L 9 AL 60/06

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 23 AL 197/03
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 9 AL 60/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 24.02.2004 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die dem Kläger im Zusammenhang mit der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses gewährte Abfindung gemäß § 143 a Abs. 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) zum Ruhen seines Anspruchs auf Arbeitslosengeld für die Zeit vom 01.06.2003 - 06.09.2003 führt.

Der im November 1943 geborene Kläger war seit Juli 1974 bei der Firma T und C in E als Schichtführer beschäftigt. Maßgeblich für das Arbeitsverhältnis war der Manteltarifvertrag (MTV) für die Arbeiter, Angestellten und Auszubildenden in der Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalen vom 25. August/11. September 2001. Nach § 20 Nr. 3 dieses Vertrages beträgt die Kündigungsfrist des Arbeitgebers nach einer Betriebszugehörigkeit von 20 Jahren 7 Monate zum Ende eines Kalendermonats. § 20 Nr. 4 S. 1 MTV bestimmt, dass Beschäftigten, die das 55., aber noch nicht das 65. Lebensjahr vollendet haben und dem Betrieb/Unternehmen 10 Jahre angehören, nur noch aus wichtigem Grund gekündigt werden kann. Nach S. 2 dieser Regelung gilt dies auch bei Änderungskündigungen im Einzelfall zum Zwecke der Entgeltminderung; nicht jedoch bei allen sonstigen Änderungskündigungen oder bei Betriebsänderungen, wenn ein anderer zumutbarer Arbeitsplatz nicht vorhanden ist, oder bei Zustimmung der Tarifvertragsparteien.

Der Betriebsrat und die Firma T und C, die damals zwischen 1100 und 1200 Arbeitnehmer beschäftigte, vereinbarten am 16.08.2002 einen Interessenausgleich sowie einen gesonderten Sozialplan. Die Firma T und C reduzierte daraufhin das Personal um 210 Mitarbeiter in nahezu allen Betriebsabteilungen. Dem Kläger wurde am 25.10.2002 zum 31.05.2003 aus betriebsbedingten Gründen bei Zahlung einer ihm nach dem Sozialplan zustehenden Abfindung in Höhe von 33.129,43 EUR gekündigt. Nach dem vereinbarten Interessenausgleich waren ausschließlich betriebsbedingte Beendigungskündigungen für die betroffenen Mitarbeiter vorgesehen. Der Kläger war auf der dem Interessenausgleich als Anlage beigefügten Liste namentlich aufgeführt.

Am 29.04.2003 meldete sich der Kläger mit Wirkung zum 01.06.2003 arbeitslos und beantragte die Gewährung von Arbeitslosengeld. Mit Bescheid vom 18.06.2003 stellte die Beklagte den Eintritt des Ruhens des Arbeitslosengeldanspruchs des Klägers bis zum 06.09.2003 fest und führte aus, der Kläger habe von seinem bisherigen Arbeitgeber wegen der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses eine Abfindung, Entschädigung oder ähnliche Leistung (Entlassungsleistung) erhalten bzw. zu beanspruchen. Da das Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung einer der ordentlichen Kündigungsfrist des Arbeitgebers entsprechenden Frist beendet worden sei, ruhe der Leistungsanspruch. Mit Bescheid vom 28.10.2003 bewilligte die Beklagte dem Kläger Arbeitslosengeld ab dem 07.09.2003 für die Dauer von 960 Tagen. Gegen den Bescheid vom 18.06.2003 erhob der Kläger am 23.06.2003 Widerspruch, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 02.07.2003 als unbegründet zurückwies.

