L 16 AS 199/20

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 16 AS 21/19
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 16 AS 199/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Es ist Sache der hilfesuchenden Person, den Sachverhalt unter Vorlage geeigneter Unterlagen so darzulegen und nachzuweisen, dass zur Überzeugung des Gerichts ein Leistungsanspruch besteht.
2. Eine konkrete Differenzierung zwischen Ausgaben für den privaten Bereich und reinen Betriebsausgaben ist notwendig, um den Gewinn und das anzurechnende Einkommen aus einer selbstständigen Tätigkeit nach §§ 11, 11b SGB II iVm § 3 Alg II-V verlässlich ermitteln zu können.
3. Vorhandenes Vermögen nach § 12 Abs. 1 SGB II steht dem Leistungsanspruch nach dem SGB II so lange entgegen, wie es nicht (nachweislich) verbraucht wurde. Ein fiktiver Vermögensverbrauch ist ohne Belang.

 

I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 28. Februar 2020 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

T a t b e s t a n d :

Zwischen den Beteiligten ist die Ablehnung eines Antrags der Klägerin auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) durch den Beklagten mangels Hilfebedürftigkeit der Klägerin für die Zeit vom 01.09.2018 bis 28.02.2019 streitig.

Die Beteiligten streiten bereits seit dem Jahr 2006 darum, ob die 1961 geborene Klägerin gegen den Beklagten einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II hat. Mangels Nachweises der Hilfebedürftigkeit wurden die Anträge vom Beklagten bislang abgelehnt bzw. Leistungen versagt. Diesbezüglich waren bereits zahlreiche gerichtliche Verfahren anhängig.

Am 28.09.2018 beantragte die Klägerin beim Beklagten aufstockende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, der Wohnkosten und Sozialversicherung nach dem SGB II. Sie habe zu wenig Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit wegen Verarmung der Kunden und eigener Krankheit. Die Klägerin übte auch im streitgegenständlichen Zeitraum eine 1993 begonnene selbstständige Tätigkeit in den Bereichen Kunsthandwerk und Trockeneisstrahlservice aus. Sie verkauft eigenen Angaben nach selbst hergestellte Holzschuhe sowie Schmiede- und Lederwaren gegen Barzahlung auf Märkten (im Sommer ca. alle zwei Wochen) und reinigt Teppiche, Maschinen, etc. gegen Rechnungstellung. Ihre Kranken- und Pflegeversicherung bei der Kaufmännischen Krankenkasse (KKH) ruhte im streitgegenständlichen Zeitraum, da sie die Beiträge nicht bezahlte. Die Klägerin wohnt mit zwei weiteren Personen (ihrer älteren Tochter und einem Freund) in ihrem Einfamilienhaus mit drei Räumen sowie Küche und Bad. Daneben ist sie Eigentümerin eines unbebauten Grundstücks mit einer Größe von 1.630 m2 (Landwirtschaftsfläche), das sie nach eigenen Angaben im Jahr 2002 für etwa 3.000,- bis 3.500,- Euro gekauft hatte. Eine Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung liegt nicht vor. Im streitbefangenen Zeitraum bezog die Klägerin von der Berufsgenossenschaft Handel und Warenlogistik eine Unfallrente nach Minderung der Erwerbsfähigkeit in Höhe von 441,32 Euro. Zudem besaß sie zwei private Rentenversicherungen, eine bei der E Versicherung und eine bei der H Versicherung (Versicherungsbeginn jeweils am 01.12.2004), ein Girokonto bei der Raiffeisenbank R eG (IBAN DE..., Kontostand am 31.08.2018: 719,46 Euro), einen Bausparvertrag bei der Bausparkasse S AG (Bausparnummer ..., Kontostand im Januar 2018: 52,79 Euro) und eine Versicherung bei der B Lebensversicherung (nach Angaben der Klägerin: Risikokapitalversicherung mit Berufsunfähigkeitsversicherung).

