L 14 AL 104/17

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
14
1. Instanz
SG Frankfurt (Oder) (BRB)
Aktenzeichen
S 2 AL 122/14
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 14 AL 104/17
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Zur Prüfung der sog. Eigenleistungsfähigkeit im Zusammenhang mit Ansprüchen auf einen Gründungszuschuss.

Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 1. Juni 2017 und der Bescheid der Beklagten vom 14. April 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. Mai 2014 aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, über den Antrag des Klägers auf Gewährung eines Gründungszuschusses erneut unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden.

 

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.

 

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

 

Tatbestand

 

Die Beteiligten streiten um die Gewährung eines Gründungszuschusses für die Zeit ab dem 1. April 2014.

 

Der 1978 geborene, verheiratete Kläger – Vater zweier Kinder – verfügt über eine abgeschlossene Ausbildung als Industriemechaniker mit Fachabitur in der Fachrichtung Betriebstechnik, einen Abschluss zum Technischen Fachwirt, seit 2008 über einen Meistertitel im Metallbauerhandwerk sowie diverse weitere Qualifikationen (Schwei­ßerpass u.ä.). Er war von 2004 bis 2010 in verschiedenen Unternehmen als Schweißer/Vorarbeiter/stellvertretender Schichtmeister, Werkstattmeister/Lehrausbilder, Technischer Leiter sowie vom 1. Mai 2011 bis zum 31. Mai 2013 in Vollzeit als Instandsetzungstechniker/stellvertretender Schichtmeister bei der F GmbH beschäftigt. Vom 1. Juni 2013 bis zum 28. Februar 2014 arbeitete er – von vornherein befristet – als Instandhaltungsmechaniker einer Transfergesellschaft. Vom 13. November 2013 bis zum 18. März 2014 war er arbeitsunfähig erkrankt und bezog seit dem 25. Dezember 2013 Krankengeld.

 

Bereits zum 6. Mai 2013 hatte der Kläger eine selbstständige Tätigkeit als Metallbauer im Nebenerwerb beim Gewerbeamt angemeldet und in die Handwerksrolle eintragen lassen; nach eigenen Angaben übte er diese „eher freiberufliche Aushilfstätigkeit“ im Bereich Bau/Dachdeckung 14 Stunden wöchentlich bei einem monatlichen Einkommen von 164 € aus.

 

Im Vermittlungs-, Beratungs- und Informationssystem (Verbis) der Beklagten wurden durch deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für die Zeit vom 26. Juni bis 28. Oktober 2013 sieben erfolglose Bewerbungen des Klägers im Bereich Metallbau registriert.

 

Am 7. März 2014 meldete sich der Kläger mit Wirkung zum 19. März 2014 arbeitslos, beantragte Arbeitslosengeld und gab in diesem Zusammenhang an, er sei seit dem 19. März 2014 wieder gesund und werde alle Möglichkeiten nutzen, seine Beschäftigungslosigkeit zu beenden; zeitliche Einschränkungen bestünden insoweit nicht. Daraufhin bewilligte ihm die Beklagte Arbeitslosengeld ab dem 19. März 2014 für 360 Kalendertage in Höhe eines täglichen Leistungsbetrages von 37,59 € (Bescheid vom 18. März 2014). Mit Wirkung zum 1. April 2014 hob die Beklagte diese Bewilligung wieder auf, nachdem der Kläger unter dem 3. April 2014 die am 1. April 2014 erfolgte Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit im Umfang von mehr als 15 Stunden wöchentlich angezeigt hatte (Bescheid vom 3. April 2014).

 

Bereits am 25. März 2014 hatte der Kläger einen Gründungszuschuss beantragt und hierbei u.a. angegeben, er werde am 1. April 2014 eine ca. 40 Wochenstunden umfassende hauptberufliche selbstständige Tätigkeit als Metallbauer aufnehmen und daneben keine weiteren Beschäftigungen ausüben. Der Gründungszuschuss sei für die finanzielle Absicherung seiner Familie (Kredite für Eigenheim, Versicherungen, Kita- und Hortgebühren) sehr wichtig, aber auch um ein solides Fundament für seine Selbständigkeit aufzubauen. Zusätzlich sei mit der Aufnahme der selbständigen Tätigkeit die Kinderbetreuung aufgrund der freien Zeiteinteilung abgesichert, da seine Frau als medizinisch-technische Assistentin im Drei-Schicht-System tätig sei. Beigefügt bzw. nachgereicht wurden folgende Unterlagen:

• die Stellungnahme der Handwerkskammer Frankfurt (Oder) als fachkundiger Stelle nach § 93 Abs. 2 Nr. 2 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III), unterzeichnet am 31. März 2014,

• die Gewerbe-Ummeldung vom 1. April 2014, wonach – ohne Änderungen im Übrigen – der bisherige Neben- zum Haupterwerb werde,

• eine Vereinbarung mit der IHK-Projektgesellschaft mbH Ostbrandenburg vom 1. Juli 2013 „über die Inanspruchnahme von Betreuung- und Beratungsleistungen gemäß der Richtlinie des MASF zur Förderung der qualifizierenden Beratung von Gründungswilligen in der Vorgründungsphase“, welche unter anderem vorsah, dass der Kläger an „einer ,Pflichtberatung‘ vor der Gründung bei der zuständigen Kammer/zuständigen Stelle“ teilnahm,

• ein vom Kläger erstellter Businessplan, wegen dessen Einzelheiten auf Bl. 31 ff. der Verwaltungsakte verwiesen wird.

 

In einem behörden-internen Vermerk zu einem Gespräch mit dem Kläger am 25. März 2014 hielt eine Mitarbeiterin der Beklagten (Frau W) fest, dass

• er eine Beratung zum Gründungszuschuss wünsche,

• er sich „definitiv“ zum 1. April 2014 selbstständig machen wolle und der „Alternative einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung derzeit eher kritisch gegenüber“ stehe,

• der sogenannte Vermittlungsvorrang vor Bewilligung der Förderleistung zu prüfen sei,

• aus heutiger Sicht der regionale Arbeitsmarkt ausreichend zumutbare Stellenangebote ergebe und eine kurzfristige ungeförderte Integration in den Arbeitsmarkt „absolut“ möglich erscheine.

 

Mit Bescheid vom 14. April 2014 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf einen Gründungszuschuss ab, weil seine Eingliederung in den Arbeitsmarkt in absehbarer Zeit möglich sei bzw. gewesen wäre. Bei Betrachtung des für ihn zu berücksichtigenden Arbeitsmarktes werde deutlich, dass zahlreiche Stellenangebote in seinem erlernten oder zuletzt ausgeübten Beruf vorlägen („Quelle: Jobbörse der Arbeitsagentur“). Hierzu zählten zum Beispiel Stellenangebote der Firmen Metall- und Balkonanbau HJ, H Metallbau S, Chemie- und Tankanlagen R, h Service GmbH L, M B. Auch wenn eine Arbeitsaufnahme bisher nicht habe realisiert werden können, sei davon auszugehen, dass der Arbeitsmarkt immer wieder passende Stellen bereithalte. Insofern sei ein Wechsel in die Selbstständigkeit aus arbeitsmarktlicher Sicht nicht notwendig.

