L 14 KR 218/18 KL

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
14
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 14 KR 218/18 KL
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Dem (nicht auslegungsbedürftigen) Wortlaut eines Beschlusses des GBA gebührt der Vorrang vor abweichenden Ausführungen in den tragenden Gründen dieses Beschlusses. 2. Der der Schiedsstelle durch § 130b Abs. 4 Satz 2 SGB V eingeräumte weite Gestaltungsspielraum ist durch § 130b Abs. 3 Satz 2 SGB V als lex specialis eingeschränkt. 3. Die Schiedsstelle nach § 130b Abs. 5 SGB V muss die Versorgungsrealität bei der Anwendung von § 130b Abs. 3 Satz 2 SGB V nicht berücksichtigen, wenn weder das Dossier des pharmazeutischen Unternehmers noch der Nutzenbewertungsbeschluss des GBA Differenzierungen für bestimmte Patientengruppen vorsehen. 4. Die auf Bundes- bzw. regionaler Ebene geschlossenen Vereinbarungen nach § 84 Abs. 1 und 6, § 106b Abs. 1 SGB V binden die Schiedsstelle nach § 130b Abs. 5 SGB V bei der Beurteilung der Wirt-schaftlichkeit von Arzneimitteln nicht. 5. Hätte ein Beteiligter an einem Schiedsverfahren noch vor dessen Abschluss erkennen müssen, dass die Schiedsstelle von aus seiner Sicht unzutreffenden Tatsachen ausgeht, muss er dies gegenüber der Schiedsstelle rügen. Erfolgt diese Rüge erstmals im gerichtlichen Verfahren, ist der Beteiligte insoweit präkludiert.

Die Klage gegen den Schiedsspruch des Beklagten vom 8. Juni 2018 wird abgewiesen.

 

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.

 

Die Revision wird zugelassen.

 

 

 

 

Tatbestand

 

 

Die Klägerin wendet sich gegen einen Schiedsspruch der Beklagten, der gemeinsamen Schiedsstelle nach § 130b Abs. 5 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V).

 

Die G GmbH, eine Rechtsvorgängerin der Klägerin die am 8. März 2018 auf diese verschmolzen wurde, brachte als pharmazeutische Unternehmerin am 1. Oktober 2013 das Arzneimittel Aubagio (Wirkstoff: Teriflunomid, Filmtabletten mit einer Wirkstärke von 14 mg) in den Verkehr. Die Europäische Arzneimittel-Agentur (European Medicines Agency – EMA) erteilte am 26. August 2013 die Zulassung für das Inverkehrbringen von Aubagio. Zulassungsinhaberin war und ist ausweislich der Fachinformation (Ziff. 7) und des Europäischen Öffentlichen Beurteilungsberichts (European Public Assessment Report – EPAR) gem. Art. 38 Abs. 3 Satz 2 der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 zur Festlegung von Gemeinschaftsverfahren für die Genehmigung und Überwachung von Human- und Tierarzneimitteln und zur Errichtung einer Europäischen Arzneimittel-Agentur (ABl. L 136 vom 30. April 2004, S. 1) – Anhang I - Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels, Ziff. 7 – die s mit Sitz in Paris. Inhaberin der alleinigen Vertriebsrechte für Deutschland ist die Klägerin.

 

Die arzneimittelrechtliche Zulassung vom 26. August 2013 definiert in Übereinstimmung mit den Fachinformationen nach § 11a Arzneimittelgesetz - AMG - (Stand Juni 2017 und Stand Januar 2021) als Anwendungsgebiet von Aubagio:

 

„AUBAGIO ist zur Behandlung erwachsener Patienten mit schubförmig-remittierender Multipler Sklerose (MS) angezeigt. Siehe Abschnitt 5.1 für weitere Informationen über die Patienten, bei denen die Wirksamkeit nachgewiesen wurde.“

 

Wegen des Inhalts von Abschnitt 5.1 der Fachinformation („Pharmakodynamische Eigenschaften“) wird auf Bl. 109/110 der Gerichtsakte verwiesen.

 

Schon vor der Zulassung von Aubagio erbat die Klägerin beim Beigeladenen zu 2 (Gemeinsamer Bundesausschuss – GBA) eine Beratung nach § 8 Arzneimittel-Nutzenverordnung (AM-NutzenV) u.a. zur Frage der zweckmäßigen Vergleichstherapie (ZVT) im Rahmen der nach § 35a Abs. 1 SGB V durchzuführenden frühen Nutzenbewertung. Im Beratungsgespräch vom 4. Juli 2012 teilte er der Klägerin mit, er habe als ZVT für Patienten mit schubweise verlaufender MS (first-line Therapie) Beta-Interfe­rone (1a oder 1b), für Patienten, die für eine Behandlung mit Beta-Interferonen nicht infrage kommen, Glatirameracetat bestimmt. Mit Schreiben vom 30. Oktober 2012 teilte der Beigeladene zu 2 der Klägerin die für dieselbe Patientengruppe zwischenzeitlich modifizierte ZVT – „Beta-Interferone (1a oder 1b) oder Glatirameracetat unter Beachtung des jeweils zugelassenen Anwendungsgebiets“ – mit. Die Klägerin wählte in dem von ihr am 30. September 2013 eingereichten abschließenden Dossier (Stand: 25. September 2013; vgl. https://www.g-ba.de/downloads/92-975-396/2013-09-25_Modul3A_Teriflunomid.pdf) für den Nachweis des Zusatznutzens von Teriflunomid das Arzneimittel Rebif mit dem Wirkstoff Interferon beta-1a (44 μg s.c., dreimal pro Woche) aus. Arzneimittel mit den Wirkstoffen Interferon beta (1a oder 1b) sind nicht nur für die Behandlung von Patienten mit schubförmiger MS, sondern auch für mindestens ein weiteres Anwendungsgebiet (z.B. die sekundär progredient verlaufende MS) zugelassen.

 

Die vom Beigeladenen zu 2 beauftragte Dossierbewertung des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) vom 20. Dezember 2013 (https://www.g-ba.de/downloads/92-975-398/2013-12-20_A13-38_Teriflunomid_Nutzenbewertung-35a-SGB-V.pdf) veröffentlichte er am 2. Januar 2014 zur Einleitung des Stellungnahmeverfahrens. Das IQWiG führte u.a. an, in der Abwägung der positiven und negativen Effekte ergebe sich kein Beleg für einen Zusatznutzen von Teriflunomid gegenüber der ZVT. Demnach gebe es auch keine Patientengruppen, für die sich ein therapeutisch bedeutsamer Zusatznutzen ableiten lasse.

 

Nach Durchführung eines Stellungnahme- und Anhörungsverfahrens und auf der Grundlage der Dossierbewertung durch das IQWiG bewertete der Beigeladene zu 2 den Nutzen des Wirkstoffs Teriflunomid durch Beschluss vom 20. März 2014 und sah einen Zusatznutzen gegenüber der ZVT als nicht belegt an. Als ZVT für die Behandlung von erwachsenen Patienten mit schubförmig-remittierender MS legte der Beigeladene zu 2 Beta-Interferon (IFN-)1a oder (IFN-)1b oder Glatirameracetat zugrunde. Diese Wirkstoffe seien – so der Beigeladene zu 2 in den tragenden Gründen zum o.g. Beschluss – in „der Gesamtsicht der Evidenzlage […] als nahezu gleichwertig anzusehen“. Nachdem die Änderungen in § 6 AM-NutzenV durch Art. 4 Nr. 2 des Dritten Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften (3. AMG-ÄndG) zum 13. August 2013 in Kraft getreten seien (vgl. BGBl I S. 3108 ff.), wende er das sog. Wirtschaftlichkeitskriterium nach Kap. 5 § 6 Nr. 5 seiner Verfahrensordnung (VerfO) ­– „Bei mehreren Alternativen ist die wirtschaftlichere Therapie zu wählen, vorzugsweise eine Therapie, für die ein Festbetrag gilt.“ – bei der Bestimmung der ZVT nicht mehr an.

 

Zu den Kosten der Arzneimittel bzw. Therapie traf der Beigeladene zu 2 in seinem o.g. Beschluss folgende Feststellungen:

 

Arzneimittel

Kosten

(Apotheken­abgabepreis)

Kosten nach

Abzug gesetzlich vorgeschriebener Rabatte

 

Jahrestherapiekosten

Teriflunomid

(Aubagio®)

5.557,86 Euro

5.286,80 Euro

22.972,40 Euro

Glatirameracetat

(Copaxone®)

4.878,90 Euro

4.389,52 Euro

17.801,95 Euro

Beta-Interferon 1 a

(z.B. Avonex®)

5.112,60 Euro

4.678,72 Euro

20.274,45 Euro

Beta-Interferon 1 b

(z.B. Extavia®)

4.140,11 Euro

3.938,45 Euro

15.972,60 Euro

 

Die Klägerin hat den Nutzenbewertungsbeschluss vom 20. März 2014 bis zuletzt nicht beanstandet.

 

Auf der Grundlage des Nutzenbewertungsbeschlusses vereinbarten die Klägerin und der Beigeladene zu 1, der Spitzenverband Bund der Krankenkassen (GKV-Spitzenverband), einvernehmlich für die Zeit ab dem 1. Oktober 2014 einen Erstattungsbetrag für Aubagio i.H.v. 31,6438 € je Bezugsgröße.

 

Diese Vereinbarung kündigte der Beigeladene zu 1 mit Wirkung zum 23. November 2017, nachdem zwischenzeitlich – nach Angaben der Klägerin zum 1. September 2016 – das ebenfalls den Wirkstoff Glatirameracetat enthaltende preisgünstigere Arzneimittel Clift (20 mg/ml und 40 mg/ml Injektionslösung in einer Fertigspritze, Zulassungsinhaberin: M GmbH) in den Verkehr gebracht worden war. 

 

Die Klägerin und der Beigeladene zu 1 traten daraufhin in neue Verhandlungen über den Erstattungsbetrag ein. Sie einigten sich bis zum 11. April 2018 auf einen Vertragsentwurf, in dem (u.a.) als Bezugsgröße „die angenommene tägliche Erhaltungsdosis lt. Fachinformation (entspricht aktuell einer Tablette à 14 mg)“ bestimmt wurde. Offen blieben die Regelungen zum Erstattungsbetrag selbst, zur Menge, zur Laufzeit der Vereinbarung sowie zur Kündigung. In dem bereits mit Schreiben vom 19. März 2018 eingeleiteten Verfahren vor der Beklagten beantragte die Klägerin mit Schreiben vom 3. Mai 2018 im Wesentlichen, den Erstattungsbetrag auf 35,1679 € je Bezugsgröße festzusetzen. Als Jahrestherapiekosten („Stand Lauer-Taxe 01.05.2017“) gab sie 10.504,66 € (für Clift 20 mg/ml) bzw. 8.979,21 € (für Clift 40 mg/ml) an. Der Beigeladene zu 1 beantragte in seinem Schreiben an die Beklagte vom 4. Mai 2018 u.a., den Erstattungsbetrag auf 27,3777 € je Bezugsgröße für den Zeitraum bis zum 14. Januar 2018 (auf der Basis von Jahrestherapiekosten für Clift i.H.v. 9.405,02 €) und auf 26,1380 € für die Zeit ab dem 15. Januar (auf der Basis von Jahrestherapiekosten i.H.v 8.979,18 €) danach festzusetzen.

 

In ihren jeweiligen PowerPoint-Präsentationen zu Beginn der mündlichen Verhandlung vor der Beklagten am 4. Juni 2018 erwähnte die Klägerin Jahrestherapiekosten nur für Clift 40 mg/ml i.H.v. 8.979,21 €, der Beigeladene zu 1 wiederholte seine o.g. Werte. Im Laufe der Verhandlung stimmte die Beklagte zunächst über die Höhe des Erstattungsbetrags ab und teilte den Vertragsparteien das Ergebnis mit (27,3777 € je Bezugsgröße für die Zeit vom 23. November 2017 bis zum 14. Januar 2018 und 26,1380 € je Bezugsgröße für die Zeit ab dem 15. Januar 2018), begründete dieses und gab den Vertragsparteien Gelegenheit zur Stellungnahme. Danach stimmte die Beklagte über die einzelnen Anträge aus den o.g. vorbereitenden Schreiben, u.a. nochmals über die Höhe des Erstattungsbetrags, ab.

 

Mit Schiedsspruch vom 8. Juni 2018 setzte sie den Erstattungsbetrag für Aubagio auf 27,3777 € je Bezugsgröße für die Zeit vom 23. November 2017 bis zum 14. Januar 2018 und auf 26,1380 € je Bezugsgröße für die Zeit ab dem 15. Januar 2018 fest. Zugleich traf sie Regelungen zu den weiteren noch offenen Punkten der Erstattungsbetragsvereinbarung. Zur Begründung des Erstattungsbetrags berief sich die Beklagte u.a. auf folgende Erwägungen:

 

„Die Schiedsstelle geht nach Maßgabe des Beschlusses des LSG Berlin-Brandenburg vom 10.05.2016 (Az. L 9 KR 513/15 KL ER) […] davon aus, dass sie im Falle des § 130b Abs. 3 SGB V keinen Gestaltungsspielraum hat, sondern verpflichtet ist, die gesetzliche Vorgabe umzusetzen. Sie ist zu der Auffassung gelangt, dass im vorliegenden Fall die zutreffende Umsetzung darin liegt, dass der G-BA keine patientenindividuelle Therapie als zVT festgelegt hat, sondern ein Alternativverhältnis vorliegt. Die Schiedsstelle folgt somit der ausführlichen Darlegung im konkretisierenden Antrag des GKV-Spitzenverbandes. In Umsetzung dieser Position ist das günstigste Arzneimittel, das generische Glatirameracetat Clift®, Maßstab für die Ermittlung der Preisobergrenze. Zwar verfügt dies nur über einen Marktanteil von 1 %, gleichwohl ist nach Auffassung der Schiedsstelle dies die anzuwendende Operationalisierung von § 130b Abs. 3 SGB V. Die Schiedsstelle verkennt nicht, dass hiermit ggfls. nicht alle Patienten(-gruppen) behandelt werden können. Um von der Schiedsstelle Berücksichtigung zu finden, hätte dies jedoch im G-BA-Beschluss zum Ausdruck gebracht werden müssen.

