L 12 AL 1661/08

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 11 AL 3408/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AL 1661/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 31.1.2008 abgeändert. Der Bescheid der Beklagten vom 27.7.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.9.2007 wird nur insoweit aufgehoben, als er die Erstattung von Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge betrifft.

Im übrigen wird die Klage abgewiesen und wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger ein Fünftel seiner außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen zu erstatten.

Für die Beklagte wird die Revision zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Aufhebung der Bewilligung und die Rückforderung von Arbeitslosenhilfe und die Erstattung von Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung.

Der 1944 geborene Kläger war seit 1977 als Maurer beschäftigt. Ab 1993 bezog er, nachdem er von der Krankenkasse ausgesteuert war, von der Beklagten Arbeitslosengeld und gleichzeitig von der Landesversicherungsanstalt (LVA) eine Rente wegen Berufsunfähigkeit. Arbeitslosengeld wurde mit Unterbrechungen gewährt bis November 1995, ab 7.11.1995 bezog der Kläger Arbeitslosenhilfe. Arbeitslosenhilfe wurde mit Unterbrechungen wegen Auslandsaufenthalten gewährt bis 31.12.2004, zuletzt in Höhe von wöchentlich 52,01 EUR. Dabei hat der Kläger in allen Anträgen angegeben, über kein Vermögen zu verfügen. Seit 1.11.2004 bezieht der Kläger Altersrente wegen Arbeitslosigkeit in Höhe von anfänglich monatlich 636,02 EUR.

Am 16.4.2007 wurde der Beklagten bekannt, dass der Kläger über ein Konto bei der Türkischen Nationalbank verfügte, auf das er am 29.6.1994 10.000 DM und am 15.12.1996 45.000 DM eingezahlt hatte.

Im Anhörungsverfahren brachte der Kläger vor, er habe die Fragen im Antrag damals nicht richtig verstanden und keine Übersetzungshilfe gehabt. Die während des Bezugs von Arbeitslosenhilfe nicht angegebenen Geldbeträge seien kein eigenes Geld gewesen, sondern Gelder seiner Kinder, die er treuhänderisch für sie verwaltet habe. Es habe sich um Geld gehandelt, das die Kinder bei Volljährigkeit, bei Verheiratung oder bei größeren Anschaffungen erhalten sollten und das die Kinder inzwischen auch vollständig erhalten hätten.

Mit Bescheid vom 27.7.2007 hob die Beklagte die Bewilligung der Arbeitslosenhilfe für die Zeiträume vom 10.10.1997 bis 29.5.1998, vom 12.10.1998 bis 21.5.1999, vom 16.9.1999 bis 23.6.2001, vom 21.9.2001 bis 6.11.2003 und vom 7.11.2003 bis 31.12.2004 auf und forderte die in dieser Zeit überzahlte Leistung in Höhe von 22.936,22 EUR zurück. Gleichzeitig wurde die Erstattung der in dieser Zeit gezahlten Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge in Höhe von 4771,15 EUR begehrt. Der Kläger sei nicht hilfebedürftig gewesen, weil er 1994 über Vermögen von 10.000 DM und 1996 über Vermögen von 45.000 DM verfügt habe, das er im Rahmen der Bedürftigkeitsprüfung nicht angegebenen habe.

Im Widerspruchsverfahren machte der Kläger wie im Anhörungsverfahren geltend, er habe das Vermögen lediglich treuhänderisch für seine Kinder verwaltet, eine solche Verwaltung liege in der Familienstruktur der türkischen Gesellschaft begründet, jedenfalls liege deswegen keine grobe Fahrlässigkeit vor.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 12.9.2007 zurück. Es lägen keine Nachweise vor, die eine treuhänderische Verwaltung des Geldes nach deutschem Recht belegen würden, die rechtliche Beurteilung richte sich nicht nach der Rechtsordnung, in der der Kläger aufgewachsen sei, sondern nach deutschem Recht.

