L 5 VG 691/95

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
5
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 5 VG 691/95
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 31. März 1995 aufgehoben. Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 3. September1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. März 1994 verurteilt, bei dem Kläger ein "chronifiziertes psychotraumatisches Belastungssyndrom" als Folge der Gewalttat an seinem Sohn D. im Jahre 1982 anzuerkennen und ihm Versorgung nach dem OEG in Verbindung mit dem BVG nach einer MdE von 50 v.H. ab Februar 1992 zu gewähren.

II. Der Beklagte hat dem Kläger dessen zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger macht eine psychische Beeinträchtigung von Krankheitswert als Folge der Ermordung seines Sohnes D. im Jahre 1982 geltend und begehrt die Gewährung von Versorgungsleistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).

Der 1930 geborene Kläger verlor Ende August/Anfang September 1982 seinen Sohn D., der - seinerzeit 19 Jahre alt - nach sexuellen Misshandlungen aus der dritten Etage eines Wohnhauses geworfen wurde und einige Tage später an den Folgen der dabei erlittenen Verletzungen verstarb. Der Täter wurde durch rechtskräftiges Urteil der 22. Großen Strafkammer (Schwurgericht) des Landgerichts Frankfurt am Main vom 28. November 1983 wegen Mordes sowie wegen sexueller Nötigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 12 Jahren verurteilt; inzwischen befindet er sich wieder auf freiem Fuß.

Infolge der Ermordung dieses Sohnes ist die Ehefrau des Klägers psychisch schwer erkrankt. Ihr wurde aufgrund eines Antrages, den der Kläger zunächst gemeinsam mit seiner Ehefrau am 9. Februar 1984 gestellt und am 29. August 1984 ausdrücklich auf diese beschränkt hatte, durch Bescheid vom 4. August 1986 wegen einer "seelischen Schädigung im Sinne einer reaktiven Depression" Versorgung nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 30 v.H. nach Maßgabe der Vorschriften des OEG und des BVG gewährt. Ein Antrag der Ehefrau auf Feststellung einer höheren MdE unter Anerkennung einer weiteren Gesundheitsstörung als Folge der Ermordung des Sohnes ist nach einem erfolglosen Klageverfahren beim Sozialgericht Frankfurt am Main (S 24 Vg 1072/95) bestandskräftig abgelehnt worden (Urteil vom 4. März 1998). Daneben wird an beide Eheleute Elternrente gezahlt (Bescheide vom 30. Juli 1986 und 10. Januar 1991).

Am 28. Februar 1992 stellte der Kläger (erneut) Antrag auf Entschädigung nach dem OEG und machte eine psychische Beeinträchtigung als "Schockschaden" und Folge der 1982 erfolgten Ermordung seines Sohnes D. geltend. Der Kläger legte eine ärztliche Bescheinigung von Dr. S. vom 10. April 1992 vor

In einem parallel laufenden Verfahren auf Anerkennung von Behinderungen im Rahmen des Schwerbehindertengesetzes (SchwbG) stellte der Beklagte zunächst mit Vorbehaltsbescheid vom 20. April 1993 beim Kläger als Behinderungen fest: "1. chronische Emphysembronchitis mit Ventilationsstörungen, 2. Leberparenchymschaden, 3. Fehlhaltung der Wirbelsäule und 4. degenerative Veränderungen der rechten Schulter". Der Grad der Behinderung (GdB) wurde auf insgesamt 30 festgesetzt. Im sich hieran anschließenden Widerspruchs- und Klageverfahren erklärte sich der Beklagte aufgrund einer aktenmäßigen Stellungnahme von Dr. H. vom 14. Januar 1994, in der dieser beim Kläger vom Vorliegen einer Depression im Involutionsalter mit Erschöpfungskomponente (GdB: 30) ausging, am 24. Januar 1994 vor dem Sozialgericht Frankfurt a.M. bereit, als weitere Behinderung (nunmehr zu Ziff. 1) eine "seelische Behinderung" festzustellen und den GdB auf insgesamt 50 anzuheben. Der Kläger nahm dieses Angebot - unter Aufrechterhaltung seiner Rechtsposition im OEG-Verfahren - an, woraufhin am 9. März 1994 eine entsprechende Benachrichtigung über die Anerkennung des Klägers als Schwerbehinderter nach dem SchwbG erging.

Den Antrag auf Anerkennung der psychischen Beeinträchtigung als Folge eines Angriffs im Sinne des § 1 OEG lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 3. September 1993 u.a. mit der Begründung ab, das OEG erfasse nicht die Auswirkungen von Tatfolgen auf Dritte, soweit es sich nicht um einen sog. Schockschaden handele, der in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit dem schädigenden Ereignis stehen müsste. Nach nunmehr über 10 Jahren könne ein solcher enger zeitlicher Zusammenhang zwischen dem schädigenden Ereignis und den vom Kläger geltend gemachten gesundheitlichen Beeinträchtigungen nicht anerkannt werden.

Den hiergegen eingelegten, am 21. September 1993 eingegangenen, Widerspruch wies der Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 30. März 1994 mit im wesentlichen derselben Begründung zurück. Gegen den am 31. März 1994 abgesandten Widerspruchsbescheid hat der Kläger am 20. April 1994 (Eingang) Klage beim Sozialgericht Frankfurt am Main erhoben und ein ärztliches Attest von Dr. S. vom 10. April 1992 sowie Atteste von der Nervenärztin Dr. H. (Frankfurt am Main) vom 20. April und 23 September 1994 vorgelegt. Weiter ist eine ärztliche Bescheinigung des Arztes P. F. vom 6. Oktober 1994 vorgelegt worden. Nach Vorliegen einer versorgungsärztlichen Stellungnahme zu diesen Berichten durch Dr. H. vom 1. Dezember 1994 hat das Sozialgericht Frankfurt am Main die Klage durch Urteil vom 31. März 1995 abgewiesen und zur Begründung u.a. ausgeführt, nach § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG könne (zwar) auch eine Person Versorgung erhalten, wenn sie nicht selbst - sondern ein Dritter - Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen und tätlichen Angriffs geworden sei. Folgen des "Angriffs" eines Schädigers könnten auch dann vorliegen, wenn derjenige, der Schaden an seiner Gesundheit genommen habe, nicht identisch mit demjenigen sei, gegen den sich der tätliche Angriff gerichtet habe. In einem solchen Fall aber müsste der Geschädigte selbst derart durch die Gewalttat betroffen sein, dass er (z. B. durch eine Schockwirkung) daran erkranke. Für die Beurteilung eines ursächlichen Zusammenhanges der Schädigung mit dem auslösenden Ereignis sei im Versorgungsrecht eine strenge zeitliche Zäsur kennzeichnend. Dabei müsse ein Vergleich angestellt werden zwischen dem Zustand beim Geschädigten unmittelbar vor Beginn der Schädigung und der Situation unmittelbar danach. Auf diese Weise solle die Entschädigung Vorkommnisse ausgeschlossen werden, die von Ereignissen außerhalb der versorgungsrechtlich erheblichen Ursachenkette ausgelöst worden seien. Unter Beachtung dieser Gesichtspunkte habe der Beklagte zwar der Ehefrau des Klägers zu Recht eine Versorgung nach dem OEG zugesprochen. Bei dem Kläger hingegen sei nach Überzeugung des Gerichts für den entscheidungserheblichen Zeitraum nach der Gewalttat ein Schockzustand, der eine MdE in rentenberechtigtem Ausmaß zur Folge gehabt habe, nicht festgestellt worden. Es komme nicht darauf an, dass der Kläger nunmehr, 10 Jahre nach der Gewalttat, an einer seelischen Behinderung leide, weil es bereits am Nachweis eines unmittelbaren Zusammenhangs zwischen der Gewalttat und einem - nachfolgend aufgetretenen - Schockschaden fehle. Es gebe auch keine Brückensymptome, die bei Berücksichtigung der ab April 1992 festgestellten "seelischen Behinderung" auf eine gesundheitliche Schädigung im Zeitraum nach der Gewalttat schließen lassen. Diesem Ergebnis stehe auch nicht entgegen, dass der Kläger bereits 1984 zusammen mit seiner Ehefrau einen Antrag nach dem OEG gestellt habe. Der Kläger habe zwar seinerzeit mitgeteilt, zeitweise an länger andauernden Kopfschmerzen und nervösen Störungen hinsichtlich des Magens, der Galle und des Herzens gelitten zu haben; jedoch habe er auch erklärt, dass er sich nicht in ärztlicher Behandlung befinde und deshalb den Antrag zunächst auf seine Frau beschränken wolle. Ob die seinerzeit vom Kläger beschriebenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen durch die Gewalttat verursacht seien, ließe sich nicht mehr aufklären. Dies müsse umso mehr für die 1992 festgestellte "seelische Behinderung" gelten. Zur Überzeugung des Sozialgerichts spreche mehr gegen als für einen solchen ursächlichen Zusammenhang. Das Attest von Dr. H. vom 20. Mai 1994 bestätige eine seit dem Mord bestehende psychische Erkrankung der Ehefrau des Klägers sowie die Erholungsbedürftigkeit des Klägers wegen der Last der Versorgung der Familie. Die ergänzende Erklärung von Frau Dr. H. im Befundbericht vom 23. September 1994, wonach der Kläger nach dem Mord an seinem Sohn einen Schock erlitten habe und infolgedessen eine neurotische Entwicklung eingetreten sei, reiche als Beweis nicht aus, weil der Kläger sich erst seit dem 24. August 1993 in Behandlung von Frau Dr. H. befunden habe. Auch die übrigen ärztlichen Berichte aus den zurückliegenden Jahren enthielten, so das Sozialgericht, eher Hinweise dafür, dass die Tat beim Kläger keinen andauernden Schockschaden verursacht habe, als für das Gegenteil. Die Feststellung anlässlich der Untersuchung und Begutachtung im Rentenverfahren, wonach der Kläger "reaktiv-depressiv" sei, spreche nicht für eine starke Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes, zumal der Kläger als behandelnde Ärzte neben der Hausärztin Dr. S. (nur) einen Orthopäden und einen Augenarzt angegeben habe.

