L 37 SF 156/20 EK SF

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Entschädigungsklage bei überlanger Verfahrensdauer
Abteilung
37
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 37 SF 156/20 EK SF
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Das Prozesskostenhilfevergütungsverfahren nach § 55 RVG und ein sich an-schließendes Erinnerungsverfahren stellen ein Gerichtsverfahren i.S.d. § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG dar. Für ein Vergütungsverfahren nach § 55 RVG steht dem Gericht eine Vorbereitungs- und Bedenkzeit von i.d.R. drei Monaten zu. Für ein sich anschließendes Erinnerungsverfahren steht dem Gericht eine Vorbe-reitungs- und Bedenkzeit von i.d.R. zwölf Monaten zu. Es kann eine Kompensation von Verzögerungszeiten durch eine zügige Bearbei-tung in dem jeweils anderen Verfahrensabschnitt erfolgen. Weisen ein Vergütungsverfahren nach § 55 RVG und ein sich anschließendes Er-innerungsverfahren eine unangemessene Dauer auf, bedarf es in der Regel nicht der Kompensation durch Gewährung einer finanziellen Entschädigung. Es reicht vielmehr mit Blick auf die im Allgemeinen nur untergeordnete Bedeutung derartiger Verfahren und unter Berücksichtigung der von einer unangemessenen Verfah-rensdauer für mit der Prozessführung vertraute Rechtsanwälte als Organe der Rechtspflege ausgehenden, vergleichsweise geringfügigen seelischen Belastung die Wiedergutmachung auf sonstige Weise aus. Hat der Beklagte im vorprozessualen Entschädigungsverfahren die Unangemes-senheit der Verfahrensdauer anerkannt und hierüber sein Bedauern zum Ausdruck gebracht, ist der Anspruch auf Wiedergutmachung in sonstiger Weise als kleiner Entschädigungsanspruch erfüllt.

Die Klage wird abgewiesen.

 

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

 

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

 

 

Tatbestand

 

Der Kläger begehrt eine Entschädigung wegen überlanger Dauer des vor dem Sozialgericht B zum Aktenzeichen S 165 SF 203/18 E geführten Erinnerungsverfahrens.

 

Der Kläger, ein Rechtsanwalt, vertrat in dem vor dem Sozialgericht Berlin zuletzt unter dem Aktenzeichen S 124 AS 8642/16 gegen das Jobcenter Berlin Pankow geführten Verfahren die Klägerin N S. Mit Beschluss vom 28. August 2017 bewilligte das Sozialgericht dieser Prozesskostenhilfe (PKH) mit Wirkung ab dem 07. Juli 2016 unter Beiordnung des hiesigen Klägers. Das Verfahren wurde im November 2017 durch angenommenes Anerkenntnis erledigt. Nachdem sich das Jobcenter sodann bereit erklärt hatte, die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zur Hälfte zu übernehmen, und diese das Kostengrundanerkenntnis angenommen hatte, beantragte der hiesige Kläger mit Schriftsatz vom 06. Dezember 2017 die Festsetzung der hälftigen erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin für das Widerspruchsverfahren (249,90 €) gegen das Jobcenter - gestützt auf § 126 der Zivilprozessordnung (ZPO) - im eigenen Namen. Die Kosten des Klageverfahrens (975,80 €) begehrte er, im Rahmen der gewährten PKH festzusetzen. Seinem Vergütungsfestsetzungsantrag lagen u.a. eine Verfahrensgebühr nach Nr. 3102 Vergütungsverzeichnis zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) sowie eine Einigungs-/Erledigungsgebühr nach Nr. 1006 VV RVG in Höhe von jeweils 400,00 € zugrunde.

 

Unter dem 11. Dezember 2017 erteilte die Kostenbeamtin dem Kläger einen rechtlichen Hinweis und forderte das Jobcenter zur Stellungnahme zu dem Antrag innerhalb von fünf Wochen auf. Am 12. Dezember 2017 trat der Kläger der Rechtsauffassung der Kostenbeamtin entgegen. Sein Schriftsatz wurde wenige Tage später dem Jobcenter zugeleitet. Unter dem 24. Januar 2018 wurde dieses an die angeforderte Stellungnahme erinnert, die daraufhin fünf Tage später einging. Das Jobcenter erhob keine Einwände gegen die für das Widerspruchsverfahren geltend gemachten Kosten, sah hingegen die für das Klageverfahren geltend gemachten als nicht angemessen an. Diesbezüglich meinte es, seien Kosten in Höhe von 172,55 € und von ihm hiervon die Hälfte, mithin 86,28 € zu erstatten. Unter dem 31. Januar 2018 bat das Sozialgericht das Jobcenter, die hälftigen Widerspruchskosten an den Kläger anzuweisen, wies darauf hin, dass die Kosten des Klageverfahrens vollständig gegenüber der Landeskasse geltend gemacht worden seien, und kündigte insoweit an, zu gegebener Zeit einen Forderungsübergang geltend zu machen. Am selben Tag leitete es den Schriftsatz des Jobcenters sowie das gerichtliche Schreiben an den Kläger weiter.

 

Mit Beschluss vom 21. Februar 2018 setzte die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle die aus der Landeskasse im Wege der PKH zu zahlende Vergütung auf 529,55 € fest. Dabei legte sie eine Verfahrensgebühr nach Nr. 3102 VV RVG in Höhe von 300,00 € zugrunde, rechnete 175,00 € auf der Grundlage von Nr. 2302 VV RVG an und ging von einer Erledigungsgebühr nach Nr. 1006, 1005 VV RVG in Höhe von nur 300,00 € aus.

