L 11 R 2005/09 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 5 R 919/09 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 2005/09 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Beklagten wird der Beschluss des Sozialgerichts Stuttgart vom 8. April 2009 aufgehoben und der Antrag des Klägers abgelehnt.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Gründe:

Die unter Beachtung der Vorschrift des § 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde der Beklagten ist zulässig und begründet.

Der Senat kann, wie bereits in seinen Beschlüssen vom 6. Mai 2009 (L 11 R 1823/09 ER-B) und 12. Mai 2009 (L 11 R 1671/09 ER-B) geschehen, offen lassen, ob der Ansicht des Sozialgerichts Stuttgart (SG) im angefochtenen Beschluss und auch des 4. Senats des LSG Baden-Württemberg im Beschluss vom 31. März 2009 (L 4 R 5972/08 ER-B) zu folgen ist, dass hier § 86b Abs. 1 SGG Anwendung findet und nicht § 86b Abs. 2 SGG, wie es die Beklagte vertritt. Diese Rechtsfrage hängt davon ab, ob die Anwendung der Ruhensvorschrift des § 31 des Fremdrentengesetzes (FRG) bei der Erstbewilligung einer Rente eine selbstständige Regelung im Sinne des § 31 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) darstellt, die einer gesonderten Anfechtung zugänglich wäre (dann § 86b Abs 1 SGG), oder aber in ihr lediglich ein bloßes Berechnungselement der Rentenhöhe zu sehen ist (so SG Nürnberg, Beschluss vom 16. März 2009, S 17 R 77/09 ER m.w.N., Beschlüsse des Bayerischen LSG vom 5. Februar 2009, L 20 B 1111/08 R ER, und vom 2. März 2009, L 13 R 9/09 R, sowie des LSG Nordrhein-Westfalen vom 26. November 2008, L 14 B 17/08 R ER), was in der Hauptsache mit einer Anfechtungs- und Leistungsklage zu verfolgen wäre (dann § 86b Abs. 2 SGG). Der Fall ist damit nicht mit demjenigen vergleichbar, der dem Beschluss des Senats vom 17. Juli 2008, L 11 R 3191/08 ER-B, zugrunde lag und in dem eine bereits gewährte Rente nachträglich teilweise nach § 45 SGB X entzogen worden ist.

Geht man von der Anwendung des § 86b Abs. 1 SGG aus, wie es der Kläger vertritt, liegen die Voraussetzungen für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung nicht vor.

Nach § 86a Abs. 1 Satz 1 SGG haben Widerspruch und Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung. Die aufschiebende Wirkung entfällt aber nach § 86a Abs. 2 Nr. 3 SGG für Anfechtungsklagen in Angelegenheiten der Sozialversicherung bei Verwaltungsakten, die eine laufende Leistung herabsetzen oder entziehen. Eine solche Entscheidung läge vor, wenn man hier der Argumentation des Klägers folgen und im Rentenbescheid vom 11. Dezember 2008 einen selbstständigen Verfügungssatz in Form der Herabsetzung der Rentenhöhe nach § 31 FRG sehen würde, gegen den der Kläger auch Klage erhoben hat.

Das Gericht kann in einem solchen Fall nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG gibt dabei selbst keinen Maßstab vor, wann die aufschiebende Wirkung anzuordnen ist. Diese Lücke ist durch eine analoge Anwendung des § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG zu schließen. Das Gericht nimmt also eine eigenständige Abwägung der Beteiligteninteressen vor. Es wägt das öffentliche Interesse am sofortigen Vollzug und das private Aufschubinteresse ab. Dabei sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache zu berücksichtigen. Denn im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes sollen keine Positionen eingeräumt werden, die im Hauptsacheverfahren erkennbar nicht standhalten. Bei offensichtlicher Rechtswidrigkeit der Bescheide ist die aufschiebende Wirkung anzuordnen, bei offensichtlicher Aussichtslosigkeit des Rechtsbehelfs die Anordnung hingegen abzulehnen. Bei der Anordnung der aufschiebenden Wirkung in den Fällen des § 86a Abs. 2 Nr. 1 bis 4 SGG, in denen der Rechtsbehelf von Gesetzes wegen keine aufschiebende Wirkung hat, ist diese Entscheidung des Gesetzgebers, den abstrakten öffentlichen Interessen den Vorrang einzuräumen, zu beachten. In analoger Anwendung des § 86a Abs. 3 Satz 2 SGG sind Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs zugunsten des Antragstellers nur zu berücksichtigen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes bestehen, der Erfolg in der Hauptsache also überwiegend wahrscheinlich ist (st. Rspr. des Senats).

Es bestehen durchaus Zweifel an der Rechtsmäßigkeit der angefochtenen Bescheide. Diese können jedoch nicht in dem Sinne als "ernstliche" bezeichnet werden, dass bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage mit überwiegender Wahrscheinlichkeit mit einem Obsiegen des Klägers zu rechnen ist.

