschließlich um Fahrten mit dem privaten Pkw geht, weil nach § 7 Abs.4 lediglich - wie hier - eine Anwesenheitsbescheinigung erforderlich ist.

Ein Ausnahmefall liegt hier entgegen der Auffassung des SG aber nicht vor. Denn die ambulanten Untersuchungen des Klägers im Transplantationszentrum weisen keine hohe Behandlungsfrequenz über einen längeren Zeitraum auf, weshalb die alternativen Voraussetzungen des § 8 Abs.2 der Richtlinien nicht erfüllt sind. Gehen die Richtlinien davon aus, dass Dialysebehandlungen sowie onkologische Strahlen- und Chemotherapien in der Regel eine hohe Behandlungsfrequenz über einen längeren Zeitraum aufweisen, liegt es nahe, diesen unbestimmten Rechtsbegriff an den Rechtsregelverhältnissen bei den vorgenannten Therapien zu messen. Diese Verhältnisse bieten zwar insoweit kein einheitliches Bild, als Chemotherapien auch in der Weise durchgeführt werden können, dass der Patient die Medikamente jeweils nur an einem Tag mit Pausen von zwei bis vier Wochen erhält. Da diese Form der Behandlung von allen anderen aber deutlich abweicht, ist davon auszugehen, dass sie nicht unter die in den Richtlinien (§ 8 Abs.2 Satz 2 in Verbindung mit Anlage 2) genannte Regel fällt, diese vielmehr durch jene Behandlungsdichte geprägt ist, die den in Anlage 2 der Richtlinien genannten Therapien - eben mit Ausnahme genannter Form der Chemotherapie -, gemeint ist. Diese Therapien zeichnen sich aber durch eine Behandlungsdichte von deutlich mehr als durchschnittlich zweimal monatlich aus. Somit lässt sich hier die Annahme einer hohen Behandlungsfrequenz nicht begründen.

Zutreffend weist die Beklagte in diesem Zusammenhang darauf hin, dass der Kläger im Jahr 2005 die Nachsorge 14-mal, im Jahr 2006 13-mal in Anspruch genommen hat. Durchschnittlich findet damit die Nachsorge etwa einmal monatlich statt. Hierbei handelt es sich keinesfalls um eine hohe Behandlungsfrequenz. Von einer solchen wird man nur sprechen können, wenn eine Behandlung mindestens wöchentlich ansteht (vgl. hierzu BSG vom 28.07.2008 - B 1 KR 27/07 R). Hinzuweisen ist auch darauf, dass auch für das Jahr 2007 es bei "gerade einmal" elf Kontrolluntersuchungen an einer hohen Behandlungsfrequenz fehlt.

Ein Recht auf weitere Übernahme der Fahrtkosten ergibt sich auch nicht aus den zusprechenden Bewilligungsbescheiden der Beklagten vom 13.04.2004 und 11.08.2005. In den genannten Bescheiden hat die Beklagte insoweit ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sie die geltend gemachten Kosten "nochmals" ausnahmsweise übernehme. Des Weiteren hat sie den Kläger über die Krankentransport-Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses belehrt, wonach eine weitere Kostenübernahme nicht möglich sei. Ein Rechtsanspruch auf weitere Kostenübernahme resultiert daraus nicht.

Die vom Sozialgericht bedachte große Entfernung zum nächstgelegenen Zentrum sieht das Gesetz nicht als maßgeblich an. Dieses Problem besteht schon immer für Versicherte, die außerhalb von Ballungszentren wohnen.

Soweit der Kläger den Anspruch auf Fahrtkostenerstattung mit § 115a Abs.2 Satz 4 SGB V begründen will, wird diese Begründung vom Senat nicht für plausibel gehalten. Danach wird zwar ausdrücklich die weitere Durchführung von Kontrolluntersuchungen nach Organübertragungen im Transplantationszentrum auch nach Beendigung der nachstationären Behandlung vorgesehen. Der Beklagten ist aber darin zu folgen, dass sich hieraus keine Verpflichtung zur Übernahme der Fahrtkosten ableiten lässt, denn diese sind in § 60 SGB V geregelt. Hinzu kommt, dass die gesetzlich geregelte Transplantationsnachsorge nach § 115a Abs.2, Satz 4 SGB V in der Richtlinie (Anlage 2) gerade nicht erwähnt ist. Im übrigen sind Krankenfahrten gemäß § 7 Abs.2b Krankentransport-Richtlinien zu einer vor- oder nachstationären Behandlung gemäß § 115a SGB V (nur dann) durchzuführen, wenn dadurch eine aus medizinischer Sicht gebotene vollstationäre oder teilstationäre Krankenhausbehandlung verkürzt oder vermieden werden kann. Auch dies ist hier unstreitig nicht der Fall.

Somit war auf die Berufung der Beklagten das Urteil des SG Landshut vom 10.05.2007 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Außergerichtliche Kosten waren nicht zu erstatten, da der Kläger unterlegen ist (§ 193 SGG).

Der Senat hat die Revision zugelassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Hier geht es um die Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs "hohe Behandlungsfrequenz", also um die Frage, ob eine durchschnittlich einmal pro Monat durchgeführte Krankenfahrt unter diesen Begriff in § 8 der Krankentransport-Richtlinien i.V.m. § 60 SGB V fällt (§ 144 Abs.2 Nr.1 SGG).
Rechtskraft
Aus
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