 

Gegen den ihm am 23. Februar 2018 zugestellten Beschluss legte der Kläger noch am selben Tag Erinnerung ein und begehrte weiterhin eine Festsetzung der Kosten auf 975,80 €. In dem unter dem Aktenzeichen S 165 SF 203/18 E registrierten Erinnerungsverfahren bestätigte das Sozialgericht am 14. März 2018 den Eingang, übersandte den Schriftsatz dem Erinnerungsgegner zur Kenntnisnahme und verfristete den Vorgang um drei Monate. Auf einen Schriftsatz des Jobcenters vom 16. April 2018 hin forderte die die Hauptsache bearbeitende Kammer die Akten von der 165. Kammer zurück, übersandte diese sodann jedoch unter dem 23. April 2018 erneut. Im Folgenden wurde der Vorgang mehrfach verfristet.

 

Am 30. April 2020 erhob der Kläger zum Aktenzeichen S 165 SF 203/18 E Verzögerungsrüge.

 

Mit Beschluss vom 12. Mai 2020 wies das Sozialgericht Berlin die Erinnerung gegen den Vergütungsfestsetzungsbeschluss des Sozialgerichts vom 21. Februar 2018 unter Verweis auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung zurück. Der Beschluss wurde dem Kläger am 13. Mai 2020 zugestellt.

 

Im Rahmen eines durch den Kläger vorprozessual eingeleiteten Entschädigungsverfahrens räumte der Präsident des Sozialgerichts Berlin unter dem 30. Juni 2020 eine überlange Dauer des Erinnerungsverfahrens ein und brachte hierüber im eigenen Namen sowie dem des Beklagten sein Bedauern zum Ausdruck, lehnte jedoch die Gewährung einer Entschädigung ab.

Am 02. Juli 2020 hat der Kläger daraufhin die vorliegende Entschädigungsklage erhoben und eine Entschädigung wegen überlanger Dauer des Kostenerinnerungsverfahrens in Höhe von 1.300,00 € nebst Zinsen, hilfsweise die Feststellung, dass das Verfahren eine unangemessene Dauer aufgewiesen hat, begehrt. Zur Begründung macht er geltend, selbst Inhaber des Kostenerstattungsanspruchs zu sein und keine Zahlungen von der früheren Klägerin erhalten zu haben. Auch habe keine Rechtsschutzversicherung die Gebühren getragen. Das Verfahren habe für ihn erhebliche wirtschaftliche Bedeutung gehabt. Nicht nur sei es um einen erheblichen Differenzbetrag gegangen, sondern auch um in der Rechtsprechung ungeklärte Fragen des Gebührenrechts. Zudem betrachte er die Festsetzung von Gebühren, insbesondere wenn es um die in § 14 des Ersten Sozialgesetzbuches geregelten Aspekte der Schwierigkeit und des Umfangs der anwaltlichen Tätigkeit gehe, stets auch als Bewertung seiner Tätigkeit. Er könne daher versichern, dass Fragen der Gebührenfestsetzung neben dem materiellen Aspekt auch ganz erhebliche immaterielle Bedeutung für ihn hätten, insbesondere wenn er – wie im vorliegenden Verfahren – die Schwierigkeit und den Umfang seiner Tätigkeit als nicht hinreichend gewürdigt sehe. Die Verfahrensdauer sei insbesondere im Hinblick auf die dürre Begründung des das Verfahren abschließenden Beschlusses ein erhebliches Ärgernis. Es sei ärgerlich und nicht erklärlich, wie das Gericht über 24 Monate habe brauchen können, um sodann lapidar auf den Ausgangsbeschluss zu verweisen. Dies habe ganz erhebliche psychische Auswirkungen im Sinne des Erregens von Ärger bei ihm. Eine Wiedergutmachung auf andere Weise sei daher nicht ausreichend. Im Erinnerungsverfahren sei er als Beteiligter wie jeder andere auch in eigenen Interessen betroffen. Er habe einen Kanzleibetrieb mit Räumlichkeiten sowie der Vergütung einer Mitarbeiterin etc. aufrecht zu erhalten, Versicherungen, Kammerbeiträge, Fortbildungsaufwendungen etc. zu tragen und mithin erhebliche Kosten auch im Zusammenhang mit dem hiesigen Verfahren vorgeschossen, ohne wegen § 122 Abs. 1 Nr. 3 ZPO Vergütung auf andere Weise erlangen zu können. Die Feststellung der Überlänge durch den Präsidenten des Sozialgerichts stelle schließlich keine hinreichende Wiedergutmachung auf andere Weise dar.

 

Der Kläger beantragt,

 

den Beklagten zu verurteilen, ihm wegen überlanger Dauer des vor dem Sozialgericht B unter dem Aktenzeichen S 165 SF 203/18 E geführten Verfahrens eine Entschädigung in Höhe von 1.300,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen,

 

hilfweise die unangemessene Dauer des vor dem Sozialgericht B unter dem Aktenzeichen S 165 SF 203/18 E geführten Verfahrens festzustellen.

 

Der Beklagte beantragt,

 

die Klage abzuweisen.

