L 12 RJ 776/99

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 8 RJ 325/96
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 12 RJ 776/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 20. April 1999 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Zulassung der Nachzahlung freiwilliger Rentenversicherungsbeiträge und um Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.

Der 1946 geborene Kläger war zunächst von 1962 bis 1973 versicherungspflichtig beschäftigt. Ab Dezember 1973 war er als Installateurmeister in einem Ein-Mann-Betrieb selbständig tätig. Bis November 1983 entrichtete er Pflichtbeiträge und ab Januar 1984 freiwillige Beiträge bis Dezember 1990. Die Beitragszahlung für das Jahr 1991 beanstandete die Beklagte als verspätet durch Bescheid vom 5. November 1992. Im Widerspruchsverfahren trug der Kläger vor: "Infolge eines Übersehens in der Buchführung sowie anderweitige Umstände kam es zu einer verspäteten Überweisung". Im Widerspruchsbescheid vom 24. September 1993 führte die Beklagte aus, dass eine Nachzahlung nicht möglich sei, weil der Kläger nicht ohne Verschulden die fristgerechte Beitragszahlung versäumt habe. Ab Januar 1992 entrichtete der Kläger weiterhin freiwillige Beiträge.

Am 12. Dezember 1994 stellte der Kläger Antrag auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Mit Bescheid vom 9. Juni 1995 lehnte die Beklagte den Antrag ab, weil der Kläger noch teilweise erwerbstätig sei. Auf den Widerspruch vom 4. Juli 1995 und nach weiteren medizinischen Ermittlungen stellte die Beklagte durch Bescheid vom 16. Oktober 1995 fest, dass der Kläger zwar seit dem 22. Juli 1994 erwerbsunfähig sei, für eine Rentenleistung jedoch die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht vorlägen. Er habe weder 36 Pflichtbeitragsmonate in den letzten 60 Monaten vor Eintritt der Erwerbsunfähigkeit zurückgelegt noch beständen seit dem 31. Dezember 1983 durchgehende Anwartschaftserhaltungszeiten. Am 8. Februar 1996 erließ die Beklagte einen entsprechenden ablehnenden Widerspruchsbescheid.

Am 19. Februar 1996 hat der Kläger dagegen vor dem Sozialgericht Gießen Klage erhoben. Während er zuvor am 28. September 1995 persönlich vor der Beklagten erklärt hatte, dass er die Beiträge für das Jahr 1991 erst am 31. März 1992 überwiesen habe, weil er bettlägerig gewesen sei (Grippe), trug er nunmehr vor, dass er im Februar und März 1992 wegen einer Kniegelenkserkrankung nicht in der Lage gewesen sei, selbst auf die Bank zu gehen und die freiwilligen Beiträge zu überweisen. Wörtlich heißt es: "Er gab daher seinem Bruder den Auftrag, die Überweisung vorzunehmen. Leider hatte es der Bruder des Klägers versäumt, die Beiträge bis zum 31. März 1992 zu überweisen." Das Sozialgericht hat den Bruder des Klägers in der mündlichen Verhandlung vom 4. März 1997 als Zeugen vernommen. Dieser hat bekundet, Mitte März 1992 habe sein Bruder, der wegen einer Knieoperation gehunfähig gewesen sei, ihm, wie bereits mehrfach vorher, mehrere Überweisungsaufträge zur Ablieferung bei der Deutschen Bank gegeben, dabei habe er auf die Wichtigkeit eines Überweisungsformulars an die LVA aufmerksam gemacht. Der Überweisungsauftrag sei über etwa 1.200 DM gegangen. Er habe die Aufträge gesammelt in einen Briefumschlag gesteckt und sei sich sicher, dass auch der spezielle Auftrag mit in den Umschlag gelangt sei. Er habe die Aufträge dann in den Briefkastenschlitz bei der Deutschen Bank gesteckt. Mitte April habe sich herausgestellt, dass eine Abbuchung der Überweisung an die LVA nicht stattgefunden habe. Er könne sich nicht erklären, wie der Auftrag verlustig gegangen sei. Er müsse ihn verloren haben. Mitte April habe er erneut einen Überweisungsauftrag am Bankschalter abgegeben, den sein Bruder mit dem Datum des 31. März 1992 ausgestellt habe.

Während einer Aussetzung des Verfahrens lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 7. Juni 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Januar 1998 einen nach § 44 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB 10) gestellten Antrag auf Zulassung der Nachzahlung freiwilliger Beiträge für das Jahr 1991 ab. Zur Begründung führte die Beklagte aus, es könne nicht festgestellt werden, ob bei dem Bescheid vom 5. November 1992 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. September 1993 von einem falschen Sachverhalt ausgegangen worden sei, weil der Kläger mehrere unterschiedliche Sachverhalte vorgetragen habe. Auch bei Unterstellung der Darstellung des Zeugen könne nicht von einer unverschuldeten Verspätung ausgegangen werden, weil der Kläger nicht sichergestellt habe, dass die Beiträge rechtzeitig überwiesen worden seien. Die dagegen erhobene Klage vom 9. Februar 1998 hat das Sozialgericht mit dem Rechtsstreit wegen der Gewährung von Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit verbunden. Mit Urteil vom 20. April 1999 hat das Sozialgericht entsprechend der Begründungen der angefochtenen Bescheide die Klage abgewiesen.