Im Leistungsantrag gab die Klägerin an, zwei Kraftfahrzeuge zu haben (VW LT, Erstzulassung April 1984, und Seat Terra, Erstzulassung 29.12.1993, beide abgemeldet und reparaturbedürftig). Außerdem ist sie Eigentümerin eines Fiat Ducato (Baujahr 2000, amtl. Kennzeichen ..., gekauft 2011 für ca. 2.500,- Euro), den sie auch für ihre selbstständige Tätigkeit nutzt, eines Traktors und eines Markthängers.

Der Beklagte lud die Klägerin mit Schreiben vom 04.10.2018 zu einem Termin am 15.10.2018 ein, um eine Identitätsprüfung vorzunehmen und die Anspruchsvoraussetzungen zu überprüfen. Bei dem Termin erhalte die Klägerin die Antragsunterlagen. Die Klägerin erschien zu dem Termin nicht. Der Beklagte lehnte den Antrag der Klägerin mit Bescheid vom 23.10.2018 für die Zeit vom 01.09.2018 bis 31.08.2019 ab, da sie ihre Hilfebedürftigkeit nicht nachgewiesen habe. Den Widerspruch der Klägerin hiergegen wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 04.12.2018 zurück.

Den im Laufe der gerichtlichen Verfahren vorgelegten Kontoauszügen des Girokontos der Klägerin lässt sich entnehmen, dass sie im September 2018 74,- Euro (Wasser/Abwasser), im Oktober 2018 508,72 Euro (an Versicherungskammer Bayern), im November 2018 21,15 Euro (Abfallgebühren) und im Februar 2019 99,72 Euro (Kaminkehrer), 21,15 Euro (Abfallgebühren) und 69,58 Euro (Verwaltungsgemeinschaft M) überwies. Die Zahlungen weiterer Hausnebenkosten sind daraus nicht ersichtlich.

Es finden sich außerdem folgende Einzahlungen bzw. Überweisungen (Haben) auf das Konto: im September 2018 630,- Euro Einzahlung, im Oktober 2018 150,- Euro Überweisung, im November 2018 300,- Euro Einzahlung und 50,54 Euro Überweisung, im Januar 2019 127,50 Euro Überweisung und 43,05 Euro Überweisung und insgesamt 350,- Euro Einzahlungen.

Zur E Versicherung legte die Klägerin im Klageverfahren S 16 AS 386/17 die Kopie eines Schreibens der E Versicherung vom 21.02.2017 vor, wonach die unwiderruflich beantragte Umwandlung der Rentenversicherung in einen pfändungsgeschützten Vertrag nach § 167 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) und § 851c Zivilprozessordnung (ZPO) vorgenommen worden sei. Eine Verwertung der Ansprüche aus dem Vertrag vor Vollendung des 60. Lebensjahres sei damit ausgeschlossen. Zu diesem Zweck habe die Klägerin unwiderruflich darauf verzichtet, über Rechte aus dem Vertrag ganz oder teilweise zu verfügen, insbesondere durch Abtretung, Verpfändung oder Beleihung. Das Recht auf ordentliche Kündigung sei insoweit ausgeschlossen, als das angesammelte Kapital innerhalb der von § 851 c Abs. 2 ZPO genannten Grenzen liege.

Die Rückkaufswerte inklusive Überschussanteilguthaben der H Versicherung stellten sich zu verschiedenen Zeitpunkten wie folgt dar:

01.12.2013:         8.615,58 Euro
01.12.2015:         9.137,29 Euro
01.12.2017:         9.641,43 Euro
01.12.2018:         9.918,82 Euro
01.12.2019:        10.270,40 Euro

Die Höhe der eingezahlten Beiträge in die H Versicherung bis zur Prämienfreistellung lt. Schreiben der Versicherung vom 27.07.2016 betrug (nach telefonischer Mitteilung der Klägerin gegenüber dem Beklagten vom 16.08.2016) insgesamt 8.640,- Euro.

Am 31.03.2019 stellte die Klägerin beim Beklagten einen erneuten Antrag auf Leistungen nach dem SGB II, der mit Bescheid vom 02.05.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.07.2019 abgelehnt wurde (Klageverfahren S 16 AS 618/19, Berufungsverfahren L 16 AS 200/20).

