L 26 KR 94/21

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
26.
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 198 KR 3083/18
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 26 KR 94/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

• Für die Beitragsfestsetzung auf der Grundlage der Mindestbeitragsbemessungsgrenze statt der allge-meinen Beitragsbemessungsgrenze in Bezug auf rückwirkende Zeiträume müssen auch für Auffangpflichtversicherte gemäß §§ 5 Abs. 1 Nr. 13a, 227 SGB V i.V.m. § 240 Abs. 1 Satz 4 SGB V in der Fassung des GKV-VEG vom 11. Dezember 2018 (BGBl. I S. 2387) hinreichende Anhaltspunkte dafür vorlie-gen bzw. dargetan werden, dass die Einnahmen der bzw. des Pflichtversicherten die jeweils anzuwen-dende Mindestbeitragsbemessungsgrundlage nicht überschreiten. • Die gesetzliche Regelung einer Mindestbeitragsbemessungsgrundlage als absolute Untergrenze beitragspflichtiger Einnahmen verletzt Verfassungsrecht nicht

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 29. Januar 2021 wird zurückgewiesen.

 

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

 

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 

Streitig ist die Versicherungspflicht des Klägers vom 1. April 2013 bis 30. November 2016 in der gesetzlichen Krankenversicherung und in der sozialen Pflegeversicherung sowie die Höhe der von der Beklagten für diese Zeit geforderten Beiträge in Höhe von noch 22.557,53 €.

 

Der 1969 geborene Kläger war bis zum 31. März 2013 als abhängig Beschäftigter der Firma S GmbH bei der Beklagten zu 1. gesetzlich krankenversichert und bei der Beklagten zu 2. pflegeversichert (nachfolgend insgesamt Beklagte). Auf die Mitteilung seines Arbeitgebers, dass er ab dem 1. April 2013 nicht mehr beschäftigt sei, schrieb die Beklagte den Kläger unter dem 14. Mai 2013, 22. Juni 2013 und 12. Juli 2013 an, und zwar jeweils unter Beifügung entsprechender Fragebögen zu seinen Einkommensverhältnissen, mit dem Ziel der Klärung seines Versicherungsstatus. Zuletzt wies sie ihn darauf hin, sie sei verpflichtet, ihn rückwirkend zum 1. April 2013 zu versichern, sollte er nach dem 31. März 2013 weder krankenversichert noch anderweitig für den Krankheitsfall abgesichert sein; in diesem Fall wären die Beiträge für den gesamten zurückliegenden Zeitraum von ihm zu zahlen. Nachdem ein Rücklauf bei ihr nicht zu verzeichnen war, wies sie den Kläger mit Schreiben vom 27. August 2013 auf das Ende des Kranken- und Pflegeversicherungsverhältnisses zum 31. März 2013 und die Möglichkeit der freiwilligen Weiterversicherung hin. Mit Schreiben vom 16. Juni 2014 bezog sich die Beklagte auf ein mit dem Kläger geführtes Gespräch vom selben Tag und bat erneut darum, den wiederum beigefügten Fragebogen ausgefüllt zurückzusenden. Hierauf reagierte der Kläger ebenso wenig wie auf das Erinnerungsschreiben vom 21. Juli 2014.

 

Mit Schreiben vom 17. Oktober 2014 wies die Beklagte den Kläger darauf hin, dass Leistungen nach dem 31. März 2013 zu ihren Lasten abgerechnet worden seien und bat um Rücksendung des ausgefüllten Antwortbogens. Mit Schreiben vom 7. November 2014 erinnerte sie hieran. Unter dem 5. Dezember 2014 und 5. Februar 2015 hörte die Beklagte den Kläger zu einer Erstattungsforderung wegen in der Zeit vom 25. Juni 2013 bis 27. Februar 2014 über die Versichertenkarte abgerechnete Leistungen in Höhe von 242,68 € an, ohne dass der Kläger hierauf reagierte. Später erstattete der Kläger der Beklagten diesen Betrag.

