L 6 SF 9/19 EK AS

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungsklage bei überlanger Verfahrensdauer
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 6 SF 9/19 EK AS
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 10 ÜG 4/20 BH
Datum
Kategorie
Urteil

I.    Die Klage wird abgewiesen.

II.    Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

III.    Die Revision wird nicht zugelassen.

IV.    Der Streitwert wird auf 1.200,- Euro festgesetzt. 

Tatbestand

Der Kläger macht einen Anspruch auf Entschädigung in Geld wegen der nach seiner Auffassung unangemessenen Dauer des vor dem Sozialgericht Marburg unter dem Aktenzeichen S 8/5 AS 118/12 geführten Verfahrens geltend.

Das Ausgangsverfahren betraf nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch   Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) zu übernehmende Aufwendungen für eine Einzugsrenovierung und hatte folgenden Hintergrund: Der im Oktober 1970 geborene Kläger, der seit dem 1. Januar 2005 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende von dem Beigeladenen erhält, befand sich 2011 auf Wohnungssuche. Er beantragte in diesem Zusammenhang mit Schreiben vom 2. November 2011 bei dem Beigeladenen Leistungen für eine Wohnungserstausstattung und die Übernahme von Aufwendungen für die Einzugsrenovierung für eine „D-Straße“ in A-Stadt gelegene Wohnung, von deren alsbaldigen Bezug durch den Kläger er selbst und der Beigeladene zu diesem Zeitpunkt ausgingen. Der Beigeladene bewilligte ihm daraufhin mit Bescheid vom 8. November 2011 einen Betrag von 372,- Euro für die Wohnungserstausstattung. Der Kläger erhob mit Schreiben vom 13. November 2011 Widerspruch gegen diesen Bescheid und erinnerte mit einem weiteren Schreiben vom 5. Dezember 2011 daran, dass er auch die Übernahme der Kosten für eine Einzugsrenovierung beantragt habe. Der Beigeladene informierte ihn daraufhin mit Schreiben vom 6. Dezember 2011 über die Voraussetzungen für die Übernahme entsprechender Aufwendungen. Der Kläger legte Widerspruch gegen die nach seiner Auffassung mit diesem Schreiben zum Ausdruck gebrachte Ablehnung der beantragten Kostenübernahme ein. Der Beigeladene wies diesen durch Widerspruchsbescheid vom 21. März 2012 als unzulässig zurück, da das Schreiben vom 6. Dezember 2011 kein Verwaltungsakt gewesen sei, sondern lediglich Erläuterungen und Hinweise zu einer möglichen Gewährung von Leistungen für Renovierungskosten enthalten habe.

Unterdessen war der Kläger – am 1. Dezember 2011 – in eine andere, die von ihm noch heute bewohnte Wohnung umgezogen. Dennoch erhob er am 30. April 2012 im Ausgangsverfahren Klage unter Bezeichnung des Klagegegenstandes als „Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben und in der Gemeinschaft“ und mit dem Antrag, den Bescheid des Beigeladenen vom 6. Dezember 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. März 2012 aufzuheben und diesen zu verpflichten, „die notwendigen Sozialleistungen zukünftig zu erbringen, und festzustellen, dass die Bescheide in die Rechte des Klägers eingreifen“. Die Begründung beschränkte sich auf folgende Ausführungen: „Die Klage ist zulässig und begründet. Mit dem angegriffenen Widerspruchsbescheid ist das Vorverfahren beendet. Der Kläger ist, wie es bei dem Beklagten üblich ist, nicht vor Erlass der Bescheide gehört worden. Bei dem Widerspruchsbescheid verhält es sich gleich. Weiterer Vortrag folgt.“ 

Das Ausgangsverfahren entwickelte sich sodann wie folgt: Der Beigeladene beantragte mit Eingang bei Gericht am 3. Juli 2012 die Abweisung der Klage. Unter dem 23. Juli 2013 wies das Sozialgericht auf Bedenken hinsichtlich der Zulässigkeit der Klage hin und fragte an, ob die Beteiligten mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung oder durch Gerichtsbescheid einverstanden seien. Unter dem 4. September 2013 vermerkte die Kammervorsitzende, dass der Kläger in anderen Verfahren wegen des Todes seines Vaters um Verlängerung dort laufender Fristen gebeten habe; deswegen werde von einer Erinnerung an die Beantwortung des Schreibens vom 23. Juli 2013 zunächst abgesehen. Mit Schreiben vom 5. September 2013 übermittelte das Gericht sodann die zwischenzeitlich eingegangene Erklärung des Beigeladenen, er sei mit einem Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden, an den Kläger und erinnerte diesen, nachdem er sich weiterhin nicht geäußert hatte, am 22. Oktober 2013 an die seinerseits ausstehende Äußerung.

Nach Kammerwechsel – der Kläger hatte sich weiterhin nicht gemeldet – hörte das Gericht die Beteiligten mit Schreiben vom 27. Juni 2014 zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid an. Der Kläger wandte sich mit Schreiben vom 28. Juli 2014 gegen diese Absicht und erhob gleichzeitig Verzögerungsrüge; zudem stellte er einen Antrag auf Einsicht in die Gerichts- und Verwaltungsakten. Das Sozialgericht bat daraufhin das Landessozialgericht um Übersendung der Verwaltungsakten, die sich nach telefonischer Auskunft des Bundessozialgerichts, an welches das Sozialgericht die Akten zuvor (in einem Parallelverfahren) abgegeben hatte, inzwischen dort befinden mussten. Sodann fragte es, nachdem die Akten bis dahin nicht eingegangen waren, am 15. August 2014 bei dem Kläger an, ob dieser – unter „Aufgabe der Verzögerungsrüge“ – damit einverstanden sei, dass das Ausgangsverfahren ruhe, bis das Landessozialgericht über die dort anhängigen Verfahren entschieden habe. Der Kläger reagierte weder auf dieses Schreiben noch auf Erinnerungen unter dem 6. Oktober 2014, dem 12. November 2014 und dem 22. Dezember 2014. Das Gericht wies sodann mit Schreiben vom 22. Dezember 2015 auf Bedenken hinsichtlich der Einhaltung der Klagefrist und – erneut – auf seine Absicht hin, durch Gerichtsbescheid zu entscheiden. Der Kläger widersprach den Bedenken hinsichtlich der Zulässigkeit der Klage durch Schreiben vom 18. Januar 2016 und erhob dabei erneut Verzögerungsrüge.