 

Der Beklagte, dem die Klage am 29. Juli 2020 zugestellt worden ist, meint, das Verfahren habe zwar überlang gedauert. Eine materielle Entschädigung scheide jedoch aus. Es reiche die Feststellung der Überlänge, die der Präsident des Sozialgerichts B bereits außergerichtlich ausdrücklich erklärt habe. Die Angelegenheit sei für den Kläger auch deshalb von nur untergeordneter Bedeutung gewesen, weil das Ausgangsgericht die Vergütungsfestsetzung nicht insgesamt abgelehnt habe. Es sei um einen Differenzbetrag in Höhe von 446,25 € gegangen. Der Kläger sei folglich zu keiner Zeit im Ungewissen über die Festsetzung seiner Vergütung an sich oder die Berechtigung der von ihm zugrunde gelegten Gebührenziffern gewesen. Gegen die Notwendigkeit einer materiellen Entschädigung spreche auch, dass der Kläger als Rechtsanwalt ein unabhängiges Organ der Rechtspflege sei, von Prozessen grundsätzlich profitiere und keinesfalls in gleichem Maße wie Laien durch eine lange Verfahrensdauer psychisch belastet werde. Wegen der Unbestimmtheit der Rahmengebühren wisse er von vornherein, dass die korrekte Gebührenbestimmung mit einem gewissen Unsicherheitsfaktor belastet sei, und trage von Berufs wegen das Risiko einer billigen Ermessensbetätigung. Schließlich wisse er im PKH-Vergütungsverfahren, dass ihm bei Anerkennung des Vergütungsanspruchs in jedem Fall ein potenter Schuldner gegenüberstehe. Im Übrigen sei zu beachten, dass der Kläger zwei Jahre habe verstreichen lassen, bevor er Verzögerungsrüge erhoben habe. Aus dieser Passivität lasse sich schließen, dass die Angelegenheit für ihn keine Bedeutung gehabt habe. Es sei auch sonst weder ersichtlich noch ansatzweise substantiiert vorgetragen, dass der Kläger sich im Rahmen des Ausgangsverfahrens in einer wirtschaftlich schwierigen Situation befunden habe. Dem behaupteten Ärgernis wegen des Erinnerungsverfahrens komme kaum der Stellenwert ganz erheblicher psychischer Auswirkungen zu.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte und auf die Akten des Ausgangsverfahrens verwiesen, die dem Senat vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.

 

 

Entscheidungsgründe

 

Der nach § 201 Abs. 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) sowie § 202 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), jeweils in der Fassung des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (GRüGV) vom 24. November 2011 (BGBl. I, S. 2302) und des Gesetzes über die Besetzung der großen Straf- und Jugendkammern in der Hauptverhandlung und zur Änderung weiterer gerichtsverfassungsrechtlicher Vorschriften sowie des Bundesdisziplinargesetzes vom 06. Dezember 2011 (BGBl. I, S. 2554) für die Entscheidung über die Entschädigungsklage zuständige Senat konnte über diese nach § 201 Abs. 2 Satz 1 GVG i.V.m. §§ 202 Satz 2, 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheiden, nachdem die Beteiligten hierzu unter dem 27. August bzw. 11. September 2020 ihr Einverständnis erteilt hatten.

 

Die auf Gewährung einer Entschädigung, hilfsweise die Feststellung der Überlänge des beim Sozialgericht Berlin unter dem Aktenzeichen S 165 SF 203/18 E geführten Erinnerungsverfahrens gerichtete, als allgemeine Leistungsklage statthafte Klage kann keinen Erfolg haben.

 

A.   Zwar ist die Entschädigungsklage zulässig. Insbesondere bestehen weder an der Wahrung der gemäß § 90 SGG für die Klage vorgeschriebenen Schriftform noch an der Einhaltung der nach § 198 Abs. 5 Satz 2 GVG zu wahrenden Klagefrist von sechs Monaten nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens Zweifel. Auch ist es hier unschädlich, dass die Klage bereits am 02. Juli 2020 und damit – entgegen § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG – vor Ablauf von sechs Monaten ab Erhebung der Verzögerungsrüge am 30. April 2020 erhoben wurde. Denn zwar handelt es sich bei der Einhaltung der Wartefrist um eine besondere Sachurteilsvoraussetzung, die in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen ist, und wird eine vor Fristablauf erhobene Klage auch nicht nach Ablauf der Frist zulässig (BSG, Urteil vom 03.09.2014 – B 10 ÜG 2/14 R – juris, Rn. 18 ff.). Allerdings ist mit Blick auf den Sinn der Wartefrist, dem Gericht die Möglichkeit einzuräumen, auf eine Beschleunigung des Verfahrens hinzuwirken und dadurch (weiteren) Schaden zu vermeiden, anerkannt, dass eine Klage ausnahmsweise vor Fristablauf erhoben werden kann, wenn nämlich das betroffene Verfahren schon vor Fristablauf beendet wurde (vgl. Bundesgerichtshof, Urteil vom 21.05.2014 – III ZR 355/13 – Rn. 17 und Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 26.02.2015 – 5 C 5/14 D – Rn. 18 ff., zitiert jeweils nach juris). So aber liegt der Fall hier.

 

B.      Die Entschädigungsklage ist jedoch unbegründet.

 

Nach § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG wird angemessen entschädigt, wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet. Für einen Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, kann Entschädigung indes nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalls Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß § 198 Abs. 4 GVG ausreichend ist (§ 198 Abs. 2 S. 2 GVG). Eine Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur dann, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (§ 198 Abs. 3 Satz 1 GVG).

 

Dem Kläger steht weder ein Anspruch auf Gewährung einer finanziellen Entschädigung (hierzu im Folgenden zu I.) noch auf gerichtliche Feststellung der Unangemessenheit des streitgegenständlichen Erinnerungsverfahrens zu (hierzu unter II.).

 

I.     Die Voraussetzungen für die Gewährung einer finanziellen Entschädigung sind nicht gegeben, da vorliegend das negative Tatbestandsmerkmal des § 198 Abs. 2 Satz 2 GVG – das Ausreichen einer Wiedergutmachung auf andere Weise – eingreift.