Mit Schreiben vom 22. April 2017 und 29. Juni 2017 wies die Beklagte den Kläger auf die arbeitgeberseitige Anmeldung zum 1. Dezember 2016 hin und bat um Rücksendung des ausgefüllten Fragebogens zur Klärung der Mitgliedschaft. Zuletzt wies sie zugleich darauf hin, dass sie andernfalls  verpflichtet sei, die Versicherung rückwirkend durchzuführen und die Beitragsberechnung teilweise aus Einnahmen in Höhe der Beitragsbemessungsgrenze (derzeit monatlich 4.350 €) durchzuführen.

 

Mit Bescheid vom 20. Juli 2017 setzte die Beklagte dem Kläger gegenüber für die Zeit vom 1. April 2013 bis zum 30. November 2016 Beiträge in Höhe von insgesamt 22.800,21 € fest. Sie sei gesetzlich verpflichtet, die Versicherung ab dem 1. April 2013 im Rahmen der allgemeinen Versicherungspflicht für Nichtversicherte weiterzuführen. Für die Zeit bis zum 31. Juli 2014 berechne sie übergangsweise die Beiträge aus der Mindestbeitragsbemessungsgrundlage in Höhe von 921,67 € monatlich. Beiträge vom 1. August 2014 bis 30. November 2016 seien auf der Basis der Beitragsbemessungsgrenze (4.350 € monatlich) festzusetzen gewesen. Vorsorglich bat sie um Rücksendung des ausgefüllten und unterschriebenen Fragebogens zusammen mit den entsprechenden Einkommensnachweisen innerhalb von drei Monaten, welches eine Beitragskorrektur ermögliche. Im Falle eines späteren Eingangs könnten Beiträge nur für die Zukunft angepasst werden.

 

Der Kläger erhob am 17. August 2017 Widerspruch. Ein Versicherungsverhältnis zum 1. April 2013 sei nicht begründet worden, zumal er die in Höhe von 242,68 € in Anspruch genommenen Leistungen zurückerstattet habe. Die Beklagte wies darauf hin, der Kläger könne für die Zeit vom 1. April 2013 bis 30. November 2016 Angaben zu seinen Einkommensverhältnissen machen (Schreiben vom 25. Juli 2018). Unter dem 26. März 2019 reduzierte die Beklagte die Gesamtbeitragsforderung um 242,68 € im Hinblick auf den vom Kläger erstatten Betrag.

 

Ein vom Kläger geführtes einstweiliges Rechtsschutzverfahren blieb ohne Erfolg (Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 23. August 2018 – S 211 KR 1325/18 ER – sowie nachfolgend Beschluss des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 17. Oktober 2018 – L 1 KR 307/18 B ER –).

 

Der Kläger hat am 4. November 2018 Klage vor dem Sozialgericht Berlin erhoben. Das Gericht hat ihn darauf hingewiesen, dass die Beklagte bereit sei, eine Ermäßigung der Beiträge zu prüfen, wofür es seiner Mitwirkung bedürfe, um die gebeten werde. Die Beklagte hat den Kläger mit Schreiben vom 22. November 2018 und 30. November 2019 auf die Möglichkeit des Erlasses offener Beiträge hingewiesen. Die beigefügte Formularerklärung hat er nicht unterschrieben zurückgesandt. Mit Widerspruchsbescheid vom 18. Juni 2019 hat sie den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 20. Juli 2017 mit der Begründung zurückgewiesen, der Kläger habe in der Zeit vom 1. April 2013 bis zum 30. November 2016 keinen anderweitigen Versicherungsschutz gehabt. Einen Nachweis über eine Weiterbeschäftigung sowie Einkommensnachweise habe er nicht vorgelegt. Einkommensangaben habe er erstmals im April 2019 gemacht, so dass die Beklagte verpflichtet gewesen sei, die Beiträge ab 1. August 2014 auf der Grundlage der Beitragsbemessungsgrenze festzusetzen. Für die Zeit davor sei die Beitragsbemessung nach der beitragspflichtigen Mindesteinnahme erfolgt.

