L 3 U 446/97

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 3 U 456/96
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 446/97
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 21. Januar 1997 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten, ob der Kläger an einer bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule (LWS) als Berufskrankheit (BK) leidet.

Der 1930 geborene Kläger absolvierte ab Mai 1944 eine Ausbildung als Stellmacherund war in diesem Beruf bis Mai 1949 tätig. Danach arbeitete er bis April 1951 an verschiedenen Arbeitsstellen und übte danach eine Tätigkeit als Stellmacher und Landwirt, ab 1954 nur noch als Landwirt aus. Am 1. Juli 1991 übergab er den landwirtschaftlichen Betrieb an seinen Sohn.

Mit Schreiben vom 21. Dezember 1993 wandte sich der Kläger an die Beklagte und gab an, er habe sich aufgrund seiner hauptberuflichen Tätigkeit in der Landwirtschaft Schäden an der Wirbelsäule und den Hüftgelenken zugezogen. Er sei deswegen gezwungen gewesen, seinen Betrieb, der auf den Namen seiner Ehefrau eingetragen sei, an den Sohn zu verpachten. Die Beklagte holte Auskünfte von dem Kläger ein und zog die Akte des Hessischen Amtes für Versorgung und Soziales in K. sowie diverse Röntgenaufnahmen bei. In einem Arztbrief vom 31. August 1991 diagnostizierte der den Kläger behandelnde Orthopäde Dr. St. eine Coxarthrose beidseits, eine ausgeprägte Hyperlordose der LWS mit Osteochondrose und Spondylose bei L3 bis S1, ein Bastrup-Phänomen L4/5 und eine rechtskonvexe LWS-Skoliose um 8 Grad. Anhand der vorliegenden ärztlichen Unterlagen ließ die Beklagte von dem Arzt für Orthopädie und Rheumatologie Dr. R., Klinik H., ein Gutachten nach Aktenlage erstellen. Dr. R. führte unter dem 25. Mai 1994 aus, anhand der Röntgenbilder aus dem Jahre 1991 sei eine Fehlform der Wirbelsäule im Sinne eines schweren hohlrunden Rückens anlagebedingter Natur festzustellen. Im Rahmen dieser Wirbelsäulendeformation sei es zur Ausbildung einer Dornfortsatz-Arthrose an den Segmenten L3/4, L4/5 und L5/S1 gekommen, mit Abriss in den Dornfortsatz-Spitzenpartien. Etwaige Beschwerden würden bereits durch diese besonderen Verschleißphänomene erklärt. Die Bandscheibenräume seien durchgehend sehr weit, eine vorzeitige Alterung von Bandscheiben sei nicht festzustellen. Die spondylotischen Veränderungen im Sinne der knöchernen Reaktionen im Verlauf der Ansatzgebiete von vorderem und seitlichem Längsband seien jedoch deutlich und erheblich ausgeprägt, sie gingen über die Altersnorm hinaus. Die kleinen Wirbelgelenke seien geringfügig verschmälert, etwas sklerosiert, in den Spitzenpartien ausgezogen, was einer geringen Spondylarthrose in altersgemäßem Umfange entspreche. Die beschriebenen Veränderungen beträfen den gesamten Wirbelsäulenabschnitt und auch den lumbodorsalen Übergangsbereich, so dass trotz anlagebedingter Veränderungen der Statik möglicherweise eine Berufserkrankung vorliegen könne. Dr. R. empfahl deshalb weitere Ermittlungen.

Die Beklagte veranlasste daraufhin eine radiologische Untersuchung durch Dr. M ... In dessen Beurteilung vom 21. Juli 1994 über eine Röntgenuntersuchung der gesamten Wirbelsäule sowie Kernspintomographie der LWS werden im Bereich der Halswirbelsäule (HWS) deutliche degenerative Veränderungen in den Segmenten C5/6 sowie C6/7 beschrieben, im Bereich der Brustwirbelsäule (BWS) eine Abflachung der Kyphose und im Bereich der LWS eine verstärkte Lordose, mit ausgeprägter Spondylose an der BWS und LWS, am stärksten bei L3/4. Erhebliche spondylarthrotische Veränderungen wurden bei L4/5 und L5/S1 befundet. Diese Veränderungen führte Dr. M. auf die erheblich vermehrte Lordose der LWS zurück, die die kleinen Gelenke überbeanspruche. Die kernspintomographische Untersuchung bestätigte die erhebliche Fehlstellung der Wirbelsäule, es zeigte sich eine kleinere Stufenbildung im Bereich der LWS als Zeichen einer Gefügelockerung sowie multiple kleine Protrusionen von Bandscheibengewebe auch intraforaminal, insbesondere bei L3/4 und L4/5 beidseits mit Rechtsbetonung. Auch die Spondylarthrose mit Schwerpunkt bei L4/5 und L5/S1 zeigte sich deutlich.