Gegen diese Entscheidung erhob der Kläger am 09.07.2003 Klage, die das Sozialgericht Düsseldorf mit Urteil vom 24.02.2004 abwies. Die gegen dieses Urteil eingelegte Berufung blieb erfolglos (Urteil des erkennenden Senats vom 07.04.2005 - L 9 AL 89/04 -). Der erkennende Senat führte zur Begründung aus, dass die Beklagte zu Recht das Ruhen des Arbeitslosengeldanspruchs für die Zeit vom 01.06.2003 - 06.09.2003 festgestellt habe. Zu Ungunsten des Klägers finde § 143 a Abs. 1 S. 4 SGB III Anwendung. Zwar sehe § 20 Nr. 4 MTV nicht ausdrücklich die Kündigung eines unkündbaren Arbeitnehmers gegen Zahlung einer Entlassungsentschädigung vor. Gleichwohl liege ein Anwendungsfall von § 143 a Abs. 1 S. 4 SGB III vor. Denn der Kläger sei zum Zeitpunkt der Kündigung 58 Jahre alt gewesen und habe damit das 55., aber noch nicht das 65. Lebensjahr vollendet. Dem Unternehmen habe er mehr als 10 Jahre angehört. Damit habe ihm nur noch aus wichtigem Grund gekündigt werden können. Nichts anderes ergebe sich aus § 20 Nr. 4 S. 2 MTV. Allerdings liege eine Betriebsänderung im Sinne von § 111 S. 3 Nr. 1 des Betriebsverfassungsgesetzes (Betr VG) vor, die den besonderen Kündigungsschutz des Klägers insoweit habe entfallen lassen. Zudem sei auch kein anderer zumutbarer Arbeitsplatz für den Kläger vorhanden gewesen. Gleichwohl beinhalte diese Regelung nicht eine realisierbare alternative Möglichkeit der ordentlichen Kündigung auch ohne Abfindung, die nach der Rechtsprechung des BSG die Anwendung des § 143 a Abs. 1 SGB III ausschließen könne. Im Rahmen der gebotenen fallbezogenen Betrachtung komme es lediglich darauf an, ob im konkreten Fall die aufgrund des bestehenden Sozialplans eröffnete Möglichkeit zur ordentlichen Kündigung nur bei Abfindung gegeben gewesen sei. Die verfassungsrechtliche Argumentation der Berufung vermöge nicht zu überzeugen. Dies sei der zu dieser Frage in Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ergangenen Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 05.02.1998 - B 11 AL 65/97 R -) zu entnehmen, der der erkennende Senat folge.

Auf die Revision des Klägers hat das BSG mit Urteil vom 09.02.2006 die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen. Es hat im Wesentlichen ausgeführt, das LSG habe zu Recht entschieden, dass dem Kläger aufgrund des tarifvertraglichen Sonderkündigungsrechts nur noch bei Zahlung einer Entlassungsentschädigung ordentlich habe gekündigt werden können, so dass gemäß § 143 a Abs. 1 S. 4 SGB III eine (fiktive) Kündigungsfrist von einem Jahr gelte. Nach den bisherigen Feststellungen des LSG lasse sich jedoch nicht abschließend beurteilen, ob die Voraussetzungen des § 143 a Abs. 1 S. 4 SGB III erfüllt seien. Es sei noch zu ermitteln, ob nach § 20 Nr. 4 S. 2 MTV der besondere Kündigungsschutz auch unter anderen Voraussetzungen als der einer Betriebsänderung entfallen könne, und ob die jeweiligen Voraussetzungen dieser tarifvertragliche Regelungen insoweit vorgelegen hätten. Außerdem sei es aus verfassungs- rechtlichen Gründen nicht möglich, die fiktive Kündigungsfrist von einem Jahr gemäß § 143 a Abs. 1 S. 4 SGB III auf einen Sachverhalt anzuwenden, wenn gleichzeitig die Möglichkeit bestanden habe, dem betroffenen Arbeitnehmer außerordentlich mit sozialer Auslauffrist zu kündigen. Für diesen Fall sehe § 143 a Abs. 1 S. 3 Nr. 2 SGB III vor, dass die ordentliche Kündigungsfrist gelte, mit der Folge, dass ein Ruhen des Arbeitslosengeld- anspruchs nicht in Frage komme, wenn tatsächlich die ordentliche Kündigungsfrist - wie vorliegend - eingehalten worden sei. Daher sei zu ermitteln, ob bei dem Kläger - die tarifliche Regelung in § 20 Nr. 4 S. 1 MTV hinweg gedacht - die Voraussetzungen für eine fristgebundene außerordentliche Kündigung - etwa wegen einer Teilbetriebsstilllegung - vorgelegen hätten.

