L 3 AL 147/19

Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 9 AL 123/17
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 3 AL 147/19
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Wenn ein Arbeitsloser von der Agentur für Arbeit postalisch nicht erreicht werden kann, weil trotz Angabe der zutreffenden Wohnanschrift und Vorlage aller maßgebenden Unterlagen nur der Name aus dem vorgelegten Identitätspapier erfasst wird und nicht der aktuelle Familienname, geht dies zu Lasten der Agentur für Arbeit.

2. Ein Erlöschen der Arbeitslosmeldung allein aufgrund Zeitablaufs sieht das Gesetz nicht vor.

3. Der Umstand, dass ein Arbeitnehmer zum Zeitpunkt der Begründung des Beschäftigungsverhältnisses im Ausland noch keinen Wohnsitz in Deutschland hatte und erst während der laufenden Beschäftigung im Ausland seinen Wohnsitz nach Deutschland verlegt und ab diesem Zeitpunkt in den ausländischen Beschäftigungsstaat pendelt, schließt den Status als „echter“ Grenzgänger nicht aus.

 

     
   
 

 

I.     Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 28. Mai 2019 und der Bescheid der Beklagten vom 25. Januar 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2. März 2017 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin ab dem 1. Januar 2017 Arbeitslosengeld in Höhe und im Umfang der gesetzlichen Bestimmungen zu zahlen.

 

II.    Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Rechtszügen zu erstatten.

 

III.   Die Revision wird zugelassen.

 

 

Tatbestand

 

Streitig ist ein Anspruch auf Arbeitslosengeld nach dem Sozialgesetzbuch Drittes Buch – Arbeitsförderung – (SGB III) ab dem 1. Januar 2017.

 

Die 1972 geborene Klägerin ist russische Staatsbürgerin. Sie absolvierte von September 1991 bis Juni 1997 ein Medizinstudium, war von November 2010 bis November 2012 in Y....  (Weißrussland) und von Januar 2013 bis zum 31. Dezember 2016 in X....  (Tschechische Republik; im Folgenden: Tschechien) als Ärztin beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis der Klägerin in X....  endete, nachdem ihr Aufenthaltstitel nicht verlängert wurde. Zuvor hatte sie zum Nachweis der Gleichwertigkeit ihres Abschlusses bei zwei Versuchen die Fachkundeprüfung nicht bestanden. Bei Verlängerung des Aufenthaltstitels hätte die Klägerin ihre Beschäftigung in X....  fortgesetzt.

 

Die Klägerin lernte bereits 2014 den in A…. wohnhaften deutschen Staatsangehörigen W....  kennen. Schon wenige Monate später zog sie in die Wohnung ihres späteren Ehemannes und pendelte teilweise mehrfach wöchentlich und jedes Wochenende zwischen A…. und X...., wo sie eine vom Arbeitgeber gestellte möblierte Einraumwohnung bewohnte. Die Klägerin besuchte seit dem 8. September 2015 bis zum 21. Dezember 2016 in der Regel zweimal wöchentlich Deutschkurse bei der Deutschen Sprachschule in A…. und verbrachte ihre Freizeit und Urlaube mit ihrem späteren Ehemann. Die Eheschließung erfolgte am 10. Juni 2016. Danach erfolgte am 7. September 2016 die Ummeldung nach A….. Aufgrund der Eheschließung erhielt die Klägerin in Deutschland einen Aufenthaltstitel, welcher ab dem 5. Oktober 2016 gültig ist.

 

Die Klägerin meldete sich am 15. Dezember 2016 persönlich in Anwesenheit ihres Ehemannes bei der Beklagten arbeitslos und beantragte die Zahlung von Arbeitslosengeld ab dem 1. Januar 2017. Sie legte neben dem Pass und dem Aufenthaltstitel unter dem Namen V....  auch die Steueridentifikationsnummer unter dem Namen Z…. und die Namensänderung in Z…. des Standesamtes A…. vor. Die Klägerin wurde, entsprechend einer internen Anweisung, wonach der auf dem vorgelegten Identitätspapier ausgewiesene Name zu erfassen sei, durch die Mitarbeiterin der Beklagten allein mit dem Geburtsnamen V....  elektronisch registriert, ohne den Ehenamen Z…. als Zusatz oder Hinweis zu vermerken. Entsprechend weisen die Antragsunterlagen, welche der Klägerin übergeben wurden, allein den Name V....  aus. Im Computerprogramm Verbis wurde der Name des Ehemannes der Klägerin vermerkt, in seiner Anwesenheit wurden leistungsrechtliche Fragen mit der Klägerin besprochen und festgestellt, dass die Identität des Kunden geprüft worden sei und die Verfügbarkeit ohne Einschränkungen vorliege.

 

Der von der Klägerin sodann übersandte Antrag auf Arbeitslosengeld und das Zusatzblatt "Prüfung Grenzgänger – Eigenschaft", welche auf den 17. Dezember 2016 datieren, weisen aus: seit 06/2016 verheiratet/eingetragene Lebenspartnerschaft; Familienversicherung seit dem 1. Januar 2017 und Meldeadresse in A…. gemeinsam mit Ehepartner.

 

Am 27. Dezember 2016 gelangte der an die Klägerin allein unter dem Namen V....  übersandte Vermittlungsvorschlag mit dem Aufdruck „Klärungssache 23. Dezember 2016 Empfänger unter der Anschrift nicht zu ermitteln“ in den Postrücklauf der Beklagten.

 

Die Beklagte erfasste daraufhin zum 27. Dezember 2016 die Abmeldung der Klägerin und löschte die Arbeitslosmeldung zum 30. Dezember 2016.

 

Die Beklagte lehnte den Antrag der Klägerin auf Arbeitslosengeld mit Bescheid vom 25. Januar 2017 ab, da sie in den letzten zwei Jahren vor dem 1. Januar 2017 in Deutschland nicht zwölf Monate versicherungspflichtig gewesen sei und die Anwartschaftszeit nicht erfüllt habe. Die Adresszeile weist erneut allein " V.... " aus.

 

Nach erneutem Postrücklauf veranlasste die Beklagte am 2. Februar 2017 eine Adressanfrage bei der Stadt A….. Die Auskunft vom 14. Februar 2017 enthielt den Passnamen V....  und den Namen "Z….".