Am 07.01.2019 erhob die Klägerin beim Sozialgericht Landshut Klage. Dem Beklagten sei ihre Identität bekannt; sie erscheine nicht beim Beklagten, da dieser ihr Aufwendungsersatz hierfür verweigere. Sie begehre vorläufig gewährte Hilfe zum Lebensunterhalt, Wohnkosten und Sozialversicherung nach dem SGB II.

Mit Schreiben vom 10.09.2019 und 26.09.2019 forderte das Sozialgericht von der Klägerin weitere Unterlagen (vollständig ausgefüllte Antragsunterlagen, lückenlose Kontoauszüge für den streitgegenständlichen Zeitraum, Nachweis über den Rückkaufswert der Rentenversicherung zum 01.09.2018, abschließende Anlage EKS mit Belegen, Nachweise zu den Betriebskosten des Hauses, aktueller Grundbuchauszug und Verkaufswert von Grundstück und Wohneigentum, Fahrzeugscheine) an. Darauf übermittelte die Klägerin u.a. die Kopie eines handschriftlich erstellten Geschäftsbuches mit Bar- und Kontobewegungen des Betriebes und teilweise geschwärzte, nicht lesbare Kontoauszüge. In den ausgefüllten Antragsunterlagen gab die Klägerin an, sie habe für das Haus Kosten für Grundsteuer, Schornsteinfeger, Gebäudeversicherung, Wasser/Abwasser und Müll zu tragen. Kosten für Radio und Heizmaterial würden wegen Armut nicht bezahlt bzw. von den Mitbewohnern gezahlt.

Das Sozialgericht wies die Klägerin mit Schreiben vom 03.12.2019 darauf hin, dass die Kontoauszüge überwiegend nicht lesbar seien und Nachweise und Belege zu den Einnahmen und Ausgaben fehlen würden. Ihr wurde Gelegenheit gegeben, die Unterlagen bis 31.12.2019 nachzureichen. Die Klägerin teilte hierzu mit Schreiben vom 24.12.2019 mit, Belege könne sie wegen "DSGVO und SGB (Daten unbeteiligter Dritter)" nicht einreichen. Eine Vorlage von Belegen sei ihr außerdem aus Kostengründen nicht möglich. Die Kontoauszüge seien vollständig vorgelegt und müssten nur vergrößert werden. Sie habe auch angegeben, welche Ausgaben privat ("P") seien und welche für KdU ("HH").

