L 32 AS 1379/20

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Frankfurt (Oder) (BRB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
32
1. Instanz
SG Frankfurt (Oder) (BRB)
Aktenzeichen
S 17 AS 446/20
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 32 AS 1379/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
  1. Die Beurteilung der Eignung und Zumutbarkeit der in der Eingliederungsvereinbarung bzw. im ersetzenden Verwaltungsakt zu regelnden Rechte und Pflichten der Beteiligten ist von der Kenntnis des Eingliederungsbedarfs und der weiteren Feststellungen nach § 15 Abs. 1 SGB II abhängig.                             
  2. Die Potenzialanalyse stellt eine wesentliche Verfahrenshandlung dar, deren Missachtung gegen das Verbot des vorzeitigen Verfahrensabschlusses verstößt.

3. Ermessenserwägungen in schriftlich begründeter Form sind wegen der Begründungspflicht des eine Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsaktes (§ 35 Abs. 1 S. 3 SGB X) unverzichtbar, wobei jede im Verwaltungsakt geregelte Obliegenheit oder Pflicht mit entsprechenden Ermessensbegründungen untersetzt werden muss.        

 

Der mit Zustellungsurkunde vom 3. September 2020 zugestellte Gerichtsbescheid vom 7. August 2020 wird aufgehoben.

Der mit Zustellungsurkunde vom 9. Oktober 2020 zugestellte Gerichtsbescheid vom 28. August 2020 wird aufgehoben.

Es wird festgestellt, dass der Bescheid des Beklagten vom 21. Februar 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. April 2020 rechtswidrig ist.

Der Beklagte hat der Klägerin deren außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreites zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

 

 

 

Tatbestand

 

Die Beteiligten streiten im Wege einer Fortsetzungsfeststellungsklage über die Rechtmäßigkeit des eine Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsaktes vom 21. Februar 2020.

 

Die 1966 geborene Klägerin bezieht mit den weiteren Mitgliedern ihrer Bedarfsgemeinschaft Arbeitslosengeld II. Sie verfügt über einen Abschluss als Diplomingenieurin (TH) und macht gemeinsam mit ihrem Ehemann seit längerem gegenüber dem beklagten Jobcenter geltend, selbständig tätig zu sein, hat in den letzten Jahren indes keine Umsätze im Rahmen dieser selbständigen Tätigkeit nachgewiesen.

 

Über erhebliche Zeiträume kam zuletzt mit der Klägerin eine Eingliederungsvereinbarung nicht zustande. Der Beklagte erließ mit Datum vom 21. Februar 2020 einen eine Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsakt. Er hatte einen Geltungszeitraum vom 2. März bis 1. September 2020 und sah unter anderem die Teilnahme an der „Maßnahme zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung - Angebot einer konsequenten Aktivierung zur Beendigung der Arbeitslosigkeit“ beim Maßnahmeträger SGmbH. Die Maßnahme war für denselben Zeitraum wie die Geltung des Verwaltungsaktes vorgesehen. Sie sollte als Teilzeitmaßnahme mit einem Umfang von 30 Stunden je Woche durchgeführt werden. Wegen des Wortlauts des Verwaltungsakts wird auf den Inhalt der beigezogenen Auszüge der Verwaltungsakte Bezug genommen.

 

Gegen den Verwaltungsakt hat die Klägerin am 19. März 2020 Widerspruch eingelegt. Sie führte begründend aus, das Gesetz sehe keineswegs vor, dass weitergehende Inhalte einer Eingliederungsvereinbarung, etwa die Zuweisung in eine Bildungsmaßnahme oder in eine Arbeitsgelegenheit durch Verwaltungsakt ersetzt werden könnten. Der ersetzende Verwaltungsakt sei daher rechtswidrig. Von einer zuvor versuchten Vereinbarung könne keine Rede sein. Mit der Klägerin seien keine Gespräche über eine Eingliederungsvereinbarung geführt worden.

