L 4 R 157/21

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 22 R 1044/20
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 4 R 157/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Für im Beitrittsgebiet geleistete Wehrdienstzeiten vor dem 01.01.1992 sind gemäß § 256a Abs. 4 SGB VI bei der Bewertung von Beitragszeiten für jedes volle Kalenderjahr 0,75 Entgeltpunkte zugrunde zu legen. Dies gilt auch für im Beitrittsgebiet im Zeitraum vom 01.05.1961 bis 31.12.1981 abgeleisteten Wehrdienst. Die insoweit von der Bewertung des Wehrdienstes in den alten Bundesländern gemäß § 256 Abs. 3 SGB VI abweichende Bewertung verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 oder Abs. 3 Satz 1 GG. Denn die in den alten Bundesländern erfolgte Beitragszahlung für den Wehrdienst, die im Beitrittsgebiet nicht vorgesehen war, stellt einen sachlichen Grund für die unterschiedliche Behandlung dar.

 

 

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L 4 R 157/21

S 22 R 1044/20 Dresden

 

 

 

Sächsisches Landessozialgericht

Im Namen des Volkes

Urteil

In dem Rechtsstreit

 A....

- Kläger und Berufungskläger -

Prozessbevollmächtigter:       Rentenberater B....
 

gegen

Deutsche Rentenversicherung Mitteldeutschland, vertreten durch die Geschäftsführung, Georg-Schumann-Straße 146, 04159 Leipzig

- Beklagte und Berufungsbeklagte -

hat der 4. Senat des Sächsischen Landessozialgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 12. April 2022 in Chemnitz durch die Vorsitzende Richterin am Landessozialgericht Wagner, den Richter am Landessozialgericht Zimmer, die Richterin am Landessozialgericht Kemper und die ehrenamtlichen Richter Herr Hanschke und Herr Bretschneider für Recht erkannt:

      1. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden vom 1. März 2021 wird zurückgewiesen.
      2. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
      3. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

 

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger unter Bewertung der Pflichtbeitragszeit wegen der Ableistung des Grundwehrdienstes mit 1,0 statt 0,75 Entgeltpunkte (Ost) pro Jahr eine höhere Altersrente für langjährig Versicherte zusteht.

 

Der 1956 geborene Kläger leistete in der Zeit vom 04.11.1975 bis 29.04.1977 seinen Grundwehrdienst bei der Nationalen Volksarmee (NVA) ab. Auf seinen Antrag vom 14.05.2020 bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 07.07.2020 dem Kläger Altersrente für besonders langjährig Versicherte mit einem Rentenbeginn ab 01.09.2020. Der monatliche Zahlbetrag belief sich auf 1.078,49 €; bei der Rentenberechnung berücksichtigte die Beklagte den oben genannten Zeitraum des Grundwehrdienstes als Pflichtbeitragszeit und bewertete diesen mit 0,75 Entgeltpunkten pro Jahr. Hiergegen legte der Kläger am 21.07.2020 bei der Beklagten Widerspruch ein mit der Begründung, dass ein Wehrdienst in den alten Bundesländern mit 1,0 Entgeltpunkten pro Jahr bewertet werde; insoweit sei die Regelung des § 256a Abs. 4 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) verfassungswidrig. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (ablehnender Widerspruchsbescheid vom 04.09.2020). Der Wehrdienst sei entsprechend den gesetzlichen Vorschriften mit 0,75 Entgeltpunkten bewertet worden.

 

Hiergegen hat der Kläger am 23.09.2020 Klage zum Sozialgericht Dresden erhoben, mit der er sein Begehren im Wesentlichen mit gleicher Begründung weiterverfolgt hat. Die Klage richte sich gegen die Bewertung der Grundwehrdienstzeit bei der NVA der DDR mit 0,75 Entgeltpunkten pro Jahr nach § 256a Abs. 4 SGB VI. Würde für denselben Zeitraum der Wehrdienst im Altbundesgebiet geleistet, würde dieser mit 1,0 Entgeltpunkten pro Jahr bewertet. Insoweit liege ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Grundgesetz (GG) des vor.

 

Das Sozialgericht hat nach Anhörung der Beteiligten mit Gerichtsbescheid vom 01.03.2021 die Klage abgewiesen. Der eindeutige Wortlaut des § 256a Abs. 4 SGB VI erlaube keine Auslegung. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die seit 01.01.1992 unverändert geltende Vorschrift bestünden nicht.