 

Die Klägerin sprach aus eigenem Antrieb am 24. Februar 2017 persönlich bei der Beklagten vor und erklärte, dass der Name auf dem Aufenthaltstitel trotz der Heirat nicht geändert werde und sich die Namensänderung im Pass schwierig gestalte. Den Ablehnungsbescheid habe sie nicht erhalten, da am Briefkasten der Name "V.... " nicht stehe. Sie wandte sich gegen den ihr sodann ausgehändigten Bescheid vom 25. Januar 2017 mit Widerspruch und verwies auf die seit vier Jahren in Tschechien bestehende versicherungspflichtige Beschäftigung.

 

Die Beklagte erfasste sodann zum 24. Februar 2017 die erneute Arbeitslosmeldung.

 

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 2. März 2017 zurück. Die Beschäftigungszeit in Tschechien könne nicht berücksichtigt werden. Unmittelbar vor dem Beginn der Arbeitslosigkeit habe die Klägerin keine Versicherungszeit in Deutschland zurückgelegt. Zudem erfülle sie nicht den Status eines unechten Grenzgängers. Maßgebend sei, ob der Arbeitslose seine Unterkunft und seine Kontakte im Ausland nicht auf einen dauerhaften Aufenthalt ausgelegt habe und ob Zweck und Dauer der Abwesenheit sowie die Art der im anderen Mitgliedstaat aufgenommenen Beschäftigung den Schluss zulassen würden, dass die Rückkehr nach Deutschland geplant sei. Vorliegend sei der Hauptwohnsitz in Deutschland jedoch erst seit dem 7. September 2016 bestehend. Die versicherungspflichtige Versicherung in Tschechien habe seit Januar 2013 bestanden, sodass die Klägerin nicht wegen der Arbeitsaufnahme im Ausland von Deutschland nach Tschechien gependelt sein könne. Vor Beginn der Beschäftigung in Tschechien habe sie nicht in Deutschland gewohnt.

 

Der tschechische Träger bestätigte eine versicherungspflichtige Tätigkeit der Klägerin vom 1. Januar 2013 bis zum 31. Dezember 2016 und einen Bruttolohn von monatlich 39.377,00 Tschechische Kronen.

 

Die Beklagte bewilligte der Klägerin einen Deutsch-Fachkurs für Ärzte, welchen sie bis April 2018 absolvierte, wobei sie zuletzt am 15. September 2017 persönlich bei der Beklagten vorsprach.

 

Am 8. November 2017 änderte die Beklagte die Integrationsprognose von "nicht festgelegt" auf "nicht marktnah". Zum 18. Dezember 2017 erfasste die Beklagte die Abmeldung der Klägerin aus der Arbeitsvermittlung und vermerkte unter Abmeldegrund "keine Angaben", ohne dies der Klägerin mitzuteilen. Die Klägerin sprach bei der Beklagten nach Beendigung des Fachkurses 2018 erneut persönlich vor. Sie erzielte 2017 keinen Verdienst und übte keine Tätigkeit aus.

 

Die Klägerin hat am 24. März 2017 Klage erhoben. Sie sei „echter“ Grenzgänger. Im Rahmen der Antragstellung seien alle Daten mitgeteilt worden. Die unvollständige Erfassung könne nicht zu ihren Lasten gehen. Zumindest hätte sie einen Hinweis auf die Verwendung allein des Namens V....  und die Notwendigkeit des Anbringens eines Namensschildes erwartet. Der Pflicht, ihren aktuellen behördenbekannten Nachnamen auf dem Briefkasten anzubringen, sei sie nachgekommen. Es dürften nicht allein die seit der Eheschließung zurückgelegten Beitragszeiten Berücksichtigung finden. Die EG-Verordnung sehe eine derartige zeitliche Beschränkung nicht vor.

 

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 28. Mai 2019 abgewiesen. Die Klägerin könne allenfalls mit dem Zeitpunkt der durch ihren Einzug in die Ehewohnung nach der Eheschließung vollzogenen Familienzusammenführung als (echte) Grenzgängerin angesehen werden. Entscheidend sei, ob bei Ausübung einer Beschäftigung ein Wohnort in einem anderen Mitgliedstaat bestanden habe, wobei es auf dessen Dauer und Kontinuität bis zur Abwanderung des Arbeitnehmers, die Dauer und den Zweck der Abwesenheit, die Art der im anderen Mitgliedstaat aufgenommenen Beschäftigung sowie die Absicht des Arbeitnehmers, an den Ort vor Aufnahme dieser Beschäftigung zurückzukehren, ankomme. Bei der Klägerin fehle ein zum Zwecke der Arbeitsaufnahme in einem anderen Mitgliedsstaat erfolgtes Verlassen des bisherigen Wohnsitzstaates. Auch bei anderer Bewertung würden die ab Eheschließung und Umzug nach A…. bis zum Eintritt der Beschäftigungslosigkeit zurückgelegte Beschäftigungsverhältnis zur Erfüllung der zwölfmonatigen Anwartschaftszeit nicht ausreichen.

 

Die Klägerin hat gegen das ihr am 18. Oktober 2019 zugestellte Urteil am 18. November 2019 Berufung eingelegt. Da sie echte Grenzgängerin sei, sei sie nur in Deutschland anspruchsberechtigt. Auch der nicht die Unionsbürgerschaft besitzende Ehegatte eines Unionsbürgers dürfe sich mit diesem innerhalb der Union bewegen und aufhalten, ohne sich zuvor rechtmäßig in einem Mitgliedsstaat aufgehalten zu haben. Soweit vertreten werde, erst ab der Eheschließung würden die in Tschechien zurückgelegten Beitragszeiten zur Arbeitslosenversicherung Berücksichtigung finden können, sei dies unzutreffend, da dies dem Sinn und Zweck der Freizügigkeitsregelung und Niederlassungsfreiheit entgegenstehen würde.

 

Die Klägerin beantragt,

 

das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 28. Mai 2019 sowie den Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 25. Januar 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. März 2017 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin ab dem 1. Januar 2017 Arbeitslosengeld in Höhe und im Umfang der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.

 

Die Beklagte beantragt,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Die zum Zeitpunkt der Antragstellung 44 Jahre alte Klägerin habe bei Erfüllung der Anwartschaftszeit grundsätzlich einen Anspruch auf Arbeitslosengeld für 12 Monate. Bis zur Vorsprache am 24. Februar 2017 und ab dem 18. Dezember 2017 sei sie jedoch wegen der fehlenden Verfügbarkeit nicht arbeitslos gewesen. Daher könne allein vom 24. Februar 2017 bis zum 17. Dezember 2017 ein Anspruch bestehen. Die Klägerin habe gewusst, dass sie unter dem Namen V....  erfasst worden sei und hätte die notwendigen Vorkehrungen für eine Erreichbarkeit treffen müssen.

