L 6 AS 125/20

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Kassel (HES)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
1. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 6 AS 125/20
Datum
2. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 9 AS 40/16
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

I.    Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 3. Dezember 2019 wird zurückgewiesen.

II.    Die Beteiligten haben auch für das Berufungsverfahren Kosten nicht zu erstatten  

III.    Die Revision wird nicht zugelassen.  

Tatbestand

Der Kläger begehrt zusätzliche Leistungen für Aufwendungen für Unterkunft und Heizung nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) im Zeitraum Juli bis Dezember 2015.

Der 1971 geborene Kläger war seit dem Jahr 2008 erwerbslos und steht seit Mai 2010 im Leistungsbezug nach dem SGB II bei dem Beklagten. Bei der Erstantragstellung am 27. Mai 2010 wohnte er, nach einer Zwangsräumung aus seiner zuvor bewohnten Mietwohnung, in einem Apartmenthotel zu einem Preis von monatlich 500,- Euro (Mai und Juni 2010) bzw. 642,- Euro (Juli 2010).

Unter dem Datum 8. Juni 2010 erstellte der Beklagte ein (Zitat Kläger) „Anhörungsschreiben zur Höhe der Unterkunftskosten“ (in der Akte nicht vorliegend), auf das der Kläger seinerseits in einem Schreiben vom 15. Juli 2010 Bezug nimmt und ausführt, dort seien völlig unrealistische Höchstgrenzen genannt worden. Weiter heißt es dort: „Ich habe bisher von Seiten der AFK“ [Rechtvorgänger des Beklagten] „in Bezug auf Wohnkosten nur immer wieder zu hören bekommen, dass ich so schnell wie möglich also sofort eine nur erneut vorübergehende Unterkunft beziehen soll, die günstiger ist als die Mietkosten des möblierten Apartments.“ (Verwaltungsakte [VA] Bl. 42).

Mit Bescheid vom 22. Juli 2010 wurden dem Kläger Leistungen nach dem SGB II bewilligt, für den Zeitraum 8. Juni bis 31. Dezember 2010 (VA Bl. 29). Für den Zeitraum Juli 2020 wurden 642,- Euro für Unterkunft und Heizung, ab August 2010 nur noch 287,70 Euro Kosten für Unterkunft und Heizung anerkannt. Der Bescheid enthält den Hinweis: „Ihnen werden die Kosten für Unterkunft und Heizung für das Apartmenthotel bis zum 31.07.2010 gewährt. Danach erfolgt eine Berücksichtigung der Kosten für Unterkunft und Heizung im Rahmen der Angemessenheit. Grenzwerte angemessene Kosten 1-Persoen-Haushalt: 45 qm Wohnfläche, 195,80 Euro Grundmiete, 81,90 Euro Betriebskosten“. Mit weiterem Bescheid vom 6. August 2010 wurden nur Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 16,67 Euro für den Zeitraum 28. Mai 2010 bis 7. Juni 2010 bewilligt (VA Bl. 61).

Zum 1. November 2010 zog der Kläger ohne vorherige Rücksprache mit dem Beklagten in die noch heute bewohnte streitgegenständliche Wohnung zu einem Mietzins von 390,- Euro und sonstigen Betriebskosten von 130,- Euro; so der Mietvertrag (VA Bl. 92). Es handelt sich um eine Dreizimmerwohnung im Stadtteil B-Stadt mit Küche, Bad, Keller, Abstellraum und Balkon und einer Wohnfläche von 79,79 qm, fernwärmebeheizt (VA Bl. 91 ff., 131-133). In einer späteren Mietbescheinigung wird die Größe der Wohnung mit 81,2 qm vom Vermieter, einer Erbengemeinschaft, angegeben (VA Bl. 564).