 

Gegen den am 04.03.2021 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 30.03.2021 eingelegte Berufung des Klägers. Ein sachlicher Grund für die Differenzierung bei der rentenrechtlichen Bewertung des Grundwehrdienstes in der Bundesrepublik und dem Beitrittsgebiet im Zeitraum zwischen 01.05.1961 und 31.12.1981 sei nicht ersichtlich. Zwar seien die Zeiten des Grundwehrdienstes bei der NVA der DDR nach dem Recht der DDR keine Beitragszeiten gewesen, gleichwohl seien sie bei Begründung und Höhe des Rentenanspruchs aber wie Beitragszeiten behandelt worden. Entgegen der vom Sozialgericht geäußerten Rechtsauffassung sei auch die pauschale Beitragszahlung des Bundes keine einen höheren Leistungsanspruch begründende Beitragszahlung in dem Sinn, dass es sich um Rentenversicherungsbeiträge handele, die nach dem Beitragsrecht bemessen seien und sich individuell zuordnen ließen. Eine individuelle Beitragsberechnung bezogen auf vom einzelnen Versicherten zurückgelegte Diensttage sei gerade nicht erfolgt. Die einschlägigen Vorschriften stellten auf die durchschnittlichen Arbeitsentgelte aller Versicherten ab. Die Diensttage seien nur für den Gesamtbestand der Grundwehrdienstleistenden zum Zwecke der Berechnung der vom Bund zu zahlenden Beiträge für diesen Gesamtbestand zu ermitteln gewesen. Dabei seien die Diensttage nur alle vier Jahre ermittelt worden. Den Anforderungen des BSG an eine einen höheren Leistungsanspruch begründende Beitragszahlung genüge die Pauschalbeitragszahlung für Grundwehrdienstleistende der Bundeswehr somit nicht. Eine tatsächliche Beitragszahlung der Versicherten liege nicht vor. Im Ergebnis erfolge die Finanzierung von aus der Ableistung des Grundwehrdienstes erworbenen Rentenansprüchen sowohl bei Soldaten der Bundeswehr als auch bei Soldaten der NVA aus dem Staatshaushalt. Beide Personenkreise unterschieden sich nur insoweit, als bei Grundwehrdienstleistenden der Bundeswehr eine pauschale Beitragszahlung des Bundes bereits während der Dienstleistung erfolgt sei, während bei Grundwehrdienstleistenden der NVA erst in der Rentenleistungsphase die staatliche Finanzierung wirksam werde, indem nicht durch Beitragseinnahmen gedeckte Rentenzahlungen durch Zuführung aus dem Staatshaushalt gedeckt würden. Insoweit dürfte § 256a Abs. 4 SGB VI mit dem allgemeinen Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG nicht zu vereinbaren sein. Die Regelung verstoße ferner gegen den heimatbezogenen Diskriminierungsschutz nach Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG. Es werde angeregt, das Verfahren nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG auszusetzen und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) einzuholen. Hilfsweise werde die Zulassung der Revision beantragt, da es sich um eine Rechtssache von grundsätzlicher Bedeutung handele.

 

Der Kläger beantragt,

 

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden vom 01.03.2021 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 07.07.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.09.2020 zu verurteilen, ihm unter Bewertung der Pflichtbeitragszeit wegen der Ableistung des Grundwehrdienstes mit 1,0 statt 0,75 Entgeltpunkten (Ost) pro Jahr eine höhere Rente zu zahlen.

 

Die Beklagte beantragt,

 

            die Berufung zurückzuweisen.

 

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

 

Wegen der Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakten aus beiden Rechtszügen und die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen, die vorlagen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

 

 

 

Entscheidungsgründe

 

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht Dresden mit Gerichtsbescheid vom 01.03.2021 die Klage abgewiesen.

 

Der Bescheid der Beklagten vom 07.07.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.09.2020 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die von ihm ausdrücklich begehrte Bewertung der Pflichtbeitragszeit wegen der Ableistung seines Grundwehrdienstes mit 1,0 statt 0,75 Entgeltpunkten (Ost) und daraus folgenden höheren Rentenzahlungen. Die Beklagte hat vielmehr zutreffend für die Zeit, in der der Kläger seinen Grundwehrdienst im Beitrittsgebiet abgeleistet hat, bei der Rentenberechnung für jedes volle Kalenderjahr 0,75 Entgeltpunkte zugrunde gelegt.