 

Nach Anhörung der Beteiligten hat das Sozialgericht die Klage mit Gerichtsbescheid vom 29. Januar 2021 abgewiesen. Die zulässige Anfechtungsklage sei unbegründet. Der Kläger sei bei der Beklagten vom 1. April 2013 bis 30. November 2016 pflichtversichert gewesen, weil er über keine anderweitige Absicherung für den Krankheitsfall verfügt habe und ein anderer Pflichtversicherungstatbestand nicht erkennbar sei. Die Beitragsberechnung der Beklagten sei in Höhe des um 242,68 € verminderten Betrages zutreffend. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Reduzierung der Beitragsforderung. Der Kläger habe seine Versicherungspflicht zu keiner Zeit bei der Beklagten angezeigt, sondern eine Vielzahl der Schreiben der Beklagten unbeantwortet belassen. Der Rechtsstreit sie nicht zur Vorlage an das Bundesverfassungsgericht auszusetzen. Ein Verfassungsverstoß liege nicht vor.

 

Mit seiner Berufung vom 3. März 2021 gegen den ihm am 3. Februar 2021 zugestellten Gerichtsbescheid macht der Kläger noch geltend, ihm sei von der Beklagten das Ende der Mitgliedschaft zum 31. März 2013 bestätigt worden. Dieser Bescheid sei bisher weder zurückgenommen noch widerrufen worden. Die Beklagte habe auch keine Vollstreckungsversuche unternommen. Jedenfalls sei die sogenannte Auffangversicherung verfassungswidrig. Er habe in der Zeit seit April 2013 von Schenkungen in Höhe von rund 35.000 € gelebt, die seiner Auffassung nach keine Einnahmen darstellten.

 

Der Kläger beantragt,

 

den Gerichtbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 29. Januar 2021 und den Bescheid der Beklagten vom 20. Juli 2017 in der Fassung des Bescheides vom 26. März 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Juni 2019 aufzuheben.

 

Die Beklagte beantragt,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend und macht ergänzend geltend, der Kläger sei vom 1. April 2013 bis zum 30. November 2016 bei ihr pflichtversichert gewesen, da er nach dem Ende seiner Beschäftigung bei der S GmbH keinen anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall gehabt habe und zuletzt gesetzlich krankenversichert gewesen sei.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des Vortrags der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten und die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

 

Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.

 

Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung des Klägers (vgl. § 151 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) ist nach § 143 SGG statthaft. Der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt den nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG erforderlichen Betrag von 750 €. Überdies sind Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung für mehr als ein Jahr gegenständlich (vgl. § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).

Die Klage richtet sich zutreffend auch gegen die Pflegekasse als Beklagte zu 2., bei der es sich, wie bei der zu 1. beklagten Krankenkasse um eine rechtsfähige Körperschaft des öffentlichen Rechts handelt (vgl. § 46 Abs. 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch Elftes Buch – Soziale Pflegeversicherung (SGB XI) – in der ab dem 1. Juli 2008 geltenden Fassung [Gesetz vom 28. Mai 2008, BGBl. I S. 874]). Gemäß § 46 Abs. 2 Satz 4 SGB XI können Kranken- und Pflegekassen für Mitglieder, die ihre Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung und zur sozialen Pflegeversicherung selbst zu zahlen haben, die Höhe der Beiträge in einem gemeinsamen Beitragsbescheid festsetzen. Hierbei ist das Mitglied – wie vorliegend durch die Beklagte zu 1. [nachfolgend nur noch „Beklagte“] geschehen – darauf hinzuweisen, dass der Bescheid auch im Namen der Pflegekasse ergeht (§ 46 Abs. 2 Satz 5 SGB XI).

 

Die Berufung des Klägers ist jedoch unbegründet. Das Sozialgericht hat seine Klage zu Recht und mit zutreffenden Gründen abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig. Der Kläger war nach dem Ende seiner Beschäftigung zum 31. März 2013 ab dem 1. April 2013 bis zur Wiederaufnahme einer Beschäftigung am 1. Dezember 2016 im Rahmen der sogenannten Auffangversicherung pflichtversichert. Die festgesetzte Beitragshöhe ist nicht zu beanstanden.