 

Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 22. Mai 2014 zurück und führte zur Begründung u.a. aus, dass bei der Ermessensentscheidung der Vermittlungsvorrang und die eigene Leistungsfähigkeit zu prüfen seien. Für Metallbauermeister – hierauf richteten sich die Vermittlungsbemühungen in erster Linie – seien zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag in der Agentur für Arbeit ca. 10 zu besetzende Arbeitsstellen gemeldet gewesen. Darüber hinaus lägen noch in größerer Zahl Stellenangebote im erlernten Beruf oder den zuletzt ausgeübten Tätigkeiten vor. Da der Kläger seine seit Mai 2013 nebenberuflich ausgeübte Tätigkeit nunmehr hauptberuflich fortführe, sei seine Selbstständigkeit bereits auf dem Markt eingeführt, sodass die üblicherweise bei einer Existenzgründung anfallenden erheblichen Investitionen nicht mehr erforderlich seien. Aus den Antragsunterlagen gehe hervor, dass der Kläger aus seiner selbstständigen Tätigkeit einen Betrag von 1.525.- € monatlich erzielen werde. Der Gründungszuschuss hätte etwa 1.427.- € betragen. Daher könne der Kläger den Lebensunterhalt und die soziale Sicherung in der Zeit nach der Existenzgründung selbst sicherstellen. Im Übrigen habe der Kläger die Aufnahme der hauptberuflichen selbstständigen Tätigkeit bereits lange vor Eintritt der Arbeitslosigkeit angestrebt: er habe bereits im Oktober 2012 an einem Existenzgründerseminar teilgenommen und im Juli 2013 eine Vereinbarung über die Inanspruchnahme von Betreuung- und Beratungsleistungen abgeschlossen.

 

Im Klageverfahren hat der Kläger vorgebracht: nach diversen erfolglosen Bemühungen, eine Einstellung zu finden, habe ihm Frau W die Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit und in diesem Zusammenhang auch die Beantragung eines Gründungszuschusses empfohlen. Wegen der Schichtarbeit seiner Ehefrau sei die Versorgung der beiden im Haushalt lebenden Kinder (drei und sieben Jahre alt) bei einer Angestelltentätigkeit nicht zu realisieren. Als Mitarbeiter der Transfergesellschaft sei er zwar auch mit 40 Stunden wöchentlich angestellt gewesen. Tatsächlich sei er jedoch vom 1. Juli bis 24. Dezember 2013 zu Hause gewesen und habe in dieser Zeit zahlreiche Bewerbungen als Metallbauer, Schichtleiter bzw. Werkstattmeister unternommen, jedoch immer wieder feststellen müssen, dass die von ihm verlangten Arbeitszeiten nicht mit den von ihm zu erbringenden Betreuungszeiten für seine Kinder übereinstimmten. Zahlreiche Bewerbungen seien auch ablehnend beschieden worden. Während seiner Zugehörigkeit zur Transfergesellschaft habe er Zeit gehabt, seine Selbstständigkeit vorzubereiten. Seine Absicht, Schweißerlehrgänge zu belegen und die Schweißerpässe zu machen, habe er wegen eines Unfalls und anschließender längerer Krankheit nicht umsetzen können. Zu dieser Zeit sei er jedoch noch „zweigleisig“ gefahren: entweder würde es ihm gelingen, eine gute Anstellung zu bekommen, oder er würde sich selbstständig machen. Dass sich eine passende Anstellung nicht finden würde und demzufolge alles auf eine Selbstständigkeit hinausliefe, sei ihm letztlich zu Beginn des Jahres 2014 klar gewesen. Nach Oktober 2013 habe er sich allerdings nicht mehr schriftlich, sondern nur noch ein paar Mal telefonisch bei irgendwelchen Firmen beworben. Zwischen dem 19. und 31. März 2014 habe er keine Bewerbungen für eine versicherungspflichtige Beschäftigung mehr unternommen. Ab dem 19. März 2014 habe für ihn festgestanden, dass er sich selbstständig machen würde. Hätte er jedoch ein passendes Angebot für eine versicherungspflichtige Beschäftigung erhalten, hätte er dies angenommen.

 

Mit Gerichtsbescheid vom 1. Juni 2017 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und dies wie folgt begründet: das Gericht habe nicht in seiner vollen Überzeugung festzustellen vermocht, dass der Kläger durch die Aufnahme seiner selbstständigen Tätigkeit seine Arbeitslosigkeit beendet habe. Vielmehr gehe es davon aus, dass der Kläger am 1. April 2014 nicht verfügbar gewesen sei. Der Kläger habe bestätigt, dass er sich nach Oktober 2013 bereits nicht mehr schriftlich für eine abhängige Beschäftigung beworben habe und es bereits am 19. März 2014 (dem ersten Tag des Bezugs von Arbeitslosengeld) festgestanden habe, dass er sich selbstständig machen würde. Mit dieser Aussage stehe in Übereinstimmung, dass er am 25. März 2014 dem zuständigen Arbeitsvermittler mitgeteilt habe, er werde sich definitiv zum 1. April 2014 selbstständig machen. Es dränge sich somit der Eindruck auf, dass der Kläger nach seiner Gesundschreibung zu keinem Zeitpunkt mehr der Vermittlung in eine versicherungspflichtige Beschäftigung durch die Beklagte zur Verfügung gestanden und seine Arbeitslosmeldung allein bezweckt habe, formal die Voraussetzung für die Bewilligung von Arbeitslosengeld und die abschließende Gewährung eines Gründungszuschusses zu schaffen. Selbst wenn zu seinen Gunsten unterstellt werde, er habe mit der Aufnahme seiner selbstständigen Tätigkeit die Arbeitslosigkeit beendet, erweise sich die angefochtene Entscheidung der Beklagten als rechtmäßig.

 

Gegen diesen ihm am 8. Juni 2017 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die Berufung des Klägers vom 7. Juli 2017, zu der Begründung er vorträgt: die Annahme fehlender Verfügbarkeit habe das Sozialgericht im Wesentlichen auf seine im Erörterungstermin vom 19. April 2016 erfolgte Vernehmung gestützt. Wie sich bereits aus dem Inhalt der Niederschrift ergebe, sei diese „Veranstaltung“ durch erhebliche Spannungen gekennzeichnet gewesen. Dies habe ursächlich an der Verhandlungsführung der erkennenden Richterin gelegen, welche sich ganz offensichtlich bereits im Vorfeld der Verhandlung zum Ziel gesetzt habe, seine Aussagen mit den Entscheidungen der Kammer zum Gründungszuschuss und insbesondere mit der Entscheidung des Landessozialgerichts (LSG) Berlin-Brandenburg vom 28. Mai 2014 (Az.: L 18 AL 236/13) in Übereinstimmung zu bringen. Daher sei die ganze Verhandlung im Stile einer – prozessual unzulässigen – Suggestivbefragung abgelaufen. Begründete Einwände seines seinerzeitigen Prozessbevollmächtigten seien entweder ignoriert oder zum Teil unrichtig wiedergegeben worden.

