L 4 R 1097/08

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 2 R 4335/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 R 1097/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 29. November 2007 aufgehoben, soweit die Beklagte zur Zahlung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung verurteilt wurde. Insoweit wird die Klage abgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Klageverfahrens zu erstatten. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Im Berufungsverfahren ist zwischen den Beteiligten noch streitig, ob die Klägerin in der Zeit vom 01. November 2003 bis 31. Oktober 2009 Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung hat.

Die am 1947 geborene Klägerin ist schweizerische Staatsbürgerin aus dem Kanton Freiburg. Im Herkunftsland schloss sie erfolgreich eine Ausbildung zur Sekretärin an der Handelsschule ab (Diplom vom 14. Juli 1967). Sie verheiratete sich sodann in die USA, wo am 1971 in D. (Colorado) der Sohn R. geboren wurde. Im September 1972 zog sie in die Bundesrepublik Deutschland zu. Die Ehe wurde 1977 geschieden.

Die Klägerin trat zum 17. September 1973 erstmals in eine versicherungspflichtige Beschäftigung im Inland ein. Sie war bis 30. Juni 1993 bei verschiedenen Unternehmen als Sekretärin oder kaufmännische Angestellte beschäftigt. Anschließend blieb sie arbeitslos. Vom 03. April 1995 bis zum Prüfungsabschluss mit 25. März 1997 besuchte sie erfolgreich das Fachseminar für Altenpflege in F. a. M. und erlangte die staatliche Anerkennung als Altenpflegerin (Zeugnis des Regierungspräsidiums D. vom 01. April 1997). Nach einer ersten Beschäftigung als Altenpflegerin im stationären Bereich vom 01. April 1997 bis 30. Juni 2000 nahm die Klägerin zum 01. Juli 2000 eine Beschäftigung im internen ambulanten Pflegedienst im J.-haus N.-Ö. auf. Die Arbeitszeit wurde zum 01. Juni 2001 wegen gesundheitlicher Störungen von zunächst 80 v.H. der vollen Arbeitszeit auf 66 v.H. reduziert.

Im April 2002 beantragte die Klägerin Leistungen zur Rehabilitation. Die Beklagte (damals noch Bundesversicherungsanstalt für Angestellte) bewilligte eine Heilmaßnahme vom 22. Januar bis 16. Februar 2003 in der Reha-Klinik Schloss H. in B., aus der die Klägerin in einem gebesserten und stabileren psycho-vegetativen Zustand als arbeitsfähig entlassen wurde, allerdings von einer Leistungsfähigkeit für die Tätigkeit der Altenpflegerin und Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt von drei bis unter sechs Stunden ausgegangen wurde (Entlassungsbericht der Internistin Dr. F. vom 28. Februar 2003). Diagnosen waren chronisch rezidivierende Pankreatitis, psycho-vegetatives Erschöpfungssyndrom und neurodermitische Konstitution. Von einer nochmaligen Erhöhung der Arbeitszeit wurde abgeraten. Der Antrag auf Rehabilitation wurde in einen Rentenantrag umgedeutet. Die Beklagte lehnte diesen Antrag durch Bescheid vom 16. Juni 2003 ab, weil teilweise Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nicht vorliege, da die Klägerin in einer zumutbaren Beschäftigung als kaufmännische Angestellte/Sekretärin noch mindestens sechs Stunden täglich tätig sein könne. Auf den hiergegen erhobenen Widerspruch holte die Beklagte den Befundbericht der Allgemeinärztin Dr. K. vom 24. September 2003 ein, dem u.a. der Arztbrief des Orthopäden Dr. A. vom 29. September 2003 (Diagnosen: Chondropathia patellae beidseits, Coxalgie beidseits, Hypomobilität des linken Ileosakralgelenks) beigefügt war. Des Weiteren erhob die Beklagte das Gutachten des Psychiaters und Psychotherapeuten Dr. G. vom 05. Dezember 2003. Bei der Untersuchung habe sich ein vital-somatisiertes Erschöpfungssyndrom eher leichter Ausprägung und wesentlich bedingt durch eine Kombination somatischer Erkrankungen gezeigt. Aus psychiatrisch-psychotherapeutischer Sicht bestehe Belastungsfähigkeit für drei bis unter sechs Stunden. Schicht- und Wochendienste sollten reduziert werden. Psychiater und Psychotherapeuten Dr. Z. stimmte in der Stellungnahme vom 07. Januar 2004 der Leistungsbeurteilung zu, ging aber davon aus, dass bei Inanspruchnahme entsprechender medizinischer Behandlungsmöglichkeiten auch eine Besserung nicht auszuschließen sei. Die Widerspruchsstelle der Beklagten erließ den zurückweisenden Widerspruchsbescheid vom 05. März 2004. Zur Begründung führte sie aus, zwar könne die Klägerin ihren bisherigen Beruf als Altenpflegerin nur noch drei bis sechs Stunden täglich ausüben. Unter Berücksichtigung des Gesundheitszustands und der während des Erwerbslebens erlangten verwertbaren Kenntnisse und Fähigkeiten komme aber noch eine mindestens sechs Stunden tägliche Beschäftigung als kaufmännische Angestellte/Sekretärin in Betracht.