 

Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird die Verwaltungsakte der Beklagten und die Gerichtsakte beider Instanzen in Bezug genommen.

 

 

Entscheidungsgründe

 

I. Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung ist begründet. Das Urteil des Sozialgerichts und der Bescheid der Beklagten vom 25. Januar 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2. März 2017 sind aufzuheben. Die Klägerin hat gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf Zahlung von Arbeitslosengeld ab dem 1. Januar 2017 in Höhe und Umfang der gesetzlichen Bestimmungen.

 

Die Klägerin verfolgt ihr Begehren zutreffend mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (vgl. § 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 des Sozialgerichtsgesetzes [SGG]), zulässigerweise gerichtet auf den Erlass eines Grundurteils (vgl. § 130 Abs. 1 Satz 1 SGG).

 

1. Maßgebend für die Prüfung des geltend gemachten Anspruchs auf Zahlung von Arbeitslosengeld ab dem 1. Januar 2017 ist das SGB III in der seit 1. April 2012 geltenden Fassung (vgl. Artikel 2 Nr. 18 des Gesetzes vom 20. Dezember 2011 [BGBl. I S. 2854]).

 

Gemäß § 136 Abs. 1 Nr. 1 SGB III haben Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Anspruch auf Arbeitslosengeld bei Arbeitslosigkeit. Gemäß § 137 Abs. 1 SGB III hat Anspruch auf Arbeitslosengeld bei Arbeitslosigkeit, wer

1.  arbeitslos ist,

2.  sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet und

3.  die Anwartschaftszeit erfüllt hat.

 

Arbeitslos ist gemäß § 138 Abs. 1 SGB III, wer Arbeitnehmerin oder Arbeitnehmer ist und

1.  nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht (Beschäftigungslosigkeit),

2.  sich bemüht, die eigene Beschäftigungslosigkeit zu beenden (Eigenbemühungen), und

3.  den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit zur Verfügung steht (Verfügbarkeit).

 

Nach § 141 Abs. 1 Satz 1 SGB III hat sich die oder der Arbeitslose persönlich bei der zuständigen Agentur für Arbeit arbeitslos zu melden. Nach § 141 Abs. 1 Satz 2 SGB III ist eine Meldung auch zulässig, wenn die Arbeitslosigkeit noch nicht eingetreten, der Eintritt der Arbeitslosigkeit aber innerhalb der nächsten drei Monate zu erwarten ist. Nach § 141 Abs. 2 SGB III erlischt die Wirkung der Meldung

1.  bei einer mehr als sechswöchigen Unterbrechung der Arbeitslosigkeit,

2.  mit der Aufnahme der Beschäftigung, selbständigen Tätigkeit, Tätigkeit als mithelfende Familienangehörige oder als mithelfender Familienangehöriger, wenn die oder der Arbeitslose diese der Agentur für Arbeit nicht unverzüglich mitgeteilt hat.

 

Gemäß § 142 Abs. 1 Satz 1 SGB III hat die Anwartschaftszeit erfüllt, wer in der Rahmenfrist mindestens zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden hat. Die Rahmenfrist betrug gemäß § 143 Abs. 1 Halbsatz 1 SGB III (in der bis zum 31. Dezember 2019 geltenden Fassung; vgl. Artikel 2 Nr. 18 des Gesetzes vom 20. Dezember 2011 [a. a. O.]) zwei Jahre; sie beginnt mit dem Tag vor der Erfüllung aller sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld (vgl. § 143 Abs. 1 Halbsatz 2 SGB III). Die Rahmenfrist reicht nicht in eine vorangegangene Rahmenfrist hinein, in der die oder der Arbeitslose eine Anwartschaftszeit erfüllt hatte (vgl. § 143 Abs. 2 SGB III).

 

2. Hiervon ausgehend hat die Klägerin am 1. Januar 2017 alle Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld bei Arbeitslosigkeit gegenüber der Beklagten als zuständigen Leistungsträgerin [hierzu unter a)] erfüllt. Sie hatte sich am 15. Dezember 2016 bei der Agentur für Arbeit persönlich arbeitssuchend gemeldet, stand ab dem 1. Januar 2017 in keinem Beschäftigungsverhältnis, bemühte sich, ihre Beschäftigungslosigkeit zu beenden, und stand den Vermittlungsbemühungen der Beklagten objektiv und subjektiv zur Verfügung. Ihrer Verfügbarkeit stand nicht entgegen, dass der erste Vermittlungsvorschlag und der Bescheid vom 25. Januar 2017 zunächst in den Postrücklauf gelangten [hierzu unter b)]. Nachfolgend ist weder die Arbeitslosmeldung der Klägerin erloschen noch fehlte es an der notwendigen Verfügbarkeit ab dem 18. Dezember 2017 [hierzu unter c)]. Die Klägerin hat zudem als „echte“ Grenzgängerin unter Berücksichtigung der nach tschechischen Rechtsvorschriften von Januar 2013 bis zum 31. Dezember 2016 zurückgelegten Beitragszeiten die Anwartschaftszeit erfüllt, da sie innerhalb der Rahmenfrist mindestens zwölf Monate in einem Versicherungsverhältnis gestanden hat [hierzu unter d)].

 

a) Die Beklagte ist für den geltend gemachten Anspruch der Klägerin auf Zahlung von Arbeitslosengeld zuständig.