 

Das Bundessozialgericht hat bereits entschieden, dass das Kostenfestsetzungs- und Erinnerungsverfahren nach § 197 SGG ein eigenständiges Gerichtsverfahren im Sinne des § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG darstellt, mithin Gegenstand eines Entschädigungsanspruchs sein kann (vgl. BSG, Urteil vom 10.07.2014 – B 10 ÜG 8/13 R – juris, Rn. 16 ff.). Nichts anderes kann zur Überzeugung des Senats für das PKH-Vergütungsverfahren nach § 55 RVG und ein sich an dieses anschließendes Erinnerungsverfahren gelten.

 

Auch ist der Kläger aktivlegitimiert in Bezug auf den geltend gemachten Entschädigungsanspruch, denn er ist Verfahrensbeteiligter des Ausgangsverfahrens im Sinne des § 198 Abs. 1 Satz 1, Abs. 6 Nr. 2 GVG. Im Vergütungsfestsetzungs- und Erinnerungsverfahren nach §§ 55, 56 RVG ist der beigeordnete Rechtsanwalt selbst antrags- bzw. erinnerungsberechtigt (Müller-Rabe, in: Gerold/Schmidt, RVG, § 55 Rn. 4 und § 56 Rn. 7). Dementsprechend wurde der Kläger vom Sozialgericht auch als Antragsteller bzw. Erinnerungsführer geführt.

 

Zu Recht gehen weiter sowohl der Kläger, der am 30. April 2020 eine ordnungsgemäße Verzögerungsrüge erhoben hat, als auch der Beklagte davon aus, dass das Verfahren eine unangemessene Dauer aufweist (hierzu zu 1.). Allerdings bedarf es vorliegend nicht der Gewährung einer Entschädigung (hierzu zu 2.).

 

1.    Zur Überzeugung des Senats ist das streitgegenständliche Erinnerungsverfahren als im Umfang von neun Kalendermonaten überlang anzusehen.

 

a)        Ob die Verfahrensdauer angemessen ist oder nicht, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens sowie dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritten (§ 198 Abs. 1 Satz 2 GVG). Über die in § 198 GVG ausdrücklich genannten Kriterien zur Bestimmung der Angemessenheit der Verfahrensdauer hinaus hängt die Unangemessenheit der Verfahrensdauer wesentlich davon ab, ob dem Staat zurechenbare Verhaltensweisen des Gerichts zur Überlänge des Verfahrens geführt haben. Maßgeblich sind Verzögerungen, also sachlich nicht gerechtfertigte Zeiten des Verfahrens, insbesondere aufgrund von Untätigkeit des Gerichts (BSG, Urteile vom 03.09.2014 – B 10 ÜG 2/13 R – Rn. 34 und – B 10 ÜG 12/13 R –Rn. 41, vom 12.02.2015 – B 10 ÜG 7/14 R – Rn. 35 sowie vom 07.09.2017 – B 10 ÜG 1/16 R - Rn. 38, alle zitiert nach juris). Für die Entscheidung, ob eine überlange Verfahrensdauer vorliegt, sind daher aktive und inaktive Zeiten der Bearbeitung gegenüberzustellen (BSG, Urteil vom 03.09.2014 – B 10 ÜG 12/13 R – juris, Rn. 40 ff., 50), wobei kleinste relevante Zeiteinheit stets der Kalendermonat ist (BSG, Urteil vom 12.02.2015 – B 10 ÜG 11/13 R – 2. Leitsatz und Rn. 34, vgl. auch Urteile vom 03.09.2014 – B 10 ÜG 12/13 R –, Rn. 29, - B 10 ÜG 9/13 R – Rn. 25, - B 10 ÜG 2/13 – Rn. 24, jeweils zitiert nach juris).

 

Vorliegend begann das Erinnerungsverfahren – auf das der Kläger seine Entschädigungsklage zulässigerweise beschränkt hat (vgl. BSG, Urteil vom 27.03.2020 – B 10 ÜG 4/19 R, juris, Rn. 11) – mit Eingang des Rechtsbehelfs am 23. Februar 2018 und fand mit am Folgetag zugestelltem Beschluss vom 12. Mai 2020 seinen Abschluss. Innerhalb dieser Zeit wurde es von Mai 2018 bis einschließlich April 2020, mithin in 24 Kalendermonaten nicht gefördert. Soweit der Kläger davon ausgeht, dass bereits der April 2018 als Monat der gerichtlichen Inaktivität zu bewerten ist, folgt der Senat ihm nicht. Denn zwar hat das Sozialgericht dem Erinnerungsgegner den Schriftsatz des Klägers vom 23. Februar 2018 nach Registrierung des Erinnerungsverfahrens Mitte März 2018 lediglich zur Kenntnis- und nicht ausdrücklich zur Stellungnahme zugeleitet. Die Übersendung eines Schriftsatzes, z.B. eines Gutachtens, einer gutachtlichen Stellungnahme oder auch der Berufungserwiderung an die Beteiligten zur Kenntnis beinhaltet indes stets die Möglichkeit zur Stellungnahme. Die Entscheidung des Gerichts, im Hinblick auf eine mögliche Stellungnahme zunächst nicht weitere Maßnahmen zur Verfahrensförderung zu ergreifen, unterliegt grundsätzlich noch seiner Entscheidungsprärogative und ist - mit Ausnahme unvertretbarer oder schlechthin unverständlicher Wartezeiten - durch das Entschädigungsgericht nicht als Verfahrensverzögerung zu bewerten (BSG, Urteil vom 07.09.2017 – B 10 ÜG 1/16 R - juris, Rn. 43). Nichts anderes gilt zur Überzeugung des Senats, wenn im Erinnerungsverfahren der Schriftsatz, mit dem der Rechtsbehelf eingelegt wird, dem Gegner zur Kenntnisnahme übersandt wird. In diesem frühen Verfahrensstadium kann auch nicht die Rede davon sein, dass dies zu nicht mehr tragbaren Wartezeiten führen würde. Hinzu kommt hier, dass im Laufe des Aprils 2018 die Akten des Hauptverfahrens auf einen Schriftsatz des Beklagten dieses Verfahrens vorübergehend der für dieses Verfahren zuständig gewesenen Kammer zur Verfügung gestellt werden mussten.

