Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 3 U 1695/96
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 184/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 10. November 1998 wird zurückgewiesen und die Klage gegen den Bescheid vom 1. September 1999 abgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten, ob die zum Tod führende Krebserkrankung des Ehemannes der Klägerin durch berufliche Expositionen gegenüber Asbest und polizyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen (PAH) verursacht worden ist.
Der Ehemann der Kläger, der Versicherte H. A., geboren 1933, verstarb 1996 infolge eines Bronchialkarzinoms. Der Versicherte absolvierte von 1947 bis 1950 eine Glasbläserlehre im elterlichen Betrieb in T., nach Übersiedlung in die Bundesrepublik Deutschland (BRD) 1948 setzte er die Lehre bei der Firma M. in F. und der Firma S. in G. fort. Den Beruf als Glasbläser übte er bis 1960 aus. Ab dem 1. März 1960 absolvierte der Versicherte eine Umschulung zum Dachdecker und war anschließend als Dachdecker bei der Firma B. in R. tätig. Von 1976 bis zu seiner Erkrankung im April 1995 war er als Bauleiter für die Firma B. auf dem Baugelände der Firma O. in R. tätig. Während seiner Glasbläsertätigkeit war er auch mit der Herstellung von Fieberthermometern beschäftigt und einer täglichen Quecksilberdampfexposition ausgesetzt. Anhaltspunkte dafür, dass der Versicherte während dieser Zeit auch Asbestkontakt hatte, gibt es nicht. In der Zeit von 1960 bis Ende 1965 war der Versicherte ca. 5 Monate pro Jahr mit Flachdacharbeiten beschäftigt. Dabei war Dachpappe mit Heißbitumen zu verkleben. Von 1960 bis 1965 verlegte der Versicherte auch Asbestzementplatten ca. 3 Monate pro Jahr. Während der Hälfte dieser Arbeitszeit führte er mit der Trennschleifmaschine Schneidarbeiten an den Asbestzementplatten durch. Auch bei den Verlegearbeiten bestand ein Asbest-Bystander-Kontakt durch Schneid- und Bohrarbeiten der Arbeitskollegen. Von 1966 bis 1975 war der Versicherte ca. 7 Monate pro Jahr bei Flachdacharbeiten mit Dachpappe und Heißbitumen tätig. Von 1976 bis Ende 1985 wurden solche Arbeiten ca. 6 Monate pro Jahr ausgeübt. Von 1986 bis Ende 1994 erfolgten die Flachdacharbeiten mit Bitumenschweißbahnen ca. 7 Monate pro Jahr. Während dieser Zeit verrichtete der Versicherte ca. 7 Stunden pro Tag diese Arbeiten. Von 1976 bis Ende 1994 verlegte der Versicherte durchschnittlich ca. einen Monat pro Jahr Asbestzementplatten. Auch während dieser Zeit waren Schneidarbeiten mit Trennschleifmaschinen während der Hälfte der betreffenden Arbeitszeit erforderlich. Ab 1991 waren die verlegten Asbestzementwellpappen asbestfrei. Der Versicherte führte jedoch in dieser Zeit überwiegend Reparaturarbeiten an Asbestzementwellplattendächern durch; die zu entfernenden Asbestzementwellplatten waren asbesthaltig.
Unter dem 23. Mai 1995 erstattete der Lungenarzt Dr. E. aus R. eine ärztliche Anzeige über eine Berufskrankheit (BK) des Versicherten und gab an, dieser sei an einem Bronchialkarzinom bei Asbestbelastung erkrankt. Die Beklagte zog weitere Arztberichte bei. Der Lungenkrebsverdacht wurde danach durch eine am 28. Juni 1995 durchgeführte Thorakotomie mit Oberlappenresektion bestätigt.
Der Technische Aufsichtsdienst (TAD) der Beklagten errechnete 9,32 Asbestfaserjahre. Der Hessische Landesgewerbearzt verneinte aufgrund dieser Feststellungen eine asbestverursachte Lungenerkrankung des Versicherten.
Die Beklagte lehnte daraufhin durch Bescheid vom 26. September 1995 die Anerkennung einer BK in Form einer Asbeststaublungenerkrankung (Ziffer 4103 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung -BKV-) bzw. eines Lungenkrebses in Verbindung mit Asbeststaublungenerkrankung (BK nach Ziffer 4104 der Anlage 1 zur BKV) ab.
Der Versicherte erhob hiergegen am 27. Oktober 1995 Widerspruch und machte geltend, die Ermittlungen zur Arbeitsanamnese seien ungenügend gewesen. Er sei nicht nur mit Asbest, sondern auch mit anderen krebserzeugenden Substanzen, u. a. auch mit Heißbitumen, über lange Jahre in Kontakt gekommen.
Die Beklagte ließ durch ihren TAD eine Neuberechnung der Asbestfaserjahre durchführen und stellte eine Gesamtsumme von 14,6 Faserjahren fest.
Nach dem Tod des Versicherten erfolgte am 23. April 1996 eine Sektion. Am 19. Juli 1996 erstattete Prof. Dr. M., Direktor des Pathologischen Instituts des Klinikums D., ein pathologisches Zusammenhangsgutachten unter Berücksichtigung eines histologischen und staubanalytischen Zusatzgutachtens des Prof. Dr. Mx., Berufsgenossenschaftliche Krankenanstalten B. in B., vom 8. Juli 1996. Die Gutachter gelangten zu dem Ergebnis, es seien keine asbestassoziierten Lungen- und Pleuraveränderungen und keine Minimalasbestose feststellbar. Mittels Lungenstaubanalyse wurden nur 4 bzw. weniger als 10 Asbestkörper pro cm3 Lungengewebe nachgewiesen. Histologisch zeigte sich das typische Bild einer Kondensatpneumopathie (sog. Raucherlunge) mit Ablagerung von anthrakotischem Pigment in allen Lungensegmenten. Die Gutachter gelangten zu dem Schluss, dass das diagnostizierte Bronchialkarzinom am ehesten Folge eines langjährigen Nikotinabusus sei, weil der Versicherte offenbar über einen Zeitraum von mindestens 40 Jahren regelmäßig geraucht habe.
Durch Widerspruchsbescheid vom 29. August 1996, adressiert an die Prozessbevollmächtigte des Versicherten, die nunmehr die Klägerin vertrat, wies die Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 26. September 1995 als unbegründet zurück. Unter Bezugnahme auf das pathologische Zusammenhangsgutachten des Prof. Dr. M. vom 19. Juli 1996 und das fachpathologische Zusatzgutachten des Prof. Dr. Mx. vom 8. Juli 1996 führte sie aus, asbestbedingte Pleuraveränderungen im Sinne von hyalinen Pleuraplaques hätten nicht nachgewiesen werden können. Das histologisch untersuchte Gewebe entspreche nicht dem typischen Bild einer Asbestose oder Minimalasbestose. Bei der Untersuchung seien zudem in beiden Lungen maximal 10 Asbestkörperchen pro cm³ Lungengewebe gefunden worden. Eine vermehrte Asbestbelastung gegenüber der Normalbevölkerung habe somit bei dem Versicherten nicht bestanden. Das Bronchialkarzinom sei nach Auffassung der Gutachter infolge des mindestens 40 Jahre betriebenen Nikotinabusus des Versicherten entstanden. Eine berufsbedingte Asbeststaublungenerkrankung sowie eine Lungenkrebserkrankung in Verbindung mit Asbeststaub liege nicht vor.
Die Klägerin hat gegen diesen Bescheid am 1. Oktober 1996 beim Sozialgericht Darmstadt (SG) Klage erhoben und vorgetragen, die Untersuchungen der Beklagten hätten sich auf eine evtl. Asbestose beschränkt. Den anderen potentiell krebserregenden Substanzen, denen der Versicherte im Laufe seines Berufslebens ausgesetzt gewesen sei und die zu der Erkrankung beigetragen hätten, sei nicht nachgegangen worden. Möglicherweise sei dabei der aktuelle Forschungsstand in der medizinischen Wissenschaft nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt worden.
