L 3 AS 29/22 B ER

Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
Schleswig-Holsteinisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
3.
1. Instanz
SG Schleswig (SHS)
Aktenzeichen
S 33 AS 2/22 ER
Datum
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
L 3 AS 29/22 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

Konnte ein Hilfebedürftiger für einige Monate die Beiträge zur freiwilligen, gesetzlichen Krankenversicherung nicht bedienen, ist aber eine Ratenzahlungsvereinbarung mit der Krankenkasse abgeschlossen oder erscheint diese aufgrund aktuellem Erwerbseinkommen zumutbar, so vermittelt ein mögliches Ruhen der Krankenversicherungsansprüche nach § 16 Abs.3a SGB V kein eiliges Regelungsbedürfnis für die Zeit vor Eilantragstellung bei Gericht.

Nur bei Vorliegen gewichtiger Umstände im Einzelfall kann von der Jahresfrist gemäß § 7Abs.3a Nr.1 SGB II nach unten abgewichen werden.

Ein Verlöbnis begründet derart gewichtige Umstände nicht, wenn es wieder gelöst worden ist und daraufhin ein vorübergehender Auszug eines Partners erfolgt ist.

Die Versorgung von Kindern im Sinne von § 7 Abs.3a Nr.3 SGB II ist restriktiv auszulegen, um einen Wertungswiderspruch zu Nr.1 der Vorschrift zu vermeiden. Eine Unterschreitung der Jahresfrist ist auch beim Zusammenleben mit den Kindern des neuen Partners nur gerechtfertigt, wenn ein wesentlicher Anteil der Betreuungsleistungen durch den Stiefelternteil erbracht wird. Schulfahrdienste und die Einbeziehung der Kinder in die Hobbys des neuen Partners (hier Angeln) reichen dafür nicht aus.

Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Schleswig vom 2. März 2022 abgeändert.

 

Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig verpflichtet, der Antragstellerin vom 6. bis 31. Januar 2022 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes ohne Anrechnung des Einkommens ihres Lebensgefährten zu gewähren.

 

Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

 

Der Antragsgegner erstattet der Antragstellerin 1/3 ihrer notwendigen außergerichtlichen Kosten für das gerichtliche Eilverfahren.

 

Gründe

I.

 

Die 1982 geborene Antragstellerin begehrt die vorläufige Verpflichtung des Antragsgegners zur Erbringung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch, Zweites Buch (SGB II).

 

Die Antragstellerin ist zum 1. März 2021 aus S mit ihren beiden 2006 und 2008 geborenen Kindern in die Wohnung ihres Partners in T gezogen, mit dem sie zu diesem Zeitpunkt bereits seit Ende Mai 2020 eine Beziehung führte.

 

Sie bezog daraufhin kurzzeitig für März 2021 von dem Antragsgegner Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II. Für die Zeit ab April 2021 erfolgte keine Leistungsgewährung in Hinblick auf die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit der Antragstellerin zum 1. April 2021 und das damit zu erwartende Einkommen.

 

Beide Kinder der Antragstellerin beziehen Kindergeld, Unterhaltsvorschussleistungen durch das Jugendamt und Kindesunterhalt durch den Kindesvater in Höhe von insgesamt 533,- € monatlich. Bei dem 2006 geborenen Sohn der Antragstellerin ist zudem der Pflegegrad 2 nach dem Sozialgesetzbuch, 11. Buch (SGB XI) anerkannt und für ihn wird Pflegegeld in Höhe von 316,- € monatlich gezahlt.

 

Zunächst telefonisch stellte die Antragstellerin am 30. November 2021 erneut einen Antrag auf Gewährung von Leistungen des SGB II gegenüber dem Antragsgegner.

 

Im darauffolgenden Verwaltungsverfahren erfolgte keine Leistungsgewährung. Die Beteiligten waren unterschiedlicher Auffassung zur Einbeziehung des Partners der Antragstellerin in die Bedarfsgemeinschaft gemäß § 7 Abs. 3 Nr. 3, Abs. 3a SGB Da die aus seiner Sicht erforderlichen Unterlagen zu Einkommen und Vermögen des Partners der Antragstellerin sowie auch noch einzelne für erforderlich geachtete Unterlagen der Antragstellerin durch diese nicht vorgelegt wurden, versagte der Antragsgegner die Leistungsgewährung zunächst vorläufig wegen mangelnder Mitwirkung mit Bescheid vom 3. Januar 2022.