 

b)    Dies heißt jedoch nicht, dass von einer Unangemessenheit der Verfahrensdauer im Umfang von 24 Kalendermonaten auszugehen wäre. Denn erst die wertende Gesamtbetrachtung und Abwägung aller Einzelfallumstände ergibt, ob die Verfahrensdauer die äußerste Grenze des Angemessenen deutlich überschritten und deshalb das Recht auf Rechtsschutz in angemessener Zeit verletzt hat (BSG, Urteil vom 07.09.2017 – B 10 ÜG 1/16 R - juris, Rn. 33). Dabei ist zu beachten, dass den Gerichten – über die Phasen der aktiven Verfahrensförderung hinaus - Vorbereitungs- und Bedenkzeiten von in der Regel zwölf Monaten je Instanz als angemessen zuzugestehen sind, falls sich nicht aus dem Vortrag des Klägers oder aus den Akten besondere Umstände ergeben, die vor allem mit Blick auf die Kriterien des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG im Einzelfall zu einer anderen Bewertung führen (BSG, Urteile vom 03.09.2014 – B 10 ÜG 2/13 R – Rn. 48, – B 10 ÜG 2/14 R – Rn. 49 und - B 10 ÜG 12/13 R - Rn. 56, jeweils zitiert nach juris). Weiter ist zu berücksichtigen, dass Zeiten fehlender Verfahrensförderung durch das Gericht in bestimmten Verfahrensabschnitten in davor oder danach liegenden Verfahrensabschnitten ausgeglichen werden können (BSG, Urteile vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 2/13 - Rn. 43, - B 10 ÜG 9/13 R - Rn. 43, - B 10 ÜG 12/13 R - Rn. 51, - B 10 ÜG 2/14 R- Rn. 44, zitiert jeweils nach juris). Da Anknüpfungspunkt für die Angemessenheitsprüfung nach § 198 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 6 Nr. 1 GVG das Verfahren von seiner Einleitung bis zu seinem rechtskräftigen Abschluss insgesamt ist, geht der Senat in ständiger Rechtsprechung (vgl. z.B. Urteil vom 25.02.2016 – L 37 SF 128/14 EK AL -, juris, Rn. 58) davon aus, dass insoweit eine instanzübergreifende Betrachtung zu erfolgen hat und in einem erstinstanzlichen Verfahren aufgetretene Verzögerungen noch durch die zügige Bearbeitung im Berufungs- bzw. Beschwerdeverfahren zu kompensieren sind sowie umgekehrt im Falle einer sehr zügigen Bearbeitung einer Sache vor dem Sozialgericht das zweitinstanzliche Verfahren entsprechend länger dauern kann. Dabei können die dem jeweiligen Gericht für seinen Verfahrensabschnitt zur Verfügung stehenden Vorbereitungs- und Bedenkzeiten zur Überzeugung des Senats vollumfänglich auf das Verfahren der jeweils anderen Instanz übertragen werden, soweit sie nicht "aufgebraucht" sind. Übertragen auf das hier streitgegenständliche Erinnerungsverfahren bedeutet dies:

 

aa)    Kriterien, die es rechtfertigen würden, für ein von einer Richterin/einem Richter zu bearbeitendes Erinnerungsverfahren von einer geringeren als der den Gerichten regelmäßig zustehenden Vorbereitungs- und Bedenkzeit im Umfang von zwölf Monaten auszugehen, vermag der Senat unter Berücksichtigung der Bedeutung des Streitgegenstandes, die eine bevorzugte Erledigung dieser Verfahren nicht geboten erscheinen lässt, nicht zu erkennen. Bei einem Erinnerungsverfahren handelt es sich vielmehr – anders als z.B. bei einem Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren - um ein dem Hauptsacheverfahren nachfolgendes Kostenverfahren mit einem in der Regel eher geringen Streitwert, dem im Vergleich zu den sonstigen richterlich zu bearbeitenden Fällen eine eher untergeordnete Bedeutung beizumessen ist. Dies gilt auch für das streitgegenständliche Verfahren, in dem der Kläger als Rechtsanwalt eine Vergütung in Höhe weiterer 446,25 € begehrt hat. Allerdings können durchaus auch diese Verfahren für die bearbeitenden Richterinnen und Richter schwierigere Rechtsfragen aufwerfen. So geht der Kläger hier selbst davon aus, dass bislang in der Rechtsprechung nicht hinreichend geklärte Fragen zu entscheiden waren. Umgekehrt weisen Erinnerungsverfahren im Vergleich zu typischen sozialgerichtlichen Hauptsacheverfahren eine eher geringe Komplexität auf, sind jedenfalls nicht von Ermittlungen oder üblicherweise – und so auch vorliegend - dem intensiven Austausch von Schriftsätzen geprägt. Der Senat sieht daher auch keine Gründe, die es rechtfertigen würden, zum Nachteil eines Erinnerungsführers von einer längeren als zwölfmonatigen Bearbeitungs- und Bedenkzeit auszugehen. Er geht vielmehr davon aus, dass den Gerichten für Erinnerungsverfahren in der Regel – und so auch vorliegend – eine Vorbereitungs- und Bedenkzeit im Umfang von zwölf Monaten zusteht (so auch: Sächsisches LSG, Urteil vom 22.01.2018 – L 1 SF 45/16 EK – Rn. 67 und Schleswig-Holsteinisches LSG, Urteile vom 30.11.2018 – L 12 SF 71/17 EK - Rn. 40 sowie – L 12 SF 67/17 EK - Rn. 34, a.A.– nur sechs Monate -: LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 11.11.2015 – L 12 SF 23/14 EK AS –, Rn. 19, vgl. auch: Hessisches LSG, Urteil vom 01.08.2018 – L 6 SF 2/18 EK SB - Rn. 47: Kostenfestsetzungs- und Erinnerungsverfahren zusammen zwölf Monate, alle zitiert nach juris).