 

Die Jahrestherapiekosten unter Ablösefiktion betrugen für Clift® bis 14.01.2018 Euro 9.405,02, ab 15.01.2018 Euro 8.979,18. Dies ist damit die relevante Obergrenze. Die Schiedsstelle ist der Auffassung, dass die Obergrenze voll ausgeschöpft werden sollte. Es bestand Konsens zwischen den Vertragsparteien, dass die Herstellerrabatte nicht abgelöst werden sollen. Die genannten Beträge sind daher zur Ermittlung des Erstattungsbetrages um 6,25 % zu erhöhen. Zur Ermittlung des Erstattungsbetrages je Bezugsgröße ist dieser durch die Zahl der Bezugsgrößen pro Jahr (365) zu dividieren, so dass sich die für § 2 des Vertrages relevanten Beträge von 27,3777 Euro Erstattungsbetrag je Bezugsgröße für den Zeitraum bis 14.01.2018 und 26,1380 Euro für den Zeitraum ab 15.01.2018 ergeben.“

 

Gegen diesen Schiedsspruch richtet sich die am 9. Juli 2018 erhobene Klage, zu deren Begründung die Klägerin vorträgt:

 

Teriflunomid sei der einzige in der Therapie der MS eingesetzte Wirkstoff, der die Dihydroorothat-Dehydrogenase (DHODH) als molekularen Angriffspunkt habe. Teriflunomid zeige also ein solitäres Wirkprinzip und könne sowohl als Erstlinien- als auch als Zweitlinientherapie, also nach dem vorherigen Einsatz von Interferonen oder Glatirameracetat, eingesetzt werden. Mehr als die Hälfte der beobachteten Einstellungen auf Teriflunomid erfolgten in der Zweitlinientherapie, die häufigsten Umstellungen fänden nach der Therapie mit Glatirameracetat statt. Dies zeige anschaulich, dass für einen Großteil der Aubagio-Patienten Glatirameracetat gar nicht als (Vergleichs-)Therapie in Frage komme.

Die Leitlinien, welche von der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) in Zusammenarbeit mit dem Krankheitsbezogenen Kompetenznetz Multiple Sklerose (KKNMS) erarbeitet worden seien, sähen als wichtigstes Kriterium für die Therapieentscheidung die Krankheitsaktivität im individuellen Fall an. Konkret richte sich die Behandlung entsprechend danach, wie aktiv die MS im Einzelfall verlaufe, ob also eine „milde/moderate“ oder eine „(hoch)aktive“ Verlaufsform vorliege. Berücksichtigt werde beispielsweise, wie häufig Krankheitsschübe aufträten und inwieweit sich mit den diagnostischen Verfahren Krankheitsherde im Gehirn und im Rückenmark nachweisen ließen. Von daher müsse der behandelnde Arzt stets patientenindividuell entscheiden, welche der verfügbaren Therapiealternativen bei dem jeweiligen Patienten eingesetzt werden müssten. Eine Sequenzierung oder generelle Austauschbarkeit der auf dem Markt befindlichen Behandlungsoptionen sei von daher nicht gegeben. Auch die Anfang 2018 veröffentlichte neue europäische Leitlinie der Fachgesellschaften ECTRIMS und EAN zur krankheitsmodifizierenden Therapie bei MS weise darauf hin, dass die Therapieentscheidung bei Patienten mit aktiver schubförmig-remittierender MS (relapsing remitting MS - RRMS) individuell in Abhängigkeit von Patientencharakteristika, Komorbidität, Krankheitsaktivität und Nebenwirkungsprofil der Therapie in Abstimmung mit dem Patienten erfolgen solle. Entsprechendes ergebe sich aus dem 2016 publizierten internationalen Konsensus-Papier zur Diagnose, Therapiemanagement und Therapiezugang (Giovannoni et al., DOI: 10.1016/j.msard.2016.07.003) zur Behandlung der MS. Auch der Beigeladene zu 2 habe in seinem Beratungsgespräch vom 4. Juli 2012 deutlich gemacht, dass der Krankheitsverlauf der RRMS in seiner Ausprägung hinsichtlich der Schubrate, Dauer der Schübe oder Behinderungsprogression nach einem Schub stark inter- und intraindividuell geprägt sei. Daraus resultiere, dass gerade nicht nur eine einzelne Therapie als wirtschaftliche ZVT zugrunde gelegt werden könne, da im Therapiegebiet der MS nicht alle Patienten mit dieser Therapie in Deutschland ausreichend behandelt werden könnten. Weil aber der Erstattungsbetrag und damit auch die Bestimmung der Preisobergrenze den realen Versorgungsverhältnissen entsprechen müsse (BT-Drs. 17/8005, S. 19), hätte systematisch richtig differenziert werden müssen nach therapienaiven Patienten und Patienten mit einer Vortherapie. Dass zwischen den als ZVT definierten Therapien im Hinblick auf Wirksamkeit und Sicherheit zahlreiche und deutliche Unterschiede bestünden, sei durch mehrere Studien nachgewiesen. Auch die Versorgungsrealität zeige anschaulich, dass die Patienten gerade nicht nur mit einer Therapie auf Dauer versorgt würden, sondern dass der Kreis der benannten ZVTn ausgeschöpft werden müsse, um den betroffenen MS-Patienten eine ausreichende und zweckmäßige Versorgung zukommen zu lassen.

 

Wenn der Beigeladene zu 2 die als ZVTn bezeichneten Wirkstoffklassen lediglich als „nahezu“ gleichwertig ansehe, zeige dies, dass auch er diese Therapien gerade nicht als untereinander einfach austauschbar betrachte und somit jeder Wirkstoffklasse ihren eigenen Stellenwert in der Versorgung von MS-Patienten zugestehe. Hiermit übereinstimmend habe der Beigeladene zu 2 im Beratungsgespräch vom 4. Juli 2012 mitgeteilt, dass Glatirameracetat für Patienten, die für eine Behandlung mit Interferon Beta nicht infrage kämen, die ZVT sei, dieser Wirkstoff also nicht einfach so gegen Interferone ausgetauscht werden könne. Auch wenn der Beigeladene zu 2 die ZVT zu Teriflunomid mit seinem Schreiben vom 30. Oktober 2012 geändert habe, blieben die Unterschiede in den zugelassenen Anwendungsgebieten dennoch bestehen. Es sei daher weiterhin festzustellen, dass Beta-Interferone im Vergleich zu Glatirameracetat für ein größeres Patientenkollektiv zugelassen seien und daher in der Gesamtsicht bei Patienten, die für eine Arzneimitteltherapie mit Beta-Interferonen infrage kämen, die geeignete ZVT seien. Diese Unterschiede dürften den Beigeladenen zu 2 veranlasst haben, die Beta-Interferone und Glatirameracetat nur als „nahezu“ gleichwertig zu bezeichnen. Dass der Beigeladene zu 2 seine Aussage aus der Beratung vom Sommer 2012, wonach die Interferone 1a und 1b sowie Glatirameracetat als gleichermaßen wirtschaftlich anzusehen seien, in der Beratung vom 30. Oktober 2012 wiederholt habe, jedoch auf einen – Daten des Arzneiverordnungsreports 2011 enthaltenden – Tabellenteil verzichtet habe, mache transparent, dass er an dieser Aussage festhalte, sonst hätte er die Kosten aller Therapien nicht einzeln und ausdrücklich aufgeführt.

In anderen Verfahren, die Arzneimittel zur Behandlung der MS betrafen, habe der Beigeladene zu 2 noch vor Inkrafttreten des 3. AMG-ÄndG trotz verschiedener Preisunterschiede sowohl Interferon Beta 1a als auch Interferon Beta 1b als auch Glatirameracetat als Vergleichstherapie bestimmt. Damit habe er deutlich gemacht, dass er diese Therapien als gleichermaßen wirtschaftlich ansehe, da er sonst nach der damals gültigen Auswahlregelung des § 6 AM-NutzenV nur die wirtschaftlichste Ausprägung hätte festlegen dürfen. Da er dennoch mehrere Vergleichstherapien gewählt habe, seien alle als gleichermaßen wirtschaftlich anzusehen.

 

Die Beklagte habe mit der Festsetzung des Erstattungsbetrags für Teriflunomid gegen die verpflichtend anzuwendenden gesetzlichen Vorschriften des § 130b Abs. 3 Satz 1 und 2 SGB V verstoßen und den ihr zustehenden Beurteilungsspielraum überschritten. Mit den Regelungen in §§ 35a, 130b SGB V wolle der Gesetzgeber sicherstellen, dass die Verhandlungsparteien in fairen Verhandlungen zu fairen Preisen gelangten. Der Erstattungsbetrag solle dabei einen angemessenen Ausgleich der Interessen der Versichertengemeinschaft mit denen der pharmazeutischen Unternehmer herstellen.

Die spezielle Preisobergrenzenregelung bei mehreren ZVT-Alternativen gemäß § 130b Abs. 3 Satz 2 SGB V gelte nach den Gesetzesmaterialien nur dann, wenn die ZVT zuvor durch den Beigeladenen zu 2 entsprechend den Vorgaben des 3. AMG-ÄndG flexibilisiert worden sei. Denn mit der Neuregelung habe nur verhindert werden sollen, dass der pharmazeutische Unternehmer die Flexibilisierung der Vergleichstherapie dazu missbrauche, trotz fehlender Daten die teuerste ZVT als Komparator zu wählen, um für die Erstattungsbetragsverhandlungen eine vorteilhafte Preisgrundlage zu erzielen. Um einen solchen Fall gehe es hier gerade nicht, denn die ZVT für Aubagio sei vom Beigeladenen zu 2 bereits im Juli bzw. Oktober 2012 und somit lange vor Inkrafttreten des 3. AMG-ÄndG festgelegt worden. Sei somit die ZVT schon vor dem Inkrafttreten des 3. AMG-ÄndG aus rein medizinischen Gründen bestimmt worden, habe keine Flexibilisierung stattgefunden, sodass auch § 130b Abs. 3 Satz 2 SGB V als reine Folgeregelung der Flexibilisierung nicht greifen könne. Folglich müssten alle im Beschluss des Beigeladenen zu 2 vom 20. März 2014 genannten ZVTn als wirtschaftlich angesehen werden.

Der Wortlaut von § 130b Abs. 3 Satz 2 SGB V rechtfertige nicht die Auswahl allein des billigsten / kostengünstigsten Therapieschemas zur Bestimmung der Preisobergrenze. Es gehe vielmehr um die wirtschaftlichste Alternative. Indem der Beigeladene zu 2 mehrere ZVTn als gleichermaßen wirtschaftlich angesehen habe, habe er zugleich erkannt, dass aus medizinischen Gründen die alleinige Wahl der kostengünstigsten Alternative zur Versorgung aller Patienten(-gruppen) gerade nicht ausreichend gewesen wäre. Dies belegten auch die Gesetzesmaterialien (BT-Drs. 17/13770, S. 26). Die Beklagte hätte daher die Jahrestherapiekosten aller nach den benannten ZVTn in Frage kommenden Präparaten berücksichtigen müssen, und zwar anhand eines realen Versorgungsmixes, d.h. unter Beachtung der jeweiligen Marktanteile.

 

Entgegen der Auffassung der Beklagten existiere kein Alternativverhältnis zwischen den vom Beigeladenen zu 2 beanstandungsfrei bestimmten ZVTn. Die Preisobergrenze müsse widerspiegeln, dass für Aubagio mehrere ZVTn vom Beigeladenen zu 2 bestimmt worden seien. Die Vorrangregelung in § 130b Abs. 3 Satz 2 SGB V gelte nur für die Wahl der Vergleichstherapie, nicht aber für die Frage, welches Handelspräparat innerhalb der Vergleichstherapie für die Bestimmung der Preisobergrenze heranzuziehen sei.

Die Annahme, bei Arzneimitteln ohne Zusatznutzen sei die Therapierealität irrelevant, werde schon dadurch widerlegt, dass der Gesetzgeber die Preisbildung für nutzenbewertete Arzneimittel einem Verhandlungsverfahren überantwortet habe, und zwar unabhängig davon, ob ein Zusatznutzen festgestellt worden sei oder nicht. Die Bedeutung des Verhandlungsverfahrens bei der Festlegung eines angemessenen Erstattungsbetrages habe in diesem Zusammenhang zuletzt das Bundessozialgericht (BSG) in seinem Urteil vom 4. Juli 2018 (B 3 KR 20/17 R, Rn. 46 [Albiglutid]) ausdrücklich betont. Hätte der Gesetzgeber gewollt, dass die Therapierealität für Arzneimittel ohne Zusatznutzen völlig egal sei, hätte er das Verfahren festbetragsähnlich als schlichten Rechenalgorithmus ausgestalten können. Der Verpflichtung der Beklagten nach § 130b Abs. 4 Satz 2 SGB V sei immanent, dass sie einen Erstattungsbetrag nicht anhand rein mathematischer Rechenexempel festlege – wie dies letztliche bei Aubagio geschehen sei –, sondern die Versorgungsbesonderheiten und Spezifitäten der Therapie mit in ihre Entscheidung einfließen lassen müsse. Die Bedeutung der Versorgungsrealität bei der Bestimmung des Erstattungsbetrages zeige die Tatsache, dass durch das GKV-Versorgungsstrukturgesetz (GKV-VStG) mit § 130b Abs. 9 Satz 5 SGB V eine rechtliche Grundlage für die Nutzung der Daten des Risikostrukturausgleichs (RSA) gemäß § 217f Abs. 7 SGB V durch den Beigeladenen zu 1 geschaffen worden sei. Sinn der Neuregelung sei es gewesen, eine ausreichende Grundlage dafür zu schaffen, den Erstattungsbetrag an der Versorgungrealität zu orientieren (BT-Drs. 17/8005, S. 119 f.). Die vom Beigeladenen zu 1 auf ihre – der Klägerin – Veranlassung hin durchgeführte Analyse der sog. § 217f-Daten habe ergeben, dass der DDD-Anteil (DDD = Defined Daily Dose) im Jahre 2016 von Interferon beta-1a bei 43,1 %, von Interferon beta-1b bei 19,9 % und von Glatirameracetat bei 37,1 % gelegen habe.