 

Rechtsgrundlage ist § 256a Abs. 4 SGB VI. Danach sind für Zeiten vor dem 01.01.1992, in denen Personen aufgrund gesetzlicher Pflicht mehr als drei Tage Wehr- oder Zivildienst im Beitrittsgebiet geleistet haben, für jedes volle Kalenderjahr 0,75 Entgeltpunkte, für jeden Teilzeitraum der entsprechende Anteil zu Grunde zu legen. Da der Kläger seinen Wehrdienst im Beitrittsgebiet geleistet hat, waren der Rentenberechnung für jedes volle Kalenderjahr damit 0,75 Entgeltpunkte zugrunde zu legen.

 

Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine Berechnung der Entgeltpunkte für Beitragszeiten des Wehrdienstes in Höhe von 1,0 Entgeltpunkten pro Jahr gem. § 256 Abs. 3 SGB VI. Danach werden für Zeiten vom 01.01.1982 bis zum 31.12.1991, für die Pflichtbeiträge gezahlt worden sind, für Personen, die aufgrund gesetzlicher Pflicht mehr als drei Tage Wehrdienst oder Zivildienst geleistet haben, für jedes volle Kalenderjahr 0,75 Entgeltpunkte, für die Zeit vom 01.05.1961 bis zum 31.12.1981 1,0 Entgeltpunkte, für jeden Teilzeitraum der entsprechende Anteil zugrunde gelegt. Für Zeiten vor dem 01.05.1961 gilt Satz 1 mit der Maßgabe, dass auf Antrag 0,75 Entgeltpunkte zugrunde gelegt werden. § 256a SGB VI enthält für solche Dienste, die im Beitrittsgebiet geleistet worden sind, eine Sonderregelung für die Ermittlung von Entgeltpunkten (Diel in Hauck/Noftz, SGB, 10/18, § 256a SGB VI Rn. 1) und geht § 256 Abs. 3 SGB VI vor.

 

§ 256a Abs. 4 SGB VI verstößt auch nicht gegen das Grundgesetz. Der Gesetzgeber hat in § 256 Abs. 3 SGB VI und § 256a Abs. 4 SGB VI eine zulässige Differenzierung der Bewertung der Wehrdienstzeit in den alten Bundesländern und im Beitrittsgebiet vorgenommen (ebenso: Sächsisches Landessozialgericht [LSG], Urteil vom 30.11.2021 – L 5 R 150/21 – n.v; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 20.01.2022 – L 3 R 208/21 – juris).

 

Verfassungsrechtlicher Maßstab ist der allgemeine Gleichheitssatz, nicht dagegen das speziellere Verbot der Diskriminierung nach Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG. Gemäß Abs. 3 Satz 1 GG darf niemand wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.

 

Entsprechend dem üblichen Sprachgebrauch bezeichnet „Abstammung“ vornehmlich die natürliche biologische Beziehung eines Menschen zu seinen Vorfahren, „Heimat“ die örtliche Beziehung zur Umwelt und „Herkunft“ die sozialstandesgemäße Verwurzelung, dagegen nicht die in den eigenen Lebensumständen begründete Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Schicht. Der Begriff „Heimat“ schließt Differenzierungen unter dem Gesichtspunkt des Wohnsitzes oder des gewöhnlichen Aufenthalts nicht aus (BVerfG, Beschluss vom 30.05.19781 BvL 26/76 – juris). Das besondere Verbot der Diskriminierung wegen der Heimat zielte entstehungsgeschichtlich insbesondere auf den Schutz der Vertriebenen und Flüchtlinge nach dem Zweiten Weltkrieg (BVerfG, Beschluss vom 30.05.1978 – 2 BvR 709/99 – juris Rn. 43 unter Hinweis auf BVerfG, Urteil vom 14.03.2000 – 1 BvR 284/96 und 1 BvR 1659/96 – juris). Mit dem Begriff der Heimat ist die örtliche Herkunft eines Menschen nach Geburt oder Ansässigkeit i.S. der emotionalen Beziehung zu einem geographisch begrenzten, den Einzelnen mitprägenden Raum (Ort, Landschaft) gemeint (Burghart in Leibholz/Rinck, Grundgesetz, 85. Lieferung 2.2022, Art. 3 Rn. 3096). Durch den Wohnsitz oder den ständigen Aufenthalt in einem vor der Wiedervereinigung bestehenden Teil Deutschlands wird die Heimat eines Menschen nicht bestimmt (BVerfG, Urteil vom 14.03.2000 – 1 BvR 284/96 – juris). § 256a SGB VI knüpft tatbestandlich auch nicht unmittelbar an das Merkmal der Heimat im Sinne der örtlichen Herkunft nach Geburt oder Ansässigkeit an, sondern lediglich mittelbar über den Ort, an dem der Wehrdienst abgeleistet wurde. Das Ziel der Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost und West konnte nicht ohne unmittelbare und mittelbare Wirkungen speziell für die dort beheimateten Bürger verfolgt werden (BVerfG, Beschluss vom 12.03.2003 – 2 BvR 709/99 – juris Rn. 43). Dies liegt ersichtlich nicht innerhalb des Regelungsbereichs des speziellen Diskriminierungsverbots des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG, sondern bleibt dem Maßstab des allgemeinen Gleichheitssatzes zugeordnet (BVerfG, a.a.O.).