In Abänderung des Bescheids vom 22. Juli 2010 wurden mit Bescheid vom 23. November 2010 ab 1. November 2010 nur noch Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 301,23 Euro anerkannt. In seinem Widerspruch gegen einen hierzu ergangenen Änderungsbescheid vom 23. November 2010 berief sich der Kläger darauf, dass die Vorgaben des Schreibens des Beklagten vom 8. Juni 2010 für ihn nicht einhaltbar seien; wegen seiner „erheblichen gesundheitlichen chronischen Multisystem- und Umwelterkrankungen“ sei er ein Härtefall und habe Anspruch auf höhere Unterkunftskosten. Er beruft sich auch darauf, dass in absehbarer Zeit keine Erwerbsfähigkeit vorliegen werde (VA Bl. 148). Ausführliche Unterlagen zu der angemieteten Wohnung werde sein Betreuer vorliegen (VA Bl. 149). In einem Auskunftsbogen für das Gesundheitsamt gab der Kläger an, von Krankheiten seien seine Lunge, Haut, Blutdruck, Magen und Darm sowie Knochen- und Gelenksystem betroffen, außerdem bestünden Allergien. Verlegenheitsdiagnosen von psychiatrischen Erkrankungen seien ihm unterstellt worden, aber Multisystemerkrankungen und Umwelterkrankungen habe er tatsächlich (VA Bl. 48). 

Im Zeitraum 29. November 2010 bis 19. April 2011 stand der Kläger aufgrund eines amtsgerichtlichen Beschlusses vom 29. November 2010 unter Betreuung für den Aufgabenkreis Vermögenssorge, Wohnungsangelegenheiten, Rechts, Antrags- und Behördenangelegenheiten (VA Bl. 135). 

Nachdem die Stadt A. vorübergehend die Grenzwerte für die Grundmiete und die Betriebskosten ohne Heizung den Werten aus der maßgeblichen Tabelle des Wohngeldgesetzes angepasst hatte, wurden dem Kläger mit Änderungsbescheid vom 20. April 2011 für den Zeitraum 1. November bis 31. Dezember 2010 Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 416,53 Euro bewilligt (VA Bl. 215). Der Widerspruch hiergegen blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 18. Mai 2011, VA Bl. 245). 

Auf der Grundlage von Daten aus dem Jahr 2012 erstellte das Institut Wohnen und Umwelt GmbH (im Folgenden: IWU) unter dem Datum 23. Juli 2013 Richtwerte für die grundsicherungsrechtlichen Angemessenheitsgrenzen für die Kosten der Unterkunft in A-Stadt. Die hierauf sich stützende Bewilligung von Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung für den Zeitraum 1. Juli 2015 bis 31. Dezember 2015 sind im Verfahren S 9 AS 40/16 streitig. Auf der Grundlage von Daten aus dem Jahr 2014 erstellte das IWU unter dem Datum 14. September 2015 das Nachfolgekonzept Richtwerte für die grundsicherungsrechtlichen Angemessenheitsgrenzen für die Kosten der Unterkunft in A-Stadt.

Der Kläger nahm im Mai und Juni 2015 mehrere Meldetermine bei dem Beklagten nicht wahr. Mit Schreiben vom 30. April 2015 (VA Bl. 556) wurde er zu einem Meldetermin am 6. Mai 2015 eingeladen (VA Bl. 654), mit Schreiben vom 6. Mai 2015 zu einem Meldetermin am 19. Mai 2015 (VA Bl. 580) und mit Schreiben vom 28. Mai 2015 zu einem Anhörungstermin am 15. Juni 2015 (VA Bl. 582). Weder am 6. Mai 2015, noch am 19. Mai 2015 noch am 15. Juni 2015 erschien der Kläger zu den Meldeterminen. Alle Einladungen enthielten Rechtsfolgenbelehrungen für den Fall, dass ohne wichtigen Grund der Einladung nicht Folge geleistet werde.

Mit Bescheid vom 24. Juni 2015 sprach der Beklagte eine Minderung von 10 v.H. des Regelbedarfes für die Zeit vom 1. Juli 2015 bis 30. September 2015 aus. (VA Bd. II Bl. 559) wegen des ersten Meldeversäumnisses am 6. Mai 2015. Gegen diesen Bescheid legte der Kläger persönlich am 23. Juli Widerspruch ein (VA Bl. 626), der sodann von seinem Anwalt begründet wurde (VA Bl. 630). 

Mit Bescheid vom 27. Juli 2015 sprach der Beklagte eine Minderung von 10 v.H. des Regelbedarfes für die Zeit vom 1. August 2015 bis 31. Oktober 2015 aus wegen des zweiten Meldeversäumnisses am 19. Mai 2015 (VA Bl. 605). Auch gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 28. August 2015 Widerspruch ein (VA Bl. 635). 