Diese Versorgungrealität müsse sich auch bei der Ermittlung des Erstattungsbetrages für Aubagio widerspiegeln. Da die billigste Therapie mit Glatirameracetat wesentlich seltener eingesetzt werde als die anderen Therapieoptionen und eine Vielzahl von Patienten gerade nicht auf diese Therapie ausreichend ansprächen, ergebe sich für diese vorbehandelten Patienten, bei denen Glatirameracetat aus medizinischen Gründen abgesetzt werden müsse, eine höhere Preisgrenze als von der Beklagten angenommen. Es wäre unter dem Fairnessgrundsatz auch kaum vermittelbar, dass ausschließlich die Therapie mit Glatirameracetat in Gestalt des Präparats Clift die Preisgrenze bestimmen würde, wenn 99,7 % aller Verordnungen auf andere Präparate entfielen.

In die gleiche Richtung gehe der Beschluss des Landessozialgerichts (LSG) Berlin-Brandenburg vom 3. März 2016 (L 1 KR 345/15 KL ER). „Es würde gesetzessystematisch wenig Sinn machen, für die ZVT Jahrestherapiekosten unterhalb der realen Versorgungsmöglichkeiten festzulegen, wenn doch Sinn von § 130b Abs. 3 Satz 1 SGB V ist, die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) für Arzneimittel ohne Zusatznutzen nicht mit mehr Kosten zu belasten (vgl. BT-Drs. 17/2413, S. 31).“ Auch einer weiteren Entscheidung des LSG Berlin-Brandenburg (Beschluss vom 10. Mai 2016, L 9 KR 513/15 KL ER) sei zu entnehmen, dass nicht die billigste Verordnungsalternative die logische Konsequenz des § 130b Abs. 3 Satz 1 SGB V sei, sondern sich der Erstattungsbetrag an der Versorgungrealität zu orientieren habe und dieser auch bei der Berechnung der Jahrestherapiekosten der ZVT das Wichtigste sei. Soweit die Beklagte diesen Beschluss zitiere, ziehe sie daraus nicht die richtigen Konsequenzen. Demzufolge habe für die Ableitung der Preisobergrenze eine Gewichtung der drei vom Beigeladenen zu 2 als ZVT benannten Wirkstoffe zu erfolgen. Auf dieser Grundlage hätte die Beklagte einen Erstattungsbetrag für Aubagio i.H.v. 12.836,27 € auf Basis der Jahrestherapiekosten festlegen müssen. Mit einer gewichteten Heranziehung der Preise aller vom Beigeladenen zu 2 bestimmten ZVT könnten MS-Patienten auch tatsächlich behandelt werden.

 

Die Annahme der grundsätzlichen Wirtschaftlichkeit aller vom Beigeladenen zu 2 benannten ZVTn werde gestützt durch die von den Vertragspartnern auf Landesebene getroffenen Regelungen zur vertragsärztlichen Wirtschaftlichkeitsprüfung. In keiner KV-Region sei eine Zielquote/Leitsubstanz bei den MS-Therapien definiert worden, die ausschließlich auf ein einziges Wirkstoffprinzip abstelle. Sofern Zielsubstanzen definiert worden seien, seien mindestens zwei Wirkstoffe hierunter gefasst. Dies spreche dafür, dass bereits der aktuelle Erstattungsbetrag von Teriflunomid als wirtschaftlich angesehen werde. Dass dies augenscheinlich selbst der Beigeladene zu 1 so gesehen habe, lasse sich den von ihm mit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) geschlossenen „Rahmenvorgaben nach § 84 Abs. 7 SGB V - Arzneimittel -“ für die Jahre 2017 und 2018 entnehmen. Darin würden den Vertragspartnern auf regionaler Ebene Vereinbarungen empfohlen und als mögliche Arzneimittelgruppe „Interferon Beta-1a im Verhältnis zu Interferon Beta-1b zur Behandlung der Multiplen Sklerose“ vorgeschlagen, der Wirkstoff Glatirameracetat werde in der empfohlenen Wirtschaftlichkeitssteuerung hingegen außen vor gelassen. Dass zugleich in den Rahmenvorgaben für 2018 Verordnungsempfehlungen hinsichtlich des verstärkten Einsatzes u.a. von Generika zu Glatirameracetat gegeben würden, stehe dem nicht entgegen. Wenn denn die Annahme der Beklagten stimmen sollte, dass Beta-Interferon 1a und 1b sowie Glatirameracetat vollständig gegeneinander austauschbar wären und einzig allein Clift die „wirtschaftlichste“ Alternative darstelle, so hätte in der Rahmenvorgabe ausschließlich die Empfehlung für die Bildung einer Arzneimittelgruppe über alle drei Wirkstoffe enthalten sein dürfen.

 

Der angefochtene Schiedsspruch der Beklagten stehe auch im Widerspruch zu ihrer bisherigen Spruchpraxis. In ähnlichen Fällen habe sie bislang entschieden, dass es zur Ermittlung der Jahrestherapiekosten der ZVT sachgerecht sei, einen gewichteten Betrag zu ermitteln, in welchen die Marktanteile von verschiedenen Wirkstoffklassen als Gewichtungsfaktor eingingen. In ihren Schiedssprüchen zu Imlygic (Wirkstoff: Talimogen Iaherparepvec) vom 8. September 2017, zu Ongentys (Wirkstoff: Opicapon) vom 10. Januar 2018 und zu Gilenya (Wirkstoff: Fingolimod) vom 7. Februar 2017 habe die Beklagte stets betont, dass die Kosten der wirtschaftlichsten Vertreter aller Wirkstoffklassen bei der Ermittlung des Erstattungsbetrages abzubilden seien. Am ehesten vergleichbar sei die Situation bei Fingolimod, das ebenfalls zur Behandlung der MS zugelassen sei, aber „schließlich bei hochaktiven Patienten eingesetzt werden“ könne. Insofern sei die Teilpopulation in der Gestalt der hochaktiven RRMS-Patienten, die nicht auf einen vollständigen und angemessenen Zyklus mit mindestens einer krankheitsmodifizierenden Therapie angesprochen haben, die u.a. auch Gegenstand des Schiedsspruchs zu Fingolimod gewesen sei, auch mit Aubagio therapierbar. Folglich sei die Vorgehensweise beim Schiedsspruch zu Fingolimod auch für diese Teilpopulation auf Aubagio übertragbar.

 

Trotz des Hinzutretens von Clift als generische Alternative zu den bereits auf dem Markt befindlichen Anbietern habe sich der Wert von Aubagio seit Abschluss des Alt-Vertrages im Jahre 2014 nicht geändert. Dies hätte die Beklagte in ihrer Entscheidung miteinbeziehen müssen. Die Tatsache, dass der Beigeladene zu 1 die Wirtschaftlichkeit des Preises von Aubagio bis zur Kündigung des Alt-Vertrages nicht in Frage gestellt habe, zeige deutlich, dass dieser bereits einen fairen Interessenausgleich und angemessenen Preis beinhaltet habe. Es wäre also durchaus sachgerecht gewesen, zumindest als Untergrenze bei diesem Erstattungsbetrag zu verbleiben und ihn auch weiterhin festzusetzen.

 

Schließlich habe die Beklagte außer Acht gelassen, dass zu Beginn des Geltungszeitraums ausschließlich Clift 20 mg/ml auf dem deutschen Markt verfügbar gewesen und Clift 40 mg/ml erst zum 15. Dezember 2017 in den Verkehr gebracht worden sei. In der Zeit vom 23. November bis 15. Dezember 2017 sei Clift 20 mg/ml zu einem deutlich höheren Preis in der Lauertaxe gelistet gewesen als offensichtlich von der Beklagten angenommen. Außerdem sei der Preis von Clift 40 mg/ml bis zum 1. März 2018 mehrfach geändert worden. Insofern sei durch die Beklagte für die Zeiträume 23. November bis 14. Dezember 2017 und 15. Februar bis 28. Februar 2018 ein zu niedriger Erstattungsbetrag für Aubagio festgesetzt worden. Wegen der Amtsermittlungspflicht der Beklagten sei sie nicht verpflichtet gewesen, die widersprüchlichen Datenangaben der Beteiligten im Verfahren vor der Beklagten zu rügen.

 

Die Klägerin beantragt,

 

den Schiedsspruch der Beklagten vom 8. Juni 2018 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, über den Schiedsantrag unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.

 

Die Beklagte beantragt,

 

die Klage abzuweisen.

 

Sie hält ihren Schiedsspruch vom 8. Juni 2018 für rechtmäßig und bringt ergänzend vor: Sie sehe sich an die eindeutige Äußerung des Beigeladenen zu 2, das früher angewandte Wirtschaftlichkeitskriterium nicht mehr anzuwenden, gebunden. Sie habe dessen Antwortschreiben im Schiedsverfahren zu Tecfidera so interpretiert, dass er eine völlige Austauschbarkeit im Sinne einer Oder-Verknüpfung als gegeben ansehe. Entsprechend greife die Konstellation im Fall Opicapon, wo der Beigeladene zu 2 auf Befragung durch sie – die Beklagte – ausgeführt habe, alle Wirkstoffklassen müssten verfügbar sein, eben genau nicht. Dies gelte hier ebenso. Sie interpretiere § 130b Abs. 3 SGB V so, dass eine Veränderung des Preisniveaus durch Hinzukommen eines neuen generischen Arzneimittels bei der Festsetzung des Erstattungsbetrags nicht nur zulässig, sondern geboten sei.

 

Der Beigeladene zu 1 stellt keinen Antrag und trägt vor:

Die Beschreibung „nahezu gleichwertig“ verwende der Beigeladene zu 2, weil er zum einen die ihm vorliegenden Studien nicht innerhalb der frühen Nutzenbewertung unter diesem Gesichtspunkt ausgewertet habe und zum anderen ihm nicht alle diesbezüglich publizierten Studien vorgelegen hätten. Für die wissenschaftlich korrekte Aussage „ist gleichwertig“ hätte er andere Evaluationsschritte vornehmen müssen, die den Rahmen der Bestimmung der ZVT überstiegen hätten. Solche Auswertungen seien auch nicht Aufgabe des Beigeladenen zu 2 bei der Bestimmung der ZVT.

Dass die (Rechtsvorgängerin der) Klägerin für die Nutzenbewertung von Teriflunomid nur einen der genannten Wirkstoffe als Komparator heranziehe und diese Wahl nicht für jeden Patienten individuell begründe, spreche dafür, dass auch sie die genannten Wirkstoffe als gleichwertig anerkenne. Bei einer patientenindividuellen Therapie hätte sich der pharmazeutische Unternehmer gegen alle drei Wirkstoffe der ZVT vergleichen müssen und nicht nur gegen eine Alternative. Eine individuelle ärztliche Behandlung des Patienten sei bei jeder medizinischen Therapie einer Krankheit der Fall. Jeder Mensch sei einzigartig und die Verläufe könnten bei jeder Erkrankung unterschiedlich sein. Ferner seien bei jedem Arzneimittel Kontraindikationen, Neben- und Wechselwirkungen zu beachten. Soweit die Beklagte § 130b Abs. 3 Satz 2 SGB V anzuwenden habe, bestehe für sie ein Entscheidungsspielraum nur bei der Frage, ob sie einen Erstattungsbetrag festsetzen könne und gegebenenfalls sogar müsse, der unterhalb der durch die Vorschrift vorgegebenen Obergrenze liege. 2014 hätten sich die Verhandlungsparteien auf einen Erstattungsbetrag (11.550 €) geeinigt, der die Jahrestherapiekosten der damals wirtschaftlichsten ZVT – Interferon-Beta 1b (Extavia) – i.H.v. 12.827,89 € um 10 % unterschritten habe.

 

Der Beigeladene zu 2 stellt keinen Antrag und trägt vor:

Die von ihm durchzuführende frühe Nutzenbewertung sei davon geprägt, dass es für den zu beurteilenden neuen Wirkstoff eine nur sehr eingeschränkte Evidenz, in der Regel nur die zulassungsbegleitenden, auf die Wirksamkeit des Wirkstoffes in bestimmten Anwendungsbereichen abzielenden Studien gebe. Von ihm sei daher aus der vorhandenen Evidenz im zugelassenen Anwendungsgebiet zunächst eine Gruppe von Arzneimitteln auszuwählen, die untereinander und im Verhältnis zum zu bewertenden Wirkstoff eine zweckmäßige (alternative) Therapieoption darstelle. Keinesfalls ziele sein Handeln im Bereich der frühen Nutzenbewertung darauf ab, nur vollständig austauschbare, also der Sache nach identische Therapien als geeignete Vergleichstherapien heranzuziehen; generelle Vergleichbarkeit genüge insoweit. Der Bestimmung der ZVT liege also regelmäßig eine typisierende vergleichende Betrachtung verschiedener Therapien im Anwendungsgebiet im Hinblick auf ihre Vergleichbarkeit zur Beeinflussung patientenrelevanter Endpunkte zu Grunde.

Teriflunomid sei nicht als patientenindividuelle Therapie zugelassen. In dieser Konstellation hätte es der Klägerin aufgrund ihrer Darlegungsverpflichtung oblegen, in dem von ihr zu erstellenden Dossier etwaige Unterschiede auch bezogen auf Patientensubgruppen durch entsprechende Aufbereitung des Stands der wissenschaftlichen Erkenntnisse in den Bewertungsprozess der frühen Nutzenbewertung einzubringen, umso die Einbeziehung objektiver, patientenindividueller Kriterien, die bei der Therapieentscheidung regelhaft zu berücksichtigen wären, anzustoßen. Dies habe die Klägerin jedoch nicht getan.