 

Art. 3 Abs. 1 GG gebietet dem Gesetzgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Er verbietet ungleiche Belastungen ebenso wie ungleiche Begünstigungen. Verboten ist daher ein gleichheitswidriger Begünstigungsausschluss, bei dem eine Begünstigung einem Personenkreis gewährt, einem anderen Personenkreis aber vorenthalten wird. Differenzierungen sind damit nicht ausgeschlossen, bedürfen jedoch stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Differenzierungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind. Zwar ist es grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, diejenigen Sachverhalte auszuwählen, an die er dieselben Rechtsfolgen knüpft und die er so als rechtlich gleich qualifiziert. Diese Auswahl muss er jedoch sachgerecht treffen. Dabei gilt ein stufenloser, am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierter verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab, dessen Inhalt und Grenzen sich nicht abstrakt, sondern nur nach den jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereichen bestimmen lassen. Je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen ergeben sich aus dem allgemeinen Gleichheitssatz unterschiedliche Anforderungen an den die Ungleichbehandlung tragenden Sachgrund, die von auf das Willkürverbot beschränkten Bindungen bis hin zu strengen Verhältnismäßigkeitserfordernissen reichen können (vgl. z.B. BVerfG, Beschluss vom 15.12.2015 – 2 BvL 1/12 – juris Rn. 93 m.w.N.).

 

Das Willkürverbot ist verletzt, wenn die (un-)gleiche Behandlung zweier Sachverhalte mit Gesetzlichkeiten, die in der Natur der Sache selbst liegen, und mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise nicht mehr vereinbar ist, also bezogen auf den jeweils in Rede stehenden Sachbereich und seine Eigenart ein vernünftiger, einleuchtender Grund für die gesetzliche Regelung fehlt. Eine strengere Bindung des Gesetzgebers kann sich aus den neben Art. 3 Abs. 1 GG betroffenen Freiheitsrechten und aus der Ungleichbehandlung von Personengruppen ergeben. Zudem verschärfen sich die Anforderungen des Art. 3 Abs. 1 GG, je weniger die Merkmale, an die die gesetzliche Differenzierung anknüpft, für den Einzelnen verfügbar sind oder je mehr sie sich denen des Art. 3 Abs. 3 GG annähern (BVerfG, Beschluss vom 15.12.2015 – 2 BvL 1/12 – juris Rn. 94 m.w.N.).

 

Bei der Ordnung von Massenerscheinungen wie im vorliegenden Fall ist der Gesetzgeber berechtigt, generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen zu verwenden, ohne allein wegen der damit verbundenen Härten gegen den allgemeinen Gleichheitssatz zu verstoßen. Derartige Vereinfachungen sind gerade im Rentenrecht unvermeidlich und ebenso wie Stichtagsregelungen ungeachtet von Härtefällen grundsätzlich hinzunehmen. Sie müssen aber am vorgegebenen Sachverhalt orientiert und sachlich vertretbar sein (BVerfG, Urteil vom 28.04.1999 – 1 BvR 22/95 und 1 BvR 34/95 – juris Rn. 130). Im Zuge der Wiedervereinigung war dem Gesetzgeber bei der Neuordnung sozialrechtlicher Rechtsverhältnisse ein besonders großer Gestaltungsspielraum zuzubilligen (BVerfG, Urteil vom 02.06.2003 – 1 BvR 789/96 – juris Rn. 25).