Mit Schreiben vom 06. April 2004 wandte sich die Klägerin wegen der Ablehnung der Gewährung der Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit an den Petitionsausschuss des Deutschen Bundestags. Auf die daraufhin ergangene Bitte des Bundesversicherungsamts trat die Beklagte in eine Überprüfung ein. Auf Anforderung der Beklagten übersandte die Klägerin Unterlagen zu ihrem beruflichen Werdegang. Der Arbeitgeber der Klägerin gab auf Anfrage der Beklagten an, die Klägerin sei mit einer täglichen Arbeitszeit von 6,38 Stunden an vier Tagen wöchentlich beschäftigt (Auskunft vom 19. Juli 2004). Die Beklagte holte die Stellungnahme der berufskundlichen Beraterin Si. vom 19. August 2004 zur Verweisbarkeit der Klägerin ein. Berufskundlicherseits bestünden keine Zweifel daran, dass die Klägerin in der Lage sei, erneut eine Tätigkeit als kaufmännische Angestellte oder Sekretärin aufzunehmen. Außerdem könne sie als Mitarbeiterin am Empfang oder an Informationsstellen in öffentlichen Verwaltungen oder vergleichbaren Institutionen berufstätig sein. Psychiater und Neurologe Dr. Str., Chefarzt an der Stadtklinik F., erstattete das Gutachten vom 10. Oktober 2004. Aufgrund der Diagnosen mittelschwere depressive Episode bei Dysthymia verbunden mit depressiver Stimmungslage, Freudlosigkeit, Antriebsminderung, eingeschränkter affektiver Schwingungsfähigkeit, ausgeprägten Zukunftsängsten und sozialem Rückzug, neurodermitische Konstitution, chronisch rezidivierende Pankreatitis, kombinierte Hyperlipidämie sowie Verdacht auf Autoimmunthyreoiditis sei ein Leistungsvermögen von nur noch etwa vier Stunden täglich für leichte Tätigkeiten anzunehmen. Eine ambulante psychiatrische Behandlung sei zu empfehlen. Demgegenüber schlug Dr. Z. (Stellungnahme des beratungsärztlichen Dienstes vom 25. Oktober 2004) vorrangig eine stationäre Maßnahme vor. Er hielt die Leistungsbeurteilung für nicht nachvollziehbar. Die im Gutachten beschriebene Erschöpfbarkeit stehe in ausgeprägtem Widerspruch zum Lebensalltag und zur Tagesstruktur der Klägerin. In der auf Anregung des Bundesversicherungsamts von der Beklagten eingeholten ergänzenden Stellungnahme vom 01. März 2005 blieb Dr. Str. bei seiner Leistungsbeurteilung. Die Beklagte hielt diese Beurteilung weiterhin für nicht zutreffend (Stellungnahmen des Dr. Z. und der Dr. B. vom 22. März 2005). Die Klägerin machte eine Verschlechterung ihres Gesundheitszustands geltend. Auf Veranlassung der Allgemeinärztin Dr. P. ließ sich die Klägerin vom 31. Januar bis 05. Februar 2005 im Pa.-Krankenhaus B. L. zur Abklärung einer progredienten Verschlechterung des Allgemeinzustands behandeln (Entlassbrief des Internisten Dr. Me. vom 23. Mai 2005). Danach zeigte sich eine Fettleber und eine Hashimoto-Thyreoiditis. Als nicht unbedeutend für die Ätiologie der Beschwerden sah Dr. Me. die unbefriedigende kräftezehrende berufliche und private Situation der Klägerin an. Allgemeinärztin Dr. P. gab den Befundbericht vom 05. April 2005 ab. Die Klägerin sei schnell erschöpft und könne maximal vier Stunden arbeiten. Seit August 2004 bestehe eine Verschlechterung. Arzt für Innere Medizin Dr. We. erstattete das Gutachten vom 27. Oktober 2005. Er nannte als Diagnosen Neurodermitis, Hyperlipidämie, anamnestisch Hashimoto-Thyreoiditis und Chondropathia patellae beidseits. Die Tätigkeiten einer Altenpflegerin seien noch vollschichtig (sechs Stunden und mehr) möglich. Die Beklagte erließ den ablehnenden Bescheid vom 15. März 2006. Die Überprüfung des Bescheids vom 16. Juni 2003 (nach § 44 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuchs [SGB X]) habe ergeben, dass Rente wegen Erwerbsminderung zu Recht abgelehnt worden sei. Leichte Tätigkeiten in überwiegend sitzender Arbeitshaltung auch mit zeitweisem Gehen und Stehen seien mindestens sechsstündig täglich möglich. Mit dem Widerspruch verwies die Klägerin darauf, der einzige für sie in Betracht kommende Beruf sei der der Altenpflegerin, den sie nicht mehr vollschichtig erbringen könne. Neue medizinische Ermittlungen wurden nicht eingeleitet. Die Widerspruchsstelle der Beklagten erließ den zurückweisenden Widerspruchsbescheid vom 23. August 2006. Er verwies auf die Begründung des Bescheids vom 15. März 2006.