 

Den Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 24. April 2020 zurück. Der Verwaltungsakt sei wegen der über erhebliche Zeiträume bereits fehlenden Bereitschaft der Klägerin zum Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung zulässig gewesen. Die Maßnahme sei auch zumutbar gewesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Widerspruchsbescheides wird auf den Inhalt der Gerichtsakte Bezug genommen.

 

Mit ihrer am 18. Mai 2020 erhobenen Klage machte die Klägerin die Aufhebung des Verwaltungsaktes geltend. Sie habe sich nicht geweigert, eine Eingliederungsvereinbarung abzuschließen. Auch die übrigen Voraussetzungen für den Verwaltungsakt hätten nicht vorgelegen. Die Klägerin habe ein besonderes rechtliches Interesse an der Aufhebung des Verwaltungsaktes. Sie sei offensichtlich in ein Staatsverbrechen einbezogen, in welchem die Höhe von Zivilrechtsansprüchen gegen den Staat mittels eines missbrauchten verdeckten Ermittlungsverfahrens „geregelt“ werden solle. Sie werde in Verletzung von Grundrechten und Menschenrechten daran gehindert, gegen Rechtsverletzungen aus dem Ermittlungsverfahren vorzugehen und sei rechtlos gestellt. In das verdeckte Ermittlungsverfahren sei auch der Beklagte missbräuchlich einbezogen. Die Klägerin behauptet, offensichtlich werde aus demselben verdeckten Ermittlungsverfahren auch auf die Unterkunft der Klägerin zugegriffen. Es lägen Anhaltspunkte dafür vor, dass die Sicherheitsschaltung der Gasheizungsanlage manipuliert worden sei. Die Klägerin hat beantragt, diese Fragen zur Sachaufklärung durch ein Sachverständigengutachten klären zu lassen. Der Widerspruchsbescheid des Beklagten gehe nicht auf den dargelegten Sachverhalt ein.

 

Das Sozialgericht ging davon aus, dass die Klägerin sinngemäß beantragt habe,

 

den Bescheid des Beklagten vom 21. Februar 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Mai 2020 aufzuheben sowie

die (im Einzelnen) dargelegten Sachverhalte durch das Sozialgericht umfassend aufzuklären.

 

Das Sozialgericht Frankfurt (Oder) hat durch Gerichtsbescheid vom 28. August 2020 (Bl. 49 bis 58 der Gerichtsakte) die Klage abgewiesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und wegen der Entscheidungsgründe wird auf den Inhalt des Gerichtsbescheides gemäß §§ 153 Abs. 1, 136 Abs. 2 SGG Bezug genommen.

 

Die Geschäftsstelle des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) hat den genannten Gerichtsbescheid zunächst nicht den Beteiligten zugestellt, sondern unter Angabe des korrekten Aktenzeichens des laufenden Verfahrens, des korrekten Rubrums der Beteiligten und des korrekten Aktenzeichens des Beklagten einen Gerichtsbescheid vom 7. August 2020 mit einem vom richterlich unterzeichneten Gerichtsbescheid vom 28. August 2020 erheblich abweichenden Tenor, differierendem Sachverhalt und anderen Gründen als beglaubigte Abschrift mit Zustellungsurkunde vom 3. September 2020 der Klägerin zugestellt. Mit Schreiben vom 10. September 2020 wies der Beklagte darauf hin, dass der in dem Gerichtsbescheid vom 7. August 2020 bezeichnete Gegenstand zu einem anderen Verfahren, nämlich zum Verfahren S 17 AS 446/17 gehöre. Der Beklagte gehe davon aus, dass eine gerichtliche Entscheidung im hiesigen Verfahren (S 17 AS 446/20) weiterhin ausstehe, und bat um entsprechende Klarstellung. Mit Vermerk vom 5. Oktober 2020 hielt der Vorsitzende der 17. Kammer des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) fest, dass nicht nachvollziehbar sei, woher die vermeintliche Kopie zur Akte gelangt sei. Er verfügte zugleich die Ausfertigung des Gerichtsbescheides vom 28. August 2020. Daraufhin wurde eine beglaubigte Abschrift des Gerichtsbescheides vom 28. August 2020 der Klägerin mit Zustellungsurkunde vom 9. Oktober 2020 zugestellt.