Seine Beschäftigung bei der F GmbH mit einem Vier-Schicht-System habe mit der Arbeitszeit seiner Ehefrau – sie arbeite in einem 45 km vom Wohnort entfernten Krankenhaus – in Einklang gebracht werden können, solange das Krankenhaus sich flexibel gezeigt habe. Als seine Ehefrau jedoch wieder im dortigen Drei-Schicht-System habe arbeiten und außerdem die oft unregelmäßigen zusätzlichen Einsätze habe bewältigen müssen, sei er, immer noch bei der F GmbH, in die Normalschicht (7 bis 16 Uhr) gewechselt. Dies habe sich jedoch für die Familie sehr stressreich ausgewirkt; auf Dauer sei der Familienfrieden gefährdet gewesen. Er räume ein, dass er bei der Arbeitslosmeldung eigentlich hätte klarstellen müssen, dass damals eine Normalschicht, d.h. eine 8-stündige Arbeitszeit ab 7 Uhr, und eine nicht allzu große Entfernung vom Wohnort passend gewesen wäre.

Anders als von der ersten Instanz „ermittelt“, habe für ihn keinesfalls zwingend festgestanden, sich „definitiv zum 01.04.2014 selbstständig machen“ zu wollen. Seine regelmäßigen Bemühungen um eine ausbildungsadäquate Beschäftigung im Angestelltenverhältnis habe seit Oktober 2012 über einen Zeitraum von mehr als einem Jahr keinerlei Früchte getragen. Aus diesem Grund habe er seit dem 7. Mai 2013 eine selbständige Tätigkeit als Metallbauer im Nebenerwerb, quasi als zweites Standbein, betrieben. Die begonnene selbstständige Tätigkeit im Nebenerwerb sei also – anders als im Gerichtsbescheid dargestellt – nicht der Einstieg in die von langer Hand geplante vollumfängliche Selbständigkeit gewesen.

Der Gerichtsbescheid lasse auch unbeachtet, dass er – der Kläger – wegen seiner unfallbedingten Krankschreibung vom 13. November 2013 bis zum 18. März 2014 aus gesundheitlichen Gründen gar nicht zur tatsächlichen Wahrnehmung eines Stellenangebots in der Lage gewesen wäre.

Vermittlungsangebote habe die Beklagte weder in seinem Gespräch mit Frau W am 25. März 2014 noch zu einem andern Zeitpunkt gemacht.

Dass er sich nach anderthalb Jahren erfolgloser Suche nach einer ausbildungsadäquaten versicherungspflichtigen Tätigkeit ab dem 19. März 2014 auf die scheinbar einzige Alternative der Selbständigkeit konzentriert habe, könne ihm nicht zum Nachteil gereichen. Für den Fall einer ausbildungsadäquaten Beschäftigung im Angestelltenverhältnis, auch bei einem entsprechenden Angebot von Frau W im Gespräch am 25. März 2014, hätte er diese konkrete Möglichkeit wahrgenommen.

Es sei fraglich, ob die Beklagte ihr Ermessen rechtmäßig ausgeübt habe. Ein wesentlicher zu seinen Gunsten in die Abwägung einzustellender Gesichtspunkt liege im Verhalten der Arbeitsvermittlerin W, die ihn im unmittelbaren Vorfeld der Beantragung des Gründungszuschusses nahezu vollständig auf die Selbstständigkeit orientiert und dabei die Gewährung als unproblematisch dargestellt habe. Darüber hinaus habe die Beklagte in beiden Bescheiden lediglich formelhaft die angeblich positive Arbeitsmarktsituation beschrieben, welche in krassem Widerspruch zu seinen Erfahrungen angesichts der erfolglosen Bewerbungsbemühungen über anderthalb Jahre gestanden habe. Beide Bescheide benennten keine konkrete Arbeitsstelle, die seinem Qualifikationsprofil entspreche. Im Ausgangsbescheid bleibe offen, ob es sich bei den benannten „Stellenangeboten“ um Hilfsarbeitertätigkeiten, Facharbeiterstellen, Meister- oder Schichtleiterarbeitsplätze oder möglicherweise um Ingenieurstätigkeiten gehandelt habe. Wie ihm aus anderen Zusammenhängen bekannt sei, habe das konkret benannte Unternehmen H Metallbau aus S im selben Zeitraum dringend ein/e Buchhalter/in benötigt; ob es sich dabei um eine der vermeintlich für ihn geeigneten Arbeitsstellen gehandelt habe, sei den Ausführungen der Beklagten nicht zu entnehmen. Soweit sich laut Widerspruchsbescheid „die Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit beim Widerspruchsführer in erster Linie auf eine Beschäftigung als Metallbaumeister gerichtet haben“ solle, bleibe die Art der Vermittlungsbemühungen ebenso unklar wie die konkrete Ausgestaltung der ca. 10 zu besetzenden Arbeitsstellen. Es würden weder die Unternehmen selbst, noch die jeweilige Betriebsstätte oder gar die örtliche Lage der Arbeitsstellen genannt. Ob die Beklagte mit der – offenbar bewusst unklar gehaltenen – Bezeichnung „in der Agentur“ den Bereich der Dienststelle Beeskow, den der Agentur für Arbeit Frankfurt/Oder oder den der gesamten Beklagten meine, werde nicht erkennbar.

Wenn die Beklagte meine, bei der Firma D hätte er zu den vom ihm bevorzugten Arbeitszeiten tätig werden können, sei darauf hinzuweisen, dass er dort – bei bundesweitem Einsatz – unterhalb des Mindestlohnes hätte arbeiten sollen. In seiner Zeit bei der Transfergesellschaft habe er sich zum Beispiel beim TÜV oder auch bei einer Stelle in Lübbenau beworben. Der TÜV wäre nicht in Frage gekommen, weil er bundesweit hätte tätig werden sollen; die Tätigkeit in Lübbenau wäre eine Drei-Schicht-Tätigkeit als Schichtmeister gewesen. Was die Ablehnungen wegen seiner etwas eingeschränkt möglichen Arbeitszeit durch mehrere Arbeitgeber während seiner Tätigkeit bei der Transfergesellschaft a, räume er ein, dass die Ablehnungen der Arbeitgeber letztlich doch auch darauf beruhten, dass er nicht zu den Arbeitszeiten, die sich diese Arbeitgeber vorgestellt hatten, hätte arbeiten können. Die Arbeitgeber hätten ihn aber eigentlich gerne genommen.

 

Der Kläger beantragt,

 

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 1. Juni 2017 und den Bescheid der Beklagten vom 14. April 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Mai 2014 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, über seinen Antrag auf Gewährung eines Gründungszuschusses unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.