Und mit Bescheid vom 28. Juli 2015 sprach der Beklagte eine weitere Minderung von 10 v.H. des Regelbedarfes für die Zeit vom 1. August 2015 bis 31. Oktober 2015 aus wegen des dritten Meldeversäumnisses am 15. Juni 2015 (VA Bl. 605). Auch gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 28. August 2015 Widerspruch ein (VA Bl. 633). 

Am 30. Juni 2015 stellte der Kläger einen Weiterbewilligungsantrag (VA Bd. III Bl. 562) und gab Unterkunftskosten in Höhe von 390,- Euro Grundmiete, ca. 60,- Euro Nebenkosten und ca. 70,- Euro Heizkosten an In der hierzu vorgelegten Mietbescheinigung vom 22. Januar 2015 wird die Wohnfläche der Wohnung mit 81,2 qm angegeben und die Grundmiete mit 390,- Euro angesetzt. Angaben zu Neben- und Heizkosten finden sich in der Bescheinigung nicht (VA Bl. 563, 564). Vorgelegt wurden vom Kläger allerdings Heizkostenabrechnungen gerichtet an den Vermieter (E., Erbengemeinschaft) und ihn selbst vom April 2013 für das Jahr 2012 in Höhe von 468,18 Euro gesamt und vom April 2014 für 2013 in Höhe von 490,62 Euro gesamt (VA Bl. 568, 579). Ein Beleg für das vorausgegangene Jahr 2014 fehlt.  

Bei einer Vorsprache am 27. Juli 2015 (VA Bd. III Bl. 578) gab der Kläger an, die vergangenen zweieinhalb Wochen nicht in A-Stadt, sondern außerhalb von A-Stadt bei seiner Freundin gewesen zu sein. Deshalb habe er den Brief für einen weiteren Meldetermin am 24. Juli 2015 (Einladung vom 16. Juli 2015) zu spät gesehen.

Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 28. Juli 2015 (VA Bd. III Bl. 611) bewilligte der Beklagte dem Kläger Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 1. Juli 2015 bis 31. Dezember 2015 unter Gewährung von 363,00 Euro Kosten der Unterkunft für Juli und August 2015 auf Basis des Konzepts des Instituts Wohnen und Umwelt GmbH (IWU) „Ermittlung von Richtwerten für die Angemessenheitsgrenzen der Kosten der Unterkunft für die Stadt A. „Grundsicherungsrelevanter Mietspiegel 2013 - Methodenbericht“ (im Folgenden: IWU 2013) sowie unter Bezugnahme auf ein ab September 2015 gültiges neues entsprechendes Konzept (IWU 2015) ab September 2015 in Höhe von 373,50 Euro, jeweils plus 39,00 Euro Kosten der Heizung. Den Zeitraum vom 9. Juli 2015 bis 24. Juli 2015 sparte der Beklagte bei der Regelbedarfsbemessung wegen ungenehmigter Ortsabwesenheit aus der Leistungsbewilligung aus und errechnete einen Anspruch von 179,55 Euro. In den Monaten August und September bewilligte der Beklagte den Regelbedarf abzüglich 30 Prozent und im Monat Oktober abzüglich 20 Prozent. Der Zuschuss zur privaten Krankenversicherung des Klägers wurde im Monat Juli 2015 um die Hälfte gekürzt (VA Bl. 618). 

Am 28. August 2015 legte der Kläger anwaltlich vertreten Widerspruch ein (VA Bl. 633). Mit Schreiben vom 15. Oktober 2015 führte der Anwalt aus, dass sich der Widerspruch gegen die Höhe der Kosten der Unterkunft richte (VA Bl. 664).
Der Beklagte verwies auf sein Schreiben vom 8. Juni 2010 und darauf, dass der Einzug in die aktuelle Wohnung am 1. November 2010 ohne seine Zustimmung erfolgt sei (VA Bl. 665).

Hinsichtlich des ersten Meldeversäumnisses am 6. Mai 2015 hob der Beklagte den Minderungsbescheid vom 24. Juni 2015 im Widerspruchsverfahren mit Abhilfebescheid vom 21. September 2015 auf. (VA Bl. 655). Mit zwei bestandskräftig gewordenen Widerspruchsbescheiden vom 8. Oktober 2015 (VA Bl. 646, 650) wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers gegen die Minderungsentscheidung bezüglich des Meldeversäumnisses am 19. Mai 2015 und am 15. Juni 2015 zurück (VA Bl. 646). 