 

(1) Der Anspruch auf Arbeitslosengeld unterliegt als soziales Recht nach § 2 des Sozialgesetzbuchs Erstes Buch – Allgemeiner Teil - (SGB I) den Bestimmungen des SGB I. Es gilt daher grundsätzlich das Territorialitätsprinzip. Anspruch auf Arbeitslosengeld haben nach § 3 Abs. 2 Nr. 4 Alt. 1, § 19 Abs. 1 Nr. 4 SGB I in Verbindung mit § 30 Abs. 1 SGB I lediglich Personen, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich des Sozialgesetzbuches, das heißt in Deutschland haben. Vorbehaltlich abweichender Regelungen im Sozialgesetzbuch (vgl. § 37 SGB I) haben Drittstaatsangehörige die gleichen Ansprüche auf Sozialleistungen wie Deutsche, solange sie ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben (vgl. § 30 Abs. 1 und 3 SGB I). Einen Wohnsitz hat jemand dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird (vgl. § 30 Abs. 3 Satz 1 SGB I). Die Wohnung muss somit auf Dauer genutzt und auf den Mittelpunkt der Lebensbeziehungen schließen lassen, wobei es in erster Linie auf die objektiven Gegebenheiten, insbesondere auf die tatsächlichen, das heißt persönlichen und wirtschaftlichen, Verhältnisse und Existenzbeziehungen und weniger auf die rechtlichen Umstände ankommt (vgl. Lilge in: Lilge/Gutzler, SGB I [5. Aufl., 2019], § 30 Rdnr. 39 m. w. N.).

 

(2) Zum Zeitpunkt des Eintritts der Arbeitslosigkeit am 1. Januar 2017 hatte die Klägerin ihren Wohnsitz (unstreitig) in Deutschland. Denn die Meldung beim Einwohnermeldeamt in A…. erfolgte bereits am 7. September 2016.

 

Tatsächlich hat die Klägerin jedoch bereits spätestens im September 2015 ihren Wohnsitz nach Deutschland verlegt. Sie ist zu diesem Zeitpunkt auf Dauer in die Wohnung ihres späteren Ehemannes in A…. eingezogen.

 

Die spätestens im September 2015 erfolgte Wohnsitzverlegung nach Deutschland folgt aus den unbestritten gebliebenen, nachvollziehbaren und glaubhaften Angaben der Klägerin und den vorgelegten Verträgen zu den in A…. ab diesem Zeitpunkt mehrfach wöchentlich besuchten Deutschkursen. Trotz der in X....  weiterhin ausgeübten Vollzeittätigkeit verlagerte die Klägerin bereits zu diesem Zeitpunkt wegen der eingegangenen Lebenspartnerschaft ihren privaten und gesellschaftlichen Lebensmittelpunkt nach A…. und pendelte nur noch zur Ausübung ihrer Tätigkeit weiterhin nach Tschechien, ihren Beschäftigungsstaat. Dass die Klägerin beabsichtigte, ihre Tätigkeit in X.... , das ca. 91 km von A…. entfernt liegt, fortzusetzen, steht der Annahme der dauerhaften Begründung eines Wohnsitzes in A…. nicht entgegen. In X....  wurde ihr vom Arbeitgeber allein eine möblierte Einraumwohnung zur Verfügung gestellt, deren Aufgabe ersichtlich weder sinnvoll noch notwendig war. Die spätere Dauer der Beschäftigungssuche und der von der Beklagten bewilligte Deutsch-Fachkurs für Ärzte belegen zudem die Probleme im Rahmen der Anerkennung der Ausbildung und Beschäftigungsaufnahme der Klägerin. Daher führte erst der unfreiwillige Verlust der Tätigkeit in X....  zur Beschäftigungslosigkeit der Klägerin. Denn ein Wohnsitz kann auch ohne ordnungsrechtliche Meldung begründet werden.

 

b) Der Verfügbarkeit der Klägerin stand nicht entgegen, dass der erste Vermittlungsvorschlag der Beklagten und der Bescheid vom 25. Januar 2017 zunächst in den Postrücklauf gelangten.

 

(1) Der Beschäftigungslose ist dann objektiv verfügbar, wenn er den Vorschlägen der Bundesagentur für Arbeit zur beruflichen Eingliederung zeit- und ortsnah Folge leisten kann. Zur Konkretisierung dieser Anforderung hat der Verwaltungsrat der Bundesanstalt für Arbeit (heute Bundesagentur für Arbeit) auf Grund der Anordnungsermächtigung nach § 164 Nr. 2 SGB III, § 373 Abs. 5 SGB III und mit Genehmigung des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung am 23. Oktober 1997 (ANBA S. 1685, 1998 S. 1100) die Anordnung zur Pflicht des Arbeitslosen, Vorschlägen des Arbeitsamtes zur beruflichen Eingliederung zeit- und ortsnah Folge leisten zu können (Erreichbarkeitsanordnung – EAO; zuletzt geändert durch die 2. Änderungsanordnung zur EAO vom 26. September 2008 [ANBA Nr. 12 S. 5]) erlassen. Der Beschäftigungslose hat danach sicherzustellen, dass das Arbeitsamt ihn persönlich an jedem Werktag an seinem Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt unter der von ihm benannten Anschrift (Wohnung) durch Briefpost allein durch Inanspruchnahme des Postdienstes erreichen kann (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 2 EAO). Dies erfordert, dass der Arbeitslose gegenüber der Bundesagentur für Arbeit seinen Wohn- oder Aufenthaltsort so genau bezeichnet, dass Postsendungen unmittelbar, ohne Verzögerung durch Nachforschungen, ohne Einschaltung dritter Personen und ohne Abhängigkeit von Zufällen zugestellt werden können. Wenn ein Arbeitsloser mit anderen Personen in einer Wohnung lebt oder in einem Wohnhaus mehrere Wohnungen sind, trifft ihn die aus dem Versicherungsverhältnis abzuleitende Obliegenheit, durch klarstellende Hinweise oder Zusätze zu der Anschrift dafür Sorge zu tragen, dass der Postbedienstete ohne weitere Nachfrage die Postzugangseinrichtung (Briefkasten, Briefschlitz in der Wohnungstür) für diese Anschrift auffinden kann (vgl. BSG, Urteil vom 2. März 2000 – B 7 AL 8/99 RSozR 3-4100 § 103 Nr. 22 = SozR 3-4300 § 119 Nr. 1 = juris Rdnr. 15; Öndül, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB III [2. Aufl., 2020] § 138 Rdnr. 102ff.).