Gegen das ihm mittels Postzustellungsurkunde am 16. Juni 1995 zugestellte Urteil richtet sie die am 6. Juli 1995 beim Hessischen Landessozialgericht eingegangene Berufung. Der Kläger macht unter Berufung auf die ärztlichen Bescheinigungen von Dr. S. vom 10. April 1992 und des Arztes P. F. vom 6. Oktober 1994 sowie den nervenfachärztlichen Befundbericht von Dr. H. vom 23. September 1994 weiterhin geltend, dass bei ihm ein unmittelbarer Schockschaden eingetreten sei, was das Sozialgericht verkannt habe. Die seelische Behinderung sei auch anerkannt, es gehe nunmehr nur noch um die Feststellung, seit wann diese bestehe und wodurch sie entstanden sei. Obwohl eindeutige Atteste der Ärzte vorgelegen hätten, habe das Sozialgericht in seinem Urteil diese nicht als ausreichend für den Nachweis einer durch die Ermordung des Sohnes D. verursachten gesundheitlichen Beeinträchtigung angesehen, weshalb der Kläger die Hinzuziehung einer neutralen fach- und sachkundigen Person wünsche.

Der Kläger beantragt (sinngemäß),
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 31. März 1995 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 3. September 1993 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. März 1994 zu verurteilen, bei ihm als Gesundheitsstörung eine "posttraumatische Belastungsstörung" als Folge der Ermordung seines Sohnes D. im Jahre 1982 anzuerkennen und ihm Versorgung nach den Vorschriften des Opferentschädigungsgesetzes in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 50 v.H. ab Februar 1992 zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil, das er für zutreffend hält. Beim Kläger sei keine dauerhafte Gesundheitsstörung nachgewiesen, die ursächlich auf die Ermordung seines Sohnes zurückgeführt werden könne.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens - nebst einem psychologischen Zusatzgutachten von Dipl.-Psych. J. - von dem Arzt für Neurologie und Psychiatrie und Bereichsleiter am Psychiatrischen Krankenhaus des Landeswohlfahrtsverbandes in E.‚ Medizinal-Direktor W. M ...

In dem psychologischen Zusatzgutachten vom 7 Februar 1996 führt Frau Dr. J. auf der Grundlage einer testpsychologischen Untersuchung (WIP 86, SKT Form A, Aufmerksamkeits-Belastungstest d2 sowie MMPI - Saarbrücken - deutsche Kurzform - und Freiburger-Persönlichkeits-Inventar - FPI -) am 5. Februar 1996 und einer Exploration zusammenfassend aus, dass es im Rahmen der Exploration nicht möglich gewesen sei, herauszufinden, ob sich der Kläger schon vor dem Mord an seinem Sohn depressiv gefühlt habe. Anlässlich der Untersuchung jetzt habe sie keinerlei pathologischen Symptome, insbesondere keine depressiven Symptome im engeren Sinne, finden können. Vom menschlichen Standpunkt aus sei das, was dem Kläger in den letzten Jahren widerfahren sei, tragisch zu nennen. Die Frau sei nach der Ermordung psychisch krank geworden; der Mörder laufe heute wieder frei herum. Trotz dieser außerordentlich schweren Lebensbedingungen und der Verantwortung für die kranke Frau sowie einen behinderten Sohn, sei es dem Kläger gelungen, sein schweres Schicksal zu meistern. Dies sei seiner guten psychischen Konstitution und einer weitgehenden psychischen Stabilität zu verdanken. Es habe sich kein Hinweis darauf gefunden, dass ein Schockschaden bestehe oder überhaupt eine schwerwiegende psychische Störung.

Unter Berücksichtigung des Zusatzgutachtens vom Frau Dr. J. W. kommt der Medizinal-Direktor M. in seinem Gutachten vom 16. Februar 1996 zusammenfassend zu dem Ergebnis, dass beim Kläger weder ein Schockschaden noch sonst eine irgendwie geartete gesundheitliche Schädigung auf psychiatrisch-psychologischem Gebiet vorliege, die in einem unmittelbarem Zusammenhang mit der Ermordung des Sohnes im Jahre 1982 stehe. Gravierende Gesundheitsstörungen auf psychiatrisch-psychologischem Gebiet seien nicht nachweisbar, insbesondere seien weder in den testpsychologischen Untersuchungen noch sonst erhebliche Funktionseinbußen erkennbar gewesen. Es handele sich, in Übereinstimmung mit der Argumentation des psychologischen Zusatzgutachtens, beim Kläger um eine normale und psychologisch verstehbare Trauerreaktion. Die aktenkundige und aus den Unterlagen erkennbare zeitweilige "reaktive depressive Verstimmung" in der Vergangenheit stehe im Zusammenhang mit aktuellen Belastungssituationen. Ein Zusammenhang mit dem Ereignis im Jahre 1982 lasse sich nicht herstellen. Auf psychiatrisch-psychologisch Gebiet sei eine krankhafte Störung von längerer Dauer mit entsprechenden Funktionseinbußen nicht zu belegen.

Der Senat hat - nach Beiziehung weiterer Akten - von Frau Dipl.-Psych. J. und Med. Dir. M. ergänzende Stellungnahmen eingeholt. Frau J. W. hat in ihrem Schreiben vom 16. Juli 1997 ausgeführt, dass aus ihrer Sicht auch nach Durchsicht der neuen Akten keine Symptome aufzufinden seien, die einen krankhaften Befund zeigen würden Med. Dir. M. hat in seiner Stellungnahme vom 30 Juli 1997 mitgeteilt, dass sich für die Zeit nach der Mordtat aus den Akten bezüglich einer psychischen Störung des Klägers keine Erkenntnisse ergeben würden. In der jetzigen Situation, in welcher der Kläger zunehmend psycho-physisch unter Druck gestanden habe, seien auch die Ereignisse der Straftat von damals im Rahmen des depressiven, vorübergehenden Krankheitsbildes aktualisiert worden Es sei unter diesen Umständen kaum noch möglich, eine ursächliche Zuordnung im Sinne des OHG zu der Straftat herzustellen. Auch ließe sich eine sog. posttraumatische Belastungsstörung, die erst 14 Jahre nach einer Straftat aktualisiert würde, mit wissenschaftlichen Erkenntnismöglichkeiten nicht ursächlich auf das seinerzeitige Ereignis zurückführen.

Der Senat hat sodann ein weiteres, klinisch-psychologisches Sachverständigengutachten von Universitäts-Professor Dr. G. F. (Universität zu K.) eingeholt. In seinem Gutachten vom 23. Dezember 1998 kommt dieser Sachverständige nach einer mehrstündigen ausführlichen psycho-diagnostischen Untersuchung und der Auswertung mehrerer Fragebogen zur subjektiven Befindlichkeit, zum traumatischen Erleben sowie zum Ausmaß sowie der Stärke von Dissoziation und nach Durchführung eines Rorschach-Tests zu dem Ergebnis, dass beim Kläger ein chronifiziertes psychotraumatisches Belastungssyndrom (PTBS) vorliege, das ursächlich (im Sinne des OEG/BVG) auf die Ermordung des Sohnes im August 1982 zurückgeführt werden könne. Hierbei handele es sich um eine schwere gesundheitliche Schädigung im Sinne der sog. "Anhaltspunkte", die mit einer MdE von 50 v.H. seit Antragstellung zu bewerten sei. Das Vorliegen einer sog. Begehrensneurose hat der Sachverständige Prof. F. ausdrücklich ausgeschlossen. Gegen das Sachverständigengutachten von Prof. F. hat der Beklagte unter Bezugnahme auf eine Stellungnahme seines beratenden Arztes Dr. H. vom 4. März 1999 u.a. eingewandt, dass sich der Sachverständige Prof. F: nicht ausreichend mit den Vorgutachten von Med. Dir. M. und dem Zusatzgutachten von Dipl.-Psych. J. W. auseinandergesetzt habe; während diese Sachverständigen Schädigungsfolgen weder auf nervenärztlichem noch auf psychologischem Sachgebiet hätten feststellen können, sei die von Prof. F. gestellte Diagnose einer "posttraumatischen Belastungsstörung" nicht stichhaltig, weil der Kläger nicht selbst der für eine andauernde Persönlichkeitsstörung vorauszusetzenden Extrembelastung ausgesetzt gewesen sei. Auch habe sich der Sachverständige Prof. F. nicht mit dem Begriff des "Schockschadens" auseinandergesetzt.

