L 3 R 662/21

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3.
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 33 R 1003/20
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 3 R 662/21
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 12 R 5/22 R
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 11.06.2021 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über eine Rentenversicherungspflicht des Klägers gemäß § 2 S. 1 Nr. 9 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch – Gesetzliche Rentenversicherung – (SGB VI) in seiner Tätigkeit als Franchise-Nehmer für eine GmbH.

Mit Bescheid vom 18.05.2004 hatte die Beklagte festgestellt, dass der 1968 geborene Kläger seit dem 01.01.1999 als selbstständiger Lehrer der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 2 S. 1 Nr. 1 SGB VI unterliege.

Der Kläger teilte der Beklagten mit E-Mail vom 21.08.2018 mit, dass er eine Schülerhilfe-Nachhilfeeinrichtung „seit dem 1. April 2009“ betreibe und dort selbst unterrichte. Der Schwerpunkt liege  nicht im Unterricht, sondern in der Organisation und Verwaltung der Nachhilfeeinrichtung. Er bitte um Feststellung, nicht länger der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung zu unterliegen. Der Kläger fügte der E-Mail einen Folge-Franchise-Vertrag (FFV) zwischen ihm als Franchise-Partner und der U-GmbH aus R (Franchise-Geber) vom 27.11.2017 bei.

In § 1 Nr. 1 des FFV ist geregelt, dass der Franchise-Partner verpflichtet ist, Kurse in seiner „Schülerhilfe“ auf der Grundlage des ihm vom Franchise-Geber überlassenden Know-hows nach § 9 anzubieten und durchzuführen. In § 1 Nr. 2 des FFV wird aufgeführt, dass der Franchise-Partner berechtigt ist, in seiner Schülerhilfe Waren und/oder Dienstleistungen nach schriftlicher Absprache mit dem Franchisegeber anzubieten, die zu den Schülerhilfe-Produkten passen. Der Franchisepartner ist nach § 1 Nr. 2 des FFV weiter berechtigt, andere Produkte und/oder Dienstleistungen, die nicht Gegenstand dieses Franchise-Vertrages sind, gegenüber dem Franchise-Geber vorzuschlagen; soweit der Franchise-Geber einwilligt, können diese Produkte vertrieben und/oder Dienstleistungen über die Schülerhilfe des Franchise-Partners erbracht werden. Nach § 5 Nr. 2 des FFV ist der Franchise-Partner nicht berechtigt, außerhalb seines Versorgungsgebietes eine Schülerhilfe oder ein konkurrierendes Nachhilfeinstitut zu betreiben. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den FFV vom 27.11.2017 Bezug genommen.

Ergänzend teilte der Kläger in der E-Mail mit, dass er nicht vom Franchisegeber abhängig sei. Dieser stelle zwar die Marke „Schülerhilfe“ und die entsprechende Copyright-Identität zur Verfügung, er sei aber für die Anmietung der Unterrichtsräume sowie deren Ausstattung mit Mobiliar, Lehrmitteln und Computern alleine verantwortlich. Auch erfolge die Auswahl, Beschäftigung und Entlohnung der ausschließlich als Honorarkräfte tätigen Nachhilfelehrer  nach seinem Ermessen. Die Höhe des Schulgeldes und die Ausgestaltung der Verträge mit den Kunden würden von ihm festgelegt. Das lokale Marketing, Vertragsabschlüsse mit den Kunden und die Erledigung der kompletten Buchhaltung unterlägen seiner Verantwortung.

Mit Schreiben vom 16.04.2019 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass sie beabsichtige, die Versicherungspflicht nach § 2 S. 1 Nr. 9 SGB VI als Selbstständiger mit einem Auftraggeber festzustellen. Der Kläger erziele aus dem Franchisevertrag mehr als geringfügige Einnahmen und beschäftigte keinen Arbeitnehmer im Zusammenhang mit seiner selbständigen Tätigkeit. In Franchise-Systemen sei der Franchise-Geber einziger Auftraggeber des Franchise-Nehmers. Dies beruhe darauf, dass im Rahmen eines solchen Verhältnisses genau die Situation bestehe, die die Einbeziehung von selbstständigen Tätigen mit nur einem Auftraggeber in die Rentenversicherungspflicht veranlasst und begründet habe. Franchise-Nehmer seien für ihre selbstständige Tätigkeit vollständig von ihrem Franchise-Geber abhängig. Die Tätigkeit des Klägers könne außerhalb des Franchise-Vertrages nicht ausgeübt werden, weil dem Kläger insoweit weder Betriebsmittel noch Lieferbeziehungen zur Verfügung stünden. Unerheblich sei es, wenn im Rahmen des Franchise-Systems keine Produkte, sondern Dienstleistungen vertrieben würden.