 

(2) Danach stand vorliegend die Erfassung allein des Namens „V.... “ und der fehlende Zusatz oder Hinweis auf den Namen „Z….“ im Adressfeld der Klägerin der Verfügbarkeit der Klägerin nicht entgegen. Denn die Klägerin, welche im Beisein ihres Ehemannes persönlich bei der Beklagten vorgesprochen hatte, gab nicht nur die zutreffende Wohnadressen, sondern neben dem im Pass und auf dem Aufenthaltstitel noch erfassten Namen „V.... “ auch die Namensänderung des Standesamtes A…. in "Z…." und somit ihren Ehenamen, unter welchem sie postalisch erreichbar war, an. Dass von der Beklagten nicht der Name „Z….“, sondern allein der Name „V.... “ erfasst wurde, beruhte auf einer Entscheidung der Mitarbeiterin der Beklagten, welche entsprechend einer internen Weisung den Namen des vorgelegten Identitätspapiers elektronisch erfasste. Dass der Name „Z….“ noch nicht einmal als Zusatz oder Hinweis vermerkt wurde, war somit nicht die Folge einer ungenauen Bezeichnung durch die Klägerin, die vollständige und zutreffende Angaben gemacht hatte. Eine Obliegenheitsverletzung der Klägerin liegt aufgrund dieser Umstände auch nicht in der unterbliebenen späteren handschriftlichen Ergänzung der von der Beklagten elektronisch erfassten Daten auf dem Antrag oder in dem unterbliebenen Hinweis auf die konkrete Beschriftung des eigenen Briefkastens. Denn der Beklagten waren ausweislich der Verwaltungsakte alle notwendigen Tatsachen bekannt, so dass die Klägerin davon ausgehen konnte, dass die notwendige postalische Erreichbarkeit gegeben war. Denn dass die Beklagte trotz Kenntnis des Ehenamens die Schreiben nur unter Angabe des Namens „V.... “ versenden würde und die Klägerin daher den Briefkasten ergänzend beschriften müsste, war für sie unter diesen Umständen nicht erkennbar. Dies zumindest innerhalb der hier betroffenen Zeitspanne von nicht einmal zwei Monaten der Beschäftigungslosigkeit. Denn die Klägerin hat bereits am 24. Februar 2017 aus eigenem Antrieb erneut bei der Beklagten vorgesprochen, nachdem sie keine weiteren Mitteilungen der Beklagten erhalten hatte.

 

c) Die Arbeitslosmeldung der Klägerin ist entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht ab dem 18. Dezember 2017 erloschen. Es fehlt ab diesem Zeitpunkt gleichfalls nicht an der notwendigen Verfügbarkeit der Klägerin.

 

(1) Ein Erlöschen der Arbeitslosmeldung allein aufgrund Zeitablaufs sieht das Gesetz nicht vor (vgl. § 141 SGB III). Zwar gab es mit der Einführung des SGB III zum 1. Januar 1998 in § 122 Abs. 2 Nr. 3 SGB III a. F. bis zum 31. Juli 1999 die Regelung, dass die anspruchsbegründende Wirkung der persönlichen Arbeitslosmeldung nach Ablauf von drei Monaten erlosch, wenn der Arbeitslose diese nicht vor Ablauf dieser Zeit beim Arbeitsamt oder einem an der Vermittlung beteiligten Dritten erneuerte (vgl. Artikel 1 des Gesetzes vom 24. März 1997 [BGBl. I S. 594], geändert durch Artikel 3 des Gesetzes vom 16. Dezember 1997 [BGBl. I S. 2998] und Artikel 2 des rückwirkenden Gesetzes zur sozialrechtlichen Absicherung flexibler Arbeitszeitregelungen vom 6. April 1998 [BGBl. I S. 688 f, 693]). Die ersatzlose Streichung des § 122 Abs. 2 Nr. 3 SGB III a. F. (vgl. Artikel 1 Nr. 12 Buchst. a DBuchst. bb des Gesetzes vom 21. Juli 1999 [BGBl. I S. 1648]) wurde wie folgt begründet: "Die seit 1. Januar 1998 geltende Verpflichtung von Arbeitslosen, ihre persönliche Arbeitslosmeldung im Abstand von drei Monaten zu erneuern, hat in der Praxis zu erheblichem Verwaltungsaufwand in den Arbeitsämtern geführt. Zur Bekämpfung des Leistungsmißbrauchs reichen effektivere Instrumente, wie etwa die Einladung von Arbeitslosen im Rahmen der Meldepflicht (§ 309), aus. Die Bundesregierung geht davon aus, daß die Arbeitsverwaltung dafür Sorge trägt, daß der mißbräuchlichen Inanspruchnahme von Leistungen auch durch intensivierte Meldekontrollen entgegengewirkt wird. Die Regelung zur Erneuerung der Arbeitslosmeldung soll deshalb entfallen" (BT-Drucks 14/873, S 12)." Entsprechend hat das Bundessozialgericht bereits mit Urteil vom 14. Mai 2014 (B 11 AL 8/13 R – SozR 4-4300 § 309 Nr. 2 = juris, jeweils Rdnr. 14 ff.) entschieden, dass danach selbst ein dreimaliges Meldeversäumnis die Verfügbarkeit eines Arbeitslosen nicht unmittelbar entfallen lässt.

 

(2) Allein die für drei Monate während des Besuchs des Deutsch-Fachkurses für Ärzte nicht erfolgte Vorsprache der Klägerin bei der Beklagten führt daher weder zum Erlöschen der Arbeitslosmeldung noch rechtfertigt dies die Annahme fehlender Verfügbarkeit. Die Klägerin hat weder Meldetermine versäumt noch durch ein sonstiges Verhalten zu verstehen gegeben, dass sie der Vermittlung durch die Beklagte nicht mehr zur Verfügung steht.

 

d) Die Klägerin hat unter Berücksichtigung der in Tschechien zurückgelegten Beitragszeiten auch die notwendige Anwartschaftszeit erfüllt (vgl. § 142 Abs. 1 Satz 1 SGB III).

 

(1) Aufgrund der mit Wirkung zum 1. Januar 2017 erfolgten Arbeitslosmeldung und der Erfüllung aller sonstigen Anspruchsvoraussetzungen im Sinne des § 137 SGB III am 1. Januar 2017 umfasst die Rahmenfrist nach § 142 Abs. 1 SGB III vorliegend die Zeit ab 31. Dezember 2016 und reicht zurück bis zum 1. Januar 2015. Die Klägerin stand innerhalb dieses Zeitraums in Deutschland weder in einem Versicherungspflichtverhältnis im Sinne des § 24 SGB III, noch war sie versicherungspflichtig im Sinne des § 26 SGB III. Es bestand auch kein Versicherungspflichtverhältnis nach § 28a SGB III.