Das Sozialgericht hat sodann die Klage durch Gerichtsbescheid vom 20. Januar 2016 abgewiesen. Die Klage sei bereits verfristet. Der Feststellungsantrag des Klägers sei unzulässig, da der Kläger sein Begehr mit einer kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage erreichen könne. 

Die – nach Zustellung des Gerichtsbescheids am 25. Januar 2016 – vom Kläger mit Eingang am 25. Februar 2016 beim Sozialgericht eingelegte und trotz entsprechender Ankündigung nicht begründete Berufung wies das Landessozialgericht – nach Ablehnung eines am Terminstag angebrachten Befangenheitsgesuchs – durch Urteil vom 17. Februar 2017 zurück. Die Klage sei zwar nicht verspätet, der Verpflichtungsantrag sei jedoch nicht hinreichend bestimmt. Der Feststellungsantrag sei wegen des fehlenden Feststellungsinteresses beziehungsweise Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. Bei dem Schreiben vom 6. Dezember 2011 handele es sich mangels Regelungswirkung um keinen Verwaltungsakt, wie der Beigeladene in seinem Widerspruchsbescheid zutreffend ausgeführt habe. Wenn dies anders wäre, hätte er sich im Übrigen noch vor der Entscheidung des Sozialgerichts erledigt. Ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse könne der Senat nicht bejahen, insbesondere seien keine Anhaltspunkte für eine konkrete Wiederholungsgefahr gegeben. Die Zustellung des Urteils erfolgte am 7. April 2017. Ein vom Kläger gestellter Antrag auf Prozesskostenhilfe für die Durchführung eines Beschwerdeverfahrens wegen der Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts blieb erfolglos (Beschluss des Bundessozialgerichts vom 23. Oktober 2017 – B 4 AS 49/17 BH u.a. –, juris).

Der Kläger hat am 7. November 2017 einen isolierten Antrag auf Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Entschädigungsklage wegen der nach seiner Auffassung unangemessenen Dauer des Ausgangsverfahrens gestellt, dem der Senat durch Beschluss vom 5. April 2019 – L 6 SF 58/17 PKH – entsprochen hat. Der Kläger hat daraufhin – nach Zustellung des Beschlusses am 13. April 2019 – am 26. April 2019 die angekündigte Entschädigungsklage erhoben und beantragt, ihm wegen der versäumten Klagefrist aus § 198 Abs. 5 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Zur Begründung hat er insbesondere ausgeführt, die Dauer des Ausgangsverfahrens habe knapp vier Jahre betragen. Da es sich um einen einfach gelagerten Sachverhalt gehandelt habe, sei eine maximale Verfahrensdauer von einem Jahr angemessen gewesen. Auch der mehrfache Dezernatswechsel beim Sozialgericht könne die Verfahrensverzögerungen nicht rechtfertigen. Insofern sei eine Verzögerung von 36 Monaten festzustellen, die für die Bemessung der Entschädigung maßgeblich sein müsse, auch wenn er als Mindestentschädigungsbetrag nur 1.200,- Euro geltend mache. 

Dem Vorbringen des Beklagten ist er entgegengetreten: Die Errechnung einer durchschnittlichen Verfahrensdauer über mehrere Instanzen hinweg sei nicht zulässig. Weiter unterscheide § 198 GVG als Ausprägung des Rechtsstaatsgebotes nicht zwischen „guten“ und „schlechten“ Klägern. Wenn er eine Vielzahl von Klagen erhebe, so sei dies sein gutes Recht. Außerdem sei die Durchführung des Ausgangsverfahrens trotz des Umzugs in einer anderen Wohnung notwendig gewesen, um durch entsprechende Feststellungen zu klären, welche Rechte ihm bei der Wohnungssuche zuständen, umso mehr als er wegen der fortdauernden Verweigerungshaltung des Beigeladenen nunmehr seit Jahren in einer unrenovierten Wohnung leben müsse. 

Zum Zeitpunkt der Erhebung der Verzögerungsrüge unmittelbar nach der Anhörung zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid hat er insbesondere ausgeführt, ihm sei zu diesem Zeitpunkt klargeworden, dass das Ausgangsverfahren überlang geworden sei. Auch habe sich die höchstrichterliche Rechtsprechung zu den Entschädigungsklagen erst entwickelt und im Jahr 2014 seien wichtige Entscheidungen des Bundessozialgerichts ergangen, die er abgewartet habe. Zudem sei ihm vor dem Hintergrund, dass im Jahre 2014 die Übergangsregelungen bei Inkrafttreten des Gesetzes für die Entschädigung überlanger Verfahren keine Relevanz mehr gehabt hätten, die Erhebung einer Verzögerungsrüge vorher auch nicht besonders eilbedürftig erschienen.