Die Rechtsfrage der Zulässigkeit der Fiktivanrechnung des § 31 FRG ist als offen anzusehen (so die Beschlüsse des erkennenden Senats vom 6. Mai 2009, a.a.O., und 12. Mai 2009, a.a.O., LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 31. März 2009, a.a.O., und die genannten Beschlüsse des Bayerischen LSG und des LSG Nordrhein-Westfalen). Auch wenn erstinstanzlich mehrheitlich im Sinne einer für den Kläger günstigen Rechtsansicht entschieden worden ist, ist eine Hauptsacheentscheidung eines Landessozialgerichts dem Senat nicht bekannt.

Nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 17. Oktober 2006, B 5 RJ 21/05 R, SozR 45050 § 15 Nr. 3) war und ist es unabhängig davon, ob man eher den Entschädigungs- oder (wie seit 1960) den Eingliederungscharakter des Fremdrentenrechts betont, immer noch dessen Grundanliegen, Nachteile in der gesetzlichen Rentenversicherung von Personen abzuwehren, denen die Realisierung ihrer in der früheren Heimat erarbeiteten Rentenanwartschaften von Deutschland aus abgeschnitten ist. Da derartige Nachteile alle Rentenversicherten gleich treffen, die außerhalb der Geltung von Sozialversicherungsabkommen und anderem internationalen Recht im Ausland beschäftigt waren, muss die Begünstigung durch das FRG auf die Fälle beschränkt sein, in denen der dargestellte Verlust von ausländischen Rentenanwartschaften durch einen Vertreibungstatbestand verursacht wird - andernfalls wäre z. B. die unterschiedliche Behandlung von Rentenversicherungszeiten im vertragslosen Ausland je nach dem, ob sie von vertriebenen oder nicht vertriebenen Versicherten zurückgelegt wurden, sachlich kaum zu rechtfertigen. Man könnte also durchaus die Auffassung vertreten, dass die Tatsache, dass der Kläger keine Rente aus Rumänien erhält, ihre Ursache nicht in einem Vertreibungstatbestand hat, sondern einzig und allein auf der - sachlich bislang nicht ausreichend begründeten - Entscheidung des Versicherten beruht, keinen Rentenantrag nach rumänischem Recht stellen zu wollen. Unter Berücksichtigung von Treu und Glauben (Ausnutzen einer formalen Rechtsposition ohne Rücksicht auf die Belange der Rentenversicherung als Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung) sowie dem Rechtsgedanken des § 46 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) könnte dies die Auffassung der Beklagten stützen.

Ist damit nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vorzunehmenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage die Rechtsansicht der Beklagten nicht offensichtlich als fehlerhaft anzusehen und die Klage damit nicht offensichtlich zulässig und begründet, bleibt es bei der allgemeinen Interessenabwägung (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 16. April 2008, L 7 AS 1398/08 ER-B). Diese geht hier zu Lasten des Klägers.

Die Rentenhöhe wird durch die Fiktivanrechnung im Bescheid vom 11. Dezember 2008 um 101,36 EUR vermindert, so dass sich eine Bruttorente von (ab 1. Februar 2009) 1.356,71 EUR und (nach Abzug der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung der Rentner) ein Zahlbetrag von 1.219,00 EUR ergibt. Der Kläger hat in der Beschwerdebegründung nicht vorgetragen, dass sich durch die geringere Rentenzahlung für ihn eine schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigung ergäbe. Der bloße Hinweis auf einen entsprechenden Verlust an "Lebensqualität" ersetzt dies nicht. Finanzielle Verpflichtungen des Klägers, etwa Unterhaltspflichten (die beiden Kinder der Klägerin sind 1970 und 1972 geboren und dürften daher nicht mehr von den Eltern unterhalten werden), sind nicht glaubhaft gemacht. Wie sich aus der Rentenakte ergibt, war der Kläger verheiratet und dürfte es noch sein. Es ist unklar, ob ihm über Einkünfte seiner Ehegattin weitere Finanzmittel zur Verfügung stehen. Während auf der einen Seite mit der Beklagten ein im Falle des Obsiegens des Klägers im Hauptsacheverfahren zahlungsbereiter und solventer Schuldner zur Verfügung steht, ist dies im umgekehrten Fall - trotz der Möglichkeit von Aufrechnungen (§ 51 SGB I) - nicht ohne Weiteres gegeben.

Geht man von der Anwendung des § 86b Abs. 2 SGG aus, ändert sich am Ergebnis nichts. Ein Anspruch des Klägers, die Beklagte im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zu verpflichten, einstweilen die Rente ungekürzt zu bezahlen, besteht nicht.

Gemäß § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Absatzes 1 der Vorschrift vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind nach Absatz 2 Satz 2 auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.

Vorliegend kommt, da es dem Kläger ersichtlich um die Regelung eines vorläufigen Rechtszustandes geht, nur eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die - summarische - Prüfung der Erfolgsaussicht in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung - ZPO).

Ein Anordnungsanspruch besteht hier nicht, denn wie dargelegt, ist die Frage der Fiktivanrechnung nach § 31 FRG in der höchstrichterlichen Rechtsprechung noch nicht geklärt. Auch fehlt es vor dem Hintergrund der trotz der Fiktivanrechnung noch ausbezahlten Rente und den dargelegten finanziellen Verhältnissen des Klägers an einem Anordnungsgrund. Dem Kläger ist es zumutbar, zunächst den Ausgang des Hauptsacheverfahrens abzuwarten.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved