S 12 KA 527/08

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
12
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 12 KA 527/08
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KA 51/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Dient eine Umstellungsosteotomie vorwiegend der Setzung von Implantaten, so handelt es sich um präimplantologische Maßnahmen, die Teil einer Gesamtleistung sind, der sich hinsichtlich der Leistungsbewilligung nicht aufspalten lässt (so zutreffend LSG Bayern, Urt. v. 25.10.2007 – L 4 KR 275/05 – www.sozialgerichtsbarkeit.de).
1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin hat die notwendigen Verfahrenskosten zu tragen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um eine sachlich-rechnerische Berichtigung der Kieferbruchabrechnung 3/2007 im Behandlungsfall der Frau D in Höhe von 4.437,35 EUR.

Die Klägerin ist eine Gemeinschaftspraxis mit vier zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Zahnärzten in A-Stadt. Herr Dr. med. Dr. med. dent A ist Arzt für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie und Zahnarzt. Die übrigen Mitglieder der Gemeinschaftspraxis sind Zahnärzte.

Die Beklagte hörte den Kläger zu einer sachlich-rechnerischen Berichtigung im Behandlungsfall der 1949 geborenen und bei der IKK Baden-Württemberg und Hessen versicherten Patientin D an. Zur Vorlage der Röntgenbilder erklärte die Klägerin, diese habe sie an die Patientin ausgeliehen, bei der sie abhanden gekommen sei. Die Patientin D erklärte auf Anfrage der Beklagten unter Datum vom 05.11.2007, dass die von ihr geliehenen Röntgenunterlagen bei Aufräumungsarbeiten ihrer Reinigungsdame leider abhanden gekommen seien (Papier-Müll-Container). Sie seien leider unauffindbar.

Die Beklagte nahm mit Bescheid vom 29.11.2007 eine sachlich-rechnerische Berichtigung vor im Behandlungsfall der Frau D. Sie setzte Leistungen in Höhe von 4.437,35 EUR ab. Zur Begründung führte sie aus, nach der Auswertung der Röntgenaufnahmen und des OP-Berichtes müsse sie mitteilen, dass der Behandlungsfall D nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen abgerechnet werden könne. Umstellungsosteotomien seien keine vertragszahnärztliche Leistung, außer in den Fällen, in denen ein kombiniert kieferorthopädisch-kieferchirurgisches Vorgehen erforderlich sei.

Hiergegen legte die Klägerin am 10.12.2007 Widerspruch ein. Zur Begründung trug sie vor, nach B IV. 1b seien chirurgische Eingriffe bei Mund- und Kieferkrankheiten, wenn die Heilung durch andere Maßnahmen voraussichtlich nicht oder nicht schnell zu erreichen sei, chirurgische Behandlungen, die zur vertragszahnärztlichen Versorgung gehörten. Soweit die Beklagte davon ausgehe, vorbereitende Maßnahmen nach Nr. 7a seien nur im Rahmen einer kieferorthopädischen Behandlung abrechnungsfähig und dass dieser Tatbestand auf andere Gebührenziffern ausgeweitet werden könne, so handele es sich vorliegend um eine zahnlose Patientin, die eine Umstellungsosteotomie benötigt habe, damit eine prothetische Neuversorgung möglich werde. Die Behandlung sei im Übrigen von der Krankenkasse genehmigt worden. Chirurgische Eingriffe zur Therapie von Kieferfehlstellungen seien grundsätzlich Teil des vertragszahnärztlichen Leistungsspektrums. Patienten, die keine Zähne mehr hätten, könnten auch nicht kieferorthopädisch therapiert werden. Vor Anfertigung einer neuen Prothese sei aber eine Oberkiefervorverlagerung erforderlich. Diese Auffassung teile auch die Krankenkasse, die die Behandlung vorab genehmigt habe. In keinem Kommentar finde sich ein Hinweis darauf, dass eine Le Fort I nur dann Teil des kassenzahnärztlichen Leistungsspektrums sei, wenn kieferorthopädische Vor-, Nach- oder Begleitbehandlung erfolge.

Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 13.03.2008 den Widerspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie ergänzend zum Ausgangsbescheid aus, die der durchgeführten Operation zugrunde liegende Diagnose laute auf maxilläre Retrognathie mit ausgedehnten Knochendefekten bei Zustand nach DISC Implantaten. Nach dem Operationsbericht sei zweimal die sog. Down fracture des Oberkiefers der Patientin erfolgt. Aus welchem Grund dies erforderlich gewesen sein solle, ergebe sich nicht aus dem Operationsbericht. Intraoperativ seien nach dem Operationsbericht vier Osteosyntheseplatten eingebracht worden. Auf der postoperativ angefertigten Panoramaschichtaufnahme und auf dem postoperativen FRS fänden sich jedoch lediglich zwei Osteosyntheseplatten. Dem Operationsbericht sei nicht zu entnehmen, zu welchem Zeitpunkt die Implantate in Regio 13, 14, 21 und 23 eingebracht worden seien. Bei unzureichendem Knochenangebot habe keine Indikation für die simultane Implantation bestanden. Demnach sei die erfolgte Transplantation von Knochen als präimplantologische Maßnahme zu bewerten. Diese sei nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenkasse abrechenbar. Ergänzend sei darauf hinzuweisen, dass aufgrund des Operationsergebnisses und der fehlenden Osteosynthese distal anzunehmen sei, dass nur eine minimale Vorverlagerung erfolgt sei. Die Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche vertragszahnärztliche Versorgung legten in B. VII. in Konkretisierung des Wirtschaftlichkeitsgebotes die seltenen Ausnahmeindikationen für besonders schwere Fälle fest, in denen der Anspruch auf implantologische Leistungen einschließlich der Epithesen und/oder der Suprakonstruktionen (implantatgetragener Zahnersatz) im Rahmen einer medizinischen Gesamtbehandlung als Sachleistung bestehe. Das Vorliegen einer der hierfür genannten Indikationen wurde nicht geltend gemacht, ein gutachterliches Verfahren wurde nicht eingeleitet. Es wäre eine konventionelle prothetische Versorgung ohne Kieferverlagerung möglich gewesen. Die durchgeführte Vorverlagerung in Verbindung mit den Knochentransplantationen habe der Insertion von Implantaten und der Eingliederung eines implantatgetragenen Zahnersatzes gedient.

Hiergegen hat die Klägerin am 11.04.2008 die Klage erhoben. Ergänzend zu ihrem Vorbringen im Widerspruchsverfahren trägt die Klägerin vor, das Parallelverfahren bei dem LSG habe kein Ergebnis gebracht. Das LSG stehe auf dem Standpunkt, es müsse zunächst der Abrechnungsbescheid abgewartet werden und es bestehe kein Anspruch auf Feststellung. Hier habe eine Athrophie des Kiefers vorgelegen, weshalb eine Vorverlagerung notwendig gewesen sei. Dies unabhängig von einer späteren prothetischen Versorgung.

Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 29.11.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.03.2008 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie ist weiterhin der Auffassung, die durchgeführte Behandlung gehöre nicht zum Leistungsspektrum der gesetzlichen Krankenversicherung. Weiter führt sie aus, sie habe sämtliche Leistungen abgesetzt. Die Genehmigung des Behandlungsplanes bedeute nur die Befürwortung des Behandlungsanspruchs an sich. Die konkrete Art der Leistungserbringung werde hierdurch nicht berührt. Im Rahmen der fachzahnärztlichen Prüfung habe sich herausgestellt, dass die Maßnahmen einer präimplantologischen Behandlung gedient hätten.

Die Kammer hat das Verfahren zur Durchführung einer Mediation auf Antrag der Beteiligten mit Beschluss vom 12.12.2007 zum Ruhen gebracht. Nach Scheitern der Mediation wurde das Verfahren wieder auf Antrag der Klägerin am 18.08.2008 neu aufgerufen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakte, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer hat in der Besetzung mit zwei ehrenamtlichen Richtern aus den Kreisen der Vertragszahnärzte verhandelt und entschieden, weil es sich um eine Angelegenheit der Vertragszahnärzte handelt (§ 12 Abs. 3 S. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Der Bescheid der Beklagten vom 29.11.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.03.2008 ist rechtmäßig und war daher nicht aufzuheben. Die Klage war abzuweisen.

Der Bescheid der Beklagten vom 29.11.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.03.2008 ist rechtmäßig.

Die Beklagte war zuständig für die sachlich-rechnerische Berichtigung.

Nach § 75 Abs. 1 SGB V haben die Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen die vertrags(zahn)ärztliche Versorgung sicher zu stellen und den Krankenkassen und ihren Verbänden gegenüber die Gewähr dafür zu übernehmen, dass die vertrags(zahn)ärztliche Versorgung den gesetzlichen und vertraglichen Erfordernissen entspricht. Nach § 75 Abs. 2 Satz 2 1. Halbsatz haben die Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen die Erfüllung der den Vertrags(zahn)ärzten obliegenden Pflichten zu überwachen. Zu den Pflichten der Vertrags(zahn)ärzte gehört unter anderem auch eine ordnungsgemäße Abrechnung der von ihnen erbrachten Leistungen. Die Kassen(zahn)ärztliche Vereinigung stellt die sachliche und rechnerische Richtigkeit der Abrechnungen der Vertrags(zahn)ärzte fest; dazu gehört auch die Arzt bezogene Prüfung der Abrechnungen auf Plausibilität sowie die Prüfung der abgerechneten Sachkosten (§ 106a Abs. 2 Satz 1 SGB V). Es obliegt deshalb nach § 19 BMV-Z der Beklagten, die vom Vertragsarzt eingereichten Honoraranforderungen rechnerisch und gebührenordnungsmäßig zu prüfen und ggf. zu berichtigen (vgl. BSG, Urt. v. 10.05.1995 - 6 RKa 30/94 - SozR 3-5525 § 32 Nr. 1 = NZS 1996, 134 = Breith 1996, 280 = USK 95120, juris Rdnr. 12; BSG, Urt. v. 28.04.2004 - B 6 KA 19/03 R - SozR 4-2500 § 87 Nr. 5, juris Rdnr. 15; BSG, Urt. v. 30.06.2004 - B 6 KA 34/03 R - SozR 4-2500 § 85 Nr. 11 = BSGE 93, 69 = SGb 2004, 474 = GesR 2004, 522 = MedR 2005, 52 = NZS 2005, 549, juris Rdnr. 17) bzw. § 12 Abs. 1 Satz 1 EKV-Z (vgl. BSG, Urt. v. 13.05.1998 - B 6 KA 34/97 R - SozR 3-5555 § 10 Nr. 1 = USK 98155, juris Rdnr. 13; BSG, Urt. v. 28.04.2004 - B 6 KA 19/03 R - aaO.; BSG, Urt. v. 30.06.2004 - B 6 KA 34/03 R - aaO.).

