L 3 U 205/18

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Kassel (HES)
Sachgebiet
Unfallversicherung
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 1 U 90/14
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 205/18
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Zum Vollbeweis der Exposition von Küchenpersonal gegenüber Asbest bei der Nutzung von Küchengeräten (hier: gasbetriebener Glühplattenherd aus den 1950er Jahren nebst Backofen)  

I.    Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 10. November 2015 wird zurückgewiesen.

II.    Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

III.    Die Revision wird nicht zugelassen.


Tatbestand

Die Klägerin begehrt als Rechtsnachfolgerin ihres 1957 geborenen und 2015 verstorbenen Ehemannes, des Versicherten B. A., die Feststellung einer Berufskrankheit (BK) nach der Nr. 4105 der Anlage 1 der Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) - durch Asbest verursachtes Mesotheliom des Rippenfells, des Bauchfells oder des Perikards - (BK 4105).

Der verstorbene Versicherte war während seines gesamten Berufslebens als Koch tätig. Seine Ausbildung begann er am 1. August 1973 im alten Hotel D. in C-Stadt und beendete diese am 22. Juni 1975. Dem schloss sich vom 1. Juli 1975 bis 31. Dezember 1975 eine Tätigkeit im E., D-Stadt, an. Ab 10. Januar 1976 bis 31. Juli 1976 war der Betroffene im Gasthaus F., E-Stadt, ebenso wie bereits zuvor als Commis de cuisine tätig. Seinen Grundwehrdienst leistete der Betroffene seit 1. Oktober 1976 in der Kaserne in F-Stadt, danach beim Flottenkommando in F-Stadt. Auch dort war der Betroffene als Koch tätig. Dem schloss sich vom 1. Januar 1978 bis 4. Februar 1978 eine Tätigkeit als Koch im Restaurant G. in C-Stadt an. Sodann war er vom 1. März 1978 bis 30. April 1978 im Restaurant H. in C-Stadt tätig. Vom 1. Mai 1978 bis 23. Mai 1978 war er tätig im Restaurant J. in C-Stadt, im Anschluss vom 24. Mai 1979 bis 4. Juli 1979 im Hotel K., Newquai, England. Ab dem 15. Juli 1979 war er als Schiffskoch auf dem Segelschiff L. und im Anschluss ab 24. März 1980 bis 15. Juli 1980 als Koch in dem gastronomischen Betrieb M. GmbH in C-Stadt tätig. Der Belegschaft des Hotel D. gehörte er dann vom 20. Juli 1980 bis 14. Juni 1981 wieder an. Anschließend war er bis 12. September 1982 im Schlosshotel N. in C-Stadt tätig. Ab 11. Oktober 1982 bis 30. September 1984 war er Küchenchef im Hotel Stadt G-Stadt und im Anschluss ab 1. Oktober 1984 bis 30. April 1985 Küchenmeister im Restaurant O. in C-Stadt. Küchenmeister war der Versicherte auch vom 1. Mai 1985 bis 5. Oktober 1986 im Hotel P. in H-Stadt, Küchenmeister und Diätkoch vom 1. Dezember 1986 bis 31. August 1996 im ASB Altenzentrum in J-Stadt. Sodann führte er selbständig die Kantine der Gartenbau-BG vom 1. September 1996 bis 31. Oktober 2000. Vom 1. November 2000 bis 30. April 2001 war er im Altenheim Q. tätig und vom 10. Mai 2001 bis 14. September 2002 im Hotel Schloss R. in K-Stadt, zuletzt als Küchenmeister. Ab dem 15. September 2002 war er Küchenmeister bei der S.-Beschäftigungs-Gesellschaft in K-Stadt. 

Im der zweiten Hälfe des Jahre 2012 wurde bei dem Versicherten ein epitheloides Pleuramesotheliom diagnostiziert (Arztbriefe der Universitätsmedizin Göttingen vom 4. Dezember 2012, vom 10. Dezember 2012, vom 23. Oktober 2012, vom 25. Oktober 2012, vom 26. November 2012, Befundbericht vom 21. November 2012. Am 13. November 2012 erfolgte durch die Universitätsklinik Göttingen, Klinik für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie, die ärztliche Anzeige bei Verdacht auf eine Berufskrankheit nach der Nr. 4105.