Mit Änderungsbescheid vom 12. Oktober 2015 (VA Bl. 658) änderte der Beklagte die Leistungsbewilligung zugunsten des Klägers. Im Zeitraum 1. bis 31. Juli 2015 wurden dem Kläger 19,95 Euro mehr bewilligt und im Zeitraum 1. August bis 30. September 2015 39,90 Euro mehr. Als Begründung wird im Bescheid angeben: „Herausnahme einer Sanktion“, gemeint ist ersichtlich die erste Minderung wegen eines Meldeversäumnisses am 6. Mai 2015. 

Für August und September 2015 wurden jeweils 319,20 Euro als Bedarf anerkannt (also Regelbedarf Stufe 1 i.H.v. 399,00 Euro minus 20 Prozent). Für Juli 2015 wurden 199,50 Euro anerkannt. Für den 16-Tageszeitraum 9. Juli bis 24. Juli 2015 wurden keine Regelbedarfsleistungen gewährt. Für den Zeitraum 1. bis 8. Juli 2015 und 25. bis 31. Juli 2015 bewilligte der Beklagte die Hälfte des monatlichen Regelbedarfs (399,00 Euro geteilt durch 2 ergibt 199,50 Euro). 

Mit Widerspruchsbescheid vom 22. Dezember 2015 wies der Beklagte den streitgegenständlichen Widerspruch des Klägers zurück. Der Kläger erhalte die Obergrenze für einen Einpersonenhaushalt in A-Stadt als Kosten der Unterkunft. Der Widerspruchsbescheid befasst sich ausschließlich mit den Kosten für Unterkunft und Heizung (VA Bl. 669).

Am 22.Januar 2016 hat der Kläger Klage beim Sozialgericht Kassel erhoben.

Er hat vorgetragen, er habe bisher keine Kostensenkungsaufforderung des Beklagten erhalten. Grundlage der Berechnung der Kosten der Unterkunft müssten die aktuellen tatsächlichen Kosten von Vergleichsmietwohnungen sein, die in der Gemeinde oder in dem Stadtteil liegen, wo auch die zu prüfende Wohnung liege. Er verweist auf Angaben der Immobilienportale, die Quadratmetermietpreise zwischen 7,00 Euro und 10,22 Euro (Stadtteil B-Stadt) angäben (Gerichtsakte Bl. 2). Er hat weiter geltend gemacht, chronisch krank zu sein. Unterlagen bzw. nähere Informationen hierzu hat er auch auf Nachfrage nicht vorgelegt. In der mündlichen Verhandlung am 3. Dezember 2019 hat er bestätigt, dass ihm ein Umzug – ggf. mit Helfern – in eine andere Wohnung möglich sei, ihn seines Erachtens die aktuelle Wohnung sogar krankmache. Er hat erklärt, er sei nicht gewillt, ein vom Beklagten erstelltes Konzept zu akzeptieren.

Der Kläger hat hinsichtlich der Minderungen die Meinung vertreten, dass die Berechnung der Abzüge wegen Minderung bzw. Ortsabwesenheit falsch seien. Er sei ortsabwesend gewesen, weil er durch einen Aufenthalt bei einer Freundin habe herausfinden wollen, ob ihn seine Wohnung wegen Schadstoffbelastung krankmache.
Eine erste mündliche Verhandlung am 28. März 2017 hat das Gericht vertagt, um dem Beklagten Gelegenheit zur Beantwortung von Fragen des Gerichts zum Konzept des IWU „Ermittlung von Richtwerten für die Angemessenheitsgrenzen der Kosten der Unterkunft für die Stadt A. „Grundsicherungsrelevanter Mietspiegel 2015 - Methodenbericht““ zu geben.