Das Sozialgericht wies die Klage nach Anhörung der Beteiligten mit Gerichtsbescheid vom 28.02.2020 ab. Im Wege der Auslegung sei davon auszugehen, dass die Klägerin endgültig zu bewilligende Leistungen für die Zeit vom 01.09.2018 bis 28.02.2019 begehre. Da die Klägerin bereits am 31.03.2019 einen neuen Leistungsantrag gestellt habe, der mit Bescheid vom 02.05.2019 für die Zeit vom 01.03.2019 bis 29.02.2020 abgelehnt worden sei, habe sich der Bescheid vom 23.10.2018 insoweit erledigt. Der mit der Klage angefochtene Bescheid vom 23.10.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.12.2018 sei rechtmäßig. Es sei nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erwiesen, dass die Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum vom 01.09.2018 bis 28.02.2019 hilfebedürftig gewesen sei. Ausreichende Nachweise zum Beleg ihrer Hilfebedürftigkeit habe die Klägerin nicht vorgelegt. Alle erreichbaren Erkenntnisquellen zur Ermittlung der Hilfebedürftigkeit seien ausgeschöpft. Die Klägerin trage die Beweislast für die Feststellung ihrer Hilfebedürftigkeit. Das Arbeitslosengeld II umfasse nach § 19 Abs. 1 Satz 3 SGB II den Regelbedarf, die Mehrbedarfe und den Bedarf für Unterkunft und Heizung. Der Regelbedarf für Alleinstehende habe im streitgegenständlichen Zeitraum 416,- Euro bzw. 424,- Euro monatlich betragen. Die Bedarfe für die Unterkunft und Heizung seien von der Klägerin trotz Aufforderung nur teilweise belegt worden. Bedarfsmindernd zu berücksichtigen sei eine monatliche Rentenzahlung in Höhe von 441,32 Euro. Das Einkommen der Klägerin aus ihrer selbständigen Tätigkeit sei trotz entsprechender Aufforderung seitens des Gerichts nicht belegt. Damit sei nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erwiesen, dass die Klägerin ihren Lebensunterhalt nicht bereits durch ihr Einkommen aus der selbständigen Tätigkeit bestreiten könne. Auch sei nicht nachgewiesen, dass das Vermögen der Klägerin unterhalb der Freigrenzen des § 12 Abs. 2 SGB II liege. Aktuelle Angaben zum Rückkaufswert der Rentenversicherung bei der H, für die kein Verwertungsausschluss ersichtlich sei, und zu den eingezahlten Beiträgen habe die Klägerin nicht gemacht. Belege seien nicht übersandt worden. Aus den Akten ergebe sich, dass der Rückkaufswert der Rentenversicherung bei der H Versicherung sich zum 01.12.2017 auf insgesamt 9.641,43 Euro bei eingezahlten Beiträgen in Höhe von 8.640,- Euro zum 26.07.2016 belaufen habe. Die Klägerin sei auch Eigentümerin einer unbebauten Landwirtschaftsfläche mit einer Größe von 1.630 m2, die im Jahr 2002 für ca. 3.000,- Euro bis 3.500,- Euro erworben worden sei, wobei es sich um verwertbares Vermögen handeln könne. Eine Prüfung der Hilfebedürftigkeit setze voraus, dass die tatsächliche Einkommens- und Vermögenssituation des Betroffenen bekannt sei. Insoweit obliege es zunächst dem Betroffenen, sämtliche hierfür erforderlichen Tatsachen anzugeben, entsprechende Beweismittel zu bezeichnen sowie sämtliche Beweisurkunden vorzulegen bzw. ihrer Vorlage zuzustimmen (§ 60 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - SGB I). Dies sei der Klägerin im Rahmen eines aus Steuermitteln finanzierten Fürsorgesystems, das strikt an die Hilfebedürftigkeit der Leistungsempfänger als Anspruchsvoraussetzung anknüpfe, auch zumutbar. Im Ergebnis gehe die Unerweislichkeit der Hilfebedürftigkeit der Klägerin zu ihren Lasten.

Gegen den ihr am 03.03.2020 zugestellten Gerichtsbescheid des Sozialgerichts hat die Klägerin am 02.04.2020 beim Bayerischen Landessozialgericht Berufung eingelegt.

Die Klägerin ist in allen fünf im Senat anhängigen Berufungsverfahren (L 16 AS 812/18, L 16 AS 813/18, L 16 AS 198/20, L 16 AS 199/20 und L 16 AS 200/20) mit Schreiben vom 25.10.2021 (zugestellt laut PZU am 30.10.2021) darauf hingewiesen worden, dass die Berufungen noch nicht begründet wurden und ist unter Hinweis auf die Rechtsfolgen nach § 106a Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gebeten worden, bis spätestens 30.11.2021 folgende Unterlagen (Aufzählung, soweit den hier streitigen Zeitraum betreffend) vorzulegen:

-     Bestätigung der H Lebensversicherung AG über den Verkehrswert sowie die Summe der eingezahlten Beiträge zum Stichtag 01.09.2018 bzw. alternativ eine Schweigepflichtentbindungserklärung gegenüber der H Versicherung

-     noch fehlende lückenlose Kontoauszüge für die Zeit vom 01.09.2018 bis 28.02.2019

-     Nachweise über die ihr entstandenen Hausnebenkosten

-     Evtl. Verkaufserlös aus dem beabsichtigten Verkauf eines Hängers (gemäß den Angaben der Klägerin vor dem Sozialgericht am 07.06.2018)

-     Kopie eines Auszugs aus dem Grundbuch über die ihr gehörenden Immobilien bzw. Angabe der entsprechenden Flurnummern

-     Belege zu ihren Betriebseinnahmen und -ausgaben im streitgegenständlichen Zeitraum

Mit einem am 04.01.2022 eingegangen Schreiben, das alle fünf Berufungsverfahren betraf, hat die Klägerin drei Schreiben der H Versicherung über den Stand der Rückkaufswerte zum 01.12.2017, 01.12.2018 und 01.12.2019, teilweise geschwärzte Kontoauszüge für die Zeit vom 03.07.2017 bis 10.07.2017 und von Januar 2018 bis Februar 2020, Nachweise über den Kontostand des Bausparvertrags zum 31.12.2017 und für das Jahr 2019 sowie eine Übersicht über ihre Betriebseinnahmen und -ausgaben in der Zeit von November 2019 bis Dezember 2020 ohne Belege vorgelegt. Der Markthänger sei unverkäuflich, da defekt.

