L 8 R 2382/21

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8.
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 6 R 3311/20
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 R 2382/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Nach § 149 Abs. 5 SGB VI festgestellte bzw. vorgemerkte Anrechnungszeiten bei schulischer Ausbildung, welche die Höchstdauer von 8 Jahren übersteigen, sind bei der Feststellung einer Rente zu beachten, soweit die Vormerkung nicht aufgehoben wird. Denn nach der neueren Rechtsprechung des BSG ist die Höchstdauerbegrenzung schon Teil der Begriffsdefinition der Anrechnungszeit und regelt nicht lediglich deren Anrechnung und Bewertung (BSG, Urteil vom 02.03.2010 – B 5 KN 1/07 R; anders noch die ständige Rechtsprechung des 4. Senates des BSG, etwa Urteil vom 24.10.1996 – 4 RA 108/95). Die Aufhebung einer solchen Vormerkung ist daher abgesehen von den in § 149 Abs. 5 Satz 2 SGB VI geregelten Fällen nur unter den Voraussetzungen des § 45 SGB X möglich (hier jedenfalls wegen Ermessensausfalls verneint).
2. Die Anrechnungszeiten sind in ihrem jeweils vorgemerkten Umfang auch bei der Gesamtleistungsbewertung dahingehend zu berücksichtigen, dass sie die Zahl der belegungsfähigen Kalendermonate nach § 72 Abs. 3 Nr. 1 SGB VI verringern. Die Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 02.03.2010 – B 5 KN 1/07 R) steht dem wegen des auch bindenden zeitlichen Umfangs der Vormerkung nicht entgegen.
3. Der Versicherungsverlauf in einem Rentenbescheid ist nur ein Begründungselement (§ 35 SGB X) des in dem Rentenbescheid verlautbarten Verwaltungsakts über die Rentenhöhe und beinhaltet keinen mit einer Feststellung nach § 149 Abs. 5 SGB VI vergleichbaren eigenständigen Verwaltungsakt.

 

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 11.06.2021 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat auch die außergerichtlichen Kosten des Klägers im Berufungsverfahren zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Höhe der Altersrente des Klägers und hier um die Aufhebung bzw. Anrechnung von vorgemerkten Zeiten der Fach- bzw. Hochschulausbildung.

Der 1954 geborene Kläger studierte nach dem Abitur ab dem 01.04.1975 bis zum 31.03.1979 an der Mhochschule K. Danach besuchte er in der Zeit vom 17.09.1979 bis zum 30.09.1980 das Seminar für Anthroposophie (H-Kolleg). In der Zeit ab dem 01.10.1980 bis zum 25.06.1982 absolvierte er sodann am Freien Pädagogischen Zentrum in M1 eine Ausbildung zum Waldorflehrer. In den Jahren 1983 und 1984 arbeitete er in S. Ab dem 01.04.1985 studierte er Psychologie an der Universität H1, legte dort am 29.04.1991 die entsprechende Diplom-Hauptprüfung ab und wurde daher zum 24.07.1991 exmatrikuliert. Er war sodann vom 01.10.1992 bis 31.07.2000 in der gesetzlichen Rentenversicherung pflichtversichert beschäftigt.

Der Kläger beantragte, vertreten durch seinen damaligen Bevollmächtigten, am 18.08.2018 die Klärung seines Versicherungskontos sowie die Erteilung einer Rentenauskunft.

Mit Bescheid vom 17.09.2018 stellte die Beklagte daher die Zeiten bis 31.12.2011 verbindlich fest. In dem Versicherungsverlauf berücksichtigte sie dabei folgende Daten, die für die Feststellung und Erbringung von Leistungen erheblich seien:

16.12.1971 bis 30.11.1974 Schulausbildung
01.12.1974 bis 31.03.1975 Schulausbildung
01.04.1975 bis 31.03.1979 Hochschulausbildung
17.09.1979 bis 15.12.1979 Fachschulausbildung
16.12.1979 bis 30.04.1980 Fachschulausbildung
01.05.1980 bis 30.09.1980 Fachschulausbildung
01.10.1980 bis 25.06.1982 Fachschulausbildung
01.04.1985 bis 29.04.1991 Hochschulausbildung
sowie Pflichtbeitragszeiten ab 01.10.1992 bis 31.07.2000.

Die Zeit vom 01.04.1979 bis 16.09.1979 könne nicht als Anrechnungszeit vorgemerkt werden, weil die nachfolgende Ausbildung nicht rechtzeitig begonnen worden sei. Die Zeit vom 30.04.1991 bis 24.07.1991 könne nicht als Anrechnungszeit vorgemerkt werden, da sie nach Ablegung der Abschlussprüfung zurückgelegt worden sei.

Der damalige Bevollmächtigte des Klägers legte für diesen Widerspruch ein, nahm ihn nach der erbetenen Erteilung einer Rentenauskunft aber wieder zurück.

Der Kläger beantragte, vertreten durch seinen Bevollmächtigten, am 25.05.2020 Regelaltersrente und bat um Erteilung eines Bescheides mit sämtlichen der Berechnung zugrundeliegenden Anlagen, insbesondere hinsichtlich Entgeltpunkten für Beitragszeiten und für beitragsfreie Zeiten.

Mit Bescheid vom 17.06.2020 bewilligte die Beklagte dem Kläger ab dem 01.09.2020 Regelaltersrente in Höhe von 402,80 € monatlich (zuzüglich eines Zuschusses zum Krankenversicherungsbeitrag) zunächst als vorläufige Leistung alleine nach den deutschen Versicherungszeiten. Sie ging dabei von 11,7811 persönlichen Entgeltpunkten (pEP) aus. Im Versicherungsverlauf berücksichtigte sie Zeiten vom

16.12.1971 bis 30.11.1974 (36 Monate) Schulausbildung
01.12.1974 bis 31.03.1975 (4 Monate)   Schulausbildung
01.04.1975 bis 31.03.1979 (48 Monate) Hochschulausbildung
17.09.1979 bis 15.12.1979 (4 Monate)   Fachschulausbildung
16.12.1979 bis 30.04.1980 (4 Monate)   Fachschulausbildung 
und sodann die Pflichtbeitragszeiten ab 01.10.1992.