 

Am 6. Januar 2022 hat die Antragstellerin bei dem Sozialgericht Schleswig einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt.

 

Im gerichtlichen Eilverfahren sind weitere Unterlagen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen der Antragstellerin vorgelegt worden. Der Antragsgegner hat daraufhin bestätigt, dass mittlerweile alle erforderlichen Unterlagen vorlägen soweit sie die Antragstellerin beträfen, es aber noch an Unterlagen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Partners der Antragsteller mangele.

 

Die Antragstellerin hat zum 24. Januar 2022 ein Arbeitsverhältnis bei der Firma W aufgenommen, welches aber mit Wirkung zum 7. März 2022 wieder gekündigt wurde. Die Antragstellerin erhielt im Februar 2022 aus diesem Arbeitsverhältnis Einkommen in Höhe von insgesamt 1155,- €. Direkt im Anschluss an diese Erwerbstätigkeit hat die Antragstellerin ein Arbeitsverhältnis bei der T1-Tankstelle in S1 im Umfang einer 25 Stunden Woche bei einem Stundenlohn von 12,- € aufgenommen.

 

Das Sozialgericht hat den Beteiligten den Abschluss eines Vergleichs vorgeschlagen und dabei erläuternd ausgeführt, dass der Bescheid vom 3. Januar 2022 rechtswidrig sein dürfte, weil die Leistungsgewährung gegenüber der Antragsstellerin nicht wegen einer fehlenden Mitwirkung durch ihren Partner versagt werden dürfe. Der vorgeschlagene Vergleich kam nicht zustande. Der Antragsgegner hat der Antragstellerin aber am 21. Januar 2022 erneut gestützt auf §§ 60, 66 Sozialgesetzbuch, 1. Buch (SGBI) zur Mitwirkung bezogen auf sie betreffende Unterlagen und von ihr abzugebende Erklärungen aufgefordert.

 

Das Sozialgericht hat am 1. März 2022 einen Erörterungstermin durchgeführt und sowohl die Antragstellerin als auch deren Partner zu ihren wirtschaftlichen Verhältnissen und zum Charakter ihrer Beziehung befragt.

 

Die Antragstellerin hat vorgetragen, sie befinde sich mit ihrem Partner nicht in einer Bedarfsgemeinschaft. Bereits aus einer zwischenzeitlichen, kurzfristigen Trennung im Herbst 2021 lasse sich ablesen, dass noch nicht von einer gefestigten Einstandsgemeinschaft ausgegangen werden könne. Sie kümmere sich um ihre beiden Kinder allein. Das Leben ihrer Kinder im gemeinsamen Haushalt führe nicht zur Vermutung einer Einstandsgemeinschaft. Dagegen spreche auch die Weigerung ihres Partners, Unterlagen zu seinen wirtschaftlichen Verhältnissen zur Verfügung zu stellen.

 

Die Antragstellerin hat beantragt,

 

den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr für die Zeit vom 1. November 2021 bis 31. Januar 2022 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

 

Der Antragsgegner hat beantragt,

 

den Antrag abzulehnen.

 

Er hat vorgetragen, die Antragstellerin und der Zeuge bildeten eine Bedarfsgemeinschaft, deshalb fehle es auch bezogen auf die Antragstellerin an einem Nachweis ihrer Hilfebedürftigkeit. Allein aufgrund der Versorgung der Kinder sei gemäß § 7 Abs. 3a Nr. 3 SGB II von einem wechselseitigen Willen, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, auszugehen. Auch der Umstand, dass die Antragstellerin nach der Trennung zurück zu ihrem Partner gezogen sei, sei ein Indiz dafür. Es bestehe solange kein Anspruch auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB II bis die gesamte Bedarfsgemeinschaft ihre Bedürftigkeit nachgewiesen habe. Die Leistung wären in jedem Fall abzulehnen gewesen, zwar nicht wegen mangelnder Mitwirkung, aber wegen fehlenden Nachweises der Bedürftigkeit. Zwischenzeitlich habe er von dem Zeugen die begehrten Auskünfte und Unterlagen angefordert.