Die Klägerin hat einen Antrag zur Berufung nicht gestellt.

Der Beklagte hat beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte hat erklärt, die von der Klägerin übermittelten Kontoauszüge seien unzulässigerweise teilweise geschwärzt worden und unleserlich. In ihrer Aufstellung vermische die Klägerin gewerbliche und nichtgewerbliche Ausgaben. Einnahmen fehlten vollständig, was nicht nachvollziehbar sei. Aufgrund der gesetzten Frist dürfte die Klägerin präkludiert sein. In einem weiteren Schreiben vom 07.03.2022 hat die Klägerin nochmals ihre Meinung bekräftigt, alle Unterlagen zur Prüfung ihrer Hilfebedürftigkeit in ausreichendem Umfang vorgelegt zu haben.

Zur Vervollständigung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen sowie der Verwaltungsakte des Beklagten verwiesen.


E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Die nach § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht erhobene und auch im Übrigen zulässige Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 28.02.2020 ist nicht begründet.

Die Klägerin hat keinen Antrag zur Berufung gestellt. Unter Berücksichtigung ihres Vortrags geht der Senat davon aus, dass sie die Aufhebung des Gerichtsbescheides des Sozialgerichts sowie der angefochtenen Bescheide sowie die Verurteilung des Beklagten zur endgültigen Erbringung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in der Zeit vom 01.09.2018 bis 28.02.2019 in gesetzlicher Höhe begehrt. Aus ihrer Sicht hat die Klägerin zumindest im sozialgerichtlichen Verfahren alle Unterlagen zur Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen vorgelegt, so dass ihr Begehren nicht mehr auf nur vorläufige Leistungserbringung nach § 41a SGB II, sondern nach Ablauf des streitgegenständlichen Bewilligungszeitraums auf endgültige Erbringung der Leistungen gerichtet ist. Da die Klägerin am 31.03.2019 einen neuen Leistungsantrag gestellt hat und der Beklagte hierüber mit Bescheid vom 02.05.2019 für die Zeit vom 01.03.2019 bis 29.02.2020 (ablehnend) entschieden hat (Klageverfahren S 16 AS 618/19, Berufungsverfahren L 16 AS 200/20), ist in diesem Berufungsverfahren nur der Bescheid vom 23.10.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.12.2018 streitig, soweit er die Leistungen für den Zeitraum vom 01.09.2018 bis 28.02.2019 ablehnt; im Übrigen, d. h. für die Zeit ab 01.03.2019, hat sich der Bescheid vom 23.10.2018 durch den Bescheid vom 02.05.2019 erledigt (§ 39 Abs. 2 SGB X).

Die so verstandene Berufung ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat zu Recht entschieden hat, dass der Bescheid vom 23.10.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.12.2018 rechtmäßig ist und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt.

Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erhalten Leistungen nach dem SGB II Personen, die (1.) das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben, (2.) erwerbsfähig und (3.) hilfebedürftig sind und (4.) ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte). Die Klägerin gehört zum leistungsberechtigten Personenkreis.