Mit Bescheid vom 22.08.2019 stellte die Beklagte die Versicherungspflicht des Klägers in der gesetzlichen Rentenversicherung ab dem 01.09.2018 nach § 2 S. 1 Nr. 9 SGB VI fest. Ab dem 01.09.2018 habe er Pflichtbeiträge (Regelbeiträge) zu zahlen.

Der Kläger legte Widerspruch ein. Die pauschale Aussage, dass in einem Franchise-System der Franchise-Geber einziger Auftraggeber des Franchise-Nehmers sei, sei weder haltbar, noch habe sich die Beklagte mit den tatsächlichen Verhältnissen auseinandergesetzt. Die Qualifikation eines Franchise-Gebers als Auftraggeber im Sinne des § 2 S. 1 Nr. 9 SGB VI hänge stets von den Strukturen des Franchise-Systems und einer Gesamtwürdigung der Einzelumstände ab. Die Tätigkeit müsse in die Nähe einer abhängigen Verkaufstätigkeit rücken, so auch das Bundessozialgericht in seinem Urteil vom 04.11.2009. Das treffe aber auf ihn nicht zu. Er handle im eigenen Namen und auf eigene Rechnung. Die Nachhilfeeinrichtung werde durch ihn selbst angemietet und ausgestattet. Auch sei er nicht auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig, da er mit sämtlichen Eltern seiner Nachhilfeschüler für die Erteilung der Sprachklassen jeweils Vereinbarungen und Verträge geschlossen habe. Die Dienstleistung werde nicht durch den Franchisegeber produziert, sondern durch Honorarkräfte erbracht, die er selbst aussuche und unter Vertrag nehme. Auch die Höhe der Vergütung der Honorarkräfte werde durch ihn verhandelt und vereinbart. Ihn treffe keine Verpflichtung, Sachmaterialien vom Franchisegeber zu beziehen. Er entscheide selbst und in eigener Verantwortung, in welchem Umfang und zu welchen Bedingungen er die Dienstleistung anbiete. Auch den Stundenplan setze er selbst fest. Er unterliege keiner Verpflichtung, feste Umsatzzahlen zu erreichen oder bestimmte Produkte beim Franchisegeber abzunehmen bzw. zu vertreiben. Der Franchisegeber sorge lediglich für eine einheitliche überregionale Werbung, eine starke Marke und diverse Beratungsleistungen bzw. Dienstleistungen, die ihm den effektiven Betrieb der Nachhilfeeinrichtung ermöglichten. Es bestehe kein struktureller Unterschied zwischen seinem Nachhilfeinstitut und dem eines nicht markengebundenen Nachhilfeinstituts eines anderen Betreibers ohne Franchisevertrag. Durch den Franchisevertrag werde auch keine wirtschaftliche Abhängigkeit begründet, da er eigene Kundenbeziehungen aufbaue und eigene vertragliche Beziehungen wie etwa Mietvertrag und Verträge mit Honorarkräften schließe. Zudem unterliege er keinem nachvertraglichen Wettbewerbsverbot.

Den im August 2018 gestellten Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 6 Abs. 1a Nr. 1 SGB VI lehnte die Beklagte mit bestandskräftigem Bescheid vom 13.01.2020 ab.

Mit Widerspruchsbescheid vom 17.08.2020 (zugegangen am 21.08.2020) wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die Beklagte betonte, dass in Franchise-Systemen der Franchise-Geber einziger Auftraggeber des Franchise-Nehmers sei. Ein Franchise-Nehmer sei dann besonders abhängig, wenn ihm ein abgegrenztes Gebiet – wie hier der Franchise-Ort R – zugewiesen sei.  Die Beklagte verwies in dem Bescheid zudem auf § 1 Nr. 2 des FFV.