 

Die Beklagte beantragt,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und trägt ergänzend vor: der Kläger habe widersprüchliche Angaben zu seiner objektiven Verfügbarkeit auf dem Arbeitsmarkt gemacht. In seinem Antrag auf Arbeitslosengeld vom März 2014 habe er sich dem Arbeitsmarkt ohne zeitliche Einschränkungen zur Verfügung gestellt. Eine Beschäftigung des Klägers, welche die von ihm geschilderten erforderlichen Kinderbetreuungszeiten abdecke, dürfte jedoch nicht den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes für Metallbau entsprechen. Eine belastbare negative Vermittlungsprognose lasse sich in der Regel ohnehin erst treffen, wenn bereits eine gewisse Zeit lang vergebliche Vermittlungsbemühungen der Beklagten stattgefunden hätten, was einen Vermittlungszeitraum von mehreren Monaten bedeute. Eine mündliche Zusage, einen Gründungszuschuss zu gewähren, sei zu keiner Zeit erfolgt, wie sich aus dem Beratungsvermerk (Verbis) vom 25. März 2014 ergebe. Die seinerzeit vorhandenen Stellenangebote habe sie – die Beklagte – ausreichend dokumentiert. Der Bestand an offenen Stellen müsse im Übrigen lediglich die Aussicht zu lassen, dass es sich aus ihrer Perspektive lohne, in eine ernsthafte Vermittlungstätigkeit einzutreten. Dazu müssten einschlägige offene Stellen vorhanden sein, individuelle Passgenauigkeit und eine Bewertung der individuellen Chancen für jede einzelne Stelle seien dagegen nicht notwendig. Nach dem vom Kläger vorgelegten Businessplan belaufe sich der erwartete Gewinn für das Rumpfwirtschaftsjahr 2014 auf 13.725.- € (somit ca. 1.525.- € monatlich). Dieser prognostisch zur Verfügung stehende Betrag sei ausreichend gewesen, um den Lebensunterhalt des Klägers und seine soziale Sicherung in der Zeit nach der Existenzgründung sicherzustellen.

 

Durch Beschluss vom 3. Juli 2020 hat der Senat nach Anhörung der Beteiligten die Berufung dem Berichterstatter übertragen, damit dieser zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entscheide (§ 153 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz – SGG).

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten, die dem Senat vorgelegen hat, Bezug genommen.

 

 

 

Entscheidungsgründe

 

 

Die Berufung ist zulässig und begründet. Das Sozialgericht hätte die Klage nicht abweisen dürfen. Denn die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig; die Beklagte ist zur Neubescheidung des Klägers verpflichtet.

 

1. Die Rechtsgrundlage für Ansprüche auf einen Gründungszuschuss findet sich in § 93 SGB III:

 

(1) Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die durch Aufnahme einer selbständigen, hauptberuflichen Tätigkeit die Arbeitslosigkeit beenden, können zur Sicherung des Lebensunterhalts und zur sozialen Sicherung in der Zeit nach der Existenzgründung einen Gründungszuschuss erhalten.

 

(2) Ein Gründungszuschuss kann geleistet werden, wenn die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer

1. bis zur Aufnahme der selbständigen Tätigkeit einen Anspruch auf Arbeitslosengeld hat, dessen Dauer bei Aufnahme der selbständigen Tätigkeit noch mindestens 150 Tage beträgt und nicht allein auf § 147 Absatz 3 beruht,

2. der Agentur für Arbeit die Tragfähigkeit der Existenzgründung nachweist und

3. ihre oder seine Kenntnisse und Fähigkeiten zur Ausübung der selbständigen Tätigkeit darlegt.

Zum Nachweis der Tragfähigkeit der Existenzgründung ist der Agentur für Arbeit die Stellungnahme einer fachkundigen Stelle vorzulegen; fachkundige Stellen sind insbesondere die Industrie- und Handelskammern, Handwerkskammern, berufsständische Kammern, Fachverbände und Kreditinstitute.

 

Danach steht die Entscheidung über die Gewährung eines Gründungszuschusses im Ermessen der Beklagten, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen erfüllt sind.

 

2. Letzteres ist hier der Fall.

 

a. Der Kläger – dies war zwischen den Beteiligten zu Recht nie umstritten –, war bis zur Aufnahme seiner selbständigen hauptberuflichen Tätigkeit am 1. April 2014 Arbeitnehmer und hatte zu diesem Zeitpunkt noch einen Anspruch auf Arbeitslosengeld für (weit mehr als) 150 Tage. Er hatte der Beklagten die Tragfähigkeit seiner Existenzgründung durch die Stellungnahme der Handwerkskammer Frankfurt (Oder) als fachkundiger Stelle i.S.v. § 93 Abs. 2 Satz 2 SGB III nachgewiesen und seine Kenntnisse und Fähigkeit zur Ausübung der geplanten selbständigen Tätigkeit als Metallbauer – in Übereinstimmung mit den Vorstellungen des Gesetzgebers (Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales zum Entwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende, Bundestags-Drs. 16/1696, 31) – durch eine Übersicht über seinen beruflichen Werdegang und die im Tatbestand aufgeführten Nachweise für seine beruflichen Qualifikationen und Erfahrungen dargelegt.

 

b. Der Kläger hat durch die Aufnahme seiner selbständigen Tätigkeit zum 1. April 2014 seine Arbeitslosigkeit beendet.

 

aa. Wie der Begriff der Arbeitslosigkeit in § 93 Abs. 1 SGB III auszulegen ist, ist in der Rechtsprechung noch nicht abschließend geklärt. Während in der Rechtsprechung der Landessozialgerichte vielfach vertreten wird, der Begriff der Arbeitslosigkeit sei umfassend i.S.v. § 138 SGB III zu verstehen, mithin müssten sämtliche dort genannten Merkmale an mindestens einem Tag vorgelegen haben (vgl. hierzu mit umfangreichen Nachweisen Bayerisches LSG, Urteil vom 22. März 2018 – L 9 AL 135/14 – und LSG Hamburg, Urteil vom 29. Juni 2016 – L 2 AL 27/16 –, jeweils juris), geht das BSG nach Sinn und Zweck des Gründungszuschusses als Förderinstrument davon aus, zur „Beendigung von ‚Arbeitslosigkeit‘ iS des § 57 Abs 1 SGB III [müsse] grundsätzlich Beschäftigungslosigkeit beendet worden sein“ müsse (BSG, Urteil vom 05. Mai 2010 – B 11 AL 11/09 R –, juris <hiervon möglicherweise abweichend BSG, Urteil vom 09. Juni 2017 – B 11 AL 13/16 R –, juris>; ebenso Bienert infoalso 2014, 207 ff. m.w.N.). Für diese Auffassung ließe sich zum einen ins Feld führen, dass derselbe Begriff innerhalb eines Gesetzes oder auch speziell innerhalb des SGB III kontextabhängig unterschiedliche Bedeutungsgehalte haben kann, wie es etwa für den (einerseits versicherungs-, andererseits leistungsrechtlichen) Begriff der Beschäftigung im Arbeitsförderungsrecht seit langem anerkannt (BSG, Urteil vom 12. September 2019 – B 11 AL 20/18 R –, juris; Wehrhahn, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB III, 2.A., § 24 SGB III (Stand: 28.08.2020), Rn. 12 m.w.N.), aber auch für andere Begriffe höchstrichterlich entschieden worden ist (BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 2015 – 5 C 9/15 –, juris, für den Leistungsbegriff nach § 111 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – SGB X). Zum anderen wurden die Tatbestandsmerkmale der Arbeitslosigkeit nach § 138 SGB III bereits im Zusammenhang mit dem gemäß § 93 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB III erforderlichen (Rest-)Anspruchs auf Arbeitslosengeld bejaht (in diesem Sinne Kuhnke, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB III, 2.A., § 93 (Stand: 15.01.2019), Rn. 36, der jedoch zu Unrecht von einer Bindungswirkung des Arbeitslosengeld bewilligenden Verwaltungsakts auch bezüglich der einzelnen Anspruchsvoraussetzungen auszugehen scheint; hierzu Bienert, a.a.O.), sodass allenfalls nach Wirksamwerden des Bewilligungsbescheids eingetretene Veränderungen eine neuerliche Prüfung der Arbeitslosigkeit i.S.v. § 138 SGB III geboten erscheinen lassen. Schließlich soll es – wie bereits dargelegt – nach einhelliger Auffassung im Zusammenhang mit der Prüfung von § 93 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB III genügen, wenn die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Arbeitslosengeld an einem einzigen Tag vorgelegen haben. Es erscheint aber als recht unrealistisch, für gerade einen Tag etwa ausreichende Eigenbemühungen i.S.v. § 138 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. Abs. 4 SGB III festzustellen (vgl. Bienert a.a.O.).