In seiner beratungsärztlichen Stellungnahme gelangte Prof. Dr. F. zu der Beurteilung, nach der Röntgenuntersuchung des Dr. M. bestehe eine Spondylarthrose der gesamten Wirbelsäule. Insbesondere die BWS sei erheblich degenerativ verändert. Dies spreche gegen eine BK der Wirbelsäule.

Die Beklagte veranlasste daraufhin eine Arbeitsplatzanalyse bezogen auf die BK-Nrn. 2108 und 2110, die aufgrund einer Befragung des Klägers erstellt wurde. In dem Erhebungsbogen ist festgehalten, dass bis 1970 die Schwiegereltern und bis 1994 die Ehefrau des Klägers im landwirtschaftlichen Betrieb mitarbeiteten, auch die Kinder des Klägers arbeiteten ab 1972 im Betrieb mit. Der Technische Aufsichtsdienst (TAD) der Beklagten gelangte zu dem Ergebnis, der Kläger sei von 1951 bis 1994 insgesamt über 44 Jahre mit Tätigkeiten beschäftigt gewesen, bei denen Belastungen durch Heben und Tragen schwerer Lasten und Ganzkörpervibrationen vorhanden gewesen seien. Hinsichtlich der BK-Nr. 2110 sei nur ein prozentualer Anteil am Dosisrichtwert von 40,3 % und hinsichtlich der BK-Nr. 2108 nur ein prozentualer Anteil von 36,3 % des Wertes ermittelt worden, der einen beruflichen Kausalzusammenhang vermuten lasse. Insgesamt wurde ein Dosisrichtwert bei integrativer Betrachtung von 76,6 % ermittelt.

In seiner Stellungnahme vom 27. Juli 1995 empfahl der Landesgewerbearzt ein weiteres Untersuchungsgutachten bei Dr. R. einzuholen.

Mit Bescheid vom 13. Dezember 1995 teilte die Beklagte dem Kläger mit, er habe keinen Anspruch auf Entschädigung wegen einer BK nach Nrn. 2108/2110 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV). Im Rahmen der arbeitsplatzbezogenen Ermittlungen des TAD habe lediglich eine Gesamtbelastungsdosis von 77 % des Wertes ermittelt werden können, der einen beruflichen Ursachenzusammenhang im Hinblick auf eine bandscheibenbedingte Wirbelsäulenerkrankung vermuten lasse. Da die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Annahme einer beruflich verursachten bandscheibenbedingten Wirbelsäulenerkrankung nicht vorlägen, könnten die Wirbelsäulenbeschwerden nicht als BK anerkannt werden.