Der Kläger hat vor dem Sozialgericht beantragt, den Bescheid des Beklagten vom 28. Juli 2015 in der Fassung des Bescheides vom 12. Oktober 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Dezember 2015 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihm für den Zeitraum Juni [sic; wohl Schreibfehler, gemeint: Juli] bis Dezember 2015 den kompletten gesetzlichen Regelbedarf, die kompletten tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung von 520,00 Euro monatlich und die kompletten Zuschüsse zur Krankenversicherung und Pflegeversicherung zu gewähren.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Er hat vorgetragen, dass eine Ortsabwesenheit nicht streitig sei, sondern der Kläger wohl Minderungen wegen Meldeversäumnissen meine, deren Ausgangsbescheide jedoch bestandskräftig geworden seien. Er hat weiter darauf hingewiesen, dass der Kläger seit 2010 wisse, dass seine Kosten der Unterkunft zu hoch seien, und er nun nach einer Übergangszeit nur noch die angemessenen Kosten der Unterkunft erhalte.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 3. Dezember 2019 abgewiesen.  

Soweit der Kläger sich gegen – nicht näher bezeichnete – Minderungsentscheidungen wende, sei die Klage unzulässig. Jene seien nicht Gegenstand des angegriffenen Bescheides vom 28. Juli 2015, sondern würden lediglich durch diesen umgesetzt.

Die Kammer lasse dahinstehen, ob der Kläger seinen durch einen Rechtsanwalt formulierten Widerspruch auf die Kosten der Unterkunft wirksam beschränkt habe (vgl. dazu BSG, 23. August 2011 - B 14 AS 165/10 R, juris), so dass das Thema Ortsabwesenheit nicht als Gegenstand der Klage dienen könne.

Der Bescheid des Beklagten vom 28. Juli 2015 in der Fassung vom 12. Oktober 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Dezember 2015 sei rechtmäßig und verletze den Kläger nicht in eigenen Rechten. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 9. Juli 2015 bis 24. Juli 2015.
Der Kläger sei im Zeitraum vom 9. Juli 2015 bis 24. Juli 2015 von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen nach § 7 Abs. 4a SGB II. Dabei seien die vom Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen vom 24. März 2011 vorgesehenen Änderungen nicht in Kraft. Bis zum Inkrafttreten einer nach § 13 Abs. 3 SGB II erlassenen Rechtsverordnung gelte gemäß § 77 Abs. 1 SGB II die 2006 mit dem Fortentwicklungsgesetz als scharfe Sanktion des Leistungsausschlusses in das Gesetz aufgenommene Fassung des § 7 Abs. 4a SGB II (im Folgenden mit „a.F.“ bezeichnet).

Danach erhalte Leistungen nach dem SGB II nicht, wer sich ohne Zustimmung des persönlichen Ansprechpartners außerhalb des insbesondere in der Erreichbarkeits-Anordnung (EAO) vom 23.10.1997 (ANBA 1997, 1685), geändert durch die Anordnung vom 16.11.2001 (ANBA 2001, 1476), definierten zeit- und ortsnahen Bereiches aufhalte; die übrigen Bestimmungen dieser Anordnung gölten entsprechend.

Gemäß § 3 Abs. 1 S. 1 EAO stehe ein Aufenthalt außerhalb des zeit- und ortsnahen Bereich der Verfügbarkeit bis zu drei Wochen im Kalenderjahr nicht entgegen, wenn das Arbeitsamt vorher seine Zustimmung erteilt hat. Nach S. 2 soll das Arbeitsamt in den ersten drei Monaten der Arbeitslosigkeit die Zustimmung nur in begründeten Ausnahmefällen erteilen. Gemäß S. 3 darf die Zustimmung jeweils nur erteilt werden, wenn durch die Zeit der Abwesenheit die berufliche Eingliederung nicht beeinträchtigt wird.

Die Voraussetzungen für einen Leistungsausschluss gemäß § 7 Abs. 4a SGB II a.F. seien nach eigenen Angaben des Klägers erfüllt. Er habe sich vom 9. Juli 2015 bis 24. Juli 2015 bei einer Freundin aufgehalten und sei für den Beklagten nicht erreichbar gewesen.