 

Mit Beschluss vom 2. März 2022 hat das Sozialgericht Schleswig den Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Antragstellerin sei es zumutbar das Hauptsacheverfahren abzuwarten, da unzumutbare wirtschaftlichen Nachteile oder die Bedrohung der wirtschaftlichen Existenz aktuell nicht zu erwarten seien. Dafür spreche auch die finanzielle Situation der Antragstellerin, die aktuell wieder durch Erwerbseinkommen gekennzeichnet sei. Ferner könne sie auch auf zumutbare Hilfe eines Dritten zurückgreifen, denn zu ihrer Bedarfsgemeinschaft gehöre auch ihr Partner. Dabei komme es nicht darauf an, ob die Vermutungsregelung des § 7 Abs. 3a SGB II zur Anwendung komme, denn aufgrund der Gesamtumstände sei ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen anzunehmen.

 

Gegen diesen ihrer Bevollmächtigten am 4. März 2022 zugestellten Beschluss richtet sich die Beschwerde der Antragstellerin vom 10. März 2022, zu deren Begründung sie vorträgt, zu Unrecht habe das Sozialgericht die Eilbedürftigkeit verneint. Es sei vorliegend so, dass sie mindestens im Zeitraum November und Dezember 2021 nicht krankenversichert gewesen sei. Da sie nicht in der Lage sei, die Beträge für die freiwillige Krankenversicherung zu entrichten, führe dies zu einem Ruhen ihres Leistungsanspruchs in der gesetzlichen Krankenversicherung. Dies sei nicht haltbar, zumal bei ihr hinter dem Auge eine Zyste festgestellt worden sei, die aller Voraussicht nach operiert werden müsse. Entscheidend sei aber, dass ihr Lebensgefährte keine Unterlagen eingereicht habe. Es sei völlig unstreitig, dass sie mit ihrem Lebensgefährten zusammenlebe, es werde aber bestritten, dass eine Einstandsgemeinschaft bestehe. Diese ergebe sich sicherlich nicht daraus, dass der Partner die Kinder manchmal zur Schule fahre. In seine Erwägungen habe das Sozialgericht überhaupt nicht einfließen lassen, dass sich der Zeuge sehr standhaft geweigert habe, Unterlagen vorzulegen. Sie sei auch der Auffassung, dass sich der offenbar unstreitig rechtswidrige Bescheid des Antragsgegners im Rahmen der Kostenentscheidung hätte auswirken müssen.

 

Die Antragsgegnerin beantragt schriftsätzlich sinngemäß,

 

den Beschluss des Sozialgerichts Schleswig vom 2. März 2022 aufzuheben und den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der Antragstellerin vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes für den Zeitraum 1. November 2021 bis 31. Januar 2022 ohne Anrechnung von Einkommen ihres Partners zu gewähren.

 

Der Antragsgegner beantragt,

 

          die Beschwerde zurückzuweisen.

 

Er trägt vor, es bestehe kein Anordnungsanspruch. Unstreitig bildeten die Antragstellerin und ihr Lebensgefährte ein Paar. Es sei nicht entscheidend, ob Paare bereit seien zuzugeben, dass sie füreinander Verantwortung übernehmen. Auch wenn die Vermutungsregelung des § 7 Abs. 3a Nr. 1 SGB II nicht greife, sei anhand von Indizien unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls zu prüfen, ob eine Verantwortungsgemeinschaft vorliege. Dies sei hier der Fall. Als Indiz sei insoweit zu nennen, das gemeinsame Mahlzeiten zu sich genommen würden, die Partner abwechselnd für die ganze Familie kochten und das Bett teilten. Auch das gemeinsame Zusammenleben mit Kindern sei als Indiz für eine Verantwortungsgemeinschaft zu werten. Auch das Verhalten im Verwaltungsverfahren könne insoweit gewertet werden, da der Partner der Antragstellerin selbst mit dem Antragsgegner Kontakt aufgenommen habe.

 

Ergänzend wird hinsichtlich des Sach- und Streitstandes auf die Schriftsätze der Beteiligten sowie den weiteren Inhalt der Gerichtsakte und der Gerichtsakte zum erstinstanzlichen Verfahren sowie der Verwaltungsakte des Antragsgegners (alle vorliegend in elektronischer Form) Bezug genommen.