Mit der am 14. September 2006 zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhobenen Klage verfolgte die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie machte geltend, sie habe ihre wöchentliche Arbeitszeit aus gesundheitlichen Gründen mehrmals reduzieren müssen. Als Altenpflegerin könne sie keinesfalls noch sechs Stunden täglich arbeiten. In den früher ausgeübten Berufen als kaufmännische Angestellte und Sekretärin sei sie nicht mehr vermittelbar.

Die Beklagte trat der Klage entgegen. Die Klägerin übe noch eine Tätigkeit in ihrem bisherigen Beruf von mehr als sechs Stunden täglich aus.

Orthopäde Dr. A. verwies in der schriftlichen Zeugenaussage vom 08. November 2006 auf den Arztbrief vom 29. September 2003 nach einmaliger Untersuchung. Dr. P. listete in der Aussage vom 24. November 2006, der Arztbriefe und Befundberichte beigefügt waren, die Behandlungsdaten seit November 2002 auf, nannte eine inzwischen eingetretene deutliche depressive Symptomatik im Sinne einer Erschöpfungsdepression und hielt die Klägerin als Altenpflegerin für höchstens vier Stunden, allerdings nicht im Schichtdienst, täglich leistungsfähig, während sie im alten Beruf als Sekretärin oder kaufmännische Angestellte wahrscheinlich nach heutigen Anforderungen überfordert wäre. Der Allgemeinzustand habe sich seit Sommer 2004 deutlich verschlechtert. Die Klägerin benötige zum Erhalt ihrer Arbeitsfähigkeit regelmäßige Erholungszeiten. Die Regionaldirektion Baden-Württemberg der Bundesagentur für Arbeit (M. Ki.) nahm auf Frage des SG unter dem 31. Januar 2007 Stellung zu den jetzigen Anforderungen des Berufsbilds der kaufmännischen Angestellten/Sekretärin.