 

bb. Dieser Meinungsstreit kann im vorliegenden Fall indes dahinstehen, weil der Kläger alle Merkmale der Arbeitslosigkeit i.S.v. § 138 SGB III erfüllt. Er war beschäftigungslos und hat sich bereits seit seinem Wechsel in die Transfergesellschaft regelmäßig um konkrete Arbeitsstellen bemüht, wie etwa die Verbis-Vermerke der Beklagten vom 26. Juni, 20. August, 28. August, 18. September und 6. November 2013 belegen. Dass er sich – so seine glaubhaften Angaben – nach Beginn der unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit auf telefonische Bewerbungen beschränkt hat, ist angesichts seines damaligen Gesundheitszustands nicht zu beanstanden. Darüber hinaus war der Kläger – entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten – auch verfügbar. Zu diesem Ergebnis gelangt der Senat aufgrund einer Würdigung aller im vorliegenden Fall zu berücksichtigenden Umstände.

 

(1) Der Hinweis des Klägers im Widerspruchs- und Klageverfahren, angesichts des Drei-Schicht-Systems seiner Ehefrau und der beiden zu versorgenden Kinder sei eine Angestellten-Tätigkeit mit festen Arbeitszeiten kaum bzw. nicht zu realisieren, steht seiner subjektiven Verfügbarkeit nach den Feststellungen des Senats nicht entgegen. Denn der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausführlich dargelegt, in welchem Umfang er durch die Betreuung seiner beiden Kinder – die eigentlich nur an den Tagen erforderlich war, an denen seine Ehefrau gerade morgens schichtbedingt arbeiten musste – in seinen Vermittlungsmöglichkeiten und damit seiner Verfügbarkeit eingeschränkt war. Danach war ihm jede Beschäftigung ab 7 Uhr und mit einer täglichen Arbeitszeit von acht Stunden in nicht allzu großer Entfernung von seinem Wohnort möglich. Hieraus resultiert nach Auffassung des Senats nur keine relevante Einschränkung der für eine Vermittlung des Klägers in Frage kommenden Arbeitsplätze. Dass diese in ausreichender Zahl vorhanden waren, belegen auch die freien Stellen, auf die die Beklagte den Einwand des Vermittlungsvorrangs gestützt hat; sie stammen ganz überwiegend aus demselben oder einem angrenzenden Postleitzahlenbezirk.

 

(2) Der Kläger war trotz seiner Absicht, zum 1. April 2014 eine selbständige Tätigkeit aufzunehmen, auch in der Zeit zwischen dem 19. und 31. März 2014 grundsätzlich bereit, sich in eine versicherungspflichtige Beschäftigung vermitteln zu lassen. Hierbei darf im Hinblick auf die Einschätzung der Arbeitsvermittlerin W anlässlich ihres Gesprächs mit dem Kläger am 25. März 2014, er wolle sich „definitiv“ zum 1. April 2014 selbständig machen, nicht außer Acht gelassen werden, dass es sich insoweit um eine subjektive Einschätzung einer Mitarbeiterin der Beklagten handelt. Dass der Kläger insoweit die Möglichkeit gehabt hätte, dieser Einschätzung zu widersprechen oder ihr seine Sicht der Dinge gegenüber zu stellen, ist den Verbis-Vermerken der Beklagten nicht zu entnehmen. Solche subjektiven Einschätzungen können daher allenfalls dann der gerichtlichen Beweiswürdigung zugrunde gelegt werden, wenn die Klägerseite ihnen nicht widerspricht. Im vorliegenden Fall hat der Kläger der Einschätzung seiner Arbeitsvermittlerin schon im Klageverfahren und erneut in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat entgegen gehalten, dass er auch nach dem 19. März 2014 bereit gewesen wäre, eine seiner Qualifikation entsprechende Beschäftigung aufzunehmen. Damit hat er zugleich seine Aussage relativiert, für ihn habe ab dem 19. März 2014 festgestanden, dass er sich selbständig machen werde.

 

Dass der Kläger ab dem 19. März 2014 – vor dem Hintergrund einer mehr als einjährigen erfolglosen Suche nach einer Beschäftigung auf seinem Qualifikationsniveau – der Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit näher gestanden hat als der einer versicherungspflichtigen Beschäftigung, steht aus Sicht des Senats angesichts von Sinn und Zweck des Gründungszuschusses als Instrument der aktiven Arbeitsförderung einer Bewilligung dieser Leistung nicht entgegen. Die Erwartung, wer im Zusammenhang mit der Aufnahme einer hauptberuflichen selbständigen Tätigkeit einen Gründungszuschuss beantragt, müsse mit demselben Engagement für die Vermittlung in eine versicherungspflichtige Beschäftigung zur Verfügung stehen, ist aus Sicht des Senats lebensfremd. Sie berücksichtigt nicht hinreichend, dass jede Existenzgründung typischerweise (vgl. insoweit etwa die Empfehlungen des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie unter https://www.existenzgruender.de) eine gründliche Vorbereitungsphase erfordert (zum eingeengten Zeitrahmen hierbei vgl. Bienert, a.a.O.), die neben der Prüfung der eigenen Geschäftsidee mit umfangreichen Beratungen und Planungen, der Aneignung notwendiger Kenntnisse und Fähigkeiten, dem Abschluss diverser Verträge (Miet- oder Pachtverträge, Darlehensverträge, Kooperationsverträge mit Geschäftspartnern u.ä.) sowie ggf. dem Einholen behördlicher Genehmigungen verbunden ist. Jede Existenzgründung bedingt – gerade auch wegen der mit ihr regelmäßig verbundenen nicht unerheblichen finanziellen und persönlichen Risiken – daher eine gewisse Fokussierung auf dieses Vorhaben, die andere Möglichkeiten der künftigen beruflichen Entwicklung, etwa die Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung, regelmäßig in den Hintergrund treten lässt. Aus Sicht des Senats muss es für die Zwecke des Gründungszuschusses daher genügen, wenn ein Antragsteller – wie der Kläger – „zweigleisig fährt“ und sich der Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung nicht grundsätzlich verschließt.

 

3. Von dem infolgedessen der Beklagten eingeräumten Ermessen hat sie in einer Weise Gebrauch gemacht, die einer rechtlichen Überprüfung nicht standhält.