Das SG hat durch Urteil vom 10. November 1998 die Klage abgewiesen und in den Gründen ausgeführt, die angefochtenen Bescheide seien rechtens. Durch die Bescheide vom 26. September 1995 und 29. August 1996 sei die Anerkennung einer Asbeststaublungenerkrankung bzw. einer Lungenkrebserkrankung in Verbindung mit einer Asbeststaublungenerkrankung und die Gewährung entsprechender Geldleistungen abgelehnt worden. Nur hierüber habe die Kammer zu entscheiden. Die Frage, ob der Versicherte eine Erkrankung erlitten habe, die nach einer anderen Ziffer der Anlage 1 zur BKV als BK bezeichnet sei, sei nicht Gegenstand des anhängigen Verfahrens, weil die Beklagte insoweit noch keinen Verwaltungsakt erlassen habe. Die Beklagte stütze sich zu Recht auf das von ihr eingeholte Gutachten des Prof. Dr. M. und des Prof. Dr. Mx ...
Gegen dieses ihrer Prozessbevollmächtigten laut Empfangsbekenntnis am 21. Januar 1999 zugestellte Urteil hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 15. Februar 1999 am 16. Februar 1999 beim Hessischen Landessozialgericht Berufung eingelegt und geltend gemacht, während der Tätigkeit als Glasbläser habe der Versicherte Kontakt mit Quecksilber gehabt und während seiner Tätigkeit als Dachdecker habe er auch mit Heißbitumen gearbeitet, daneben mit Kunststoffpräparaten zum Abdichten von Dächern und Gräben. Zwar sei es richtig, dass der Versicherte geraucht habe. Sein Zigarettenkonsum sei jedoch nicht außergewöhnlich hoch gewesen. Er habe 10 Zigaretten täglich geraucht.
Im Laufe des Berufungsverfahrens nahm die Beklagte Ermittlungen zur Exposition des Versicherten gegenüber polizyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen (PAH-Exposition) auf. Nach Abschluss der Ermittlungen errechnete der TAD aufgrund einer Worst-Case-Betrachtung die Einwirkung einer kumulativen Dosis von 39 Benzo(a)pyren-Jahren, der der Versicherte während seiner Tätigkeit als Dachdecker ausgesetzt gewesen sei.
Nachdem der Hessische Landesgewerbearzt in seiner Stellungnahme vom 19. August 1999 der Beklagten mitgeteilt hatte, die kumulative Dosis von 100 BaP-Jahren, die zur Anerkennung einer Lungenkrebserkrankung durch PAH erforderlich sei, sei mit 39 BaP-Jahren bei weitem nicht erreicht, lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 1. September 1999 die Anerkennung eines Lungenkrebses verursacht durch polizyklische aromatische Kohlenwasserstoffe ab. Sie wies darauf hin, dass zwar der ärztliche Sachverständigenbeirat beim Bundesministerium für Arbeit empfohlen habe, Lungenkrebs durch polizyklische aromatische Kohlenwasserstoffe als neue BK in die BKV aufzunehmen, dies erfordere jedoch den Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Dosis von mindestens 100 BaP-Jahren. Die Ermittlungen des TAD hätten eine kumulative Dosis von nur 39 BaP-Jahren erbracht.
Der Senat hat von Prof. Dr. W., Direktor des Instituts und der Poliklinik für Arbeits- und Sozialmedizin an der L-Universität G., ein Sachverständigengutachten zu der Frage eingeholt, ob gesicherte medizinische Erkenntnisse vorliegen, dass die Kombination und das Zusammenwirken von Asbest und polizyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen und/oder Quecksilber grundsätzlich geeignet ist, eine Lungenkrebserkrankung zu verursachen und ob, falls diese Frage bejaht wird, dies auch für die konkreten Einwirkungen gilt, denen der Versicherte ausgesetzt war. Prof. Dr. W. hat in seinem Gutachten vom 30. Juni 2000 ausgeführt, nach gesicherten Ergebnissen tierexperimenteller Grundlagenforschung, epidemiologischer Studien und molekular biologischer Erkenntnisse führe die Einwirkung von Asbestfaserstaub und polizyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen durch synkanzerogene Wirkung zu einem gesteigerten Lungenkrebsrisiko. An Ratten seien synkanzerogene, synergistische Kombinationseffekte der Humankanzerogene Asbestfaserstaub und polizyklische aromatische Kohlenwasserstoffe mit deutlich überadditiver Steigerung des Lungenkrebsrisikos festgestellt worden. Während die Inhalation eines PAH-reichen Abgases bei 18 % und die intratracheale Instillation von Asbest bei 12 % der exponierten Ratten zu Lungentumoren geführt hätten, habe die Exposition mit PAH-reichem Abgas als auch mit Asbestfaserstaub bei 57 % der Tiere zu Lungentumoren geführt. Bei einem anderen Versuch habe die intratracheale Applikation von Asbest in Kombination mit lebenslanger Inhalation von 10 Zigaretten (d. h. PAH-haltigem Rauch) wöchentlich zu einem signifikanten Anstieg der Tumorrate gegenüber den Tieren geführt, die lediglich gegenüber Asbest exponiert gewesen seien (Steigerung von 3,2 % auf 13,8 %). Es gebe auch epidemiologische Studien zur synergistischen synkanzerogenen Lungenkrebsrisikosteigerung nach inhalativer Asbeststaub-Einwirkung und PAH-haltigen Teerdämpfen des Zigarettenrauchinhalates. Diese Studien belegten, dass das Lungenkrebssterberisiko in Abhängigkeit vom Raucherstatus eine multiplikative synergistische Steigerung aufweise. Die nur gegenüber Asbest Exponierten trügen ein 5fach erhöhtes Lungenkrebsrisiko, asbestexponierte Exraucher ein ca. 36faches Risiko. Asbestgefährdete Raucher, die weniger als 20 Zigaretten pro Tag rauchten, trügen ein ca. 50fach erhöhtes und Raucher, die mehr als 20 Zigaretten täglich rauchten, ein ca. 87fach erhöhtes Risiko. Eine Kohortenstudie an Beschäftigen der Hamburger Kokereibetriebe, die arbeitsbedingt der Einwirkung von PAH-haltigen krebserzeugenden Kokereirohgasen ausgesetzt gewesen seien, habe ergeben, dass es in Abhängigkeit von Rauchgewohnheiten zu einer deutlichen überadditiven Risikosteigerung für Atemwegskarzinome gekommen sei. Die Auswertung der Ergebnisse epidemiologischer Studien begründe die Annahme, dass die Synkanzerogenese von Asbestfaserstaub und PAH-haltigem Zigarettenrauch-Kondensat in der Mehrzahl der Untersuchungen weitaus besser durch ein multiplikatives als durch ein additives Modell beschrieben werde. Auch eigene Fallerfahrungen aus der Arbeits- und Sozialmedizinischen Poliklinik der Universität G. sprächen für eine synkanzerogene Wirkung von Asbest- und PAH-Einwirkungen. Im Fall des Versicherten errechne sich unter Berücksichtigung der synergistischen synkanzerogenen Risikosteigerung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein relatives Risiko an Lungenkrebs zu erkranken von 1,9 nach dem additiven Modell und von 2,20 nach dem multiplikativen Modell. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) des Versicherten sei ab Beginn der Erkrankung im April 1995 auf 100 v.H. zu veranschlagen.
Die Klägerin sieht ihren Standpunkt durch das Sachverständigengutachten bestätigt.
Die Klägerin beantrag,
das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 10. November 1998 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 26. September 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. August 1996 und des Bescheides vom 1. September 1999 zu verurteilen, ihr wegen der Lungenkrebserkrankung ihres Ehemannes Entschädigungsleistungen in gesetzlichem Umfang zu gewähren,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen und die Klage gegen den Bescheid vom 1. September 1999 abzuweisen.
Sie macht geltend, bei der von Prof. Dr. W. vorgetragenen Auffassung handele es sich lediglich um eine Einzelmeinung und nicht um neue medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse, die in der Fachwelt Allgemeingeltung erworben hätten. Sie habe den medizinischen Sachverständigenbeirat beim Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung befragt, ob dort schon entsprechende wissenschaftliche Erkenntnisse bekannt seien oder diese sogar zur "BK-Dichte" gereift seien. Aus der Auskunft des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung vom 31. August 2000, die die Beklagte in Kopie beifügte, ergebe sich, dass der Sachverständigenbeirat sich noch nicht mit der Frage von überhöhten Lungenkrebsrisiken durch kumulative Einwirkung von Asbeststaub und PAH befasst habe. Sie sehe deshalb die Voraussetzungen für eine Entschädigung der Lungenkrebserkrankung des verstorbenen Ehemannes der Klägerin wie eine BK nicht als erfüllt an.
Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und die zum Verfahren beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten, deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin ist zulässig. Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg, weil die Lungenkrebserkrankung des verstorbenen Versicherten weder als BK noch wie eine BK zu entschädigen ist. Die Ansprüche der Klägerin richten sich nach den Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO), da die Klägerin diese für Zeiten vor dem Inkrafttreten des Sozialgesetzbuches 7. Band (SGB 7) - Gesetzliche Unfallversicherung - am 1. Januar 1997 geltend macht (§ 212 SGB 7).
BKen sind Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet und die ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet (§ 551 Abs. 1 Satz 2 RVO). Die Bundesregierung ist durch § 551 Abs. 1 Satz 3 RVO ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre Arbeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind. Nach § 551 Abs. 2 RVO sollen die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung im Einzelfall eine Krankheit, auch wenn sie nicht in der BKV bezeichnet ist oder die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine BK entschädigen, sofern nach neuen Erkenntnissen die übrigen Voraussetzungen des § 551 Abs. 1 RVO erfüllt sind. Der Klägerin als Ehefrau des verstorbenen Versicherten stehen dessen Lebzeitenansprüche, d. h. der Anspruch auf Verletztenrente aus §§ 580, 581 RVO, als Sonderrechtsnachfolgerin und Erbin gemäß § 56 Abs. 1 SGB 1 und Ansprüche auf Hinterbliebenenleistungen nach §§ 589 ff. RVO zu, wenn die Lungenkrebserkrankung des Versicherten entweder als BK nach § 551 Abs. 1 RVO oder wie eine BK nach § 551 Abs. 2 RVO anzuerkennen ist.
Unstreitig war der Versicherte während seiner beruflichen Tätigkeit einer Exposition von Asbestfaserstaub ausgesetzt. Dennoch erfüllt die Lungenkrebserkrankung des Versicherten nicht den Tatbestand der Listen-BK-Nr. 4104 der Anlage 1 zur BKV, die nur "Lungenkrebs in Verbindung mit Asbeststaublungenerkrankung (Asbestose) oder in Verbindung mit einer durch Asbeststaub verursachte Erkrankung der Pleura oder Lungenkrebs bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Asbestfaserstaub-Dosis am Arbeitsplatz von mindestens 25 Faserjahren" umfasst. Denn bei dem Versicherten wurden weder eine Asbestose, auch nicht in Form einer Minimalasbestose, noch asbestbedingte Pleuraveränderungen in Form von Pleuraplaques festgestellt. Es konnte auch nicht nachgewiesen werden, dass der Versicherte der Einwirkung einer kumulativen Asbestfaserstaub-Dosis am Arbeitsplatz von mindestens 25 Faserjahren ausgesetzt war. Nach den Ermittlungen und Feststellungen des TAD ist im Falle des Versicherten eine Dosis von 14,6 Asbestfaserstaubjahren zugrunde zu legen. Da der Verordnungsgeber nur eine Einwirkung von mindestens 25 Asbestfaserstaubjahren als naturwissenschaftlich-kausalen Faktor anerkennt, kann ein geringerer Dosiswert von z.B. 14,6 Faserjahren auch nicht durch das additive oder multiplikative Zusammenwirken mit einer anderen Noxe wie z.B. PAH den Tatbestand der Listen-BK nach Ziffer 4104 der Anlage 1 zur BKV erfüllen. Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts -BSG- (vgl. Urteil vom 12. Juni 1990 - 2 RU 14/90 -), wonach der (offene) Tatbestand einer Listen-BK auch dann erfüllt ist, wenn nicht die schädigende Einwirkung einer einzelnen in der BKV aufgeführten Staubart, sondern nur das schädigende Zusammenwirken mehrerer in der BKV aufgeführter Stäube für die festgestellte Erkrankung verantwortlich ist, kann bei einem derart ausgestalteten Tatbestand wie der Ziffer 4104 nicht gelten (vgl. Lauterbach, Unfallversicherung, 4. Aufl., August 1999, § 9 Rdnr. 134 a). Denn diese Rechtsprechung des BSG betraf die Fälle, in denen die BKV bei Erkrankungen an Lungenfibrose die bloße schädigende Einwirkung einzelner Stäube anspruchsbegründend sein lässt, ohne eine bestimmte Dosis festzulegen. In diesen Fällen ist auch dann der Tatbestand einer BK erfüllt und somit der Klageanspruch begründet, wenn feststeht, dass Stäube aus dem zur Anspruchsbegründung geeigneten Kreis Ursache der Lungenfibrose im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne gewesen sind und im Zusammenwirken mit anderen Gliedern die Erkrankung wesentlich verursacht haben. Ist aber wie bei der BK-Nr. 4104 der Anlage 1 zur BKV die Schädlichkeitsgrenze einer Einwirkung von dem Verordnungsgeber durch Bestimmung einer Mindestdosis festgelegt, ist damit auch bestimmt, ab welchem Dosiswert eine Kausalität im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne vorliegt und der Tatbestand der BK erfüllt ist. Die Frage, ob die Lungenkrebserkrankung des Versicherten Entschädigungsansprüche der Klägerin begründen kann, ist deshalb nicht nach § 551 Abs. 1 RVO i.V.m. den unter der Nr. 4104 der Anlage 1 zur BKV genannten Voraussetzungen zur Anerkennung einer durch Asbest verursachten Lungenkrebserkrankung zu beurteilen, sondern nach den Voraussetzungen des § 551 Abs. 2 RVO.
Nach Inkrafttreten der BKV vom 31. Oktober 1997 zum 1. Dezember 1997 hat der ärztliche Sachverständigenbeirat beim Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung "Sektion Berufskrankheiten" empfohlen, in die Anlage der BKV als BK "Lungenkrebs durch polizyklische aromatische Kohlenwasserstoffe bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Dosis von mindestens 100 Benzo(a)pyren-Jahren" aufzunehmen. Nach dieser Empfehlung gelten somit als bestimmte Personengruppe, die durch ihre Arbeit in erheblichem höheren Maße als die übrige Bevölkerung einer PAH-Exposition ausgesetzt ist und bei der auftretende Lungenkrebserkrankungen ursächlich auf die berufliche Exposition zurückzuführen sind, Beschäftigte mit einer kumulativen PAH-Dosis von mindestens 100 Benzo(a)pyren-Jahren. Dies ist durch den Umstand begründet, dass bei Beschäftigten mit dieser kumulativen PAH-Dosis im Vergleich zur nichtbelasteten Wohnbevölkerung ein um mehr als den Faktor 2 erhöhtes Lungenkrebsrisiko vorliegt und die Wahrscheinlichkeit der beruflichen Verursachung bei jedem Lungenkrebsfall im Einzelfall über 50 % liegt. Der Versicherte, der während seiner Tätigkeit als Dachdecker der Einwirkung einer kumulativen Dosis von 39 Benzo(a)pyren-Jahren ausgesetzt war, kann folglich nicht zu dieser Personengruppe gezählt werden. Eine Anerkennung der Lungenkrebserkrankung des Versicherten "wie eine BK" nach § 551 Abs. 2 RVO entsprechend der Empfehlung des ärztlichen Sachverständigenbeirates beim Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung kann deshalb nicht erfolgen. Denn das Vorliegen einer kumulativen Dosis von 39 BaP-Jahren reicht nicht aus, um den Tatbestand dieser Empfehlung zu begründen. Der Bescheid der Beklagten vom 1. September 1999, der gemäß § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zum Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden ist, ist jedenfalls insoweit rechtlich nicht zu beanstanden.