Der Kläger habe auch keinen Anspruch auf nachträgliche Zustimmung zu seiner Abwesenheit. Eine solche nachträgliche Zustimmung sei im Gesetz lediglich vorgesehen, wenn der Antrag auf Zustimmung vor Abreise gestellt und nur nicht rechtzeitig vom Beklagten bearbeitet worden sei oder aber deshalb nicht habe gestellt werden können, weil der Beklagte am Tag der beabsichtigten Antragstellung nicht geöffnet gewesen sei. Im Übrigen sei bei fehlender Antragstellung ohne Relevanz, ob die Zustimmung zu erteilen gewesen wäre oder nicht (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen vom 6. April 2011 – L 19 AS 2044/10 NZB; jurisPK, SGB II, § 7 Rn. 271, alle juris).
Der Kläger habe auch in den Zeiträumen 1. Juli 2015 bis 8. Juli 2015 und 25. Juli 2015 bis 31. Dezember 2015 keinen Anspruch auf höhere Leistungen nach dem SGB II. Bedarfe für Unterkunft und Heizung würden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen seien (§ 22 Abs. 1 S. 1 SGB II). Die vom Kläger begehrten 520,00 Euro Kosten der Unterkunft und Heizung monatlich seien insofern für die Kammer bereits nicht schlüssig. Die vom Kläger dem Beklagten nachgewiesenen Kosten der Heizung von 39,00 Euro gewähre dieser. Die nachgewiesenen 450,00 Euro tatsächliche Kosten der Unterkunft übernehme der Beklagte, soweit diese angemessen seien.

Dabei beruhten die vom Beklagten gewährten Leistungen für Juli und August 2015 auf dem Konzept IWU 2013. Es sei Sache des Grundsicherungsträgers, ein schlüssiges Konzept zu entwickeln, auf dessen Grundlage die erforderlichen Daten zur Bestimmung der Angemessenheitsgrenze zu erheben und auszuwerten. Die Ermittlung gehe nicht auf das Sozialgericht über (vgl. BSG, 22. September 2009 - B 4 AS 18/09 R, juris).

Das Sozialgericht billigte das Konzept IWU 2013 unter Berufung auf ein Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 8.  März 2016, S 1 AS 492/14. Es schließe sich den Ausführungen der 1. Kammer im genannten Urteil nach eigener Prüfung unter Anlegung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nach eigener Prüfung und Überzeugungsbildung an. Die vom Beklagten gewährten Leistungen für September bis Dezember 2015 beruhten auf dem Konzept IWU 2015. Dieses werde gleichfalls gebilligt. Auf die diesbezüglichen Ausführungen des Sozialgerichts wird verwiesen.

Gründe, warum der Kläger über den längst abgelaufenen Sechs-Monats-Zeitraum des § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II hinaus einen höheren Anspruch auf Leistungen für die Unterkunft als die nach den obigen Ausführungen abstrakt angemessenen Beträge haben sollte, seien nicht zu erkennen. Insbesondere habe der Kläger keine Erkrankung nachgewiesen, die ihm einen Wechsel der Wohnung unmöglich machen würden, vielmehr angegeben, die Wohnung mache ihn krank, und bestätigt, dass er einen Wechsel (ggf. mit Helfern) durchführen könne.

Das Sozialgericht hat die Berufung wegen der Bedeutung der Streitsache zugelassen.

Der Kläger hat gegen das ihm am 4. Februar 2020 zugestellte Urteil am 4. März 2020 Berufung beim Hessischen Landessozialgericht eingelegt. Er hat zur Begründung vorgetragen, der Tatbestand sei in dem angegriffenen Urteil in keiner Weise ausführlich und zudem inkorrekt dargestellt, die tatsächlichen und sehr umfangreichen Tatsachen in seinem Fall seien komplett ignoriert und zum Teil falsch dargestellt worden. Die Tatsachen und Begründungen zur Ortsabwesenheit würden noch nachgereicht. 

Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 3. Dezember 2019 sowie den Bescheid des Beklagten vom 28. Juli 2015, abgeändert durch den Bescheid vom 12. Oktober 2015, in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Dezember 2015 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihm für den Zeitraum Juli bis Dezember 2015 den kompletten gesetzlichen Regelbedarf, die kompletten tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung von 520,00 Euro monatlich und die kompletten Zuschüsse zur Krankenversicherung und Pflegeversicherung zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.  

Er verweist auf die überzeugenden Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil. Auf Nachfrage des Gerichts hat er ausgeführt, dass die IWU Konzepte alle zwei Jahre neu in Auftrag gegeben würden und die Grundlage für gegebenenfalls erforderliche Anpassungen bildeten.

