S 2 KA 87/09 ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
2
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 2 KA 87/09 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Antrag, der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen An- ordnung aufzugeben, die Stichprobenprüfung im Sinne des § 106 SGB V gegen die Antragstellerin bis zur Entscheidung über die Rechtsstaatlichkeit des der Stichprobenprüfung zugrundeliegenden Auswahlverfahrens vorläufig einzustellen, wird zurückgewiesen. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 7).

Gründe:

Die Antragstellerin hat keinen Anspruch auf Gewährung des begehrten einstweiligen Rechtsschutzes.

Gemäß § 86 b Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sind die Erfolgsaussicht in der Hauptsache und die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der

erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO)). Droht dem Antragsteller bei Versagung einstweiligen Rechtsschutzes eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung in seinen Rechten, die durch eine Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann, so ist - erforderlichenfalls unter eingehender tatsächlicher und rechtlicher Prüfung des im Hauptsacheverfahren geltend gemachten Anspruchs - einstweiliger Rechtsschutz zu gewähren, es sei denn, dass überwiegende, besonders gewichtige Gründe entgegenstehen (BVerfGE 93, 1 ff.). Andererseits müssen die Gerichte unter Umständen wegen der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit Rechtsfragen nicht vertiefend behandeln und ihre Entscheidung maßgeblich auf der Grundlage einer Interessenabwägung treffen können (BVerfG NJW 1997, 479, 480; LSG NRW, Beschluss vom 11.02.2008 - L 11 (10) B 17/07 KA ER -).

Ausgehend von diesen Grundsätzen ist das Bestehen eines Anordnungsanspruchs offen. Nach § 106 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) wird die Wirtschaftlichkeit der Versorgung geprüft durch (zahn)arztbezogene Prüfung (zahn)ärztlicher Leistungen auf der Grundlage von (zahn)arztbezogenen und versichertenbezogenen Stichproben, die mindestens 2 v.H. der (Zahn-)Ärzte je Quartal erfassen (Zufälligkeitsprüfung). Gemäß Abs. 2b a.a.O. vereinbaren die Kassenärztlichen Bundesvereinigungen und der Spitzenverband Bund der Krankenkassen Richtlinien zum Inhalt und zur Durchführung der Prüfungen nach Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, insbesondere zu den Beurteilungsgegenständen nach Abs. 2a, zur Bestimmung und zum Umfang der Stichproben sowie zur Auswahl von Leistungsmerkmalen, erstmalig zum 31.12.2004. Die auf dieser Grundlage vereinbarten Richtlinien zur Zufälligkeitsprüfung sehen in § 5 Abs. 1 vor, dass die Ziehung der zahnarzt- und versichertenbezogenen Stichprobe bei den Kassenzahnärztlichen Vereinigungen erfolgt. Das ist vorliegend geschehen.

Nach § 4 der Richtlinien sind die Stichproben nach dem Zufallsprinzip zu bestimmen. Das Nähere zum Verfahren der Stichprobenziehung vereinbaren gemäß § 5 Abs. 2 der Richtlinien die Vertragspartner nach § 106 Abs. 2 Satz 4 SGB V. Diese haben in § 15 Abs. 2 der Verfahrensordnung (Rhein. Zahnärzteblatt 2008, 14, 17) vereinbart, dass die Auswahl der in die Prüfung einzubeziehenden Vertragszahnärzte nach dem Zufallsprinzip getroffen wird. Die Auswahl wird unverzüglich nach Vorliegen der Abrechnungsunterlagen pro Quartal durch die KZV NR - auf Grundlage eines zwischen den Vertragspartnern abgestimmten Verfahrens - aus dem Kreise aller mit der KZV NR abrechnenden Vertragszahnärzte getroffen.

Der hier streitigen Einleitung der Stichprobenprüfung liegt ersichtlich das seit 1994 angewandte Verfahren zugrunde, welches in der "Beschreibung des Auswahlverfahrens in der Stichprobenprüfung gem. § 26 Abs. 3 VerfO" näher skizziert wird. Die Antragsgegnerin hat insofern vorgerichtlich mit Schreiben vom 10.03.2009 mitgeteilt, es handele sich um ein standardisiertes - von Menschenhand nicht beeinflusstes - Computerauswahlverfahren. Ob und inwieweit dies tatsächlich der Fall ist, bedarf ggf. einer Beweisaufnahme in einem Hauptsachestreitverfahren.