Eine Entschädigung der beim Versicherten festgestellten Lungenkrebserkrankung nach § 551 Abs. 2 RVO kann daher nur in Betracht kommen, wenn der Versicherte aufgrund der beruflich bedingten Exposition gegenüber Asbestfaserstaub und PAH nach neueren Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft zu einer Personengruppe gehört, die bei ihrer Arbeit in einem erheblich höheren Maße als die übrige Bevölkerung gesundheitsschädigenden Einwirkungen ausgesetzt ist, die geeignet sind, eine Lungenkrebserkrankung zu verursachen. Zudem ist Voraussetzung für eine Entschädigung "wie eine BK", dass die Lungenkrebserkrankung des Versicherten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ursächlich auf die konkrete berufliche Exposition von Asbestfaserstaub und PAH zurückzuführen ist.
Prof. Dr. W. hat in seinem Gutachten dargelegt, dass nach Ergebnissen in der tierexperimentellen Grundlagenforschung die Einwirkung von Asbestfaserstaub und polizyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen durch synkanzerogene Wirkung zu einem gesteigerten Lungenkrebsrisiko führt. So war bei Ratten nach einer Exposition mit PAH-reichem Abgas und mit Asbestfaserstaub ein signifikanter Anstieg der Lungentumorerkrankungen zu beobachten. Während die Inhalation von nur PAH-reichem Abgas bei 18 % der Tiere zu Lungentumoren führte und eine intratracheale Instillation von Asbest bei 12 % der exponierten Tiere Lungentumore auslösten, erkrankten bei der Exposition mit PAH und Asbestfaserstaub 57 % der Tiere an Lungentumoren. Das Ergebnis der tierexperimentellen Untersuchungen ist ein Indiz dafür, dass die kumulative Einwirkung der Humankanzerogene Asbestfaserstaub und PAH zu einer deutlich überadditiven Steigerung des Lungenkrebsrisikos führt. Neben den tierexperimentellen Ergebnissen liegen auch Ergebnisse mehrerer epidemiologischer Studien vor, die belegen, dass die kumulative Einwirkung von Zigarettenrauch und Asbestfaserstaub gegenüber der jeweiligen Einzelexposition von Zigarettenrauch oder Asbest zu einer signifikanten Steigerung des Lungenkrebsrisikos führt. Prof. Dr. W. legt dar, dass die Auswertung der Ergebnisse epidemiologischer Studien darauf hinweist, dass die Synkanzerogenese von Asbestfaserstaub und PAH-haltigem Zigarettenrauch-Kondensat nicht nur zu einer additiven, sondern zu einer multiplikativen Risikosteigerung führt (so eine Studie von Hammond et al. 1979). Fraglich ist, ob sich die Ergebnisse dieser epidemiologischer Studien, die synkanzerogene, synergistische Kombinationseffekte von Asbestfaserstaub und Zigarettenrauch mit einer zumindest additiven Steigerung des Lungenkrebsrisikos belegen, auf die Personengruppe der Dachdecker übertragen lässt, zu denen der Versicherte gehört hat. Denn der Zigarettenrauch enthält neben dem PAH-haltigen Zigarettenrauch-Kondensat auch zahlreiche andere krebserzeugende Stoffe, die möglicherweise ebenfalls eine synergistische Wirkung mit Asbest entfalten können. Repräsentative epidemiologische Studien an Beschäftigten, die während ihrer beruflichen Tätigkeit einer arbeitsbedingten Exposition sowohl gegenüber Asbest als auch (nur) PAH ausgesetzt waren, liegen offensichtlich nicht vor. Es gibt auch keine gesicherten Erkenntnisse aufgrund epidemiologischer Studien dazu, ob eine geringe Asbestfaserstaubdosis in Kombination mit einer geringen PAH-Dosis generell geeignet ist, das Lungenkrebserkrankungsrisiko um mehr als 50 % zu erhöhen. Die von Prof. Dr. W. zitierte Studie von Hammond et al. hat Männer aus Asbestisolierberufen einbezogen, die mehr als 20 Jahre gegenüber Asbest exponiert waren. Das Lungenkrebssterberisiko war bei den asbestfaserstaubgefährdeten Nichtrauchern bereits um 5,2 fach erhöht gegenüber der nichtrauchenden und nicht asbestexponierten Vergleichsgruppe. Diese Studie lässt darauf schließen, dass bei einer hohen Asbestexposition, die für sich schon geeignet ist, das Lungenkrebsrisiko um das fünffache zu erhöhen, die zusätzliche Einwirkung von Zigarettenrauch eine von den Rauchgewohnheiten abhängige multiplikative Risikosteigerung bewirkt. Ob auch eine wesentlich geringere Asbestfaserstaubdosis, die für sich allein nicht zu einer relevanten Risikoerhöhung führen würde, in Verbindung mit einer kumulativen Einwirkung von Zigarettenrauch zu vergleichbaren Risikosteigerungen führt, kann anhand dieser Studien nicht belegt werden. Auch die von Prof. Dr. W. aufgeführten Fallerfahrungen aus der Poliklinik für Arbeits- und Sozialmedizin der L-Universität G. lassen nicht mit ausreichender Sicherheit erkennen, in welcher Wechselwirkung die einzelnen Dosen von Asbest und PAH zueinander stehen. Ausgewertet wurden die Unterlagen von 35 an einem histologisch gesicherten Lungenkrebs Erkrankten im Alter von 43 bis 77 Jahren, die langjährig einer erhöhten PAH-Einwirkung am Arbeitsplatz ausgesetzt waren. Von diesen 35 Personen waren 17 darüber hinaus auch einer Asbestfaserstaubeinwirkung am Arbeitsplatz ausgesetzt. Es wurden bei den zum Teil nur stundenweise durchgeführten asbestfaserstaubgefährdenden Tätigkeiten kumulative Dosen zwischen 0,3 bis 24,7 Asbestfaserjahren ermittelt. Von diesen 17 an Lungenkrebs Erkrankten mit PAH- und Asbestfaserstaub-Einwirkung waren 6 Erkrankte einer kumulativen PAH-Dosis von über 100 BaP-Jahren ausgesetzt. Sie hatten demzufolge schon deshalb gegenüber der Normalbevölkerung ein um das Doppelte erhöhtes Risiko, an Lungenkrebs zu erkranken. Bei zwei weiteren Erkrankten werden bei 18 bzw. 2 Asbestfaserjahren BaP-Jahre mit 93 bis 135 bzw. mit 28 bis 112 angegeben. Bei zwei Erkrankten mit einer kumulativen Dosis von ca. 80 BaP-Jahren sowie bei einem weiteren mit 39 bis 68 BaP-Jahren bestand daneben eine Asbeststaubfaser-Einwirkung mit einer kumulativen Dosis von ca. 6 bis 21 oder 10 Asbestfaserjahren. Bei drei weiteren Erkrankten, bei denen die Anzahl der BaP-Jahre nicht benannt wird, werden die Asbestfaserjahre mit 4,1 bzw. 24 angegeben. Die restlichen drei dieser an Lungenkrebs erkrankten Personen waren einer kumulativen Dosis von 10 Asbestfaserjahren und 26 BaP-Jahren bzw. von 6 Asbestfaserjahren und 83 BaP-Jahren oder 4 Asbestfaserjahren und 5 BaP-Jahren ausgesetzt. Die geringe Anzahl dieser untersuchten Erkrankungsfälle kann keine gesicherten Erkenntnisse über die Wechselwirkung von PAH- und Asbesteinwirkung liefern. Es liegen auch keine Angaben darüber vor, ob die 35 an Lungenkrebs erkrankten Personen neben den beruflichen auch anderen humankanzerogenen Noxen ausgesetzt waren.
Die Art des schädigenden Zusammenwirkens von Asbest und PAH ist nach den bisher vorliegenden Daten noch nicht anhand statisch relevanter Zahlen für eine Vielzahl von typischen Geschehensabläufen ausreichend geklärt und bekannt. Zwar sprechen die tierexperimentellen Erkenntnisse für die von Prof. Dr. W. vertretene Auffassung, jedoch können diese Ergebnisse nicht ohne weiteres auf den Menschen übertragen werden. Es fehlt daneben an wissenschaftlichen Erkenntnissen aus epidemiologischen Studien, die die tierexperimentell gewonnenen Ergebnisse ausreichend stützen können.