Trotz mehrfacher Erinnerungen des Gerichts hat der Kläger keine weiteren Begründungen und Anträge vorgelegt bzw. gestellt. Mit Schreiben des Gerichts vom 6. Januar 2021 ist der Kläger an die Begründung der Berufung erinnert worden und ist ihm gemäß § 106a SGG eine Frist hierzu bis 28. Februar 2021 gesetzt worden. Der Kläger hat sich nicht weiter zur Sache eingelassen. Zu einem Erörterungstermin am 20. Oktober 2021, zu dem er persönlich geladen war, ist er nicht erschienen.  
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der dem Gericht vorliegenden Verwaltungsakte des Beklagten verwiesen.


Entscheidungsgründe

Die gemäß § 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form-und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist wegen der ausdrücklichen Zulassung der Berufung zulässig nach § 143 SGG, aber nicht begründet. 

Der Kläger hat im streitgegenständlichen Zeitraum Juli bis Dezember 2015 keinen Anspruch auf höhere Leistungen. 

Streitgegenständlich ist der Bewilligungsbescheid vom 28. Juli 2015, abgeändert durch den Bescheid vom 12. Oktober 2015, in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. Dezember 2015. Der Kläger begehrt höhere Leistungen, die er grundsätzlich mit der Anfechtungs- und Leistungsklage verfolgen kann. 

I. Hinsichtlich des Anspruchs auf höhere Leistungen zum Regelbedarf ist die Klage des Klägers unzulässig, weil insoweit die Bestandskraft des Bewilligungsbescheids (§ 77 SGG) vom 28. Juli 2015 in der Gestalt des Änderungsbescheids vom 12. Oktober 2015 der Zulässigkeit der Klage entgegensteht. Denn der seinerzeit anwaltlich vertretene Kläger hat seinen Widerspruch gegen den Bewilligungsbescheid vom 28. Juli 2015 ausdrücklich auf „die Höhe der Kosten der Unterkunft“ (VA Bl. 664) beschränkt (vom Sozialgericht in seiner Entscheidung offengelassen). 

Eine solche Beschränkung des Streitgegenstandes auf die Bedarfe nach § 22 SGB II ist zulässig (BSG vom 6. August 2014 - B 4 AS 55/13 R; BSG vom 5. Juni 2014 - B 4 AS 32/13 R; BSG vom 4. Juni 2014 - B 14 AS 42/13 R; jeweils juris). Dies wird im Wesentlichen mit der getrennten Trägerschaft von Bundesagentur für Arbeit und kommunalen Trägern begründet, wobei nur letztere für die Bedarfe für Unterkunft und Heizung verantwortlich sind und insoweit der Aufsicht der Länder unterstehen. Es ist Sache der Beteiligten, den Streitgegenstand entsprechend zu beschränken. Vorliegend hat dies der Anwalt des Klägers im Widerspruchverfahren in eindeutiger Weise getan und auch der Beklagte hat sich in seinem Widerspruchsbescheid ausschließlich mit den Aufwendungen für Unterkunft und Heizung befasst. Das Sozialgericht hat die Frage der wirksamen Beschränkung des Widerspruchs offengelassen. Der Senat geht demgegenüber davon aus, dass der – seinerzeit anwaltlich vertretene – Kläger das Widerspruchverfahren für wirksam auf die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung beschränkt hat. 