 

Diesen Erfordernissen genügt § 256a Abs. 4 SGB VI. Die Vorschrift ist anlässlich der Überleitung des bundesdeutschen Rentenrechts auf das Beitrittsgebiet mit dem Renten-Überleitungsgesetz (RÜG) vom 25.07.1991 (BGBl. I S. 1606) zum 01.01.1992 in das SGB VI eingefügt worden. Die darin vorgenommene Bewertung von Wehr- und Zivildienstzeiten im Beitrittsgebiet entspricht der zuletzt bis zum 31.12.1991 vorgenommenen Bewertung dieser Zeiten in den alten Bundesländern.

 

Eine Ungleichbehandlung liegt nur für die Personengruppen der Wehrdienstleistenden in der alten Bundesrepublik Deutschland und im Beitrittsgebiet vor, die ihren Grundwehrdienst vor dem 01.01.1982 abgeleistet haben. Denn § 256 Abs. 3 SGB VI sieht für Wehrdienstzeiten in den alten Bundesländern unterschiedliche Bewertungen nach Zeitabschnitten vor. Die Zeitabschnitte folgen den früheren Änderungen im Beitragsrecht für Zeiten des Wehr- und Zivildienstes. § 256 Abs. 3 SGB VI unterscheidet zwischen den Zeiträumen vom 01.01.1982 bis zum 31.12.1991, vom 01.05.1961 bis zum 31.12.1981 und vor dem 01.05.1961.

 

Für die Zeit vom 01.01.1982 bis zum 31.12.1991, für die Pflichtbeiträge gezahlt worden sind für Versicherte, die aufgrund gesetzlicher Pflicht mehr als drei Tage Wehrdienst oder Zivildienst geleistet haben, erhalten diese für jedes volle Kalenderjahr 0,75 Entgeltpunkte (§ 256 Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 SGB VI). Auf den ersten Blick entspricht das der damals zunächst geltenden Regelung, wonach der Beitragsberechnung 75 % des durchschnittlichen Bruttoarbeitsentgelts aller Versicherten der Rentenversicherung der Arbeiter, der Rentenversicherung der Angestellten und der knappschaftlichen Rentenversicherung (ohne Lehrlinge und Anlernlinge nach § 55 Abs. 1 Buchst. b Reichsknappschaftsgesetz [RKG]) zugrunde gelegt wurde (§ 1255 Abs. 6 Satz 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) und § 32 Abs. 6 Satz 2 Angestelltenversicherungsgesetz [AVG]). Rechnerische Unterschiede ergeben sich dadurch, dass die seit dem 01.01.1992 zu berücksichtigenden 0,75 Entgeltpunkte 75 % des Durchschnittsentgelts nach Anlage 1 zum SGB VI (d.h. ohne knappschaftliche Rentenversicherte) entsprechen. Abs. 3 Satz 1 bestimmt zudem 0,75 Entgeltpunkte unabhängig davon, dass mit Inkrafttreten des Haushaltsbegleitgesetzes 1983 (BGBl. 1982 S. 1857) ab dem 01.01.1983 das der Beitragsberechnung bei Wehr- oder Zivildienst zugrundeliegende durchschnittliche Bruttoarbeitsentgelt auf 70 % reduziert wurde.

 

Wurde der Wehrdienst im Zeitraum vom 01.05.1961 bis 31.12.1981 geleistet, wird das volle Kalenderjahr höher bewertet, nämlich mit 1,0 Entgeltpunkten (§ 256 Abs. 3 Satz 1 SGB VI). Die Bewertung ist vergleichbar mit einem versicherten Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen in Höhe des Durchschnittsentgelts eines Kalenderjahres (§ 63 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Anlage 1 zum SGB VI). Die höhere Bewertung bis zum 31.12.1981 beruhte darauf, dass erst durch das 2. Haushaltsstrukturgesetz vom 22.12.1981 (BGBl. I S. 1523) zum 01.01.1982 das zu berücksichtigende Bruttoarbeitsentgelt auf 75 % des jeweiligen durchschnittlichen Bruttoarbeitsentgelts aller Versicherten in den drei Zweigen der Sozialversicherung ohne Lehrlinge und Anlernlinge reduziert wurde.