Der Kläger verfolgt sein Begehren weiter. Er führt aus, nicht zur Möglichkeit einer außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist vortragen zu können. Es sei zuzugeben, dass angesichts des abgeschlossenen Sozialplanes im konkreten Fall eine Kündigungsmöglichkeit ohne Zahlung einer Abfindung nicht bestanden habe.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 24.02.2004 abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 18.06.2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 02.07.2003 und entsprechender Änderung des Bescheides vom 28.10.2003 zu verurteilen, ihm Arbeitslosengeld bereits ab 01.06.2003 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie macht noch geltend: Im Hinblick auf die Frage der Möglichkeit einer außerordentlichen Kündigung mit Auslauffrist sei auf die gesteigerte Darlegungs - und Beweislast der Arbeitgeberin nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) hinzuweisen. Der Präambel des Interessenausgleichs vom 16.08.2002 sei zu entnehmen, dass die Arbeitgeberin in nahezu allen Betriebsabteilungen Personal habe reduzieren wollen. Betriebsstille- gungen oder Teilbetriebsstilllegungen seien in diesem Zusammenhang nicht thematisiert worden. Zulässig sei eine außerordentliche betriebsbedingte Kündigung ohnehin nur in Extremfällen, so dass nicht jede Umorganisation oder Schließung einer Teileinrichtung mit dem Wegfall von Arbeitsplätzen zu einer außerordentlichen Kündigung führen könne. Im Übrigen sei auf die am 28.04.2006 eingetretene Erschöpfung des Arbeitslosengeldanspruchs des Klägers hinzuweisen.

Im Rahmen einer durch den Senat eingeholten Auskunft verwies die ehemalige Arbeitgeberin des Klägers darauf, dass es aus ihrer Sicht durchaus wahrscheinlich sei, dass gegenüber dem Kläger auch eine Kündigung aus wichtigem Grund unter Einhaltung einer sozialen Auslauffrist hätte erklärt werden können. Auf die bezüglich des Mitarbeiters T1 in einer Parallelsache erteilte Auskunft werde hingewiesen.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen von L und T2 im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 07.05.2009. Auf die hierüber gefertigte Niederschrift wird verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts nimmt der Senat Bezug auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten. Diese Akten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die vom Kläger angegriffenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig.

Hat der Arbeitslose wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Abfindung, Entschädigung oder ähnliche Leistung (Entlassungsentschädigung) erhalten oder zu beanspruchen und ist das Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung einer der ordentlichen Kündigungsfrist des Arbeitgebers entsprechenden Frist beendet worden, so ruht gemäß § 143a Abs. 1 S. 1 SGB III der Anspruch auf Arbeitslosengeld von dem Ende des Arbeitsverhältnisses an bis zu dem Tage, an dem das Arbeitsverhältnis bei Einhaltung dieser Frist geendet hätte. Die Frist beginnt mit der Kündigung, die der Beendigung des Arbeitsverhältnisses vorangegangen ist, bei Fehlen einer solchen Kündigung mit dem Tag der Vereinbarung über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses (§ 143a Abs. 1 S. 2 SGB III). Kann dem Arbeitnehmer nur bei Zahlung einer Entlassungsentschädigung ordentlich gekündigt werden, so gilt gemäß § 143a Abs. 1 S. 4 SGB III eine Kündigungsfrist von einem Jahr.

Zu Lasten des Klägers findet vorliegend § 143a Abs 1 S. 4 SGB III Anwendung, denn ihm konnte nur bei Zahlung einer Entlassungsentschädigung ordentlich gekündigt werden. § 143a Abs. 1 Satz 4 SGB III erfasst die Konstellationen, in denen die ordentliche Kündigung für den Arbeitgeber vertraglich grundsätzlich ausgeschlossen ist und nur bei Zahlung einer Abfindung wieder eröffnet wird. Dies betrifft vor allem Fälle, in denen dem Arbeitgeber tarifvertraglich die ordentliche Kündigung nur noch für den Fall des Bestehens eines Sozialplans vorbehalten ist und der Sozialplan für den betroffenen Arbeitnehmer eine Abfindung vorsieht (vgl. BSG, Urteile vom 29.01.2001 - B 7 AL 62/99 R - und vom 09.02.2006 - B 7a AL 44/05 R -).