 

Die Klägerin hat gegen beide Gerichtsbescheide Berufung eingelegt: Gegen den Gerichtsbescheid vom 7. August 2020 mit Schreiben vom 29. September 2020 und gegen den Gerichtsbescheid vom 28. August 2020 mit Schreiben vom 6. November 2020. Hinsichtlich des Gerichtsbescheides vom 7. August 2020 rügt die Klägerin, dass dieser nicht auf den Sachverhalt eingehe und als willkürlich anzusehen sei. Es entstehe der Eindruck, dass die Entscheidung einfach als Textblock aus einem anderen Verfahren übertragen worden sei. Hinsichtlich des Gerichtsbescheides vom 28. August 2020 beanstandet die Klägerin, dass die nochmalige Entscheidung durch das Sozialgericht Frankfurt oder rechtswidrig und nichtig sei. Die zunächst zugesandte Entscheidung habe das richtige Aktenzeichen erhalten. Es habe sich um eine Ausfertigung mit beurkundeter Richtigkeitsüberprüfung gehandelt. Im Übrigen hat die Klägerin die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes vom 21. Februar 2020 und als Feststellungsinteresse eine Wiederholungsgefahr geltend gemacht. Es habe nicht zuvor eine Potenzialanalyse stattgefunden. Vielmehr solle die Potenzialanalyse selbst als Eingliederungsmaßnahme deklariert durchgeführt werden, diene aber der Ausforschung der Klägerin.

 

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

 

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 7. August 2020 sowie den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 28. August 2020 aufzuheben, hilfsweise dessen Nichtigkeit festzustellen, und

festzustellen dass der Bescheid des Beklagten vom 21. Februar 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. April 2020 rechtswidrig ist.

 

Der Beklagte beantragt,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Er ist der Auffassung, dass, nachdem bereits vor Jahren eine Potenzialanalyse erfolgt gewesen sei, diese nicht mehr als aktuell angesehen werden könne, weshalb eine neue Potenzialanalyse erforderlich gewesen sei, die im Rahmen der durch den die Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsakt zugewiesenen Maßnahme habe durchgeführt werden sollen. Er verweist auf die Entscheidungen im auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs bzw. der Klage gegen den angefochtenen Verwaltungsakt gerichteten Eilverfahren.

 

Der Senat hat durch Beschluss vom 30. Juni 2020 die Berufung der Klägerin gemäß § 153 Abs. 5 SGG dem Berichterstatter übertragen, der zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entscheidet.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Auszüge der Verwaltungsakte der Beklagten, welche in der mündlichen Verhandlung vorlagen, gemäß §§ 153 Abs. 1, 136 Abs. 2 SGG Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

 

 

Der Senat konnte in Abwesenheit der Klägerin entscheiden (§ 126 SGG, Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2017, § 126 RdNr. 4), weil diese in der Terminsmitteilung auf diese Möglichkeit hingewiesen wurden (§ 110 Abs. 1 Satz 2 SGG). Hinreichende Gründe zur Vertagung des Termins hat die Klägerin auch in ihrem Schreiben vom 16. Mai 2022 nicht glaubhaft gemacht, insbesondere fehlte es an einem schlüssigen Vortrag, warum sie bei Wahrnehmung des Termins einer Gefahr ausgesetzt sei. Nach ihrem Vortrag kam allenfalls in Betracht, dass sie bei Nichtwahrnehmung des Termins einer Gefahr ausgesetzt gewesen sein könnte. Ihre Entscheidung, den Termin unter diesen Umständen nicht wahrzunehmen, macht keine eine Terminsverlegung rechtfertigenden Gründe glaubhaft.