Auf Anfrage des Senats hat der Sachverständige Prof. F. in einer Stellungnahme vom 12. März 1999 auf die Kritik von Dr. H. an seinem Gutachten erwidert. Entgegen den Ausführungen von Dr. H. sei die Diagnose einer (verzögerten) posttraumatischen Belastungsstörung (PTSD/PTBS) nicht auf unmittelbare (Augen-)Zeugenschaft begrenzt; es genüge, wenn "Gewalt gegen Angehörige" verübt worden sei. Die Beschränkung auf den sog. "Schockschaden" (nach unmittelbarem Kontakt bzw. Augenzeugenschaft) werde deshalb in der modernen Traumaforschung nicht beibehalten. Der Kläger sei zum Zeitpunkt der Antragstellung mit seinen Kompensationsmöglichkeiten bezüglich des Geschehens (Mord am Sohn) an Grenzen geraten, weshalb die psychotraumatische Belastungsstörung manifest geworden sei.

Auf die ergänzende Stellungnahme von Prof. F. hat sich der Beklagte nochmals unter Bezugnahme auf eine ärztliche Stellungnahme von Dr. H. vom 15. April 1999 geäußert, in der dieser u.a. den Nachweis der Kausalität in Zweifel gezogen hat. Hierzu - und zur Frage der Änderungen in den sog. "Anhaltpunkten - 1996" sowie zur Höhe der MdE - hat der Senat eine weitere Anfrage an Prof. F. gerichtet. In der Antwort vom 23. August 1999 hat Prof. F. u.a. ausgeführt, dass bereits vor der Veröffentlichung der "Anhaltspunkte - 1996" die Neufassung bezüglich der posttraumatischen Belastungsstörungen dem Stand der Traumaforschung in Deutschland entsprochen habe. Ein wichtiger Eckpunkt sei insoweit die Einführung der ICD-10 im Jahre 1993 gewesen. Zur Frage der Kausalität hat Prof. F. geäußert, dass die heutigen gesundheitlichen (psychischen) Beeinträchtigungen beim Kläger eindeutig auf das Ereignis (Ermordung des Sohnes) zurückzuführen seien; der kausale Zusammenhang sei durch die testpsychologischen Untersuchungen und die durchgeführte Exploration gesichert, wobei die Vielschichtigkeit der Untersuchungsmethoden eine zuverlässige Diagnosestellung ermöglicht habe. Die Validität der verwendeten Testverfahren werde in der herangezogenen Literatur (sowohl im deutschsprachigen Raum als auch in den USA) als befriedigend bis gut bezeichnet. Es könne auch ausgeschlossen werden, dass die PTBS durch andere Faktoren ausgelöst worden sei. Auch sog. "Brückensymptome" seien für den Nachweis der Kausalität nicht erforderlich. Die MdE wird von Prof. F. unter Bezugnahme sowohl auf die "Anhaltspunkte - 1983" wie auf die "Anhaltspunkte 1996" durchgehend auf 50 v.H. geschätzt.

Für den Sach- und Streitstand im übrigen wird Bezug genommen auf die Gerichtsakten sowie auf die Verwaltungsakten des Beklagten (OEG-Beschädigter, Grundlisten-Nr. 52/92; SchwbG-Akten, -xxxxx-, E-Akten, Grundlisten-Nr. yyyyy; OEG-Beschädigte S. S.) sowie auf die Archiv-Akten des SG Frankfurt am Main - S 11 Vb 1520/93 - und S 24 Vg 1072/95 -‚ die dem Senat vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung des Senats am 9. September 1999 gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt worden und an sich statthaft und somit insgesamt zulässig (§ 143 ff., 151, 153 Abs. 1 SGG). Berufungsausschließungsgründe nach § 144 Abs. 1 SGG liegen nicht vor, weil jedenfalls um laufende Leistungen für mehr als ein Jahr und mithin auch über Leistungen im Gesamtbetrag von mehr als 1.000,- DM gestritten wird.

Die Berufung ist auch sachlich begründet. Das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main konnte nach der weiteren Sachaufklärung durch den Senat nicht aufrecht erhalten werden. Der Kläger hat Anspruch auf Feststellung einer psychischen Beeinträchtigung von Krankheitswert als (unmittelbarer) Folge des vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs auf seinen Sohn im Jahre 1982 und mithin dem Grunde nach Anspruch auf Gewährung von Entschädigungsleistungen nach dem OEG in Verbindung mit dem BVG. Der den Antrag des Klägers vom 25. Februar 1992 ablehnende Bescheid des Beklagten vom 3. September 1993 wie auch der Widerspruchsbescheid vom 30. März 1994 sind rechtswidrig und mussten - ebenso wie das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main - aufgehoben werden. Der Beklagte war dem Grunde nach (§ 130 SGG) zu verurteilen, dem Kläger Versorgung nach einer MdE von 50 v.H. ab Antragstellung zu gewähren.

Nach § 1 Abs. 1 OEG erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf An- trag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG, wer durch einen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff gegen sich oder eine andere Person eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Der Kläger gehört zum Personenkreis, der durch diese Vorschrift begünstigt wird. Er ist nicht von vornherein von einer Entschädigung nach dem OEG ausgeschlossen, weil der vorsätzlich rechtswidrige tätliche Angriff, die Misshandlung und Ermordung seines Sohnes D. am 28 August 1982 durch den mit rechtskräftigem Urteil des Landgerichts Frankfurt a.M. vom 28 November 1983 verurteilten Schädiger nicht gegen den Kläger selbst sondern gegen seinen Sohn gerichtet war.

Nach ganz überwiegender Auffassung in der Rechtsprechung und Literatur - die sich auf die amtliche Begründung der Bundesregierung zum Gesetzentwurf des OEG stützen kann - (BT-Drucks. 7/2706) ist entschädigungspflichtig demnach nicht nur der Gesundheitsschaden, den die angegriffene Person selbst erlitten hat, sondern auch ein (im strafrechtlichen Sprachgebrauch so genannter) "Erfolg", der bei einer anderen Person als derjenigen, welcher der "Angriff" gegolten hat, eingetreten ist.

Dabei wird nach dem Wortlaut des Gesetzes - wie in Rechtsprechung und Literatur anerkannt wird - nicht nur der Fall der (im strafrechtlichen Sprachgebrauch - lateinisch - so genannten) "aberratio ictus" (d.h.: ein Täter zielt auf A‚ trifft aber B - dieser wird mithin im Sinne des OEG Opfer eines gegen A gerichteten rechtswidrigen Angriffs) angesprochen. Der Wortlaut von § 1 Abs. 1 und Sinn und Zweck des OEG - nämlich Opfer von Gewalttaten angemessen zu entschädigen - legen es nahe, auch denjenigen - als unmittelbar Geschädigten - in den Kreis der entschädigungsberechtigten Personen einzubeziehen, welcher aufgrund der Beobachtung eines oder aber der Nachricht von einem Verbrechen gegen nahe Familienangehörige "betroffen" wird, soweit die eingetretene - und dauerhafte - gesundheitliche Schädigung und die daraus resultierende dauerhafte Gesundheitsstörung ursächlich (im Sinne des Kausalitätskonzepts des BVG und des sozialen Entschädigungsrechts) auf diesen rechtswidrigen Angriff - sei es infolge der persönlichen Beobachtung, der Benachrichtigung oder in anderer Weise - zurückgeführt werden kann.