Durch Anfragen der Beklagten bei den Arbeitgebern des Versicherten bzw. deren Nachfolgern konnte ein beruflicher Kontakt mit Asbest nicht ermittelt werden. Die S.-Beschäftigungs-Gesellschaft teilte mit, als Koch habe der Betroffene keinen Asbest-Kontakt gehabt; weitere Angaben könnten nicht vorgenommen werden. Das Q. C-Stadt teilte mit, der Betroffene sei nur mit Lebensmitteln und Küchenausstattung in Kontakt gekommen. Einen Kontakt verneinte auch das Altenzentrum des Arbeiter Samariter Bundes J-Stadt. Hinsichtlich des Hotels D. teilte der neue Eigentümer mit, dass über das ehemalige Hotel keine Unterlagen mehr vorlägen. Das Hotel E. in D-Stadt teilte mit, dass der neue Besitzer keine Angaben vornehmen könne. Die Gaststätte F. in E-Stadt sowie auch die H. GmbH in C-Stadt erteilten, soweit ersichtlich, keine Auskunft. Das Restaurant M. war postalisch nicht erreichbar. Das Schlosshotel N. teilte mit, dass der neue Besitzer keine Angaben erteilen könne. Das Hotel Stadt G-Stadt teilte mit, es lägen keine Unterlagen mehr über die Beschäftigungszeit vor. Das Schlosshotel R. in K-Stadt teilte am 11. Januar 2013 mit, der Betroffene habe mit Asbest in der Küche keinen Kontakt gehabt. Was den Schulschiffverein T. betrifft, war das betroffene Schiff nicht mehr zu ermitteln. Bezüglich der selbständigen Tätigkeit des Versicherten wird von Seiten der LBG C-Stadt ein Asbest-Kontakt ausgeschlossen; das Gebäude der Gartenbau-BG, in dem sich auch die Kantine befunden habe, in welcher der Versicherte als selbständiger Pächter (Koch) gearbeitet habe, sei 1992 neu gebaut worden.

Der Versicherte selbst machte die Asbestexposition bei einem einzelnen besonderen Ereignis für seine Erkrankung verantwortlich, und zwar bei dem Säubern der Öfen nach einem Brand während seiner Lehrzeit in der Hotelküche des Hotels D. Nach einer Stellungnahme des dazu ermittelnden Technischen Aufsichtsdienstes (TAD) der Beklagten vom 20. Februar 2013 konkretisierte der Versicherte dieses Ereignis wie folgt:
„Das o. g. Hotel [1] war baulich angeschlossen an eine Diskothek: Nach einem Schwelbrand in der Diskothek, welcher — aufgrund der baulichen Gegebenheiten — auch auf das Hotel übergegriffen war, waren Teile des Hotels wie auch die Küche verrußt. Der Versicherte hatte als Auszubildender, zusammen mit anderen Kollegen die komplette Küche zu reinigen. Er musste damals mit Hilfe einer Spachtel den Ruß entfernen/abkratzen. U. a. musste auch der damals verwendete große Gasofen (Gasbackröhre mit Backflamme; zum Herrichten von Rehkeule, Lammkeule etc.) gereinigt werden. Nach der Erinnerung des Versicherten standen am Ofen teilweise Bleche offen; dort aber auch beim Anzünden des Ofens, dazu musste eine Klappe geöffnet werden, konnte man etwa 5 cm dickes, gelbliches lsolations-Material sehen. Die gleiche Farbe soll auch das Material an bzw. unter den (Abdeck)-Blechen gehabt haben. Ob es sich bei diesem Material um Asbest gehandelt hatte, konnte der Versicherte nicht angeben. Angaben zum Hersteller des Ofens etc. sind dem Versicherten nicht mehr bekannt; in diesem Zusammenhang erwähnte der Versicherte den ehemaligen Unternehmer, die U. KG in L-Stadt. Die Reinigungsarbeiten wurden nach den Erinnerungen des Versicherten etwa im Frühjahr 1974 durchgeführt. Das o. g. Hotel soll zwischenzeitlich „ziemlich heruntergekommen" und zeitweise geschlossen gewesen sein, wurde zu einem späteren Zeitpunkt komplett renoviert sowie teilweise entkernt, und in 2010 neu eröffnet, unter gänzlich anderer Geschäftsführung."