Dagegen hat der Kläger am 8.10.2007 beim Sozialgericht Mannheim (SG) Klage erhoben. Er hat im wesentlichen auf die bisherigen Begründungen verwiesen und zu den Auszahlungen des Geldes an seine Kinder folgende Angaben gemacht: Seiner Tochter M. habe er 1986 die Hochzeit bezahlt und ihr später noch einmal 12.000 DM ausgezahlt. Seinem Sohn C. habe er 1992 ebenfalls die Hochzeit bezahlt und ihm 1992 und 1999 größere Geldbeträge für eine Darlehenstilgung, den Hauskauf und die Hausrenovierung ausbezahlt. Seinem Sohn A. habe er 1996 Geld für dessen Hauserwerb gegeben. Dem Sohn C. habe er mit kleineren Beträgen von bis zu 1000 DM zum Lebensunterhalt die Ingenieurausbildung finanziert. Die Tochter D. habe nach Heirat und Hauskauf und für ein 1999 gekauftes Auto bis 2000 alle treuhänderisch verwahrten Gelder zurückerhalten. Diese Zahlungen hat der Kläger teilweise durch Kontoauszüge belegt.

Dem Kläger sei auch keine grobe Fahrlässigkeit oder Vorsatz in Bezug auf die Nichtangabe der für die Kinder aufbewahrten Gelder vorzuwerfen, da er fest davon überzeugt gewesen sei, es nicht selbst für sich und seine Frau verbrauchen zu dürfen. Es liege insoweit kein schuldhaftes Verhalten vor, was daraus zu ersehen sei, dass der Kläger 1992 anlässlich eines Hauskauf eine Grundschuld bestellt und ein Darlehen von 60.000 DM mit einem Zinssatz von 7,75% aufgenommen habe, was er wohl kaum getan hätte, wenn er davon ausgegangen wäre, auf das "geparkte" Geld zurückgreifen zu können.

In der mündlichen Verhandlung vom 31.1.2008 hat das SG den Kläger persönlich gehört und Beweis erhoben durch Vernehmung der Kinder D. V., M. K., C. F. und C. F. als Zeugen. Wegen des Inhalts der Beweiserhebung wird auf die Niederschrift Blatt 100/108 der SG-Akten Bezug genommen.

Durch Urteil vom 31.1.2008 hat das SG den Bescheid der Beklagten vom 27.2.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.9.2007 aufgehoben. In den Entscheidungsgründen hat es zunächst den Erklärungsirrtum berichtigt, dass der Bescheid vom 27.7.2007 aufgehoben werde. Die Klage sei zulässig und begründet.

Die auf § 45 Abs. 1 SGB X in Verbindung mit § 330 Abs. 2 SGB III gestützte Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosenhilfe sei zur Überzeugung der Kammer nicht rechtmäßig, da der Kläger die Leistungen der Arbeitslosenhilfe im fraglichen Zeitraum weder durch arglistige Täuschung erwirkt habe noch sei er sich in grobfahrlässiger bzw. vorsätzlicher Weise bewusst gewesen, dass seine Anträge unvollständig ausgefüllt gewesen seien und deshalb die Bewilligungen auf vorsätzlich oder grobfahrlässig unrichtigen bzw. unvollständige Angaben beruhten. Auch sei dem Kläger keine Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis einer eventuellen Rechtswidrigkeit der Bewilligungsbescheide vorwerfbar.

