L 19 AS 1506/20

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
19
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 59 AS 10533/19
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 19 AS 1506/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

Belehrt das Sozialgericht im Gerichtbescheid unzutreffend über die Berufung als statthaftes Rechtsmittel, ist ein Antrag auf mündliche Verhandlung grundsätzlich unbefristet möglich. Der Beschwerdewert ist auch im Zugunstenverfahren nach § 44 SGB X nach dem mit der Berufung sachlich verfolgten Ziel, dem materiellen Kern des Verfahrens zu bestimmen

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialge­richts Berlin vom 7. Oktober 2020 wird verworfen.

 

Außergerichtliche Kosten sind im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

 

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

 

Der Senat verwirft die Berufung nach § 158 Satz 1 und Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Beschluss als unzulässig, nachdem die Beteiligten hierzu mit gerichtlichem Schreiben vom 30. November 2021 gehört worden sind. Die Berufung ist nicht statthaft.

 

1. Einer Entscheidung durch Beschluss steht nicht entgegen, dass sich die Berufung gegen einen Gerichtsbescheid richtet (Landessozialgericht [LSG] Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24. September 2018 – L 18 AS 1084/18 –, Rn. 10 in juris; vgl. in diesem Zusammenhang auch Bundessozialgericht [BSG], Beschluss vom 8. November 2005 – B 1 KR 76/05 B = SozR 4-1500 § 158 Nr 2). Denn ein Beschluss nach § 158 Satz 2 SGG darf auf Rechtsmittel gegen Gerichtsbescheide dann ergehen, wenn nach Erlass des Gerichtsbescheides ein Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt werden kann (vgl. BSG, Beschluss vom 12. Juli 2012 – B 14 AS 31/12 B; Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leith­erer/Schmidt, SGG, 13. Auflage 2020, § 158 Rn. 6 m. w. N.).

 

So liegen die Dinge hier. Der Kläger hat die durch Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Europäische Menschenrechtskonvention verbürgte Möglichkeit, beim Sozialgericht einen Antrag auf mündliche Verhandlung nach § 105 Abs. 2 Satz 2 SGG zu stellen. Angesichts der unzutreffenden Rechtsmittelbelehrung des Sozialgerichts ist ein grundsätzlich unbefristetes Einlegen des Rechtsbehelf möglich, weil die Belehrung anstelle des statthaften Rechtsbehelfs bzw. Rechtsmittels (hier: Nichtzulassungsbeschwerde oder Antrag auf mündliche Verhandlung) ein anderes fristge­bundenes Rechtsmittel (hier: Berufung) nennt (nicht unstr., vgl. aber BSG, Urteil vom 14. Dezember 2006 – B 4 R 19/06 R = SozR 4-3250 § 14 Nr. 3; Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leith­erer/Schmidt, SGG, 13. Auflage 2020, § 67 Rn. 13d m. w. N.). Ein solcher Fall wird von § 66 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 Alt. 2 SGG erfasst, denn das Gericht hält den Betreffenden durch die (fehlerhafte) Belehrung von einer eigenen Prüfung ab und vermittelt mit dem Hinweis auf ein unstatthaftes Rechtsmittel den Eindruck, das statthafte Rechtsmittel sei gerade nicht gegeben.

 

2. Die Berufung ist vorliegend nicht statthaft. Der nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG erforderliche Streitwert von mehr als 750,00 Euro wird nicht erreicht.

 

Der Wert des Beschwerdegegenstandes richtet sich danach, was das Sozialgericht dem Rechtsmittelkläger versagt hat und was er davon mit seinen Berufungsanträgen weiterverfolgt (BSG, Beschluss vom 19. Mai 2021 – B 14 AS 389/20 B –, juris). Der Berufungsstreitwert beträgt vorliegend 183,42 Euro. Streitig ist im Zugunstenverfahren nach § 44 Sozialgesetzbuch, Zehntes Buch – Sozialver­waltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) die Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 20. Februar 2019, mit dem der Beklagte vom Kläger für die Zeit von November 2018 bis Januar 2019 insgesamt 183,42 Euro erstattet fordert. Auch wenn Gegenstand der angefochtenen Bescheide (Bescheid vom 1. Oktober 2019 und Widerspruchsbescheid W 4065/19 vom 24. Oktober 2019) die Überprüfung dieses Erstattungsbescheides ist, ist der Streitwert nach dem zu überprüfenden Bescheid zu bestimmen. Entscheidend ist der materielle Kern des Verfahrens, also das mit der Klage bzw. der Berufung sachlich verfolgte Ziel (BSG, Urteil vom 30. Juni 2021 – B 4 AS 70/20 R –, Rn. 16 in juris). Ziel des Klägers ist jedoch die Beseitigung der Erstattungsforderung, nicht die schlichte Überprüfung des Erstattungsbescheides. Leistungen für mehr als ein Jahr (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG) sind ebenfalls nicht im Streit, denn es sind Erstattungsforderungen für drei Monate (November 2018 bis Januar 2019) betroffen.

 

Das Sozialgericht hat die Berufung auch nicht ausdrücklich zugelassen (§ 144 Abs. 1 Satz 1 SGG). Die unzutreffende Rechtsmittelbelehrung der ange­fochtenen Entscheidung führt schließlich ebenfalls nicht zur Zulässigkeit der Berufung, weil sie nicht als Zulassungsentscheidung zu verstehen ist (vgl. BSG, Urteil vom 20. Mai 2003, B 1 KR 25/01 R = SozR 4-1500 § 158 Nr. 1; Sächsisches LSG, Beschluss vom 14. Mai 2012, L 3 AS 1139/11 B PKH, juris).

 

3. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183 und 193 SGG.

 

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.

 

Rechtskraft
Aus
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