 

Ausweislich der PD U1-Bescheinigung, welche nach Artikel 5 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit Bindungswirkung entfaltet, stand die Klägerin in der Zeit vom 1. Januar 2013 bis zum 31. Dezember 2016 jedoch als Ärztin in einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis in Tschechien. Zwar handelt es sich bei einem ausländischen Beschäftigungsverhältnis nicht um ein Versicherungspflichtverhältnis im vorgenannten Sinne. Allerdings ergibt sich ein Anspruch der Klägerin auf Arbeitslosengeld aus abweichenden Regelungen des über- oder zwischenstaatlichen Rechts (vgl. § 30 Abs. 2 SGB I).

 

(2) Rechtsgrundlage für die Anerkennung von Anwartschaftszeiten aus Auslandsbeschäftigungen ist die zur sozialen Absicherung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer vom Europäischen Parlament und dem Rat der Europäischen Union erlassene Verordnung (EG) Nr. 883/2004 vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherung, die Verordnung (EG) Nr. 988/2009 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 sowie die Verordnung (EG) Nr. 987/2009 vom 16. September 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit. Der persönliche Geltungsbereich in Artikel 2 VO (EG) 883/2004 wird durch Artikel 1 der Verordnung (EU) Nr. 1231/2010 vom 24. November 2010 (zur Ausdehnung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 und der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 auf Drittstaatsangehörige, die ausschließlich aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit nicht bereits unter diese Verordnungen fallen) auf Drittstaatsangehörige erweitert.

 

Die Einbeziehung der tschechischen Versicherungs- und Beschäftigungszeiten richtet sich nach Artikel 61 Abs. 1 Satz 1 VO (EG) 883/2004. Danach berücksichtigt der zuständige Träger eines Mitgliedstaats, nach dessen Rechtsvorschriften der Erwerb, die Aufrechterhaltung, das Wiederaufleben oder die Dauer des Leistungsanspruchs von der Zurücklegung von Versicherungszeiten, Beschäftigungszeiten oder Zeiten einer selbstständigen Erwerbstätigkeit abhängig ist, soweit erforderlich, die Versicherungszeiten, Beschäftigungszeiten oder Zeiten einer selbstständigen Erwerbstätigkeit, die nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats zurückgelegt wurden, als ob sie nach den für ihn geltenden Rechtsvorschriften zurückgelegt worden wären.

 

(3) Die Beklagte ist als Wohnmitgliedstaat zuständiger Träger im Sinne des Artikel 61 Abs. 1 Satz 1 VO (EG) 883/2004. Denn die Klägerin ist „echter“ Grenzgänger im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 883/2004.

 

(3.1) Hinsichtlich der Leistungszuständigkeit geht die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 im Grundsatz vom Recht des Staates der letzten Beschäftigung aus (vgl. Artikel 61 Abs. 2 und Artikel 11 Abs. 2 Buchst. a VO [EG] Nr. 883/2004). Ausländische Versicherungs- und Beschäftigungszeiten können für einen Anspruch auf Arbeitslosengeld oder zur Erhöhung der Anspruchsdauer danach nur dann berücksichtigt werden, wenn zwischen der Auslandsbeschäftigung und dem Eintritt der Arbeitslosigkeit und Antragstellung in Deutschland eine versicherungspflichtige Beschäftigung in Deutschland ausgeübt wurde (vgl. Artikel 61 Abs. 2 VO [EG] Nr. 883/2004). Der Arbeitslose hat nach dem Gemeinschaftsrecht grundsätzlich keinen Anspruch auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit nach den Vorschriften eines anderen Mitgliedstaates als desjenigen, in dem er arbeitslos geworden ist (vgl. Valgolio, in: Hauck/Noftz, SGB III [Stand: Erg.-Lfg. Stand 4/18], § 137, Rdnr. 80 mit Verweis auf EuGH, Urteil vom 9. Juli 1975 – 20/75 [d'Amico] – Slg. 1975, 891 = SozR 6050 Art. 45 Nr. 1 = juris; EuGH, Urteil vom 23. November 1976 – 40/76 [Kermaschek] – Slg. 1991, 2543 = SozR 3-6050 Art. 67 Nr. 1 = juris). Artikel 48 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) (ursprünglich geregelt in Art. 42 und davor in Art. 51 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EG-Vertrag [EGV]) untersagt es dem Gemeinschaftsgesetzgeber nicht, die zur Verwirklichung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer eingeräumten Vergünstigungen von bestimmten Voraussetzungen abhängig zu machen und ihre Grenzen festzulegen (vgl. EuGH, Urteil vom 19. Juni 1980 – 41/79 [Testa u. a.] – Slg. 1980, 1979 = SozR 6050 Art. 69 Nr. 6 = juris Rndr. 14). Es ist nicht zu beanstanden, wenn der Rat mit dem Anspruch auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit das Ziel verfolgt, die Arbeitsuche im Mitgliedstaat der letzten Beschäftigung zu fördern und durch diesen Staat die Leistungen tragen zu lassen (vgl. EuGH, Urteil vom 4. Juni 1987 – 375/85 [Campana] – Slg.1992, 2737 = SozR 3-6050 Art. 67 Nr. 3 = juris).

 

Ausnahmen von der Notwendigkeit einer "Vorbeschäftigung" sieht die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 nur für sogenannte "echte" Grenzgänger, "unechte" Grenzgänger und Personen mit "Kurzarbeit oder sonstigem vorübergehenden Arbeitsausfall" vor. Gemäß Artikel 65 Abs. 5 Buchst a VO (EG) Nr. 883/2004 erhält der in Artikel 65 Abs. 2 Satz 1 VO (EG) Nr. 883/2004 bezeichnete Arbeitslose Leistungen nach den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats, als ob diese Rechtsvorschriften für ihn während seiner letzten Beschäftigung gegolten hätten.

 

Dies hat zur Folge, dass durch einen Wohnsitzwechsel in einen anderen Mitgliedstaat erst nach Beendigung der Beschäftigung der neue Wohnstaat für die Leistungen bei Arbeitslosigkeit nicht zuständig wird, wenn dort keine weiteren Beschäftigungs- oder Versicherungszeiten zurückgelegt wurden (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 17. Oktober 2013 – L 9 AL 77/12 – juris Rdnr. 31). In diesem Fall bleibt „zuständiger Staat“ der Mitgliedstaat der letzten Beschäftigung (vgl. EuGH, Urteil vom 11. Oktober 1984 – 128/83 [Guyot] – Slg. 1984, 3507 = SozR 6050 Art. 71 Nr. 7).