Er beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, ihm wegen der unangemessenen Dauer des Verfahrens vor dem Sozialgericht Marburg zum Aktenzeichen S 8/5 AS 118/12 eine Entschädigung in Höhe von mindestens 1.200,- Euro nebst fünf Prozent Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er verweist zur Begründung namentlich darauf, dass es an einer wirksamen Verzögerungsrüge fehle und das Ausgangsverfahren nicht unangemessen lange gedauert habe. Hierfür müsse das gesamte Verfahren von der Klageerhebung bis zum rechtskräftigen Abschluss (§ 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG) in den Blick genommen werden. Dies habe zwar knapp 5 ½ Jahre gedauert, was jedoch, verteilt auf drei Instanzen, nicht per se als außergewöhnlich lang angesehen werden könne. Zum anderen lasse der Kläger außer Acht, dass er selbst das Ausgangsverfahren nicht einmal ansatzweise vorangebracht habe: Weder habe er trotz entsprechender Ankündigung die Klage weiter begründet noch die ihm gewährte Akteneinsicht genommen, sondern er habe auf beinahe jede prozessleitende Verfügung mit Untätigkeit reagiert. Sein Verhalten lasse objektiv betrachtet den Schluss zu, dass er selbst kein großes Interesse am Verfahrensfortgang gehabt habe, so dass das Sozialgericht durchaus berechtigt gewesen sei, die Bearbeitung des Ausgangsverfahrens – auch im Interesse anderer Rechtsschutzsuchender – zurückzustellen. Das gelte nur umso mehr, als es sich bei dem Entschädigungskläger um einen Vielkläger handele, der die hessische Sozialgerichtsbarkeit seit Jahren mit einer Vielzahl von – zum Teil unnötigen – Klagen und Verfahren überhäufe. Letztlich gehe es ihm vornehmlich darum, sozialgerichtliche Verfahren um ihrer selbst willen beziehungsweise deshalb zu führen, um anschließend eine Entschädigung wegen vermeintlich überlanger Verfahrensdauer zu erstreiten. Nicht anders sei es zu erklären, dass der Kläger – nachdem er mehr als zwei Jahre auf keines der richterlichen Schreiben reagiert gehabt habe – auf die Anhörung zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid sogleich Verzögerungsrüge erhoben habe, die zu diesem Zeitpunkt ihrer Warn- und Beschleunigungsfunktion nicht habe gerecht werden können und als missbräuchlich anzusehen sei. Dabei müssten das hiesige Verfahren und die vom Senat am gleichen Tag verhandelten weiteren Entschädigungsklageverfahren auf Grund ihrer Vergleichbarkeit zusammen betrachtet werden.

Der Senat hat durch Beschluss vom 19. September 2019 den Träger der Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende und Beklagten des Ausgangsverfahrens auf der Grundlage von § 75 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zum Verfahren beigeladen. Dieser hat darauf hingewiesen, dass der Kläger wegen der mit der von ihm bis heute bewohnten Wohnung zusammenhängenden Bedarfe eigenständige Verfahren geführt habe, so dass es für die Durchführung des Ausgangsverfahrens keinen Grund gegeben habe. Einen Antrag zum Entschädigungsklageverfahren hat der Beigeladene nicht gestellt.

Der Senat hat weiter eine Auskunft des Direktors des Sozialgerichts Marburg wegen der dort vom Kläger geführten Verfahren eingeholt. Wegen der Antwort wird auf dessen Schreiben vom 12. November 2019 (Bl. 40 ff. der Gerichtsakten) Bezug genommen.

Zum weiteren Vorbringen der Beteiligten sowie zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze sowie auf den Inhalt der Gerichtsakten – auch zu den Parallelverfahren L 6 SF 6/19 EK AS, L 6 SF 7/19 EK AS und L 6 SF 8/19 EK AS – sowie der beigezogenen Akten, insbesondere der Ausgangsverfahren, verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Entschädigungsklage ist unbegründet. Dem Kläger steht der allein geltend gemachte Entschädigungsanspruch in Geld wegen der von ihm behaupteten unangemessenen Dauer des Ausgangsverfahrens nicht zu.

I. Gegenstand des Verfahrens ist nur der Entschädigungsanspruch in Geld aus § 202 Satz 2 SGG in Verbindung mit § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG, nicht dagegen der sogenannte „kleine“ Entschädigungsanspruch, also die Feststellung der Unangemessenheit der Verfahrensdauer (§ 202 Satz 2 SGG i.V.m. § 198 Abs. 4 Satz 1 GVG). Dieser muss zwar nicht separat beantragt werden (§ 202 Satz 2 SGG i.V.m. § 198 Abs. 4 Satz 2 GVG); das Gesetz geht vielmehr (auch in der besonderen Kostenvorschrift des § 201 Abs. 4 GVG) davon aus, dass es sich um ein wesensgleiches Minus zu dem mit der Leistungsklage verfolgten Zahlungsanspruch handelt (vgl. B. Schmidt, in: Meyer-Ladewig u.a., SGG – Kommentar, 13. Aufl. 2020, § 202 Rn. 26a). Der Kläger hat jedoch in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich erklärt, dass die Feststellung der Überlänge des Verfahrens nicht geltend gemacht werde. Dies steht ihm im Rahmen des auch das sozialgerichtliche Verfahren beherrschenden Dispositionsgrundsatzes frei, so dass der Senat hierüber nicht zu entscheiden hat.

II. Die Klage ist zulässig. Die auf Entschädigung in Geld gerichtete Klage ist als reine Leistungsklage statthaft. Der Kläger hat zudem die Wartefrist aus (§ 202 Satz 2 SGG i.V.m.) § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG eingehalten. Das Landessozialgericht ist   erstinstanzlich   für die Entscheidung zuständig (§ 202 Satz 2 SGG i.V.m. § 201 Abs. 1 Satz 1 GVG).