Hiergegen hat der Kläger am 21.09.2020 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Köln erhoben, auf seine Ausführungen im Verwaltungsverfahren verwiesen und nochmals betont, dass keine wirtschaftliche Abhängigkeit im Sinne des § 2 S. 1 Nr. 9 SGB VI vorliege. Der Franchise-Geber stelle die erbrachten Dienstleistungen nicht her und vermarkte diese auch nicht. Aus der örtlichen Aufteilung der Vertragsgebiete könne nicht auf eine wirtschaftliche Abhängigkeit geschlossen werden. Bei der Ausgestaltung der einzelnen Dienstleistungen bestehe für ihn eine hohe Flexibilität. Er nutzte das Franchisesystem im Wesentlichen, weil es ihn über den starken Markenauftritt aus dem Kreis der sonstigen Nachhilfeeinrichtungen heraushebe. Die Festlegung des Vertragsgebiets nach § 5 Abs. 1 des FFV erfolge aus Marketinggesichtspunkten in erster Linie zu seinen Gunsten. Weder dürfe ein anderer Franchise-Nehmer in seinem Vertragsgebiet, noch er in dem Gebiet eines anderen Konkurrenten tätig werden. Anders als in dem der Entscheidung des Schleswig-Hosteinischen LSG von 05.12.2011 (L 1 R 59/11) zu Grunde liegenden Sachverhalt begründe der FFV kein abhängiges, vertikal-kooperativ organisiertes Vertragsverhältnis. In der Fällen des  Bundessozialgerichts BSG, Urteil vom 04.11.2009 – B 12 R 3/08 R –, BSGE 105, 46-56, SozR 4-2600 § 2 Nr. 12 und der genannten Entscheidung des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts habe eine starke wirtschaftliche Abhängigkeit bestanden. Hier liege aber eine weniger enge Anbindung an den Franchise-Geber vor. Er miete selbst Räume an, die er auch selbst ausstatte. Auch vertreibe er nicht bloß vom Franchise-Geber produzierte Dienstleistungen. Lediglich eine Erstausstattung an Lehrmaterial und Hilfsmitteln sei ihm vom Franchise-Geber zur Verfügung gestellt worden. Im Rahmen der vertraglichen Regelung dürfe er auch (in Absprache mit dem Franchise-Geber) andere Waren und/oder Dienstleistungen anbieten – hier gelte die 20 %-Grenze, die ihm im ausreichenden Maße ermögliche, unternehmerisch tätig zu werden. Er verfüge über einen weitreichenden Gestaltungsspielraum bei der Ausübung der konkreten Nachhilfetätigkeit. Seine Einbeziehung in die Rentenversicherungspflicht nach § 2 S. 1 Nr. 9 SGB VI laufe daher dem Schutzzweck der Norm zuwider, da eine arbeitnehmerähnliche Schutzbedürftigkeit mangels wirtschaftlicher Abhängigkeit nicht bestehe. Der Kläger hat den Franchise-Vertrag (FV) vom 29.03.2009 mitsamt Anlagen, ein Schreiben des Landessozialgerichts Baden-Württemberg im Verfahren L 2 R 484/17 (betreffend einen anderen Kläger) und seine Einkommensteuerbescheide aus den Jahren 2017-2019 zu den Akten gereicht.

Der Kläger hat beantragt,

den Bescheid vom 22.08.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.08.2020 „anzuheben“.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat auf den Inhalt des Widerspruchsbescheides verwiesen.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 11.06.2021 abgewiesen. Der Kläger unterliege der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 2 S. 1 Nr. 9 SGB VI. Zutreffend habe die Beklagte festgestellt, dass die Tätigkeit des Klägers als Leiter eines Nachhilfeinstituts eine selbstständige Tätigkeit darstelle. § 2 S. 1 Nr. 9 SGB VI gelte nach der Rechtsprechung des BSG auch für einen Ein-Mann-Franchise-Nehmer, der nur für einen Franchise-Geber tätig sei. Es bestehe auch im vorliegenden Fall eine wirtschaftliche Abhängigkeit zwischen Franchise-Nehmer und Franchise-Geber. Der Kläger gehöre einer vertikal kooperativ organisierten Franchise-Gruppe an und könne aufgrund der vertraglichen Verpflichtungen außerhalb des Franchiseverhältnisses keine nennenswerten unternehmerischen Tätigkeiten ausüben oder zusätzliche Verdienstmöglichkeiten entfalten. Insoweit sei auf § 1 des FFV und die dort genannte 20 % Grenze (gemessen am Netto-Gesamtumsatz) zu verwiesen. Der Kläger habe als Franchise-Nehmer zahlreiche Vorgaben zu beachten und müsse etwa auch Einblick in seine Betriebsunterlagen gewähren und zudem Gebühren an den Franchise-Geber entrichten. Dies alles gehe über eine bloße Außendarstellung weit hinaus.