 

Für einen im Zeitraum vor dem 01.05.1961 geleisteten Wehrdienst werden nur auf Antrag des Versicherten 0,75 Entgeltpunkte für ein volles Kalenderjahr gutgeschrieben (§ 256 Abs. 3 Satz 3 SGB VI). Der Versicherte kann also wählen, ob 0,75 Entgeltpunkte für die Wehrdienst- oder Zivildienstzeit der Rentenberechnung zugrunde liegen sollen, oder die Entgeltpunkte aufgrund der damals geleisteten Beiträge. Bis zum 30.04.1961 wurden die Beiträge aus dem tatsächlichen Arbeitsentgelt, einschließlich pauschalierter Sachbezüge gezahlt. Deshalb ermöglicht erst der Antrag des Versicherten dem Rentenversicherungsträger, die im Versichertenkonto als Pflichtbeitragszeiten gespeicherten Zeiten des Wehr- oder Zivildienstes als solche einzuordnen.

 

§ 256 Abs. 3 SGB VI zeichnet die Entwicklung des Umfangs der Versicherungspflicht und der Beitragszahlung der Wehrpflichtigen in der Bundesrepublik Deutschland nach (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 19.03.2002 – L 9 RJ 95/01 – juris). Personen, die in der Bundesrepublik aufgrund der gesetzlichen Pflicht ihren Wehrdienst leisten waren und sind pflichtversichert, § 1227 Abs. 1 Nr. 8 RVO, § 2 Abs. 1 Nr. 8 AVG, § 3 Nr. 2 SGB VI. Die Versicherungsbeiträge trägt bzw. trug der Bund, § 1385 Abs. 4 RVO, § 112 Abs. 4 AVG, § 170 SGB VI.

 

Die allgemeine Wehrpflicht ist im Beitrittsgebiet mit Wirkung vom 25.01.1962 eingeführt worden (Gesetz über die allgemeine Wehrpflicht - Wehrpflichtgesetz - vom 24.01.1962 - GBl. I S. 2, danach Gesetz über den Wehrdienst in der DDR - Wehrdienstgesetz - vom 25.03.1982 - GBl. I S. 221). Die Wehrpflichtigen erhielten Wehrsold, der nicht der Beitragspflicht in der Sozialversicherung unterlag. Ihr Dienst stand lediglich rentenrechtlich einer versicherungspflichtigen Tätigkeit gleich, § 2 Abs. 2 Rentenverordnung vom 04.04.1974 und 23.11.1979. Anders als im Gebiet der alten Bundesländer erfolgte keine Beitragszahlung. Da die Grundwehrdienstleistenden keine Beiträge zur Sozialversicherung der DDR leisteten, legten sie keine Beitragszeiten im Sinne von § 248 Abs. 3 SGB VI zurück, die Beitragszeiten nach dem Bundesrecht gleichgestellt werden könnten. Um sie den Wehrpflichtigen im Bundesgebiet gleichzustellen, hat der Gesetzgeber ihren Pflichtwehrdienst als Pflichtbeitragszeit anerkannt, § 248 Abs. 1 SGB VI.

 

Personengruppen, die bis zum 31.12.1981 Wehrdienst in den alten Bundesländern und solche, die Grundwehrdienst im Beitrittsgebiet geleistet haben, erhalten diesen damit rentenrechtlich unterschiedlich bewertet. Dies beruht darauf, dass die zeitlich gestaffelte Regelung des § 256 Abs. 3 SGB VI in § 265a Abs. 4 SGB VI nicht übernommen worden ist, sondern die Bewertung der Zeiten des Wehrdienstes im Beitrittsgebiet in § 256 a Abs. 4 SGB VI an die bis 31.12.1991 geltende Bewertung in den alten Bundesländern mit 0,75 Entgeltpunkten für jedes volle Kalenderjahr angelehnt worden ist.

 