Arzt für Neurologie und Psychiatrie, Psychotherapie Dr. Ni. erstattete das Gutachten vom 17. April 2007. Es bestünden eine eingeschränkte Beweglichkeit der Halswirbelsäule mit druckschmerzhaften Nervenaustrittspunkten ohne größere funktionelle Einschränkungen, eine endgradig eingeschränkte Beweglichkeit der Lendenwirbelsäule ebenfalls ohne wesentliche Funktionseinschränkung, eine Visusstörung, auf psychischem Gebiet eine affektiv deutliche depressive Herabstimmung mit Einschränkung der Vitalgefühle, vermehrte Ängstlichkeit, Klagsamkeit und Affektlabilität mit eingeschränkter Mitschwingungsfähigkeit und tageszeitlich abhängigem Antriebsdefizit, ferner seien ausgeprägte Schlafstörungen zu bemerken. Bei vorhandener Leistungswilligkeit stünden im Vordergrund erhöhte Erschöpfbarkeit und mangelnde Belastbarkeit bei körperlichen, teilweise geistigen Anstrengungen. Vermieden werden sollten schwere bis mittelschwere Arbeiten mit Lasten von mehr als 15 kg, Zwangshaltungen und Überkopfarbeiten, Nässe und Kälte, Zeitdruck, Akkord- oder Fließbandarbeit, Nachtarbeit, besondere geistige Beanspruchungen oder anhaltende nervliche Belastung. Auch besondere Beanspruchung der Augen müsse vermieden werden. Arbeiten mit Büromaschinen und mit Publikumsverkehr seien grundsätzlich möglich. Freilich seien die Tätigkeiten auf vier Stunden pro Arbeitstag einzuschränken, da die Klägerin bei der im Vordergrund stehenden neurasthenischen Erkrankung an ihre Grenzen stoße und gesundheitliche Stressfaktoren entwickle. Hierbei sei auch die depressive Persönlichkeitsstrukturierung zu berücksichtigen. Eine Tätigkeit mit 6,5 Stunden täglich stelle bereits eine Überforderung dar und führe zu einem erheblichen Erschöpfungsgrad. Der jetzige Zustand bestehe bereits seit April 2003, wobei bereits damals eine Belastungsgrenze erreicht gewesen sei und sich später keine wesentliche Änderung ergeben habe. Betriebsunübliche Arbeitsbedingungen seien nicht notwendig. Die Gehstrecke sei nicht erheblich eingeschränkt. Die wesentliche Beeinträchtigung des Leistungsvermögens stelle sich in der psychiatrischen Erkrankung dar.

Durch Urteil vom 29. November 2007 hob das SG den Bescheid der Beklagten vom 15. März 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. August 2006 auf und verurteilte die Beklagte, unter teilweiser Rücknahme des Bescheids vom 16. Juni 2003 und des Widerspruchsbescheids vom 05. März 2004 der Klägerin Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung ab 01. Mai 2003 sowie Rente wegen voller Erwerbsminderung vom 01. November 2003 bis 31. Oktober 2009 zu gewähren, wobei im Zeitraum vom 01. November 2003 bis 31. Oktober 2009 nur die Rente wegen voller Erwerbsminderung zu leisten ist. Im Übrigen wies es die Klage ab. Zur Begründung legte das SG dar, unter Berücksichtigung dessen, dass der Sachverständige Dr. Ni. zu ähnlichen diagnostischen Einschätzungen gekommen sei wie bereits zwei Vorgutachter, sei dessen Schlussfolgerung plausibel, die Klägerin könne allenfalls vier Stunden täglich arbeiten; soweit sie tatsächlich an einigen Tagen sechs Stunden arbeite, werde dies durch eine geringere Anzahl der Arbeitstage ausgeglichen. Im Übrigen gehe die jetzige Tätigkeit auf Kosten der Restgesundheit. Nach den Grundsätzen der Arbeitsmarktrente müsse - mit Rentenbeginn ein halbes Jahr nach Eintritt der Erwerbsminderung - Zeitrente wegen voller Erwerbsminderung gewährt werden, und zwar wegen des inzwischen eingetretenen Zeitablaufs aufgrund Verlängerung für jeweils drei Jahre, nunmehr bis 31. Oktober 2009.