 

II.

 

Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist insbesondere fristgerecht innerhalb der einmonatigen Beschwerdefrist des § 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) bei dem Landessozialgericht eingegangen. Sie ist nicht gemäß § 172 Abs. 3 Nr. 1 in Verbindung mit § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG wegen Unterschreitung des Mindestbeschwerdewerts ausgeschlossen. Zwar beträgt der monatliche Anspruch der Antragstellerin ohne Anrechnung von Einkommen ihres Partners ausweislich der vom Antragsgegner auf Nachfrage des Gerichts eingereichten Probeberechnung „nur“ 734,14 €, die Antragstellerin hat aber auf Nachfrage des Gerichts noch mal erläuternd bestätigt, dass sie trotz Eilantragstellung erst Anfang Januar 2022 Leistungen auch für die Monate November und Dezember 2021 begehrt, so das ausgehend von diesem Begehren der Mindestbeschwerdewert deutlich überschritten wird.

 

Die Beschwerde ist auch in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht den Erlass einer einstweiligen Anordnung auch für den Zeitraum ab Eilantragstellung bei ihm bis 31. Januar 2022 abgelehnt.

 

Gemäß § 86 b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf einen Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechtes des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.

 

Entscheidungserhebliche Angaben sind dabei von den Beteiligten glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung - ZPO -).

 

Zusammengefasst müssen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung regelmäßig zwei Voraussetzungen erfüllt sein: Zum einen muss es im Ergebnis einer Prüfung der materiellen Rechtslage überwiegend wahrscheinlich sein, dass der Antragsteller mit seinem Begehren im hauptsächlichen Verwaltungs- oder Klageverfahren erfolgreich sein wird (Anordnungsanspruch). Zum anderen muss eine gerichtliche Entscheidung deswegen dringend geboten sein, weil es dem Antragsteller wegen drohender schwerwiegender Nachteile nicht zuzumuten ist, den Ausgang des Hauptsacheverfahrens abzuwarten (Anordnungsgrund). Dabei hat das Gericht die Belange der Öffentlichkeit und des Antragstellers miteinander abzuwägen.

 

Für die Zeit bis zur Antragstellung am 6. Januar 2022 mangelt es allerdings bereits an einem Anordnungsgrund. Ein eiliges Regelungsbedürfnis ist in aller Regel nur für die Gegenwart und die nahe Zukunft anzunehmen. Für Zeiträume, die vor Eingang des Eingangs bei Gerichtes liegen, scheidet dies in aller Regel aus. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz ist anerkannt, wenn die Nichtgewährung von Leistungen in der Vergangenheit fortwirkt und eine gegenwärtige Notlage bewirkt, etwa weil der Verlust der Unterkunft wegen fehlender Mietzahlungen in der Vergangenheit droht (vg. Keller in Meyer-Ladewig u.a SGG 13. Aufl. § 86 I Rn. 35a).

 

Eine solche in die Gegenwart fortwirkende Notlage hat die Antragstellerin vorliegend nicht glaubhaft gemacht. Zwar hat sie zutreffend darauf hingewiesen, dass bei Rückstand von Krankenversicherungsbeiträgen in Höhe der Beitragsanteile für mindestens 2 Monate und ausstehender Zahlung trotz Mahnung der Anspruch auf Krankenversicherungsleistungen gemäß § 16 Absatz 3a Satz 2 Sozialgesetzbuch, 5. Buch (SGB V) ruht. Allerdings hat sie schon nicht vorgetragen, dass die Krankenkasse ihr gegenüber bereits ein Ruhen des Leistungsanspruchs festgestellt hat oder eine derartige Feststellung auch nur angekündigt hat. Zudem hat die Antragstellerin in dem Erörterungstermin vom 1. März 2022 auch angegeben, dass sie monatliche Raten für die zurückliegenden Krankenversicherungsbeiträge zahle. Soweit dem eine mit der Krankenkasse abgeschlossene Ratenzahlungsvereinbarung zugrunde liegen sollte, was zu vermuten steht, tritt ein Ruhen nach der genannten Vorschrift nicht ein, solange die Raten vertragsgemäß entrichtet werden. Für den Fall, dass eine Ratenzahlungsvereinbarung mit der Krankenkasse noch nicht abgeschlossen wurde, erscheint dies zumindest nicht unzumutbar, da die Antragstellerin gegenwärtig wieder Erwerbseinkommen erzielt und ab 1. März 2022 auch eine Einstands- und Verantwortungsgemeinschaft mit ihrem Partner gemäß § 7 Abs.3a Nr.1 SGB II anzunehmen ist (siehe unten). Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass von dem Ruhen des Anspruchs auf Krankenversicherungsleistungen Untersuchungen zur Früherkennung von Krankheiten, die Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände sowie Leistungen bei Schwangerschaft und Mutterschaft ausgenommen sind. Eine Behandlung der bei der Klägerin nach ihrem Vortrag festgestellten Zyste hinter dem Auge wäre daher auch im Falle eines grundsätzlichen Ruhens ihres Krankenversicherungsanspruchs gewährleistet.