 

a. Ist ein Leistungsträger ermächtigt, bei der Entscheidung über Sozialleistungen nach seinem Ermessen zu handeln, hat er sein Ermessen gemäß § 39 Abs. 1 S. 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten. Ermessensfehlerhaft ist das Handeln der Behörde unter anderem dann, wenn sie von unzutreffenden, in Wahrheit nicht gegebenen, unvollständigen oder falsch gedeuteten tatsächlichen oder rechtlichen Voraussetzungen ausgeht, Gesichtspunkte tatsächlicher oder rechtlicher Art berücksichtigt, die rechtlich nicht relevant sind, oder umgekehrt wesentliche Gesichtspunkte außer Acht lässt, die zu berücksichtigen wären (zusammenfassend Just, in: Hauck/Noftz, SGB I, § 39 Rn. 15; Beck’scher OnlineKommentar Sozialrecht/Gutzler, Stand: 1. März 2020, SGB I § 39 Rn. 7; jeweils m.w.N.).

 

Das Einräumen von Ermessen – zu dem es im Wege der Änderung von § 57 SGB III alter Fassung durch das Gesetz zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt vom 20. Dezember 2011 (BGBl. I 2854) gekommen war – geschah vor dem Hintergrund, durch eine vollständige Umwandlung des Gründungszuschusses in eine Ermessensleistung auf der Ebene der Arbeitsagenturen eine höhere Flexibilität bei der Förderung von Gründungen entstehen zu lassen (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung zu vorgenanntem Gesetz, BT-Drucksache 17/6277, S. 86). Ob im Einzelfall ein Gründungszuschuss gewährt wird, sollte künftig im Ermessen des Vermittlers liegen. Jenseits der Beurteilung der Tragfähigkeit des Geschäftskonzepts sollte durch den Vermittler die persönliche Eignung der Gründerin oder des Gründers eingeschätzt werden (a.a.O.). Darüber hinaus dürfen die Arbeitsagenturen zwar nach ermessenslenkenden Richtlinien verfahren, sie müssen hierin nicht erfasste besondere Umstände des Einzelfalles jedoch prüfen und in die Entscheidung erkennbar einbeziehen (vgl. LSG Hamburg, Urteil vom 23. September 2015 – L 2 AL 20/14 –; zum Überbrückungsgeld BSG, Urteil vom 11. November 1993 – 7 RAr 52/93 –; jeweils juris).

 

Diesen Anforderungen wird die Ermessensentscheidung der Beklagten in den angefochtenen Bescheiden nicht gerecht, weil sich die gebotene umfassende Abwägung aller im Fall des Klägers zu berücksichtigenden Ermessensgesichtspunkte als defizitär erweist: die Aspekte „Vermittlungsvorrang“ (hierzu b.) und „Eigenleistungsfähigkeit“ (hierzu c.) wurden unzureichend gewürdigt, ein weiteres Begründungelement blieb unklar (hierzu d.). Sollte der im Widerspruchsbescheid enthaltene Satz „Nach dem Orientierungsrahmen der Agentur für Arbeit Frankfurt (Oder) zum Gründungszuschuss sind bei der Ermessensentscheidung der Vermittlungsvorrang und die Eigenleistungsfähigkeit zu prüfen“ dahin zu verstehen sein, dass sich die Ermessensausübung auf diese beiden Aspekte reduziert, wäre sie schon allein deshalb rechtswidrig.

 

b. Grundsätzlich ist es zulässig, im Rahmen der Ermessensausübung nach § 93 SGB III einen gegebenenfalls bestehenden Vermittlungsvorrang (§ 4 SGB III) zu beachten (Senat, Urteil vom 6. Oktober 2015 – L 14 AL 3/15 –; LSG Berlin-Branden­burg, Urteil vom 28. Mai 2014 – L 18 AL 236/13 –; LSG Hamburg, a.a.O; Bayerisches LSG, a.a.O.; jeweils juris; Kuhnke, a.a.O., Rn. 65 ff.). Gemäß § 4 Abs. 1 SGB III hat die Vermittlung in Ausbildung und Arbeit Vorrang vor den Leistungen zum Ersatz des Arbeitsentgelts bei Arbeitslosigkeit. Dieser Vermittlungsvorrang gilt auch im Verhältnis zu den sonstigen Leistungen der aktiven Arbeitsförderung, es sei denn, die Leistung ist für eine dauerhafte Eingliederung erforderlich (§ 4 Abs. 2 Satz 1 SGB III). Entscheidend hierbei ist, ob eine möglichst nachhaltige Integration innerhalb des Zeitraums, für den der Existenzgründer noch Arbeitslosengeld beziehen könnte, realistisch ist (Kuhnke, Rn. 65). Wenn die Vermittlung in Arbeit im konkreten Fall möglich und zumutbar ist und bei Abwägung aller Aspekte Vorrang hat, begegnet es auch keinen Bedenken, im Rahmen der Ermessensabwägung auf den Vermittlungsvorrang als entscheidungserhebliches Abwägungskriterium abzustellen.

Der Vermittlungsvorrang ist allerdings lediglich als einer von gegebenenfalls mehreren Ermessensgesichtspunkten im Rahmen einer Gesamtabwägung zu beurteilen (Bayerisches LSG, a.a.O.). Da § 4 Abs. 2 Satz 1 SGB III den Vorrang der Vermittlung nicht absolut statuiert, sondern ihn unter einen umgekehrten Erforderlichkeitsvorbehalt stellt ("es sei denn, die Leistung [sc. der aktiven Arbeitsförderung] ist für eine dauerhafte Eingliederung erforderlich"), hat die Beklagte eine Einzelfallbetrachtung unter Einbeziehung der in der Person des Arbeitsuchenden liegenden Umstände, der bisherigen Vermittlungsbemühungen sowie weiterer Umstände des Einzelfalles anzustellen, deren Prognoserelevanz sich im konkreten Fall aufdrängt (LSG Hamburg, a.a.O,; LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 9. April 2019 – L 2 AL 5/15 –, juris; Kuhnke a.a.O.).

 

aa. Die Beklagte hat im vorliegenden Fall nicht hinreichend dargelegt, ob und in welcher Weise sie im Rahmen einer auf den Kläger bezogenen Einzelfallbetrachtung dessen Aussichten auf eine Eingliederung unter Berücksichtigung der in seiner Person liegenden Besonderheiten geprüft hat. Dies wäre vorliegend notwendig gewesen, spätestens nachdem der Kläger in seiner Widerspruchsbegründung darauf hingewiesen hat, dass zum einen seine Eingliederung trotz intensiver Eigenbemühungen und Unterstützung bei der Vermittlung durch die Beklagte seit Oktober 2013 nicht gelungen sei – Vermittlungsbemühungen über mehrere Monate hinweg haben also entgegen der Ansicht der Beklagten durchaus stattgefunden – und zum anderen Frau W ihn „auf eine Selbständigkeit orientiert“ und ihm geraten habe, sich selbständig zu machen und einen Gründungszuschuss zu beantragen. Beide Aspekte finden in den angefochtenen Bescheiden keine bzw. nur unzureichende Erwähnung.