 

bb)      Da ein Erinnerungsverfahren weiter nicht isoliert steht, sondern sich regelmäßig an eine Kostenfestsetzung wie z.B. hier im PKH-Vergütungsverfahren anschließt, es sich mithin auch insoweit um ein – vergleichbar z.B. dem Klage- und Beschwerdeverfahren - zweistufiges Verfahren handelt, sieht der Senat schließlich keine Veranlassung, von der – wie oben ausgeführt – von ihm regelmäßig angenommenen Kompensationsmöglichkeit abzuweichen. Denn auch wenn in einem PKH-Vergütungs-/Kostenfestsetzungs- und Erinnerungsverfahren Angehörige eines einzigen Gerichts tätig werden und der Rechtsbehelf keinen Devolutiveffekt hat, ändert dies nichts daran, dass zunächst durch eine Urkundsbeamtin/einen Urkundsbeamten eine Entscheidung über die Höhe der Vergütung/zu erstattenden Kosten getroffen und sodann – auf den Rechtsbehelf hin – deren/dessen Entscheidung durch eine Richterin/einen Richter überprüft wird.

 

cc)    Allerdings hält der Senat es mit Blick auf ein PKH-Vergütungs-/Kostenfestsetzungsverfahren nicht für angemessen, von einer Vorbereitungs- und Bedenkzeit von mehr als in der Regel drei Monaten auszugehen (so auch: LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 11.11.2015 – L 12 SF 23/14 EK AS – Rn. 18, LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 08.06.2016 – L 12 SF 9/14 EK AS – Rn. 14 ff., LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 22.02.2017 – L 12 SF 39/15 EK AS – Rn. 13 ff., 16, Sächsisches LSG, Urteil vom 22.01.2018 – L 11 SF 45/16 EKRn. 66, LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 03.07.2019 – L 2 SF 1441/19 EK AS – Rn. 29, alle zitiert nach juris). Die personelle Ausstattung der Gerichte muss vielmehr im nichtrichterlichen Bereich zu seiner Überzeugung so gestaltet sein, dass es den Urkundsbeamten grundsätzlich möglich ist, dem verständlichen Wunsch ehemaliger Beteiligter eines gerichtlichen Klage- oder Antragsverfahrens auf zügige Erstattung der ihnen im Laufe dieses Verfahrens entstandenen Kosten zügig zu entsprechen. Hierzu gehört es, dass es nicht erforderlich sein darf, einen Vergütungs-/Kostenfestsetzungsantrag um mehr als drei Monate zurückzustellen.

 

dd) Vorliegend bedeutet dies, dass von den aufgetretenen 24 Kalendermonaten der gerichtlichen Inaktivität letztlich nur neun als entschädigungsrelevant anzusehen sind. Denn im Laufe des mit dem Antrag vom 06. Dezember 2017 eingeleiteten und durch zwei Tage später zugestellten Beschluss der Urkundsbeamtin vom 21. Februar 2018 abgeschlossenen PKH-Vergütungsverfahren sind keine dem Beklagten anzulastenden Verzögerungen aufgetreten. Im Gegenteil wurde in diesem Verfahren wenige Tage nach Antragseingang im Dezember 2017 ein rechtlicher Hinweis erteilt und dem ursprünglichen Beklagten – dem Jobcenter – Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt. Ob dies im Hinblick auf das hier wesentliche PKH-Vergütungsverfahren erforderlich war, kann dahinstehen. Denn das Entschädigungsgericht hat das Handeln des Ausgangsgerichts keiner rechtlichen Vollkontrolle zu unterziehen, vielmehr zu beachten, dass die Prozessordnung dem Ausgangsgericht ein weites Ermessen bei seiner Entscheidung darüber einräumt, wie es das Verfahren gestaltet und leitet. Die richtige Ausübung dieses Ermessens ist vom Entschädigungsgericht allein unter dem Gesichtspunkt zu prüfen, ob das Ausgangsgericht bei seiner Prozessleitung Bedeutung und Tragweite des Menschenrechts aus Art. 6 Abs. 1 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) bzw. des Grundrechts aus Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) in der konkreten prozessualen Situation hinreichend beachtet und fehlerfrei gegen das Ziel einer möglichst richtigen Entscheidung abgewogen hat (BSG, Urteile vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 2/13 R - Rn. 36,   B 10 ÜG 9/13 R - Rn. 39, - B 10 ÜG 12/13 R - Rn. 43 und – B 10 ÜG 2/14 R – Rn. 42 sowie vom 07.09.2017 - B 10 ÜG 1/16 R - Rn. 39, jeweils zitiert nach juris). Dass das Sozialgericht dem Jobcenter, das sich zur hälftigen Übernahme der außergerichtlichen Kosten bereit erklärt hatte, in diesem frühen Verfahrensstadium Gelegenheit zur Stellungnahme (auch) mit Blick auf das PKH-Vergütungsverfahren gegeben und dieses nach Ablauf der ihm gewährten Frist im Januar 2018 umgehend erinnert hat, ist keinesfalls offensichtlich sachwidrig. Denn auch wenn der Kläger eine vollständige Vergütung für das Klageverfahren durch den Beklagten beantragt hatte, stand letztlich die Geltendmachung eines Forderungsübergangs zu erwarten. Nach weiterem Austausch von Schriftsätzen noch im Januar erfolgte die Festsetzung der Vergütung sodann im Februar 2018. Von den für diesen Verfahrensabschnitt zur Verfügung stehenden drei Monaten Vorbereitungs- und Bedenkzeit wurde mithin kein einziger Monat in Anspruch genommen, sodass diese Zeit vollumfänglich zur Kompensation zur Verfügung steht.