In der zusammenfassenden Beurteilung führt der TAD in seiner Stellungnahme aus, Recherchen bei einer „U. KG in L-Stadt" hätten zu Nachfragen bei einem Vertrieb für Großküchen und letztlich bei der Firma V. geführt. Nach den Angaben dieses Unternehmens habe sich ergeben, dass ältere Produktkataloge (aus den 70er Jahren) sehr wohl existierten, diese jedoch keine Informationen über verbaute Materialien, schon gar nicht asbesthaltige Materialien, beinhalteten. Produktionsunterlagen o. ä. aus dem entsprechenden Zeitraum lägen nicht vor, da entsprechende Geräte eine durchschnittliche „Laufzeit" bzw. Abschreibung nach etwa 20 Jahren erfahren würden. Ältere Mitarbeiter aus den Bereichen Produktion und Service hätten ebenfalls keinerlei Hinweise auf Asbest in solchen Küchengeräten/-maschinen geben können. 

Nach Einholung einer beratungsärztlichen Stellungnahme von Dr. W., die das Vorliegen eines Pleuramesothelioms bei dem Versicherten medizinisch als gesichert ansah, sowie nach Einholung einer Stellungnahme des Landesgewerbearztes beim Regierungspräsidium Darmstadt lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 27. Mai 2013 die Anerkennung einer BK nach Nr. 4105 bei dem Versicherten ab; der Nachweis eines Asbestkontaktes sei nicht erbracht.

Der Versicherte erhob am 10. Juni 2013 Widerspruch und führte erneut aus, dass er während seiner Ausbildung zum Koch 1973 bis 1975 im Hotel D. in C-Stadt Kontakt mit Asbest gehabt haben müsse. Alle deutschen Herde- und Ofenbauer hätten Asbest als Isoliermaterial in Backöfen zu dieser und früherer Zeit verwendet. Das Hotel sei 1953 fertiggestellt und in Betrieb genommen worden, nicht nur die Verkleidung des Backofens habe aus Asbest bestanden, es seien im Betrieb auch Asbesthandschuhe verwendet worden. Mitauszubildende von damals könnten sich an diese Handschuhe erinnern.

Die Beklagte holte eine weitere Stellungnahme des TAD (Dipl.-Ing. JX.) vom 23. April 2014 zur Arbeitsplatzexposition ein, in der dieser ausführte, auch aufgrund der weiteren Ermittlungen durch Erhebung der Personenangaben der Zeugen AX. und BX., frühere Ausbildungskollegen des Versicherten im Hotel D. GmbH, der Mitarbeiter CX. und DX. aus dem Vertrieb bei der Firma V., des Zeugen GX., Leiter des Bereichs Technische Auftragsabwicklung bei der Firma V., sowie des Dr. EX., Leiter des Fachbereichs chemische und biologische Einwirkungen bei der DGUV, sei der Nachweis eines Asbestkontaktes nicht erbracht.

Die Beklagte wies den Widerspruch des Versicherten daraufhin mit Widerspruchsbescheid vom 25. April 2014 zurück.

Der Versicherte hat am 23. Mai 2014 Klage beim Sozialgericht Kassel (Sozialgericht) erhoben. 

Das Sozialgericht hat den Versicherten in einer Sitzung vom 9. Dezember 2014 zur Arbeitsplatzexposition persönlich angehört und sodann bei verschiedenen Stellen, wie dem Deutschen Museum, dem Museum Industriekultur, der Stiftung Warentest und dem Dipl.-Ing. FX. Auskünfte erbeten, ob in den frühen 1950er bis zu den späten 1970er Jahren in Hotels und Gastronomiebetrieben benutzte Backöfen (Glühplattenherde) als Isolationsmaterial regelmäßig Asbest enthalten hätten und ob dies auch für zum Betrieb dieser Öfen erforderliche Schutzhandschuhe gelte. Eine entsprechende Anfrage hat das Sozialgericht an die Firma V. gerichtet. Die Stadt Kassel - Amt Feuerwehr - hat das Sozialgericht zudem im Hinblick auf einen Brand am 8. Juni 1974 im Gaststättenbetrieb D. nach etwaigen Erkenntnissen zum Vorkommen von Asbest befragt. Die Firma V. Food Service Equipment teilte am 28. Januar 2015 mit, nach Auskunft des dienst-ältesten Mitarbeiters (Firmeneintritt 1970) sei zur Isolierung sog. gasbetriebener Glühplattenherde Schamott und nicht Asbest verwendet worden; laut Auskunft dieses Mitarbeiters habe es keine Schutzhandschuhe mit Asbest gegeben.