 

(3.2) Die Klägerin war im maßgebenden Zeitraum zwar ausschließlich in Tschechien beschäftigt und übte nach der Auslandsbeschäftigung und vor dem Eintritt der Beschäftigungslosigkeit und Beantragung von Arbeitslosengeld zum 1. Januar 2017 in Deutschland keine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung aus. Jedoch hatte die Klägerin bereits vor dem Eintritt des Versicherungsfalles am 1. Januar 2017 ihren Wohnsitz spätestens im September 2015 nach Deutschland verlegt und war ab diesem Zeitpunkt „echte“ Grenzgängerin, so dass sie sich in Deutschland der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stellen musste und Leistungen nach den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats erhält, als ob diese Rechtsvorschriften für sie während der letzten Beschäftigung gegolten hätten.

 

(3.2.1) Für den "echten" Grenzgänger bestimmt Artikel 65 Abs. 2, Abs. 5 lit. a) VO (EG) Nr. 883/2004, dass sich eine vollarbeitslose Person, die während ihrer letzten Beschäftigung in einem anderen als dem zuständigen Mitgliedstaat gewohnt hat und weiterhin in diesem Mitgliedstaat wohnt oder in ihn zurückkehrt, der Arbeitsverwaltung des Wohnmitgliedstaats zur Verfügung stellen muss. Der Wohnmitgliedstaat ist für Leistungen bei Arbeitslosigkeit grundsätzlich und alleinig zuständig (Ausschließlichkeitsgrundsatz), auch wenn sich der echte Grenzgänger zusätzlich der Arbeitsverwaltung des Beschäftigungslandes zur Verfügung stellen kann (vgl. BSG, Urteil vom 23. Oktober 2018 – B 11 AL 20/17 R = SozR 4-6065 Art 61 Nr. = juris Rdnr. 24 m. w. N.; BSG, Urteil vom 12. Dezember 2017 – B 11 AL 21/16 RBSGE 125, 38-45 = SozR 4-6065 Art 65 Nr. 1. = juris Rdnr. 17; Kador in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB I [3. Aufl., 2021] Art. 65 VO (EG) 883/2004 Rdnr. 38).

 

Konkretisierend bezeichnet Artikel 1 Buchst f VO (EG) Nr. 883/2004 als "Grenzgänger" eine Person, die in einem Mitgliedstaat eine Beschäftigung oder selbstständige Erwerbstätigkeit ausübt und in einem anderen Mitgliedstaat wohnt, in den sie in der Regel täglich, mindestens jedoch einmal wöchentlich, zurückkehrt. Als Grenzgänger gelten daher neben den sogenannten Tagespendlern auch Wochenendpendler, die nicht im Grenzgebiet wohnen oder arbeiten. Da die wöchentliche Rückkehr nach dem Wortlaut der Vorschrift jedoch die Mindestvoraussetzung ist, müssen bei Wochenendpendlern für die Annahme der "echten" Grenzgänger-Eigenschaft weitere Umstände hinzutreten (vgl. Kador, a. a. O., Art. 65 VO (EG) 883/2004 Rdnr. 22).

 

Der Begriff des sog. "unechten" Grenzgängers ist nicht legal definiert ist. Artikel 65 Abs. 2 Satz 3 und Abs. 5 Buchst. b VO (EG) Nr. 883/2004 setzt jedoch die Figur des "unechten" Grenzgängers nach seiner Systematik voraus. Nach dem Beschluss Nr. U2 der Verwaltungskommission gilt Artikel 65 Abs. 5 VO (EG) Nr. 883/2004 insbesondere für Seeleute (Artikel 11 Abs. 4 VO [EG] Nr. 883/2004), Personen, die ihre Tätigkeit gewöhnlich im Gebiet von zwei oder mehr Mitgliedstaaten ausüben (Artikel 13 VO [EG] Nr. 883/2004) und Personen, für die eine Vereinbarung nach Artikel 16 Abs. 1 VO [EG] Nr. 883/2004 gilt. Zwar enthält der Beschluss Nr. U2 keine abschließende Aufzählung des begünstigten Personenkreises. Grundsätzlich haben jedoch danach Arbeitslose, die nicht vom Beschluss Nr. U2 erfasst werden und die nach Beendigung eines Beschäftigungsverhältnisses oder einer selbstständigen Erwerbstätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat nach Deutschland zurückkehren, am Ort ihrer Beschäftigung oder Ausübung ihrer selbstständigen Erwerbstätigkeit auch ihren gewöhnlichen Aufenthalt (Wohnort), so dass sie sich bei der Begründung eines Leistungsanspruches nicht auf den Status eines "unechten" Grenzgängers berufen können (vgl. EuGH, Urteil vom 17. Februar 1977 – 76/76 [Di Paolo] – Slg 1977, 315 ff. = juris; BSG, Urteil vom 12. Dezember 1990 – 11 RAr 141/90BSGE 68, 75 ff. = SozR 3-6050 Art 71 Nr. 2).

 

(3.2.2) Die Klägerin war seit Verlegung ihres Wohnsitzes nach Deutschland spätestens im September 2015 „echte“ Grenzgängerin. Denn sie kehrte teilweise täglich, jedenfalls aber einmal wöchentlich und an den Wochenenden an ihren Wohnsitz zurück. Zudem bewohnte sie allein in A…. eine private Wohnung mit ihrem Lebensgefährten und späteren Ehemann. Aufgrund der häufigen Heimreisen auch außerhalb des Urlaubs und der absolvierten Deutschkurse bestand daher eine so enge Bindung zum Wohnsitzstaat, dass die Klägerin im Falle der Arbeitslosigkeit hier die besten Aussichten auf eine dauerhafte Wiedereingliederung hatte. Im Gegensatz dazu bestand zum Beschäftigungsstaat Tschechien keine enge Bindung der Klägerin. In X....  hatte die Klägerin erst im Januar 2013 allein zur Ausübung der Beschäftigung einen Wohnsitz begründet, wobei sie von Beginn an allein eine vom Arbeitgeber gestellte möblierte Einraumwohnung bewohnte. Der Beschäftigungsstaat war nicht der Heimatstaat der Klägerin, eine weitere oder erneute Ausübung einer Beschäftigung in Tschechien war der Klägerin, nachdem der Aufenthaltstitel nicht verlängert worden war, unmöglich. Sie unterhielt in Tschechien auch keine familiären Bindungen.