 

2.    Dies heißt jedoch nicht, dass dem Kläger eine finanzielle Entschädigung für neun Kalendermonate zusteht. Denn zwar nimmt der Senat nicht an, dass die gesetzliche Vermutung des Eintritts eines Nachteils (vgl. § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG) widerlegt ist. Wohl aber geht er mit Blick auf die allein geltend gemachte Entschädigung für den erlittenen immateriellen Nachteil davon aus, dass eine Entschädigung insoweit nicht erforderlich ist, vielmehr eine Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß § 198 Abs. 4, Abs. 2 Satz 2 GVG ausreichend ist.

 

Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 6 und Art. 41 EMRK kommt eine derartige Kompensation eines Nichtvermögensschadens zwar nur ausnahmsweise in Betracht, nämlich dann, wenn das zu beurteilende Verfahren sich durch eine oder mehrere entschädigungsrelevante Besonderheiten in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht von vergleichbaren Fällen abhebt (vgl. BSG Urteil vom 12.02.2015 – B 10 ÜG 11/13 R -, juris, Rn. 36). Vom Vorliegen derartiger Besonderheiten ist der Senat vorliegend jedoch überzeugt. Mit dem Bundessozialgericht geht er davon aus, dass ein Kostenfestsetzungs- und Erinnerungsverfahren nach Erledigung des vorangegangenen Hauptsacheverfahrens für die Beteiligten im Allgemeinen von nur noch untergeordneter Bedeutung ist (vgl. BSG, Urteile vom 10.07.2014 – B 10 ÜG 8/13 R – Rn. 31 und vom 12.12.2019 – B 10 ÜG 3/19 R – Rn. 40, zitiert jeweils nach juris). Anderes kann weder für ein auf ein PKH-Vergütungsverfahren folgendes Erinnerungsverfahren im Allgemeinen noch im vorliegenden Fall gelten.

 

Auch wenn der Senat durchaus nachvollziehen kann, dass es für Rechtsanwälte ein Ärgernis darstellt, wenn sie aufgrund verzögerter Bearbeitung ihrer Kostenangelegenheiten lange auf ihre Vergütung warten müssen, vermag er nicht zu erkennen, dass hier – jedenfalls typischerweise – Fallkonstellationen vorlägen, für die der Gesetzgeber die Gewährung einer finanziellen Entschädigung im Auge hatte. Mit den Regelungen der §§ 198 ff. GVG strebt dieser eine Kompensation von Verstößen gegen Grund-/Menschenrechte an, und nach seinen Vorstellungen gehört zu den zu kompensierenden immateriellen Nachteilen eines überlangen Verfahrens insbesondere die durch die Unangemessenheit der Verfahrensdauer verursachte seelische Unbill auf Seiten des Klägers (Gesetzesentwurf BT-Drucks 17/3802, S. 19). Dass Rechtsanwälte als Organe der Rechtspflege, deren beruflicher Alltag gerade vom Führen von Prozessen geprägt ist und die wissen, wie ein Verfahren vor Gericht typischerweise abläuft, durch die Dauer eines gerichtlichen PKH-Vergütungs-/Kostenfestsetzungs- und Erinnerungsverfahrens in auch nur annähernd vergleichbarem Maße wie juristische Laien in Hauptsacheverfahren seelisch belastet werden, dürfte in aller Regel nicht anzunehmen sein. Jedenfalls geht der Senat im vorliegenden Fall nicht davon aus, dass der Kläger vergleichbaren Belastungen ausgesetzt war.

 

Soweit der Kläger geltend macht, für ihn stelle es jeweils ein Ärgernis dar, wenn er einerseits die Schwierigkeit und den Umfang seiner Tätigkeit im Hauptsacheverfahren bei der Festsetzung seiner Vergütung nicht hinreichend gewürdigt sehe und das Gericht andererseits nach zwei Jahren Dauer des Erinnerungsverfahrens einen das Verfahren abschließenden Beschluss mit einer nur dürren Begründung versehe, macht er Umstände geltend, die letztlich nichts mit der Dauer des Erinnerungsverfahrens, sondern zum einen mit dem nur eingeschränkten Erfolg seines Vergütungsantrages und zum anderen der Qualität der richterlichen Entscheidung zu tun haben. Sinn und Zweck des Entschädigungsverfahrens ist es jedoch gerade nicht, einen Ausgleich für das im eigentlichen Verfahren nicht Erlangte zu verschaffen oder eine richterliche Entscheidung möglicherweise nur geringer Qualität zu kompensieren.