Dipl.-Ing. FX. erteilte unter dem 6. Januar 2015 die gutachterliche Stellungnahme, die Wärmeisolation der genannten Ofentypen habe aus feuerfesten Steinen (in der Regel Schamott-Steinen) bestanden. Da der Betrieb dieser Öfen diskontinuierlich gewesen sei, hätten in den technisch erforderlichen Dehnungsfugen der Steine-Auskleidung der Öfen Asbestprodukte in Form von Streifen, Bändern und Schnüren eingebaut werden müssen. Die Asbestprodukte hätten die Eigenschaft, dass sie bei Druckbelastung komprimiert würden und bei Entlastung wieder ihre alte Form annähmen. Die Türen und Klappen der Öfen seien durch in eine Nut eingelegte Asbestschnüre abgedichtet gewesen. Eine Asbestexposition habe nur bei der Herstellung der Öfen, gegebenenfalls auch für die Monteure der Ofenfirmen bestanden, wenn die Öfen vor Ort montiert worden seien oder beim Abriss der Öfen. Beim Betrieb dieser Öfen habe für das Personal der Gastronomiebetriebe keine Asbestexposition bestanden.

In Küchen sei es durchaus üblich gewesen, Asbestplatten zum Abstellen von heißen Töpfen zu benutzen. Ab Anfang der 80er Jahre sei die Verwendung von Asbest im Ofenbau eingestellt worden. Das Tragen von Schutzhandschuhen aus Asbest halte er in einem Gastronomiebetrieb für sehr unwahrscheinlich. Asbest sei ein natürliches, faseriges Gestein, welches mechanisch aufgebrochen werde, wobei aus einigen Asbestarten Fasern gewonnen würden, aus denen textile Gewebe hergestellt worden seien. Aus diesen A-Geweben sei in großem Umfang Hitzeschutzkleidung gefertigt worden. Die A-Hitzeschutzkleidung sei zum Schutz vor Hitzestrahlung, heißen Oberflächen (über 400 Grad) und bei flüssigen Metallspritzern benötigt worden. Ab Mitte der 80er Jahre sei die Asbest-Hitzeschutzkleidung auch in der Eisen-, Stahl- und NE-Metall-Industrie durch asbestfreie Produkte ersetzt worden. In den Gastronomiebetrieben habe es zu keiner Zeit Arbeitsbedingungen gegeben, die den Einsatz von Asbest-Handschuhen erfordert hätten. Im Kapitel Berufe und Tätigkeiten des BK-Reportes 1 aus 2013 „Faserjahre“ würden Gastronomiebetriebe mit möglicher Asbestexposition nicht genannt. Sollte bei Erstellung der Arbeitsanamnese das Tragen von Asbesthandschuhen genannt werden, so sei diese Aus¬sage gezielt zu hinterfragen, allerdings sei die Verwendung von Asbest-Handschuhen im Einzelfall entgegen jeder fachlichen Grundlage nicht auszuschließen. In der Regel würden Asbest-Hitzeschutzhandschuhe als Fäustlinge mit Daumen hergestellt. Die Herstellung von Fingerling-Handschuhen aus Asbestgarnen sei möglich, aber problematisch, weil an den vielen Beugestellen dieser Handschuhe die Gesteinsfaser Asbest schnell breche und dadurch die Gebrauchsdauer nur minimal sei. Asbest-Handschuhe seien seit ca. 30 Jahren nicht mehr auf dem Markt. Bilder könne er nicht zur Verfügung stellen.

Die übrigen von dem Sozialgericht angeschriebenen Stellen konnten keine Auskünfte erteilen, da sie nicht (oder nicht mehr) über entsprechende Informationen verfügten.

Der Versicherte ist während des Klageverfahrens am 25. Mai 2015 verstorben; seine Ehefrau hat das Verfahren als Rechtsnachfolgerin weitergeführt.