Mit seinem am 18. Dezember 1995 eingelegten Widerspruch machte der Kläger geltend, seine bei der Erstbefragung gemachten Angaben seien zu korrigieren. Der Eigenanteil beim Füttern betrage in den Jahren 1950 bis 1984 nicht zwischen 50 und 80 %, sondern 100 %. Auch der Eigenanteil beim Melken habe von 1951 bis 1957 bei 90 % gelegen. Damit ergab sich ein Eigenanteil von fast 100 % bei allen im Sinne der BK-belastenden Tätigkeiten. Des weiteren gab der Kläger an, er habe während seiner Tätigkeit im Wald mehr Holz geschlagen als damals angegeben. Der Wert von 300 Raum- bzw. Festmetern sei auf ca. 750 Raum- bzw. Festmeter zu erhöhen. In einer nochmaligen Arbeitsplatzanalyse des TAD wurde den Angaben des Klägers weitgehend Rechnung getragen mit Ausnahme der von dem Kläger angegebenen Holzeinschlagsmengen. Insoweit hatten die Ermittlungen der Beklagten von den Angaben des Klägers abweichende Ergebnisse erbracht. Nach Rücksprache mit dem Kläger veranschlagte der TAD für die Jahre von 1952 bis 1990 den Eigenanteil des Klägers auf 350 Raum- bzw. Festmetern Holz pro Jahr. Es wurde nun ein höherer prozentualer Anteil am Dosisrichtwert zur BK 2108/2110 in Höhe von 87,4 % ermittelt. Am 30. Januar 1996 teilte der Kläger der Beklagten mit, die Angabe der bewirtschafteten Flächen bei der Erstbefragung im Mai 1995 sei unzutreffend. Im Zeitraum von 1959 bis 1965 seien nicht 8 bis 10 ha, sondern insgesamt 12 ha bewirtschaftet worden. Für die Zeit von 1966 bis 1986 seien insgesamt 20 ha und nicht 10 bzw. 14 ha bewirtschaftet worden. Bei Überprüfung dieser Angaben stellte die Beklagte fest, dass nach dem am 7. Februar 1996 erstellten Katasterauszugs, beginnend mit dem Jahr 1949 und endend im Jahre 1995, die Betriebsgröße von 1951 bis 1959 um ca. 2 ha geringer ausfiel als von dem Kläger bei der Erstbefragung angegeben. Für die Folgejahre wurde festgestellt, dass die von dem Kläger angegebene Betriebsgröße im Durchschnitt um ca. 2 bis 6 ha über der im Kataster der Beklagten eingetragenen Betriebsgröße lag.

Mit Widerspruchsbescheid vom 13. März 1996 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück. Auch nach Neuberechnung habe die für den Kläger errechnete Gesamtbelastungsdosis nur 87 % des Wertes betragen, der einen beruflichen Ursachenzusammenhang im Hinblick auf eine bandscheibenbedingte Wirbelsäulenerkrankung vermuten lasse.

Der Kläger hat hiergegen am 12. April 1996 bei dem Sozialgericht Kassel (SG) Klage erhoben und geltend gemacht, in der von der Berufsgenossenschaft erstellten Arbeitsplatzanalyse seien für die Zeit von 1958 bis 1965 12 ha und von 1966 bis 1987 20 ha landwirtschaftlich genutzte Flächen nicht berücksichtigt worden. Es habe sich dabei um Pachtgrundstücke gehandelt, für die Beiträge zur Berufsgenossenschaft von den Verpächtern entrichtet worden seien. Die Berechnungen seien auch im Übrigen fehlerhaft, denn seine Arbeitsbelastung habe die in vergleichbaren Betrieben überstiegen. Wenn dann durch die Arbeitsplatzanalyse der Mindestbelastungswert von 100 % nicht erreicht werde, so lasse dies vermuten, dass die Berechnungen fehlerhaft seien. Die Beklagte hat geltend gemacht, es seien bei der Arbeitsplatzanalyse größere Flächen berücksichtigt worden als bei ihr gemeldet. Die nunmehr gemachten Angaben des Klägers seien höchst zweifelhaft, es lägen keinerlei Nachweise für diese Angaben vor. Das angewendete Bewertungsverfahren nach Hartung/Dupuis werde auch von anderen großen gewerblichen Berufsgenossenschaften angewandt und sei von Arbeitsmedizinern und Landesgewerbeärzten, so mittlerweile auch vom Hessischen Landesgewerbearzt, anerkannt, da zur Zeit keine vergleichbaren praktikablen Möglichkeiten zur Ermittlung der arbeitstechnischen Voraussetzungen vorhanden seien.

Das SG hat durch Urteil vom 21. Januar 1997 die Klage abgewiesen und in den Gründen ausgeführt, im Falle des Klägers seien die arbeitstechnischen Voraussetzungen zur Feststellung einer BK nach den Nrn. 2108 und 2110 nicht erfüllt. Die Beklagte sei nicht von einer unzutreffenden Betriebsgröße ausgegangen. Die von dem Kläger im Klageverfahren gemachten Angaben sowie die vorgelegten Pachtverträge und Quittungsbelege seien nicht geeignet, die Katastereintragung der Beklagten zu widerlegen. Die von dem Kläger vorgelegten Unterlagen enthielten zum Teil keine Angaben über die Flächengröße, so dass schon deshalb keine Zuordnung erfolgen könne. Zum anderen deckten sich die angegebenen Flächengrößen durchaus mit den im Kataster vorliegenden Eintragungen, die sich oft jährlich geändert hätten. Auch werde in den von dem Kläger überreichten Unterlagen kein Unterschied zwischen Ackerland und Grünland gemacht. Es könne deshalb nicht zu Gunsten des Klägers davon ausgegangen werden, dass er eine erheblich größere Fläche bewirtschaftet habe, als von der Beklagten in der Arbeitsplatzanalyse zugrundegelegt.