Unter „Aufhebungsentscheidungen und Abänderungsentscheidungen“ führte die Beklagte aus, dass die Zeit vom 01.05.1980 bis zum 25.06.1982 und vom 01.04.1985 bis zum 29.04.1991 nicht als Anrechnungszeit wegen schulischer Ausbildung berücksichtigt werden könne, weil diese Zeit der Ausbildung die berücksichtigungsfähige Höchstdauer überschreite. Der bisherige Bescheid über die Feststellung dieser Zeiten werde insoweit ab Rentenbeginn aufgehoben.

Der Kläger legte hiergegen, vertreten durch seinen Bevollmächtigten, am 08.07.2020 Widerspruch ein. Der Bescheid sei mangels Übersendung der ausdrücklich angeforderten Anlagen „Entgeltpunkte für Beitragszeiten" und „Entgeltpunkte für beitragsfreie und beitragsgeminderte Zeiten" nicht hinreichend begründet. Außerdem sei die Aufhebungsentscheidung im Rentenbescheid hinsichtlich der Begrenzung der Ausbildungs-Anrechnungszeiten rechtswidrig, da das Datum des aufgehobenen Bescheides nicht benannt worden sei. Im Übrigen seien bei der Bewertung von Ausbildungs-Anrechnungszeiten gemäß § 74 SGB VI vorrangig Zeiten der Fachschulausbildung zu berücksichtigen; die Regelung des § 122 Abs. 3 SGB VI sei nicht anzuwenden. Dabei sei insbesondere die vom 01.05.1980 bis zum 25.06.1982 absolvierte Fachschulausbildung zu berücksichtigen und zu bewerten. Die berücksichtigungsfähige Höchstdauer sei nicht überschritten. Der im Kontext der Gesamtleistungsbewertung normierte Vorrang der Bewertung einer Fachschulausbildung nach § 74 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 SGB VI sei als lex specialis zu § 122 Abs. 3 SGB VI auch im Rahmen der Bestimmung der Anrechnungshöchstdauer nach § 58 Abs.1 Satz 1 Nr. 4 SGB VI analog in der Weise anzuwenden, dass Zeiten des Fachhochschulbesuchs vorrangig vorzumerken seien. Dafür spreche der eindeutige Wille des Gesetzgebers, eine absolvierte Fachschulausbildung im Umfang von maximal drei Jahren gegenüber akademischer Ausbildung zu privilegieren. Zudem läge in der Nichtberücksichtigung der Fachschulausbildung im vorliegenden Fall eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG). Sofern ein Versicherter dieselben Ausbildungsstationen wie der Kläger absolviert und hierbei lediglich eine andere zeitliche Reihenfolge in der Form gewählt hätte, dass er nach dem Abitur mit der Fachschulausbildung begonnen hätte, wären bei ihm 34 Monate als Anrechnungszeit wegen Fachschulausbildung berücksichtigungs- und in der Folge bewertungsfähig, während es bei dem Kläger bei wortlautgetreuer Gesetzesanwendung nur acht Monate seien. Diese Ungleichbehandlung sei nicht durch hinreichende sachliche Gründe zu rechtfertigen.

Mit Schreiben vom 30.07.2020 übersandte die Beklagte dem Bevollmächtigten noch die Anlagen „Entgeltpunkte für Beitragszeiten“ und „Entgeltpunkte für beitragsfreie und beitragsgeminderte Zeiten“ zu dem Rentenbescheid.

Mit Bescheid vom 05.08.2020 stellte die Beklagte den Anspruch auf Regelaltersrente ab dem 01.09.2020 endgültig in Höhe von 404,03 € monatlich fest. Sie berechnete dabei die Rente unter Berücksichtigung von schwedischen Versicherungszeiten als anteilige Leistung im Wege der zwischenstaatlichen Berechnung mit 11,8171 pEP, da diese günstiger sei als die rein innerstaatliche Berechnung. In dem Versicherungsverlauf waren die Zeiten vom 01.05.1980 bis zum 25.06.1982 als Fachschulausbildung und vom 01.04.1985 bis zum 29.04.1991 als Hochschulausbildung wieder enthalten. Die Beklagte bewertete in der Rentenberechnung als beitragsfreie Zeiten im Rahmen der Gesamtleistungsbewertung wie bereits zuvor nur Zeiten der Fachschulausbildung vom 17.09.1979 bis 30.04.1980 (8 Monate). Anrechnungszeiten wegen Schul- oder Hochschulausbildung seien nicht zu bewerten. Im Rahmen der Gesamtleistungsbewertung setzte die Beklagte auch hier bei den belegungsfähigen Kalendermonaten 96 Monate an beitragsfreien Zeiten ab. Der Bescheid werde Gegenstand des Widerspruchsverfahrens.

Mit Widerspruchsbescheid vom 22.10.2020 wies die Beklagte den Widerspruch zurück und entschied, dass die im Widerspruchsverfahren entstandenen Aufwendungen nicht zu erstatten seien. Nach Übersendung der gewünschten Bescheidanlagen sei keine weitere Begründung des Widerspruches erfolgt. Der angefochtene Rentenbescheid vom 17.06.2020 sei nicht zu beanstanden. Die in dem Bescheid getroffene Aufhebungsentscheidung für die Zeit vom 01.05.1980 bis zum 25.06.1982 und vom 01.04.1985 bis zum 29.04.1991 sei hinreichend bestimmt. Es sei hierfür nicht zwingend erforderlich, das Datum des Feststellungsbescheides zu nennen. Auch in der Sache sei die Aufhebung zu Recht erfolgt. Zeiten einer Schul-, Fachschul-, Hochschulausbildung oder berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen seien nach dem SGB VI nur bis zu einer Höchstdauer von insgesamt acht Jahren als Anrechnungszeit zu berücksichtigen. Mit den Zeiten vom 16.12.1971 bis zum 30.04.1980 seien bereits acht Jahre als Anrechnungszeiten berücksichtigt. Auch die Nichtberücksichtigung der weiteren Fachschulausbildung sei nicht zu beanstanden. § 122 Abs. 3 SGB VI sehe eine chronologische Berücksichtigung der Zeiten ausgehend von den zeitlich am weitesten zurückliegenden Zeiten vor. Der Gesetzgeber habe bewusst davon abgesehen, die in § 74 Satz 3 SB VI normierte vorrangige Bewertung von Fachschulzeiten auf die Anrechnungszeiten wegen schulischer Ausbildung im Sinne des § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB VI zu übertragen. Auch liege keine Ungleichbehandlung vor.