Die Durchsicht des Programmablaufes in der o.g. Beschreibung ergibt, dass jedenfalls nicht ohne weiteres von der Generierung echter Zufallszahlen ausgegangen werden muss. Das Programm berechnet zunächst eine fünfstellige "Zufallszahl" durch Multiplikation der aktuellen Uhrzeit bei Start des Auswahlprogramms (HH MM SS) mit der Zahnarzt-Nummer und gelangt so zu einer (max.) elfstelligen Zahl, deren letzte fünf Stellen anschließend in aufsteigender Reihenfolge sortiert werden. Aus der so sortierten Datenbank wird dann bis zum Erreichen der 2 %-Quote jede 37. "Zufallszahl" ausgewählt und der entsprechende Zahnarzt gelangt in die Prüfung. Da es sich insgesamt um reine Rechenvorgänge handelt, lassen sich mithilfe der EDV für alle Startzeiten von HH MM SS 00.00.00 bis 23.59.59 sämtliche Ergebnisse berechnen, prognostizieren und reproduzieren. Das bedeutet, dass von vornherein bestimmbar ist, welcher Zahnarzt bei welcher Startzeit für die Stichprobenprüfung ausgewählt wird. Sofern das Programm manuell gestartet werden sollte, kann daher bei sekundengenauem Beginn des Programmablaufes das Ergebnis festgelegt werden. Eine echte Zufälligkeitsprüfung fände demzufolge nur dann statt, wenn der Programmstart ohne manuelles Eingreifen durch einen Zufallsgenerator ausgelöst würde. Ob dies der Fall ist, lässt sich dem Akteninhalt ebenso wenig entnehmen wie die von der Antragstellerin geäußerte Besorgnis sicher ausgeschlossen werden kann, dass durch mehrfachen Start des Programms letztlich der gewünschte Zahnarzt ausgewählt wird. Die in der Einladung der Antragsgegnerin vom 29.04.2009 zum Prüfgespräch am 18.05.2009 gegebene Erläuterung, bei 2 % Stichprobe pro Quartal komme eine Praxis statistisch gesehen alle 12 ½ Jahre in die Prüfung und die Abrechnung der Antragstellerin sei im Gesamtablauf der nordrheinischen Stichprobenprüfung von 15 Jahren lediglich einmal Gegenstand eines Verfahrens der Stichprobenprüfung geworden, spricht zwar indiziell durchaus für eine echte Zufälligkeitsprüfung. Ein rechtssicherer Nachweis hierfür liegt gegenwärtig indes nicht vor; aussagekräftige Protokolle oder andere Dokumentationen über die genauen Modalitäten der Auswahl der Antragstellerin, die jede Manipulation ausschließen, enthält die Verwaltungsakte nicht.

Es bedarf im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes jedoch keiner näheren Aufklärung der diesbezüglichen Tatsachen. Selbst wenn - rein hypothetisch unterstellt - die Stichprobenauswahl der Klägerin fehlerhaft gewesen sein sollte, begründet dies jedenfalls keinen Anordnungsgrund. Allein eine etwaige Rechtsverletzung schafft schon deshalb keinen Anordnungsgrund, weil anderenfalls jedes rechtswidrige Handeln einer Behörde einen Anordnungsgrund erfüllen, mithin zu einer konturenlosen Ausuferung des einstweiligen Rechtsschutzes führen würde (LSG NRW, Beschluss vom 23.11.2007 - L 10 B 11/07 KA ER -).

Wesentliche Nachteile, zu deren Abwendung der Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderlich ist, hat die Antragstellerin nicht glaubhaft gemacht. Ihre Beschwer beschränkt sich auf ihre grundsätzliche Pflicht zur Mitwirkung im Prüfverfahren (§§ 9 Abs. 1 - 3, 11 Abs. 2, 15 Abs. 4 der Verfahrensordnung), wobei sie auf ihr Recht des mündlichen Vortrags verzichten und sich alternativ schriftlich zum Verfahren einlassen kann. Den von ihr geäußerten Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des Auswahlverfahrens wäre, falls die Prüfungsstelle einen die Antragstellerin belastenden Bescheid erteilen sollte, im Verfahren vor dem Beschwerdeausschuss, spätestens aber in einem gerichtlichen Hauptsacheverfahren nachzugehen. Denn die gerichtliche Kontrolldichte in der Wirtschaftlichkeitsprüfung umfasst angesichts des den Prüfgremien zustehenden Beurteilungs- und Ermessensspielraumes vor allem die Prüfung der Rechtmäßigkeit in formeller Hinsicht (BSG, Urteil vom 27.06.2007 - B 6 KA 27/06 R -); hierzu gehört auch die Rechtmäßigkeit der Einleitung des Prüfverfahrens (vgl. LSG NRW, Urteil vom 28.01.2009 - L 11 KA 8/08 -). Veranlassung, im einstweiligen Anordnungsverfahren einzelne Elemente des Prüfverfahrens einer isolierten Rechtmäßigkeitsprüfung zu unterziehen, besteht jedenfalls angesichts der geringen und der Antragstellerin zumutbaren Belastung nicht (vgl. zur grundsätzlichen Unzulässigkeit von Elementenfeststellungsklagen, z.B. wegen Tatfragen, Meyer-Ladewig/Keller, SGG, 9. Aufl. 2008, § 55 Rdnr. 9 ff. m.w.N.). Im Übrigen steht es der Antragstellerin frei, ggf. Amtshaftungsansprüche gemäß § 839 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) gegen die Beigeladene zu 7) geltend zu machen, falls ihr durch rechtswidriges Verhalten ein Schaden entstanden sein sollte (zur haftungsrechtlichen Verantwortlichkeit der Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen für rechtswidrige Entscheidungen der Gremien der gemeinsamen Selbstverwaltung vgl. BGH MedR 2006, 535 f.).

Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 197 a SGG in Verbindung mit §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 1, 3 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Es entspricht der Billigkeit, die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 7) der unterliegenden Antragstellerin aufzuerlegen. Mit der Stellung des Abweisungsantrages hat sich die Beigeladene zu 7) dem Risiko der Kostentragung nach § 154 Abs. 3 VwGO unterworfen; ihr sind daher ihre Kosten zu erstatten, da ihr Antrag zum Ziel geführt hat.
Rechtskraft
Aus
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