 

Gegenstand des Berufungsverfahrens ist neben dem angefochtenen Gerichtsbescheid des Sozialgerichts der Bescheid der Beklagten vom 20. Juli 2017 in der (teilabhelfenden) Fassung vom 26. März 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. Juni 2019, mit dem diese die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung und zur sozialen Pflichtversicherung im gegenständlichen Zeitraum vom 1. April 2013 bis 30. November 2016 wegen einer in dieser Zeit bestehenden Pflichtversicherung festgesetzt hat.

 

1. Der Kläger war im gegenständlichen Zeitraum gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 13a) Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V i.d.F. des Gesetzes vom 20. Dezember 2011, BGBl. I S. 2854) – anders als er geltend macht und ohne dass insofern ein Antrag erforderlich wäre, kraft Gesetzes pflichtversichert, nachdem die frühere Pflichtversicherung aufgrund Beschäftigung geendet hatte. Danach sind Personen versicherungspflichtig, die keinen anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall haben und zuletzt gesetzlich krankenversichert waren. Dies war bei dem Kläger der Fall. Seine entsprechende Versicherungspflicht in der sozialen Pflegeversicherung folgt aus § 20 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 12 SGB XI.

 

a) Eine anderweitige Absicherung im Krankheitsfall war nicht gegeben. Gemäß § 5 Abs. 8a Sätze 1 und 2 SGB V ist gemäß Absatz 1 Nr. 13 zwar nicht versicherungspflichtig, wer nach Absatz 1 Nr. 1 bis 12 versicherungspflichtig, freiwilliges Mitglied oder nach § 10 SGB V versichert ist. Entsprechendes gilt für Empfänger laufender Leistungen nach dem Dritten, Vierten, Sechsten und Siebten Kapitel des Zwölften Buches und für Empfänger laufender Leistungen nach § 2 des Asylbewerberleistungsgesetzes. Eine Versicherungspflicht des Klägers nach Absatz 1 Nr. 1 bis 12 bestand aber nicht. Er war auch nicht im Wege der obligatorischen Anschlussversicherung freiwilliges Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung (vgl. § 188 Abs. 4 SGB V in der erst ab dem 1. August 2013 geltenden Fassung des Gesetzes vom 15. Juli 2013 (BGBl. I S. 2423) oder gemäß § 10 SGB V familienversichert.

 

b) Die Versicherungspflicht des Klägers im Rahmen der sogenannten Auffangversicherung bestand für den gesamten Streitzeitraum bis zur Aufnahme eines neuen Beschäftigungsverhältnisses am 1. Dezember 2016. Ab diesem Zeitpunkt war er wieder versicherungspflichtig gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V, welches gemäß § 5 Abs. 8a Satz 1 SGB V, wie ausgeführt, die Auffangversicherung ausschließt. Für eine mehr als geringfügige Beschäftigung des Klägers in der davorliegenden Zeit bis zur letzten Beschäftigung bei der Firma S GmbH, die am 31. März 2013 geendet hatte, bestehen keine Anhaltspunkte, so dass sich der Senat auch nicht zu weiteren Ermittlungen von Amts wegen gedrängt gesehen hat (vgl. § 103 SGG). Soweit der Kläger erstinstanzlich behauptet hat, er sei bis mindestens 30. November 2016 beschäftigt gewesen, hat er dies mit Schriftsatz vom 11. November 2019 dahingehend korrigiert und konkretisiert, dass er in drei Nächten (am 1. Mai 2013, 25. Dezember 2013 und 1. Januar 2014) für seinen früheren Arbeitgeber tätig gewesen sei und zwischen Oktober und Dezember 2016 für diesen geringfügig gearbeitet habe. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat er ausdrücklich angegeben, 18 Monate lang absichtlich nicht gearbeitet zu haben, um nicht pflichtversichert zu sein. Aus der sich insofern allenfalls ergebenden geringfügigen Beschäftigung folgt indes keine anderweitige Versicherungspflicht (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB V). Dass er seinen Lebensunterhalt mittels Ersparnissen bzw., wie in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat unter Vorlage in wesentlichen Teilen geschwärzter Kontoauszüge ergänzt hat, Schenkungen in Höhe von rund 35.000 € bestritten habe, führt zu keinem abweichenden Ergebnis.