II. Hinsichtlich der Kosten der Unterkunft und Heizung kommt es im streitgegenständlichen Zeitraum nicht darauf an, ob das von dem Beklagten der Bemessung der angemessenen Aufwendungen für Unterkunft zugrunde gelegte Konzept des IWU 2013, das dem Kläger 363,00 Euro für die Monate Juli und August zubilligt, und das Konzept des IWU 2015, das dem Kläger 373,50 Euro für die Monate die Monate September bis Dezember 2015 zubilligt, den Anforderungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung an ein schlüssiges Konzept entspricht. Denn selbst wenn der Senat zu dem Schluss käme, dass dies nicht der Fall wäre (dazu, dass jedenfalls das Konzept 2015 einer Überprüfung Stand hält vgl. Urteil des Senats vom 1. Dezember 2021 im Verfahren L 6 AS 126/20 zum Zeitraum Januar bis Juli 2016), wäre die Rechtsfolge doch nur, dass mangels eines schlüssigen Konzepts auf die Auffanglösung der Werte des § 12 WoGG plus eines Sicherheitszuschlages von 10 Prozent abzustellen wäre. Denn im Falle eines Erkenntnisausfalls zur Ermittlung der angemessenen Referenzmiete sind zwar grundsätzlich die tatsächlichen Aufwendungen zu übernehmen. Diese werden allerdings durch die Tabellenwerte zu § 12 WoGG im Sinne einer Angemessenheitsobergrenze gedeckelt. Dabei ist im Interesse des Schutzes des elementaren Bedürfnisses des Leistungsberechtigten auf Sicherung des Wohnraums ein „Sicherheitszuschlag“ erforderlich, weil beim Fehlen eines schlüssigen Konzepts nicht mit Sicherheit beurteilt werden, wie hoch die angemessene Referenzmiete tatsächlich ist (st. Rspr., vgl. BSG, Urteil v. 11. Dezember 2012 - B 4 AS 44/12 R, juris Rn. 19); BSG, Urteil vom 12. Dezember 2013 – B 4 AS 87/12 R, juris Rn. 28; BSG, Urteil vom 16. Juni 2015 – B 4 AS 44/14 R –, juris Rn. 30).,

A-Stadt gehörte im streitgegenständlichen Zeitraum zur Mietenstufe III nach der Wohngeldverordnung (WoGV). Für einen Einpersonenhaushalt sah § 12 WoGG in der vom 1. Januar 2011 bis 31. Dezember 2015 geltenden Fassung einen Höchstbetrag von 330,- Euro in der Mietenstufe III vor. Bei einem Sicherheitszuschlag von 10 Prozent ergibt dies einen Betrag von 363,00 Euro, der exakt dem Wert des Konzeptes des IWU aus dem Jahr 2013 entspricht und unterhalb des Wertes des für den Zeitraum ab September 2015 anzuwendenden Konzeptes 2015 von 373,50 Euro liegt. Es ist danach ausgeschlossen, dass bei einer Überprüfung und Verwerfung der Konzepte des IWU 2013 und 2015 sich für den Kläger eine günstigere Berechnung der Kosten der Unterkunft im streitgegenständlichen Zeitraum Juli bis Dezember 2015 ergeben könnte. 

III. Hinsichtlich der Heizkosten fehlt es an einem Nachweis des Klägers, dass diese ca. 70,- Euro, wie im Weiterbewilligungsantrag angegeben, betragen. In den Jahren 2012 und 2013 entfielen von den von dem Vermieter beglichenen Heizkosten auf den Kläger für das Jahr 2012 468,18 Euro (somit 39,02 Euro monatlich) und für das Jahr 2013 490,62 Euro, somit 40,89 Euro. Werte für das bei Antragstellung am 30. Juni 2015 mutmaßlich schon abgerechnete Jahr 2014 (die vorliegenden Abrechnungen datieren jeweils aus dem April des Folgejahres) wurden nicht vorgelegt. Auch bei den nachfolgenden Weiterbewilligungsanträgen legte der Kläger keine Heiz- und Warmwasserkostenabrechnungen mehr vor. 

Es ist zwar möglich, dass die dem Kläger bewilligten 39,00 Euro Kosten der Heizung monatlich etwas zu gering angesetzt worden sind, nachdem bereits im Jahr 2013 40,86 Euro monatlich angefallen waren. Da jedoch sowohl ein Nachweis für den zurückliegenden Zeitraum 2014 bei Antragstellung nicht vorgelegt wurde als auch im weiteren Zeitverlauf eine Abrechnung für das Jahr 2015 (und auch Abrechnung für die Folgejahre) dem Beklagten nicht mehr vorgelegt wurde, hat der Senat keinen Anhalt, wie hoch die Heizkosten des Klägers im hier streitgegenständlichen Zeitraum tatsächlich waren. Sollte der Kläger noch die Abrechnung für 2015 dem Beklagten vorlegen, könnte sich hieraus im streitgegenständlichen Zeitraum gegebenenfalls ein Nachzahlungsbetrag ergeben. 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Revisionszulassungsgründe nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor. 
 

Rechtskraft
Aus
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