Mit Urteil vom 10. November 2015 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das Sozialgericht in den Entscheidungsgründen ausgeführt, eine berufsbedingte Exposition gegenüber Asbest sei nicht im Vollbeweis gesichert. Ein Pleuramesotheliom sei zwar überwiegend (ca. 70 bis 80 Prozent) asbestinduziert und ein berufsbedingtes und BK-relevant erhöhtes Risiko für diese Erkrankung bereits bei einer Exposition gegenüber etwa 0,1 Faserjahren anzunehmen. Dies zugrunde gelegt, sei das Ereignis (der Brand) im Hotel D. durchaus geeignet gewesen, einen beruflichen Kontakt anzunehmen. Indes sei das Gericht nicht überzeugt, dass der Versicherte tatsächlich Asbeststaub ausgesetzt gewesen sei. Nach den von dem Gericht eingeholten Auskünften des Dipl.-Ing. FX. und der Firma V. könne nicht davon ausgegangen werden, dass die konkreten Herde zwingend mit Asbestmaterialien aufgebaut waren. Entsprechendes gelte für die behauptete Verwendung von Asbesthandschuhen. Hier habe Dipl.-Ing. FX. darauf hingewiesen, dass diese grundsätzlich eher ungeeignet gewesen sein dürften für den täglichen Einsatz am Herd. Hinzu komme, dass der Versicherte im Rahmen der medizinischen Behandlung in der Universitäts-medizin Göttingen ausweislich des Befundberichtes vom 31. Oktober 2012 angegeben habe, im privaten Bereich bei Abdeckarbeiten Kontakt zu Asbestfaserplatten gehabt zu haben.

Gegen das ihr am 18. November 2015 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 7. Dezember 2015 Berufung beim Hessischen Landessozialgericht in Darmstadt eingelegt und ihr Begehren auf Anerkennung einer BK Nr. 4105 bei ihrem verstorbenen Ehemann weiterverfolgt. Sie hebt nochmals hervor, zur Ermittlung der Exposition ihres Ehemannes sei nicht lediglich die typische Tätigkeit des Küchenbetriebes zu erforschen, sondern vielmehr der konkrete Einzelfall mit Gewichtung auf die Reinigung nach dem Brandfall, insbesondere mit „Schabern“ am Ofen selbst.

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 10. November 2015 sowie den Bescheid der Beklagten vom 7. Mai 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. April 2014 aufzuheben und bei ihrem verstorbenen Ehemann, dem Versicherten B. A., eine Berufskrankheit nach der Nr. 4105 der Anlage 1 der BKV festzustellen,
hilfsweise zu ermitteln, ob die Mineralwollen, die nach der Aussage des Zeugen GX. für die Glühplattenherde bzw. Backofen als Isoliermaterial verwandt worden sind, Asbestfasern enthalten haben. 

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

Der Senat hat zunächst ein Gutachten von Dr. rer. nat. EX., Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV), Institut für Arbeitsschutz (IFA), Fachbereich 2 (Chemische und biologische Einwirkungen, Stäube – Fasern) zu den Fragen eingeholt, ob bei der Fertigung des Ofens „Salamander“ der Firma „HX.“ Asbest verwendet wurde, ob ein Asbestkontakt des Küchenpersonals bei normaler Benutzung des Herdes vorstellbar sei, ob ein Asbestkontakt des Versicherten beim Reinigungsvorgang nach dem Brand vom 8. Juni 1974 vorstellbar sei und, ob die neben dem Ofen liegenden Fausthandschuhe Asbest enthalten hätten. Der Sachverständige hat in seinem Gutachten vom 30. Juni 2017 dazu ausgeführt, Unterlagen über die Glühplattenherde aus den 50er Jahren lägen nicht mehr vor. Aus technischer Sicht erscheine eine Verwendung von Asbest zur Wärmedämmung eines Backraums in einem Glühplattenherd der 1950er Jahre weniger wahrscheinlich als die Verwendung von Mineralwollen. Sollte die Backofenklappe zur Abdichtung eine Asbestkordel enthalten haben, was eine typische Verwendung gewesen sei, so hätte es bei der vom Versicherten beschriebenen Art der Reinigung (mit Spachtel) zu einer kurzfristigen Asbestexposition kommen können. Die Verwendung von Fausthandschuhen aus Asbest, die hier bei einem Beschäftigungsverhältnis angegeben worden seien, seien als Hitzeschutz aus technischer Sicht nicht geboten gewesen. Keiner der zu den Handschuhen befragten Zeugen sowie der Versicherte hätten auf ein besonders schweres Gewicht der verwendeten Handschuhe hingewiesen; dies sei aber eine sehr auffällige Eigenschaft von Asbesthandschuhen. Eine mögliche andere bisher nicht genannte Quelle der Exposition könnten Asbestplatten zum Abstellen von heißen Gegenständen sein; dies sei noch konkret zu erfragen.