III. Die Klage ist jedoch nicht begründet. 

1. Das folgt allerdingt nicht bereits aus der Fristenregelung aus (§ 202 Satz 2 SGG i.V.m.) § 198 Abs. 5 Satz 2 GVG, die eine Erhebung der Entschädigungsklage spätestens sechs Monate nach Abschluss des Ausgangsverfahrens vorsieht. Der Kläger hat zwar diese Frist nicht eingehalten; wegen des von ihm rechtzeitig gestellten Antrags auf Prozesskostenhilfe und der unverzüglichen Klageerhebung nach deren Bewilligung ist die mit dem Verstreichen der Frist in der Regel verbundene Verwirkung jedoch nicht eingetreten; über den Wiedereinsetzungsantrag muss der Senat daher nicht entscheiden, weil der Kläger der Wiedereinsetzung nicht bedarf (vgl. zu alledem ausführlich das Urteil des Senats vom heutigen Tage im Verfahren L 6 SF 8/19 EK AS).

2. Es fehlt jedoch an der wirksamen Erhebung einer Verzögerungsrüge.

Entschädigung in Geld erhält ein Verfahrensbeteiligter nach (§ 202 Satz 2 SGG i.V.m.) § 198 Abs. 3 Satz 1 GVG nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Dieser kommt Warn- und Beschleunigungsfunktion zu (vgl. BT-Drucks. 17/3802 S. 20; B. Schmidt, in: Meyer-Ladewig u.a., SGG – Kommentar, 13. Aufl. 2020, § 202 Rn. 28). Sie dient damit dem Primärrechtsschutz, soll dem Betroffenen also helfen, sein – vom Gesetzgeber unterstelltes – Ziel, ihm Rechtsschutz in angemessener Zeit zu verschaffen, als solches zu realisieren. Zugleich soll ein sogenanntes „Dulde und liquidiere“ ausgeschlossen werden; dahinter steht die Erwägung, dass es einem Verfahrensbeteiligten nicht ermöglicht werden soll, einem Prozess seinen Lauf zu lassen und im Nachhinein Entschädigung zu verlangen, ohne zuvor dem Gericht gegenüber kenntlich zu machen, dass nach seiner Auffassung eine überlange Verfahrensdauer droht (vgl. ähnl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 4. Dezember 2013 – L 11 SF 398/13 EK AS –, juris, Rn. 22).

Vor diesem Hintergrund ist der Senat der Auffassung, dass die Verzögerungsrüge im hiesigen Ausgangsverfahren zweckwidrig erhoben worden und daher als rechtsmissbräuchlich zu qualifizieren ist. Das dürfte zwar nicht bereits dann der Fall sein, wenn der Beteiligte über längere Zeit passiv den fehlenden Fortgang des Verfahrens hinnimmt und dann „plötzlich“ Verzögerungsrüge erhebt, regelmäßig aber dann, wenn er die Verzögerungsrüge gar nicht ihrem Zweck entsprechend nutzt, sondern mit ihr zuwartet, bis ein baldiger Verfahrensabschluss – auch ohne Verzögerungsrüge – sich abzeichnet, und also davon auszugehen ist, dass er sein Verhalten an dem Ziel orientiert, eine möglichst hohe Entschädigungssumme zu erhalten (vgl. ähnl. LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 27. April 2017 – L 15 SF 18/16 EK AS –, juris, Rn. 15). 