Zwar sieht § 20 Nr. 4 MTV - dessen übrigen Voraussetzungen, nämlich die Vollendung des 55. aber noch nicht des 65. Lebensjahres sowie zehnjährige Unternehmenszugehörigkeit der Kläger erfüllt - nicht ausdrücklich die Kündigung eines Arbeitnehmers gegen Zahlung einer Entlassungsentschädigung bzw. die Kündigung nur noch bei Bestehen eines Sozialplans vor. Allerdings regelt § 20 Nr. 4 S. 2 2. Spiegelstrich MTV, dass der Ausschluss der ordentlichen Kündigung nicht gelten soll unter anderem bei Betriebsänderungen, wenn ein anderer zumutbarer Arbeitsplatz nicht vorhanden ist. Diese Regelung nimmt hinsichtlich des Begriffs der Betriebsänderung auf sämtliche Regelungselemente des § 111 BetrVG Bezug, die auch erfüllt sind, sodass ein Sozialplan nach § 112 BetrVG erzwingbar war (vgl. BSG, Urteil vom 09.02.2006 - B 7a AL 44/05 R -). Zwischen einer solchen Regelung und einer tarifvertraglichen Regelung, die den Wiedereintritt in die ordentliche Kündbarkeit an das Vorliegen eines für den betroffenen Arbeitnehmer geltenden Sozialplans knüpft, bestehen aber rechtserheblichen Unterschiede. Bei den unterschiedlichen Formulierungen in den Tarifverträgen handelt es sich nur um die Verwendung unterschiedlicher Begriffe, die aber dieselbe Rechtsfolge auslösen (vgl. BSG, a.a.O.). Der Kläger hat im vorliegenden Fall auf Grund eines Sozialplans, der seinerseits unmittelbare und zwingende rechtliche Folge einer Betriebsänderung i.S.d. § 111 BetrVG war, eine Abfindung erhalten.

Der Senat hatte in diesem Zusammenhang nicht zu prüfen, ob die Voraussetzungen einer Betriebsänderung i.S.v. § 111 Satz 3 Nr. 1 bis 5 BetrVG tatsächlich vorgelegen haben. Die Rechtsfolge des § 143a Abs. 1 Satz 4 SGB III wird vielmehr schon dann ausgelöst, wenn alle Voraussetzungen des § 111 BetrVG vorliegen, die beteiligten Sozialpartner darin übereinstimmen, dass ein Wiedereintritt in die ordentliche Kündbarkeit für einen an sich tarifvertraglich sonderkündigungsgeschützten Arbeitnehmer möglich ist, und eine abstrakte tarifvertragliche Regelung vorliegt, die dies ermöglicht (vgl. BSG, a.a.O.).

Auch die weitere Voraussetzung des § 20 Nr. 4 S. 2 MTV, nämlich das Fehlen eines anderen zumutbaren Arbeitsplatzes für den Kläger, ist erfüllt, weil nach dem zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat vereinbarten Interessenausgleich ausschließlich betriebsbedingte Beendigungskündigungen für die betroffenen Arbeitnehmer vorgesehen waren und der Kläger auf der dem Interessenausgleich als Anlage beigefügten Liste namentlich aufgeführt war.

Verfassungsrechtliche Bedenken gegen § 143a Abs. 1 Satz 4 SGB III bestehen nicht. Insbesondere verstößt es nicht gegen Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG), wenn bei einem sonst nicht mehr ordentlich kündbaren Arbeitnehmer die ordentliche Kündigung unter Zahlung einer Abfindung wie eine "vorzeitige" Beendigung des Arbeitsverhältnisses behandelt wird (vgl. BSG, Urteil vom 09.02.2006 - B 7a AL 44/05 R - m.w.N.). Ebenso ist keine Benachteiligung von Arbeitnehmern, die in Großbetrieben bzw. solchen Betrieben tätig sind, die dem Geltungsbereich des § 111 BetrVG unterfallen, gegenüber solchen Arbeitnehmern, die in Kleinbetrieben bzw. solchen Betrieben tätig sind, in denen kein Betriebsrat etabliert wurde, erkennbar (vgl. BSG, a.a.O.).