Die Kammer sei davon überzeugt, dass es sich bei den Geldern auf der Türkischen Nationalbank nicht um eigenes Geld des Klägers, sondern vielmehr allein das Geld der fünf Kinder des Klägers gehandelt habe. Diese Behauptung des Klägers sei eindrücklich bestätigt worden durch die Zeugenvernehmung der vier Kinder. Die Kinder hätten übereinstimmend mit dem Vater geschildert, dass sie, der Familientradition entsprechend, alles Geld, das sie am Ende des Monats bzw. nach Abzug eines Taschengeldes und von Beträgen für kleinere Anschaffungen noch übrig gehabt hätten, dem Vater zur treuhänderischen Verwaltung übergeben hätten. Dieser habe die Beträge bei der Türkischen Nationalbank zu einem für in Deutschland lebende Türken besonders hohen Zinssatz angelegt und ihnen je nach Bedarf die Beträge wieder ausgezahlt. Die Kammer sei davon überzeugt, dass auf Grund der bereits seit Anfang der 80er beziehungsweise Mitte der 80er Jahre bestehenden Einkommensverhältnisse der fünf Kinder, wovon vier laut eigenen Angaben regelmäßig übriges Geld an den Vater abgegeben hätten, ein derart großer Vermögensstock habe angespart werden können, der den Kläger in die Lage versetzt habe, den Kindern zu den jeweiligen Anlässen die von ihm angegebenen beträchtlichen Geldsummen auszubezahlen. Insbesondere die eingezahlten 10.000 DM beziehungsweise 45.000 DM erschienen vor diesem Hintergrund als ein vergleichsweise kleiner Anteil der insgesamt durch die Kinder des Klägers angesparten Summen, so dass an der Zuordnung zum Vermögen der Kinder und nicht zum Vermögen des Klägers für das Gericht keine Zweifel bestünden. Die Aussagen der Zeugen erschienen auch glaubhaft, alle Zeugen hätten in ihrem persönlichen Erscheinen, Auftreten und der Art und Weise, wie sie die Aussage gemacht hätten, authentisch und selbstsicher gewirkt. Auch der Kläger habe während der Anhörung einen soliden, ehrlichen und um das Wohl der Kinder und dem Zusammenhalt der Familie bemühten Eindruck gemacht. Objektiv hinzugetreten sei auch der Umstand, dass die Aussagen der Zeugen teilweise durch Kontoauszüge, Kaufvertragsabschriften und Ähnliches habe belegt werden können. Auch die Tatsache, dass der Kläger zusammen mit seinem ältesten Sohn C. 1992 anlässlich des Hauskaufs eine Grundschuld im Wert von 60.000 DM bestellt habe, trage zur Glaubhaftigkeit der Aussage des Klägers, es sei das Geld seiner Kinder gewesen und habe nicht zu seiner Verfügung gestanden, erheblich bei. Denn es wäre nur schwerlich verständlich gewesen dass der Kläger auf ein Darlehen mit einem Zinssatz von 7,75% zurückgreife, wenn er noch eine Spareinlagen hätte heranziehen können. Dies bestätige, dass eine Verwertung der von den Kindern überlassenen Geldbeträge für den Kläger tabu gewesen sei.

Nach alledem sei davon auszugehen, dass die sich bei der Türkischen Nationalbank befindlichen Gelder im Zeitpunkt der Bewilligung der Arbeitslosenhilfe nicht das Vermögen des Klägers dargestellt hätten und damit bei der Prüfung der Bedürftigkeit auch von der Beklagten nicht heranzuziehen gewesen seien. Insoweit fehle es nach Überzeugung der Kammer bereits an der Rechtswidrigkeit des aufgehobenen Verwaltungsakts und damit einer der Tatbestandsvoraussetzungen des § 45 SGB X. Nach alledem seien der Bescheid vom 27.7.2007 und der Widerspruchsbescheid vom 12.9.2007 aufzuheben.

Gegen dieses am 31.3.2008 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 8.4.2008 Berufung eingelegt. Sie bringt vor, bei der Prüfung von Schuldverpflichtungen unter nahen Angehörigen gelte der Grundsatz, dass ein Vertrag und seine Durchführung in allen wesentlichen Punkten einem Fremdvergleich standhalten müsse. So wäre zwar die Verwendung der Gelder mit vermeintlichem Einverständnis der Kinder durch familiäre Bindungen erklärbar, sie entspräche aber jedenfalls nicht den im Geschäftsverkehr geltenden Modalitäten. Genauso wenig entspreche es dem Rechtsverkehr, wenn nicht verbrauchtes Geld zuhause aufbewahrt werde.

Es sei nicht glaubhaft, dass es sich bei den bei der Türkischen Nationalbank angelegten Geldern ausschließlich um diejenigen seiner fünf Kinder gehandelt habe. Es bestünden keinerlei schriftlich fixierte Erklärungen, Schuldscheine und Ähnliches über die Übergabe der Gelder, wie es im allgemeinen unter Dritten üblich sei. Deshalb sei eine Treuhand von vornherein nicht zu erkennen. Die Kinder des Klägers hätten zwar übereinstimmend angegeben, ihr überschüssiges Geld dem Vater zur Verwaltung ausgehändigt zu haben, das SG sei aber zu Unrecht davon ausgegangen, dass die dem Vater übergeben Beträge nicht in dessen Eigentum übergegangen seien. Eine nachvollziehbare Treuhandvereinbarung könne schon deshalb nicht vorliegen, weil die übergebenen Gelder weder bei der Einzahlung noch bei der Verwahrung einzelnen Personen zuzuordnen gewesen seien oder zugeordnet worden seien. Die bei einem angenommenen Treuhandvertrag bestehende Treuhandbindung untersage es aber, das Vermögen des Treugebers mit eigenem oder mit anderem Vermögen zu vermengen.