Gegen das ihr am 07. Februar 2008 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 04. März 2008 zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg Berufung eingelegt. Die Klage sei abzuweisen, soweit Rente wegen voller Erwerbsminderung vom 01. November 2003 bis 31. Oktober 2009 zugesprochen worden sei. Es werde akzeptiert, dass die Klägerin sowohl für den bisherigen Beruf der Altenpflegerin als auch für Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts nur noch über ein Leistungsvermögens von drei bis unter sechs Stunden täglich verfüge. Allerdings könne der Einschätzung nicht gefolgt werden, die Klägerin arbeite auf Kosten der Gesundheit. Immerhin arbeite sie, zeitweise sogar als Schichtleitung, 25,5 Wochenstunden, ohne dass wesentliche Zeiten der Arbeitsunfähigkeit festzustellen seien. Eine bloße Überforderung gehe nicht zwangsläufig mit einer Verschlechterung des Gesundheitszustands einher. Die Klägerin habe einen leidensgerechten Arbeitsplatz inne. Nach alledem könne ein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung nicht bestehen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 29. November 2007 abzuändern und die Klage auch abzuweisen, soweit Rente wegen voller Erwerbsminderung vom 01. November 2003 bis 31. Oktober 2009 zugesprochen wurde.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie entgegnet, sie leide an der Beschäftigung als Altenpflegerin zunehmend unter psychischem Druck. Die angeschlagene Gesundheit verschlechtere sich zusätzlich. Sie sei in ständiger ärztlicher Behandlung. Im Einverständnis mit dem Arbeitgeber sei seit März und April 2008 die Arbeitszeit auf 50 v.H. bzw. 30 v.H. reduziert. Mithin betrage das Bruttogehalt monatlich nur noch EUR 708,00. Dennoch müsse sie wegen der Umstellung ihres Arbeitsplatzes auf Tourenplanung bis zu sechs Stunden pro Tour an einzelnen Tagen mitmachen. Der jetzige Arbeitgeber sei nicht bereit, sie auf 400-Euro-Basis weiterhin zu beschäftigen. Die Klägerin hat die Änderungen vom 07. und 25. März 2008 zum Arbeitsvertrag (vom 13. April 2000 und 05. Juni 2001) vorgelegt. Danach ist die bisherige Arbeitszeit von 51 Stunden in 14 Tagen (66 v.H.) rückwirkend ab 01. März 2008 auf 38,5 Stunden in 14 Tagen (50 v.H.) und ab 01. April 2008 auf 23 Stunden in 14 Tagen (30 v.H.) reduziert worden. Weiter hat die Klägerin beispielhaft einen Tourenplan für Samstag, 19. Juli 2008, der eine durchgängige Einsatzzeit von 8:07 Uhr bis 12:53 Uhr ausweist, die Lohn-/Gehaltsabrechnungen der Monate März und April 2008 und eine Aufstellung der Krankheits- und Urlaubtage seit 22. Januar 2003 vorgelegt.

Durch Bescheid vom 16. Mai 2008 hat die Beklagte die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung ab 01. Mai 2003 bewilligt (anfänglicher Bruttobetrag EUR 246,37). Die Rente ist hiernach wegen Überschreitung des zulässigen Hinzuverdiensts vor dem 01. Januar 2008 nicht zu zahlen. Für die Zeit ab 01. Januar 2008 hat sich eine monatliche Rente von EUR 125,14, ab 01. März 2008 wegen Verminderung des Hinzuverdiensts - von EUR 251,10 ergeben. Durch Bescheid vom 24. Juni 2008 ist verfügt worden, dass eine Rentenänderung aufgrund zwischenstaatlicher Rentenberechnungen - hier betreffend die schweizerischen Versicherungszeiten - nicht möglich ist. Schließlich ist durch Bescheid vom 12. November 2008 die laufende monatliche Rente auf EUR 228,99 (netto) festgestellt und - wegen Überschreitung der Hinzuverdienstgrenzen in den Monaten Januar und Februar 2008 - die Rückforderung einer Überzahlung von EUR 218,91 verfügt worden.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Zur weiteren Darstellung wird auf den Inhalt der Berufungsakten, der Klageakten und der von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

1. Zu entscheiden ist über die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG vom 29. November 2007, durch welches die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 15. März 2006 (Widerspruchsbescheid vom 23. August 2006) unter teilweiser Rücknahme des Bescheids vom 16. Juni 2003 und des Widerspruchsbescheids vom 05. März 2004 zur Leistung von Zeitrente wegen voller Erwerbsminderung vom 01. November 2003 bis 31. Oktober 2009 verurteilt worden ist. Hingegen ist die Verurteilung zur Zahlung von Rente auf Dauer wegen teilweiser Erwerbsminderung ab 01. Mai 2003 nicht angefochten worden. Das Urteil ist insoweit rechtskräftig geworden und die in Beklagte hat das Urteil insoweit durch Bescheid vom 16. Mai 2008 ausgeführt.