 

Für die Zeit ab 6. Januar 2022 liegt indessen sowohl ein Anordnungsgrund als auch ein Anordnungsanspruch vor.

Einem Anordnungsanspruch steht zunächst nicht der Bescheid vom 3. Januar 2022 entgegen. Insoweit hat das Sozialgericht zu Recht darauf hingewiesen, dass eine Leistungsversagung gegenüber der Antragstellerin nicht wegen einer Mitwirkungsverweigerung ihres Partners vorgenommen werden kann. Der Antragsgegner hat durch das erneute Mitwirkungsschreiben an die Antragstellerin vom 21. Januar 2021 und die vorgetragene Aufforderung zur Mitwirkung an den Partner der Antragstellerin auch zu erkennen gegeben, dass er aus dem Bescheid vom 3. Januar 2022 keine Rechtswirkungen mehr herleiten möchte.

 

Die Antragstellerin hat auch mit für eine vorläufige Verpflichtung im gerichtlichen Eilverfahren hinreichenden Umfang glaubhaft gemacht, dass sie Anspruch auf Gewährung von Unterhaltssicherungsleistungen nach dem SGB II ohne Einsatz des Einkommensunvermögens ihres Partners im streitgegenständlichen Zeitraum hat.

 

Leistungsberechtigt sind gemäß § 7 Abs. 1 SGB II Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet haben, das gesetzliche Renteneintrittsalter aber noch nicht erreicht haben (1), erwerbsfähig sind (2), hilfebedürftig sind (3) und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (4). Das Vorliegen der Voraussetzungen zu 1, 2 und 4 ist unstreitig. Die Antragstellerin war aber im Januar 2022 auch noch hilfebedürftig.

 

Hilfebedürftig ist grundsätzlich gemäß § 9 Abs. 1 SGB II, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder Trägern anderer Sozialleistungen erhält.

 

Gemäß § 9 Abs. 2 Satz 1 SGB II ist bei Personen, die in Bedarfsgemeinschaft leben, dass Einkommen und Vermögen des Partners zu berücksichtigen.

 

Gemäß § 7 Abs. 3 Nr. 3 c) SGB II gehört zur Bedarfsgemeinschaft auch, wer als Partnerin oder Partner der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person mit dieser in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung für einander zu tragen und für einander einzustehen.

 

Gemäß § 7 Abs. 3a SGB II wird ein wechselseitiger Wille, Verantwortung für einander zu tragen und für einander einzustehen vermutet, wenn Partner,

1. länger als ein Jahr zusammenleben,

2. mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben,

3. Kinder oder Angehörige im Haushalt versorgen oder

4. befugt sind, über Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen.

 

Die Vermutungstatbestände des § 7 Absatz 3a SGB II können zum einen widerlegt werden, sie schließen die Annahme einer Einstands- und Verantwortungsgemeinschaft bei ihrem Nichtvorliegen aber auch nicht aus. Unabhängig von ihnen können andere Tatsachen und Umstände das Vorliegen eines Einstandswillens begründen (vgl. Leopold in jurisPK SGB II § 7 Rn. 251,252). Das bloße Bestreiten durch die Partner, für einander einzustehen und Verantwortung zu übernehmen, schließt daher die Annahme einer solchen Gemeinschaft nicht aus. Diese ist vielmehr nach objektiven Kriterien zu prüfen. Anders als die Bevollmächtigte der Antragstellerin meint, kann daher auch nicht die - gegebenenfalls taktische- Weigerung des Partners der Antragstellerin zur Vorlage von Einkommensunterlagen gegenüber dem Antragsgegner als Indiz gegen das Bestehen einer Einstands- und Verantwortungsgemeinschaft gewertet werden.