 

Diese Entscheidung ergeht in der Besetzung des Berichterstatters und der ehrenamtlichen Richter, da der Senat die Berufung übertragen hat (§ 153 Abs. 5 SGG).

 

Die Berufung der Klägerin gegen beide Gerichtsbescheide ist zulässig und begründet.

 

Der den Beteiligten zugestellte Gerichtsbescheid vom 7. August 2020 war aufzuheben, weil ihm keine richterliche Entscheidung zugrunde lag. Die Beglaubigung und Zustellung war offensichtlich ein Versehen der Geschäftsstelle. Die durch den Senat erfolgte Aufhebung dient der Rechtssicherheit aller Beteiligten, damit von diesem Dokument auch ein Rechtsschein eines Gerichtsbescheides nicht mehr ausgehen kann.

 

Auch der Gerichtsbescheid vom 28. August 2020 ist aufzuheben. Grund dafür ist indes nicht, dass er nach der Zustellung des Gerichtsbescheides vom 7. August 2020 nicht mehr hätte ergehen dürfen. Denn dieser hatte sich ausweislich seiner Gründe nicht mit dem Gegenstand des Rechtsstreites befasst, so dass eine Entscheidung zum hier relevanten Streitgegenstand noch ausstand. Allein die Angabe des Aktenzeichens des Gerichts, desjenigen der Beklagten und die korrekte Bezeichnung der Beteiligten bedeutet nicht, dass auch eine inhaltliche Befassung mit dem hier relevanten Streitgegenstand und eine Entscheidung darüber erfolgt ist. Vielmehr war der Gerichtsbescheid vom 28. August 2020 aufzuheben, weil die Klage der Klägerin gegen den Bescheid des Beklagten vom 21. Februar 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. April 2020 in der Sache nicht abzuweisen war.

 

Die Klage ist zulässig, insbesondere fristgerecht erhoben und ihr fehlt auch nicht das Rechtsschutzbedürfnis. Zwar hat sich der angefochtene Verwaltungsakt durch Zeitablauf erledigt. Jedoch entfaltet er wegen einer noch nicht rechtskräftig beschiedenen Entscheidung des Beklagten über den Eintritt einer Sanktion wegen der Verletzung der Pflichten der Klägerin aus dem Verwaltungsakt noch Rechtswirkungen. Diese fortwirkenden Rechtswirkungen begründen die Statthaftigkeit der von der Klägerin nunmehr im Wege der zulässigen Klageänderung verfolgten Fortsetzungsfeststellungklage (vgl. BSG, Urteil vom 23.06.2016, B 14 AS 42/15 R, RdNr. 9). Auf diese umgestellte Klage ist die Rechtswidrigkeit des Bescheides des Beklagten vom 21. Februar 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. April 2020 festzustellen.

 

Der angefochtene Bescheid war rechtswidrig und verletzte die Klägerin in ihren Rechten, denn es fehlten die Voraussetzungen für den Erlass eines eine Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsaktes und der Bescheid ist auch deshalb rechtswidrig, weil die angeordneten Pflichten mangels hinreichender Ermessensvoraussetzungen und Ermessensbetätigung nicht angeordnet werden durften.

 