Änderungsbescheide sind unter dem 24. Juni 2008 und 12. November 2008 ergangen. Die hierin getroffenen Regelungen stehen in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit der hier streitigen Frage eines Anspruchs auf Rente wegen voller Erwerbsminderung. Sie ändern nicht die streitgegenständlichen Bescheide (Bescheid vom 15. März 2006 und Widerspruchsbescheid vom 23. August 2006) ab und ersetzen sie auch nicht. Entgegen einer von der Beklagten vorgetragenen Auffassung sind die genannten Bescheide daher nicht gemäß § 153 Abs. 1 i. V. mit § 96 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) Gegenstand des vorliegenden Berufungsverfahrens geworden.

2. Die zulässige Berufung der Beklagten, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten nach §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist in der Sache begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung.

Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist. Zu überprüfen sind insoweit der Bescheid der Beklagten vom 16. Juni 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05. März 2004, die bestandskräftig geworden sind, da sie die Klägerin nicht mit der Klage angefochten hat. Der Senat geht davon aus, dass die Beklagte jedenfalls im Widerspruchsbescheid vom 05. März 2004 auch über den Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung entschieden hat, nachdem sie im Bescheid vom 16. Juni 2003 ausschließlich den Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nach § 240 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB VI) abgelehnt hatte, nicht aber den Anspruch auf Rente wegen teilweiser bzw. voller Erwerbsminderung nach § 43 SGB VI. Der Bescheid der Beklagten vom 16. Juni 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05. März 2004 ist hinsichtlich der im vorliegenden Berufungsverfahren allein zu prüfenden Rente wegen voller Erwerbsminderung nicht rechtswidrig, sodass die Beklagte mit dem Bescheid vom 15. März 2006 und Widerspruchsbescheid vom 23. August 2006 zu Recht die Rücknahme hinsichtlich der Rente wegen voller Erwerbsminderung abgelehnt hat.

Versicherte haben gemäß § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze (insoweit mit Wirkung zum 01. Januar 2008 geändert durch Art. 1 Nr. 12 des RV-Altersgrenzenanpassungsgesetzes vom 20. April 2007, BGBl. I, S. 554), wenn sie voll erwerbsgemindert sind (Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr. 3). Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Voraussetzung ist, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Entscheidend ist darauf abzustellen, in welchem Umfang ein Versicherter durch Krankheit oder Behinderung in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird und in welchem Umfang sich eine Leistungsminderung auf die Fähigkeit, erwerbstätig zu sein, auswirkt. Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs. 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).

Entgegen den Darlegungen des SG erachtet der Senat die Voraussetzungen für eine Rente wegen voller Erwerbsminderung nicht für gegeben.

Die Klägerin ist nicht voll erwerbsgemindert, weil sie in der Lage ist, sowohl die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Altenpflegerin als auch Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in einem Umfang von mehr als drei Stunden auszuüben. Dies ergibt sich übereinstimmend aus den Angaben der im gesamten Verfahren gehörten Gutachter sowie auch der behandelnden Ärzte. Im Vordergrund stehen bei der Klägerin Gesundheitsstörungen auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet. Insoweit besteht eine Erschöpfungssymptomatik mit einer Depression Im Berufungsverfahren ist nicht erkennbar geworden, dass sich diese Gesundheitsstörungen wesentlich verschlechtert hätten mit der Folge, dass das Leistungsvermögen auf unter drei Stunden gesunken wäre. Soweit die Klägerin zuletzt auf einen Bänderriss in der rechten Schulter verwiesen hat, handelt es sich um eine akute Erkrankung.

Volle Erwerbsminderung besteht auch nicht deshalb, weil das Leistungsvermögen der Klägerin weniger als sechs Stunden beträgt. Dieses Leistungsvermögen ergibt sich aus dem Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen Dr. Ni. sowie aus den neurologisch-psychiatrischen Gutachten der von der Beklagten gehörten Dres. G. und Str ... Auch die Beklagte hat sich dieser Beurteilung im Berufungsverfahren angeschlossen und nicht mehr unter Berufung auf die Stellungnahmen ihrer beratenden Ärzte Dres. Z. und B. die abweichende Auffassung vertreten, die Klägerin könnte zumindest auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mehr als sechs Stunden erwerbstätig sein. Soweit Internist Dr. We. das Leistungsvermögen der Klägerin sowohl für die Tätigkeit als Altenpflegerin als auch für Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mit sechs Stunden und mehr annimmt, bezieht sich dies allein auf sein Fachgebiet. Die im Vordergrund stehenden Erkrankungen auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet berücksichtigt er nicht, wie sich schon aus den von ihm genannten Diagnosen ergibt.