 

c) Vor dem Streitzeitraum, mithin „zuletzt“ im Sinne der Norm, war der Kläger bis 31. März 2013 pflichtversichert (vgl. §§ 5 Abs. 1 Nr. 1, 190 Abs. 2 SGB V), welches auch der Kläger selbst nicht in Abrede stellt.

 

2. Die von der Beklagten festgesetzte Beitragshöhe ist nicht zu beanstanden. Die Mittel der gesetzlichen Krankenversicherung werden u.a. gemäß § 220 Abs. 1 Satz 1 SGB V durch Beiträge aufgebracht. Diese werden gemäß § 223 Abs. 2 Satz 1 SGB V nach den beitragspflichtigen Einnahmen der Mitglieder bemessen, und zwar abhängig vom jeweiligen Versicherungsstatus. Für Auffangversicherte – wie der Kläger im gegenständlichen Zeitraum – bestimmen sich die Beiträge gemäß § 227 SGB V nach den Vorschriften für freiwillige Mitglieder. § 240 SGB V gilt danach für die nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V Versicherungspflichtigen entsprechend.  Bei der Vorschrift des § 227 SGB V handelt es sich um eine sogenannte dynamische Verweisung, so dass grundsätzlich die jeweils zum Zeitpunkt der Beitragsfestsetzung – hier mit Bescheid vom 20. Juli 2017 in der Fassung der Teilabhilfe und sodann des Widerspruchsbescheides vom 18. Juni 2019 – maßgebende Fassung des § 240 SGB V anzuwenden ist. Gemäß § 240 Abs. 1 Satz 2 SGB V (in der seit dem 1. August 2014 geltenden Fassung des GKV-Finanzstruktur- und Qualitäts-Weiterentwicklungsgesetzes vom 21. Juli 2014 [BGBl. I S. 1133, 1137]) ist bei der Beitragsbemessung sicherzustellen, dass die Beitragsbelastung die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des freiwilligen Mitglieds berücksichtigt; sofern und solange Mitglieder Nachweise über die beitragspflichtigen Einnahmen auf Verlangen der Krankenkasse nicht vorlegen, gilt als beitragspflichtige Einnahme für den Kalendertag der dreißigste Teil der monatlichen Beitragsbemessungsgrenze. Weist ein Mitglied innerhalb einer Frist von zwölf Monaten, nachdem die Beiträge nach Satz 2 auf Grund nicht vorgelegter Einkommensnachweise unter Zugrundelegung der monatlichen Beitragsbemessungsgrenze festgesetzt wurden, geringere Einnahmen nach, sind die Beiträge für die nachgewiesenen Zeiträume neu festzusetzen. Gemäß § 240 Abs. 1 Satz 4 SGB V in der Normfassung des GKV-Versichertenentlastungsgesetzes (GKV-VEG) vom 11. Dezember 2018 (BGBl. I S. 2387), die am 15. Dezember 2018 in Kraft getreten ist (vgl. Art. 1 Nr. 6, Art. 13 Abs. 1 GKV-VEG) sind für Zeiträume, für die der Krankenkasse hinreichende Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die beitragspflichtigen Einnahmen des Mitglieds die jeweils anzuwendende Mindestbeitragsbemessungsgrundlage nicht überschreiten, die Beiträge des Mitglieds neu festzusetzen.

 