Soweit die Klägerin meine, allein aus den in den Studien festgestellten unterschiedlichen Wirkungsgraden der Therapien in Bezug auf einzelne Endpunkte oder den festgestellten unterschiedlichen Nebenwirkungsprofilen den Schluss ziehen zu können, es gebe im Bereich der RRMS keine gleichwertigen Therapieoptionen für eine Nutzenbewertung, sei dies dem Umstand geschuldet, dass sie rechtsfehlerhaft die Ebene der patientenbezogenen Therapieauswahlentscheidung – in der stets patientenindividuell zu entscheiden sei – mit der Ebene der abstrakt-generellen Nutzenbewertung – auf der anhand der bestehenden Evidenz aus Studien vom einzelnen Patienten abstrahierende Aussagen getroffen würden – gleichsetze. Die ZVT der Nutzenbewertung komme für den überwiegenden Anteil der vom Anwendungsgebiet erfassten Patienten in Betracht. Sie könne und müsse aber nicht jede besondere Einzelkonstellation abbilden.

Die Annahme der Klägerin, mit der Feststellung der medizinischen Gleichwertigkeit von Therapien im Nutzenbewertungsbeschluss gehe zugleich auch die Feststellung wirtschaftlicher Gleichwertigkeit einher, könne im Geltungsbereich der gesetzlichen Neuregelung, bei der das Wirtschaftlichkeitskriterium nicht mehr zwingender Filter, sondern nur noch flexibles Korrektiv sei, nicht mehr gezogen werden. An den in § 6 Abs. 1 und 2 AM-NutzenV genannten Vorgaben zur Bestimmung der ZVT habe sich durch das 3. AMG-ÄndG nichts geändert. Es sei mit der Gesetzesänderung nicht zu seiner – des Beigeladenen zu 2 – Aufgabe geworden, irgendetwas „zu flexibilisieren“, um die Erstattungsbetragsregelung des § 130b Abs. 3 Satz 2 SGB V zu ermöglichen. Flexibilisiert werden sollte, wie sich aus den Gesetzesmaterialien (BT-Drs. 17/13770 S. 26) ergebe, das Auswahlrecht des pharmazeutischen Unternehmers bei Vorhandensein mehrerer ZVTn. Um zu verhindern, dass ein pharmazeutischer Unternehmer das so eröffnete Wahlrecht missbrauche, sei im Rechtskreis der Erstattungsbetragsregelung in § 130b Abs. 3 Satz 1 SGB V ein neuer Satz 2 eingefügt worden. Nachdem das Wirtschaftlichkeitskriterium durch die Gesetzesänderung in den Regelungskreis der Erstattungsbetragsverhandlungen verlegt worden sei, habe er – der Beigeladene zu 2 – im verfahrensgegenständlichen Nutzenbewertungsbeschluss auch keine diesbezüglichen Aussagen mehr getroffen. Soweit dies im Zeitpunkt der Beratung nach § 35 a Abs. 7 SGB V, § 8 Abs. 1 AM-NutzenV richtigerweise noch geschehen sei, könne die Klägerin jedenfalls für den Zeitraum nach der Gesetzesänderung auf der Grundlage des Beschlusses vom 20. März 2014 hieraus keine Rechte mehr ableiten. Für die Forderung der Klägerin, mit jedem Präparat einer Wirkstoffgruppe müssten alle Patienten auch tatsächlich behandelt werden können, gebe es keine gesetzliche Anknüpfung in § 130b Abs. 3 Satz 2 SGB V.

 

Mit Urteilen vom 14. Juni 2019 (Landgericht Düsseldorf, 4c O 22/19) bzw. 26. September 2019 (Oberlandesgericht [OLG] Düsseldorf, 2 U 28/19) ist es der Herstellerin von Clift aus patentrechtlichen Gründen untersagt worden, Clift 40 mg/ml anzubieten und zu vertreiben. Clift 40 mg/ml war seitdem – anders als Clift 20 mg/ml – zunächst nicht mehr verkehrsfähig.

Aufgrund dessen – so das weitere Vorbringen der Klägerin – dürfe man an dem angefochtenen Erstattungsbetrag nicht festhalten. Andernfalls würde eine Sachlage repräsentiert, die gar nicht mehr existiere.

In der Folgezeit wurde Clift 40 mg/ml erneut in den Verkehr gebracht. Nachdem die Klägerin die Vereinbarung gekündigt hatte, einigten sich die Vertragsparteien für die Zeit ab dem 15. April 2020 auf einen neuen Erstattungsbetrag.

 

Wegen des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und die vom Beigeladenen zu 2 vorgelegte Normsetzungsdokumentation Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung war.

 

 

 

 

 

 

 

 

Entscheidungsgründe

 

 

Die zulässige Klage ist unbegründet.

 

A. Streitgegenstand ist (nur) der Schiedsspruch des Beklagten vom 8. Juni 2018, den die Klägerin in statthafter Weise mit der kombinierten Anfechtungs- und Bescheidungsklage nach § 54 Abs. 1 Satz 1, § 131 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) anficht. Der angefochtene Schiedsspruch ist gegenüber den Partnern der Erstattungsbetragsvereinbarung, die durch den Schiedsspruch ersetzt wird, ein Verwaltungsakt i.S.v. § 31 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X; vgl. BSG, Urteil vom 4. Juli 2018 – B 3 KR 20/17 R –, juris, Rn. 17 [Albiglutid]). Zugleich macht die gerichtliche Aufhebung eines Schiedsspruchs nach § 130b Abs. 4 Satz 1 SGB V zwingend eine erneute Entscheidung der beklagten Schiedsstelle über den Schiedsantrag erforderlich, wenn das Arzneimittel – wie hier – weiter zu Lasten der GKV abgegeben werden soll. Deshalb ist im Falle der Aufhebung des Schiedsspruchs auch die Verurteilung der Beklagten zur Neubescheidung angezeigt (vgl. BSG, Urteil vom 28. März 2019 – B 3 KR 2/18 R –, juris, Rn. 24 [Linaclotid]). Der pharmazeutische Unternehmer ist als Partner der Erstattungsbetragsvereinbarung klagebefugt (§ 54 Abs. 1 Satz 2 SGG). Ein vorheriges Widerspruchsverfahren war nach § 130b Abs. 4 Satz 6 SGB V nicht durchzuführen. Die Klagefrist von einem Monat (§ 87 Abs. 1 Satz 1 SGG) ist mit Klageerhebung am 9. Juli 2018 gewahrt.

 

Der klägerseitig formulierte Anfechtungsantrag erfasst in zulässiger Weise den gesamten Schiedsspruch, auch wenn sich die Klägerin inhaltlich nur gegen die Höhe des Erstattungsbetrags wendet, nicht aber gegen die von der Beklagten ebenfalls getroffenen, von den Partnern der Erstattungsbetragsvereinbarung noch nicht konsentierten Bestimmungen zur Mengenregelung, zur Laufzeit und zu den Kündigungsmöglichkeiten. Zwar könnten diese Regelungen des Schiedsspruchs grundsätzlich auch dann Bestand haben, wenn die Beklagte im Übrigen zu einer neuen Entscheidung über den Erstattungsbetrag verpflichtet würde (mit Blick auf die Teilbarkeit der „geschiedsten“ Regelungen wird im Bereich der zivilgerichtlichen Schiedsgerichtsbarkeit eine Teilanfechtung für zulässig gehalten: Geimer, in: Zöller, Zivilprozessordnung - ZPO -, 33.A., § 1059 ZPO, Rn. 6; OLG Hamburg VersR 1982, 92; jeweils m.w.N.). Allerdings stellt nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 04. Juli 2018 – B 3 KR 20/17 R –‍, juris, Rn. 22, m.w.N.) der auf § 130b Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 und 5 SGB V beruhende Schiedsspruch seiner Natur nach einen Interessenausgleich durch ein sachnahes und unabhängiges Gremium dar. Insbesondere mit der fachkundigen und teils paritätischen, teils unparteiischen Zusammensetzung der Schiedsstelle will der Gesetzgeber die Fähigkeit dieses Spruchkörpers zur vermittelnden Zusammenführung unterschiedlicher Interessen nutzen. Der durch die Mehrheit der Mitglieder zustande gekommene Schiedsspruch ist durch seinen Kompromisscharakter geprägt und nicht immer die einzig sachlich vertretbare Entscheidung. Deshalb ist – in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung anderer Senate des BSG zu Schiedsstellen nach anderen Vorschriften aus dem Bereich der sozialen Sicherung – der Schiedsstelle ein Entscheidungsspielraum eingeräumt, der nur einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle zugänglich ist. Die Vertragsgestaltungsfreiheit der Schiedsstelle ist nicht geringer als diejenige der Vertragspartner einer im Wege freier Verhandlung erzielten Vereinbarung.

Aufgrund dessen wäre der der Schiedsstelle eingeräumte Entscheidungsspielraum unnötig eingeschränkt, nähme man ihr Möglichkeiten zu einem umfassenden konfliktlösenden Interessenausgleich, indem man auch die isolierte Anfechtung einzelner Regelungen eines Schiedsspruchs zuließe (in diesem Sinne auch: BSG, Urteil vom 23. Juli 2014 – B 8 SO 3/13 R –, Rn. 13; Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 22. Juni 2006 – 3 L 174/04 –, Rn. 55; zur fehlenden Teilbarkeit einer Pflegesatzvereinbarung nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 21. Januar 1993 – 3 C 66/90 –; jeweils juris).

 

Indem Klägerin und Beigeladener zu 1 für die Zeit ab dem 15. April 2020 einen neuen Erstattungsbetrag vereinbart haben, erledigt sich der angefochtene Schiedsspruch ab diesem Zeitpunkt. Die Zulässigkeit des klägerischen Antrags im hiesigen Rechtsstreit tangiert dies nicht.

 

Nicht angefochten ist demgegenüber der Beschluss des Beigeladenen zu 2 vom 20. März 2014. Dieser ist nach Auffassung der den Streitgegenstand bestimmenden Klägerin nicht zu beanstanden.

 

B. Die Klage ist unbegründet. Der Schiedsspruch der Beklagten vom 8. Juni 2018 baut in nicht zu beanstandender Weise auf dem Nutzenbewertungsbeschluss des Beigeladenen zu 2 vom 20. März 2014 auf (hierzu I. und II.). Er ist auch im Übrigen rechtmäßig (hierzu III.).

 

I. Die maßgeblichen Rechtsgrundlagen für die frühe Nutzenbewertung durch den GBA finden sich in § 35a SGB V i.V.m. den Regelungen der AM-NutzenV.

 

1. Nach § 35a Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB V in der durch das Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes in der gesetzlichen Krankenversicherung (Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz – AMNOG) eingeführten Fassung vom 22. Dezember 2010 (BGBl. I 2262) bewertet der GBA den Nutzen von erstattungsfähigen Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen, wozu insbesondere die Bewertung des Zusatznutzens gegenüber der ZVT sowie des Ausmaßes des Zusatznutzens und seiner therapeutischen Bedeutung gehört (BSG, Urteil vom 28. März 2019 – B 3 KR 2/18 R –, juris, Rn. 47 bis 49 [Linaclotid®]). Die Nutzenbewertung erfolgt „auf Grund von Nachweisen des pharmazeutischen Unternehmers“, in denen insbesondere die zugelassenen Anwendungsgebiete, der medizinische Nutzen und der medizinische Zusatznutzen im Verhältnis zur ZVT anzugeben sind (§ 35a Abs. 1 Satz 3 SGB V). 

 

Das Bundesministerium für Gesundheit regelt durch Rechtsverordnung insbesondere Grundsätze für die Bestimmung der ZVT und des Zusatznutzens und legt dabei auch die Fälle fest, in denen zusätzliche Nachweise erforderlich sind, und die Voraussetzungen, unter denen Studien bestimmter Evidenzstufen zu verlangen sind; Grundlage sind die internationalen Standards der evidenzbasierten Medizin und der Gesundheitsökonomie (§ 35a Abs. 1 Satz 7 und 8 Nr. 2 SGB V). Dies ist mit der AM-NutzenV vom 28. Dezember 2010 geschehen. Weitere Einzelheiten regelt der GBA in seiner Verfahrensordnung (§ 35a Abs. 1 Satz 9 SGB V).

 

Nach § 2 Abs. 4 AM-NutzenV ist der Zusatznutzen ein Nutzen, der quantitativ oder qualitativ höher ist als derjenige, den die ZVT aufweist. Nach § 5 Abs. 1 Satz 1 AM-NutzenV ist dieser Zusatznutzen vom pharmazeutischen Unternehmer in einem näher in § 4 AM-NutzenV geregelten Dossier nachzuweisen. Zu den Darlegungspflichten bestimmt § 4 Abs. 8 AM-NutzenV im Einzelnen Folgendes:

 

„Der pharmazeutische Unternehmer hat die Kosten für die gesetzliche Krankenversicherung gemessen am Apothekenabgabepreis und die den Krankenkassen tatsächlich entstehenden Kosten anzugeben. Die Kosten sind sowohl für das zu bewertende Arzneimittel als auch für die zweckmäßige Vergleichstherapie anzugeben. Maßgeblich sind die direkten Kosten für die gesetzliche Krankenversicherung über einen bestimmten Zeitraum. Bestehen bei Anwendung der Arzneimittel entsprechend der Fach- oder Gebrauchsinformation regelhaft Unterschiede bei der notwendigen Inanspruchnahme ärztlicher Behandlung oder bei der Verordnung sonstiger Leistungen zwischen dem zu bewertenden Arzneimittel und der zweckmäßigen Vergleichstherapie, sind die damit verbundenen Kostenunterschiede für die Feststellung der den Krankenkassen tatsächlich entstehenden Kosten zu berücksichtigen.“

 

ZVT ist bei alledem diejenige Therapie, deren Nutzen mit dem Nutzen eines Arzneimittels mit neuen Wirkstoffen für die Nutzenbewertung nach § 35a SGB V verglichen wird (§ 2 Abs. 5 AM-NutzenV). Sie ist nach § 6 Abs. 1, 2 und 2a AM-NutzenV regelhaft nach Maßstäben zu bestimmen, die sich aus den internationalen Standards der evidenzbasierten Medizin ergeben und muss eine nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zweckmäßige Therapie im Anwendungsgebiet sein (§ 12 SGB V), vorzugsweise eine Therapie, für die Endpunktstudien vorliegen und die sich in der praktischen Anwendung bewährt hat, soweit nicht Richtlinien nach § 92 Abs. 1 SGB V oder das Wirtschaftlichkeitsgebot dagegen sprechen. Sind mehrere Alternativen für die Vergleichstherapie gleichermaßen zweckmäßig, kann der Zusatznutzen gegenüber jeder dieser Therapien nachgewiesen werden.