Es sei deswegen davon auszugehen, dass mit der Übergabe der Geldbeträge der Kinder diese in das Eigentum des Klägers übergegangen seien. Es habe lediglich eine moralische Verpflichtung des Vaters bestanden, die Kinder zu Hochzeiten, Hauskäufen etc. mit Geldmitteln zu versorgen. Diese moralische Verpflichtung existiere in diesem patriarchalischen System unabhängig von der Übertragung von Geldbeträgen der Kinder auf den Vater. Diese moralische Verpflichtung könne jedoch nicht mit einem Treuhandverhältnis gleichgesetzt werden. Keines der Kinder habe genau gewusst, welche Beträge es dem Vater übergeben hatte, keines der Kinder habe genau gewusst, welchen Betrag es erhalten habe. Ferner sei auch davon auszugehen, dass auch Gelder des Klägers selbst eingeflossen seien, jede andere Betrachtungsweise sei realitätsfern. Das SG habe damit insgesamt die Zeugenaussagen unzutreffend gewertet. Das eingezahlte Geld sei in das Eigentum des Vaters übergegangen, der darüber habe verfügen können und der auch allein verfügungsberechtigt gewesen sei. In den Anträgen auf Arbeitslosenhilfe habe der Kläger wiederholt die Frage nach Vermögen verneint, die Richtigkeit seiner Angaben habe er unterschriftlich bestätigt. Der Kläger habe auch nicht seine Wertung an die Stelle der Wertung der Arbeitsverwaltung setzen dürfen. Er hätte durch entsprechende Nachfragen sich kundig machen müssen. Selbst wenn gegebenenfalls nach Ausschöpfung aller Ermittlungsmöglichkeiten nicht eindeutig feststellbar sei, ob der Geldbetrag dem Kläger gehört habe, dann ergebe sich, dass der Kläger auf Grund der unterbliebenen Angaben im Zusammenhang mit der Antragstellung eine zeitnahe Aufklärung des Sachverhalts unmöglich gemacht habe. Durch die unterbliebenen Angaben sei die Aufklärung zumindest erheblich erschwert worden, was zu einer Umkehr der objektiven Beweislast führen müsse. Nach alledem habe der Kläger im Zeitpunkt der jeweiligen Antragstellung über verwertbares Vermögen verfügen können, das dementsprechend bei der Bedürftigkeitsprüfung hätte berücksichtigt werden müssen.

Hinsichtlich der beim BSG noch anhängigen Rechtsfrage, ob die Rückforderung der Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge auf Grund der Rechtslage nach § 335 SGB II noch möglich sei, werde das Ruhen des Verfahrens beantragt.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 31.1.2008 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und wiederholt bekräftigend noch einmal das bisherige Vorbringen. Ergänzend wird eine eidesstattliche Versicherung der Kinder D. V., C. F. und M. K. vom Dezember 2008 vorgelegt, in der diese noch einmal wiederholen, sie hätten als Privatpersonen ihrem Vater in der Zeit, in der sie bei ihm gewohnt hätten ihre Ersparnisse freiwillig zur Verwaltung überlassen. Dies sei ein in ihrer Kultur übliches Verhalten, das vom familiären Vertrauen geprägt sei, es gebe auch kein Misstrauen, das durch Verträge oder Bürgschaften abgesichert werden müsste.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten und auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist zulässig. Sie ist auch im wesentlichen begründet. Das SG hat den angefochtenen Bescheid vom 27.7.2007 sowie den Widerspruchsbescheid vom 12.9.2007 zu Unrecht in vollem Umfang aufgehoben. Aufzuheben war der Bescheid lediglich insoweit, als die Erstattung von Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen begehrt wurde.

Das SG hat die hier anzuwendenden Rechtsnormen zutreffend zitiert. Der Senat nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen hierauf Bezug.