Der Kläger hat, vertreten durch seinen Bevollmächtigten, am 06.11.2020 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben, da die Zeit der Fachschulausbildung vom 01.05.1980 bis 25.06.1982 als nach § 74 SGB VI bewertete Anrechnungszeit und die Zeit der Hochschulausbildung vom 01.04.1985 bis 29.04.1991 als unbewertete Anrechnungszeit bei der Rentenberechnung zu berücksichtigen seien. Die Aufhebungsentscheidung sei nicht hinreichend bestimmt, da konkret anzugeben sei, welche Verwaltungsakte aufgehoben würden. Dem Adressaten des Bescheides sei insoweit nicht zumutbar, den Gegenstand der Aufhebung selbst zu bestimmen. Hilfsweise sei die Fachschulausbildung aus den bereits im Widerspruch dargelegten Gründen vollständig zu bewerten. Die Anwendung des § 122 SGB VI im Rahmen des § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB VI bzw. die sich aufdrängende analoge Anwendung von § 74 Satz 3 SGB V sei in der Rechtsprechung des BSG auch noch nicht geklärt.

Die Beklagte ist der Klage unter Verweis auf den Widerspruchsbescheid entgegengetreten.

Mit Urteil vom 11.06.2021 hat das SG die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 17.06.2020 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 05.08.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.10.2020 verurteilt, dem Kläger ab dem 01.09.2020 eine höhere Altersrente unter Berücksichtigung einer Fachschulausbildung vom 01.05.1980 bis zum 25.06.1982 als nach § 74 SGB VI bewerteter Anrechnungszeit und einer Hochschulausbildung vom 01.04.1985 bis zum 29.04.1991 als unbewerteter Anrechnungszeit zu gewähren. Die Klage sei zulässig und auch begründet, soweit sich der Kläger gegen die Aufhebung der Feststellung rentenrechtlicher Zeiten ab dem 01.05.1980 wende. Als Rechtsgrundlage für die Aufhebung des Bescheides vom 17.09.2018 über die Vormerkung der entsprechenden Zeiten komme nur § 45 SGB X in Betracht, da der die Anrechnungszeiten regelnde § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB VI seit Erlass des Vormerkungsbescheides nicht geändert worden sei und § 149 Abs. 5 Satz 2 SGB VI daher nicht anzuwenden sei. Die von den Beteiligten aufgeworfenen Fragen könne das Gericht dahingestellt bleiben lassen. Denn die Voraussetzungen des § 45 SGB X seien wegen eines Ermessensausfalls der Beklagten nicht erfüllt. Daneben sei die Klage auch zulässig und begründet, soweit der Kläger die Berücksichtigung der ab dem 01.05.1980 festgestellten Zeiten begehre. Denn der Kläger könne sich insoweit auf den Vormerkungsbescheid stützen.

Die Beklagte hat gegen das ihr am 25.06.2021 zugestellte Urteil am 21.07.2021 Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt. Entgegen dem SG scheide eine Rücknahme des Vormerkungsbescheides vom 17.09.2018 nach § 45 SGB X schon deshalb aus, weil dieser Vormerkungsbescheid keinen rechtswidrigen Verwaltungsakt darstelle. Vielmehr sei die Beklagte zur Vormerkung der in diesem Bescheid enthaltenen Schul-und Hochschulzeiten nach ständiger Rechtsprechung des BSG verpflichtet gewesen. Nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 30.03.2004 — B 4 RA 46/02 R) seien Verwaltungsakte über die Vormerkung von schulischen Ausbildungszeiten erst im Leistungsfall unabhängig von einer Änderung der dem Bescheid zugrundeliegenden Vorschriften aufzuheben, wenn vorgemerkte Zeiträume die Höchstdauer von acht Jahren nach § 58 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB VI überschritten. Nach § 149 Abs. 1 SGB VI seien im Versicherungskonto die Daten, die für die Durchführung der Versicherung sowie die Feststellung und Erbringung von Leistungen einschließlich der Rentenauskunft erforderlich seien, zu speichern. Hierzu gehörten auch Zeiten der schulischen Ausbildung im Sinne von § 58 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB VI unter Außerachtlassung der Höchstdauer von acht Jahren für Anrechnungszeiten wegen schulischer Ausbildung. Erst bei der Auswertung der im Versicherungskonto gespeicherten Daten ergäben sich die für die Höchstdauer maßgeblichen Zeiträume. Erst im Leistungsfall, wenn alle bis dahin zurückgelegten Daten vorlägen, könne verbindlich entschieden werden, welche Zeiten, die nur bis zu einer Höchstdauer zu berücksichtigen seien, chronologisch zuerst zurückgelegt und daher zunächst zu berücksichtigen seien. Zum Zeitpunkt der Vormerkung könne nicht gesagt werden, welche schulischen Ausbildungszeiten die Höchstdauer einhalten oder überschreiten würden, so dass die Beklagte alle derartigen Zeiträume vormerken müsse, zumal die Zeiten von dem Versicherten im Kontenklärungsverfahren auch nicht zwingend in chronologischer Reihenfolge geltend gemacht werden müssten. Nach der Rechtsprechung des 4. Senates des BSG handele es sich bei der Höchstdauer um eine Frage der Anrechnung bzw. Bewertung der Zeiten, über die erst bei Feststellung einer Leistung entschieden werden dürfe. Das Urteil des 5. Senates des BSG vom 02.03.2010 in dem Verfahren B 5 KN 1/07 R ändere daran nach dem dortigen Vorlagebeschluss vom 25.11.2008 nichts. Da der Vormerkungsbescheid danach rechtmäßig sei, könne auch die Auffassung vertreten werden, dass eine Aufhebung überhaupt nicht erforderlich sei. Dann wäre die Rente ohne Weiteres nach den geltenden materiell-rechtlichen Vorschriften zu berechnen. Im Leistungsfall verlange das BSG aber eine Aufhebung der Vormerkung. Seit Erteilung des Vormerkungsbescheides sei zwar keine Rechtsänderung zur Höchstdauer des § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB VI erfolgt. Dies sei aber auch in dem Sachverhalt, den das BSG in seinem Urteil vom 30.03.2004 (B 4 RA 46/02 R) entschieden habe, nicht der Fall gewesen. Die rechtliche Grundlage für die von dem BSG geforderte Aufhebung unabhängig von einer Rechtsänderung bestehe daher in § 149 Abs. 5 Satz 2 und 3 SGB VI in Verbindung mit dem Urteil des BSG vom 30.03.2004 (B 4 RA 46/02 R). Die Beklagte sei der Rechtsprechung des BSG gefolgt und habe die über der Höchstdauer von 8 Jahren bzw. 96 Monaten liegenden Anrechnungszeiten zunächst im Vormerkungsbescheid festgestellt und später in dem angefochtenen Rentenbescheid aufgehoben. Aus den im Vormerkungsbescheid festgestellten Daten sei daher kein Recht des Klägers auf eine unbegrenzte Berücksichtigung schulischer Ausbildungsanrechnungszeiten bei seiner Rentenberechnung zu erkennen.