Unter Wiederholung seines Vorbringens hat der Kläger gegen das ihm am 8. Juni 1999 zugestellte Urteil am 25. Juni 1999 Berufung beim Hessischen Landessozialgericht eingelegt.

Er beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 20. April 1999 sowie die Bescheide vom 9. Juni 1995 und 16. Oktober 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Februar 1996 und unter Rücknahme des Bescheides vom 5. Oktober 1992 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. September 1993 den Bescheid vom 7. Juli 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Januar 1998 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Nachzahlung von freiwilligen Rentenbeiträgen für das Jahr 1991 zuzulassen und ihm Rente wegen Erwerbsunfähigkeit,
hilfsweise,
wegen Berufsunfähigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen und die Klagen abzuweisen.

Wegen der Beweiserhebung des Sozialgerichtes und wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf den übrigen Akteninhalt, insbesondere den Inhalt der beigezogenen Akten der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte durch den Berichterstatter entscheiden, weil die Beteiligten damit ihr Einverständnis erklärt haben (§ 155 Abs. 3 und 4 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).

Die zulässige Berufung (§§ 143, 151 SGG) ist sachlich unbegründet. Die Beklagte und das Sozialgericht haben zutreffend entschieden, dass bei dem Kläger die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nicht vorliegen und die freiwilligen Beiträge für das Jahr 1991 nicht mehr nachentrichtet werden können.

Soweit das Sozialgericht im Tenor des angegriffenen Urteils lediglich die "Klage" anstatt richtig die "Klagen" abgewiesen hat, handelt es sich um ein offensichtliches Versehen. Aus den Entscheidungsgründen ergibt sich, dass sowohl die Klage gegen die Bescheide wegen der Versagung von Rente als auch die Klage gegen die Versagung der nachträglichen Zulassung freiwilliger Rentenversicherungsbeiträge Gegenstand der Entscheidung waren.

Sachlich und rechtlich ist die Entscheidung des Sozialgerichtes nicht zu beanstanden. Da neue Tatsachen nicht vorgetragen sind, bezieht sich das Gericht auf die Darstellung im Urteil des Sozialgerichtes und verzichtet gemäß § 153 Abs. 2 SGG insoweit auf eine eigene Begründung.

Bekräftigend ist noch hinzuzufügen: Unterstellt die vom Kläger zuletzt im Klageverfahren vorgetragene Darstellung des Sachverhaltes, die in wesentlichen Teilen von dem Zeugen bestätigt worden ist, träfe zu, so würde dieser, wie auch die anderen vorgetragenen Sachverhalte, ein Verschulden des Klägers für die nicht rechtzeitige Beitragsentrichtung nicht ausschließen. Der Bruder stand lediglich in einem Gefälligkeitsverhältnis zu dem Kläger, es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass die Beteiligten ein Vertragsverhältnis eingehen wollten, als der Bruder es unternahm, die Überweisungen zur Bank zu bringen. Der Kläger muss sich das Verhalten seines Bruders wie eigenes Verhalten zurechnen lassen (vgl. auch HLSG, Urteil vom 10. November 1992 - L 12 An 332/92, bestätigt durch BSG, Urteil vom 15. Dezember 1994 - 12 RK 55/93). Sollte der Bruder die Überweisung auf dem Weg zur Bank verloren haben, so trifft ihn - und somit den Kläger - ein Verschulden an der nicht rechtzeitigen Beitragsentrichtung. Verschulden ist dann anzunehmen, wenn ein Beteiligter nicht die Sorgfalt walten lässt, die für einen im Rahmen der Beitragsentrichtung seine Rechten und Pflichten sachgerecht wahrnehmenden Handelnden geboten und ihm nach den gesamten Umständen zumutbar ist (LSG Baden-Württemberg in E-LSG An 066 m.w.N.). Verschuldet wäre nicht nur der Verlust der Überweisung, der Bruder hätte sich auch vor Abgabe der gesammelten Überweisungen vergewissern müssen, dass noch alle vorhanden waren. Wäre die Überweisung erst im Zuständigkeitsbereich der Bank abhanden gekommen, so träfe den Bruder des Klägers insoweit ein Verschulden, als er die Überweisungen gesammelt in den Briefschlitz der Bank geworfen hat, anstatt jedes einzelne Überweisungsformular gesondert einem Bankangestellten zu übergeben und sich die Übergabe auf einer Durchschrift der Überweisung durch Stempel bestätigen zu lassen. Jedenfalls aber hätte der Bruder sich rechtzeitig vergewissern müssen, dass die in den Briefschlitz der Bank eingeworfenen Überweisungen auch tatsächlich bearbeitet worden waren. Vor allem aber trifft den Kläger selbst ein Verschulden wegen mangelnder Sorgfalt bei der Überwachung der Überweisung. Im Rahmen des Gefälligkeitsverhältnisses konnte der Kläger sich nicht darauf verlassen, dass sein Bruder, auch wenn dieser schon häufiger Überweisungen erledigt hatte, ordnungsgemäß handeln würde. Es wäre seine Pflicht gewesen, die Durchführung seiner Überweisung zu kontrollieren. Dies wäre in den verbleibenden zwei Wochen bis zum Fristende ohne weiteres möglich gewesen.

Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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