Eine Möglichkeit zur ordentlichen Kündigung des Klägers auch ohne Abfindung, die die Anwendung des § 143a Abs. 1 Satz 4 SGB III auschließen würde, ist durch den MTV nicht eröffnet. Angesichts der hier allein zu prüfenden Beendigungskündigung kann nach dem MTV ein anderer Grund für den Wegfall des Sonderkündigungsschutzes nur im Falle des § 20 Nr. 4 Satz 2 MTV letzter Spiegelstrich gegeben sein. Danach gilt der Ausschluss der ordentlichen Kündigung nicht bei Zustimmung der Tarifvertragsparteien. Eine solche Zustimmung der Tarifvertragsparteien hat jedoch erkennbar nicht vorgelegen.

Schließlich ist die Anwendung des § 143a Abs. 1 Satz 4 SGB III auch nicht aus verfassungsrechtlichen Gründen unter dem Aspekt einer für den Arbeitgeber bestehenden Möglichkeit der außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist ausgeschlossen. Für diesen Fall sieht § 143a Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 SGB III vor, dass dann die ordentliche Kündigungsfrist gelten würde, mit der Folge dass ein Ruhen des Arbeitslosengeldanspruchs nicht in Frage kommt, wenn tatsächlich die ordentliche Kündigungsfrist - wie auch hier - eingehalten wurde (vgl. BSG, a.a.O.).

Vorliegend hat nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens und der durch den Senat durchgeführten Beweisaufnahme die Möglichkeit einer außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist nicht bestanden. Nach der Rechtsprechung des BAG ist eine außerordentliche Kündigung aus betriebsbedingten Gründen auch gegenüber einem tariflich unkündbaren Arbeitnehmer in aller Regel nach § 626 Abs. 1 BGB unzulässig. Prüfungsmaßstab ist, ob dem Arbeitgeber bei einem vergleichbaren ordentlich kündbaren Arbeitnehmer dessen Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der (fiktiven) Kündigungsfrist unzumutbar wäre. Dies ist bei einer betriebsbedingten Kündigung regelmäßig nicht der Fall (vgl. BAG, Urteile vom 29.03.2007 - 8 AZR 538/06 -; vom 06.10.2005 - 2 AZR 362/04 -; vom 30.09.2004 - 8 AZR 462/03 -; vom 08.04.2003 - 2 AZR 355/02 - und vom 27.06.2002 - 2 AZR 367/01 -). Dem Arbeitgeber ist es, wenn aus betrieblichen Gründen die Weiterbeschäftigungsmöglichkeit für alle bzw. für einzelne Arbeitnehmer entfällt, selbst im Insolvenzfall zumutbar, die Kündigungsfrist einzuhalten. Führt dies zu Vergütungsansprüchen der Arbeitnehmer aus dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs, ohne dass der Arbeitgeber eine Verwendungsmöglichkeit für die Arbeitskraft des Arbeitnehmers hat, verwirklicht sich lediglich das unternehmerische Risiko des Arbeitgebers (vgl. BAG, Urteil vom 30.09.2004 - 8 AZR 462/03 - m.w.N.). Eine außerordentliche Kündigung mit notwendiger Auslauffrist kommt allerdings in Betracht, wenn ein wichtiger Grund zur Kündigung gerade darin zu sehen ist, dass wegen des tariflichen Ausschlusses der ordentlichen Kündigung der Arbeitgeber den Arbeitnehmer notfalls bis zum Erreichen der Pensionsgrenze weiter beschäftigen müsste und ihm dies unzumutbar ist. Eine solche außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist, die die tariflich ausgeschlossene ordentliche Kündigung ersetzt, kommt allerdings nur in Ausnahmefällen in Betracht, bei denen vermieden werden muss, dass der tarifliche oder einzelvertragliche Ausschluss der ordentlichen Kündigung dem Arbeitgeber Unmögliches oder evident Unzumutbares aufbürdet (vgl. BAG, Urteile vom 30.0.2004 - 8 AZR 462/03 - und vom 29.03.2007 - 8 AZR 538/06 -). Dabei ist ein strenger Prüfungsmaßstab anzulegen. In erheblich weiterem Umfang als bei einer ordentlichen Kündigung ist es dem Arbeitgeber bei einer außerordentlichen Kündigung mit Auslauffrist gegenüber dem unkündbaren Arbeitnehmer zumutbar, eine Kündigung durch geeignete andere Maßnahmen zu vermeiden. Besteht noch irgendeine Möglichkeit, die Fortsetzung eines völlig sinnentleerten Arbeitsverhältnisses - etwa durch eine anderweitige Weiterbeschäftigung - jedenfalls nach entsprechender Umschulung zu vermeiden, ist es dem Arbeitgeber regelmäßig zumutbar, diese andere Möglichkeit zu wählen. Erst wenn alle anderen Lösungsversuche gescheitert sind, kann ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung mit Auslauffrist vorliegen (vgl. BAG, a.a.O.).