Der Kläger hat gegen das ihm am 24.06.2021 zugestellte Urteil am 14.07.2021 Berufung eingelegt. Aus der Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 04.11.2009 (a.a.O), auf die das SG sein Urteil maßgeblich stütze, lasse sich nicht ableiten, dass ein Ein-Mann-Franchise-Unternehmer stets der Versicherungspflicht gemäß § 2 S. 1 Nr. 9 SGB VI unterliege. Im zu entscheidenden Fall des BSG habe sich der dortige Franchise-Nehmer keine nennenswerten zusätzlichen Verdienstmöglichkeiten erschließen können und Ladenlokal und sämtliche Betriebsmittel vom Franchise-Geber angemietet. Dies liege hier anders, da  er die von ihm angebotene Leistung des Nachhilfeunterrichts eigenständig erarbeite und seinen Geschäftsbetrieb auch außerhalb des Franchisesystems führe. Der Franchise-Geber mache ihm keine Vorschriften zur inhaltlichen Ausgestaltung oder Preisgestaltung des angebotenen Unterrichts, es gebe auch kein vorgegebenes Unterrichtsprinzip. Die Vorgaben bezögen sich im Wesentlichen auf die Außendarstellung der Schülerhilfe-Nachhilfeinstitute im Interesse der Markenstärkung. Er vereinnahme und behalte den weit überwiegenden Teil der Umsätze aus seiner Unterrichtstätigkeit und bezahle dem Franchise-Geber alleine das vertraglich vereinbarte Entgelt. Sein Nachhilfeinstitut könne er in nahezu gleicher Weise auch außerhalb des Franchisevertrages anbieten: Er habe den Schulungsraum selbst angemietet und Eigentum an der Ausstattung erworben. Seit 2015 hätten rund 60 Franchisenehmer ihren Franchisevertrag beendet und ihre Tätigkeit als eigenständige, nicht markengebundene Nachhilfeinstitute fortgesetzt. Dies belege, dass keine strukturelle Abhängigkeit vom Franchise-Geber bestehe. Eine wirtschaftliche Abhängigkeit ließe sich auch nicht daraus ableiten, dass er zur jährlichen Teilnahme an Tagungen der Schülerhilfe und Regionaltreffen sowie jährlichen Schulungen verpflichtet sei. Gleiches gelte für die Bereitstellung des Franchise – und des Qualitätsmanagementhandbuchs sowie der Richtlinien des Franchisegebers. Auch das Recht des Franchisegebers, Einblick in die Betriebsunterlagen zu nehmen und jährlich Kopien der buchhalterischen Dokumente zu erhalten, konstruierte keine wirtschaftliche Abhängigkeit, da dieser ohne diese Einblicke seine betriebswirtschaftlichen Beratungspflichten nicht erfüllen könne. Die räumliche Standortbindung sei unter Wettbewerbsgesichtspunkten sinnvoll und gegenseitig vereinbart. Auch wenn er davon keinen Gebrauch mache, sei es ihm, wie anderen Franchisenehmern der Schülerhilfe möglich, andere gewerbliche Tätigkeiten (wie etwa Versicherungsagentur, Coaching) auszuüben.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 11.06.2021 abzuändern und den Bescheid der Beklagten vom 22.08.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.08.2020 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verweist auf das Urteil des SG.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakte verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Die Klage ist hinsichtlich der allein streitgegenständlichen Feststellung der Versicherungspflicht nach § 2 S. 1 Nr. 9 SGB VI als isolierte Anfechtungsklage gem. § 54 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie ist jedoch unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 22.08.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.08.2020 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten nach § 54 Abs. 2 S. 1 SGG. Der Kläger unterliegt (jedenfalls) seit dem 01.09.2018 der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 2 S. 1 Nr. 9 SGB VI.