 

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 11.06.2021 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

 

Der Kläger beantragt,

die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 11.06.2021 zurückzuweisen.

Er hält das Urteil des SG für zutreffend. Der zeitliche Umfang der Anrechnungszeiten bei schulischer Ausbildung sei gemäß der Rechtsprechung des 13. Senates des BSG verbindlich festgestellt worden. Der Kläger habe daher davon ausgehen dürfen, dass diese Zeiten entsprechend im Leistungsfall berücksichtigt würden, solange der Vormerkungsbescheid wirksam und insbesondere nicht aufgehoben worden sei. § 149 Abs. 5 SGB VI i.V.m. dem Urteil des BSG vom 30.03.2004 (B 4 RA 46/02 R) stelle keine Rechtsgrundlage für die Aufhebung des Vormerkungsbescheides dar, zumal die dortige Aufhebungsentscheidung schon mangels Bestimmtheit rechtswidrig gewesen sei. Das BSG habe vielmehr auch dort auf den hier bei fehlender zwischenzeitlicher Rechtsänderung unstreitig nicht erfüllten § 149 Abs. 5 Satz 2 SGB VI sowie auf die §§ 44 bis 48 SGB X verwiesen. Die hier angefochtene Aufhebung könne mangels Änderung der Verhältnisse nicht nach § 48 SGB X und schon mangels Ermessensausübung nicht auf § 45 SGB X gestützt werden. Hilfsweise werde an den Ausführungen zur Unbestimmtheit der Aufhebungsentscheidung vom 17.06.2020, der rechtlich zwingenden Berücksichtigung der in der Zeit vom 01.05.1980 bis 25.06.1982 absolvierten Fachschulausbildung sowie der (teilweisen) Auferlegung der Kosten des Widerspruchsverfahrens auf die Beklagte infolge der nachträglichen Heilung eines Begründungsmangels festgehalten.

Die Beklagte hat auf Nachfrage des Senats noch mitgeteilt, dass seit dem 05.08.2020 keine Änderungsbescheide ergangen seien, und hat eine auszugsweise Fiktivberechnung der Rente unter Berücksichtigung der streitigen Zeiten vom 01.05.1980 bis 25.06.1982 und 01.04.1985 bis 29.04.1991 vorgelegt. Daraus ergab sich für die Altersrente ab dem 01.09.2020 ein Betrag von 430,56 € monatlich.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte dieses Verfahrens sowie des erstinstanzlichen Verfahrens und auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

Die nach § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist gemäß §§ 143, 144 SGG auch im Übrigen zulässig.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet, weil der Bescheid vom 17.06.2020 in der Gestalt des die Rente endgültig feststellenden Bescheides vom 05.08.2020 (§ 86 SGG) und des Widerspruchsbescheides vom 22.10.2020 (§ 95 SGG) insoweit rechtswidrig ist, als die Zeiten der Fachschulausbildung vom 01.05.1980 bis 25.06.1982 entgegen dem Bescheid als Anrechnungszeit zu bewerten sind und daneben auch die Zeiten der Hochschulausbildung vom 01.04.1985 bis 29.04.1991 als unbewertete Anrechnungszeit im Rahmen der Berechnung der belegungsfähigen Kalendermonate für die Gesamtleistungsbewertung zu berücksichtigen sind. Dem Kläger ist daher ab dem 01.09.2020 eine entsprechend höhere Regelaltersrente zu gewähren. Die zulässige Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 4 SGG) war daher begründet. Das angefochtene Urteil des SG ist damit im Ergebnis nicht zu beanstanden.

Vorliegend ist zum einen der die Rentenhöhe bzw. den Monatsbetrag der Rente nach § 64 SGB VI regelnde Verwaltungsakt in dem Rentenbescheid angefochten (vgl. BSG, Urteil vom 14.12.2011 – B 5 R 36/11 R –, in juris; vgl. zu den gesonderten Verfügungssätzen hinsichtlich Rentenart, Rentenhöhe und Dauer der Rente LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 12.11.2009 – L 10 R 5738/07 –, in juris; Mey, SGb 2013, 332, 333). Dieser Verwaltungsakt ist durch den Bescheid vom 05.08.2020 abgeändert worden (§ 86 SGG), da die Leistung darin nicht mehr vorläufig, sondern nach der für den Kläger günstigeren zwischenstaatlichen Berechnung endgültig mit einem höheren Rentenbetrag gewährt wurde (Art. 52 Abs. 1 und 3 Verordnung (EG) Nr. 883/2004 sowie Art. 50 Verordnung (EG) Nr. 987/2009). Die Anfechtungsklage richtet sich zum anderen auch gegen den in dem Bescheid vom 17.06.2020 enthaltenen Verwaltungsakt, mit dem die Vormerkung der Anrechnungszeiten vom 01.05.1980 bis 25.06.1982 sowie vom 01.04.1985 bis 29.04.1991 aufgehoben wurde. Beide Verwaltungsakte sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten.