Die Klägerin hat auch zur Überzeugung des Senats ihre Hilfebedürftigkeit im streitgegenständlichen Zeitraum vom 01.09.2018 bis 28.02.2019 nicht nachgewiesen. Hilfebedürftig ist nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II iVm § 9 Abs. 1 SGB II, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält.
Die materielle Beweislast für das Vorliegen von Hilfebedürftigkeit trägt die Klägerin als hilfesuchende Person (vgl. Korte in LPK-SGB II, 7. Aufl. 2021, § 9 Rdnr. 5; BSG, Urteil vom 27.01.2009 - B 14 AS 6/08 R). Die materielle Beweislast bzw. Feststellungslast regelt, wen die Folgen treffen, wenn das Gericht eine bestimmte Tatsache letztlich nicht feststellen kann (non liquet). Es gilt der Grundsatz, dass jeder im Rahmen des anzuwendenden materiellen Rechts die Beweislast für die Tatsachen trägt, die den von ihm geltend gemachten Anspruch begründen. Es ist also Sache der Klägerin, den Sachverhalt unter Vorlage geeigneter Unterlagen so darzulegen und nachzuweisen, dass zur Überzeugung des Gerichts ein Leistungsanspruch besteht. Kommt ein Kläger seiner Mitwirkungsobliegenheit im sozialgerichtlichen Verfahren nach § 103 Satz 1 Halbsatz 2 SGG nicht nach, sind die Gerichte trotz des Amtsermittlungsgrundsatzes nach § 103 Satz 1 SGG nur eingeschränkt verpflichtet, weiter zu ermitteln. Dies gilt insbesondere für Umstände, die in der Sphäre der Klägerin liegen. In diesem Fall trifft die Klägerin die Feststellungslast (vgl. Karl in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Aufl. 2020, § 9 Rdnr. 233, 219).

Der Bedarf der Klägerin beläuft sich zum einen auf den Regelbedarf nach § 20 Abs. 1, Abs. 1a SGB II iVm §§ 28, 28a Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) und § 2 der Regelbedarfsstufen-Fortschreibungsverordnungen - RBSFV 2018 und 2019) in Höhe von 416,- Euro monatlich bzw. - ab 01.01.2019 - in Höhe von 424,- Euro monatlich. Zum anderen sind gemäß § 22 SGB II Kosten der Unterkunft im streitgegenständlichen Zeitraum in Höhe von 74,- Euro (Wasser/Abwasser) im September 2018, 508,72 Euro (wohl für die Wohngebäudeversicherung) im Oktober 2018, 21,15 Euro (Abfallgebühren) im November 2018 und 99,72 Euro (Kaminkehrer), 21,15 Euro (Abfallgebühren) sowie 69,58 Euro (soweit leserlich, Endabrechnung der Verwaltungsgemeinschaft M) anhand der Kontoauszüge belegt. Weitere Kosten für Heizmaterial hat die Klägerin nicht behauptet und nachgewiesen; im erstinstanzlichen Verfahren wie sie darauf hin, die Kosten für Brennmaterial seien von den Mitbewohnern getragen worden.

Die Klägerin verfügte im streitgegenständlichen Zeitraum über Einkommen aus der Verletztenrente in Höhe von 441,32 Euro, von dem gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1 Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung (Alg II-V) die Versicherungspauschale in Höhe von 30,- Euro in Abzug zu bringen ist, so dass sich hieraus ein anzurechnendes Einkommen in Höhe von 411,32 Euro ergibt.