 

2. Über die Konkretisierung dieser rechtlichen Vorgaben entscheidet der Beigeladene zu 2 im Zuge der Nutzenbewertung als Normgeber. Sein Beschluss ist nach § 35a Abs. 3 Satz 6 Hs. 1 SGB V ausdrücklich Teil der Arzneimittel-Richtlinie nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V und gemäß § 91 Abs. 6 SGB V für seine Träger, deren Mitglieder und Mitgliedskassen sowie für die Versicherten und Leistungserbringer rechtlich verbindlich.

 

a. Daher darf die sozialgerichtliche Kontrolle ihre eigenen Wertungen nicht an die Stelle der durch den Beigeladenen zu 2 zu treffenden Wertungen setzen. Vielmehr beschränkt sich die gerichtliche Prüfung darauf, ob die Zuständigkeits- und Verfahrensbestimmungen sowie die gesetzlichen Vorgaben nachvollziehbar und widerspruchsfrei Beachtung gefunden haben, um den normgeberischen Gestaltungsspielraum auszufüllen (BSG, Urteil vom 14. Mai 2014 – B 6 KA 21/13 R –, Rn. 32 [Buscopan]; Urteil vom 6. März 2012 – B 1 KR 24/10 R –, Rn. 25 [Linola u.a.]; Urteil vom 1. März 2011 – B 1 KR 10/10 R –, Rn. 38 [Atorvastatin]; jeweils juris).

 

b. Im Zusammenhang mit dem Verfahren der frühen Nutzenbewertung nach § 35a SGB V ist darüber hinaus zu beachten, dass der Ausgangspunkt der zur gerichtlichen Überprüfung gestellten Zusatznutzenprüfung des GBA einschließlich der damit in Zusammenhang stehenden Beurteilung der ZVT nach dem oben dargestellten Normkonzept jeweils allein in dem Dossier des pharmazeutischen Unternehmers nach § 4 AM-NutzenV besteht. Insoweit obliegt dem GBA – auch wegen der engen zeitlichen Vorgaben (§ 35a Abs. 2 Satz 3, Abs. 3 Satz 1 SGB V) – keine Amtsermittlungspflicht (BSG, Urteil vom 28. März 2019 – B 3 KR 2/18 R –, Rn. 51 bis 53 [Linaclotid]; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 27. Januar 2020 – L 9 KR 82/19 KL –, Rn. 92; jeweils juris). Bei der rechtlichen Prüfung der Ausführungen des GBA in seinem Nutzenbewertungsbeschluss bleibt zu berücksichtigen, dass er als besonders sachkundige Institution und Normgeber nur eingeschränkten Begründungspflichten unterliegt (BSG a.a.O.; Axer, GesR 2013, 211).

 

3. Auf der Grundlage des Nutzenbewertungsbeschlusses des GBA (§ 130b Abs. 1 Satz 1 SGB V) wird sodann in einem nachgelagerten Verfahren der Erstattungsbetrag bestimmt (näher hierzu unter III.). Weil dem Beschluss des GBA über die Nutzenbewertung – wie bereits dargelegt – normative Wirkung zukommt, haben die an der Preisbildung Beteiligten ebenso wie (im Falle ihrer Anrufung) die Schiedsstelle nach § 130b Abs. 5 SGB V im Rahmen der Preisvereinbarung oder -festsetzung keine Kompetenz, den Beschluss des GBA inhaltlich zu überprüfen, ihn zu verwerfen oder von ihm abzuweichen (vgl. zur Frage der Abweichung seitens der Schiedsstelle bzgl. der Bestimmung von Patientengruppen: BSG, Urteil vom 4. Juli 2018 – B 3 KR 20/17 R –, juris Rn. 51; kritisch hierzu Krasney, GuP 2019, 9 ff.). Dies liefe dem Normcharakter der Arzneimittel-Richtlinie zuwider, führte zu nicht hinnehmbaren Unsicherheiten in der praktischen Handhabung der normativen Vorgaben und missachtete die Regel, dass zur Normverwerfung im gewaltengeteilten Rechtsstaat ausschließlich die Gerichte zuständig sind (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 27. Januar 2020 – L 9 KR 82/19 KL –, juris, Rn. 128). 

 

II. Hieran gemessen ist der Nutzenbewertungsbeschluss vom 20. März 2014 nicht zu beanstanden.

 

1. Anlass für diese Feststellung sieht der Senat, obwohl die Klägerin diesen Beschluss nicht ausdrücklich anficht (zur zusätzlichen Anfechtung des Nutzenbewertungsbeschlusses: BSG a.a.O.; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 27. Januar 2020 – L 9 KR 82/19 KL –, juris, betreffend das Arzneimittel Tecfidera mit dem Wirkstoff Dimethylfumarat, Revision beim BSG anhängig unter B 3 KR 3/20 R). Denn zum einen besteht zwischen den Beteiligten Streit über die Auslegung dieses Beschlusses. Zum anderen lässt sich das u.a. auf Aussagen des Beigeladenen zu 2 gestützte Vorbringen der Klägerin, die Behandlung der (RR)MS müsse patientenindividuell erfolgen, sodass die Einsatzmöglichkeiten von Teriflunomid differenziert zu betrachten seien, (auch) dahin verstehen, dass während des (gesamten) Verfahrens die Berücksichtigung von Patientensubgruppen geboten gewesen sei.

 

2. Als ZVT hat der Beigeladene zu 2 „Beta-Interferon (IFN-ß) 1a oder IFN-ß 1b oder Glatirameracetat unter Beachtung des jeweils zugelassenen Anwendungsgebietes“ festgelegt. Die Klägerin beanstandet insoweit nicht die Auswahl der drei Wirkstoffe der ZVT an sich; es geht ihr nur um das Verhältnis der drei Wirkstoffe zueinander. Dieses Verhältnis ist durch eine gleichwertige Alternativität charakterisiert. Dies ergibt sich zwangsläufig aus dem o.g. Wortlaut des Beschlusses, dem durch die Verwendung (nur) der Konjunktion „oder“ keinerlei Stufenverhältnis oder andere unterschiedliche Wertigkeiten der genannten Alternativen zu entnehmen sind. Die vom Beigeladenen zu 2 gewählte Formulierung hält der Senat nicht für auslegungsbedürftig.

 

Unerheblich ist, dass nach den tragenden Gründen zu diesem Beschluss die ZVTn als „nahezu gleichwertig“ beschrieben werden. Denn die durch § 91 Abs. 6 SGB V angeordnete Bindungswirkung gilt nur für den Beschluss selbst aufgrund seines Normcharakters, nicht aber für die tragenden Gründe.

 

a. Weil der Nutzenbewertungsbeschluss vom 20. März 2014 gemäß § 35a Abs. 3 Satz 6 Hs. 1 SGB V Teil der (Arzneimittel-)Richtlinie nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V ist, muss der Beigeladene zu 2 seine tragenden Gründe gemäß § 94 Abs. 2 Satz 1 SGB V im Internet bekannt machen.

 

Die Bekanntmachung der tragenden Gründe nach § 94 Abs. 2 Satz 1 SGB V erfordert schon nach dem begrifflichen Gehalt von "tragend" weder die Angabe aller Unterlagen, Erwägungen und Gründe noch eine umfassende, vollumfängliche Begründung mit allen wissenschaftlichen Belegen in Bezug auf alle vorgetragenen Argumente noch eine darüber hinausgehende Auseinandersetzung mit allen weiteren denkmöglichen Argumenten und Problemkonstellationen. Es genügt insoweit die Mitteilung der Gründe, die aus der Sicht des GBA tragend sind, also ihn veranlasst haben, einen Beschluss mit einem bestimmten Inhalt zu fassen. Nach dem Zweck der förmlichen Begründung – den Normsetzungsakt transparent zu machen (vgl. Begründung des GKV-WSG-Gesetzentwurfs, BT-Dr. 16/3100, S. 135) – schuldet der GBA mithin nur ein ernsthaftes Bemühen, die von ihm für maßgeblich gehaltenen Gesichtspunkte mitzuteilen (BSG, Urteil vom 28. September 2016 – B 6 KA 25/15 R –, Rn. 45; Urteil vom 17. September 2013 – B 1 KR 54/12 R –; jeweils juris; Axer, GesR 2013, 211). Soweit keine ausdrücklich gesetzlich geregelte Pflicht des GBA besteht, eine qualifizierte Begründung als Bestandteil der Beschlussfassung im Zusammenhang mit der Bekanntgabe des Beschlusses mitzuteilen, oder diese Pflicht nur eingeschränkt besteht, sind inhaltlich fehlerhafte, unzureichende oder nicht mitgeteilte Begründungen, die ausdrückliche gesetzliche Begründungsanforderungen nicht verletzen, unbeachtlich. Denn für Normgeber besteht grundsätzlich keine Begründungspflicht (BSG, Urteil vom 17. September 2013 – B 1 KR 54/12 R –, juris, Rn. 24, m.w.N.).

 

b. Mit dem somit nur dienenden, auf Information und Transparenz abzielenden Zweck der tragenden Gründe unvereinbar wäre es, würde man darin verwendeten Formulierungen einen höheren Stellenwert beimessen als dem Wortlaut des als Norm zu qualifizierenden Beschlusses des Beigeladenen zu 2. Sofern man im vorliegenden Fall mit der Klägerseite zwischen dem die ZVTn betreffenden Wortlaut des Beschlusses vom 20. März 2014 und den tragenden Gründen einen Widerspruch sieht, muss dem (nochmals: nicht auslegungsbedürftigen) Wortlaut der Vorrang zukommen. Hiervon abweichende, ggf. missverständliche Formulierungen in den tragenden Gründen sind ohne Bedeutung.

 

c. Unabhängig hiervon weist der Beigeladene zu 2 zutreffend darauf hin, dass ihm angesichts der o.g. Beschränkung auf das im Dossier nach § 4 AM-NutzenV enthaltene Datenmaterial eine wissenschaftlich abgesicherte, die Grundsätze der evidenzbasierten Medizin wahrende Beurteilung, ob die genannten ZVTn gleichwertig – ggf. im Sinne völliger Austauschbarkeit – sind, nicht möglich ist.

 

3. Dem Beschluss des Beigeladenen zu 2 vom 20. März 2014 lässt sich weder entnehmen, die Behandlung der (RR)MS müsse patientenindividuell erfolgen, noch, dass für die Einsatzmöglichkeiten von Teriflunomid bezüglich bestimmter Patienten(sub)­gruppen zu differenzieren sei.

 

a. Zutreffend hat die Beklagte den angefochtenen Schiedsspruch mit der Prämisse gefasst, dass der Beigeladene zu 2 keine patientenindividuelle Therapie als ZVT festgelegt hat. Hierfür findet sich im Wortlaut des – allein Normcharakter aufweisenden – Beschlusses vom 20. März 2014 kein Anhaltspunkt. Dementsprechend muss die Beklagte ihrer Entscheidung nur dann eine patientenindividuelle Therapie als ZVT zugrunde legen, wenn der Beigeladene zu 2 dies ausdrücklich in seinen Nutzenbewertungsbeschluss aufgenommen hat (wie dies z.B. in dem den Wirkstoff Ibalizumab betreffenden Beschluss vom 18. Februar 2021 geschehen ist, der als ZVT eine – näher umrissene – „patientenindividuelle antiretrovirale Therapie“ festgelegt hat, oder in dem den Wirkstoff Ivacaftor/Tezacaftor/Elexacaftor betreffenden Beschluss vom selben Tag, in dem die Jahrestherapiekosten für die ZVT „Best-Supportive-Care“ als „patientenindividuell unterschiedlich“ eingeschätzt werden; vgl. www.g-ba.de, Stichwort „Beschlüsse“).

 

Soweit die Klägerin mit dem Begriff „patientenindividuell“ eine Behandlung verbindet, die „in Abhängigkeit von Patientencharakteristika, Komorbidität, Krankheitsaktivität und Nebenwirkungsprofil der Therapie in Abstimmung mit dem Patienten“ erfolgen solle, beschreibt sie lediglich eine Selbstverständlichkeit jeden ärztlichen Handelns. Diese ist – unabhängig von der Frage, ob Patienten an einer „leichten“ Grippe oder einer hochkomplexen, ggf. lebensgefährdenden Erkrankung wie Krebs oder MS leiden – stets auch dadurch gekennzeichnet, dass vor wesentlichen ärztlichen Entscheidungen Vorbehandlung, Krankheitsverlauf und -aktivität, Komorbiditäten, mögliche Neben- und Wechselwirkungen sowie andere individuelle Umstände der Patienten ermittelt und berücksichtigt werden. Die von der Klägerin in den Vordergrund gestellten Umstände wie die Unverträglichkeit gegenüber einzelnen Substanzen oder Präparaten oder deren Erfolglosigkeit lassen für die Behandlung der (RR)MS keine Besonderheiten gegenüber anderen (schweren) Krankheitsbildern erkennen. Wie bei anderen Erkrankungen, für die mehrere Basistherapeutika zur Verfügung stehen, ist ärztlicherseits in Abhängigkeit von bestimmten patientenindividuellen Umständen mal das Eine, mal das Andere in Betracht zu ziehen (vgl. zur identischen Situation im Hinblick auf den MS-Wirkstoff Dimethylfumarat: LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 27. Januar 2020 – L 9 KR 82/19 KL –, juris, Rn. 113).

 

b. Der Beschluss des Beigeladenen zu 2 vom 20. März 2014 setzt – i.Ü. ebenso wenig die tragenden Gründe hierzu – kein besonderes Therapieregime für bestimmte Patientengruppen fest, die vom Beklagten zu beachten gewesen wären.