Der Kläger hat aufgrund seines im Mai 2020 gestellten Antrages ab dem 01.09.2020 einen Anspruch gegen die Beklagte auf Regelaltersrente nach § 34 Abs. 1 SGB VI i.V.m. § 235 Satz 1 SGB VI. Denn er ist bei der Beklagten gesetzlich rentenversichert und erfüllt ausweislich seines Versicherungsverlaufes die allgemeine Mindestversicherungszeit (Wartezeit) von 5 Jahren bzw. 60 Kalendermonaten (§ 122 Abs. 2 Satz 1 SGB VI) an Beitragszeiten (§§ 50 Abs. 1, 51 Abs. 1, 54 Abs. 1 Nr. 1, 55 Abs. 1 SGB VI). Ausgehend von seinem Geburtsdatum 1954 hat er die für seinen Geburtsjahrgang nach § 235 Abs. 2 Satz 2 SGB VI auf 65 Jahre und 8 Monate angehobene Regelaltersgrenze ab dem 15.08.2020 erreicht (§§ 99 Abs. 1, 115 Abs. 1 SGB VI). Hierüber besteht auch kein Streit.

Ausgehend von der wirksamen (§ 39 SGB X) und bindenden (§ 77 SGG) Vormerkung der hier streitigen Zeiten durch Verwaltungsakt ist die Regelung des Monatsbetrages der Rente in dem Bescheid vom 17.06.2020 bzw. jetzt vom 05.08.2020 jedoch zum Nachteil des Klägers rechtswidrig (vgl. zu der entsprechenden Wirkung der Vormerkung BSG, Urteil vom 30.03.2004 – B 4 RA 36/02 R –, in juris; BSG, Urteil vom 19.04.2011 –  B 13 R 79/09 R –, in juris; Schaer, jurisPR-SozR 7/2015 Anm. 2).

Der Monatsbetrag der Rente ergibt sich nach § 64 SGB VI durch (Nr. 1) die Multiplikation der unter Berücksichtigung des Zugangsfaktors ermittelten pEP, (Nr. 2) des Rentenartfaktors und (Nr. 3) des aktuellen Rentenwerts, wobei der Wert dieser Faktoren bei Beginn der Rente zugrunde zu legen ist. Hinsichtlich des Rentenartfaktors der Altersrente von 1,0 und des bei Rentenbeginn aktuellen Rentenwerts von 34,19 € wird auf den angefochtenen Bescheid vom 17.06.2020 bzw. 05.08.2020 Bezug genommen (§ 136 Abs. 3 SGG). Die von der Beklagten unter Berücksichtigung des Zugangsfaktors der Regelaltersrente des Klägers von 1,0 (§ 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB VI) zuletzt ermittelten 11,8171 pEP (§ 66 SGB VI) sind im Hinblick auf die von dem Kläger ausschließlich beanstandete (vgl. dazu BSG, Urteil vom 02.03.2010 – B 5 KN 1/07 R –, in juris) Ermittlung der pEP für beitragsfreie Zeiten jedoch zu gering bemessen. Für die Art und Weise der Ermittlung der pEP bei zwischenstaatlicher Berechnung und der Gesamtleistungsbewertung gemäß der dem Kläger günstigeren Grundbewertung (§§ 71, 72 SGB VI sowie Art. 52 Abs. 1 und 3 Verordnung (EG) Nr. 883/2004) verweist der Senat auf die Begründung des Bescheides vom 05.08.2020 und sieht von einer eigenen Darstellung ab (§ 136 Abs. 3 SGG).

Unter Berücksichtigung den in dem Bescheid vom 17.06.2018 zusätzlich vorgemerkten streitigen Anrechnungszeiten wegen Schul-, Fachschul-, und Hochschulausbildung ergibt sich mit der für die von dem SG vorgenommenen Verurteilung dem Grunde nach (§ 130 Abs. 1 Satz 1 SGG) notwendigen Wahrscheinlichkeit (MKLS/Keller, SGG, 13. Aufl. 2020, § 130 Rn. 2c) ein höherer Monatsbetrag der Regelaltersrente, als er zuletzt in dem Bescheid vom 05.08.2020 festgesetzt wurde. Dies wird durch das Ergebnis der von der Beklagten zuletzt vorgelegten Fiktivberechnung mit 12,5933 pEP (bei der höheren zwischenstaatlichen Berechnung) bestätigt.

Auszugehen ist dabei von den Feststellungen in dem Vormerkungsbescheid vom 17.06.2018. Nach dem die Vormerkung rentenrechtlicher Zeiten regelnden § 149 Abs. 5 SGB VI gilt insoweit Folgendes: Hat der Versicherungsträger das Versicherungskonto geklärt oder hat der Versicherte innerhalb von sechs Kalendermonaten nach Versendung des Versicherungsverlaufs seinem Inhalt nicht widersprochen, stellt der Versicherungsträger die im Versicherungsverlauf enthaltenen und nicht bereits festgestellten Daten, die länger als sechs Kalenderjahre zurückliegen, durch Bescheid fest (Satz 1). Bei Änderung der dem Feststellungsbescheid zugrundeliegenden Vorschriften ist der Feststellungsbescheid durch einen neuen Feststellungsbescheid oder im Rentenbescheid mit Wirkung für die Vergangenheit aufzuheben; die §§ 24 und 48 des Zehnten Buches sind nicht anzuwenden (Satz 2). Über die Anrechnung und Bewertung der im Versicherungsverlauf enthaltenen Daten wird erst bei Feststellung einer Leistung entschieden (Satz 3).

Die Verpflichtung nach § 149 Abs. 5 Satz 1 SGB VI umfasst die tatbestandsmäßige Feststellung aller geklärten, länger als sechs Jahre zurückliegenden Beitrags-, Versicherungs-, Ersatz- und Ausfallzeiten. Festzustellen sind u.a. Umfang und Art der zurückgelegten rentenrechtlichen Zeiten (BSG, Urteil vom 21.10.2021 – B 5 R 23/21 R –, in juris m.w.N.). Dem darin liegenden Gebot der tatbestandsmäßigen Feststellung einer Beitrags-, Versicherungs-, Ersatz- oder Ausfallzeit steht das Verbot gegenüber, auch schon einen Teil der Rentenberechnung vor(weg)zunehmen (vgl. etwa BSG, Urteil vom 21.03.1991 – 4/1 RA 35/90 –, in juris), da über Anrechnung und Bewertung der Daten erst bei Feststellung der Rentenleistung zu entscheiden ist. Die Reichweite der Feststellung wurde dabei in der Rechtsprechung u.a. des früher für das Leistungsrecht der Rentenversicherung zuständig gewesenen 4. Senates des BSG so aufgefasst, dass etwa vorgemerkte Tatbestände von Ausbildungs-Anrechnungszeiten rechtserheblich sind und bindend bleiben, solange und soweit sie nicht durch Verwaltungsakt aufgehoben werden (vgl. Paulus, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VI, § 149 SGB VI Rn. 83 m.w.N. aus der Rechtsprechung des BSG; kritisch zu dem Urteil vom 30.03.2004 - B 4 RA 36/02 R: Wahl, jurisPR-SozR 12/2005 Anm. 4).