Da der Klägerin aufgrund des festgestellten eingeschränkten Leistungsvermögens von drei bis sechs Stunden täglich nur noch der Teilzeitarbeitsmarkt zur Verfügung steht, ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zur sog. konkreten Betrachtungsweise die derzeitige Arbeitsmarktsituation zu berücksichtigen (vgl. Beschluss des Großen Senats des BSG vom 19. Dezember 1996, SozR 3-2600 § 44 Nr. 8). Dieser Rechtsprechung des BSG ist auch nach der Neuregelung des § 43 SGB VI zum 01. Januar 2001 durch das Gesetz zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20. Dezember 2000 (BGBl. I, S. 1827) zu folgen. Denn der Gesetzgeber hat nunmehr in § 43 Abs. 3 Halbsatz 2 SGB VI ausdrücklich normiert, dass die konkrete Arbeitsmarktlage nur bei einer Erwerbsfähigkeit von mindestens sechs Stunden nicht zu berücksichtigen ist.

Der Teilzeitarbeitsmarkt ist der Klägerin nicht verschlossen, weil sie einen ihr zumutbaren Arbeitsplatz innehat und die mit diesem Arbeitsplatz verbundene Tätigkeit auch tatsächlich ausübt. Die tägliche Arbeitszeit der Klägerin betrug bis 28. Februar 2008 6,38 Stunden an vier Tagen in der Woche (Auskunft des Arbeitgebers gegenüber der Beklagten vom 19. Juli 2004). Dies entsprach einer wöchentlichen Arbeitszeit von 25,52 Stunden, bei fünf Tagen in der Woche mithin täglich 5,1 Stunden. Der Senat vermag nicht festzustellen, dass die Klägerin diese Tätigkeit auf Kosten der Gesundheit ausübt, weil sie durch die Schwere oder Dauer der Arbeit gesundheitlich überfordert würde. Denn länger dauernde Krankheitszeiten der Klägerin sind mit Ausnahme des Klinikaufenthaltes vom 31. Januar bis 15. Februar 2005 sowie des Zeitraums vom 04. Dezember 2006 bis 07. Januar 2007 nicht vorhanden. Dies ergibt sich aus der von ihr im Berufungsverfahren vorgelegten Aufstellung (Blatt 22 der Senatsakte). Auch aus dem Rehabilitationsverfahren im Jahre 2003 wurde die Klägerin als arbeitsfähig in dem eingeschränkten zeitlichen Umfang entlassen. Soweit Dr. Ni. meint, die jetzige Tätigkeit mit 6,5 (richtig 6,38) Stunden pro Arbeitstag stelle eine Überforderung dar, übersieht er dass die Klägerin nicht an fünf Tagen einer Arbeitswoche 6,38 Stunden arbeitet, sondern nur an vier Tagen. Dass der Klägerin jedenfalls eine vierstündige tägliche Arbeitszeit aus gesundheitlichen Gründen zumutbar ist, ergibt sich aus den Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen Dr. Ni. sowie des von der Beklagten gehörten Gutachters Dr. Str ...

Etwas anderes ergibt sich nicht daraus, dass die Klägerin zum 01. März bzw. 01. April 2008 ihre Arbeitszeit auf 38,5 Stunden in 14 Tagen (50 v.H.) bzw. auf 23 Stunden in 14 Tagen (30 v.H.) reduzierte. Diese Reduzierung erfolgte nach der Bewilligung der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung durch das (insoweit rechtskräftig gewordene) Urteil des SG. Die frühere höhere Arbeitszeit führte dazu, dass die Rente wegen des Hinzuverdienst nicht gezahlt wurde. Da wie bereits dargelegt eine Änderung in den gesundheitlichen Verhältnissen nicht vorliegt, beruht diese Reduzierung der Arbeitszeit auf anderen als gesundheitlichen Gründen.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Zur Zulassung der Revision bestand kein Anlass.
Rechtskraft
Aus
Saved