 

Der Nachweis besonderer therapeutischer Effekte für bestimmte Patientengruppen bzw. Teilpopulationen wird dem pharmazeutischen Unternehmer durch § 35a Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 SGB V i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AM-NutzenV ermöglicht. Gelingt dieser Nachweis, hat der GBA einen auf diese Patientengruppe beschränkten Zusatznutzen festzustellen (§ 7 Abs. 2 Satz 7 AM-NutzenV; seit dem In-Kraft-Treten des GKV-Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetzes - AMVSG - am 13. Mai 2017 gemäß § 5 Abs. 5a AM-NutzenV auch bei Arzneimitteln mit einer Genehmigung für die pädiatrische Verwendung). Die Bildung von Patientengruppen ist dem Gesetz somit nicht fremd (vgl. BSG, Urteil vom 04. Juli 2018 – B 3 KR 20/17 R –, juris, Rn. 27). Die Berücksichtigung dieser Patientengruppen bei der Bestimmung des Erstattungsbetrags nach § 130b SGB V wird auch durch § 5 Abs. 2 Nr. 1 der auf der Grundlage von § 130b Abs. 9 Satz 1 SGB V zwischen den Verbänden der pharmazeutischen Unternehmer und dem Beigeladenen zu 1 über die Maßstäbe für Vereinbarungen nach § 130b Abs. 1 SGB V geschlossenen Rahmenvereinbarung (RahmenV) ermöglicht (vgl. BSG a.a.O., Rn. 40).

Voraussetzung hierfür ist jedoch stets, dass bereits das vom pharmazeutischen Unternehmer einzureichende Dossier entsprechende Patientengruppen vorsieht und Nachweise umfasst. Da die Klägerin auf die Bildung solcher Patientengruppen in ihrem Dossier verzichtet hat (sondern für alle Patienten in der durch das o.g. Anwendungsgebiet umschriebenen Zielpopulation einen therapeutisch bedeutsamen Zusatznutzen beansprucht hat), konnte der Beigeladene zu 2 einen für sie bestehenden Zusatznutzen in seinem Beschluss nach § 35a Abs. 3 SGB V nicht feststellen. Damit bestand auch für die Beklagte keine Verpflichtung, bei der Ermittlung des Erstattungsbetrags von einem besonderen Therapieregime für bestimmte Patientengruppen auszugehen.

   

III. Der angefochtene Schiedsspruch vom 8. Juni 2018 basiert damit auf einer Nutzenbewertung für Teriflunomid, die rechtlich nicht zu beanstanden ist. Er durfte sich daher einschränkungslos am Ergebnis der frühen Nutzenbewertung orientieren und dieses zur Grundlage der Festsetzung des Erstattungsbetrages machen. Die Beklagte durfte von einer Gleichwertigkeit der ZVTn ausgehen und war nicht verpflichtet, im Dossier der Klägerin nicht gebildete Patientengruppen zu berücksichtigen.

Auch darüber hinaus ist dieser Schiedsspruch weder formell- noch materiell-rechtlich zu beanstanden.

 

1. Nach § 130b Abs. 1 Satz 1 SGB V vereinbart der Beigeladene zu 1 mit pharmazeutischen Unternehmern im Benehmen mit dem Verband der privaten Krankenversicherung auf Grundlage des Beschlusses des Beigeladenen zu 2 über die Nutzenbewertung nach § 35a Abs. 3 SGB V mit Wirkung für alle Krankenkassen Erstattungsbeträge für Arzneimittel, die mit diesem Beschluss keiner Festbetragsgruppe zugeordnet wurden. Gemäß § 130b Abs. 3 Satz 1 SGB V in der hier maßgeblichen, ab 13. Mai 2017 geltenden Fassung des AMVSG vom 4. Mai 2017 (BGBl. I 1050) soll für ein Arzneimittel, das nach dem Beschluss des GBA nach § 35a Abs. 3 SGB V keinen Zusatznutzen hat und keiner Festbetragsgruppe zugeordnet werden kann, ein Erstattungsbetrag nach Abs. 1 vereinbart werden, der nicht zu höheren Jahrestherapiekosten führt als die nach § 35a Absatz 1 Satz 7 SGB V bestimmte ZVT. Sind nach § 35a Absatz 1 Satz 7 SGB V mehrere Alternativen für die ZVT bestimmt, soll der Erstattungsbetrag nicht zu höheren Jahrestherapiekosten führen als die wirtschaftlichste Alternative (§ 130b Abs. 3 Satz 2 SGB V).

 

Die gemeinsam vom GKV-Spitzenverband und den für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildeten maßgeblichen Spitzenorganisationen der pharmazeutischen Unternehmer auf Bundesebene gebildete Schiedsstelle nach § 130b Abs. 5 Satz 1 SGB V setzt dann, wenn eine Vereinbarung nach Abs. 1 oder 3 der Regelung nicht innerhalb von sechs Monaten nach Veröffentlichung des Beschlusses des GBA nach § 35a Abs. 3 oder nach § 35b Abs. 3 SGB V zustande kommt, nach § 130b Abs. 4 SGB V den Vertragsinhalt innerhalb von drei Monaten fest. Die Schiedsstelle entscheidet dabei unter freier Würdigung aller Umstände des Einzelfalls und berücksichtigt die Besonderheiten des jeweiligen Therapiegebietes (§ 130b Abs. 4 Satz 2 SGB V). Nichts anderes gilt im Falle der Neuverhandlung eines Erstattungsbetrages; für das Zustandekommen einer neuen Vereinbarung nach Kündigung gilt wiederum § 130b Abs. 4 SGB V (vgl. Armbruster, in Eichenhofer/v. Koppenfels-Spies/Wenner, SGB V, 3.A., § 130b, Rn. 95 unter Bezugnahme auf die Gesetzesbegründung).

 

Diese Bestimmungen belassen der Schiedsstelle einen weiten Entscheidungsspielraum. Der Gesetzgeber misst der Struktur des Einigungs- und Aushandlungsprozesses besondere Bedeutung bei. Dieser Prozess soll in erster Linie zu einer Einigung zwischen den Beteiligten führen. Kommt eine Einigung nicht zustande, führt die paritätisch und sachkundig besetzte Schiedsstelle zunächst als Vermittlerin den Verhandlungsprozess fort, um noch auf diesem Weg eine einvernehmliche Lösung zu erwirken. Erst wenn auch dieses Vorgehen gescheitert ist, ersetzt die Schiedsstelle durch eine Mehrheitsentscheidung der Mitglieder die offen gebliebenen Regelungen. Dieses austarierte Verhandlungssystem bietet vor allem durch seine an vertraglichen Vereinbarungen orientierten strukturellen Vorgaben sowie die sachkundig und teils paritätisch, teils unparteiisch besetzte Schiedsstelle eine hinreichende Gewähr dafür, zu akzeptablen Inhalten der Schiedssprüche zu gelangen. Unter Berücksichtigung der materiell-rechtlichen gesetzlichen und untergesetzlichen Vorgaben bildet diese Verfahrensweise ein gegen willkürliche Entscheidungen der Schiedsstelle hinreichend abgesichertes Gesamtsystem; gewisse Unwägbarkeiten bei der Festsetzung des Erstattungsbetrages sind in einem überschaubaren zeitlichen Rahmen hinzunehmen (BSG, Urteil vom 4. Juli 2018 – B 3 KR 20/17 R [Albiglutid] –, juris, Rn. 42, m.w.N.).

 

Der auf dieser gesetzlichen Basis ergehende Schiedsspruch stellt – wie bereits unter A. dargelegt – seiner Natur nach einen Interessenausgleich durch ein sachnahes und unabhängiges Gremium, welchem ein weiter Entscheidungsspielraum eingeräumt ist, dar. Deshalb unterliegen auch Entscheidungen der Schiedsstelle nach § 130b Abs. 5 SGB V nur einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle darauf, ob die Schiedsstelle zwingendes Gesetzesrecht beachtet, den bestehenden Entscheidungsspielraum eingehalten und den zugrunde gelegten Sachverhalt in einem fairen Verfahren unter Wahrung des rechtlichen Gehörs hinreichend ermittelt hat (BSG, Urteile vom 4. Juli 2018 – B 3 KR 20/17 R [Albiglutid], Rn. 22, und B 3 KR 21/17 R [Idelalisib], Rn. 32 –, jeweils juris; LSG Berlin-Brandenburg a.a.O.)

2. Der angefochtene Schiedsspruch der Beklagten vom 8. Juni 2018 bewegt sich innerhalb dieses rechtlichen Rahmens.

 

a. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Schiedsspruchs der Tag seines Erlasses. Sach- und Rechtslage am 8. Juni 2018 sind damit entscheidend. Die weiteren Entwicklungen zum Arzneimittel Clift bleiben außer Betracht. Das ergibt sich schon aus den allgemeinen Grundsätzen des intertemporalen Prozessrechts. Insoweit gilt die „Faustregel“, dass der maßgebende Zeitpunkt für eine Anfechtungsklage beim Erlass des Verwaltungsakts anknüpft (vgl. BSG, Urteil vom 28. November 2018 – B 4 AS 43/17 R –, juris, Rn. 16; Keller, in: Meyer-Ladewig/Kel­ler/Leitherer/Schmidt, SGG, 13.A., § 54 Rn. 33 m.w.N.). Eine Abweichung von dieser ausdrücklich so genannten Faustregel ist nicht geboten. Im Gegenteil: Bei der Überprüfung eines Schiedsspruchs, der mit einem weiten Gestaltungsspielraum der Schiedsstelle verbunden ist, darf das Gericht seine eigenen Erwägungen zu neueren Erkenntnissen nicht an die Stelle derjenigen der Verwaltung setzen (vgl. zu Ermessensentscheidungen BSG, Urteil vom 23. Juni 2016 – B 14 AS 4/15 R –, juris, Rn. 13). Der Senat darf den Schiedsspruch daher nicht im Lichte von tatsächlichen (oder rechtlichen) Entwicklungen würdigen, von denen die Beklagte im Augenblick ihrer Beschlussfassung keine Kenntnis hatte bzw. haben konnte. Insoweit steht das materielle Recht einer Verlagerung des Beurteilungszeitpunktes auf den Tag der mündlichen Verhandlung vor dem Senat entgegen (ebenso und speziell für Schiedssprüche nach § 130b Abs. 4 SGB V: BSG, Urteil vom 4. Juli 2018 – B 3 KR 21/17 R [Zydelig] –, juris, Rn. 28; Urteil vom 25. März 2016 – B 6 KA 9/14 R –, juris, Rn. 24 betr. einen Schiedsspruch zum Inhalt eines Vertrages zur hausarztzentrierten Versorgung).

 

Für nach einem Schiedsspruch eintretende entscheidungsrelevante Änderungen der Sach- und Rechtslage steht der Klägerin gemäß § 7 der Erstattungsbetragsvereinbarung deren Kündigung offen.

 

Weil die Anfechtungsklage gegen den Schiedsspruch ohne Erfolg bleibt, bedarf es keiner weiteren Ausführungen dazu, an welchen Beurteilungszeitpunkt der Senat seine Rechtsauffassung im Rahmen der mit der Anfechtungsklage kombinierten Bescheidungsklage knüpfen müsste. Denn kommt es nicht zur Aufhebung des Schiedsspruchs, erübrigen sich Ausführungen zur Neubescheidung in Gestalt der „Rechtsauffassung des Senats“.

 

b. Der angefochtene Schiedsspruch wahrt auch die durch § 130b Abs. 3 Sätze 1 und 2 SGB V gezogenen o.g. inhaltlichen Grenzen.

 

aa. Die Beklagte hat sich für die Ermittlung des Erstattungsbetrags an der wirtschaftlichsten Alternative der ZVTn orientiert. Die wirtschaftlichste Alternative der ZVTn bestand für die Zeit nach dem kündigungsbedingten Auslaufen der Vorgängervereinbarung, d.h. ab dem 23. November 2017 bis zum Tag des Schiedsspruchs am 8. Juni 2018, im Einsatz des Arzneimittels Clift (mit dem Wirkstoff Glatirameracetat). Den insoweit ermittelten Betrag durfte die Beklagte daher zum Ausgangspunkt ihrer Preisfestsetzung nehmen. Ein Verstoß gegen den Nutzenbewertungsbeschluss liegt darin nicht, zumal § 130b Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 SGB V ausdrücklich eine Orientierung der Preisbildung an der wirtschaftlichsten Alternative der ZVT fordert. 

 

bb. Der klägerseitige Einwand, § 130b Abs. 3 Satz 2 SGB V binde den Erstattungsbetrag an die wirtschaftlichste, nicht aber – wie von der Beklagten vorgenommen – an die billigste Alternative, mag auf der Ebene des Wortlauts zutreffen, geht in der Sache indes fehl. Hierbei kann der Senat offenlassen, unter welchen Bedingungen im Allgemeinen sich die wirtschaftlichste von der billigsten Lösung unterscheidet. Denn die Klägerin ist insoweit jeden weiteren Vortrag schuldig geblieben. Nicht im Ansatz legt sie dar, warum die von ihr favorisierte Lösung, den Erstattungsbetrag auf der Grundlage des von ihr geschilderten Versorgungsmixes zu bilden, trotz – unstreitig – höherer Kosten für die Krankenkassen wirtschaftlicher als der angegriffene Erstattungsbetrag sein soll.

 

cc. Zu Unrecht geht die Klägerin davon aus, im vorliegenden Fall sei § 130b Abs. 3 Satz 2 SGB V nicht anzuwenden. Sie nimmt einerseits an, die Beratung durch den Beigeladenen zu 2 habe noch unter Geltung von § 6 Abs. 1 Satz 2 AM-NutzenV stattgefunden, sodass der Nutzenbewertungsbeschluss vom 20. März 2014 entsprechend zu verstehen sei. Andererseits soll – so ihre Auffassung –, weil der Beigeladene zu 2 von der durch das 3. AMG-ÄndG eröffneten Flexibilisierungsmöglichkeit keinen Gebrauch gemacht habe, die in diesem Zusammenhang eingeführte Regelung des § 130b Abs. 3 Satz 2 SGB V nicht einschlägig sein. Diese Einschätzungen lassen sich mit den gesetzlichen Regelungen nicht in Einklang bringen.