Der Kläger hat gegen dieses ihm am 20. Februar 1997 zugestellte Urteil am 18. März 1997 zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des SG Berufung eingelegt. Der Senat hat von Amts wegen bei dem Orthopäden Dr. T., Institut für Medizinische Begutachtung in K., ein Gutachten zur Zusammenhangsfrage eingeholt. In seinem Gutachten vom 2. Dezember 1999 ist Dr. T. zu dem Ergebnis gelangt, bei dem Kläger bestehe eine Bandscheibenerkrankung an der LWS in den Segmenten L2/3 sowie L3/4 und auch an der unteren HWS in den Segmenten C5/6 sowie C6/7. Zusätzlich fänden sich eine erhebliche Störung der Statik des Achsenorgans sowie Verschleißveränderungen mehrerer Wirbelgelenke. Die Empfehlung zur Anerkennung einer bandscheibenbedingten Erkrankung als BK sei medizinischerseits nicht möglich, weil es an einer Belastungskonformität des Schadensbildes fehle und sich die bei dem Kläger vorhandenen Beschwerden und Veränderungen am Achsenorgan ausschließlich mit vorhandenen schicksalhaften statischen und hieraus resultierenden reaktiven Veränderungen erklären ließen. Im Anerkennungsfalle sei die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) infolge einer BK nur mit max. 10 v.H. zu beziffern.

Auf Antrag des Klägers hat der Senat ein weiteres orthopädisches Gutachten von dem Orthopäden von K. eingeholt, das dieser unter dem 4. September 2000 erstattet hat. Der Sachverständige hat ausgeführt, die medizinischen Voraussetzungen einer BK im Sinne der Nrn. 2108 bzw. 2110 der Anlage 1 zur BKV lägen zumindest partiell vor. Erstens sei aufgrund der jahrzehntenlangen massiven Belastung, der fraglos sicherlich anatomisch nicht korrekt stehenden Wirbelsäule, nahezu die gesamte LWS verändert. Zweitens sei es fraglos auch wegen der vorbestehenden Fehlstatik der Wirbelsäule zu deutlichen sogenannten belastungsadaptiven Reaktionen gekommen, die im Normalfall allerdings als an sich regelrechte Reaktion zu einer sogenannten wohltuenden Einsteifung besonders belasteter Wirbelsäulenabschnitte hätten führen müssen. Dies sei besonders in den Segmenten L2/3 und L3/4 weniger bei L4/5 geschehen. Hier habe sich sicherlich bedingt durch ständige erhebliche Wirbelsäulenbelastungen bei der landwirtschaftlichen Tätigkeit eine Segmentinstabilität erhalten, die Ursache der Beschwerden sei. In einer ergänzenden Stellungnahme vom 22. Januar 2001 hat der Sachverständige unter anderem ausgeführt, besonders die Segmenthypermobilitäten in der mittleren und oberen LWS seien seines Erachtens beruflich verursacht und nicht die degenerativen Veränderungen in der unteren Wirbelsäule, die mehr oder weniger bei jedem Normalbürger im Laufe des Lebens aufträten.

Der Kläger hat geltend gemacht, zwar fehle es in seinem Fall an dem sogenannten belastungskonformen Schadensbild, jedoch habe der Sachverständige von K. dargelegt, dass aufgrund der anatomisch nicht korrekt stehenden Wirbelsäule es gerade nicht zu dem üblichen Schadensbild gekommen sei. Deswegen seien in seinem Falle auch die medizinischen Voraussetzungen zur Feststellung einer bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS als BK erfüllt.