Der Senat musste deshalb die Berufung gegen das Urteil des SG vom 10. November 1998 zurückzuweisen und die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 1. September 1999 abweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Der Senat hat die Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten, ob die zum Tod führende Krebserkrankung des Ehemannes der Klägerin durch berufliche Expositionen gegenüber Asbest und polizyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen (PAH) verursacht worden ist.
Der Ehemann der Kläger, der Versicherte H. A., geboren 1933, verstarb 1996 infolge eines Bronchialkarzinoms. Der Versicherte absolvierte von 1947 bis 1950 eine Glasbläserlehre im elterlichen Betrieb in T., nach Übersiedlung in die Bundesrepublik Deutschland (BRD) 1948 setzte er die Lehre bei der Firma M. in F. und der Firma S. in G. fort. Den Beruf als Glasbläser übte er bis 1960 aus. Ab dem 1. März 1960 absolvierte der Versicherte eine Umschulung zum Dachdecker und war anschließend als Dachdecker bei der Firma B. in R. tätig. Von 1976 bis zu seiner Erkrankung im April 1995 war er als Bauleiter für die Firma B. auf dem Baugelände der Firma O. in R. tätig. Während seiner Glasbläsertätigkeit war er auch mit der Herstellung von Fieberthermometern beschäftigt und einer täglichen Quecksilberdampfexposition ausgesetzt. Anhaltspunkte dafür, dass der Versicherte während dieser Zeit auch Asbestkontakt hatte, gibt es nicht. In der Zeit von 1960 bis Ende 1965 war der Versicherte ca. 5 Monate pro Jahr mit Flachdacharbeiten beschäftigt. Dabei war Dachpappe mit Heißbitumen zu verkleben. Von 1960 bis 1965 verlegte der Versicherte auch Asbestzementplatten ca. 3 Monate pro Jahr. Während der Hälfte dieser Arbeitszeit führte er mit der Trennschleifmaschine Schneidarbeiten an den Asbestzementplatten durch. Auch bei den Verlegearbeiten bestand ein Asbest-Bystander-Kontakt durch Schneid- und Bohrarbeiten der Arbeitskollegen. Von 1966 bis 1975 war der Versicherte ca. 7 Monate pro Jahr bei Flachdacharbeiten mit Dachpappe und Heißbitumen tätig. Von 1976 bis Ende 1985 wurden solche Arbeiten ca. 6 Monate pro Jahr ausgeübt. Von 1986 bis Ende 1994 erfolgten die Flachdacharbeiten mit Bitumenschweißbahnen ca. 7 Monate pro Jahr. Während dieser Zeit verrichtete der Versicherte ca. 7 Stunden pro Tag diese Arbeiten. Von 1976 bis Ende 1994 verlegte der Versicherte durchschnittlich ca. einen Monat pro Jahr Asbestzementplatten. Auch während dieser Zeit waren Schneidarbeiten mit Trennschleifmaschinen während der Hälfte der betreffenden Arbeitszeit erforderlich. Ab 1991 waren die verlegten Asbestzementwellpappen asbestfrei. Der Versicherte führte jedoch in dieser Zeit überwiegend Reparaturarbeiten an Asbestzementwellplattendächern durch; die zu entfernenden Asbestzementwellplatten waren asbesthaltig.
Unter dem 23. Mai 1995 erstattete der Lungenarzt Dr. E. aus R. eine ärztliche Anzeige über eine Berufskrankheit (BK) des Versicherten und gab an, dieser sei an einem Bronchialkarzinom bei Asbestbelastung erkrankt. Die Beklagte zog weitere Arztberichte bei. Der Lungenkrebsverdacht wurde danach durch eine am 28. Juni 1995 durchgeführte Thorakotomie mit Oberlappenresektion bestätigt.
Der Technische Aufsichtsdienst (TAD) der Beklagten errechnete 9,32 Asbestfaserjahre. Der Hessische Landesgewerbearzt verneinte aufgrund dieser Feststellungen eine asbestverursachte Lungenerkrankung des Versicherten.
Die Beklagte lehnte daraufhin durch Bescheid vom 26. September 1995 die Anerkennung einer BK in Form einer Asbeststaublungenerkrankung (Ziffer 4103 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung -BKV-) bzw. eines Lungenkrebses in Verbindung mit Asbeststaublungenerkrankung (BK nach Ziffer 4104 der Anlage 1 zur BKV) ab.
Der Versicherte erhob hiergegen am 27. Oktober 1995 Widerspruch und machte geltend, die Ermittlungen zur Arbeitsanamnese seien ungenügend gewesen. Er sei nicht nur mit Asbest, sondern auch mit anderen krebserzeugenden Substanzen, u. a. auch mit Heißbitumen, über lange Jahre in Kontakt gekommen.
Die Beklagte ließ durch ihren TAD eine Neuberechnung der Asbestfaserjahre durchführen und stellte eine Gesamtsumme von 14,6 Faserjahren fest.
Nach dem Tod des Versicherten erfolgte am 23. April 1996 eine Sektion. Am 19. Juli 1996 erstattete Prof. Dr. M., Direktor des Pathologischen Instituts des Klinikums D., ein pathologisches Zusammenhangsgutachten unter Berücksichtigung eines histologischen und staubanalytischen Zusatzgutachtens des Prof. Dr. Mx., Berufsgenossenschaftliche Krankenanstalten B. in B., vom 8. Juli 1996. Die Gutachter gelangten zu dem Ergebnis, es seien keine asbestassoziierten Lungen- und Pleuraveränderungen und keine Minimalasbestose feststellbar. Mittels Lungenstaubanalyse wurden nur 4 bzw. weniger als 10 Asbestkörper pro cm3 Lungengewebe nachgewiesen. Histologisch zeigte sich das typische Bild einer Kondensatpneumopathie (sog. Raucherlunge) mit Ablagerung von anthrakotischem Pigment in allen Lungensegmenten. Die Gutachter gelangten zu dem Schluss, dass das diagnostizierte Bronchialkarzinom am ehesten Folge eines langjährigen Nikotinabusus sei, weil der Versicherte offenbar über einen Zeitraum von mindestens 40 Jahren regelmäßig geraucht habe.
Durch Widerspruchsbescheid vom 29. August 1996, adressiert an die Prozessbevollmächtigte des Versicherten, die nunmehr die Klägerin vertrat, wies die Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 26. September 1995 als unbegründet zurück. Unter Bezugnahme auf das pathologische Zusammenhangsgutachten des Prof. Dr. M. vom 19. Juli 1996 und das fachpathologische Zusatzgutachten des Prof. Dr. Mx. vom 8. Juli 1996 führte sie aus, asbestbedingte Pleuraveränderungen im Sinne von hyalinen Pleuraplaques hätten nicht nachgewiesen werden können. Das histologisch untersuchte Gewebe entspreche nicht dem typischen Bild einer Asbestose oder Minimalasbestose. Bei der Untersuchung seien zudem in beiden Lungen maximal 10 Asbestkörperchen pro cm³ Lungengewebe gefunden worden. Eine vermehrte Asbestbelastung gegenüber der Normalbevölkerung habe somit bei dem Versicherten nicht bestanden. Das Bronchialkarzinom sei nach Auffassung der Gutachter infolge des mindestens 40 Jahre betriebenen Nikotinabusus des Versicherten entstanden. Eine berufsbedingte Asbeststaublungenerkrankung sowie eine Lungenkrebserkrankung in Verbindung mit Asbeststaub liege nicht vor.
Die Klägerin hat gegen diesen Bescheid am 1. Oktober 1996 beim Sozialgericht Darmstadt (SG) Klage erhoben und vorgetragen, die Untersuchungen der Beklagten hätten sich auf eine evtl. Asbestose beschränkt. Den anderen potentiell krebserregenden Substanzen, denen der Versicherte im Laufe seines Berufslebens ausgesetzt gewesen sei und die zu der Erkrankung beigetragen hätten, sei nicht nachgegangen worden. Möglicherweise sei dabei der aktuelle Forschungsstand in der medizinischen Wissenschaft nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt worden.