Da die Klägerin ihr Einkommen aus der selbstständigen Tätigkeit nicht, insbesondere nach reinen Betriebseinnahmen und -ausgaben differenziert und anhand von Belegen überprüfbar, nachgewiesen hat, kann der Senat schon nicht beurteilen, ob nicht bereits das Gesamteinkommen der Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum ihren grundsicherungsrechtlichen Bedarf deckte. Die Klägerin selbst hat in ihrem Schreiben vom 07.03.2022 angegeben, sie könne (nur) die Markteinnahmen nicht belegen. Ausweislich der Kontoauszüge wurden auf das Konto der Klägerin - neben den monatlichen Überweisungen der Unfallrente - jedenfalls folgende Beträge eingezahlt bzw. überwiesen: im September 2018 630,- Euro Einzahlung, im Oktober 2018 150,- Euro Überweisung, im November 2018 300,- Euro Einzahlung und 50,54 Euro Überweisung, im Januar 2019 127,50 Euro Überweisung und 43,05 Euro Überweisung und insgesamt 350,- Euro Einzahlungen. Der Beklagte hat zurecht darauf hingewiesen, dass die Klägerin in der Aufstellung ihrer Einnahmen und Ausgaben nicht zwischen den Einnahmen aus der Unfallrente und den Einnahmen aus der selbstständigen Tätigkeit unterscheidet. Gleiches gilt für die Ausgaben, da in der übersandten Kopie aus dem Geschäftsbuch beispielsweise auch Hausnebenkosten und Stromkosten in voller Höhe als Ausgaben angesetzt wurden, obwohl das Haus nur anteilig (ohne konkrete Angaben der Klägerin, zu welchem Anteil) für die selbstständige Tätigkeit der Klägerin genutzt wurde. Eine konkrete Differenzierung zwischen Ausgaben für den privaten Bereich und reinen Betriebsausgaben ist jedoch notwendig, um den Gewinn der Klägerin und letztlich das anzurechnende Einkommen aus ihrer selbstständigen Tätigkeit gemäß §§ 11, 11b SGB II iVm § 3 Alg II-V (in der Fassung vom 26.07.2016) verlässlich ermitteln zu können. Dies war dem Senat anhand der vorliegenden Unterlagen nicht möglich. Darüber hinaus konnte der Senat mangels Vorlage von Belegen nicht überprüfen, ob es sich bei den Ausgaben, sofern man ihre Eigenschaft als Betriebsausgaben unterstellt (etwa Ausgaben, die im handschriftlichen Geschäftsbuch als "Ware" oder "Verbrauch, Werkstatt, Material" bezeichnet sind), um notwendige Ausgaben iSd § 3 Abs. 2, 3 Alg II-V handelte.

Die genaue Höhe des Einkommens aus selbstständiger Tätigkeit kann jedoch dahingestellt bleiben, da die Klägerin auch über verwertbares Vermögen in Form des Rückkaufswertes der H Versicherung verfügte, das die gesetzlichen Vermögensfreibeträge überstieg. Als Vermögen sind nach § 12 Abs. 1 SGB II in der Fassung vom 13.05.2011 grundsätzlich alle verwertbaren Vermögensgegenstände zu berücksichtigen, die den Grundfreibetrag nach § 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB II (150,- Euro je vollendetem Lebensjahr, im Falle der Klägerin also 8.550,- Euro bzw. ab Februar 2019 8.700,- Euro) und den Freibetrag für notwendige Anschaffungen nach § 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 SGB II (750,- Euro), insgesamt 9.300,- Euro bzw. ab 01.02.2019 9.450,- Euro, übersteigen.

Die Klägerin hat auch im Berufungsverfahren nicht nachgewiesen, dass der Rückkaufswert der H Versicherung inklusive des Überschussanteilsguthabens unterhalb des Vermögensfreibetrages von 9.300,- Euro bzw. von 9.450,- Euro lag. Der Senat hat die Klägerin gebeten, den Wert zum 01.09.2018 zu belegen bzw. alternativ dem Senat eine Schweigepflichtentbindungserklärung zu erteilen, damit dieser die erforderliche Auskunft selbst bei der H Versicherung einholen kann. Dieser Bitte mit gerichtlichem Schreiben vom 25.10.2021 unter Fristsetzung bis 30.11.2021 ist die Klägerin trotz Hinweises auf die mögliche Präklusionswirkung des § 106a Abs. 3 SGG nicht nachgekommen. Legt man den Rückkaufswert inkl. Überschussanteilguthaben der H Versicherung zum 01.12.2017 in Höhe von 9.641,43 Euro zugrunde, liegt dieser bereits oberhalb des für den streitgegenständlichen Zeitraum geltenden Vermögensfreibetrages von 9.300,- Euro bzw. von 9.450,- Euro. Aus der Bestätigung der H Versicherung für Dezember 2018 geht zudem hervor, dass sich der Rückkaufswert inkl. Überschüssen und Beteiligung an den Bewertungsreserven zum 01.12.2018 auf insgesamt 9.918,82 Euro belief.