Der Verweis auf die Entschädigungsgrundsätze des BVG in § 1 OEG hat, wie das BSG in ständiger Rechtsprechung ausgeführt hat, und was in der Literatur auch ganz überwiegend akzeptiert wird (vgl. Kunz, OEG, 2. Aufl. 1989, § 1 Rdz. 1,5 m.w.N.; Wulfhorst, VSSR 1997, S. 185 ff.; Heinz, ZfS 199, S. 46 ff.)) - auch zur Folge, dass keine (bloß) mittelbar auftretenden gesundheitlichen Folgen als entschädigungspflichtige "Schädigung" angesehen werden können. Entschädigt werden kann nur, wer selbst und unmittelbar durch den "Angriff" eine Gesundheitsbeschädigung erlitten hat. Diese - unter Bezugnahme auf die Grundsätze des BVG und auch sonst im sozialen Entschädigungsrecht anerkannte - Beschränkung soll eine "ausufernde" Entschädigung für alle möglichen Folgen rechtswidriger Gewalthandlungen vermeiden helfen (so ausdrücklich BT-Drucks. 7/2706, S. 10 und BSG, Urteil vom 7. November 1979 - 9 RVg 1/78 - BSGE 49, 98 ff., 103). Bezüglich der Folgen eines gegen einen anderen - etwa einen nahen Familienangehörigen - gerichteten Gewaltverbrechens hat das BSG deshalb auch grundsätzlich entschieden, dass es einer besonderen Beziehung zwischen der Tat, dem Opfer und dem Geschädigten bedarf, wobei in der Regel von einem (dort so genannten) "Schockschaden" ausgegangen wird, durch den in einem engen - zeitlich aufzufassenden - unmittelbaren Zusammenhang mit einer Straftat eine psychische Beeinträchtigung ausgelöst wird und ihr "Krankheitswert" als gesichert erscheint.

Das BSG hat hierzu ausgeführt, dass - anders als bei § 1 Abs. 1 BVG, wo aus der Formulierung "w e r eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat" entnommen wird, dass ein (bloß) mittelbar Geschädigter keinen Versorgungsschutz genießen könne - § 1 Abs. 1 OEG so gefasst worden ist, dass derjenige ("w e r") den Schaden an der Gesundheit genommen hat, nicht identisch mit dem zu sein braucht mit demjenigen, gegen den der tätliche Angriff gelenkt war und/oder sich gerichtet hat. Dies kann eine "andere Person" gewesen sein. In der (regierungs-amtlichen) Begründung zum Gesetzentwurf (BT-Drucks. 7/2506, S. 14) wird hierzu ausgeführt, dass die Beschränkung der Anspruchserfordernisse auf vorsätzliche Gewalttaten eine Ausweitung des berechtigten Personenkreises erforderlich mache. Insoweit wurde an Fälle gedacht, "in denen ein tätlicher Angriff rechtlich als fahrlässige Straftat zu werten ist; eine Entschädigung des Verletzten aber dennoch angebracht ist weil die Handlung der Gewaltkriminalität zuzurechnen ist. Dies ist nicht nur bei der oben erwähnten sog aberratio ictus (die Straftat wirkt sich nicht bei dem in Aussicht Genommenen sondern bei einem anderen aus) der Fall, die nach strafrechtlichen Grundsätzen in Deutschland nur als Fahrlässigkeitstat bestraft werden kann, sondern nach der ausdrücklichen Regelung in § 1 Abs. 2 Nr. 2 OEG auch dann, wenn eine Gefahr für Leib oder Leben einer Person durch andere - zumindest fahrlässig mit gemeingefährlichen Mitteln begangene - Verbrechen herbeigeführt worden ist. Die Regelung in § 1 Abs 2 Nr. 2 OEG berücksichtigt - wenn das Mittel gemeingefährlich ist - also auch fahrlässig herbeigeführte Personenschäden, die eintreten "ohne dass die Tat gegen eine (bestimmte) Person gerichtet sein muss" (BT-Drucks. 7/2506, S. 14). Der parlamentarische Gesetzgeber hat demnach den Vorsatz (willentlicher Bruch der Rechtsordnung durch körperliche Gewaltanwendung gegenüber einer Person, a.a.O., S. 10) - auch - zum Abgrenzungskriterium dafür gewählt, wann eine Verantwortung des Staates für einen gewaltsamen Bruch der Rechtsordnung einzutreten hat. Im OEG selbst und in den Gesetzesmaterialien fehlt ein Hinweis darauf, dass die (nach dem zum BVG und sozialen Entschädigungsrecht sonst so genannten) mittelbar Geschädigten, die nicht selbst persönlich Ziel des "Angriffs" waren, von Entschädigungsleistungen ausgenommen sein sollten. Für die Wahl der Formulierung "oder eine andere Person" wird in der (regierungsamtlichen) Begründung zum Gesetzentwurf deshalb auch nur beispielhaft auf den Fall des Fehlgehens eines Angriffs (der so genannten "aberratio ictus") hingewiesen. Hingegen soll eine Entschädigung eben gerade dann geboten sein, wenn "der Betroffene" (d.h. also wiederum nicht derjenige, auf den die Gewaltanwendung unmittelbar zielte) "durch eine mit Gewaltanwendung verbundene Straftat in Mitleidenschaft gezogen" worden ist (a.a.O., S. 10).

In Auseinandersetzung mit der zum BVG ergangenen Rechtsprechung (namentlich zur Frage der "Unmittelbarkeit" eines - auch zeitlich zu sehenden - Zusammenhangs und zu Fragen der "Fernwirkung" etc.) hat das BSG in seiner Entscheidung vom 07. November1979 ausdrücklich ausgeführt, dass in dem seinerzeit von ihm zu entscheidenden Fall (dauernde psychische Gesundheitsstörung einer Mutter aufgrund der Nachricht von der Ermordung ihrer Tochter) (zunächst) nicht über Kausalitätsfragen zu entscheiden war, sondern über die Unmittelbarkeit - (nicht "Unzumutbarkeit" - insoweit liegt ein offensichtlicher Fehler im - ersten - Umdruck vor, der in BSGE 49, 98 ff., 103 und SozR 2-3100 korrigiert worden ist) im Verhältnis von Schädiger und Geschädigtem und damit über die Frage des möglichen Umfangs des entschädigungsberechtigten Personenkreises. Nach Auffassung des BSG ist dabei das schadenstiftende Geschehen im Verhältnis zu einem Elternteil (dort gegenüber einer Mutter, im vorliegenden Fall gegenüber einem Vater) für sich zu betrachten, und zwar unabhängig von dem Ende der Gewalttat am Kind. Im Verhältnis zum Elternteil - als ebenfalls unmittelbar Geschädigtem - ist ein einheitlicher, in sich geschlossener Lebensvorgang zu beurteilen, der nicht aufgetrennt werden darf. Die versorgungsrechtlich beachtliche (und, so wird man hinzufügen dürfen: gerade auch die im Bereich des OEG) Ursachenkette hat deshalb erst dort aufzuhören, wo sich der Angriff gegen den Elternteil, gegen dessen Psyche auswirkte. Wie das BSG a.a.O. auch ausgeführt hat, kann die Anerkennung andauernder (dort so genannter) "Schockschäden" - als unmittelbare Schäden - zu einer Erweiterung des Kreises entschädigungsberechtigter Personen führen, weshalb die Frage aufgeworfen werden musste, ob nicht zumindest eine Sonderbeziehung der "Drittgeschädigten" zu dem Primärverletzten verlangt werden müsse Eine solche Einschränkung der Rechtsfolgen (und dabei auch des Kreises der anspruchsberechtigten Personen) obliege aber - so das BSG a.a.O. - in erster Linie der Gesetzgebung.

Diese Entscheidung des BSG ist nicht unbestritten geblieben, hat aber in der Literatur überwiegend Zustimmung gefunden (vgl. z.B.: Kunz, OEG, 2. Aufl ... 1989, §1 Rdnr. 5 m.w.N. auch zur Kritik; Heinz, ZfS 1999, S. 46 ff. m.w.N.). Auch der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung (BMAS) hat nunmehr empfohlen, dieser Entscheidung im Grundsatz zu folgen (Rundschreiben vom 06. August 1996 - VI 1-52039/3 - in: BArBl. 1996, S. 71), aber in dem Bemühen, einem "unkontrollierten Ausufern" des berechtigten Personenkreises entgegen zu wirken, anhand der Rechtsprechung und Literatur vier Voraussetzungen formuliert (1. "gewisse Nähe" im Sinne eines unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhangs; 2. Sonderbeziehung zwischen unmittelbar betroffenem Opfer und dem Drittgeschädigten - in der Regel Ehe- und/oder Eltern/Kindverhältnis; 3. schwere, vorsätzliche Gewalttat wie z.B. Mord; 4. durch "Schock" verursachte, nicht nur vorübergehende psychische Störung von Krankheitswert - posttraumatische Belastungsstörung in Abgrenzung von abnormer Trauerarbeit; BArBI., a.a.O), die kumulativ vorliegen müssen, damit die dort so genannten "Drittgeschädigten" in den anspruchsberechtigten Personenkreis nach dem OEG einbezogen werden können.