Die Geltung des § 240 Abs. 1 Satz 4 SGB V ist auch – anders als Satz 3 – bereits nach ihrem Wortlaut nicht auf Zeiträume ab Inkrafttreten des GKV-VEG beschränkt. Der Gesetzgeber beabsichtigte auch eine rückwirkende Geltung dieser begünstigenden Vorschrift, wie sich daraus ergibt, dass er als Grund für die Gesetzesänderung darauf hingewiesen hat, dass nach bisheriger Rechtlage eine Änderung der Beitragseinstufung nur für die Zukunft, nicht dagegen für vergangene Zeiträume möglich gewesen sei. Die Neuregelung ermögliche eine rückwirkende Korrektur für vergangene Zeiträume. Sie gelte zeitlich unbeschränkt und beziehe sich auf alle vergangenen Zeiträume der Zwangseinstufung (vgl. BR-Drs. 375/18 S. 21-22 zu Nr. 6). Ziel sei es gewesen, „fiktive“ Beitragsschulden abzubauen mit der weiteren Folge, dass nach § 240 Abs. 1 Satz 5 SGB V ein Säumniszuschlag nach § 24 Abs. 1 SGB IV nur hinsichtlich der korrigierten Beitragsforderungen erhoben wird. Die Zulässigkeit einer Rückwirkung ausschließlich begünstigend wirkender Gesetzes ist im Übrigen in der Rechtsprechung unbestritten (vgl. zur Rückwirkung begünstigender Gesetze etwa BFH, Urteil vom 28. Juli 1975 – VI R 162/66 – juris Rn. 24; BSG, Urteil vom 8. Mai 2019 – B 14 AS 13/18 R – juris Rn. 11 zum „Geltungszeitraumprinzip“; zu Vorstehendem im Übrigen vgl. auch LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 11. April 2019 – L 9 KR 80/17 – juris Rn. 53; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21. Mai 2021 – L 4 KR 1203/19 – juris Rn. 46 ff. m.w.N.). Nachweise für eine Neuberechnung der Beiträge sind daher nach § 240 Abs. 1 Satz 4 SGB V von Amts wegen ohne zeitliche Begrenzung zu berücksichtigen (vgl. Padé, jurisPK-SGB V Stand: 14. Oktober 2021, § 240 Rn. 37).

 

Eine Neufestsetzung setzt indes voraus, dass hinreichende Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die beitragspflichtigen Einnahmen des Mitglieds die jeweils anzuwendende Mindestbeitragsbemessungsgrundlage nicht überschreiten. Solche Anhaltspunkte können sich etwa aus dem Bezug von Transferleistungen oder im Hinblick auf eine fruchtlose Vollstreckung und die daraus folgende Vermögenslosigkeit des (freiwilligen) Mitglieds ergeben (vgl. BR-Drs. 375/18, S. 22). Nach der Gesetzesbegründung stellen die „hinreichenden Anhaltspunkte“ einen unbestimmten Rechtsbegriff dar, der grundsätzlich von der zuständigen Krankenkasse eigenverantwortlich ausgelegt und angewandt werden muss. Sie müssen sich indes konkret und plausibel darstellen, um eine – zulasten der Solidargemeinschaft – zu rechtfertigende Absenkung der Beiträge zu rechtfertigen (vgl. Padé, jurisPK-SGB V a.a.O. § 240 Rn. 39). Hinreichende Anhaltspunkte im vorstehenden Sinn für eine Festsetzung der Beiträge auf der Grundlage der Mindestbeitragsbemessungsgrenze liegen hier hinsichtlich des insofern streitigen  Zeitraums vom 1. August 2014 bis 30. November 2016 – in der Zeit davor ist die Festsetzung ohnehin auf der Grundlage der Mindestbeitragsbemessungsgrenze erfolgt –jedoch nicht vor.

 

Dahinstehen kann, dass § 6 Abs. 5 Satz 2 der Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler (in der im Jahr 2016 geltenden Normfassung) einer rückwirkenden Neufestsetzung von Beiträgen entgegen steht, wenn Nachweise hierüber erst verspätet vorgelegt werden. Die Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler sind nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts grundsätzlich als verbindliche untergesetzliche Normen anzusehen (vgl. BSG, Urteile vom 19. Dezember 2012 – B 12 KR 20/11 R – juris  Rn. 13 ff und vom 19. Dezember 2012 – B 12 KR 20/11 R – juris Rn. 18; Padé, a.a.O., § 240 Rn. 28 m.w.N.). Deren Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht ist im Einzelfall zu überprüfen (vgl. BSG, Urteile vom 18. Januar 2018 – B 12 KR 22/16 R – juris Rn. 15 und 25 und vom 10. Oktober 2017 – B 12 KR 16/16 R – juris Rn. 17; Padé, a.a.O.). Insofern ist eine untergesetzliche Regelung, die den Anspruch von Versicherten auf rückwirkende Neufestsetzung der Beiträge für Zeiträume vor dem Folgemonat nach Vorlage von Nachweisen über die tatsächlichen Einnahmen ausschließt mit dem höherrangigen § 240 Abs. 1 Satz 4 SGB V unvereinbar und daher vorliegend nicht anzuwenden (vgl. auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21. Mai 2021 – L 4 KR 1203/19 – juris Rn. 58).