I.

Versicherungspflichtig sind gem. § 2 S. 1 Nr. 9 SGB VI selbständig tätige Personen, die

a)

im Zusammenhang mit ihrer selbständigen Tätigkeit regelmäßig keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigen und

b)

auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig sind; bei Gesellschaftern gelten als Auftraggeber die Auftraggeber der Gesellschaft.

II.

Die Tätigkeit des Klägers als Leiter des Nachhilfeinstituts stellt eine selbstständige Tätigkeit dar. Dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig. Der Senat sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und verweist auf die zutreffenden Gründe der angefochtenen Entscheidung, § 153 Abs. 2 SGG.

Der Kläger beschäftigt – auch nach seinen zuletzt  in der öffentlichen Sitzung am 09.02.2022 gemachten Angaben – im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als Leiter des Nachhilfeinstituts keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer.

Zur Überzeugung des Senats steht fest, dass der Kläger als Franchise-Nehmer der U-GmbH auch auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig ist.

In seinem grundlegenden Urteil vom 04.11.2009  (BSG – B 12 R 3/08 R –, BSGE 105, 46-56, SozR 4-2600 § 2 Nr. 12; zustimmend Dankelmann, jurisPR-SozR 18/2010 Anm. 4; siehe auch Plagemann/Radtke-Schwenzer, NJW 2010, 2481-2483), welches sich auf den Vertrieb von Handelswaren im Franchisesystem („Backshop“) bezieht, hat das BSG aus der Gesetzgebungsgeschichte des § 2 S. 1 Nr. 9 SGB VI abgeleitet, dass nach den Vorstellungen der an den verschiedenen Gesetzgebungsverfahren Beteiligten auch für Franchise-Verhältnisse ein Regelungsbedarf bestanden habe und Franchise-Nehmer ausdrücklich in die Rentenversicherungspflicht Selbstständiger einbezogen werden sollten. Dieser Schutz sei auch unter teleologischen Gesichtspunkten geboten. Bei einem Franchise-Verhältnis innerhalb dessen ein Einmann-Franchise-Nehmer (ohne versicherungspflichtigen Arbeitnehmer) tätig werde, sei die Beurteilung des Franchise-Gebers als Auftraggeber geboten, weil im Rahmen eines solchen Verhältnisses genau die Situation bestehe, die die Einbeziehung von selbstständig Tätigen mit nur einem Auftraggeber in die Rentenversicherungspflicht veranlasst und begründet habe. Der Franchise-Nehmer sei vollständig von dem Franchise-Geber abhängig, wenn die Tätigkeit außerhalb des Franchise-Vertrags nicht ausgeübt werden könne, weil weder Betriebsmittel noch Lieferbeziehungen zur Verfügung stünden. Die "Arbeitnehmerähnlichkeit" der betroffenen Selbstständigen komme hinreichend und abschließend in den normativen und allein subsumtionsfähigen Kriterien des § 2 S. 1 Nr. 9 SGB VI zum Ausdruck, sodass die Rentenversicherungspflicht nicht die individuelle soziale Schutzbedürftigkeit des Versicherungspflichtigen voraussetze. Entscheidend sei vielmehr, ob der formal gesetzte Tatbestand, in dem nach Auffassung des Gesetzgebers die soziale Schutzbedürftigkeit typisierend verkörpert sei, erfüllt werde. Im Hinblick hierauf erfasse § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI typischerweise auch Personen, die als Franchise-Nehmer in einem vertikal-kooperativ organisierten Absatzmittlungsverhältnis stünden. In einer solchen Vertriebskette sei für den Franchise-Nehmer, der als selbstständig Tätiger für den Franchise-Geber Waren und/oder Dienstleistungen vermarkte, der Franchise-Geber, der die Produkte zur Verfügung stellt, einziger Auftraggeber.