Soweit das SG jedoch zu der Überzeugung gelangt, die Voraussetzungen des § 45 SGB X lägen nicht vor, weil der Kläger weder durch arglistige Täuschung die geleistete Arbeitslosenhilfe erwirkt habe noch er sich in grobfahrlässiger bzw. vorsätzlicher Weise dessen bewusst gewesen sei, seine Arbeitslosenhilfeanträge unvollständig ausgefüllt zu haben, mithin die Bewilligungen nicht auf vorsätzlich oder grobfahrlässig unrichtigen bzw. unvollständigen Angaben beruht hätten, folgt dem der Senat nicht.

Der Kläger hat in der Zeit ab dem 10.10.1997 über Geldvermögen bei der Türkischen Nationalbank verfügt, das die Bedürftigkeit für mehr als 52 Wochen ausschloss, so dass auch für die anschließende Zeit ein Anspruch auf Arbeitslosenhilfe wegen Erlöschens nicht mehr bestand (§ 135 Abs. 1 Nr. 2 AFG in der damaligen Fassung).

Soweit der Kläger vorbringt, es habe sich bei diesem Geldvermögen ausschließlich um Gelder seiner Kinder gehandelt, die er treuhänderisch angelegt und verwaltet habe, vermag der Senat dies allerdings nicht als nachgewiesen anzusehen.

Zunächst ist davon auszugehen, dass ein solches Treuhandverhältnis nicht offen gelegt worden ist. Die Sparverträge bei der Türkischen Nationalbank sind auf den Namen des Klägers angelegt worden. Der Kläger war also gegenüber der Bank Forderungsinhaber. Dass hier eine stille Zession, also ein verdecktes Treuhandverhältnis vorliegen soll, ist nicht ersichtlich. Das SG hat insoweit seiner Beurteilung zutreffend die Rechtsprechung des 11. Senats des BSG vom 24.5.2006 (vor allem B 11a AL 7/05 R) zugrundegelegt, dass ein nicht offen gelegtes Treuhandverhältnis nicht offen bleiben kann, weil es keinen Rechtsgrundsatz gibt, dass sich jemand am Rechtsschein der Kontoinhaberschaft festhalten lassen müsse.

Im Rahmen der Amtsermittlung ist nach Ausschöpfung aller verfügbaren Erkenntnisquellen die tatsächliche Feststellungen zu treffen, ob die vom Kläger behaupteten Treuhandverhältnisse so getroffen worden sind. Dabei ist nach den Vorgaben des BSG (aaO) ein strenger Maßstab anzulegen. Schuldverpflichtungen unter Angehörigen oder nahestehenden Dritten sind dabei nur anzuerkennen, wenn der Vertrag als solcher und seine tatsächliche Durchführung in allen wesentlichen Punkten dem zwischen Dritten Üblichen entsprechen (BSG, Urt. vom 24.5.2006, B 11a AL 49/05 R mit weiteren Nachweisen).

Einem solchen Fremdvergleich hält der vorliegende Geschehensablauf keinesfalls stand. Der Kläger hat behauptet, sämtliche von ihm bei der Türkischen Nationalbank angelegten Geldbeträge seien Gelder seiner Kinder gewesen. Belegt hat er dies nicht. Er hat zwar durch Vorlage von Kontoauszügen teilweise belegt, dass er später zum Teil größere Geldbeträge an seine Kinder ausgefolgt hat. Dabei wird aber schon nicht klar, ob es sich dabei um von den Kindern vorher eingezahlte Geldbeträge gehandelt hat oder ob es sich um Zahlungen aus dem Familienvermögen handelte.