 

Der Kläger hat aber weder im Zuge des Verwaltungsverfahren gegenüber der Beklagten oder während des erstinstanzlichen Verfahrens vor dem Sozialgericht entsprechende Umstände plausibel dargetan geschweige denn an einer Aufklärung des Sachverhalts durch die Beklagte im Ansatz nur mitgewirkt, weil er bereits das Institut der gesetzlichen Auffangversicherung für verfassungswidrig hält. Eine entsprechende Mitwirkungshandlung seitens des Klägers ist zuletzt auch weder auf das unter Fristsetzung gemäß § 106a Abs. 1 und 2 i.V.m. § 153 Abs. 1 SGG erfolgte gerichtliche Aufforderungsschreiben noch in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erfolgt. Aus den (nach Ablauf der Frist) überreichten Kopien von Kontoauszügen, die teils geschwärzt, teils unleserlich sind und an keiner Stelle einen Kontostand oder die Herkunft von Einnahmen bei erheblichen Auszahlungsbeträgen ausweisen (etwa im April 3.000 €, im Mai 1.850 € im September 1.950 € [jeweils ohne erkennbare Jahresangaben]), folgen solche – hinreichenden – Anhaltspunkte nicht. Denn hieraus ergibt sich nicht mit der erforderlichen Deutlichkeit, dass die beitragspflichtigen Einnahmen des Klägers, und zwar auch unter Zugrundelegung wiederholter Gutschriften in Höhe von 10.000 € (April, September Dezember) nebst kleinerer Einzelbeträge die anzuwendende Mindestbeitragsbemessungsgrundlage nicht überschritten. Zu weiteren Ermittlungen von Amts wegen hat sich der Senat im Hinblick darauf – und unabhängig von der erfolgten Fristsetzung nach § 106a Abs. 1 und 2 SGG und einer fehlenden Entschuldigung für die Verspätung – nicht gedrängt gesehen (vgl. § 103 SGG).

 

Die Beitragsfestsetzung durch die Beklagte für den Zeitraum vom 1. April 2013 bis 31. Juli 2014 ist ebenso wenig zu beanstanden. Sie ist bereits auf der Grundlage der Mindestbemessungsgrundlage (2014: 921,67 € monatlich) in geringstmöglicher Höhe erfolgt. Der Kläger gehört nicht zu einer der Personengruppen, für die ausnahmsweise eine geringere Bemessungsgrundlage gilt (vgl. § 240 Abs. 4a SGB V in der Fassung des Gesetzes vom 26. März 2007 [BGBl. I S. 378]).

 