Das BSG hat im Anschluss an das Urteil vom 7. November 1979 (a.a.O.) in Entscheidungen nach dem BVG klargestellt, dass dort am Kriterium der "Unmittelbarkeit" des Zusammenhangs von schädigendem Ereignis bzw. versorgungsrechtlich geschütztem Tatbestand und der gesundheitlichen Schädigung der geschädigten Person festgehalten werde, um eine unendlich laufende Kausalkette verhindern zu können. Unmittelbar soll danach z.B. jemand geschädigt sein, wer ansehen musste, dass seine Eltern erschossen werden (Augenzeugenschaft) und wer dadurch einen seelischen Schock erleidet (Urt. vom 17. März 1982 - 9a/9 RV 41/80 – SozR 2-3100 §1 BVG Nr.6 - im Falle einer Frau, die im Jahr 1944/5 als 11-jähriges Mädchen mit ansehen musste, wie ihre Eltern durch russische Soldaten erschossen wurden und die 1974 geltend machte, dadurch einen seelischen Schock erlitten zu haben und seither an einer "Nervenkrankheit" zu leiden). Verneint wurde die Unmittelbarkeit der Entstehung einer Lungen-Tbc bei der Ehefrau eines an Tbc Erkrankten, weil insoweit kein versorgungsrechtlich geschützter Tatbestand (mehr) vorgelegen habe, wenn die primäre Schädigung des Ehemannes erst zeitlich später und "vermittelt" über eine Ansteckung zur Schädigung der dritten Person (Ehefrau) geführt hat (BSG, Urt. vom 8. Dezember 1982 - 9a RV 18/82 - BSGE 54, 206 ff.). Offengeblieben ist aber die Möglichkeit, diese nach dem BVG für erforderlich gehaltene restriktive Interpretation nicht uneingeschränkt auch auf die Anwendung von § 1 OEG zu übertragen (ausdrücklich abgelehnt hat das BSG, a.a.O., hingegen die Erweiterung des berechtigten Personenkreises im Sinne des § 1 Abs. 1 OEG auch für das BVG). Das BSG hat weiter entschieden, dass der Entscheidung vom November 1979 nicht die Aussage entnommen werden könne, eine Entschädigungspflicht trete auch dann ein, wenn Angehörige (Mutter und Tochter) eines schwer verletzt überlebenden Opfers infolge der durch die Gewalttat veränderten Lebensumstände (Leben mit dem schwerverletzten Gewaltopfer) einen psychischen Schaden erleiden (BSG, Beschluss vom 17. Dezember 1997 - 9 BVg 5/97 - unveröffentlicht; vgl. auch Beschluss vom 14. Januar 1997 - 9 BVg 81/96 -). In dem auf eine Nichtzulassungsbeschwerde (NZB) ergangenen Beschluss des BSG vom 17. Dezember 1997 hatte das LSG Mainz (Urteil vom 18. April 1997 - L 4 Vg 7/96 -) aufgrund eines Gutachtens festgestellt, dass nicht die Gewalttat gegenüber dem - schwer verletzt überlebenden - Ehemann bzw. Vater der Klägerinnen, sondern die nachfolgenden Belastungen durch das Zusammenleben mit dem Opfer zu einer psychischen Beeinträchtigung der Klägerinnen geführt habe. Für eine solche Konstellation seien - so das BSG - die im Urteil vom 7. November 1979 aufgestellten Grundsätze nicht anwendbar.

Der erkennende Senat macht sich diese Grundsätze der Rechtsprechung des BSG zu eigen, wonach für die Einbeziehung von unmittelbar "Drittgeschädigten" besondere Voraussetzungen bezüglich der Beziehung zum Opfer, der Art der gesundheitlichen Schädigung und der Verursachung einer zu entschädigenden psychischen Beeinträchtigung von Krankheitswert erfüllt sein müssen und dass insoweit insbesondere eine besonders enge familiäre Beziehung zwischen (gezielt und direkt geschädigtem) "Opfer" und dem durch die Tat (unmittelbar) "Drittgeschädigten" sowie eine besonders schwerwiegende Straftat (etwa Mord und seine Begleitumstände) vorliegen müssen, die geeignet sind, eine psychische Traumatisierung auszulösen. Allerdings weicht der vorliegende Fall des Klägers unter wesentlichen Gesichtspunkten von dem zuletzt vom BSG 1997 im Rahmen der NZB zu beurteilenden Sachverhalt ab: Vorliegend ist ein Kind des Klägers auf grausame und entwürdigende Weise umgebracht worden sowie unter Umständen, die sich als besonders schwerwiegende Belastung für den Vater (besondere Verantwortlichkeit während der Abwesenheit der Mutter) darstellte; der Sohn des Klägers ist dabei nach einer für den Kläger extrem belastenden Zeit der Ungewissheit gestorben; die (wie noch auszuführen sein wird) mangelnde Unterstützung des Klägers bei der Aufarbeitung des Verbrechens und die daraus resultierende fortdauernde schwere psychische Belastung haben verhindert, dass der Kläger die Erschütterung durch den Tod des Sohnes und dessen Begleitumstände hat bewältigen können, weshalb bei ihm ein (nunmehr) chronifiziertes posttraumatisches Belastungssyndrom (PTBS) als schwerwiegende und dauerhafte psychische Beeinträchtigung von Krankheitswert ausgelöst worden ist.

Insoweit liegen auch - wie noch näher auszuführen ist - jedenfalls drei der vier vom BMAS im o. a. Rundschreiben (in dieser Form nicht vom BSG) geforderten Kriterien vor (1. Eltern/Kindverhältnis, 2. Schwere der Tat und - nach dem Gutachten von Prof. F. -. 3. eine posttraumatische Belastungsstörung). Soweit allerdings im Rundschreiben des BMAS vom 8. August 1996 gefordert wird, dass sämtliche der dort formulierten Kriterien (auch in der Art, wie sie dort formuliert werden - z.B.: "naher zeitlicher und örtlicher Zusammenhang") auch kumulativ sollen vorliegen müssen, ist der Senat durch diese Vorgaben nicht gebunden. Die Empfehlungen in einem solchen Rundschreiben mögen zwar die Versorgungsverwaltung des Beklagten binden, sie enthalten aber keine "authentische Interpretation" des OEG, an welche die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit gebunden werden könnten.

Die Formulierung der Kriterien steht darüber hinaus im Gegensatz zu der zwischenzeitlich aufgrund neuerer wissenschaftlicher Forschungen geänderten herrschenden Auffassung in den medizinischen (psychiatrischen) und klinisch-psychologischen Wissenschaften, was sich schon in dem (im Vorgriff auf die Neufassung der sog. "Anhaltspunkte - 1996" verfassten) Rundschreiben des BMAS vom 22. März 1995 (- VI 5 55463 - 3/3 - 55470 - 2 - in: BArBl. 1995, S. 58) abgezeichnet hat, und was nunmehr durch die Neufassung der so genannten "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht " (Hg.: BMAS, Bonn 1996 - "Anhaltspunkte - 1996" -) bei Nr. 70 und 71 deutlich und (in dem Maße, wie es die "Anhaltspunkte - 1996" selbst sind) auch verbindlich geworden ist. Dort ist eine völlige Neubezeichnung bzgl. der "Folgen psychischer Traumen" erfolgt (nicht mehr beschränkt auf die Folgen politischer Haft), die sich auch von der Ausschließlichkeitsvorstellung eines (immer nur in engem zeitlichen bzw. sogar auch noch örtlichem Zusammenhang gedachten) nur durch einen "Schock" ausgelösten Ursachenzusammenhangs entfernt hat und deshalb auch – längere - Latenzzeiten mit in Rechnung stellen kann (a.a.O., S. 251 f.). Diese Neuformulierung war, wie Prof. F. in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 23. August 1999 für den Senat überzeugend ausgeführt hat, durch jüngere Forschungsergebnisse und durch die Rezeption eines internationalen Forschungstandes unerlässlich geworden. Es handelt sich dabei auch nicht um ein nur vereinzelt in der Wissenschaft vertretenes Konzept sondern - entsprechend der Funktion der "Anhaltspunkte-1996" - um das Aufgreifen einer dominierend gewordenen Lehrmeinung (vgl. z.B. auch: K. Förster, "Neue Grundsätze für die Begutachtung psychischer Traumen", in: MEDSACH 92 - 1996 S. 25 ff. m.w.N. u.a. auf den von Ph. Saigh herausgegebenen Sammelband "Posttraumatische Belastungsstörung", Bern ua. 1995). Insoweit kann man (in Anlehnung an Th. S. Kuhn, "Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen", Frankfurt a.M. 1967 und mit der gebotenen Vorsicht) von einem "Paradigmawechsel" in der Beschreibung, Beurteilung und Bewertung der Folgen psychischer Traumen sprechen.