Der Zweck eines Vormerkungsbescheides besteht nach der ständigen Rechtsprechung des BSG darin, bereits im Vorfeld eines Leistungsfeststellungsverfahrens für den Fall einer zukünftigen Rentengewährung verbindlich Klarheit über das Vorliegen oder das Nichtvorliegen der tatbestandsmäßigen Voraussetzungen für die Berücksichtigung von rentenrechtlich relevanten Zeiten zu schaffen. Im Interesse der Versicherten wird hierdurch Klarheit über das Vorliegen oder Nichtvorliegen der tatbestandsmäßigen Voraussetzungen für die Berücksichtigung von Zeiten rentenversicherungsrechtlicher Relevanz nach dem aktuellen Rechtsstand geschaffen. Verbindlich festgestellt wird im Vormerkungsbescheid sowohl der Rechtscharakter der rentenrechtlichen Zeit als auch deren zeitlicher Umfang und damit, ob ein behaupteter Vorleistungstatbestand nach seinen tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen nach dem zum Zeitpunkt des Erlasses des Vormerkungsbescheides geltenden materiellen Recht erfüllt ist, sodass die Möglichkeit besteht, dass er rentenrechtlich relevant werden kann (BSG, Urteil vom 21.03.2018 – B 13 R 19/14 R –, in juris Rn. 22).

Die in dem Bescheid vom 17.06.2018 vorgemerkten Anrechnungszeiten ab dem 16.12.1971 bis 30.04.1980 und sodann ab dem 01.05.1980 bis 25.06.1982 und ab dem 01.04.1985 bis 29.04.1991 stellen Zeiten einer schulischen Ausbildung nach § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB VI dar. Dies umfasst Zeiten, in denen Versicherte nach dem vollendeten 17. Lebensjahr eine Schule, Fachschule oder Hochschule besucht oder an einer berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme im Sinne des Rechts der Arbeitsförderung teilgenommen haben (Zeiten einer schulischen Ausbildung), insgesamt jedoch höchstens bis zu acht Jahren. Die Höchstdauer von 8 Jahren bzw. 96 Monaten wären ausgehend von den ältesten Zeiten (vgl. § 122 Abs. 3 SGB VI; im Ergebnis offen gelassen von BSG, Urteil vom 02.03.2010 – B 5 KN 1/07 R –, in juris) mit dem 30.04.1980 erreicht. Die darüber hinausgehenden Zeiten ab dem 01.05.1980 wären damit materiellrechtlich nicht als Zeiten einer schulischen Ausbildung (bei im Falle des Klägers unstreitigem Fachschulbesuch sowie Hochschulbesuch) zu berücksichtigen. Diese zeitliche Begrenzung entsprach bereits zum Zeitpunkt der Vormerkung am 17.09.2018 der Rechtslage.

Die dennoch erfolgte Vormerkung dieser Zeiten ist aber nach Auffassung des erkennenden Senats nicht nur tatbestandlich als Anrechnungszeit wegen schulischer Ausbildung, sondern auch in ihrem zeitlichen Umfang verbindlich und daher zu beachten. Denn die Rechtsprechung des 4. Senates des BSG, wonach § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB VI geregelte Höchstdauer nur eine Anrechnungs- und Bewertungsvoraussetzung sei, ist von dem 5. Senat des BSG nach Übernahme der Zuständigkeit für die allgemeine Rentenversicherung zum 01.01.2008 und Anfrage bei dem 13. Senat aufgegeben worden. Die Höchstdauerbegrenzung ist danach Teil der Begriffsdefinition bzw. Tatbestandsvoraussetzung der Anrechnungszeit und regelt nicht lediglich deren Anrechnung und Bewertung (BSG, Urteil vom 02.03.2010 – B 5 KN 1/07 R –, in juris). Nach Auffassung des erkennenden Senates kann die Entscheidung des 5. Senates des BSG dabei nicht nur auf die (von dem BSG verneinte) Frage bezogen werden, ob bei der Gesamtleistungsbewertung die Anzahl der belegungsfähigen Monate auch um diejenigen Zeiten einer schulischen Ausbildung zu vermindern ist, die wegen Überschreitung der Höchstdauer gemäß § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB VI nicht als Anrechnungszeit zu berücksichtigen und zu bewerten sind. Hierfür könnten zwar die Ausführungen in dem Beschluss des BSG vom 25.11.2008 in dem Verfahren B 5 KN 1/07 R sprechen, wonach das Verbot der Festlegung einer Höchstdauer für Anrechnungszeiten im Rahmen sogenannter Vormerkungsverfahren nach § 149 Abs. 5 SGB VI nicht die durch den vorliegenden Fall aufgeworfene Frage betreffe (bei juris Rn. 34). Das BSG hat aber in seinem abschließenden Urteil in jenem Rechtsstreit allgemeine Ausführungen zum Umfang der Anrechnungszeiten nach § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB VI gemacht. Denn nach dem Urteil lässt bereits der Wortlaut des § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB VI erkennen, dass die Höchstdauerbegrenzung Teil der Begriffsdefinition der Anrechnungszeit ist und nicht zusätzlich die Berücksichtigung von tatbestandlich vorliegenden Anrechnungszeiten regeln sollte. Die Vorschrift unterscheidet sprachlich nicht zwischen dem Vorliegen des Tatbestandes der Anrechnungszeiten einer schulischen Ausbildung und der Frage ihrer Berücksichtigung, vielmehr schließt sich die zeitliche Begrenzung ohne Bruch an die ersten beiden Satzteile („Anrechnungszeiten sind Zeiten, in denen Versicherte …“) an und bezieht sich auf diese. In der Aussagequalität besteht kein Unterschied zwischen der in § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB VI vorgeschriebenen Höchstdauer und der Begrenzung auf den Zeitraum nach Vollendung des 17. Lebensjahres, welche allgemein als tatbestandliche Voraussetzung für das Vorliegen einer Anrechnungszeit angesehen wird (so BSG, Urteil vom 02.03.2010 – a.a.O. Rn. 20). Der zeitliche Umfang der so verstandenen Anrechnungszeit ist – wie bereits ausgeführt – auch Gegenstand der Vormerkung (vgl. BSG, Urteil vom 21.03.2018 – a.a.O.).