 

Vorliegend greift zunächst der Vermutungstatbestand nach § 7 Absatz 3a Nr. 1 SGB II, das sogenannte Probejahr, nicht ein, denn die Antragstellerin ist erst zum 1. März 2021 in die Wohnung ihres Partners gezogen. Dass beide bereits vorher eine Beziehung führten, ändert dies nicht. Die Einjahresfrist ist der Zeitraum, den das Gesetz Partnern zubilligt, um herauszufinden ob man für einander einstehen und Verantwortung übernehmen will, bevor dies (widerleglich) unterstellt wird. Bei einem Zusammenleben von kürzerer Dauer als einem Jahr ist daraus nicht automatisch der Schluss zu ziehen, dass keine Einstands- oder Verantwortungsgemeinschaft besteht. Stattdessen fehlt es lediglich an der gesetzlichen Vermutung eines Einstandswillens. Bei Partnern, die kürzer als ein Jahr zusammenwohnen, können allerdings nur gewichtige Umstände die Annahme einer Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft begründen. Dafür trägt der Grundsicherungsträger die objektive Beweislast (vgl. Leopold aaO Rn. 249).

 

Als Indiz für die Annahme einer Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft kann vorliegend prima facie das Verlöbnis der Antragstellerin mit ihrem Partner herangezogen werden, welches nach den Angaben der Antragstellerin im Erörterungstermin gegenüber dem Sozialgericht und den Screenshots, die der Antragsgegner von den Facebook Seiten der Antragstellerin und ihres Partners gefertigt hat, wohl schon im Februar 2021 stattgefunden hat. Dies umso mehr, als der Heiratswunsch auch förmlich durch Austausch von Ringen besiegelt wurde und die Antragstellerin im Verfahren zunächst auffallend aber wenig überzeugend bemüht war, das Verlöbnis insgesamt in Abrede zu stellen. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass es trotz des frühen Verlöbnisses im Herbst 2021 zu einer Krise in der Beziehung gekommen ist, die zu einer nach Außen manifestierten Beendigung des Verlöbnisses (Ablegen des Rings) und zu einem Auszug der Antragstellerin mitsamt ihrer beiden Kinder aus der Wohnung führte. Zwar hat es nach relativ kurzer Zeit eine Versöhnung mit einem Wiedereinzug der Antragstellerin und ihrer Kinder gegeben, jedoch zeigt diese Episode, dass die Antragstellerin und ihr Partner eben doch eine gewisse Zeit benötigten, um herauszufinden, ob sie willens und in der Lage sind, dauerhaft für einander einzustehen und Verantwortung füreinander zu übernehmen. Aufgrund dieser Umstände gibt es zur Überzeugung des Senats im vorliegenden Fall keine gewichtigen Gründe, von der gesetzlichen Regelung abzuweichen und schon aufgrund eines Zusammenlebens der Antragstellerin mit ihrem Partner von weniger als einem Jahr eine Verantwortungsgemeinschaft anzunehmen. Die Vermutungsregelung gemäß § 7 Abs. 3a Nr. 1 SGB II greift daher vorliegend erst zum 1. März 2022 ein.

 