Rechtsgrundlage des Eingliederungsverwaltungsakts ist § 15 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. Abs. 2 SGB II (hier i.d.F. d. G. v. 18.12.2018, BGBl. I 2651, m.W.v. 01.01.2019). Hiernach soll die Agentur für Arbeit (AA) im Einvernehmen mit dem kommunalen Träger mit jeder erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person unter Berücksichtigung der Feststellungen nach Absatz 1 die für ihre Eingliederung erforderlichen Leistungen vereinbaren (Eingliederungsvereinbarung). In der Eingliederungsvereinbarung soll bestimmt werden, 1. welche Leistungen zur Eingliederung in Ausbildung oder Arbeit nach diesem Abschnitt die leistungsberechtigte Person erhält, 2. welche Bemühungen erwerbsfähige Leistungsberechtigte in welcher Häufigkeit zur Eingliederung in Arbeit mindestens unternehmen sollen und in welcher Form diese Bemühungen nachzuweisen sind, 3. wie Leistungen anderer Leistungsträger in den Eingliederungsprozess einbezogen werden. Die Eingliederungsvereinbarung kann insbesondere bestimmen, in welche Tätigkeiten oder Tätigkeitsbereiche die leistungsberechtigte Person vermittelt werden soll. (Abs. 2 Sätze 1 bis 3) Kommt eine Eingliederungsvereinbarung nicht zustande, sollen die Regelungen durch Verwaltungsakt erfolgen (Abs. 3 Satz 3). Für die wegen Absatz 2 Satz in Bezug genommenen, zu berücksichtigenden Feststellungen nach Absatz 1 gilt: Die AA soll unverzüglich zusammen mit jeder erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person die für die Eingliederung erforderlichen persönlichen Merkmale, berufliche Fähigkeiten und die Eignung feststellen (Potenzialanalyse). Die Feststellungen erstrecken sich auch darauf, ob und durch welche Umstände die berufliche Eingliederung voraussichtlich erschwert sein wird.

 

Die Feststellungen beinhalten die wesentlichen Elemente des Eingliederungsbedarfs, ohne deren Kenntnis eine sachgerechte Entscheidung über die in der Eingliederungsvereinbarung vorzusehenden Leistungen und Pflichten nicht sachgerecht getroffen werden kann. Die Beurteilung der Eignung und Zumutbarkeit der in der Vereinbarung zu regelnden Rechte und Pflichten der Beteiligten ist von der Kenntnis des Eingliederungsbedarfs und der weiteren Feststellungen nach Absatz 1 abhängig: „Ausgangspunkt des gesamten Eingliederungsprozesses müssen die individuell festgestellten Kompetenzen der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person sein. In Anlehnung an das aus dem Arbeitsförderungsrecht bekannte Instrument der Potenzialanalyse wird hierzu eine individuelle Einschätzung durchgeführt, die die Grundlage der Integrationsprognose für die Vermittlung und Beratung sowie den Einsatz von Eingliederungsleistungen bildet. Obliegenheiten bzw. Pflichten sind entsprechend der festgestellten Fähigkeiten und Kompetenzen der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person zu bestimmen.“ (BT-Drs. 18/8041, S. 37) Die Potenzialanalyse stellt mithin eine wesentliche Verfahrenshandlung dar, deren Missachtung gegen das Verbot des vorzeitigen Verfahrensabschlusses verstößt (zur Erforderlichkeit einer Potenzialanalyse bereits unter der Rechtslage vor deren ausdrücklichen gesetzlichen Regelung: BSG, Urteil vom 23.06.2016, B 14 AS 30/15 R, RdNr. 19).

 

Ersetzt das Jobcenter eine Eingliederungsvereinbarung durch Verwaltungsakt, sind die ersetzenden Regelungen im Rahmen pflichtgemäßem Ermessens nach denselben Maßstäben zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen, wie sie für die konsensuale Eingliederungsvereinbarung gelten (BSG, Urteil vom 23.06.2016, B 14 AS 42/15 R, RdNr. 12).

 