Der angefochtene Berichtigungsbescheid ist auch materiell-rechtlich nicht zu beanstanden. Die durchgeführten Behandlungsmaßnahmen dienten hauptsächlich der Setzung von Implantaten. Als vorbereitende Maßnahmen für Leistungen, die nicht in den Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung fielen, waren sie ebf. nicht innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung abrechenbar.

Streitig zwischen den Beteiligten ist lediglich die Frage, ob die durchgeführte Umstellungsosteotomie auch oder vorwiegend einem anderen Zweck als der Setzung der Implantate diente, für deren Setzung eine Ausnahmeindikation nach Abschnitt VII der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche vertragszahnärztliche Versorgung (Behandlungsrichtlinie) vom 4. Juni 2003/24. September 2003, veröffentlicht im Bundesanzeiger 2003, S. 24966, zuletzt geändert am 1. März 2006, veröffentlicht im Bundesanzeiger 2006, S. 4466, in Kraft getreten am 18. Juni 2006 nicht vorlag und es sich insofern um eine allgemein abrechenbare zahnmedizinische Behandlung handelte.

Die Kammer, insoweit fachkundig mit zwei Vertragszahnärzten besetzt, geht davon aus, dass die durchgeführte Behandlung ganz vorwiegend eine Vorbehandlung für die Setzung der Implantate war. Dies folgt aus der unmittelbaren zeitlichen Nähe. Die Implantate wurden noch in derselben Sitzung gesetzt. Eine andere prothetische Neuversorgung war damit offensichtlich nicht beabsichtigt. Ferner diente die Augmentierung mit Knochen aus dem Becken dem Knochenaufbau, um den geplanten Implantaten eine Verankerung zu ermöglichen. Die Umstellungsosteotomie diente ferner der statischen Absicherung der Implantate und der Führung der Bissebene zwischen Ober- und Unterkiefer. Insofern trifft die Auffassung der Beklagten zu, dass es sich bei der Behandlung um präimplantologische Maßnahmen handelte. Steht eine Behandlung funktional und zeitlich in einem engen Zusammenhang mit der sich anschließenden Implantatversorgung, weil sie medizinisch gesehen nur zweckmäßig (§ 12 I SGB V) ist, wenn eine Implantatbehandlung nachfolgt, so bilden sie Teile einer Gesamtleistung, der sich hinsichtlich der Leistungsbewilligung nicht aufspalten lässt (so zutreffend LSG Bayern, Urt. v. 25.10.2007 – L 4 KR 275/05 – www.sozialgerichtsbarkeit.de unter Hinweis auf BSG, Urt. v. 19.06.2001, SozR 3-2500 § 28 Nr. 6).

Die Genehmigung des Behandlungsplans für Kiefergelenkserkrankung durch die Beigeladene steht der Berichtigung nicht entgegen.

Soweit es sich bei der Behandlung um präimplantologische Maßnahmen handelte, konnten diese nur zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung erbracht werden, wenn eine Ausnahmeindikation nach der Behandlungsrichtlinie vorlag (§ 28 Abs. 2 Satz 9 SGB V). Hierfür ist nach der Behandlungsrichtlinie ein eigenes Genehmigungsverfahren notwendig. Eine solche Genehmigung lag aber nicht vor. Von daher konnte dahingestellt bleiben, welche praktische und rechtliche Bedeutung die Genehmigung des Behandlungsplans für Kiefergelenkserkrankung hat, was in der mündlichen Verhandlung mit den Beteiligten nicht geklärt werden konnte. Von daher kann auch dahinstehen, ob die Genehmigung rechtswidrig war und welchen Genehmigungsinhalt sie hatte und ob sie unter das Verfahren nach Anlage 7a zum BMV-Z fiel.

Nach allem war die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung. Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
Rechtskraft
Aus
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