Die vom SG als Zeugen gehörten Kinder des Klägers haben auch übereinstimmend ausgesagt, es sei in ihrer Familie und in ihrem Kulturkreis üblich, dass eigenes Geld, das nicht gebraucht werde, dem Vater zur Verwaltung treuhänderisch übergeben werde. Der Senat kann dem aus mehreren Gründen jedoch nicht folgen. Zum einen sind alle Kinder des Klägers hier in Deutschland geboren und aufgewachsen, haben hier die Schule besucht, haben hier Ausbildungsstellen und Arbeitsplätze gesucht und gefunden. Dabei lief der Geldverkehr im Ausbildungs- oder Arbeitsverhältnis selbstverständlich über ein Girokonto. Dann erscheint es aber wenig glaubhaft, dass das am Monatsende übrige Geld vom Girokonto abgehoben und dem Vater (in bar?) übergeben worden sein soll. Dies kann zwar kulturellen Prägungen oder familiären Bindungen entsprechen, entspricht jedoch keinesfalls den im deutschen Rechtskreis geltenden Modalitäten im Geschäftsverkehr bzw. im Umgang mit größeren Geldbeträgen. Im Geschäftsverkehr wäre genau der gegenteilige Vorgang plausibel: am Monatsende nicht verbrauchtes Bargeld wird auf ein Sparkonto eingezahlt. Dass dies, wie die Kinder des Klägers in ihrer eidesstattliche Erklärung vom Dezember 2008 bekräftigen, auf dem familiären Vertrauensverhältnis beruht habe, sie hätten es als Misstrauen angesehen, dies durch Verträge oder Bürgschaften abzusichern, mag für das innerfamiliäre Vertrauensverhältnis durchaus richtig sein. Andererseits wäre es für die Kinder ein Leichtes gewesen, durch Vorlage von Kontoauszügen nachzuweisen, welche Geldbeträge am Ende des Monats jeweils überwiesen oder abgehoben worden sind. Es entspricht keinesfalls den Gepflogenheiten im Geschäftsverkehr, Geldbeträge, die am Ende eines Monats auf dem Girokonto übrig sind, bar abzuheben und dem Vater zu übergeben, der diese Beträge über Monate bar im Haushalt behält (so auch schon der 13. Senat des LSG im Urteil vom 15.4.2008 - L 13 AL 5382/06).

Hinzu kommt, dass weder der Kläger noch die Kinder darzulegen vermochten, welche Beträge im Einzelnen von ihnen dem Vater übergeben worden sind und welche Beträge sie vom Vater später wieder erhalten haben. Damit ist zum einen festzustellen, dass eine nachvollziehbare Treuhandvereinbarung zwischen den Kindern und dem Vater schon deshalb nicht vorliegen kann, weil die Geldbeträge, die bei der Türkischen Nationalbank angelegt waren, vermischtes Geld von mehreren Treugebern war. Die bei einem angenommenen Treuhandvertrag bestehende Treuhandbindung untersagt es aber, das Vermögen des Treugebers mit eigenem oder mit anderem Vermögen zu vermengen (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 15.2.2008 - L 8 AL 3748/05).

Die Beklagte weist zutreffend daraufhin, dass die vom Kläger und den Zeugen geschilderte Verfahrensweise keinesfalls mit der treuhänderischen Hingabe von Geldbeträgen an den Vater verglichen werden kann. Keines der Kinder wusste genau, welchen Betrag es dem Vater übergeben hatte. Keines der Kinder wusste genau, welchen Betrag es erhalten hatte. Sowohl im deutschen Rechtsverkehr als auch im gesamten Geschäftsleben der westlichen Welt ist es jedoch üblich, dass derartige Geldübertragungen und Rückzahlungen nicht ohne vertragliche Vereinbarungen oder mindestens schriftliche Belege erfolgen.

Der Senat bestreitet nicht, dass eine derartige Handhabung dem Kulturkreis und der Familientradition des Klägers und seiner Kinder entsprochen haben kann. Nur kann dann eben nicht eine treuhänderische Geldübertragung an den Kläger als nachgewiesen angesehen werden. Schon gar nicht ist der Nachweis erbracht, dass in den bei der Türkischen Nationalbank angelegten Geldbeträgen nicht auch eigenes Geld des Klägers enthalten war. Dies auszuschließen, wie es das SG getan hat, erscheint nicht angängig.

Nachdem sich nicht feststellen lässt, ob und in welcher Höhe eine wirksame Geldübergabe durch die Kinder tatsächlich erfolgt ist, stellt sich die Frage der Beweislast. Allgemein gilt, dass die Unerweislichkeit einer Tatsache im Zweifel zu Lasten desjenigen Beteiligten geht, der aus ihr eine ihm günstige Rechtsfolge herleitet (objektive Beweislast). Da im vorliegenden Fall die Rechtmäßigkeit eines Rücknahme- und Rückforderungsbescheides auf der Grundlage des § 45 SGB X i. V. m. § 330 Abs. 3 SGB III im Streit steht, trifft grundsätzlich die Beklagte die objektive Beweislast für das Vorliegen der Rechtswidrigkeit des ursprünglichen Bewilligungsbescheides.