Die Ungleichbehandlung dieser Personengruppen ist jedoch sachlich gerechtfertigt. Nach der Gesetzesbegründung zu § 256a SGB VI erschien es wegen der fehlenden Beitragszahlung nicht angezeigt, die Unterschiede auf das Beitrittsgebiet zu übertragen (siehe BT-Drucks. 12/405 S. 127). Die nach dem damaligen Recht der Bundesrepublik Deutschland für den Wehrdienst erfolgte Beitragszahlung kann für den im Beitrittsgebiet zurückgelegten Wehrdienst nicht fingiert werden. Die Unterschiede in der Beitragszahlung stellen ausreichend sachliche Gründe für die unterschiedliche rentenrechtliche Behandlung dar. Der Gesetzgeber musste daher die nach Zeiträumen gestaffelte Regelung des § 256 Abs. 3 SGB VI nicht auf den im Beitrittsgebiet geleisteten Wehrdienst übertragen, um einen völligen Gleichlauf bei der Bewertung der Entgeltpunkte zu erreichen. Dies war angesichts der rentenrechtlich unterschiedlichen Ausgestaltung des Wehrdienstes im Beitrittsgebiet und in den alten Bundesländern verfassungsrechtlich nicht geboten. Der Gesetzgeber war nicht gehalten, Vergünstigungen, die er in einem bestimmten Zeitraum einer Versichertengruppe einräumte, auf weitere Personengruppen auszuweiten, die unter anderen Versicherungsbedingungen lediglich zum gleichen Zeitpunkt ihren Grundwehrdienst leisteten.

 

Zwar regelte für das Gebiet der alten Bundesländer die RV-Pauschalbeitragsverordnung vom 19.03.1974 eine lediglich pauschale Berechnung der Beiträge von Wehrdienstleistenden. Maßgeblich waren nach der Berechnungsformel in § 2 das Bruttojahresarbeitsentgelt, multipliziert mit dem Beitragssatz und der Zahl der Diensttage, geteilt durch 365. Das Bruttojahresarbeitsentgelt war der entsprechende Anteil des durchschnittlichen Bruttoarbeitsentgelts, das für das Kalenderjahr bestimmt war, für das die Beiträge zu entrichten waren. Die Zahl der Diensttage war der auf die Rentenversicherung der Arbeiter, die Rentenversicherung der Angestellten und die knappschaftliche Rentenversicherung entfallende Anteil an der Gesamtzahl der Tage, an denen im Kalenderjahr auf Grund einer gesetzlichen Pflicht Dienst geleistet wurde. Die unberücksichtigt bleibenden Tage (Entgeltfortzahlung, zuletzt freiwillig Versicherte oder von der Versicherungspflicht Befreite) wurden durch eine repräsentative Erhebung alle vier Jahre festgestellt. Dennoch handelte es sich um nach dem Beitragsrecht bemessene (§170 SGB VI) und individuell zuordenbare Beiträge. Dies unterscheidet sie beispielsweise von den Beiträgen, die der Bund für Kindererziehungszeiten pauschal entrichtet. Hier handelt es sich bereits nicht um Rentenversicherungsbeiträge, die nach dem Beitragsrecht (§§ 158 bis 167 SGB VI) bemessen wären und sich individuell zuordnen ließen. Davon unabhängig sind die Zahlungen des Bundes grundsätzlich in das (Umlage-)System der Rentenversicherung eingeordnet und bewirken keinen darüberhinausgehenden gesonderten Zahlungsanspruch (BSG, Urteil vom 16.10.2016 – B 13 R 14/18 R – juris Rn. 34 m.w.N).

 

Auch für die nach Zeiträumen gestaffelte Regelung des § 256 Abs. 3 SGB VI selbst bestehen keine Bedenken im Hinblick auf eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung der in den unterschiedlichen Zeitabschnitten Wehrdienst leistenden Versichertengruppen (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 19.03.2002 – L 9 RJ 95/01 –, LSG Hamburg, Urteil vom 17.04.2013 – L 2 R 123/12 ZVW – beide juris). Wenn schon die unterschiedliche Berücksichtigung von Entgeltpunkten für verschiedene Zeiten des Wehr- und Zivildienstes in der Bundesrepublik im Zeitraum vom 01.04.1957 bis 31.12.1991 verfassungsgemäß ist, ist dies erst recht für die Unterscheidung zwischen den Wehrpflichtigen im Beitrittsgebiet und in den alten Bundesländern von 01.05.1961 bis 31.12.1991 der Fall, zumal im Beitrittsgebiet zu keinem Zeitpunkt Beiträge geleistet wurden.

 

Die im Beitrittsgebiet zurückgelegten Wehrdienstzeiten sind nach alledem auch im streitgegenständlichen Zeitraum entsprechend § 256a Abs. 4 SGB VI nur mit 0,75 Entgeltpunkten für jedes volle Kalenderjahr zu bewerten, wie dies durch die Beklagte geschehen ist.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgesetzbuch (SGG).

 

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor, § 160 SGG.

 

 

 

Rechtskraft
Aus
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