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 21. Januar 1997 sowie den Bescheid der Beklagten vom 13. Dezember 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. März 1996 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm wegen der Folgen einer bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule als Berufskrankheit Entschädigungsleistungen in gesetzlichem Umfang zu gewähren, hilfsweise, die Einholung eines medizinischen Sachverständigenobergutachtens zum Beweis dafür, dass die bei ihm vorliegende bandscheibebedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule die medizinische Voraussetzung einer Berufskrankheit im Sinne der Nr. 2108 bzw. 2110 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung erfüllt.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, der Sachverständige von K. habe sich mit den Argumenten des Dr. T. nicht ausreichend auseinandergesetzt.

Hinsichtlich des Sach- und Streitstands im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und die zum Verfahren beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten, deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen war, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung und Entschädigung einer bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS als BK im Sinne der Nr. 2108 und/oder Nr. 2110 der Anlage 1 zur BKV, weil der Kläger die hierzu erforderlichen Voraussetzungen nicht erfüllt. Das Urteil des SG und die Bescheide der Beklagten sind folglich rechtens.

Der Rechtsstreit richtet sich noch nach den bis zum 31. Dezember 1996 gültigen Bestimmung der Reichsversicherungsordnung (RVO), weil der Eintritt einer BK bereits vor dem Inkrafttreten des Sozialgesetzbuches - Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB 7) am 1. Januar 1997 im Streit steht (§§ 212 ff. SGB 7). Nach § 551 Abs. 1 Satz 1 RVO gilt als Arbeitsunfall auch eine BK. BKen sind nach § 551 Abs. 1 Satz 2 RVO diejenigen Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet und die ein Versicherter bzw. eine Versicherte bei einer versicherten Tätigkeit erleidet. Die Bundesregierung ist ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind (§ 551 Abs. 1 Satz 3 RVO). Zu den BKen zählen auch "bandscheibenbedingte Erkrankungen der LWS durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung" (BK-Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV) und "bandscheibenbedingte Erkrankungen der LWS durch langjährige, vorwiegend vertikale Einwirkung von Ganzkörperschwingungen im Sitzen" (BK-Nr. 2110 der Anlage 1 zur BKV). Voraussetzung ist für beide BKen, dass die Erkrankungen zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können.

Der Kläger hat während seiner über 40 Jahre währenden Tätigkeit in der Landwirtschaft auch die LWS belastende Hebe- und Tragetätigkeiten ausgeführt und war der vertikalen Einwirkung von Ganzkörperschwingungen im Sitzen ausgesetzt. Unstreitig ist zwischen den Beteiligten, dass die LWS belastende Tätigkeiten im Sinne der Nrn. 2108 und 2110 der Anlage 1 zur BKV integrierend, das heißt als Gesamtbelastung, zu berücksichtigen sind. Streit besteht, ob der Kläger solche die Wirbelsäule belastenden Tätigkeiten in zur Feststellung einer BK ausreichendem Umfang ausgeübt und das Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen zu bejahen ist. Ob dies der Fall ist, bedurfte keiner abschließenden Entscheidung, weil der Kläger nicht die übrigen, das heißt die medizinischen Voraussetzungen zur Feststellung einer BK im Sinne der BK-Nr. 2108 und/oder Nr. 2110 der Anlage 1 zur BKV erfüllt.

Zwar ist ebenfalls unstreitig, dass bei dem Kläger eine bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS vorliegt, jedoch genügt dies allein nicht, um die medizinischen Voraussetzungen einer beruflich verursachten bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS zu bejahen. Vielmehr muss darüber hinaus ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der beruflichen Belastung und der bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS wahrscheinlich sein. Die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS und der beruflichen, die LWS belastende Tätigkeit liegt nur vor, wenn bei vernünftigem Abwägen aller Umstände die auf berufliche Verursachung deutenden Faktoren so stark überwiegen, dass darauf die Entscheidung gestützt werden kann. Der Ursachenzusammenhang ist nur dann hinreichend wahrscheinlich, wenn nach der geltenden ärztlich-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen Zusammenhang spricht und ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Verursachung ausscheiden.