 

Der Hinweis im Bescheid vom 14. April 2014, in den bisherigen Beratungsgesprächen mit dem Kläger seien dessen Chancen zur dauerhaften Eingliederung auf dem Arbeitsmarkt mit ihm besprochen und geprüft worden, genügt nicht. Die Beklagte hätte vielmehr das konkrete Ergebnis dieser Prüfung und seine Würdigung zum Gegenstand der Ermessensausübung machen müssen. Zwar räumt die Beklagte ein, dass „eine Arbeitsaufnahme bisher nicht realisiert werden konnte“. Aufgrund welcher konkreten Tatsachen sie meint, es sei gleichwohl „davon auszugehen, dass der Arbeitsmarkt immer wieder passende Stellen bereithält“, ist beiden Bescheiden nicht zu entnehmen. Solche Tatsachen sind schon deshalb zu fordern, weil die Beklagte den Hinweis auf künftige, ihr derzeit unbekannte Stellen jedem Antrag auf einen Gründungszuschuss entgegen halten könnte, was die Inhaltsleere dieses Hinweises belegt.

 

Auf den klägerischen Einwand, er sei von Frau Wüstenberg „auf eine Selbständigkeit orientiert“ worden, gehen die von anderen Mitarbeiter/innen der Beklagten (Frau E, Herr/Frau M) erlassenen Bescheide in keiner Weise ein. Ferner hat die Beklagte außer Acht gelassen, dass den Verbis-Vermerken eine engmaschige, oft mehrere Kontakte innerhalb eines Kalendermonats umfassende Betreuung des Klägers über einen Zeitraum von mehreren Monaten – auch während der Arbeitsunfähigkeit des Klägers – zu entnehmen ist, in denen dieser glaubhaft und nachvollziehbar intensiv nach einer abhängigen Beschäftigung gesucht hat.

 

bb. Abgesehen davon lassen auch die von der Beklagten dokumentierten Stellenangebote, welche aus ihrer Sicht für den Kläger in Frage gekommen wären, nicht den Schluss zu, es sei zeitnah eine nachhaltige Integration des Klägers in eine versicherungspflichtige Beschäftigung zu erwarten gewesen.

In welchem Umfang auf offene Stellen hinzuweisen und in welchem Umfang dies zu dokumentieren ist, hängt von der im Einzelfall gegebenen Situation ab. Wenn feststellbar ist, dass seitens der Antragstellerin oder des Antragstellers ersichtlich keine ausreichenden Bewerbungsaktivitäten entfaltet werden, wird eine geringere Anzahl dokumentierter offener Stellen ausreichen. Ob Bewerbungsaktivitäten ausreichend sind, hängt von der Anzahl nachgewiesener oder glaubhaft erfolgter Bewerbungen und davon ab, ob ggf. in Eingliederungsvereinbarungen statuierten diesbezüglichen Verpflichtungen nachgekommen wurde. Wenn – wie vorliegend – glaubhaft ein Interesse des Antragstellers oder der Antragstellerin an einer versicherungspflichtigen Beschäftigung feststeht, weil über einen beträchtlichen Zeitraum intensive Bewerbungsbemühungen entfaltet wurden, sind – wenn der Vermittlungsvorrang entscheidungserhebliches Kriterium sein soll – auch an die Dokumentation bestehender offener und auch in Frage kommender Stellen deutlich höhere Anforderungen zu stellen (Senat, Urteil vom 7. Mai 2018 – L 14 AL 111/18 –, juris).

 

(1) Dem genügte die Dokumentation im Bescheid vom 14. April 2014 – der Widerspruchsbescheid verweist pauschal auf diese Darstellung – in mehrfacher Hinsicht nicht. Die Stellenangebote in diesem Bescheid beschränken sich zum einen auf Firmennamen (welche teilweise auch den Ort des Firmensitzes beinhalten), lassen aber nicht die konkrete gesuchte Tätigkeit erkennen, sodass der Kläger als Adressat des Bescheide nicht erkennen konnte, ob sich die Vermittlungsbemühungen der Beklagten tatsächlich – wie im Widerspruchsbescheid behauptet – „in erster Linie“ auf seine Qualifikation als Metallbauermeister erstrecken. Der Bescheid vom 14. April 2014 enthält zu den benannten Stellenangeboten aber auch keine Angaben zum voraussichtlichen monatlichen Arbeitsentgelt, sodass der Kläger nicht erkennen konnte, ob es sich überhaupt um versicherungspflichtige Beschäftigungen handelt. Nicht versicherungspflichtig, sondern versicherungsfrei sind gemäß § 27 Abs. 2 Satz 1 SGB III i.V.m. § 8 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch Beschäftigungen mit einem regelmäßigen monatlichen Arbeitsentgelt von nicht mehr als 450.- €.

 

(2) Die Beklagte kann dem nicht entgegen halten, sie habe in den Verwaltungsvorgängen (hier: Blatt 61 bis 70) insgesamt 53 Stellenangebote dokumentiert. Der Senat hat bereits schwerwiegende Bedenken, für die Prüfung pflichtgemäßer Ermessensausübung auf Tatsachen abzustellen, die sich nicht in den jeweiligen Bescheiden (Verwaltungsakte i.S.v. § 31 SGB X) finden. Hierauf kommt es im vorliegenden Fall indes aus mehreren Gründen nicht an. Denn zum einen ist auch diesen 53 Stellenangeboten mangels Angaben zum regelmäßigen monatlichen Arbeitsentgelt nicht zu entnehmen, ob sie sich auf eine versicherungspflichtige Beschäftigung beziehen. Die offensichtlich am 4. April 2014 erstellte Auflistung der Stellenangebote lässt zum anderen nicht erkennen, welche der Stellen bereits vor dem Beginn der selbständigen Tätigkeit des Klägers, d.h. vor dem 1. April 2014, ausgeschrieben waren. Der Auflistung macht ferner deutlich, dass zumindest zwei der im Bescheid vom 14. April 2014 beispielhaft aufgeführten Stellenangebote für den Kläger ungeeignet waren: bezüglich der von der Chemie- und Tankanlagen R GmbH angebotenen Stelle als „Industriemeister/in – allgemein“ fehlt es an Nachweisen in den Verwaltungsvorgängen der Beklagten, dass der Kläger über diese Qualifikation, die nach den allgemein zugänglichen Angaben der Beklagten (https://berufenet.arbeitsagentur.de/berufenet/faces/index?path=null/suchergebnisse/kurzbeschreibung&dkz=14383&such=industriemeister) eine Industriemeisterprüfung voraussetzt, verfügt; bezüglich der von der h Service GmbH L angebotenen Stelle als „Werkstattmeister/in (Werkstattleiter/in)“ ist ein Bezug zur Metallbaubranche nicht zu erkennen. Außerdem enthält die auf wenige Informationen je Stelle beschränkte Auflistung der Beklagten etliche Stellenangebote, für die eine Eignung des Klägers nicht ersichtlich ist, etwa für Tätigkeiten als „Ausbilder/in – Hauswirtschaft“, „Lehrkraft, Coach, Jobcoach, Deutschlehrer“, „Ausbilder/in für Kaufmann/frau im Gesundheitswesen“, „Ausbilder/in für Umschulungen im kaufmännischen Bereich“ oder „Ausbilder/in für Umschulungen Bereich Fachinformatiker/in“. Diese Angebote könnten im Übrigen Zweifel wecken, ob die Beklagte anhand dieser Auflistung ernsthaft die Eingliederungschancen des Klägers prüfen wollte.