Das SG hat durch Urteil vom 10. November 1998 die Klage abgewiesen und in den Gründen ausgeführt, die angefochtenen Bescheide seien rechtens. Durch die Bescheide vom 26. September 1995 und 29. August 1996 sei die Anerkennung einer Asbeststaublungenerkrankung bzw. einer Lungenkrebserkrankung in Verbindung mit einer Asbeststaublungenerkrankung und die Gewährung entsprechender Geldleistungen abgelehnt worden. Nur hierüber habe die Kammer zu entscheiden. Die Frage, ob der Versicherte eine Erkrankung erlitten habe, die nach einer anderen Ziffer der Anlage 1 zur BKV als BK bezeichnet sei, sei nicht Gegenstand des anhängigen Verfahrens, weil die Beklagte insoweit noch keinen Verwaltungsakt erlassen habe. Die Beklagte stütze sich zu Recht auf das von ihr eingeholte Gutachten des Prof. Dr. M. und des Prof. Dr. Mx ...
Gegen dieses ihrer Prozessbevollmächtigten laut Empfangsbekenntnis am 21. Januar 1999 zugestellte Urteil hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 15. Februar 1999 am 16. Februar 1999 beim Hessischen Landessozialgericht Berufung eingelegt und geltend gemacht, während der Tätigkeit als Glasbläser habe der Versicherte Kontakt mit Quecksilber gehabt und während seiner Tätigkeit als Dachdecker habe er auch mit Heißbitumen gearbeitet, daneben mit Kunststoffpräparaten zum Abdichten von Dächern und Gräben. Zwar sei es richtig, dass der Versicherte geraucht habe. Sein Zigarettenkonsum sei jedoch nicht außergewöhnlich hoch gewesen. Er habe 10 Zigaretten täglich geraucht.
Im Laufe des Berufungsverfahrens nahm die Beklagte Ermittlungen zur Exposition des Versicherten gegenüber polizyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen (PAH-Exposition) auf. Nach Abschluss der Ermittlungen errechnete der TAD aufgrund einer Worst-Case-Betrachtung die Einwirkung einer kumulativen Dosis von 39 Benzo(a)pyren-Jahren, der der Versicherte während seiner Tätigkeit als Dachdecker ausgesetzt gewesen sei.
Nachdem der Hessische Landesgewerbearzt in seiner Stellungnahme vom 19. August 1999 der Beklagten mitgeteilt hatte, die kumulative Dosis von 100 BaP-Jahren, die zur Anerkennung einer Lungenkrebserkrankung durch PAH erforderlich sei, sei mit 39 BaP-Jahren bei weitem nicht erreicht, lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 1. September 1999 die Anerkennung eines Lungenkrebses verursacht durch polizyklische aromatische Kohlenwasserstoffe ab. Sie wies darauf hin, dass zwar der ärztliche Sachverständigenbeirat beim Bundesministerium für Arbeit empfohlen habe, Lungenkrebs durch polizyklische aromatische Kohlenwasserstoffe als neue BK in die BKV aufzunehmen, dies erfordere jedoch den Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Dosis von mindestens 100 BaP-Jahren. Die Ermittlungen des TAD hätten eine kumulative Dosis von nur 39 BaP-Jahren erbracht.
Der Senat hat von Prof. Dr. W., Direktor des Instituts und der Poliklinik für Arbeits- und Sozialmedizin an der L-Universität G., ein Sachverständigengutachten zu der Frage eingeholt, ob gesicherte medizinische Erkenntnisse vorliegen, dass die Kombination und das Zusammenwirken von Asbest und polizyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen und/oder Quecksilber grundsätzlich geeignet ist, eine Lungenkrebserkrankung zu verursachen und ob, falls diese Frage bejaht wird, dies auch für die konkreten Einwirkungen gilt, denen der Versicherte ausgesetzt war. Prof. Dr. W. hat in seinem Gutachten vom 30. Juni 2000 ausgeführt, nach gesicherten Ergebnissen tierexperimenteller Grundlagenforschung, epidemiologischer Studien und molekular biologischer Erkenntnisse führe die Einwirkung von Asbestfaserstaub und polizyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen durch synkanzerogene Wirkung zu einem gesteigerten Lungenkrebsrisiko. An Ratten seien synkanzerogene, synergistische Kombinationseffekte der Humankanzerogene Asbestfaserstaub und polizyklische aromatische Kohlenwasserstoffe mit deutlich überadditiver Steigerung des Lungenkrebsrisikos festgestellt worden. Während die Inhalation eines PAH-reichen Abgases bei 18 % und die intratracheale Instillation von Asbest bei 12 % der exponierten Ratten zu Lungentumoren geführt hätten, habe die Exposition mit PAH-reichem Abgas als auch mit Asbestfaserstaub bei 57 % der Tiere zu Lungentumoren geführt. Bei einem anderen Versuch habe die intratracheale Applikation von Asbest in Kombination mit lebenslanger Inhalation von 10 Zigaretten (d. h. PAH-haltigem Rauch) wöchentlich zu einem signifikanten Anstieg der Tumorrate gegenüber den Tieren geführt, die lediglich gegenüber Asbest exponiert gewesen seien (Steigerung von 3,2 % auf 13,8 %). Es gebe auch epidemiologische Studien zur synergistischen synkanzerogenen Lungenkrebsrisikosteigerung nach inhalativer Asbeststaub-Einwirkung und PAH-haltigen Teerdämpfen des Zigarettenrauchinhalates. Diese Studien belegten, dass das Lungenkrebssterberisiko in Abhängigkeit vom Raucherstatus eine multiplikative synergistische Steigerung aufweise. Die nur gegenüber Asbest Exponierten trügen ein 5fach erhöhtes Lungenkrebsrisiko, asbestexponierte Exraucher ein ca. 36faches Risiko. Asbestgefährdete Raucher, die weniger als 20 Zigaretten pro Tag rauchten, trügen ein ca. 50fach erhöhtes und Raucher, die mehr als 20 Zigaretten täglich rauchten, ein ca. 87fach erhöhtes Risiko. Eine Kohortenstudie an Beschäftigen der Hamburger Kokereibetriebe, die arbeitsbedingt der Einwirkung von PAH-haltigen krebserzeugenden Kokereirohgasen ausgesetzt gewesen seien, habe ergeben, dass es in Abhängigkeit von Rauchgewohnheiten zu einer deutlichen überadditiven Risikosteigerung für Atemwegskarzinome gekommen sei. Die Auswertung der Ergebnisse epidemiologischer Studien begründe die Annahme, dass die Synkanzerogenese von Asbestfaserstaub und PAH-haltigem Zigarettenrauch-Kondensat in der Mehrzahl der Untersuchungen weitaus besser durch ein multiplikatives als durch ein additives Modell beschrieben werde. Auch eigene Fallerfahrungen aus der Arbeits- und Sozialmedizinischen Poliklinik der Universität G. sprächen für eine synkanzerogene Wirkung von Asbest- und PAH-Einwirkungen. Im Fall des Versicherten errechne sich unter Berücksichtigung der synergistischen synkanzerogenen Risikosteigerung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein relatives Risiko an Lungenkrebs zu erkranken von 1,9 nach dem additiven Modell und von 2,20 nach dem multiplikativen Modell. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) des Versicherten sei ab Beginn der Erkrankung im April 1995 auf 100 v.H. zu veranschlagen.
Die Klägerin sieht ihren Standpunkt durch das Sachverständigengutachten bestätigt.
Die Klägerin beantrag,
das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 10. November 1998 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 26. September 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. August 1996 und des Bescheides vom 1. September 1999 zu verurteilen, ihr wegen der Lungenkrebserkrankung ihres Ehemannes Entschädigungsleistungen in gesetzlichem Umfang zu gewähren,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen und die Klage gegen den Bescheid vom 1. September 1999 abzuweisen.
Sie macht geltend, bei der von Prof. Dr. W. vorgetragenen Auffassung handele es sich lediglich um eine Einzelmeinung und nicht um neue medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse, die in der Fachwelt Allgemeingeltung erworben hätten. Sie habe den medizinischen Sachverständigenbeirat beim Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung befragt, ob dort schon entsprechende wissenschaftliche Erkenntnisse bekannt seien oder diese sogar zur "BK-Dichte" gereift seien. Aus der Auskunft des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung vom 31. August 2000, die die Beklagte in Kopie beifügte, ergebe sich, dass der Sachverständigenbeirat sich noch nicht mit der Frage von überhöhten Lungenkrebsrisiken durch kumulative Einwirkung von Asbeststaub und PAH befasst habe. Sie sehe deshalb die Voraussetzungen für eine Entschädigung der Lungenkrebserkrankung des verstorbenen Ehemannes der Klägerin wie eine BK nicht als erfüllt an.
Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und die zum Verfahren beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten, deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin ist zulässig. Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg, weil die Lungenkrebserkrankung des verstorbenen Versicherten weder als BK noch wie eine BK zu entschädigen ist. Die Ansprüche der Klägerin richten sich nach den Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO), da die Klägerin diese für Zeiten vor dem Inkrafttreten des Sozialgesetzbuches 7. Band (SGB 7) - Gesetzliche Unfallversicherung - am 1. Januar 1997 geltend macht (§ 212 SGB 7).
BKen sind Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet und die ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet (§ 551 Abs. 1 Satz 2 RVO). Die Bundesregierung ist durch § 551 Abs. 1 Satz 3 RVO ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre Arbeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind. Nach § 551 Abs. 2 RVO sollen die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung im Einzelfall eine Krankheit, auch wenn sie nicht in der BKV bezeichnet ist oder die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine BK entschädigen, sofern nach neuen Erkenntnissen die übrigen Voraussetzungen des § 551 Abs. 1 RVO erfüllt sind. Der Klägerin als Ehefrau des verstorbenen Versicherten stehen dessen Lebzeitenansprüche, d. h. der Anspruch auf Verletztenrente aus §§ 580, 581 RVO, als Sonderrechtsnachfolgerin und Erbin gemäß § 56 Abs. 1 SGB 1 und Ansprüche auf Hinterbliebenenleistungen nach §§ 589 ff. RVO zu, wenn die Lungenkrebserkrankung des Versicherten entweder als BK nach § 551 Abs. 1 RVO oder wie eine BK nach § 551 Abs. 2 RVO anzuerkennen ist.
Unstreitig war der Versicherte während seiner beruflichen Tätigkeit einer Exposition von Asbestfaserstaub ausgesetzt. Dennoch erfüllt die Lungenkrebserkrankung des Versicherten nicht den Tatbestand der Listen-BK-Nr. 4104 der Anlage 1 zur BKV, die nur "Lungenkrebs in Verbindung mit Asbeststaublungenerkrankung (Asbestose) oder in Verbindung mit einer durch Asbeststaub verursachte Erkrankung der Pleura oder Lungenkrebs bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Asbestfaserstaub-Dosis am Arbeitsplatz von mindestens 25 Faserjahren" umfasst. Denn bei dem Versicherten wurden weder eine Asbestose, auch nicht in Form einer Minimalasbestose, noch asbestbedingte Pleuraveränderungen in Form von Pleuraplaques festgestellt. Es konnte auch nicht nachgewiesen werden, dass der Versicherte der Einwirkung einer kumulativen Asbestfaserstaub-Dosis am Arbeitsplatz von mindestens 25 Faserjahren ausgesetzt war. Nach den Ermittlungen und Feststellungen des TAD ist im Falle des Versicherten eine Dosis von 14,6 Asbestfaserstaubjahren zugrunde zu legen. Da der Verordnungsgeber nur eine Einwirkung von mindestens 25 Asbestfaserstaubjahren als naturwissenschaftlich-kausalen Faktor anerkennt, kann ein geringerer Dosiswert von z.B. 14,6 Faserjahren auch nicht durch das additive oder multiplikative Zusammenwirken mit einer anderen Noxe wie z.B. PAH den Tatbestand der Listen-BK nach Ziffer 4104 der Anlage 1 zur BKV erfüllen. Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts -BSG- (vgl. Urteil vom 12. Juni 1990 - 2 RU 14/90 -), wonach der (offene) Tatbestand einer Listen-BK auch dann erfüllt ist, wenn nicht die schädigende Einwirkung einer einzelnen in der BKV aufgeführten Staubart, sondern nur das schädigende Zusammenwirken mehrerer in der BKV aufgeführter Stäube für die festgestellte Erkrankung verantwortlich ist, kann bei einem derart ausgestalteten Tatbestand wie der Ziffer 4104 nicht gelten (vgl. Lauterbach, Unfallversicherung, 4. Aufl., August 1999, § 9 Rdnr. 134 a). Denn diese Rechtsprechung des BSG betraf die Fälle, in denen die BKV bei Erkrankungen an Lungenfibrose die bloße schädigende Einwirkung einzelner Stäube anspruchsbegründend sein lässt, ohne eine bestimmte Dosis festzulegen. In diesen Fällen ist auch dann der Tatbestand einer BK erfüllt und somit der Klageanspruch begründet, wenn feststeht, dass Stäube aus dem zur Anspruchsbegründung geeigneten Kreis Ursache der Lungenfibrose im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne gewesen sind und im Zusammenwirken mit anderen Gliedern die Erkrankung wesentlich verursacht haben. Ist aber wie bei der BK-Nr. 4104 der Anlage 1 zur BKV die Schädlichkeitsgrenze einer Einwirkung von dem Verordnungsgeber durch Bestimmung einer Mindestdosis festgelegt, ist damit auch bestimmt, ab welchem Dosiswert eine Kausalität im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne vorliegt und der Tatbestand der BK erfüllt ist. Die Frage, ob die Lungenkrebserkrankung des Versicherten Entschädigungsansprüche der Klägerin begründen kann, ist deshalb nicht nach § 551 Abs. 1 RVO i.V.m. den unter der Nr. 4104 der Anlage 1 zur BKV genannten Voraussetzungen zur Anerkennung einer durch Asbest verursachten Lungenkrebserkrankung zu beurteilen, sondern nach den Voraussetzungen des § 551 Abs. 2 RVO.
Nach Inkrafttreten der BKV vom 31. Oktober 1997 zum 1. Dezember 1997 hat der ärztliche Sachverständigenbeirat beim Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung "Sektion Berufskrankheiten" empfohlen, in die Anlage der BKV als BK "Lungenkrebs durch polizyklische aromatische Kohlenwasserstoffe bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Dosis von mindestens 100 Benzo(a)pyren-Jahren" aufzunehmen. Nach dieser Empfehlung gelten somit als bestimmte Personengruppe, die durch ihre Arbeit in erheblichem höheren Maße als die übrige Bevölkerung einer PAH-Exposition ausgesetzt ist und bei der auftretende Lungenkrebserkrankungen ursächlich auf die berufliche Exposition zurückzuführen sind, Beschäftigte mit einer kumulativen PAH-Dosis von mindestens 100 Benzo(a)pyren-Jahren. Dies ist durch den Umstand begründet, dass bei Beschäftigten mit dieser kumulativen PAH-Dosis im Vergleich zur nichtbelasteten Wohnbevölkerung ein um mehr als den Faktor 2 erhöhtes Lungenkrebsrisiko vorliegt und die Wahrscheinlichkeit der beruflichen Verursachung bei jedem Lungenkrebsfall im Einzelfall über 50 % liegt. Der Versicherte, der während seiner Tätigkeit als Dachdecker der Einwirkung einer kumulativen Dosis von 39 Benzo(a)pyren-Jahren ausgesetzt war, kann folglich nicht zu dieser Personengruppe gezählt werden. Eine Anerkennung der Lungenkrebserkrankung des Versicherten "wie eine BK" nach § 551 Abs. 2 RVO entsprechend der Empfehlung des ärztlichen Sachverständigenbeirates beim Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung kann deshalb nicht erfolgen. Denn das Vorliegen einer kumulativen Dosis von 39 BaP-Jahren reicht nicht aus, um den Tatbestand dieser Empfehlung zu begründen. Der Bescheid der Beklagten vom 1. September 1999, der gemäß § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zum Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden ist, ist jedenfalls insoweit rechtlich nicht zu beanstanden.