Davon ist vorliegend auszugehen: Der Kläger hat, nachdem er sich zuvor monatelang nicht zu dem Verfahren geäußert hatte, Verzögerungsrüge unmittelbar als Reaktion auf eine ihm vom Sozialgericht übermittelte Anhörung zum Gerichtsbescheid erhoben, also zu einem Zeitpunkt, zu dem er „befürchten“ musste, dass das Gericht alsbald eine Entscheidung treffen würde. Schon dies legt eine zweckwidrige Erhebung nahe. Zusätzliche Hinweise in diese Richtung ergeben sich aus dem Umstand, dass der Kläger (erst) die Verzögerungsrüge mit einem Antrag auf Akteneinsicht verbunden hat. Das ist allein zwar sicherlich kein belastbarer Hinweis auf eine rechtsmissbräuchliche Rüge, wohl aber dann, wenn der Beteiligte die – ihm vom Gericht umstandslos gewährte – Akteneinsicht anschließend gar nicht wahrnimmt. Zur Überzeugung des Senats von einer allein mit Blick auf die Realisierung eines möglichst hohen Entschädigungsanspruchs erhobenen Verzögerungsrüge verdichten sich diese Hinweise dadurch, dass der Kläger das Verfahren selbst nicht ansatzweise gefördert hat: So hat er sich auf Anfragen des Gerichts und Erinnerungen hierzu ganz überwiegend verschwiegen, im konkreten Fall namentlich auf die Anfragen, zunächst ob er mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung oder durch Gerichtsbescheid, später ob er mit einer vorrangigen Entscheidung der beim Landessozialgericht anhängigen Verfahren einverstanden sei, und auf den Hinweis des Sozialgerichts auf die Gründe für die mögliche Unzulässigkeit der Klage. In dieses Bild ordnet sich weiter der Umstand ein, dass der Kläger sowohl die Klage wie die Berufung gar nicht (so im Fall der Berufung) beziehungsweise offensichtlich unzureichend (so im Fall der Klage durch die Rüge fehlender Anhörung bei einer auf die Gewährung einer Leistung gerichteten Klage) begründet und weiteren Vortrag jeweils angekündigt, dann aber nicht gehalten hat. Ein zusätzlicher Hinweis darauf, dass der Kläger an einem zügigen Abschluss des Verfahrens gar nicht interessiert war, ergibt sich schließlich aus dem Umstand, dass er vor dem Landessozialgericht erst am Terminstag im Februar 2017 einen Befangenheitsantrag vorgelegt hat, obwohl die als Grund für die Besorgnis der Befangenheit angeführten Umstände längst bekannt waren: Der Kläger stützte sein Befangenheitsgesuch auf die Ablehnung von Prozesskostenhilfe in zwei Parallelverfahren durch Beschlüsse aus dem Juni beziehungsweise Juli 2016, weil das Landessozialgericht darin zu Unrecht davon ausgegangen sei, die den dortigen Verfahren zugrunde liegenden Klagen seien verfristet gewesen. Er hätte daher ein auf diese Zusammenhänge gestütztes Befangenheitsgesuch längst vorher anbringen können. Im Ergebnis lässt sich der Zeitpunkt, zu dem der Kläger den Ablehnungsantrag gestellt hat, kaum anders denn als Versuch werten, eine Durchführung der mündlichen Verhandlung am vorgesehenen Terminstag zu verhindern und damit den Abschluss des Verfahrens weiter zu verzögern. Zudem stellt sich das Verhalten des Klägers im hiesigen Ausgangsverfahren als Ausprägung eines Musters dar, das sich in ganz ähnlicher Weise auch in den Ausgangsverfahren zu den parallel erhobenen Entschädigungsklagen L 6 SF 7/19 und L 6 SF 8/19 finden lässt: Auch dort hat der Kläger das jeweilige Verfahren über lange Zeit selbst nicht betrieben, vielmehr die jeweilige Klage und die jeweilige Berufung nicht oder erkennbar unzureichend begründet und weiteren Vortrag angekündigt, dann aber nicht gehalten, gerichtliche Anfragen trotz Erinnerung hieran unbeantwortet gelassen und erst auf die Ankündigung einer beabsichtigten Entscheidung durch Gerichtsbescheid mit einer Verzögerungsrüge reagiert – auch dort verbunden mit einem Antrag auf Akteneinsicht, wobei er die bewilligte Möglichkeit zur Akteneinsicht ebenfalls nicht wahrgenommen hat. Insgesamt ergibt sich damit ein kohärentes Bild, wonach es dem Kläger gerade nicht um den schnellen Abschluss der Verfahren ging, sondern er die Verzögerungsrüge just zu dem Zeitpunkt angebracht hat, zu dem dies notwendig erscheinen musste, um einen möglichst hohen Entschädigungsanspruch realisieren zu können. Das aber widerspricht dem Zweck der Verzögerungsrüge, so dass ihre Erhebung als rechtsmissbräuchlich und damit unwirksam anzusehen ist.

Auch die Erläuterungen, die der Kläger hierzu in der mündlichen Verhandlung gegeben hat, bestätigen dies letztlich, namentlich wenn er darauf verweist, dass ihm vor dem Hintergrund, dass im Jahre 2014 die Übergangsregelungen aus der Zeit des Inkrafttretens des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren keine Relevanz mehr gehabt hätten, die Verzögerungsrüge nicht besonders eilbedürftig erschienen sei. Auch dies zeigt, dass es ihm – entgegen dem vom Gesetzgeber mit der Verzögerungsrüge verfolgten Zweck – nicht unmittelbar um die Beschleunigung des Ausgangsverfahrens ging, sondern um die Sicherung eines Entschädigungsanspruchs. 

Eine aus diesen Gründen rechtsmissbräuchlich erhobene Verzögerungsrüge ist einer verfrüht erhobenen (vgl. hierzu § 198 Abs. 3 Satz 2 GVG) vergleichbar und sperrt ebenso wie diese die Erhebung späterer Rügen nicht für immer; vielmehr kann der Betroffene, wenn sich das Verfahren im Anschluss (weiter) verzögert, namentlich weil die absehbare Entscheidung doch nicht alsbald ergeht, erneut und dann wirksam die Verzögerung des Verfahrens rügen. Wie eine verfrüht erhobene bleibt eine rechtsmissbräuchliche Verzögerungsrüge selbst jedoch unwirksam (vgl. für die verfrüht erhobene Rüge BFH, Urteil vom 26. Oktober 2016 – X K 2/15 –, BFHE 255, 407, Rn. 46). 

Die zweite Verzögerungsrüge, die der Kläger im Januar 2016 erhoben hat, ist daher nicht schon wegen der zweckwidrig erhobenen ersten Rüge unwirksam. Allerdings ordnet auch sie sich in das Muster ein, wonach der Kläger Verzögerungsrüge regelmäßig als Reaktion auf die (in diesem Falle erneute) Anhörung zum Gerichtsbescheid und damit in einem Augenblick erhoben hat, zu dem er einen baldigen Abschluss des Verfahrens „befürchten“ musste. Damit verfehlt diese aber wiederum ihren Zweck.

3. Überdies ist das Ausgangsverfahren im Ergebnis nicht als unangemessen lang zu bewerten; jedenfalls aber wäre, wenn man dies anders sehen wollte, – ausnahmsweise – eine Wiedergutmachung durch die Feststellung einer unangemessenen Verfahrensdauer (§ 202 Satz 2 SGG i.V.m. § 198 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 4 Satz 1 GVG) ausreichend.

a) Die Dauer des Ausgangsverfahrens ist trotz seiner erheblichen Länge auf Grund der gebotenen Gesamtabwägung nicht als unangemessen zu bewerten.