 

(1) Zutreffend indes stellt sie die Rechtsentwicklung bezüglich der o.g. inhaltlichen Vorgaben für die Bestimmung des Erstattungsbetrags gemäß § 130b Abs. 3 SGB V dar:

 

So sah § 130b Abs. 3 Satz 1 SGB V in der durch das AMNOG m.W.z. 1. Januar 2011 eingeführten, ursprünglichen Fassung vor, dass „für ein Arzneimittel, das nach dem Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses nach § 35a Absatz 3 keinen Zusatznutzen hat und keiner Festbetragsgruppe zugeordnet werden kann, […] ein Erstattungsbetrag nach Absatz 1 zu vereinbaren [ist], der nicht zu höheren Jahrestherapiekosten führt als die nach § 35a Absatz 1 Satz 7 bestimmte zweckmäßige Vergleichstherapie“.

Das 3. AMG-ÄndG brachte einerseits für die pharmazeutischen Unternehmer eine Flexibilisierung (BT-Drs. 17/13770, S. 18, 24, 26) bei der Auswahl der ZVT mit sich, indem durch die Einfügung von Abs. 2a in § 6 AM-NutzenV bei mehreren ZVTn der Zusatznutzen gegenüber jeder dieser Therapien nachgewiesen werden konnte. Zugleich fand bei der Auswahl der ZVT eine Entkoppelung vom „Aspekt der Wirtschaftlichkeit“ (BT-Drs. 17/13770, S. 18) statt, weil durch die Streichung von § 6 Abs. 1 Satz 2 AM-NutzenV die Verpflichtung, bei mehreren ZVTn die wirtschaftlichste zu wählen, aufgehoben wurde. Um jedoch zu vermeiden, dass pharmazeutische Unternehmer bei fehlendem Zusatznutzen eine möglichst hochpreisige ZVT mit dem Ziel eines entsprechend hohen Erstattungsbetrags wählen, durfte nach dem neu eingefügten § 130b Abs. 3 Satz 2 SGB V bei mehreren ZVTn der Erstattungsbetrag nicht zu höheren Jahrestherapiekosten führen als die wirtschaftlichste Alternative (BT-Drs. 17/13770, S. 24).

Durch das mit Wirkung zum 13. August 2017 in Kraft getretene AMVSG wurden die Vorgaben für die Vereinbarung des Erstattungsbetrags bei Arzneimitteln ohne Zusatznutzen flexibilisiert: Die bis dahin zwingende Begrenzung des Erstattungsbetrags auf die Jahrestherapiekosten der (wirtschaftlichsten) ZVT wurde zugunsten einer entsprechenden „Soll“-Regelung gemildert. Damit sollte der Verhandlungsspielraum erweitert werden, „zu sachgerechten Vereinbarungen zu kommen, die einen fairen Ausgleich zwischen Innovation und Bezahlbarkeit ermöglichen“. Die „Soll“-Regelung will klarstellen, dass „diese Flexibilisierung nur im begründeten Einzelfall zum Tragen kommt und im Regelfall die Bindung an den Preis der zweckmäßigen Vergleichstherapie weiterbesteht“. Ein solcher Einzelfall kommt in Betracht, wenn „für unterschiedliche Patientengruppen unterschiedliche, im Preis stark divergierende Vergleichstherapien bestimmt sind“ (BT-Drs. 18/10208, S. 4, 19 f., 35).

 

(2) Die dargestellten Rechtsänderungen missversteht die Klägerin indes in mehrfacher Hinsicht.

 

(a) Zum einen kommt es für die Bestimmung der ZVT(n) durch den Beigeladenen zu 2 nur auf die Rechtslage zum Zeitpunkt seines Beschlusses vom 20. März 2014 an. Zu diesem Zeitpunkt musste er – worauf er mit Recht hinweist –, bei mehreren ZVTn nicht mehr die wirtschaftlichste bestimmen, nachdem § 6 Abs. 1 Satz 2 AM-NutzenV mit Wirkung zum 13. August 2013 aufgehoben worden war. Dass er zuvor noch unter Geltung von § 6 Abs. 1 Satz 2 AM-NutzenV in den 2012 mit der Klägerin geführten Beratungsgesprächen seine Empfehlungen an dieser Vorschrift ausgerichtet hat, entspricht dem Verfassungsprinzip gesetzmäßigen Handelns der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 GG) und ist daher nicht zu beanstanden. Auf Vertrauensschutz kann sich die Klägerin nicht berufen. Denn die mit dem 3. AMG-ÄndG einhergehenden Gesetzesänderungen sind zum 13. August 2013 und somit vor der Dossiereinreichung durch die Klägerin – erstmalig am 3. September, abschließend am 30. September 2013 – in Kraft getreten. Der Klägerin musste daher bewusst sein, dass die Nutzenbewertung unter Geltung des geänderten Rechts erfolgen würde. Falls bei ihr Zweifel bestanden haben sollten, ob die Aussagen des Beigeladenen zu 2 im Rahmen der 2012 durchgeführten Beratungen auch noch nach dem neuen Recht Bestand haben, hätte sie diese rechtzeitig vor Einreichung des abschließenden Dossiers am 30. September 2013 durch Rückfragen beim Beigeladenen zu 2 ausräumen lassen können. Soweit sie darauf verzichtet hat, gehen ihre diesbezügliche Fehleinschätzungen allein zu ihren Lasten.

 

(b) Entgegen der klägerischen Rechtsansicht setzt die Anwendung von § 130b Abs. 3 Satz 2 SGB V nicht voraus, dass von den durch das 3. AMG-ÄndG bezweckten Flexibilisierungsmöglichkeiten Gebrauch gemacht wurde.

 

Zutreffend weist der Beigeladene zu 2 in diesem Zusammenhang zunächst darauf hin, dass sich diese Flexibilisierung ausschließlich auf die Handlungsoptionen des pharmazeutischen Unternehmers auswirkte, weil er nach § 6 Abs. 2a AM-NutzenV bei mehreren ZVTn den Zusatznutzen nur noch gegenüber einer – von ihm gewählten – Alternative nachweisen musste. Von dieser Flexibilisierungsmöglichkeit hat die Klägerin auch Gebrauch gemacht, weil der Zusatznutzen von Teriflunomid nur gegenüber „Interferon beta-1a, 44 μg, s. c. (Rebif 44 μg), 3 x pro Woche“ (Modul 1 Ziff. 1.4 des von ihr eingereichten Dossiers, Stand: 25. September 2013, www.g-ba.de/downloads/92-975-394/2013-09-25_Modul1_Teriflunomid.pdf) nachgewiesen werden sollte. Vor diesem Hintergrund muss sich die Klägerin widersprüchliches Vorbringen entgegenhalten lassen, da bereits auf dem Boden ihrer Rechtsauffassung von der Anwendung von § 130b Abs. 3 Satz 2 SGB V nicht abgesehen werden kann.

 

Unabhängig hiervon sind jedenfalls weder dem Wortlaut von § 130b Abs. 3 Satz 2 SGB V noch den Gesetzesmaterialien Anhaltspunkte zu entnehmen, dass – quasi im Wege teleologischer Reduktion – diese Vorschrift die Wahrnehmung der durch das 3. AMG-ÄndG eröffneten Flexibilisierung voraussetzt. Der Gesetzgeber hat lediglich die erweiterten Handlungsoptionen zugunsten der pharmazeutischen Unternehmer durch § 6 Abs. 2a AM-NutzenV mit „strafferen Zügeln“ bei der Vereinbarung des Erstattungsbetrags verbunden. Dies geschah im Hinblick auf das das gesamte Recht der GKV prägende Wirtschaftlichkeitsgebot (§ 12 SGB V), somit aus sachgerechten – und von der Klägerin i.Ü. nicht in Frage gestellten – Gründen.

 

(c) Es liegt auch kein Ausnahmefall vor, der ein Abweichen von der in § 130b Abs. 3 Satz 2 SGB V (in der seit dem AMVSG geltenden Fassung) geltenden Grundregel gestatten würde. Die Klägerin hat keine Tatsachen benannt, die einen Ausnahmefall im Sinne der o.g. Gesetzesmaterialien begründen könnten. Insbesondere die vom Gesetzgeber beispielhaft genannte Konstellation, dass für unterschiedliche Patientengruppen unterschiedliche, im Preis stark divergierende Vergleichstherapien bestimmt seien, liegt nicht vor. Solche Patientengruppen hätte die Klägerin im Rahmen ihres Dossiers bezeichnen müssen. Nachdem sie davon abgesehen hat, bestand – wie bereits dargelegt – für die Beklagte keine Verpflichtung, die Versorgungssituation bestimmter Patientengruppen bei der Ermittlung des Erstattungsbetrags zu berücksichtigen.

 

Vorsorglich weist der Senat in diesem Zusammenhang jedoch auf Folgendes hin: Dass die Beklagte nicht verpflichtet ist, im Dossier des pharmazeutischen Unternehmers nicht näher eingegrenzte Patientengruppen und ihre besondere Versorgungssituation im Rahmen der Erstattungsbetragsfestsetzung zu berücksichtigen, dürfte es nicht ausschließen, dass sie im Rahmen ihres grundsätzlich weiten Gestaltungsspielraums (s.o.) solche Besonderheiten, wenn sie vom pharmazeutischen Unternehmer im Rahmen der Erstattungsbetragsverhandlungen bzw. des Schiedsverfahrens geltend gemacht wurden, in ihre Entscheidung einfließen lässt. Denn auch den Verhandlungsparteien stünde dieser Gestaltungsspielraum zu. Lediglich ein diesbezüglicher Anspruch des pharmazeutischen Unternehmers gegenüber der Schiedsstelle besteht insoweit nicht.

 

(d) Die Klägerin missversteht darüber hinaus den Zusammenhang zwischen der durch § 130b Abs. 3 Satz 2 SGB V für den Erstattungsbetrag gezogenen Obergrenze und dem Ziel der Regelungen über den Erstattungsbetrag. Unbestreitbar dient nach dem o.G. das Verhandlungsverfahren zur Bestimmung des Erstattungsbetrags – wie alle Norm(setzungs)verträge – dem Interessenausgleich, hier im Sinne eines „fairen Ausgleichs zwischen Innovation und Bezahlbarkeit“ (BT-Drs. 18/10208, S. 19). Das Recht und die Pflicht der Schiedsstelle, insoweit „unter freier Würdigung aller Umstände des Einzelfalls“ zu entscheiden und „dabei die Besonderheiten des jeweiligen Therapiegebiets“ zu berücksichtigen (§ 130b Abs. 4 Satz 2 SGB V in der seit dem 3. AMG-ÄndG geltenden Fassung), können aber von vornherein nur im gesetzlich gesteckten Rahmen bestehen. Hierbei liegt es auf der Hand, dass der oben beschriebene weite Gestaltungsspielraum in Abhängigkeit vom festgestellten Zusatznutzen unterschiedlich ausfällt und von vornherein nicht oder nur sehr eingeschränkt bestehen kann, wenn bereits das (Parlaments-)Gesetz ihm Grenzen setzt. Eine solche „Soll“-Grenze zieht § 130b Abs. 3 Satz 2 SGB V für Arzneimittel ohne Zusatznutzen, indem es den Erstattungsbetrag auf die Jahrestherapiekosten der wirtschaftlichsten ZVT limitiert. Solche ausdrücklichen gesetzlichen Beschränkungen für den Gestaltungsspielraum werden nicht – wie klägerseitig angenommen – durch die Berufung auf Gesetzeszwecke obsolet. Mit Recht verweist der Beigeladene zu 1 daher darauf, dass bei Arzneimitteln ohne Zusatznutzen der Beklagten nur ein geringer Entscheidungsspielraum eröffnet ist. § 130b Abs. 3 Satz 2 SGB V erweist sich insofern als lex specialis gegenüber § 130b Abs. 4 Satz 2 SGB V.

 

dd. Ist im vorliegenden Fall § 130b Abs. 3 Satz 2 SGB somit zwingend anzuwenden und der Gestaltungsspielraum der Beklagten deshalb entsprechend eingeengt, kommt es auf den klägerseitig reklamierten Gesichtspunkt der Versorgungsrealität nicht an. Ob im Rahmen des Schiedsverfahrens gemäß § 130b Abs. 9 Satz 5 SGB V Daten nach § 217f Abs. 7 SGB V ausgewertet wurden, ist daher unerheblich. Selbst wenn man § 3 Abs. 6 Satz 1 RahmenV dahin versteht, dass diese Daten regelhaft in die Verhandlungen über den Erstattungsbetrag einzuführen sind, lässt sich weder dem Gesetzeswortlaut noch der Gesetzesbegründung entnehmen, dass diese Daten auch regelhaft, d.h. unabhängig vom Gestaltungsspielraum der Schiedsstelle, von dieser zu berücksichtigen sind.

 

Nur vorsorglich weist der Senat darauf hin, dass bei Berücksichtigung der klägerseitig beschriebenen Versorgungsrealität nicht nur der Verordnungsanteil von Clift Beachtung finden müsste, sondern auch der Verordnungsanteil aller den Wirkstoff Glatirameracetat enthaltenden Arzneimittel. Dieser Anteil beläuft sich nach den Angaben der Klägerin im Jahr 2016 auf über 37 %.

 

c. Für die Rechtmäßigkeit des Schiedsspruchs unerheblich ist, ob alle in das Anwendungsgebiet von Aubagio fallenden Patienten mit Glatirameracetat versorgt werden können. Zutreffend weist der Beigeladene zu 2 darauf hin, dass es sich bei seinem Nutzenbewertungsbeschluss um eine abstrakt-generelle Regelung handelt – dies charakterisiert jede Art von Norm –, die die Frage der ausreichenden Versorgung jedes Einzelfalls nicht in den Blick nehmen muss. Entsprechendes gilt für den Erstattungsbetrag.