Es erscheint damit konsequent, dass auch Anrechnungszeiten bei schulischer Ausbildung, welche die Höchstdauer von 96 Monaten übersteigen, im Falle einer Vormerkung zu berücksichtigen sind, so lange die Vormerkung nicht aufgehoben wird. Der erkennende Senat übersieht dabei nicht, dass die Beklagte die Vormerkung hier entsprechend den Vorgaben der Rechtsprechung des 4. Senates des BSG vorgenommen hat, wonach die Anrechnungszeiten ohne Rücksicht auf die in § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB VI geregelte Höchstdauer komplett vorzumerken waren. Über ihre Anrechnung und Bewertung – wozu nach dieser Rechtsprechung auch das Überschreiten der Höchstdauer gehört hätte – wäre dann erst im Leistungsfall entschieden worden (vgl. BSG, Urteil vom 24.10.1996 – 4 RA 108/95 –, in juris). Nach der Rechtsprechung des jetzt alleine für Streitigkeiten aus der gesetzlichen Rentenversicherung zuständigen 5. Senates des BSG ist die Feststellung der Anrechnungszeiten in dem Vormerkungsbescheid aber auch im Hinblick auf deren Dauer als verbindlich zu betrachten. Dann erschiene es – ungeachtet der praktischen Schwierigkeiten, die die Beklagte nachvollziehbar dargelegt hat – konsequent, bereits bei der Vormerkung gemäß der aktuellen Rechtslage nicht mehr als 96 Monate an entsprechenden Zeiten zu berücksichtigen. Von der Notwendigkeit einer entsprechenden Aufhebung ist im Übrigen ausweislich der in dem Bescheid vom 17.06.2020 geregelten Aufhebungsentscheidung auch die Beklagte selbst ausgegangen. Vor diesem Hintergrund versteht sich auch die in der Literatur geäußerte kritische Anmerkung zu dem Urteil des BSG vom 30.03.2004 (B 4 RA 36/02 R), wonach die Rentenversicherungsträger nicht mehr für verpflichtet gehalten werden sollten, (Ausbildungs-)Zeiten in einem Umfang vorzumerken, der nach der Rechtslage bei Erlass des Vormerkungsbescheids nicht rentenrechtlich relevant ist (vgl. Wahl, jurisPR-SozR 12/2005 Anm. 4).

Nach § 74 Satz 3 SGB VI sind von den hier streitigen Zeiten im Rahmen der begrenzten Gesamtleistungsbewertung nur die vorgemerkten Zeiten der Fachschulausbildung in den 26 Monaten vom 01.05.1980 bis 25.06.1982 neben den bereits berücksichtigten 8 Monaten vom 17.09.1979 bis 30.04.1980 zusätzlich mit pEP zu bewerten.

Bei der Gesamtleistungsbewertung sind dabei neben den 96 Monaten auch die übrigen vorgemerkten Zeiten der schulischen Ausbildung und damit auch die nach § 74 Satz 4 SGB VI nicht zu bewertenden Anrechnungszeiten wegen Hochschulausbildung zu berücksichtigen, da sie die Zahl der belegungsfähigen Kalendermonate verringern (§ 72 Abs. 3 Nr. 1 SGB VI) und damit in ihrer Funktion zur Schließung von Versicherungslücken (vgl. BSG, Urteil vom 19.04.2011 – B 13 R 8/11 R –, in juris) die Gesamtleistungsbewertung erhöhen (§ 72 Abs. 1 bzw. § 73 SGB VI). Die Rechtsprechung des 5. Senates des BSG, wonach – in Abkehr von früherer Rechtsprechung des 4. Senates des BSG – bei der Gesamtleistungsbewertung die Anzahl der belegungsfähigen Monate nicht auch um diejenigen Zeiten einer schulischen Ausbildung zu vermindern ist, die wegen Überschreitung der Höchstdauer gemäß § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB VI nicht als Anrechnungszeit zu berücksichtigen und zu bewerten sind (vgl. BSG, Urteil vom 02.03.2010 – B 5 KN 1/07 R –, in juris), steht dem nach Auffassung des erkennenden Senates nicht entgegen. Denn hier sind die Anrechnungszeiten konsequenterweise auch insoweit in ihrem vorgemerkten Umfang zu berücksichtigen. § 72 Abs. 3 Nr. 1 SGB VI lässt sich – anders als etwa § 74 Satz 3 SGB VI für den maximalen Umfang der Bewertung von Zeiten der Fachschulausbildung – keine Festlegung eines maximal zu berücksichtigenden Zeitraums entnehmen. Es kann hier damit dahingestellt bleiben, in welcher Reihenfolge die Anrechnungszeiten wegen schulischer Ausbildung ansonsten zu berücksichtigen wären.

Die Vormerkung der Anrechnungszeiten vom 01.05.1980 bis 25.06.1982 sowie vom 01.04.1985 bis 29.04.1991 ist hier deshalb weiterhin zu beachten, weil der diese Feststellung aufhebende Verwaltungsakt in dem Bescheid vom 17.06.2020 rechtswidrig und daher aufzuheben ist.

Die Aufhebung der Vormerkung hat sich ihrerseits nicht durch den Bescheid vom 05.08.2020 nach § 39 Abs. 2 SGB X durch Rücknahme erledigt. Zwar enthält der Versicherungsverlauf (Anlage Seite 01) zu diesem Bescheid erneut die Zeiten der Fachschulausbildung und Hochschulausbildung, die von der Rücknahme der Vormerkung betroffen waren. Bei dem Versicherungsverlauf handelt es sich jedoch nur um ein Begründungselement (§ 35 SGB X) des in dem Rentenbescheid verlautbarten Verwaltungsakts über die Rentenhöhe und um keinen eigenständigen Verwaltungsakt (vgl. für die Berechnung der pEP BSG, Urteil vom 29.10.2002 – B 4 RA 27/02 R –, in juris; vgl. Luthe in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Aufl., § 35 SGB X, Rn. 13_2 unter Verweis auf SG Freiburg, Gerichtsbescheid vom 26.05.2020 – S 20 R 2868/19 –, in juris).