aa) Gemäß § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG (i.V.m. § 202 Satz 2 SGG) richtet sich die Angemessenheit der Verfahrensdauer nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter. Eine generelle Festlegung, wann ein Verfahren unverhältnismäßig lange dauert, ist nicht möglich (vgl. am Maßstab von Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz – GG –: BVerfG, Beschluss vom 30. August 2016 – 2 BvC 26/14 – Vz 1/16   juris; BVerfG, Beschluss vom 27. September 2011 – 1 BvR 232/11 –, juris), zumal Zügigkeit und Verfahrensbeschleunigung keine absoluten Werte darstellen, sondern stets im Zusammenhang mit den übrigen Verfahrensgrundsätzen, insbesondere dem Amtsermittlungsgrundsatz und dem damit korrespondierenden Interesse der Verfahrensbeteiligten an einer gründlichen und zutreffenden Bearbeitung durch das Gericht, zu sehen sind. Wegen der Einzelheiten kann auf das Urteil des Senats vom 27. November 2019 – L 6 SF 24/17 EK KR – Bezug genommen werden.

bb) Hinsichtlich der Bedeutung und der Schwierigkeit des Ausgangsverfahrens zunächst ist festzuhalten, dass die streitige Kostenübernahme für eine Einzugsrenovierung schon bei Klageerhebung für ihn ersichtlich keine Relevanz mehr hatte, da er zu diesem Zeitpunkt bereits in eine andere Wohnung umgezogen war. Trotz seines Hinweises auf den Zustand dieser Wohnung sind Gründe dafür, dass Anlass für die Klärung der im Ausgangsverfahren streitigen und auf eine andere Wohnung bezogenen Fragen hätte bestehen können, nicht ersichtlich, nachdem gerade für eine Einzugsrenovierung der konkrete Zustand der jeweiligen Wohnung von maßgeblicher Bedeutung ist; dies gilt nur umso mehr angesichts der Mitteilung des Beigeladenen, der Kläger habe wegen der mit der tatsächlich bezogenen Wohnung verbundenen Bedarfe eigenständige Verfahren geführt. Zudem handelte es sich bei dem Schreiben vom 6. Dezember 2011, gegen das sich der Kläger im Ausgangsverfahren gewandt hatte, nicht um einen Verwaltungsakt, so dass im Ausgangsverfahren – auch für den Kläger erkennbar – eine Klärung inhaltlicher Fragen von vornherein nicht zu erwarten war.

Das auf Grund dieser Zusammenhänge allerdings auch als rechtlich wenig schwierig zu qualifizierende erstinstanzliche Verfahren dauerte drei Jahre und neun Monate (vom Klageeingang im April 2012 bis zur Zustellung des Gerichtsbescheides im Januar 2016). In diesem Zeitraum kann von (maximal) 18 Monaten ausgegangenen werden, in denen es – dem Sozialgericht zurechenbar – zu keiner Verfahrensförderung gekommen ist. 

Zwischen dem Klageeingang und Juli 2012 zunächst ist es zu keiner relevanten Verfahrensverzögerung gekommen. Das Sozialgericht durfte vielmehr bis dahin auf die Klageerwiderung warten; dies gilt nur umso mehr, als der vom Kläger angekündigte weitere Vortrag ausstand. Anschließend allerdings ist das Gericht erst nach elf Monaten ohne erkennbare Verfahrensförderung im Juli 2013 auf das Verfahren zurückgekommen, und zwar durch die Anfrage, ob die Beteiligten mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung oder durch Gerichtsbescheid einverstanden seien. Die danach bis einschließlich November 2013 eingetretene Verfahrensdauer ist dem Kläger zuzurechnen, weil er auf die Schreiben des Sozialgerichts vom 23. Juli 2013 sowie vom 22. Oktober 2013 nicht reagiert hat. 

Anschließend folgte erst nach einer weiteren Zeit von sieben Monaten ohne erkennbare Verfahrensförderung im Juli 2014 der – mit einer Anfrage zum Gerichtsbescheid verbundene – gerichtliche Hinweis zu den fehlenden Erfolgsaussichten des Verfahrens und die Reaktion des Klägers hierauf im August 2014 sowie die Bewilligung von Akteneinsicht im September 2014.

Die ab diesem Zeitpunkt bis Dezember 2014 eingetretene Verfahrensdauer ist dagegen dem Kläger zuzurechnen, weil er auf die Anfragen des Sozialgerichts vom 15. August 2014 (und die zugehörige Erinnerung vom 6. Oktober 2014) sowie vom 23. November 2014 nicht reagiert hat. Aber auch hinsichtlich des anschließenden Zeitraums kann der Kläger angesichts seines eigenen Verhaltens eine Überlänge nicht mit Erfolg geltend machen: Immerhin hatte das Sozialgericht zweifach bei ihm angefragt, ob er im Hinblick darauf, dass er parallel Verfahren vor dem Landessozialgericht betrieb und sich die Akten des Beigeladenen dort befanden, einverstanden sei, das Ausgangsverfahren zurückzustellen. Wenn ein Beteiligter – wie hier der Kläger – auf eine entsprechende Anfrage trotz Erinnerung nicht reagiert, erscheint es treuwidrig, wenn er später eine dadurch eingetretene Verzögerung rügt (vgl. zur Zurechnung einer Zeit der Inaktivität, die dadurch entsteht, dass der Entschädigungskläger Fragen des Gerichts im Ausgangsverfahren nicht beantwortet, auch Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 27. Mai 2020 – L 13 SF 5/19 EK AS –, juris).