Ob und mit welchen Inhalten eine Eingliederungsvereinbarung durch Verwaltungsakt ersetzt wird, hat das Jobcenter gemäß § 15 Abs. 3 Satz 3 SGB II ("sollen die Regelungen … durch Verwaltungsakt erfolgen") nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden (BSG ebd. RdNr. 13 zur wortlautgleichen Vorgängervorschrift in Abs. 1 Satz 6). Entsprechend § 39 Abs. 1 SGB I ist daher die Ersetzungsentscheidung an den Zwecken auszurichten, die nach dem Regelungskonzept des SGB II mit der zu ersetzenden Eingliederungsvereinbarung verfolgt werden, und es sind die Grenzen einzuhalten, die auch bei einer vertraglichen Verständigung über die Inhalte der Eingliederungsvereinbarung zu wahren sind. Auch die Regelungen eines Eingliederungsverwaltungsakts müssen danach zunächst den Anforderungen genügen, die je für sich aus den möglichen Inhalten nach § 15 Abs. 2 SGB II abzuleiten sind. Zu beachten sind zudem weiter die Maßgaben, die aus der Vertragsform der zu ersetzenden Eingliederungsvereinbarung resultieren. Als öffentlich-rechtlicher Vertrag (BSG, Urteil vom 23.06.2016, B 14 AS 30/15 R, RdNr. 16) unterliegt der Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung den Anforderungen des § 55 Abs. 1 Satz 2 SGB X. Muss danach die Gegenleistung, zu der sich der Vertragspartner der Behörde verpflichtet, „den gesamten Umständen nach angemessen sein und im sachlichen Zusammenhang mit der vertraglichen Leistung der Behörde stehen“, so gilt nichts anderes, wenn das Jobcenter „die Regelungen“ (§ 15 Abs. 3 Satz 3 SGB II) durch Verwaltungsakt zu ersetzen hat; auch in dieser Handlungsform wahrt die verbindliche und ggf. die Sanktionsfolgen nach §§ 31a, 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II auslösende Konkretisierung der Eigenbemühungen der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten den durch § 55 Abs. 1 Satz 2 SGB X vorgegebenen Rahmen nur, wenn ihr eine i.S. der Vorschrift den Umständen nach angemessene Bestimmung der „vertraglichen Leistung der Behörde“, also: der Leistungen zur Eingliederung in Arbeit, gegenübersteht (BSG, Urteil vom 23.06.2016, B 14 AS 42/15 R, RdNr. 13).

 

Ob die AA in dem die Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsakt auch Leistungen der aktiven Arbeitsförderung gewährt, ist in ihr Ermessen gestellt (BSG, Urteil vom 23.06.2016, B 14 AS 42/15 R, RdNr. 15 m.w.N.).

 

Für den Erlass eines ersetzenden Eingliederungsverwaltungsakts war der Beklagte in Wahrnehmung der Aufgaben der AA auch sachlich zuständig (§ 44b Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 SGB II). Es lagen dafür jedoch die Voraussetzungen nicht vor und bei dem dabei auszuübenden Ermessen hat der Beklagte die Anforderungen verfehlt, die bei Ersetzungsentscheidungen nach § 15 Abs. 3 Satz 3 SGB II zu beachten sind.

 

Im vorliegenden Fall war der Verwaltungsakt vom 21. Februar 2020 bereits deshalb in verfahrensrechtlicher Hinsicht rechtswidrig, weil er ohne entsprechende vorherige Potenzialanalyse und damit unter Verstoß gegen das Verbot des vorzeitigen Verfahrensabschlusses vom Beklagten erlassen wurde. Vielmehr diente die in dem Verwaltungsakt angeordnete Maßnahme gerade der Erstellung der Potenzialanalyse. Dies ergibt sich aus den Ausführungen im 2. Absatz des Abschnittes „1. Einleitung“ des Verwaltungsaktes und aus dem 1. Satz des Abschnittes „4. Unterstützung durch das Jobcenter“: „Zur Feststellung ihrer Fähigkeiten und ihrer individuellen Bedarfslage … sind aktuell Leistungen zur Eingliederung am Arbeitsmarkt erforderlich.“ Der Beklagte hat auch im Rahmen der mündlichen Verhandlung bestätigt, dass genau dies das Ziel der Maßnahme gewesen sei, nachdem eine frühere Potenzialanalyse nach mehreren Jahren inzwischen als überholt anzusehen gewesen sei. Waren die individuelle Bedarfslage, die Kompetenzen und eingliederungseinschränkenden Umstände bei der Klägerin nicht geklärt, fehlte es am hinreichend aufgeklärten Sachverhalt, um über Eingliederungsleistungen zu entscheiden und damit sowohl eine Eingliederungsvereinbarung abzuschließen, erst recht um einen entsprechenden ersetzenden Verwaltungsakt zu erlassen. Sofern die Maßnahme zur Potenzialanalyse erforderlich erschienen sei, hätte der Beklagte sie der Klägerin auch unabhängig von einer Eingliederungsvereinbarung gewähren, bzw. die Klägerin der Maßnahme zuweisen können.