Ein Ausnahmefall im oben beschriebenen Sinne lag im Falle des Klägers nicht vor. Denn nach den Einlassungen des Zeugen von L - nur dieser Zeuge konnte für die hier interessierende Frage verwertbare Angaben machen - sind gerade nicht alle Möglichkeiten der Weiterbeschäftigung des Klägers geprüft und genutzt worden. Zwar war der Kläger für die von ihm langjährig ausgeübte Tätigkeit in der Versandabteilung nur angelernt, doch bedeutet dies nicht, dass er nicht nach entsprechender weiterer Anlern- und Einarbeitungszeit dem Grunde nach auf einem anderen Arbeitsplatz einsetzbar gewesen wäre. Dies hat auch der Zeuge von L nicht ausschließen wollen, wenn er darauf abgestellt hat, dass beim Angebot von Ersatzarbeitsplätzen eine Sozialauswahl vorgenommen wurde. Denn dies bedeutet einerseits, dass keineswegs der komplette Betriebsteil geschlossen wurde und andererseits, dass für andere Arbeitnehmer Schulungen auf Ersatzarbeitsplätze vorgenommen wurden. Dass ein Anlernen des Klägers aus fachlichen oder sonstigen individuellen Gesichtspunkten heraus in zumutbarer Zeit nicht zu leisten gewesen wäre, hat der Zeuge dem Senat nicht vermitteln können, wenn er an anderer Stelle die besonderen Fähigkeiten und Erfahrungen hervorgehoben hat, die der Kläger während seiner Tätigkeit in der Versandabteilung erworben hat und erwerben musste. Die Weiterbeschäftigung des Klägers ist also nicht daran gescheitert, dass sie gänzlich unmöglich gewesen wäre, sondern dass anderen - jüngeren - Arbeitnehmern der Vorzug gegeben wurde.

Vor diesem Hintergrund kann der Senat dahin stehen lassen, ob - wie das BSG in der zurückverweisenden Entscheidung formuliert hat - bei der Prüfung der Möglichkeit einer außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist die tarifliche Regelung in § 20 Nr.4 S. 1 MTV hinweggedacht werden kann. Denn nach der Rechtsprechung des Zweiten Senats des BAG ist bei der Abgrenzung, unter welchen Voraussetzungen eine außerordentliche Kündigung mit notwendiger Auslauffrist aus betriebsbedingten Gründen gegenüber einem tariflich ordentlich unkündbaren Arbeitnehmer zulässig ist, stets die besondere Ausgestaltung des tariflichen Sonderkündigungsschutzes zu berücksichtigen (vgl. etwa BAG, Urteil vom 27.06.2002 - 2 AZR 367/01). Angesichts dessen spricht jedenfalls manches dafür, dass die Regelung in § 20 Nr. 4 MTV hinsichtlich der Kündigung älterer Beschäftigter weit-gehend abschließend war und demnach bei der Prüfung der Möglichkeit einer außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist nicht hinweg gedacht werden kann.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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