Im Ergebnis lässt sich allenfalls für den Zeitraum zwischen dem Eingang der Klageerwiderung bis zu der Anfrage wegen einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung und den Zeitraum zwischen der letzten unbeantworteten Erinnerung an diese Anfrage und der Anhörung zum Gerichtsbescheid von einer unzureichende Verfahrensförderung durch das Gericht ausgehen, sofern man nicht auch insofern mit Blick auf den angekündigten, aber nicht gehaltenen Vortrag zur Klagebegründung und die nahezu durchgängig fehlende Reaktion auf gerichtliche Schreiben von einer (überwiegenden Mit )Verursachung durch den Kläger ausgeht, obwohl das Gericht hier nicht (mehr) erinnert hat. Jedenfalls für alle anderen Zeiträume ist das Prozessverhalten des Klägers ein zumindest so gewichtiger Umstand, dass er die dadurch verursachte Dauer nicht als – ihm gegenüber – unangemessen rügen kann. Damit ist von einer unzureichenden Verfahrensförderung allenfalls in einem Umfang von 18 Monaten auszugehen.

cc) Dem steht zunächst die übliche Bearbeitungs- und Überlegungsfrist des Gerichts von zwölf Monaten gegenüber (vgl. zu dieser BSG, Urteil vom 3. September 2014 – B 10 ÜG 12/13 R –, juris, Rn. 53; Senat, Urteil vom 27. November 2019 – L 6 SF 24/17 EK KR –). Es gibt im vorliegenden Verfahren keinen Anlass, diese zu verkürzen, namentlich von einer angemessenen Verfahrensdauer von insgesamt nur zwölf Monaten auszugehen, wie der Kläger dies geltend gemacht hat. Zwar war das Ausgangsverfahren, wie erwähnt, wegen seiner erkennbaren Unzulässigkeit einfach gelagert. Andererseits ist bereits in diesem Zusammenhang die Vielzahl der vom Kläger angestrengten Verfahren zu berücksichtigen, die dem Sozialgericht die Übersicht notwendig erschwerten, die aber von ihm doch im Blick zu behalten waren – auch im Hinblick auf mögliche Gründe der Unzulässigkeit wie einer doppelten Rechtshängigkeit – und es sinnvoll erscheinen lassen mussten, die Verfahren beispielsweise gruppenweise zu bearbeiten. 

Auch der danach verbleibende Zeitraum von sechs Monaten, in denen über die Bearbeitungs- und Überlegensfrist hinaus eine konkrete Verfahrensförderung durch das Gericht nicht zu erkennen ist, führt auf Grund der in einem weiteren Schritt anzustellenden Gesamtabwägung nicht dazu, dass eine entschädigungspflichtige Überlänge des Verfahrens festzustellen wäre. 

Insoweit ist zunächst von Bedeutung, dass das zweitinstanzliche Verfahren sehr schnell bearbeitet worden ist, so dass schon dies geeignet ist, die Dauer des erstinstanzlichen Verfahrens teilweise auszugleichen. Dagegen wird man das Verfahrens vor dem Bundessozialgericht – entgegen der vom Beklagten aufgestellten Berechnung – nicht in die Beurteilung einbeziehen können, da es sich – wie zur Einhaltung der Klagefrist aus § 198 Abs. 5 Satz 2 GVG bereits ausgeführt – um ein isoliertes Prozesskostenhilfeverfahren zu einer beabsichtigten und dann nicht erhobenen Nichtzulassungsbeschwerde handelte, das den Eintritt der Rechtskraft nicht hinausschieben konnte (vgl. zur fehlenden Berücksichtigung von – erfolglos eingelegten – Rechtsbehelfen, die als solche den Eintritt der Rechtskraft nicht hindern, wie beispielsweise die Anhörungsrüge: Engel-Boland, in: Roos/Wahrendorf, Sozialgerichtsgesetz, 2014, § 202 Rn. 44).

Vor allem aber ist auch und gerade im Rahmen der Gesamtabwägung das beschriebene Prozessverhalten des Klägers von erheblicher Bedeutung. Da die von einem Beteiligten hinzunehmende Dauer des Verfahrens sich letztlich daran bemisst, welche Wartezeit ihm im Einzelfall zugemutet werden kann (vgl. so auch BSG, Urteil vom 3. September 2014 – B 10 ÜG 2/13 R –, juris, Rn. 44), ist es sachgerecht, insbesondere das Verhalten des Entschädigungsklägers und dessen Bemühungen um eine Prozessförderung beziehungsweise umgekehrt dessen Mitwirkung an einer Verfahrensverzögerung in die Wertung mit einzustellen (Senat, Urteil vom 27. November 2019 – L 6 SF 24/17 EK KR –). Gibt er durch sein Prozessverhalten begründeten Anlass zu der Einschätzung, dass er selbst das Verfahren nicht als dringlich betrachtet, verlängert sich die noch als angemessen zu qualifizierende Verfahrensdauer. Angesichts des schon im Zusammenhang mit der Unwirksamkeit der Verzögerungsrüge im Einzelnen dargestellten Prozessverhaltens des Klägers im Ausgangsverfahren ist dies vorliegend von erheblichem Gewicht.

Hinzu kommt die ausgesprochen geringe Bedeutung des Ausgangsverfahrens: Gegenstand des Rechtsstreits waren Aufwendungen für eine Wohnung, in die der Kläger ehedem umzuziehen gedachte, wobei er tatsächlich schon vor Klageerhebung in eine andere Wohnung umgezogen war. Zudem war die Klage, wie ausgeführt, ersichtlich unzulässig, da das angegriffene Schreiben vom 6. Dezember 2011 keinen regelnden Charakter hatte.

Weiter kann – auch losgelöst von der unmittelbaren Rückwirkung auf die Verfahrensführung im konkreten Fall – nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Kläger in dem Zeitraum, in dem er auch das hiesige Verfahren geführt hat, eine große Zahl von Verfahren bei dem Sozialgericht Marburg anhängig gemacht hat: Konkret ergibt sich aus der von dem Direktor des Sozialgerichts Marburg übermittelten Aufstellung, dass der Kläger in den Jahren 2012 bis 2016 rund 20 Verfahren anhängig gemacht hat; hinzu kamen weitere bei Klageeingang noch anhängige Verfahren aus früheren Jahren. Unter diesen Umständen muss ein Kläger damit rechnen, dass es bei seinen Verfahren zu Verzögerungen kommen kann, und zwar auch unabhängig von konkret beschreibbaren Hindernissen wie der Aktenübersendung an andere Gerichte. 