 

d. Auch die sonstigen Einwendungen der Klägerin tangieren die Rechtmäßigkeit des zur Überprüfung gestellten Schiedsspruchs nicht.

 

aa. Dass sich der (therapeutische oder finanzielle) „Wert“ von Aubagio seit der Vereinbarung des ersten Erstattungsbetrags nicht geändert hat, ist für das vorliegende Verfahren bedeutungslos. Weder dem Wortlaut des Gesetzes noch seiner Begründung lässt sich entnehmen, dass dieser Umstand im Rahmen von § 130b SGB V zu beachten ist. Im Hinblick auf die elementare Bedeutung des Wirtschaftlichkeitsgebots im Recht der GKV (s.o.) ist es vielmehr eine Alltäglichkeit, dass bisherige Therapieoptionen durch das Hinzutreten neuer, wirtschaftlicherer Therapiemöglichkeiten neu und ggf. ungünstiger als zuvor zu bewerten sind.

 

bb. Der Verweis auf die sonstige Spruchpraxis der Beklagten liegt neben der Sache. Erweist sich der hier angegriffene Schiedsspruch als rechtmäßig, ändert sich daran durch eine davon abweichende Spruchpraxis der Beklagten für andere Arzneimittel nichts. Wären die abweichenden Schiedssprüche rechtswidrig, könnte die Klägerin hieraus nichts für sich ableiten. Eine Gleichheit im Unrecht gibt es nicht (BVerfG, Beschluss vom 09. Oktober 2000 – 1 BvR 1627/95 –, Rn. 52; BSG, Urteil vom 21. Mai 2003 – B 6 KA 32/02 R –; jeweils juris und m.w.N.).

 

cc. Dass der Schiedsspruch vom 8. Juni 2018 aus klägerischer Sicht in Widerspruch zu auf Bundes- oder regionaler Ebene getroffenen Vereinbarungen zur vertragsärztlichen Wirtschaftlichkeitsprüfung steht, ist gleichfalls irrelevant. Die Klägerin lässt insoweit die Regelungszusammenhänge außer Acht.

 

(1) Gemäß § 130b Abs. 2 SGB V gilt (von redaktionellen Änderungen abgesehen seit 2011 unverändert):

 

„Eine Vereinbarung nach Absatz 1 soll vorsehen, dass Verordnungen des Arzneimittels von der Prüfungsstelle als Praxisbesonderheiten im Sinne von § 106 Absatz 5a anerkannt werden, wenn der Arzt bei der Verordnung im Einzelfall die dafür vereinbarten Anforderungen an die Verordnung eingehalten hat. Diese Anforderungen sind in den Programmen zur Verordnung von Arzneimitteln nach§ 73 Absatz 9 Satz 1 zu hinterlegen. Das Nähere ist in den Verträgen nach § 82 Absatz 1 zu vereinbaren.“

 

Diese Bestimmungen machen deutlich, dass zeitlich und inhaltlich die Erstattungsbetragsvereinbarung nach § 130b SGB V den auf regionaler Ebene zu treffenden Vereinbarungen zur (möglichen) Berücksichtigung von nutzenbewerteten Arzneimitteln als Praxisbesonderheit im Rahmen der vertragsärztlichen Wirtschaftlichkeitsprüfung (§ 106b Abs. 1 SGB V) vorgelagert ist. Erst wenn für ein nutzenbewertetes Arzneimittel ein Erstattungsbetrag festgelegt ist, können diesbezügliche Verordnungen als Praxisbesonderheit auf regionaler Ebene eingestuft werden.

 

(2) Sofern die Klägerin der Ansicht sein sollte, die zwischen dem Beigeladenen zu 1 und der KBV geschlossenen Vereinbarungen bzw. die Vereinbarungen nach § 106b Abs. 1 SGB V auf regionaler Ebene träfen die Beklagte bindende Aussagen zur Wirtschaftlichkeit der hier im Rahmen der ZVT relevanten Wirkstoffe (Interferone bzw. Glatirameracetat), folgt der Senat dem nicht. Weder der Wortlaut von § 84 bzw. § 106b Abs. 1 SGB V noch die Gesetzesmaterialien hierzu enthalten Anhaltspunkte, die diese Ansicht stützen. Zum einen ist nicht erkennbar, dass den in § 84 bzw. § 106b Abs. 1 SGB V genannten Vertragspartnern auf Bundes- oder regionaler Ebene die Rechtsmacht zuerkannt wurde, über die Wirtschaftlichkeit einzelner Wirkstoffe oder in ihrem Verhältnis zueinander Aussagen zu treffen, an die alle anderen Akteure der GKV, auch die pharmazeutischen Unternehmer oder die Beklagte, gebunden wären. Zum anderen lassen sich auch dem Wortlaut der klägerseitig in Bezug genommenen, die Jahre 2017 und 2018 betreffenden „Rahmenvorgaben nach § 84 Abs. 7 SGB V - Arzneimittel -“ – seit dem 1. Januar 2017 findet sich die Rechtsgrundlage in § 84 Abs. 6 SGB V – keine Aussagen entnehmen, die sich eine solche Bindungswirkung anmaßen. In beiden Regelwerken (jeweils unter Ziff. 2 Absätze 6 und 7) beschränken sich die Bundesvertragspartner zum einen „zur Ausschöpfung von Wirtschaftlichkeitsreserven“ auf die Empfehlung, auf regionaler Ebene fachgruppenspezifische Vereinbarungen zu schließen, für die als Arzneimittelgruppe „Interferon-β-1a im Verhältnis zu Interferon-β-1b zur Behandlung der Multiplen Sklerose“ in Frage kommen, zum anderen auf die Anregung, auf regionaler Ebene Verordnungsempfehlungen z.B. zu neuen Generika des Wirkstoffs Glatirameracetat zu geben. Hieraus lässt sich lediglich entnehmen, dass die Bundesvertragspartner Wirtschaftlichkeitsreserven annehmen im Verhältnis der Beta-Interferone zueinander und hinsichtlich generischer Arzneimittel mit dem Wirkstoff Glatirameracetat. Zum Verhältnis der zur MS-Behandlung zugelassenen Wirkstoffklassen untereinander, gerade im Hinblick auf ihre Wirtschaftlichkeit, enthalten die Rahmenvorgaben keine Aussagen.

 

(3) Der Senat verkennt nicht, dass das derzeit geltende Recht abweichende Einschätzungen zur Wirtschaftlichkeit bestimmter Arzneimittel durch unterschiedliche Akteure im GKV-System zulässt. Sofern – wie von der Klägerin behauptet – sämtliche Vereinbarungen auf regionaler Ebene alle Wirkstoffe zur Behandlung der MS als gleichwertig angesehen haben sollten, wiche dies ggf. von der Beurteilung durch die Beklagte im angefochtenen Schiedsspruch ab. Dieser mögliche Wertungswiderspruch dürfte ohne eine – vom Gesetz nicht geforderte und in der Regel unveröffentlichte – detaillierte Begründung der regionalen Vertragspartner für ihre jeweilige Einschätzung nicht abschließend zu klären sein. Er wird vom Gesetzgeber aber offensichtlich hingenommen, solange die – typischerweise ebenfalls den Kompromisscharakter in sich tragenden – Vereinbarungen nach § 84 Abs. 1 bzw. § 106b Abs. 1 SGB V den Aufsichtsbehörden nicht vorzulegen sind, sondern nur im Rahmen der allgemeinen Rechtsaufsicht im Nachgang beanstandet werden können (Engelhard, in: Hauck/Noftz, SGB, Stand: Dezember 2020, § 106b SGB V Rn. 23; Ulrich, in: Schlegel/Voelzke, juris Praxiskommentar - SGB V, 4.A., § 106b Rn. 36).

 

e. Der Schiedsspruch vom 8. Juni 2018 ist schließlich nicht deshalb zu beanstanden, weil er von unzutreffenden Tatsachen ausgegangen ist.

 

aa. Für Schiedsverfahren, die einer (wenn auch eingeschränkten) sozialgerichtlichen Kontrolle unterliegen, gilt § 295 Abs. 1 ZPO gemäß § 202 Satz 1 SGG entsprechend. Nach § 295 Abs. 1 ZPO kann die Verletzung einer das Verfahren und insbesondere die Form einer Prozesshandlung betreffenden Vorschrift nicht mehr gerügt werden, wenn ein Beteiligter auf die Befolgung der Vorschrift verzichtet, oder wenn sie bei der nächsten mündlichen Verhandlung, die aufgrund des betreffenden Verfahrens stattgefunden hat oder in der darauf Bezug genommen wird, den Mangel nicht gerügt hat, obgleich sie erschienen und ihr der Mangel bekannt war oder bekannt sein musste. Dies gilt nur dann nicht, wenn auf die verletzte Vorschrift nicht wirksam verzichtet werden kann (§ 295 Abs. 2 ZPO). In Bezug auf Schiedsverfahren lässt sich der unmittelbar für das gerichtliche Verfahren geltende Rechtsgedanke übertragen, dass eine entsprechende Rüge spätestens vor der abschließenden Beratung der Schiedsstelle vorgebracht werden muss, da Schiedsverfahren regelmäßig nur eine mündliche Verhandlung haben. Über die Erhebung etwaiger Verfahrensrügen oder den Verzicht hierauf muss die Niederschrift über die mündliche Verhandlung Auskunft geben (BSG, Urteil vom 04. Juli 2018 – B 3 KR 21/17 R –, juris, m.w.N.; Düring/Schnapp, in: Schnapp/Düring, Handbuch des sozialrechtlichen Schiedsverfahrens, 2.A., Rd. 220, m.w.N.; Burgardt, PharmaR 2019, 559 ff; skeptisch: Axer, SGb 2019, 129 ff.; vgl. auch Krasney, GuP 2019, 9 ff.).

 

bb. Hieran gemessen hätte die Klägerin bereits im Schiedsverfahren die aus ihrer Sicht fehlerhafte Datengrundlage geltend machen müssen. Anlass hierfür bestand insbesondere, nachdem die Beklagte während der Schiedsverhandlung am 4. Juni 2018 zunächst isoliert über den Erstattungsbetrag abstimmte und danach die Verhandlung ihren o.g. Fortgang nahm. Zu diesem Zeitpunkt musste, nachdem die Beklagte dem Antrag des Beigeladenen zu 1 gefolgt war, für alle Beteiligten offenkundig sein, dass sie die von ihm mitgeteilten Jahrestherapiekosten zugrunde gelegt hatte. Spätestens zu diesem Zeitpunkt hätte es daher der Klägerin oblegen, die Beklagte auf eine Divergenz im Datenmaterial hinzuweisen und auf eine Klärung zu dringen. Die Klägerin hat eine entsprechende Rüge damals nicht erhoben und ist daher im gerichtlichen Verfahren mit diesem Einwand ausgeschlossen.

 

cc. Dem lässt sich nicht entgegenhalten, eine verspätete Rüge sei wegen der Pflicht der Beklagten, den maßgeblichen Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln, unerheblich.

 

Der Senat kann offenlassen, in welchem Umfang für Schiedsstellen und -ämter der Amtsermittlungsgrundsatz nach § 20 SGB X gilt, wenn ihre Entscheidungen Verwaltungsakte i.S.v. § 31 SGB X darstellen (vgl. hierzu Düring/Schnapp, a.a.O., Rn. 146). Teilweise ist dieser Grundsatz bereits durch die einschlägige Schiedsstellenverordnung eingeschränkt (Clemens MedR 2012, 769). Bezüglich der Schiedsstelle nach § 130b Abs. 5 SGB V könnte für eine begrenzte Pflicht zur Amtsermittlung sprechen, dass ihr für die Festsetzung des Festbetrags nur eine Frist von drei Monaten eingeräumt ist (§ 130b Abs. 4 Satz 1 SGB V) und ihre Geschäftsstelle – so die Angaben ihres Vorsitzenden in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat – nur mit zwei (weiteren) Personen ausgestattet ist. Beides setzt einer (grundsätzlich umfassend zu verstehenden) Amtsermittlungspflicht, insbesondere bei mehreren zeitgleich zu führenden Schiedsverfahren, gewisse Grenzen. Dies korrespondiert mit den ausdrücklich geregelten Vorlagepflichten der am Schiedsverfahren Beteiligten gemäß § 7 der auf § 129 Abs. 10 Satz 2 i.V.m. § 130b Abs. 6 Satz 5 beruhenden Schiedsstellenverordnung bzw. gemäß § 16 Abs. 1 der auf § 130b Abs. 6 Satz 1 SGB V beruhenden Geschäftsordnung der Beklagten.

 

Im vorliegenden Fall bestand nach Ansicht des Senats für die Beklagte im Rahmen ihrer mündlichen Verhandlung kein Anlass, den Sachverhalt und insbesondere die im Vorfeld divergierenden Angaben zu den Jahrestherapiekosten von Clift näher aufzuklären. Denn in ihrer PowerPoint-Präsentation zu Beginn der Schiedsverhandlung am 4. Juni 2018 erwähnte die Klägerin – abweichend von ihrem vorangegangenen schriftlichen Vorbringen – als Jahrestherapiekosten für Clift nur noch einen Betrag (8.979,21 €), der mit dem geringeren der vom Beigeladenen zu 1 im Vorfeld schriftlich angegebenen Beträge (8.979,18 €) nahezu identisch war. Angesichts dessen durfte die Beklagte davon ausgehen, dass die Klägerseite nunmehr ebenfalls diesen Betrag als die günstigsten Jahrestherapiekosten von Clift ansieht. Ein Widerspruch zwischen dem Vorbringen der Klägerin und dem des Beigeladenen zu 1) war aus Sicht der Beklagten nicht mehr auszuräumen.

 

III. Erweist sich der angefochtene Schiedsspruch danach in jeder Hinsicht rechtmäßig, kommt auch die begehrte Verurteilung der Beklagten zur Neubescheidung nicht in Betracht.

C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 SGG in Verbindung mit §§ 154 Abs. 1, 154 Abs. 3, 162 Abs. 3 der Verwaltungsgerichtsordnung.

 

Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).

 

 

Rechtskraft
Aus
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