Eine Entschädigung der beim Versicherten festgestellten Lungenkrebserkrankung nach § 551 Abs. 2 RVO kann daher nur in Betracht kommen, wenn der Versicherte aufgrund der beruflich bedingten Exposition gegenüber Asbestfaserstaub und PAH nach neueren Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft zu einer Personengruppe gehört, die bei ihrer Arbeit in einem erheblich höheren Maße als die übrige Bevölkerung gesundheitsschädigenden Einwirkungen ausgesetzt ist, die geeignet sind, eine Lungenkrebserkrankung zu verursachen. Zudem ist Voraussetzung für eine Entschädigung "wie eine BK", dass die Lungenkrebserkrankung des Versicherten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ursächlich auf die konkrete berufliche Exposition von Asbestfaserstaub und PAH zurückzuführen ist.
Prof. Dr. W. hat in seinem Gutachten dargelegt, dass nach Ergebnissen in der tierexperimentellen Grundlagenforschung die Einwirkung von Asbestfaserstaub und polizyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen durch synkanzerogene Wirkung zu einem gesteigerten Lungenkrebsrisiko führt. So war bei Ratten nach einer Exposition mit PAH-reichem Abgas und mit Asbestfaserstaub ein signifikanter Anstieg der Lungentumorerkrankungen zu beobachten. Während die Inhalation von nur PAH-reichem Abgas bei 18 % der Tiere zu Lungentumoren führte und eine intratracheale Instillation von Asbest bei 12 % der exponierten Tiere Lungentumore auslösten, erkrankten bei der Exposition mit PAH und Asbestfaserstaub 57 % der Tiere an Lungentumoren. Das Ergebnis der tierexperimentellen Untersuchungen ist ein Indiz dafür, dass die kumulative Einwirkung der Humankanzerogene Asbestfaserstaub und PAH zu einer deutlich überadditiven Steigerung des Lungenkrebsrisikos führt. Neben den tierexperimentellen Ergebnissen liegen auch Ergebnisse mehrerer epidemiologischer Studien vor, die belegen, dass die kumulative Einwirkung von Zigarettenrauch und Asbestfaserstaub gegenüber der jeweiligen Einzelexposition von Zigarettenrauch oder Asbest zu einer signifikanten Steigerung des Lungenkrebsrisikos führt. Prof. Dr. W. legt dar, dass die Auswertung der Ergebnisse epidemiologischer Studien darauf hinweist, dass die Synkanzerogenese von Asbestfaserstaub und PAH-haltigem Zigarettenrauch-Kondensat nicht nur zu einer additiven, sondern zu einer multiplikativen Risikosteigerung führt (so eine Studie von Hammond et al. 1979). Fraglich ist, ob sich die Ergebnisse dieser epidemiologischer Studien, die synkanzerogene, synergistische Kombinationseffekte von Asbestfaserstaub und Zigarettenrauch mit einer zumindest additiven Steigerung des Lungenkrebsrisikos belegen, auf die Personengruppe der Dachdecker übertragen lässt, zu denen der Versicherte gehört hat. Denn der Zigarettenrauch enthält neben dem PAH-haltigen Zigarettenrauch-Kondensat auch zahlreiche andere krebserzeugende Stoffe, die möglicherweise ebenfalls eine synergistische Wirkung mit Asbest entfalten können. Repräsentative epidemiologische Studien an Beschäftigten, die während ihrer beruflichen Tätigkeit einer arbeitsbedingten Exposition sowohl gegenüber Asbest als auch (nur) PAH ausgesetzt waren, liegen offensichtlich nicht vor. Es gibt auch keine gesicherten Erkenntnisse aufgrund epidemiologischer Studien dazu, ob eine geringe Asbestfaserstaubdosis in Kombination mit einer geringen PAH-Dosis generell geeignet ist, das Lungenkrebserkrankungsrisiko um mehr als 50 % zu erhöhen. Die von Prof. Dr. W. zitierte Studie von Hammond et al. hat Männer aus Asbestisolierberufen einbezogen, die mehr als 20 Jahre gegenüber Asbest exponiert waren. Das Lungenkrebssterberisiko war bei den asbestfaserstaubgefährdeten Nichtrauchern bereits um 5,2 fach erhöht gegenüber der nichtrauchenden und nicht asbestexponierten Vergleichsgruppe. Diese Studie lässt darauf schließen, dass bei einer hohen Asbestexposition, die für sich schon geeignet ist, das Lungenkrebsrisiko um das fünffache zu erhöhen, die zusätzliche Einwirkung von Zigarettenrauch eine von den Rauchgewohnheiten abhängige multiplikative Risikosteigerung bewirkt. Ob auch eine wesentlich geringere Asbestfaserstaubdosis, die für sich allein nicht zu einer relevanten Risikoerhöhung führen würde, in Verbindung mit einer kumulativen Einwirkung von Zigarettenrauch zu vergleichbaren Risikosteigerungen führt, kann anhand dieser Studien nicht belegt werden. Auch die von Prof. Dr. W. aufgeführten Fallerfahrungen aus der Poliklinik für Arbeits- und Sozialmedizin der L-Universität G. lassen nicht mit ausreichender Sicherheit erkennen, in welcher Wechselwirkung die einzelnen Dosen von Asbest und PAH zueinander stehen. Ausgewertet wurden die Unterlagen von 35 an einem histologisch gesicherten Lungenkrebs Erkrankten im Alter von 43 bis 77 Jahren, die langjährig einer erhöhten PAH-Einwirkung am Arbeitsplatz ausgesetzt waren. Von diesen 35 Personen waren 17 darüber hinaus auch einer Asbestfaserstaubeinwirkung am Arbeitsplatz ausgesetzt. Es wurden bei den zum Teil nur stundenweise durchgeführten asbestfaserstaubgefährdenden Tätigkeiten kumulative Dosen zwischen 0,3 bis 24,7 Asbestfaserjahren ermittelt. Von diesen 17 an Lungenkrebs Erkrankten mit PAH- und Asbestfaserstaub-Einwirkung waren 6 Erkrankte einer kumulativen PAH-Dosis von über 100 BaP-Jahren ausgesetzt. Sie hatten demzufolge schon deshalb gegenüber der Normalbevölkerung ein um das Doppelte erhöhtes Risiko, an Lungenkrebs zu erkranken. Bei zwei weiteren Erkrankten werden bei 18 bzw. 2 Asbestfaserjahren BaP-Jahre mit 93 bis 135 bzw. mit 28 bis 112 angegeben. Bei zwei Erkrankten mit einer kumulativen Dosis von ca. 80 BaP-Jahren sowie bei einem weiteren mit 39 bis 68 BaP-Jahren bestand daneben eine Asbeststaubfaser-Einwirkung mit einer kumulativen Dosis von ca. 6 bis 21 oder 10 Asbestfaserjahren. Bei drei weiteren Erkrankten, bei denen die Anzahl der BaP-Jahre nicht benannt wird, werden die Asbestfaserjahre mit 4,1 bzw. 24 angegeben. Die restlichen drei dieser an Lungenkrebs erkrankten Personen waren einer kumulativen Dosis von 10 Asbestfaserjahren und 26 BaP-Jahren bzw. von 6 Asbestfaserjahren und 83 BaP-Jahren oder 4 Asbestfaserjahren und 5 BaP-Jahren ausgesetzt. Die geringe Anzahl dieser untersuchten Erkrankungsfälle kann keine gesicherten Erkenntnisse über die Wechselwirkung von PAH- und Asbesteinwirkung liefern. Es liegen auch keine Angaben darüber vor, ob die 35 an Lungenkrebs erkrankten Personen neben den beruflichen auch anderen humankanzerogenen Noxen ausgesetzt waren.
Die Art des schädigenden Zusammenwirkens von Asbest und PAH ist nach den bisher vorliegenden Daten noch nicht anhand statisch relevanter Zahlen für eine Vielzahl von typischen Geschehensabläufen ausreichend geklärt und bekannt. Zwar sprechen die tierexperimentellen Erkenntnisse für die von Prof. Dr. W. vertretene Auffassung, jedoch können diese Ergebnisse nicht ohne weiteres auf den Menschen übertragen werden. Es fehlt daneben an wissenschaftlichen Erkenntnissen aus epidemiologischen Studien, die die tierexperimentell gewonnenen Ergebnisse ausreichend stützen können.
Der Senat musste deshalb die Berufung gegen das Urteil des SG vom 10. November 1998 zurückzuweisen und die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 1. September 1999 abweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Der Senat hat die Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen.
Rechtskraft
Aus
Login
HES
Saved