Diese Neufassung der "Anhaltspunkte - 1996" - die zwar für die Gerichte keine verbindlichen Rechtsnormen darstellen (BSG, Urteile vom 11. Oktober 1994 - 9 RVs 1/93 -, vom 21. Oktober 1998 - B 9 SB 46/98 B - und vom 1. September 1999 - B 9 V 25/08 R -; Beschluss des BVerfG in SozR 3-3870 § 3 Nr. 6), aber als "antizipierte Sachverständigengutachten" eine wichtige Orientierungsfunktion wahrnehmen und von denen nur begründet abgewichen werden sollte - ist zwar nach der Rechtsprechung des BSG erst ab dem von der Verwaltung (hier: dem BMAS) gewollten Zeitpunkt (1. Januar 1997) in Kraft gesetzt worden (BSG, Urteile vom 21. Oktober 1998 - B 9 SB 46/98 B - und vom 1. September 1999 - B 9 V 25/98 -). Für die Zeit davor allerdings sind die früher maßgeblichen "Anhaltspunkte - 1983" dann nicht mehr heranzuziehen, wenn sich zwischenzeitlich die maßgeblichen Auffassungen in den einschlägigen wissenschaftlichen Disziplinen geändert und diese Änderungen allgemeine Anerkennung gefunden haben. Dann sind diese neueren Erkenntnisse (die sich vorliegend auch in der Neufassung der "Anhaltspunkte - 1996" niedergeschlagen haben) bereits vorab und in Abweichung von den "alten" Anhaltspunkten zu berücksichtigen (BSG, Urt. vom 21. Oktober 1998, a.a.O.).

Unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechungsgrundsätze, welchen der Senat folgt, und neuerer Erkenntnisse in medizinischer Wissenschaft und klinischer Psychologie, wie sie in dem Gutachten von Prof. F. dargelegt werden, steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Kläger infolge des an seinem Sohn - begangenen Gewaltverbrechens eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat und jedenfalls seit Antragstellung im Januar 1992 an einem jetzt chronifizierten post- oder psychotraumatischen Belastungssyndrom (PTBS) leidet, und dass es sich hierbei um eine dauerhafte Gesundheitsstörung im Sinne des OEG/BVG handelt, die auch durch die Gewalttat am Sohn D. des Klägers (und die sie begleitenden Umstände) verursacht worden ist. Der Kläger ist selbst - unmittelbar - Geschädigter im Sinne des § 1 OEG, ohne dass es dafür erforderlich war, dass der Schädiger eine solche psychische Schädigung des Klägers wollte oder in sein Kalkül mit einbezogen hatte.

Dies steht zur Überzeugung des Senats fest aufgrund des Gutachtens von Prof. F. vom 23. Dezember 1998 sowie der ergänzenden Stellungnahmen vom 12. März 1999 und vom 23. August 1999 (unter Mitarbeit des Dipl. Psych. W.).

Die Anerkennung eines Anspruchs auf Versorgung nach versorgungsrechtlichen Grundsätzen, die entsprechend dem Verweis in § 1 Abs. 1 auch für das OEG gelten, setzt einen ursächlichen Zusammenhang zwischen einem schädigenden Vorgang (hier: der Gewalttat), der Gesundheitsstörung (hier: der Traumatisierung) und der (dauerhaften) Gesundheitsstörung (hier: Der psychotraumatischen Belastungsstörung in ihren Auswirkungen auf Erleben, Fühlen, Empfinden, Denken und Handeln etc.) voraus. Von dieser mehrgliedrigen Kausalkette muss jedes Glied für sich nachgewiesen sein und es muss ein kausaler Zusammenhang zwischen schädigendem Vorgang, der Gesundheitsschädigung und der Gesundheitsstörung gegeben sein (Wilke-Sailer, Soziales Entschädigungsrecht, 7. Aufl., § 1 OEG Rdz. 11; BSG, Urteil vom 07. Dezember 1983 - 9a RV 40/82 -). Während für den Nachweis jedes der Glieder der Kausalkette Gewissheit in dem Sinne bestehen muss, das an ihrem Vorliegen keine vernünftigen Zweifel (mehr) bestehen, genügt für die kausale Verknüpfung zwischen ihnen die Wahrscheinlichkeit: nach der vorherrschenden wissenschaftlichen Lehrmeinung muss mehr für als gegen den Kausalzusammenhang sprechen.

Unter Anerkennung dieser Grundsätze ist der Senat davon überzeugt, dass die Ermordung seines Sohnes D. beim Kläger eine psychische Traumatisierung zur Folge hatte, die er nicht (alleine) bewältigen konnte und die in Ermangelung entsprechender therapeutischer Hilfen nach einer langen Latenzzeit und nach dem "Verbrauch" von Kompensationsmöglichkeiten zu einem schweren, chronifizierten PTBS geführt hat. Der Sachverständige Prof. F. hat hierzu in seinem Gutachten vom 23. Dezember 1998 für den Senat einleuchtend und nachvollziehbar dargelegt, dass die traumatische Erfahrung als dynamischer Verlauf untersucht werden muss, wobei sich (analytisch und zeitlich) Phasen der traumatischen Situation, der traumatogenen Reaktion und des traumatischen Prozesses unterscheiden lassen. Diese Phasen sind intern aufeinander bezogen und gehen dynamisch auseinander hervor. Einer ersten Phase ("Schockphase"), welche bis zu einer Woche anhalten kann, folgt nach einiger Zeit eine "Einwirkungsphase", in der es häufig zu Selbstvorwürfen, Einschlafstörungen, Übererregbarkeit, Überwachheit, erhöhter Schreckhaftigkeit, zu Gedächtnisstörungen, Konzentrationsstörungen, Alpträumen und sog. "flashbacks" ("Rückblenden") kommt. Als dritte Phase schließt sich die Erholungsphase an, wobei, wenn diese - wie im Falle des Klägers - ausbleibt oder wenn sie immer wieder unterbrochen wird, dies dazu führt, dass eine dauerhafte erneute Traumatisierung auftritt, die schließlich - nach unter Umständen sehr langen Latenzzeiten - chronische Erschöpfungszustände verbunden mit Symptomen einer chronischen PTBS zur Folge hat.

Die Voraussetzungen für eine solche Entwicklung sind zur Überzeugung des Senats beim Kläger erfüllt. Sowohl in der Anamnese zu dem Gutachten von Med. Dir. M. und Dipl. Psych. J. W.) als auch im Gutachten von Prof. F. wird dargelegt, dass der Kläger - glaubhaft und widerspruchsfrei - von seiner eigenen Situation (und der seiner Familie) im direkten Nachgang zu der Straftat an seinem Sohn berichtet hat. Diese Feststellungen decken sich mit den Kriterien, welche der Sachverständige Prof. F. als maßgeblich für die sogenannte "Einwirkungsphase" umschrieben hat. Auch die für eine (schwere) Traumatisierung vorauszusetzenden weiteren Umstände (Eltern/Kind-Beziehung, Tathergang - sexuelle Misshandlung, Entstellung durch den "Sturz" aus dem dritten Stock -‚ besondere Verantwortlichkeit des Klägers wegen der Abwesenheit der Ehefrau) sind nach den Feststellungen im Tatbestand des Strafurteils des Landgerichts Frankfurt a.M. sowie nach den Schilderungen des Klägers anlässlich der Anamneseerhebung zur Überzeugung des Senats mit Gewissheit festgestellt worden.