 

Darüber hinaus war der die Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsakt auch deshalb rechtswidrig, weil er an schwerwiegenden Ermessensfehlern leidet. Nach § 39 Abs. 1 SGB I haben die Leistungsträger ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten, wenn sie bei der Entscheidung über Sozialleistungen nach ihrem Ermessen zu handeln ermächtigt sind. Auf pflichtgemäße Ausübung des Ermessens besteht gemäß § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB I ein Anspruch. Gemäß § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG gilt: Soweit die Behörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, ist Rechtswidrigkeit auch gegeben, wenn die gesetzlichen Grenzen dieses Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck des Ermessens nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.

 

Im vorliegenden Fall hat der Beklagte sein Ermessen nur erkannt und ausgeübt soweit es die Form seines Handelns durch Verwaltungsakt betrifft. Dies ergibt sich aus dem 8. Absatz des Abschnittes „1. Einleitung“ (4. Absatz auf Seite 2 des Verwaltungsaktes). Im Übrigen, also zum Inhalt des Verwaltungsaktes finden sich keine Ermessenserwägungen im Bescheid und dessen Gründen, insbesondere nicht hinsichtlich der Bestimmung der konkret geregelten Maßnahme. Mögen Ermessenserwägungen in schriftlich begründeter Form in einer Eingliederungsvereinbarung entbehrlich sein, sind sie wegen der Begründungspflicht des entsprechenden Verwaltungsaktes (§ 35 Abs. 1 S. 3 SGB X) unverzichtbar. Dabei muss jede im Verwaltungsakt geregelte Obliegenheit oder Pflicht mit entsprechenden Ermessensbegründungen untersetzt werden.

 

So finden sich im angefochtenen Verwaltungsakt schon keine Gründe dafür, inwieweit die Maßnahme im konkreten Fall der Klägerin geeignet gewesen sein soll, die Eingliederungssituation zu verbessern oder auch nur die eigentlich beabsichtigte Potenzialanalyse erfolgreich durchführen zu können. Die unter dem Abschnitt „6. Teilnahme an Maßnahme“ aufgelisteten Inhalte der konkreten Maßnahme deuten nicht darauf hin, dass ein Schwerpunkt in der Potenzialanalyse gelegen haben könnte. Lediglich der diffuse Begriff „Standortbestimmung“ könnte darauf hindeuten, lässt aber nicht erkennen, inwieweit eine systematische Potenzialanalyse lege artis Maßnahmeinhalt gewesen sein könnte. Offen bleibt auch, inwieweit die konkrete Maßnahme im Hinblick auf die besondere Situation der Klägerin, die sich erkennbar erheblichen Gefahren und damit verbundenen Ängsten ausgesetzt sieht, geeignet gewesen sein könnte. Sofern im Widerspruchsbescheid lediglich behauptet wird, die Maßnahme sei der Klägerin zumutbar gewesen, fehlt es erkennbar an entsprechenden Gründen. Unter diesen Umständen werden bereits die Grundlagen für eine Ermessensentscheidung entgegen § 35 Abs. 1 S. 3 SGB X nicht sichtbar, wie auch nicht erkennbar wird, inwieweit eine Abwägung der verschiedenen Belange im Rahmen der eigentlichen Ermessensbetätigung erfolgt ist. Entsprechende Ermessenserwägungen wurden auch nicht durch den Widerspruchsbescheid deutlich gemacht oder die fehlenden Begründungen nachgeholt.

 

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG und berücksichtigt den Erfolg der Rechtsverfolgung.

 

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen hierfür (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) nicht vorliegen.

Rechtskraft
Aus
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