Der Kläger kann sodann nicht beanspruchen, die Beiträge für diese Zeit – bzw. für den Gesamtstreitzeitraum – auf 0 € festzusetzen. Als Ausnahmeregelung zu § 240 Abs. 1 Satz 2 SGB V, der zur Berücksichtigung der gesamten wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des freiwilligen Mitglieds verpflichtet, legt § 240 Abs. 4 Satz 1 SGB V eine Mindestbeitragsbemessungsgrundlage, d.h. eine absolute Untergrenze beitragspflichtiger Einnahmen fest (vgl. BSG, Urteil vom 30. November 2016 – B 12 KR 6/15 R – juris Rn. 15; Padé, jurisPK-SGB a.a.O. § 240 Rn. 61). Verfassungsrecht wird hierdurch nicht verletzt (vgl. BSG, Urteile vom 7. November 1991 – 12 RK 37/90 – juris Rn. 19 ff. und vom 30. November 2016 – B 12 KR 6/15 R – juris Rn. 29 m.w.N.). Dies gilt auch für den Fall, dass die tatsächlichen Einnahmen des (Auffang-)Versicherten wesentlich unter der Mindestbeitragsbemessungsgrundlage liegen bzw. wenn Einkommen überhaupt nicht erzielt wird (vgl. BSG, Urteil vom 18. Februar 1997 – 1 RR 1/94 – juris Rn. 14 und 21). Denn Personen, die ein niedrigeres Einkommen erzielen, können bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) bzw. der Sozialhilfe (SGB XII) in Anspruch nehmen. Das Bundesverfassungsgericht hat für den Fall von hauptberuflich Selbstständigen bereits entschieden, dass der Gesetzgeber Personen, die zur Aufbringung des Mindestbeitrages nicht in der Lage sind, auf das subsidiäre System der Sicherung des Lebensunterhaltes durch Leistungen des (damaligen) Bundessozialhilfegesetzes zu verweisen sind (BVerfG, Beschluss vom 22. Mai 2001 – 1 BvL 4/96 – juris Rn. 37; vgl. zur Pflegeversicherung BVerfG, Beschluss vom 4. Dezember 2002 – 1 BvR 527/98 – juris). Nichts Abweichendes gilt nach Inkrafttreten des SGB II und XII bzw. für Auffangversicherte wie den Kläger. Im Übrigen sind die einschlägigen verfassungsrechtlichen Fragen, wie dem Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erläutert worden sind, durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts mit der gebotenen Deutlichkeit geklärt. Das grundrechtliche Verbot aus Art. 12 Abs. 2 GG, auf das sich der Kläger nunmehr stützt und wonach niemand zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden darf, ist schon im Ansatz durch die gegenständliche Regelung nicht betroffen, die gerade keine Beschäftigung voraussetzt. Im Übrigen darf der Gesetzgeber zur Bestimmung der Schutzbedürftigen typisierend an den Sachverhalt der Beschäftigung anknüpfen und in Verbindung hiermit Versicherungszwang anordnen (vgl. etwa BVerfG, Beschlüsse vom 20. Mai 1996 – 1 BvR 21/96 – und vom 14. Oktober 1970 – 1 BvR 753/68 u.a. – juris).

 

3. Wie vom Sozialgericht schließlich zutreffend ausgeführt worden ist, kommt eine Verpflichtung (im Sinne einer Ermessensreduzierung auf Null) der Beklagten zur Ermäßigung der Beiträge oder zum Erlass von Beitragsschulden und Säumniszuschlägen nach § 256a Abs. 1 SGB V von vornherein nicht in Betracht. Danach soll die Krankenkasse die für die Zeit seit dem Eintritt der Versicherungspflicht nachzuzahlenden Beiträge angemessen ermäßigen, wenn ein Versicherter das Vorliegen der Voraussetzungen der Versicherungspflicht nach § 5 Absatz 1 Nummer 13 erst nach einem der in § 186 Absatz 11 Satz 1 und 2 SGB V genannten Zeitpunkte anzeigt; darauf entfallende Säumniszuschläge nach § 24 des Vierten Buches sind vollständig zu erlassen. Zwar gibt die Regelung konkrete Vorgaben für die Ermäßigung und den Erlass von Beitragsschulden und Säumniszuschlägen insbesondere für Auffangversicherte. § 256a SGB V soll auch neben § 76 SGB IV anwendbar sein (vgl. BT-Drs. 17/13947, S. 38). Eine entsprechende Anzeige seitens des Klägers, der das Bestehen von Versicherungspflicht bestreitet, ist indes, wie vom Sozialgericht ausgeführt, nicht erfolgt.

 

4. Die weiteren vom Kläger gegen die Beitragsfestsetzung erhobenen Einwendungen gehen ins Leere. Ein früherer Bescheid der Beklagten war durch sie nicht aufzuheben, weil ab dem 1. April 2013 die Auffangpflichtversicherung kraft Gesetzes neu entstanden ist.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.

 

Die Revision ist nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.

 

 

Rechtskraft
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