Entgegen der in Rechtsprechung (vgl. zuletzt BSG, Beschluss vom 17. Dezember 1997) und Literatur (vgl. D. Heinz, ZfS 1999, S. 46 ff. m.w.N.) noch weit verbreiteten Ansicht lassen sich die (unmittelbaren) Folgen einer solchen Traumatisierung und ihrer langfristigen Auswirkungen heute nicht (mehr) auf die Vorstellung von einem "Schockschaden" reduzieren. Die neuere Traumaforschung hat, worauf der Senat durch die ergänzende Stellungnahme von Med. Dir. M. aufmerksam gemacht worden ist und wie dem Gutachten von Prof. F., der dort zitierten und weiterer Literatur (vgl. K. Förster, MEDSACH 1996, S. 25 ff. m.w.N.) sowie auch der Neufassung in den "Anhaltspunkten - 1996 (a.a.O., Nr. 71) entnommen werden kann, herausgearbeitet, dass die diagnostische Restkategorie "Schockschaden" (für den Fall einer nicht unmittelbar situationsbezogenen Kenntnisnahme) zu eng ist, um insgesamt traumatisierende Ereignisse und von diesen herrührende langfristige Folgen zu erfassen. Insoweit genügt die Unterscheidung zwischen einem "psychologischen Schock" (als starker seelischer Erschütterung durch ein plötzlich hereinbrechendes bedrohliches Ereignis, z.B. Unfall, Naturerscheinung; vgl. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch; 258. Aufl., S. 1427 zu II.), dem eine dauerhafte psychische Gesundheitsstörung folgt, einerseits und - andererseits - psychischen Beeinträchtigungen, die (bloß) aufgrund veränderter Lebensumstände nach einer Gewalttat eingetreten sind (und deshalb nicht als Gesundheitsstörungen nach dem OEG sollen anerkannt werden können), nicht mehr den Differenzierungen, welche die Psychotraumatologie vorzutragen in der Lage ist. Der Reduktion einer Anerkennung psychischer Traumen auf den "Schockschaden", der (alleine? - in engem zeitlichen und/oder örtlichem Zusammenhang?) durch das Überbringen der schlimmen "Nachricht" (etwa von der Ermordung eines nahen Angehörigen) ausgelöst wird, bedarf es selbst dann nicht, wenn man anerkennt, dass diese "Denkfigur" vor allem deshalb entwickelt wurde, um einer "uferlosen" Ausweitung der Kausalkette im sozialen Entschädigungsrecht entgegenzuwirken. Wie in dem Gutachten von Prof. F. und vor allem in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 12. März 1999 überzeugend dargelegt worden ist, sind die Voraussetzungen für die Diagnose (auch einer verzögerten) PTBS in den international anerkannten diagnostischen Manualen (sowohl lCD 10 als auch DSM III-R bzw. jetzt IV; vgl. hierzu auch K. Förster, a.a.O.) hinlänglich präzise, um eine - beliebige - Ausdehnung auf alle möglichen, im Nachgang zu belastenden Ereignissen auftretenden und die Psyche dauerhaft beeinträchtigenden, Gesundheitsstörungen aus zu schließen (soweit dies bei Th. Grobe, "Zur Beurteilung psychoreaktiver Störungen im sozialen Entschädigungsrecht", SGb 1999, S. 289 f., anders gesehen wird, kann der Senat dem nicht beipflichten; über eine Formulierung wie die, wonach "Klassifikationen wie ‚posttraumatische Belastungsstörung’ keine Diagnose darstellen, die den juristischen Begriff der Ursache im Sinne der Kausalitätslehre erfüllt" kann nicht diskutiert werden, wenn weder die sozialrechtliche Begrifflichkeit zutreffend verwendet noch auf die einschlägige Forschungsliteratur in der Psychotraumatologie Bezug genommen wird). Zu den Definitionsmerkmalen der in den Manualen umschriebenen Folgen schwerer psychischer Traumen gehören immer auch die Art und Schwere des Traumas, der situative Kontext der traumatisierenden Situation (Förster, a.a.O., S. 26) sowie die (sehr) enge persönliche Beziehung zu den bedrohten/geschädigten Personen ("a loved one" im anglo-amerikanischen Sprachgebrauch; Ehepartner, eigene Kinder, nahe Verwandte oder Freunde - vgl. Förster, a.a.O. S. 27 sowie Gutachten und ergänzende Stellungnahme von Prof. F. vom 12. März 1999, passim) und besondere Umstände der Tatausführung (ernsthafte Bedrohung oder Schädigung, Ermordung). Hingegen ist, anders als in der Kritik von Dr. H. am Gutachten von Prof. F. ausgeführt, (Augen-)Zeugenschaft gerade nicht zwingend erforderlich ("witnessing or learning of violance to a loved one", B.L. Green, 1993, zitiert nach der ergänzenden Stellungnahme von Prof. F. a.a.O.). Sowohl auf der "Entstehungsseite" als auch auf der "Folgenseite" enthalten die verfügbaren diagnostischen Manuale auch zur Überzeugung des Senats hinlänglich präzise und valide Kriterien, die - wenn eine Begutachtung durch einen entsprechend qualifizierten Sachverständigen erfolgt (der - entgegen Förster, a.a.O., S. 28 - heute nicht mehr zwingend ein Facharzt zu sein braucht) - auch geeignet sind, die Beweisanforderungen des versorgungsrechtlich maßgeblichen Kausalitätskonzeptes zu erfüllen.

Prof. F. hat beim Kläger die Diagnose einer PTBS - im Hinblick auf ihre Entstehung und Ausprägung unter Verweis auf die international anerkannten medizinisch/klinisch-psychologischen diagnostischen Manuale (lCD 10 und DSM III-R bzw. IV; vgl. auch K. Förster, a.a.O., S. 27) anhand von sorgfältiger Anamneseerhebung, Befundschilderung und unter Diskussion des theoretischen Bezugsrahmens sowie der ihm vorliegenden empirischen Forschungsergebnisse überzeugend und für den Senat nachvollziehbar herausgearbeitet. Er hat die beim Kläger vorgefundenen Symptome einer Persönlichkeitsänderung (Depressivität, Motivationsverlust, Gefühle von Sinnlosigkeit und Entfremdung) sorgfältig im Kontext diskutiert und dem zentralen Störungsbild eines PTBS zugeordnet sowie gegenüber anderen denkbaren Krankheitsbildern abgegrenzt. Insbesondere hat er ausdrücklich das Vorliegen einer so genannten "Begehrensneurose" (kritisch zu diesbezüglichen Vorurteilen schon die Habilitationsschrift von K. Förster, "Neurotische Rentenbewerber", 1984) ausgeschlossen und die durch die Traumatisierung verursachten gesundheitlichen Beeinträchtigungen gegenüber anderen Einflussfaktoren und primärpersönlichen Dispositionen abgegrenzt.

Beweiswert und die Überzeugungskraft des Gutachtens von Prof. F. werden insbesondere auch nicht durch die Vorbegutachtung der Sachverständigen M./J. W. gemindert. Prof. F. hat auf die diesbezügliche - zunächst auch berechtigte - Kritik von Dr. H. in der ergänzenden Stellungnahme vom 12. März 1999 ausgeführt, dass - obwohl sich in dem Gutachten von Med. Dir. M. Hinweise auf Beeinträchtigungen des Klägers finden lassen - dieser Sachverständige im Kern davon ausgegangen sei, dass es keine verzögert auftretende PTBS gebe bzw. dass sich eine solche nicht schlüssig in einen Zusammenhang mit dem (traumatisierenden) Vorfall einreihen lasse und insbesondere ein Kausalnachweis nicht möglich sei. Beide Annahmen sieht der Sachverständige Prof. F. durch die Ausführungen in seinem Gutachten als widerlegt an. Der Senat teilt diese Einschätzung aufgrund eigener Überzeugungsbildung: Obwohl sich in der eigenen Exploration durch den Sachverständigen M. wie in der durch Dipl. Psych. J. W. Hinweise auf Beeinträchtigungen (massive Schlafstörungen, innere Unruhe, Nervosität, depressive Verstimmungen) und auf eine unzureichende Verarbeitung des seinerzeit 14 Jahre zurückliegenden Verbrechens am Sohn finden, konnten diese, wie Prof.: F. kritisiert hat, nicht dem zentralen Störungsbild zugeordnet werden. Gegenüber dem Gutachten von Dipl. Psych. J. W. hat Prof. F. eingewandt, dass die von dieser getroffene Auswahl von Testverfahren nicht geeignet war, die Fragestellung nach dem Vorliegen einer PTBS zu klären, da diese Tests von ihrem Validitätsprofil her die Beantwortung der an die Sachverständigen gerichteten Fragen nicht zugelassen hätten, weil keines der Verfahren Skalen oder Kriterien enthält, die. für die PTBS spezifisch sind.

Das Gutachten von Prof. F. ist hingegen sowohl auf der Grundlage einer intensiveren Exploration (die - im Unterschied zu den Vorgutachtern - auch Träume des Klägers mit einbezogen hat) und einer umfassenden, speziell für Fragen der Folgen psychischer Traume entwickelten Testreihe ausgearbeitet worden. Prof. F. hat Entstehung und (dynamischen) Verlauf des ereignistypischen traumatisierenden Prozesses (vgl. den Literaturhinweis auf Post et. al.) in der ergänzenden Stellungnahme vom 12. März 1999 rekonstruiert und sich dabei auch eines projektiven Testverfahrens (Rorschach-Untersuchung mit standardisierter Auswertung) bedient. Er hat sowohl bezüglich der Zeit im unmittelbaren Anschluss an den Mord, wie auch im "Längsschnitt" des langjährigen Verlaufs und in Bezug auf das aktuelle Erleben des Klägers, eine Fülle von Details herausgearbeitet, die sich - gleichsam wie bei einem Mosaik - in das Bild einer nach langer Latenzzeit verzögert auftretenden PTBS einfügen lassen. Hierbei ist nicht nur deutlich geworden, dass in den Umständen der Tat (entwürdigende Umstände der Ermordung, die Entstellung des tödlich Verletzten) und der besonderen Bedeutung, die sie für den Kläger hatte (wegen der Abwesenheit seiner Ehefrau), sowie bzgl. weiterer Begleitumstände (z.B. Besichtigung des Tatorts) hinlänglich Anhaltspunkte für eine schwere Traumatisierung des Klägers durch das Ereignis nachweisbar sind, welche die Kriterien für die Entstehung einer PTBS erfüllen. Prof. FI. hat auch herausgearbeitet, dass dem Kläger seinerzeit nicht geholfen worden ist und dass er (unter anderem deshalb) keine Möglichkeit zu einer angemesseneren Verarbeitung des Mordgeschehens hatte. Gerade der Umstand, dass der Kläger die ganze Verantwortung für die Familie zu übernehmen hatte und dabei "funktionierte" und dies auch musste (was den Gutachtern M./J. W. als Beleg für. die psychische Gesundheit des Klägers diente), erweist sich vor dem Hintergrund des theoretisch und empirisch anders abgesicherten Konzepts, das Prof. F. ausgearbeitet und dargelegt hat, als Beleg für die Ausprägung einer - zunächst lange Zeit latenten - schwerwiegenden psychischen Beeinträchtigung. Zu dieser gehört, dass das Erleben selbst 15 Jahre nach der Straftat noch in einem solchen Umfang durch das traumatisierende Ereignis bestimmt ist, dass der Kläger in einen starken Erregungszustand gerät, wenn davon die Rede ist, und von dem traumatisierenden Ereignis immer wieder "eingeholt" wird, es also in einer Weise erlebt, die nicht durch eine angemessene Trauerarbeit gemildert worden ist. Prof. F. hat auch einleuchtend und überzeugend dargelegt, weshalb der Kläger (erst) im Jahre 1992 an einem Punkt angekommen war, an dem er die fortdauernde psycho-traumatisierende Belastung nicht mehr alleine kompensieren konnte.