Der Senat hat in einem Erörterungstermin vom 17. Juli 2018 die Beteiligten angehört und sodann den Präventionsdienst der Beklagten beauftragt, zu den von Dr. EX. genannten weiteren möglichen Quellen der Exposition (Verwendung von Asbestplatten zum Aufstellen heißer Töpfe und Verbau von Asbestdichtungen im Backofen/Herd) zu ermitteln. Die Beklagte hat sodann zwei Stellungnahmen des BK-Beauftragten JX. vom 24. August 2018 und vom 19. Oktober 2018 vorgelegt, der nach erneuter Befragung der Zeugen AX., BX. und GX. der Auffassung ist, der Nachweis eines Kontaktes des Versicherten mit Asbest sei nicht erbracht. Hinsichtlich des Inhalts dieser Stellungnahmen im Einzelnen wird auf Bl. 255 - 257 sowie Bl. 265 - 270 der Gerichtsakte verwiesen.

Sodann hat der Senat im Termin zur mündlichen Verhandlung am 28. Juni 2022 Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen BX. und GX. Hinsichtlich des Inhalts der Aussagen wird auf die Sitzungsniederschrift von diesem Termin in der Gerichtsakte Bezug genommen.

Wegen weiterer Einzelheiten zum Sach- und Streitstand sowie zum Vorbringen der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakte (Band I und II) sowie auf die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die zum Verfahren beigezogen worden ist.


Entscheidungsgründe

Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg. Das erstinstanzliche Urteil ist zutreffend und der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 7. Mai 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. April 2014 nicht zu beanstanden. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Feststellung, dass bei ihrem Ehemann, dem verstorbenen Versicherten, eine BK nach Nr. 4105 der Anlage 1 zur BKV vorgelegen hat.

Die kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage der Klägerin ist zulässig. Die Klägerin ist Sonderrechtsnachfolgerin (§§ 59 Satz 2, 56 Abs. 1 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - SGB I) ihres während des Klageverfahrens verstorbenen Ehemannes, mit dem sie zum Todeszeitpunkt in einem gemeinsamen Haushalt gelebt hat und von dem sie zu diesem Zeitpunkt wesentlich unterhalten wurde. Die Klägerin hat ein berechtigtes Interesse an der von ihr begehrten Feststellung gemäß § 55 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG), da ihr ggf. Ansprüche auf Geldleistungen zustehen können (vgl. im einzelnen dazu Urteil des erkennenden Senats vom 30. November 2021 - L 3 U 165/17 - juris sowie BSG, Urteil vom 16. März 2021 - B 2 U 17/19 R - juris).

In der Sache ist das Begehren der Klägerin auf Feststellung einer BK nach Nr. 4105 unbegründet.

Berufskrankheiten sind nach § 9 Abs. 1 S. 1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch - Gesetzliche Unfallversicherung – (SGB VII) Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. In der Anlage 1 zur BKV ist unter Nr. 4105 ein durch Asbest verursachtes Mesotheliom des Rippenfells (der Pleura) als Berufskrankheit bezeichnet. 

Voraussetzung für die Feststellung jeder Erkrankung als Berufskrankheit ist zunächst, dass die versicherte Tätigkeit, die schädigenden Einwirkungen sowie die Erkrankung im Sinne des Vollbeweises nachgewiesen sind. Eine absolute Sicherheit ist bei der Feststellung des Sachverhalts dabei nicht zu erzielen. Erforderlich ist aber eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit, wonach kein vernünftiger Mensch mehr am Vorliegen vorgenannter Tatbestandsmerkmale zweifelt (BSGE 6, 144; Keller in Meyer-Ladewig, SGG, 13. Auflage, § 128 Rdnr. 3b m.w.N.). Der Grad der Wahrscheinlichkeit muss so hoch sein, dass alle Umstände des Einzelfalles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung hiervon zu begründen (BSGE 45, 285, 287; 61, 127, 128). Zur Anerkennung einer Berufskrankheit muss zudem ein doppelter ursächlicher Zusammenhang bejaht werden. Die gesundheitsgefährdende schädigende Einwirkung muss ursächlich auf die versicherte Tätigkeit zurückzuführen sein (sog. Einwirkungskausalität) und diese Einwirkung muss die als Berufskrankheit zur Anerkennung gestellte Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Als Beweismaßstab genügt für die ursächlichen Zusammenhänge statt des Vollbeweises die hinreichende Wahrscheinlichkeit, d. h. bei vernünftiger Abwägung aller für und gegen den Zusammenhang sprechenden Umstände müssen die für den Zusammenhang sprechenden Erwägungen so stark überwiegen, dass die dagegensprechenden billigerweise für die Bildung und Rechtfertigung der richterlichen Überzeugung außer Betracht bleiben können (BSG in SozR Nr. 20 zu § 542 RVO a. F.). Der Ursachenzusammenhang ist jedoch nicht schon dann wahrscheinlich, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist (BSGE 60, 58, 59).