Nach derzeitigem medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstand sprechen für eine beruflich bedingte Bandscheibenschädigung:
- Bildtechnisch und klinisch nachweisbare segmentale Bandscheibenveränderungen, deren Folgen das altersdurchschnittlich zu erwartende Maß überschreiten.
- Ein Schadensbild, dessen Art und Lokalisation belastungskonform ist sowie ein nachvollziehbar zeitlicher Zusammenhang zwischen Exposition und Erstmanifestation von Bandscheibenschäden. Gegen eine berufliche Verursachung bandscheibenbedingter Veränderungen sprechen vor allem:
- Eine gleichmäßig starke bandscheibenbedingte Veränderung über 2 oder 3 Wirbelsäulenabschnitte.
- Ein überwiegendes Auftreten der Bandscheibenveränderungen an belastungsfernen Bandscheibenabschnitten.
- Das Vorliegen konkurrierender Erkrankungen oder Einwirkungen aus dem privaten Bereich (vgl. zu den Voraussetzungen Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und BK, 6. Auflage, Seite 535 ff.).

Im Falle des Klägers sprechen das an der Wirbelsäule des Klägers vorgefundene Schadensbild, dessen Art und Lokalisation nicht belastungskonform ist, die degenerativen Veränderungen im Bereich der HWS und das Vorliegen konkurrierender Erkrankungen bzw. das Vorliegen konkurrierender Ursachenfaktoren gegen das Bestehen einer BK nach Nr. 2108 und/oder Nr. 2110 der Anlage 1 zur BKV.

Nach den ärztlicherseits erhobenen klinischen und radiologischen Befunden besteht bei dem Kläger eine erhebliche Fehlstellung der Wirbelsäule mit Streckhaltung und leichter rechtskonvexer skoliotischer Verbiegung der LWS, deutlicher Knickung (Kyphosierung) der oberen LWS mit dem thorakolumbalen Übergang sowie einer verstärkten Kippung des Kreuzbeins. Eine Bandscheibenerkrankung besteht in den Segmenten L2/3 und L3/4. Dort weist eine Rückverlagerung der Wirbel auf Zermürbungserscheinungen der Bandscheiben hin, es haben sich entsprechende vornseitige spondylotische Verknöcherungsreaktionen entwickelt. Auch an den übrigen LWS-Segmenten finden sich überdurchschnittlich ausgeprägte spondylotische Kantenreaktionen, jedoch nicht in dem Maße wie bei L2/3 und bei L3/4. An den unteren drei Bewegungssegmenten bestehen Bandscheibenvorwölbungen, die nach Aussage des Dr. T. keinen Krankheitswert besitzen, sondern dem altersüblichen Elastizitätsverlust des Bandscheibengewebes entsprechen. Ein Bandscheibenprolaps ist von keinem der den Kläger untersuchenden Ärzte festgestellt worden.