Wenn das Sozialgericht vor diesem Hintergrund das hiesige und damit eines der vielen vom Kläger geführten Verfahren nur mit Verzögerungen betrieb, so ist eine deutlich über das Übliche hinausgehende Verfahrensdauer nicht als unangemessen zu qualifizieren; das gilt jedenfalls, wenn es sich – wie hier – um ein Verfahren handelt, das auf die konkrete Lebenssituation des Klägers erkennbar keine Auswirkungen mehr haben konnte und hinsichtlich dessen im Grunde schon die Fortdauer eines Rechtsschutzbedürfnisses in Frage stand.

bb) Selbst wenn man dies anders beurteilen wollte, wäre im Übrigen für die dann gebotene Wiedergutmachung die vom Kläger nicht geltend gemachte Feststellung einer unangemessenen Dauer des Ausgangsverfahrens ausreichend, eine Entschädigung in Geld dagegen nicht geboten. Wegen der Voraussetzungen im Einzelnen kann auf die Urteile des Senats vom heutigen Tage in den Verfahren L 6 SF 6/19 EK AS und L 6 SF 8/19 EK AS Bezug genommen werden. 

Auch im hiesigen Verfahren ist ein Entschädigungsanspruch in Geld ausgeschlossen, weil die dem Entschädigungsverfahren zugrunde liegende Klage aussichtslos und dies für den Kläger erkennbar war (vgl. in diesem Sinne auch Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 27. Mai 2020 – L 13 SF 5/19 EK AS –, juris) und er durch sein Gesamtverhalten erheblich zur Verzögerung beigetragen hat (vgl. hierzu die Begründung zum Gesetzentwurf BT-Drucks. 17/3802 S. 20 sowie BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 – B 10 ÜG 1/12 KL –, BSGE 113, 75, Rn. 45).

Maßgeblich ist insofern wiederum insbesondere das Prozessverhalten des Klägers, der zur Verfahrensförderung seinerseits nichts beigetragen hat. So entspricht schon die Klageschrift ersichtlich einem auf die Ausgangsverfahren nicht passenden Muster. Der auf die „notwendigen Sozialleistungen“ und die Feststellung eines Eingriffs in die Rechte des Klägers gerichtete Klageantrag ist ebenso schablonenhaft wie die sehr kurze Klagebegründung. Diese war für sein Klagebegehren erkennbar unzureichend, nachdem der Kläger im Wege der (Anfechtungs- und) Leistungsklage eine Erweiterung seiner Rechtsposition zu erlangen suchte, die er ersichtlich allein mit dem Hinweis auf einen vermeintlichen Anhörungsmangel nicht erreichen konnte. Auf weitere Schreiben des Gerichts hat der Kläger, wie bereits ausgeführt, – abgesehen von der Anhörung zum Gerichtsbescheid – nicht mehr reagiert. Im Berufungsverfahren fehlte es dann trotz entsprechender Ankündigung vollständig an einer Begründung. Die zeitliche Gestaltung des Ablehnungsantrags legt überdies nahe, dass der Kläger nach Möglichkeit die Durchführung der mündlichen Verhandlung am vorgesehenen Terminstag verhindern wollte. Ein Bemühen, seinerseits zu einer schnellen oder auch nur nicht verzögerten Erledigung des Rechtsstreits beizutragen, ist nicht ersichtlich. All dies findet sich im Übrigen (nahezu) identisch in den Ausgangsverfahren zu den vom Senat am gleichen Tag entschiedenen Verfahren L 6 AS 7/19 EK AS und L 6 AS 8/19 EK AS. 

Im Ergebnis wäre daher – eine unangemessene Verfahrensdauer zu Gunsten des Klägers unterstellt – jedenfalls eine Entschädigung in Geld nicht geboten, sondern eine Wiedergutmachung durch die vom Kläger nicht geltend gemachte Feststellung der Überlänge ausreichend.

IV. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 197a Abs. 1, § 183 Satz 5 SGG in Verbindung mit § 154 Verwaltungsgerichtsordnung.

V. Die Revision ist nicht zuzulassen, nachdem keiner der in § 160 Abs. 2 SGG abschließend aufgeführten Gründe hierfür vorliegt. Namentlich ist das Verfahren nicht von grundsätzlicher Bedeutung: Die der Entscheidung zugrunde liegende Rechtsauffassung, dass eine Verzögerungsrüge wie andere Prozesshandlungen unwirksam sein kann, wenn sie zweckwidrig und in diesem Sinne rechtsmissbräuchlich erhoben wird, steht nach Ansicht des Senats als solche außer Zweifel. Ihre tatsächliche Ausfüllung im Einzelfall und die Überzeugungsbildung des Senats hierzu sind nicht revisibel. Ähnliches gilt für die Fragen, die mit den Kriterien für eine unangemessene Dauer gerichtlicher Verfahren und die – ausnahmsweise – ausreichende Wiedergutmachung durch die Feststellung der Überlänge verbunden sind.

VI. Der Streitwert ist endgültig auf 1.200,- Euro festzusetzen: Zwar hat der Kläger eine höhere Entschädigung angeregt und in das Ermessen des Gerichts gestellt, bei dem von ihm formulierten Antrag aber doch an dieser Summe festgehalten.

Rechtskraft
Aus
Saved