 

Auch der Umstand, dass die Klägerin zum Zeitpunkt der Begründung des Beschäftigungsverhältnisses in Tschechien im Januar 2013 noch keinen Wohnsitz in Deutschland hatte und somit erst während der laufenden Beschäftigung in Tschechien spätestens im September 2015 ihren Wohnsitz nach Deutschland verlegte und ab diesem Zeitpunkt in den Beschäftigungsstaat pendelte, sowie die erst Ende 2016 erfolgte Eheschließung und Registrierung bei den Meldebehörden führt zu keiner anderen Wertung und schließt den Status als „echter“ Grenzgänger nicht aus.

 

Hinsichtlich der Prüfung der Grenzgängerschaft hat der Europäische Gerichtshof bereits mit Urteil vom 22. September 1988 (Az.: 236/87 [Bergemann] – Slg 1988, 5125 ff. = NJW 1989, 662 f = SozR 6050 Art 71 Nr. 10 = juris Rdnr.12 und 13) entschieden, dass ein Arbeitnehmer, der, nachdem er seinen Wohnort in einen anderen Mitgliedstaat als den Beschäftigungsstaat verlegt hat, nicht mehr diesen letztgenannten aufsucht, nicht unter den Begriff des Grenzgängers im Sinne des Artikels 1 Buchst. b der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern fällt und sich deshalb nicht auf Artikel 71 Abs. 1 Buchst. a Ziffer ii dieser Verordnung berufen kann.

 

Ein Arbeitnehmer, der – wie die Klägerin – seinen Wohnort zur Familiengründung in einen anderen Mitgliedstaat dauerhaft verlegt und die Beschäftigung in einem anderen Mitgliedstaat aufrechterhält, kann jedoch Grenzgänger im Sinne der Verordnung werden (vgl. BSG, Urteil vom 12. Dezember 2017, a. a. O., juris Rdnr. 15; Kador, a. a. O., Art. 61 VO (EG) 883/2004 Rdnr. 27 ff.; Art. 65 VO (EG) 883/2004 Rdnr. 39.1). Dies folgt bereits aus der Definition des Begriffs Wohnsitz gemäß Artikel 1 Buchst. j VO (EG) 883/2004, wonach für die Zwecke dieser Verordnung der Ausdruck "Wohnort" den Ort des gewöhnlichen Aufenthalts einer Person bezeichnet. Dies wird auch durch Artikel 11 Abs. 2 VO (EG) 987/2009 gestützt, wonach der Wille der Person, wie er sich aus den Fakten und Umständen erkennen lässt, unter Einbeziehung insbesondere der Gründe, die die Person zu einem Wohnortwechsel veranlasst haben, bei der Bestimmung des tatsächlichen Wohnortes dieser Person als ausschlaggebend gilt, wenn sich die betreffenden Träger nach Berücksichtigung der auf die maßgebenden Fakten gestützten verschiedenen Kriterien nach Artikel 11 Abs. 1 VO (EG) 987/2009 keine Einigung erzielen.

 

Dies entspricht schließlich auch den Weisungen der Beklagten (Fachliche Weisung Internationales Recht der Arbeitslosenversicherung Rechtskreis SGB III – gültig ab dem 13. Juni 2019 2.1 [2] S. 8). Der Status als Grenzgänger kann danach auch während eines bestehenden Beschäftigungsverhältnisses durch grenzüberschreitenden Wohnortwechsel begründet werden. Voraussetzung ist, dass die Tätigkeit im Beschäftigungsstaat weiterhin ausgeübt wird.

 

(4) Die Beklagte hat somit die in der PD U1-Bescheinigung mit Bindungswirkung bescheinigten Beschäftigungszeiten vollständig und nicht erst ab dem Zeitpunkt der Eheschließung oder Registrierung bei den Meldebehörden zugrunde zu legen.

 

Unabhängig davon, dass die Klägerin zum 1. Januar 2017 bereits seit über 15 Monaten „echte“ Grenzgängerin war, ist für die Anerkennung der Beschäftigungszeiten nach dem Sinn und Zweck der zur sozialen Absicherung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer vom Europäischen Parlament und dem Rat der Europäischen Union erlassenen und hier maßgebenden Verordnungen allein entscheidend, in welchem Umfang Versicherungs- und Beschäftigungszeiten in einem Mitgliedstaat zurückgelegt und bescheinigt wurden. Denn die Versicherungs- und Beschäftigungszeiten, die nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats zurückgelegt wurden, sind vom zuständigen Träger eines Mitgliedstaats zu berücksichtigen, als ob sie nach den für ihn geltenden Rechtsvorschriften zurückgelegt worden wären. Allein dies ermöglicht die bezweckte Koordinierung der Ansprüche. Entsprechend sind auch nach Artikel 61 Abs. 2 VO [EG] Nr. 883/2004 ausländische Versicherungs- und Beschäftigungszeiten für einen Anspruch auf Arbeitslosengeld oder zur Erhöhung der Anspruchsdauer in vollem Umfang zu berücksichtigen, wenn zwischen der Auslandsbeschäftigung und dem Eintritt der Arbeitslosigkeit und Antragstellung in Deutschland eine versicherungspflichtige Beschäftigung in Deutschland (auch nur an einem Tag) ausgeübt wurde. Der Verzicht auf diese Vorbeschäftigung bei sogenannten Grenzgängern erfolgt, weil bei ihnen eine bessere Vermittelbarkeit im Wohnstaat als im Beschäftigungsstaat grundsätzlich vermutet wird (Eingliederungsprinzip). Zu einer Aufspaltung von Versicherungs- und Beschäftigungszeiten soll es in beiden Fällen nicht kommen. Denn zur Herstellung der Freizügigkeit für aus- und einwandernde Arbeitnehmer und deren anspruchsberechtigte Angehörigen sind die nach den verschiedenen innerstaatlichen Rechtsvorschriften berücksichtigten Zeiten für den Erwerb und die Aufrechterhaltung des Leistungsanspruchs sowie für die Berechnung der Leistungen zusammenzurechnen und Leistungen an Personen, die in den Hoheitsgebieten der Mitgliedstaaten wohnen, zu zahlen (vgl. Art. 48 AEUV).

 

II. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.

 

III. Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (vgl. § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG) zugelassen.

 

 

 

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Aus
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