Ein unwiderruflicher Verwertungsausschluss bezüglich der H Rentenversicherung iSd § 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB II bestand nicht. Sie ist auch nicht nach § 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB II vom Vermögen der Klägerin abzusetzen, da es sich nicht um eine nach Bundesrecht (§ 10a Einkommensteuergesetz (EStG) oder nach dem XI. Abschnitt des EStG - sog. "Riester-Anlageform") geförderte Anlageform oder einen sonstigen nach § 5 des Altersvorsorgeverträge-Zertifizierungsgesetzes zertifizierten Altersvorsorgevertrag handelt. Auch der Ausschlusstatbestand des § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB II ist nicht einschlägig, wonach als Vermögen nicht zu berücksichtigen sind Vermögensgegenstände in angemessenem Umfang, die vom Inhaber als für die Altersvorsorge bestimmt bezeichnet sind, wenn die erwerbsfähige Leistungsberechtigte Person oder deren Partnerin oder Partner von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit ist. Diese Regelung gilt nur für Personen, die grundsätzlich versicherungspflichtig wären, aber aufgrund einer Entscheidung des Rentenversicherungsträgers nicht der Versicherungspflicht unterliegen (§§ 6, 231, 231a Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI). Eine solche Befreiung von der Versicherungspflicht liegt im Falle der Klägerin nicht vor, da diese aufgrund ihrer selbstständigen Tätigkeit von vorneherein nicht der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung unterlag. Eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung der Klägerin gegenüber den von der Versicherungspflicht Befreiten iSd Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) liegt hierin nicht (vgl. hierzu Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 07.05.2009 - B 14 AS 35/08 R, Rdnr. 18 juris). Die Verwertung der Rentenversicherung ist auch nicht offensichtlich unwirtschaftlich im Sinne des § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 SGB II, da der Verkehrswert der H Rentenversicherung (Rückkaufswert) oberhalb des Substanzwertes (Summe der auf den Versicherungsvertrag eingezahlten Beiträge) lag. Eine besondere Härte im Sinne des § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 SGB II ist nicht ersichtlich, da hierfür außergewöhnliche Umstände vorliegen müssen, die nicht bereits von § 12 Abs. 2 und Abs. 3 SGB II als Privilegierungstatbestände erfasst sind und die dem Betroffenen ein deutlich größeres Opfer abverlangen als eine einfache Härte oder die mit der Vermögensverwertung stets verbundenen Einschnitte (vgl. BSG, Urteile vom 16.05.2007 - B 11b AS 37/06 R und vom 20.02.2014 - B 14 AS 10/13 R). Hierfür sind keine Anhaltspunkte erkennbar.

Zu dem in Höhe von 341,43 Euro (bis 30.11.2019), in Höhe von 618,82 Euro (ab 01.12.2018) bzw. in Höhe von 468,82 Euro (ab 01.02.2019) oberhalb des Vermögensfreibetrages liegenden Rückkaufswert der H Versicherung zu addieren sind die Guthaben auf dem Girokonto der Klägerin in Höhe von 719,46 Euro (zum 01.09.2018) und auf dem Bausparvertrag in Höhe von 52,79 Euro (Januar 2018), so dass die Klägerin bereits aus diesen Vermögensgegenständen über ein die Vermögensfreibeträge übersteigendes Vermögen von mindestens rund 1.100,- Euro verfügte. Vorhandenes Vermögen steht dem Leistungsanspruch nach dem SGB II so lange entgegen, wie es nicht (nachweislich) verbraucht wurde (vgl. Silbermann in Eicher/Luik/Harich, SGB II, 5. Aufl. 2020, § 9 Rdnr. 20 und Lange in Eicher/Luik/Harich, SGB II, 5. Aufl. 2020, § 12 Rdnr. 129). Ein fiktiver Vermögensverbrauch ist dabei ohne Belang. Vermögen ist deshalb - soweit es die Freibeträge übersteigt und nicht zum Schonvermögen zählt - solange auf den Leistungsanspruch anzurechnen, bis es tatsächlich verbraucht ist; dies gilt auch, soweit es bereits in einem früheren Bewilligungszeitraum entsprechend berücksichtigt, tatsächlich aber nicht verbraucht worden ist (BSG, Urteil vom 30.07.2008 - B 14 AS 14/08 B; Lange in Eicher/Luik, SGB II, 4. Aufl. 2017, § 12 Rdnr. 30). Die Klägerin hat ihr Vermögen nicht verbraucht.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG).

 

Rechtskraft
Aus
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