Es kann hier dahingestellt bleiben, ob der ohne Anhörung ergangene Aufhebungsverwaltungsakt bereits nicht hinreichend bestimmt i.S.d. § 33 Abs. 1 SGB X und daher materiell rechtswidrig ist, weil der aufzuhebende „bisherige Bescheid“ auch zuletzt im Widerspruchsbescheid (vgl. zur Möglichkeit bei der Aufhebung von Vormerkungen noch im Widerspruchsbescheid BSG, Urteil vom 13.11.2008 – B 13 R 77/07 R –, in juris; zur Herstellung der Bestimmtheit noch im Widerspruchsbescheid vgl. BSG, Beschluss vom 08.08.2019 – B 5 R 120/19 B –, in juris) nicht durch Angabe des Datums näher bezeichnet wurde (vgl. etwa BSG, Urteil vom 30.08.2001 – B 4 RA 114/00 R –, in juris; Kreikebohm/Roßbach, SGB VI, § 149 Rn. 13), wozu die Beklagte nach den Daten im Kontospiegel ohne Schwierigkeiten imstande gewesen wäre.

Denn die Rechtswidrigkeit folgt daraus, dass sich der Bescheid insoweit nicht auf die für einen belastenden Verwaltungsakt erforderliche Rechtsgrundlage stützen lässt.

Ein Fall des § 149 Abs. 5 Satz 2 SGB VI liegt hier nicht vor, da sich die dem Feststellungsbescheid zugrundeliegenden Vorschriften – hier die Regelung der Anrechnungszeiten wegen schulischer Ausbildung in § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB VI – nicht geändert haben. Hierüber besteht auch kein Streit. Unabhängig von der Frage, ob § 149 Abs. 5 Satz 2 SGB X als lex specialis gegenüber § 48 SGB X anzusehen ist (in diesem Sinne BSG, Urteil vom 24.04.2014 – B 13 R 3/13 R, – in juris), sind daher auch die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X nicht gegeben, da nach dem Erlass des letzten Vormerkungsbescheides vom 17.09.2018 keine wesentliche Änderung in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen eingetreten ist.

Die Aufhebung kann entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht auf § 149 Abs. 5 Satz 2 SGB VI i.V.m. der Rechtsprechung des 4. Senates des BSG gestützt werden. Denn das BSG hat dort selbst auf die erforderlichen Rechtsgrundlagen gemäß § 149 Abs. 5 Satz 2 SGB VI i.V.m. §§ 44 bis 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X hingewiesen (BSG, Urteil vom 30.03.2004 – B 4 RA 46/02 R –, in juris Rn. 29). In der Rechtsprechung des später für das Leistungsrecht der Rentenversicherung zuständigen bzw. zuständig gewesenen 13. Senates des BSG ist zudem ausgeführt worden, dass entgegenstehende Feststellungen eines Vormerkungsbescheids neben den Fällen des § 149 Abs. 5 Satz 2 SGB VI entweder nach § 44 Abs. 2 SGB X (bei rechtswidrig nicht begünstigenden Feststellungen) oder nach § 45 SGB X (bei rechtswidrig begünstigenden Feststellungen) „im Rentenbescheid“ aufzuheben sind (BSG, Urteil vom 06.05.2010 – B 13 R 118/08 R –, in juris). Von Anfang an rechtswidrige begünstigende Feststellungsbescheide können daher zum Nachteil des Versicherten nur unter den Voraussetzungen des § 45 SGB X zurückgenommen werden (Paulus in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VI, § 149 SGB VI Rn. 81).

Es kann hier dahingestellt bleiben, ob die Voraussetzungen für die danach alleine in Betracht kommende Rücknahme einer rechtswidrigen begünstigenden Vormerkung nach § 45 SGB X gegeben waren. Denn die Rücknahme eines ursprünglich rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts „mit Wirkung für die Zukunft“ nach § 45 Abs. 1 SGB X steht im pflichtgemäßen Ermessen (§ 39 Abs. 1 Satz 2 SGB I) der Behörde (BSG, Urteil vom 07.04.2016 – B 5 R 26/15 R –, in juris). Hier liegt aber jedenfalls ein von dem Gericht zu beachtender Ermessensfehler in Form eines Ermessensausfalls bzw. Ermessensnichtgebrauchs vor, was das SG bereits nachvollziehbar dargelegt hat. Der Senat schließt sich hierfür der Begründung des angefochtenen Urteils an und weist die Berufung insoweit aus diesen Gründen zurück (§ 153 Abs. 2 SGG). Ergänzend ist nur auszuführen, dass hier auch keine Ermessensreduzierung auf Null vorliegt, bei der ermessensrelevante Gesichtspunkte weder vom Betroffenen geltend gemacht noch sonstwie ersichtlich sind und jede andere Entscheidung als die Rücknahme der Vormerkung ermessensfehlerhaft wäre (vgl. BSG, Urteil vom 07.04.2016 – a.a.O.; BSG, Urteil vom 20.01.2021 – B 13 R 13/19 R –, in juris).

Über eine Anwendung der bei künftig vorzunehmenden Erhöhungen der Rente zu beachtenden Abschmelzungsregelung des § 48 Abs. 3 SGB X (vgl. Paulus in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VI, 3. Aufl., § 149 SGB VI Rn. 81) ist hier nicht zu entscheiden.

Nach alledem war die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 11.06.2021 zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung für das Berufungsverfahren folgt aus § 193 SGG.

Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG). Denn die entscheidungserheblichen Rechtsfragen einer über die Höchstdauer hinausgehenden Vormerkung von Anrechnungszeiten wegen schulischer Ausbildung und deren Korrektur sind in der Rechtsprechung des BSG nicht abschließend geklärt. Sie sind auch im Hinblick auf die entsprechende ständige Praxis der Beklagten über diesen Einzelfall hinaus klärungsbedürftig und zugleich klärungsfähig.

 

Rechtskraft
Aus
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