Auch der Vermutungstatbestand gemäß § 7 Abs. 3a Nr. 3 SGB II greift vorliegend zur Überzeugung des Senats nicht ein. Bei der Auslegung des Begriffs der Versorgung in diesem Sinne ist Augenmaß gefordert. Notwendig ist grundsätzlich, dass durch entsprechende Handlungen das Vertrauen und der wechselseitige Verantwortungswille zum Ausdruck kommen muss. Kleinere und alltägliche Handlungen, wie etwa das Mitdecken des Tisches auch für die Kinder des Partners, das mit Waschen der Kleidung oder gelegentliches Babysitten reichen daher nicht aus. Anders zu bewerten ist eine überwiegende Versorgung wie auch die maßgebliche Mitwirkung bei der Pflege (vgl. Schoch in LPK SGB II § 7 Rn. 98; Leopold aaO Rn. 247). Keinesfalls kann aus dem bloßen Zusammenleben mit Kindern in einem Haushalt bereits auf das Bestehen einer Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft geschlossen werden, denn in den Fällen, in denen ein Partner eigene minderjährige Kinder in einen Haushalt mit dem neuen Partner mitbringt, würde dies zu einem Wertungswiderspruch zu § 7 Abs. 3a Nummer 1 SGB II führen und außer Acht lassen, dass in der Praxis ein neuer Partner eines Elternteils sowohl für die Kinder als auch für diesen Partner häufig eine Herausforderung darstellt, die dann neben dem Aufbau einer stabilen Partnerschaft zwischen den Lebensgefährten auf die Herausbildung einer Stiefeltern-Kind-Beziehung erfordert. Es kann daher jedenfalls nicht ohne weiteres angenommen werden, dass in diesen Fällen die Festigung und Stabilisierung einer Partnerschaft schneller erfolgt, als das Gesetz dies ohne Kinder (vergleiche § 7 Abs. 3a Nr. 1 SGB II) annimmt. Vorliegend bestehen keine Anhaltspunkte für besonders intensive Versorgungsleistungen des Partners der Antragstellerin gegenüber deren Kindern, die die Vermutungsregelung des § 7 Absatz 3a Nr. 3 SGB II begründen könnten. Zunächst ist zu berücksichtigen, dass die 2006 und 2008 geborenen Kinder bereits in einem Alter sind, in dem eine allzu intensive Betreuung nicht mehr erforderlich ist. Allerdings ist bei dem 2006 geborenen Sohn der Pflegegrad 2 anerkannt, sodass von einer erhöhten, nicht alterstypischen Betreuungsbedürftigkeit auszugehen ist. Die Betreuung der Kinder wird aber im Wesentlichen durch die Antragstellerin geleistet, die im Erörterungstermin auch angegeben hat, ihr Partner sei für die Kinder nicht zuständig. Es gibt insbesondere keine Anhaltspunkte dafür, dass der Partner in die erhöhte Betreuung des pflegebedürftigen Sohnes involviert ist. Zwar hat dieser angegeben, mit den Kindern gut klar zu kommen, auch wenn diese manchmal anstrengend seien. Ferner hat er angegeben, die Kinder auch zur Schule zu fahren und von dort abzuholen und mit ihnen angeln zu gehen. Dies sind aber keine derart intensiven Versorgungsleistungen, die die Vermutungsregelung auslösen können. Die gemeinsame Freizeitgestaltung durch Einbeziehung der Kinder in die eigenen Hobbys (Angeln) und Schulfahrdienste rechtfertigen noch nicht den Schluss, dass der Partner der Antragstellerin bei der Pflege maßgeblich mitwirkt.

 

Weitere Umstände, die die Annahme einer Verantwortung und Einstandsgemeinschaft nach verständiger Würdigung im Sinne von § 7 Abs. 3 Nr. 3 c SGB II rechtfertigen könnten, sind nicht ersichtlich. Soweit der Antragsgegner insoweit die Einnahme gemeinsamer Mahlzeiten und das wechselseitige Kochen angeführt hat, sind dies Dinge, die auch in einer noch nicht gefestigten Beziehung und auch außerhalb von Paarbeziehungen bei gemeinsamen Haushalten durchaus üblich sind. Sie sind nicht geeignet, eine Bedarfsgemeinschaft zu begründen. Auch die sexuelle Beziehung zwischen der Antragstellerin und ihrem Partner begründet das Bestehen einer Einstandsgemeinschaft für sich alleine nicht.

 

Nach alledem war der Antragsgegner vorläufig zu verpflichten, der Antragstellerin für den im Tenor genannten Zeitraum Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes ohne Berücksichtigung des Einkommens ihres Partners zu gewähren.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 Abs. 1, Abs. 4 SGG und folgt der Sachentscheidung.

 

Gegen diesen Beschluss ist die Beschwerde gemäß § 177 SGG nicht zulässig.

 

 

 

 

       Daumann                                           Werner                                Dr. Güssow
       Vors. Richterin am LSG                    Richter am LSG                  Richterin am SG

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