Zu beachten ist jedoch, dass eine Ausnahme von dieser grundsätzlichen Beweislastverteilung dann gerechtfertigt ist, wenn in der persönlichen Sphäre oder in der Verantwortungssphäre des Arbeitslosen wurzelnde Vorgänge nicht aufklärbar sind, d. h. wenn eine besondere Beweisnähe zum Arbeitslosen vorliegt (z. B. BSG Urteil vom 28.8.2007 - B 7/7a AL 10/06 R). Eine dem Arbeitslosen anzulastende Beweisnähe kann sich etwa daraus ergeben, dass bei der Antragstellung Angaben zu Sparbüchern bzw. zu getroffenen Vereinbarungen unterlassen worden sind mit der Folge der Erschwerung der Aufklärung in späteren Jahren oder dass vollständige Kontenbewegungen nicht zugänglich gemacht werden mit der Folge der Unmöglichkeit einer Plausibilitätsprüfung (BSG SozR 4 - 4220 § 6 Nr. 4). So auch hier: der Kläger hat in allen Anträgen auf (Weitergewährung von) Arbeitslosenhilfe die Frage nach Vermögen verneint. Er hat weder Geldanlagen bei der Türkischen Nationalbank angegeben noch die Geldbeträge, über die er - nach seiner und seiner Kinder Schilderung -monatelang in bar verfügt haben musste. Die objektive Beweislast für die Unerweislichkeit des verdeckten Treuhandverhältnisses hat also der Kläger zu tragen.

Der Senat ist auch davon überzeugt, dass die subjektiven Rücknahmevoraussetzungen des § 45 SGB X vorliegen. Der Kläger hat unvollständige bzw. unrichtige Angaben über sein Vermögen gemacht. Er hat nämlich seine Geldanlagen bei der Türkischen Nationalbank nicht angegeben. Dass er diese angegeben musste, konnte ihm nicht verborgen geblieben sein. Die Hinweise hierzu im Merkblatt für Arbeitslose, das der Kläger bei jeder Antragstellung erhalten und zur Kenntnis genommen zu haben unterschriftlich bestätigt hat, waren eindeutig. Sollte der Kläger die Hinweise in Merkblatt wegen fehlenden Sprachkenntnissen nicht verstanden haben, stellt es grobe Fahrlässigkeit dar, sich nicht um Übersetzung bemüht zu haben. Der Kläger durfte auch nicht davon ausgehen, dass er Gelder, die er für seine Kinder treuhänderisch verwaltete, nicht angeben musste. Immerhin liefen die Geldanlagen bei der Türkischen Nationalbank auf seinen Namen.

Die Rücknahme der Arbeitslosenhilfebewilligungen seit 10.10.1997 bis 31.12.2004 ist demnach nach § 45 Abs. 1 und 2 SGB X zu Recht erfolgt. Rechnerische Unrichtigkeiten bei der Ermittlung des Rückforderungsbetrages sind nicht vorgetragen, solche sind nach der Aktenlage auch nicht ersichtlich. Insoweit ist die Berufung der Beklagten demnach begründet.

Unbegründet ist die Berufung der Beklagten allerdings, soweit es um die Erstattung der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung geht. Zu Recht hat das SG entschieden, dass die Beklagte diese Beiträge nicht erstattet verlangen kann, weil in § 335 Abs. 1 SGB III mit der Abschaffung der Arbeitslosenhilfe auch das Wort "Arbeitslosenhilfe " gestrichen wurde und damit eine Pflicht zur Erstattung der Beiträge bei rückwirkender Aufhebung der Leistungsbewilligung nach dem 1.1.2005 nicht mehr besteht. Dies entspricht ständiger Rechtsprechung des Senats (z. B. Urteil vom 15.12.2006 - L 12 AL 3427/6). Da deswegen beim BSG noch mehrere Revisionen anhängig sind, weist der Senat die Berufung insoweit zurück, lässt jedoch für die Beklagte die Revision zu.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG).

Gründe für die Zulassung der Revision für den Kläger liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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