 

c. Auch den Gesichtspunkt der sog. Eigenleistungsfähigkeit hat die Beklagte ermessensfehlerhaft in ihre Abwägung eingestellt.

 

aa. Ausgehend von Zweck des Gründungszuschusses, die Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit dadurch zu ermöglichen, dass der Selbständige eine Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts und zur sozialen Sicherung in der Zeit nach der Existenzgründung erhält (BSG, Urteil vom 1. Juni 2006 – B 7a AL 34/05 R –, juris, zum Überbrückungsgeld als Vorgänger des Gründungszuschusses), ist der Gesichtspunkt der Eigenleistungsfähigkeit grundsätzlich ermessensrelevant und für sich allein geeignet, die Ablehnung eines Gründungszuschusses zu tragen (LSG Hamburg, a.a.O.; (Bayerisches LSG, a.a.O.; jeweils m.w.N.). Auf die Argumente der Gegenansicht, wonach zumindest vorhandenes Vermögen, ggf. auch Einkommen, das nicht aus der selbständigen Tätigkeit herrührt, im Rahmen der Eigenleistungsfähigkeit nicht berücksichtigt werden darf (Bienert, info also 2015, 165; Kuhnke, a.a.O., Rn. 61 f.; jeweils m.w.N.), ist für den vorliegenden Fall nicht einzugehen, weil die Beklagte nur auf die Einkommensprognose des Klägers bezüglich seiner selbständigen Tätigkeit abgestellt hat.

 

bb. Allerdings hat die Beklagte die Eigenleistungsfähigkeit anhand nicht sachgerechter Tatsachen bejaht. Sie hätte nicht (nur) einen Betrag von 1.525.- € – ermittelt als das vom Kläger für die für das Rumpfjahr (d.h. die Monate April bis Dezember) 2014 prognostizierte Betriebsergebnis, dividiert durch die Anzahl der Monate – zugrunde legen dürfen (hierzu (1) bis (3)). Sie hätte aber auch nicht ohne weitere Sachverhaltsermittlungen – quasi „ins Blaue hinein“ – davon ausgehen dürfen, dass wegen der vom Kläger seit Mai 2013 ausgeübten nebenberuflichen selbständigen Tätigkeit er schon „auf dem Markt eingeführt“ sei und „keine erheblichen Investitionen mehr erforderlich“ seien.

 

(1) Im Hinblick auf das vom Kläger prognostizierte Einkommen hat die Beklagte zum einen lediglich einen – als „erzielt“ qualifizierten – monatlichen Durchschnittswert ermittelt und dann argumentiert, dieser Wert sei höher als der der Gründungszuschuss. Grundsätzlich darf die Beklagte die betriebswirtschaftlichen Angaben in den vom Betroffenen eingereichten Unterlagen als Material zur Beurteilung der Eigenleistungsfähigkeit verwenden. Ein Durchschnittswert ermöglicht indes keine hinreichend valide Beurteilung, ob der Betroffene auf den Gründungszuschuss tatsächlich nicht angewiesen ist. Insofern wäre zunächst begründungsbedürftig gewesen, warum die Beklagte nicht nur auf die ersten sechs Monate der selbständigen Tätigkeit, sondern einen längeren als den klägerseits begehrten Förderzeitraum abstellt (vgl. hierzu auch Bayerisches LSG, a.a.O.).

 

(2) Zum anderen hat die Beklagte offen gelassen, welche inhaltliche Bedeutung sie dem „Betriebsergebnis“ im Businessplan des Klägers beimisst. Anlass für eine inhaltliche Bestimmung dieses betriebswirtschaftlichen Begriffs hätte schon deshalb bestanden, weil er vom Gesetzgeber in ganz unterschiedlichen Zusammenhängen benutzt wird, ohne dass ein einheitliches Begriffsverständnis offensichtlich wäre. So findet der Begriff des Betriebsergebnisses im Bereich des Sozialrechts Verwendung (z.B. in § 130 Abs. 1 Satz 3 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch und in § 4 Abs. 3 Verordnung zur Durchführung des § 82 des Zwölfen Buches Sozialgesetzbuch), aber auch in anderen Rechtsgebieten (z.B. in § 202 Bewertungsgesetz, § 87 Abs. 2 Bundeshaushaltsordnung oder § 2 Landwirtschaftsgesetz). In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist demgegenüber für die Auslegung eines Tarifvertrags eine Begriffsdefinition aus der Betriebswirtschaftslehre zugrunde gelegt worden (BAG, Urteil vom 14. März 2012 – 10 AZR 172/11 –, juris).

 

(3) Schließlich hat die Beklagte nach der Art eines „Rosinenpickens“ sich einen einzelnen Wert („Betriebsergebnis“) aus dem Businessplan des Klägers herausgegriffen, ohne zu begründen, warum sie andere darin aufgeführte Werte, die ebenfalls Auskunft über den betriebswirtschaftlichen Erfolg des Klägers in seiner selbständigen Tätigkeit geben könnten, unberücksichtigt gelassen hat. In diesem Zusammenhang hat die Beklagte im Übrigen auch auf die Vergleichbarkeit des von ihr dem Businessplan oder ähnlichen Berechnungen des Betroffenen entnommenen Wertes mit dem Gründungszuschuss zu achten. Da der Gründungszuschuss gemäß 3 Nr. 2 lit. a) Einkommenssteuergesetz steuerfrei ist, darf die Beklagte ihn auch nur mit betriebswirtschaftlichen Kennziffern vergleichen, die die Situation „nach Steuern“, d.h. unter Berücksichtigung der einschlägigen steuerrechtlichen Vorschriften, bewertet.

 

d. Welchen Gesichtspunkt die Beklagte mit dem Hinweis auf ein Existenzgründerseminar, das der Kläger 2012 besuchte, und die 2013 abgeschlossene Vereinbarung mit der IHK-Projektgesellschaft mbH Ostbrandenburg in die Abwägung einstellen wollte, erschließt sich dem Senat nicht. Soweit sie damit zum Ausdruck bringen wollte, der Kläger habe sich schon vor längerer Zeit entschlossen oder zumindest erwogen, eine hauptberufliche selbständige Tätigkeit aufzunehmen, ist nicht erkennbar, warum dies einem Gründungszuschuss entgegen stehen sollte. Dem Gesetz bzw. den Gesetzesmaterialien sind keine Vorgaben zu entnehmen, dass schon das „Anstreben“ einer selbständigen Tätigkeit vor Beginn der Beschäftigungslosigkeit dem Anspruch auf einen Gründungszuschuss entgegen stehen könnte.

 

4. Die Beklagte wird daher wegen des fehlerhaft ausgeübten Ermessens über den Anspruch des Klägers auf einen Gründungzuschuss erneut entscheiden müssen. Sie darf dabei nicht von der Rechtsauffassung des Senats abweichen, d.h. sie muss zugrunde legen, dass die Anspruchsvoraussetzungen nach § 93 Abs. 1 und 2 SGB III gegeben sind, und sie ist bei der Ausübung von Ermessen an die diesbezüglichen Ausführungen des Senats gebunden.

 

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits.

 

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil Gründe hierfür (§ 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.

Rechtskraft
Aus
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