Das LSG Schleswig-Holstein hat diese Grundsätze auf seine Entscheidung zur Einordnung eines Leiters eines Nachhilfeinstituts angewandt und darauf hingewiesen, dass die soziale Schutzbedürftigkeit eines Ein-Mann-Franchise-Nehmers unabhängig davon bestehe, ob dieser Waren oder Dienstleistungen anbiete (Urteil vom 05.12.2011 – L 1 R 59/11, juris; Revision als unzulässig verworfen durch BSG, Beschluss vom 09.01.2014 – B 5 RE 1/14 R-, siehe in diesem Zusammenhang auch SG Köln, Urteil vom 17.04.2012 – S 7 R 406/10 WA-, juris; der Entscheidung des LSG Schleswig-Holstein zustimmend Timmermann, BB 2015, 319). Dieser Rechtsaufassung schließt sich der erkennende Senat nach eigener Prüfung an. Die typischerweise bestehende soziale Schutzbedürftigkeit von Ein-Mann-Franchise-Nehmern in vertikal-kooperativ organisierten Absatzmittlungsverhältnissen beruht nicht auf dem vertriebenen (materiellen oder immateriellen) Produkt, sondern auf der phänotypischen ausgestalten Macht- und Interessenkonstellation des Franchise-Vertrags.

Dass der Kläger nach dem Inhalt des (auch gelebten) FFV vom 27.11.207 als Franchise-Nehmer weder rechtlich noch faktisch in nennenswertem Umfang unternehmerisch tätig werden kann, ergibt sich für den Senat insbesondere aus folgenden Regelungen: 

Schon die räumliche Ausgestaltung der selbständigen Tätigkeit unterliegt erheblichen Einschränkungen. Die Anmietung der Räumlichkeiten, in denen die Schülerhilfe angeboten wird, ist von der Zustimmung des Franchise-Gebers (§ 1 Nr. 1 FFV) ebenso abhängig wie eine Verlagerung des Standorts innerhalb des Vertragsgebiets – der Kläger selbst gibt ausweislich der Niederschrift der öffentlichen Sitzung vom 09.02.2022 an, dass der Umzug in neue Räumlichkeiten (bereits 2010 auf Grundlage des FV) einer Anzeige gegenüber dem Franchise-Geber bedurfte („Alles was den Markennamen schädigen würde oder nicht zu diesem Produkt passen würde, ist eben nicht tunlich.“). Bei der Einrichtung und Ausgestaltung der Räume muss er sich an vorgegebene Empfehlungen des Franchise-Gebers halten (§ 4 Nr. 1 des FFV). Es ist untersagt, die angemieteten Räume zu anderen (z.B. unternehmerischen) Zwecken zu nutzen (§ 4 Nr. 3 des FFV). Weder innerhalb noch außerhalb des Vertragsgebiets ist dem Kläger die Erbringung konkurrierender Dienstleistungen oder aktives Marketing erlaubt (§ 5 Nr. 2 FFV). Weitere Unterrichtsstätten sind allein unter Abschluss eines zusätzlichen Franchisevertrages möglich (§ 4 Nr. 5 des FFV).

Bei der inhaltlichen Ausgestaltung seines Angebots ist der Franchise-Nehmer verpflichtet, die Kurse auf der Grundlage des vom Franchise-Geber überlassenen Know-hows anzubieten und durchzuführen (§ 1 Nr. 1 FFV; siehe auch § 9 des FFV) und dessen Konzept zu übernehmen (§ 3 Nr. 3 FFV). Waren und/oder Dienstleistungen dürfen nur nach Absprache mit dem Franchise-Geber angeboten werden und nicht mehr als 20 % des Gesamtumsatzes betragen (§ 1 Nr. 2 FFV). Andere Produkte und/oder Dienstleistungen können dem Franchise-Geber vom Kläger vorschlagen werden, dürfen aber nur bei dessen Einwilligung vertrieben werden – es besteht zudem eine Widerrufsmöglichkeit des Franchise-Gebers (§ 1 Nr. 2 FFV). Der Franchise-Nehmer ist überdies verpflichtet, vom Franchise-Geber geänderte Dienstleistungen anzubieten (§ 1 Nr. 3 FFV) und weitere Unterrichtskonzepte des Franchise-Gebers verpflichtend zu beziehen (§ 1 Nr. 5 des FFV). Er muss zudem verpflichtend am jährlichen Gesamttreffen sowie regionalen Treffen teilnehmen (§ 2 Nr. 2 des FFV; siehe auch § 6 des FFV).