 

Ebenso wenig vermag der Senat die behauptete erhebliche wirtschaftliche Bedeutung des Verfahrens für den Kläger zu erkennen. Der Kläger hat als Rechtsanwalt im streitgegenständlichen Erinnerungsverfahren eine weitergehende Vergütung in Höhe von 446,25 € verfolgt. Davon, dass es sich hierbei um einen für ihn erheblichen, gar seine Berufsausübungsfreiheit i.S.d. Art. 12 GG tangierenden Betrag handeln könnte, vermag sich der Senat nicht zu überzeugen. Insbesondere wird dies von dem Kläger auch selbst nicht nachvollziehbar dargetan. Nachdem er vielmehr bereits im Erinnerungsverfahren nicht auf besondere Umstände hingewiesen hatte, die die Angelegenheit für ihn als von wesentlicher Bedeutung erscheinen ließen (vgl. zu diesem Rechtsgedanken § 198 Abs. 3 Satz 3 und 4 GVG), hat er auch im Entschädigungsverfahren nicht dargetan, warum gerade dieses einzelne Verfahren für ihn von derartiger Bedeutung gewesen sein sollte. Ebenso wenig hat er nachvollziehbar dargelegt, warum sich womöglich aufgrund der Vielzahl von ihm geführter Kostenfestsetzungs-/PKH-Vergütungs- und Erinnerungsverfahren diese als bedeutsam darstellen könnten. Jedenfalls vermag der Senat - unabhängig davon, ob er überhaupt weitere vom Kläger geführte Verfahren in die Bewertung einbeziehen könnte -, nicht festzustellen, dass die Gesamtzahl der vom Kläger vor dem Senat zu diesem Themenkomplex anhängig gemachten Verfahren einen Umfang hat, der es nahelegen würde, dass die verzögerte Bearbeitung des Erinnerungsverfahrens für ihn erhebliche nachteilige Wirkungen gehabt haben könnte. Unabhängig davon, ob derartige Aspekte überhaupt für die Frage, ob ein immaterieller Nachteil durch Zahlung einer Entschädigung zu kompensieren ist, von Bedeutung sein können, ist schließlich im hiesigen Verfahren auch zu beachten, dass der Kläger im Erinnerungsverfahren gerade keinen Erfolg hatte, sodass dessen Dauer auf seine wirtschaftliche Situation keinerlei Auswirkungen hatte, insbesondere nicht zu einem Zinsverlust hat führen oder gar eine nur verspätete Rückzahlung von Krediten hat nötig machen können. Selbst wenn das streitgegenständliche Verfahren innerhalb weniger Tage zum Abschluss gebracht worden wäre, hätte dies an der finanziellen Situation des Klägers nichts geändert. Letztlich befindet der Kläger sich im PKH-Vergütungs-/Kostenfestsetzungs- und Erinnerungsverfahren in einer einem Unternehmer vergleichbaren Situation, der versucht, eine (vermeintliche) Forderung durchzusetzen. Dabei hat der Kläger den Vorteil, dass er mit dem Staat einen möglicherweise säumigen, aber letztlich solventen „Vertragspartner“ hat, sodass durch die verzögerte Bearbeitung der Angelegenheit auch nicht droht, eine letztlich zwar bestehende Forderung nicht durchsetzen zu können.

 

II.    Auch mit seinem auf gerichtliche Feststellung der Unangemessenheit der Verfahrensdauer gerichteten Hilfsantrag kann der Kläger nicht durchdringen. Denn zur Überzeugung des Senats ist dieser so genannte kleine Entschädigungsanspruch (vgl. BSG, Urteile vom 03.09.2014 – B 10 ÜG 2/13 R – Rn. 57 und vom 15.12.2015 – B 10 ÜG 1/15 R – Rn. 15 f., zitiert jeweils nach juris) vorliegend bereits erfüllt. 

 

Nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 198 Abs. 2 Satz 2, Abs. 4 GVG ist in den Fällen, in denen nach den Umständen des Einzelfalles die Gewährung einer Entschädigung nicht erforderlich ist, Wiedergutmachung auf andere Weise, insbesondere durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war, möglich. Die gerichtliche Feststellung stellt mithin nur eine Form der Wiedergutmachung auf andere Weise dar. Sie kann in der Praxis hingegen auf vielfältige Art erfolgen. Denkbar sind dabei verschiedene Arten einer nichtfinanziellen Genugtuung, beispielsweise der Verweis auf bereits erfolgte dienstaufsichtsrechtliche Maßnahmen, eine Aussprache beim Gerichtspräsidenten mit einer Erläuterung der Belastungssituation des Gerichts oder auch eine Entschuldigung von Seiten des Beklagten (Ott in Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, § 198 GVG Rn. 159 f. m.w.N.). Vorliegend hat der – den Beklagten im vorprozessualen Verfahren vertretende - Präsident des Sozialgerichts Berlin auf den an ihn vor Einleitung des Klageverfahrens herangetragenen Entschädigungsanspruch hin mit Schreiben an den Kläger vom 30. Juni 2020 ausdrücklich eine überlange Dauer des Erinnerungsverfahrens anerkannt und hierüber im eigenen sowie im Namen des Beklagten sein Bedauern zum Ausdruck gebracht. Zur Überzeugung des Senats ist damit der kleine Entschädigungsanspruch erfüllt. Er vermag keinen Grund zu erkennen, der es erfordern könnte, darüber hinaus nunmehr auch noch gerichtlich festzustellen, dass das Verfahren eine unangemessene Dauer aufwies. Dass dies für den Kläger einen im hiesigen Verfahren beachtenswerten Mehrwert haben sollte, hat bereits der Kläger selbst nicht nachvollziehbar geltend gemacht und ist auch sonst für den Senat nicht erkennbar.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung.

 

Anlass, die Revision nach §§ 160 Abs. 2, 202 Satz 2 SGG, 201 Abs. 2 Satz 3 GVG zuzulassen, bestand nicht.

Rechtskraft
Aus
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