Der Senat hält auch die auf gezielte Nachfrage erfolgten Ausführungen des Sachverständigen Prof. F. (ergänzende Stellungnahmen vom 12. März und 23. August 1999) zu Fragen des ursächlichen Zusammenhangs von Traumatisierung und Entstehung der chronifizierten PTBS für überzeugend. Hierzu haben Prof. F., Dipl. Psych. W. unter Hinweis auf die einschlägige Literatur (sowohl des deutschsprachigen als auch des anglo-amerikanischen Sprachraums) detailliert ausgeführt, inwieweit die eingesetzten Testverfahren ausreichend valide sind, um die Kausalitätsfrage auch in Abgrenzung zu anderen Einflussfaktoren (familiäre Belastung etc.) und solchen der Primärpersönlichkeit zu beantworten. Angesichts der großen Zahl der eingesetzten Verfahren und ihrer - jedenfalls in der Zielrichtung der Interpretation - übereinstimmenden Ergebnisse hält der Senat die für den Kausalzusammenhang ausreichende Wahrscheinlichkeit für gegeben: nach dem versorgungsrechtlich maßgeblichen Kausalitätskonzept der "wesentlich mitwirkenden Ursache" steht auf Grund der Ausführungen im Gutachten von Prof. F. und insbesondere in der ergänzenden Stellungnahme vom 28. August 1999 zur Überzeugung des Senats fest, dass die Ermordung des Sohnes D. der einzige (jedenfalls aber der wesentlich mitwirkende) Faktor für Entstehung und Ausprägung der beim Kläger jetzt festgestellten psychischen Beeinträchtigung von Krankheitswert ist. Die Mordtat kann nicht hinweggedacht werden, ohne dass der "Erfolg" - die dauerhafte und schwerwiegende psychische Beeinträchtigung des Klägers - entfiele.

Wie der Sachverständige Prof. F. auch ausgeführt hat, bedarf es trotz der langen Latenzzeit bis zum Versagen der Kompensationsmöglichkeiten beim Kläger nicht des Nachweises von und durch Brückensymptome(n). Zwar sind Hinweise auf eine psychische Beeinträchtigung von Krankheitswert erst 1992/1993 beschrieben und fachärztlich behandelt worden (Gutachten Dr. R. für die LVA Hessen vom 23. Januar 1992 und Behandlungsbeginn bei Dr. H. im August 1993, Berichte vom 20. April und 23. September 1994). Alleine die Tatsache, dass der Kläger in den Jahren nach der Ermordung des Sohnes sich nicht bereits in fachärztliche Behandlung begeben hat, rechtfertigt nicht die Annahme, dass er in dieser Zeit nicht bereits unter den Folgen des traumatisierenden Ereignisses gelitten hat und seinem, auch von den Sachverständigen übereinstimmend beschriebenen, ausgeprägten Verantwortungs- und Pflichtbewusstsein entsprechend - dennoch versucht hat, seinen Alltag und den seiner belastenden und belasteten Familie zu bewältigen. Die den Kläger langjährig betreuende praktische Ärztin Dr. S. hat jedenfalls im Rahmen ihrer Möglichkeiten Hinweise auf eine psychische Beeinträchtigung des Klägers bestätigt (Attest vom 10. April 1992). Es ist - jedenfalls seit dem Bericht der "Psychiatrie-Enquete-Kommission" im Jahre 1975 (,‚Bericht über die Lage der Psychiatrie in der Bundesrepublik Deutschland - Zur psychiatrischen und psychotherapeutisch/psychosomatischen Versorgung der Bevölkerung" - BT-Drucks. 7/4200) allgemeinkundig, dass es bis weit in die 1980er Jahre hinein wesentliche Mängel bei der Versorgung psychisch beeinträchtigter Patienten auch im ambulanten Bereich gegeben hat, und dass von den (geschätzten) 10 bis 20% der Patenten praktischer Ärzte, die an irgendeiner psychischen Störung, Krankheit oder Behinderung leiden, die meisten nicht angemessen behandelt bzw. weiterverwiesen worden sind (a.a.O., S. 9). Dieser Zustand hatte sich auch bis zum November 1988 (Vorlage des Berichts der Expertenkommission der Bundesregierung, vgl. BT-Drucks. 11/8494 und BKK 1989, S. 527 ff.) noch nicht generell verbessert. Vor diesem Hintergrund ist nachvollziehbar, dass der Kläger erst ab 1993 in fachärztlicher psychiatrischer Behandlung war, als seine eigenen Kompensationsmöglichkeiten, worauf Prof. F. hingewiesen hat, aufgebraucht waren, und ihm eine Rente von der LVA bewilligt werden musste.

Die nach dem Gutachten von Prof. F. festgestellten dauerhaften psychischen Beeinträchtigungen durch das PTBS wirken sich beim Kläger auch derart schwerwiegend aus, dass sie mit einer MdE von 50 v.H. ab Antragstellung, wie Prof. F. zur Überzeugung des Senats zutreffend ausgeführt hat, zu bewerten sind. Nach § 1 OEG in Verbindung mit § 30 BVG ist, wenn das Bestehen einer Gesundheitsstörung als Folge einer Gewalttat festgestellt worden ist, die Minderung der Erwerbsfähigkeit nach der körperlichen und geistigen Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben zu beurteilen; dabei sind seelische Begleiterscheinungen und Schmerzen zu berücksichtigen. Für die Beurteilung ist maßgebend, um wie viel die Befähigung zur üblichen auf Erwerb gerichteten Arbeit und deren Ausnutzung im wirtschaftlichen Leben durch die als Folgen einer Schädigung anerkannten Gesundheitsstörungen beeinträchtigt ist.

Zur Bewertung des Grades der MdE wird auf die im sozialen Entschädigungsrecht von der Verwaltung allgemein anerkannten "Anhaltspunkte - 1983" bzw. "Anhaltspunkte - 1996" Bezug genommen, die das BMAS herausgibt. Diese sind zwar für die Gerichte nicht bindend, werden aber, wie oben dargelegt, aus Gründen der Gleichbehandlung in aller Regel auch herangezogen; Abweichungen sind möglich, aber im einzelnen zu begründen. Maßgeblich sind nach der neueren Rechtsprechung des BSG (wie oben ausgeführt) bis Ende 1996 noch die "alten" Anhaltspunkte. Da sich aber im Bezug auf die Beurteilung und Bewertung der Folgen psychischer Traumen, wie auch Prof. F. ausgeführt hat, bereits vor dem Inkraftsetzen der "Anhaltspunkte - 1996" zum 1. Januar 1997 eine Änderung in der Auffassung der maßgeblichen medizinischen Fachkreise ergeben hatte, kommt es nunmehr entscheidungserheblich auf die (neuen) "Anhaltpunkte - 1996" an. Hierzu hat Prof. F. unter Bezugnahme auf die ("alten" und "neuen" Anhaltspunkte) jeweils ausgeführt, dass beim Kläger seit der Antragstellung im Jahre 1992 jedenfalls von einer schweren Störung mit mittelgradigen sozialen Anpassungsstörungen ausgegangen werden muss, die nach den "Anhaltspunkten - 1996" (S. 60/61) mit einer MdE von 50 v. H. zu bewerten ist.

Da beim Kläger zu Überzeugung des Senats eine PTBS als Folge der Gewalttat gegenüber seinem Sohn mit einer MdE von 50 v.H. festzustellen war, hat er auch Anspruch auf Versorgung (§ 30 BVG), weshalb das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt a.M. aufgehoben werden musste und der Beklagte dem Grunde nach (§ 130 SGG) zu verurteilen war, dem Kläger Versorgung zu gewähren.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe im Sinne des § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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