Der Kläger trägt vor, keinesfalls von seinem Franchise-Geber wirtschaftlich abhängig zu sein. Dies ist für den Senat nicht ohne weiteres nachvollziehbar. Denn der Kläger ist vertraglich nach § 11 FFV verpflichtet, monatlich eine Basisgebühr von 962,26 €, eine Zertifizierungsgebühr von 39,38 €, eine Online-Center-Gebühr i.H.v. mindestens 30,25 €, ICAS-Lizenzgebühren von (ab dem 01.01.2019) 32,66 €, eine Marketinggebühr von 680,24 € und ggf. bei Erreichen eines bestimmten Jahresumsatzes zusätzlich eine variable Gebühr zu entrichten. Setzt man die monatliche Gesamt-Gebührenbelastung (ohne die Variable) von 1.744,79 € (jährlich 20.937,48 €) ins Verhältnis zum zu versteuernden Jahreseinkommen des Klägers (im umsatzstärksten Jahr 2019) von 27.897 €, wird deutlich, dass der Kläger weit mehr als 40 Prozent seiner Einnahmen an den Franchise-Geber abführen muss und an diese Vereinbarung für die Vertragslaufzeit von 10 Jahren gebunden ist. Welches Ausmaß diese wirtschaftliche Verpflichtung hat, dürfte in den Jahren 2021 und 2022, in denen der Umsatz laut den Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung deutlich niedriger war, deutlich zu tragen gekommen sein. Dass der Franchise-Geber schon deshalb ein manifestes Interesse an der Beobachtung der wirtschaftlichen Performance seines Franchise-Nehmers hat, tritt auch dadurch zu Tage, dass er zu Kontrollbesuchen berechtigt ist und ihm Betriebsunterlagen (GuV, Bilanzen, EÜR) vorzulegen sind (§ 20 des FFV).

Der Franchise-Nehmer kann auch nicht weitere nennenswerte unternehmerische Tätigkeiten entfalten, um die wirtschaftliche Abhängigkeit anderweitig auszugleichen. Er darf außerhalb seines Vertragsgebiets keine konkurrierende Schülerhilfe betreiben oder konkurrierende Dienstleistungen erbringen, wenn und soweit es sich um Leistungen handelt, mit denen gegen das vertraglich geregelte Wettbewerbsverbot verstoßen wird (§ 5 Nr. 2 des FFV). Er unterliegt einem Wettbewerbsverbot (§ 8 Nr. 1 FFV) und darf keine Sub-Franchisen erteilen (§ 26 des FFV). In den angemieteten Räumen darf (wie oben bereits ausgeführt) keine andere Tätigkeit ausgeübt werden. Da der Kläger für die Leitung des Nachhilfeinstituts etwa 30 Wochenstunden aufbringen muss und selbst etwa 3 Kurse übernimmt (nach seinen Angaben ca. 6 Stunden Zeitaufwand wöchentlich), fehlt ihm schon rein faktisch die Zeit, in nennenswertem Umfang anderweitige Einnahmequellen aufzutun. Bezeichnenderweise gibt der Kläger als Beleg für seine Auffassung nur Beispiele ehemaliger Franchise-Nehmer an, die nach Beendigung des Franchise andere Aktivitäten ausüben oder während des eigentlichen Franchise-Verhältnisses völlig anders gelagerte Tätigkeiten (Versicherungen, Coaching) nachgingen.

In der Gesamtschau ist der Kläger aus der Sicht des Senats genau der Franchise-Nehmer, der als sogenannter „kleine Selbstständiger“ über die Regelung des § 2 S. 1 Nr. 9 SGB VI gegen drohende Altersarmut abgesichert werden soll.

Schließlich kann der Kläger auch keinen Befreiungstatbestand geltend machen. Wie die Beklagte mit bestandskräftigem Bescheid vom 21.08.2018 entscheiden hat, lag der im August 2018 gestellte Befreiungsantrag lange außerhalb des Dreijahreszeitraums.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 S. 1 SGG.

IV.

Vorliegend nimmt der Senat gem. § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache an. Auch wenn das BSG in seiner Entscheidung vom 04.11.2009 (a.a.O., Rn. 25) Absatzmittlungsverhältnisse für Waren und/oder Dienstleistungen anspricht, liegt noch keine höchstrichterliche Entscheidung zu Dienstleistungen vermarktenden Franchise-Nehmern vor.

 

 

Rechtskraft
Aus
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