Diese Art der Schadensverteilung, mit Schwerpunkt der vorauseilenden umformenden Veränderungen in den beiden Segmenten L2/3 sowie L3/4, spricht gegen eine berufliche Veranlassung. Denn nach biomechanischen Untersuchungen und Berechnungen bei Hebe- und Tragebelastungen beim aufrechtstehenden Menschen sind die Kompressionskräfte in sämtlichen Bandscheibenräumen fast identisch und die Scherkräfte am lumbosakralen Scharnier nur etwas größer als in den oberen LWS-Etagen. In Rumpfbeugung sind die Kompressionskräfte im oberen LWS-Segment nur um 30 % geringer als am lumbosakralen Scharnier. In aufrechter Körperhaltung sind die Scherkräfte am lumbosakralen Scharnier etwas größer als in den oberen LWS-Etagen. Infolge dessen ist nach biomechanischen Aspekten zu erwarten, dass bei einer entsprechend schädigenden, rezidivierenden langjährigen Exposition sämtliche involvierten Bewegungssegmente belastungsadaptive Reaktionen entwickeln müssen. Dieser theoretische Ansatz fand laut Dr. T. Bestätigung durch epidemiologische Untersuchungen, wonach bei Schwerarbeitern eine "Linksverschiebung" osteochondrotischer und spondylotische Reaktionen an den Deck- und Tragplatten des belasteten Wirbelsäulenabschnitts - dem Lebensalter vorauseilend - nachzuweisen war. Anhand einer großen Zahl analytisch ausgewerteter Fälle konnte auch nachgewiesen werden, dass im LWS-Bereich belastungsadaptive Reaktionen mit einer "Proximalisierung der Spondylosis" und einer "Distalisierung der Osteochondrose" mit "Sprungsegment L3/4" bei einem übermäßig beruflich belasteten Klientel zu erwarten sind. Auch bei der BK nach Nr. 2110 ist zu erwarten, dass das Schadensbild so gut wie alle Bewegungssegmente im unteren Rumpfbereich von unten nach oben quantitativ abnehmend erfasst, da alle Bewegungssegmente von solchen Schwingungs- und Stoßeinwirkungen, insbesondere beim Auftreten der Resonanzschwingungen, erfasst werden. Diese von Dr. T. dargestellten Erkenntnisse sind einleuchtend (vgl. auch Ludolph u. a., BG 1994, 349; Hansis u. a., BG 1995, 433; Urteil des LSG Niedersachsen vom 20. Juli 1999 - L 6 U 69/98 -; Urteil des LSG Rheinland-Pfalz vom 2. Februar 1999 - L 3 U 276/97 -; Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 10. Februar 1999 - L 17 U 177/98 -). Auch der Senat folgt diesen Erkenntnissen in seiner ständigen Rechtsprechung. Im Falle des Klägers weisen die am meisten beanspruchten beiden untersten Segmente der LWS gegenüber den beiden darüberliegenden Etagen geringere umformende Veränderungen auf. Dies spricht gegen eine Schädigung der LWS infolge beruflicher Belastungen. Der Schadensschwerpunkt im Bereich der Segmente L2/3/4 weist vielmehr auf die bei dem Kläger vorhandene Fehlstellung der LWS als Ursache der umformenden Veränderungen in diesem Bereich hin. Denn der Scheitel der leichten skoliotischen Verbiegung der LWS kombiniert sich an dieser Stelle mit der Richtungsumkehr der Krümmung der LWS, so die Darlegungen des Dr. T ... Gegen eine berufliche Verursachung spricht zudem, dass röntgenologisch nachweisbar die umformenden Veränderungen an den Segmenten L2/3 sowie L3/4 auch noch Jahre nach Aufgabe der beruflichen Tätigkeit deutlich zugenommen haben. Auch dies ist ein Indiz dafür, dass die deutliche Störung der Statik mit ungewöhnlicher Verbiegung der oberen LWS in Kombination mit einer skoliotischen Achsenknickung für die Verformungen in diesem Bereich verantwortlich ist. Hinzukommt, dass der Kläger im Bereich der oberen LWS unter einer Wachstumsstörung aus der embryonalen Entwicklung leidet. Die Statik der Wirbelsäule wird bei dem Kläger auch durch eine verstärkte Kippung des Kreuzbeins nachteilig beeinträchtigt. Dies ist ein Faktor, der die Entstehung von Verschleißerscheinungen der Wirbelgelenke (Spondylarthrosen) in den untersten Bewegungssegmenten der LWS begünstigt. Gegen eine durch die berufliche Tätigkeit des Klägers in der Landwirtschaft verursachte Schädigung der LWS spricht zudem die Tatsache, dass sich im belastungsfernen Abschnitt der HWS des Klägers in den untersten Segmenten C5/6 sowie C6/7 Bandscheibenschäden manifestiert haben mit seitlichen Hakenfortsätzen an den Halswirbeln und einer verstärkten Verknöcherung, das heißt Osteochondrose der Wirbeldeckplatten sowie spondylotischen Kantenausziehungen.

Im Gegensatz zu Dr. T. konnte der Sachverständige von K. den Senat nicht von der Richtigkeit seiner Auffassung überzeugen. Er konnte die von Dr. T. vorgetragenen Argumente nicht entkräften und hat sich auch mit dessen Argumenten nicht auseinandergesetzt.

Der Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens bedurfte es nicht, weil Dr. T. die Beweisfrage, ob bei dem Kläger die medizinischen Voraussetzungen einer bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS als BK vorliegen, ausführlich, überzeugend und in Übereinstimmung mit der herrschenden Auffassung in der medizinischen Literatur und der Rechtsprechung beantwortet hat.

Die erstinstanzliche Entscheidung war folglich im Ergebnis zu bestätigen und die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG), die über die Nichtzulassung der Revision aus § 160 Abs. 2 SGG.
Rechtskraft
Aus
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