Die nach BK Nr. 4105 vorausgesetzte Listenerkrankung, ein Mesotheliom der Pleura, ist nach den Arztbriefen und Befundberichten der Universitätsklinik Göttingen von Oktober bis Dezember 2012 im Vollbeweis gesichert. Hingegen lässt sich die gesundheitsschädigende Einwirkung durch Asbest während der nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 bzw. Nr. 2 SGB VII versicherten Ausbildungs- und Beschäftigungszeiten des Versicherten als Koch in den Jahren von 1973 bis 2012 nicht zur vollen richterlichen Überzeugung begründen.

Wie das Sozialgericht zutreffend ausgeführt hat, ist bei der BK Nr. 4105 die haftungsbegründende Kausalität nicht an ein Dosismaß gekoppelt. Konkrete Hinweise, ab welchem Ausmaß bei einer beruflichen Asbestexposition die Voraussetzung zur Anerkennung eines Mesothelioms als BK Nr. 4105 gegeben ist, bestehen nicht. Deshalb muss sehr sorgfältig jedes Versicherungsverhältnis auf eine auch nur geringfügige Asbestexposition geprüft werden (vgl. die „Falkensteiner Empfehlung“ in: Mehrtens/Brandenburg, BKV, Stand: März 2022, M 4105 5.4, S. 10; Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Auflage 2017, S. 1163). Eine entsprechend sorgfältige Prüfung unter Ausschöpfung aller Ermittlungsmöglichkeiten ist in diesem Verfahren erfolgt.

Nach dieser Prüfung ist ein konkreter beruflicher, wenn auch nur geringfügiger, Kontakt des Versicherten mit Asbest an seinen Arbeitsplätzen nicht zweifelsfrei gesichert.

Dabei ist zunächst festzustellen, dass der Versicherte als Koch bzw. Auszubildender in der Küche bei der üblichen Nutzung der Küchengeräte (Herd, Ofen) während seines Berufslebens nicht mit Asbest in Berührung kommen konnte. Die beiden im Verfahren dazu gehörten technischen Sachverständigen und sowie der sachverständige Zeuge GX. stimmen darin überein, dass das Küchenpersonal bei der üblichen Nutzung und Reinigung von Küchengeräten nicht gegenüber Asbest exponiert gewesen ist, selbst wenn dieses Material in den Geräten verbaut worden ist bzw. wäre. Nach Dipl.-Ing. FX. ist eine solche Exposition nur bei der Herstellung der Öfen, ihrer Montage oder deren Abriss denkbar. Für die Annahme, dass es keine solche Exposition des Personals der Gastronomiebetriebe bei üblicher Nutzung gab, spricht auch, dass im BK-Report 1/2013 Faserjahre (Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung - DGUV), der den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu einer Asbestexposition wiedergibt, im Kapitel 7.4 (Berufe und Tätigkeiten) Gastronomiebetriebe und Küchen nicht genannt sind. 

Der Versicherte (und seine Rechtsnachfolgerin) haben während des gesamten Verfahrens im Hinblick auf die Exposition vor allem ein einmaliges besonderes Ereignis im Jahr 1974 verantwortlich gemacht, einen Schwefelbrand im Hotel D., bei dem der Versicherte nach seinem Vortrag u. a. den damals verwendeten Gasofen mechanisch mit einem Spachtel vom Ruß reinigen musste, wobei nach seinem Vortrag Asbest freigesetzt worden ist. Nach der persönlichen Anhörung des Zeugen BX. durch den Senat ist indes schon zweifelhaft, ob der Versicherte eine solche Reinigung entsprechend seinen Angaben überhaupt vorgenommen hat. Der Zeuge BX., war zum Zeitpunkt des Schwefelbrandes ebenso wie der verstorbene Versicherte Auszubildender in dem „alten“ Hotel D. und in derselben Küche und an denselben Öfen tätig. Er kann sich zwar noch an das Brandereignis erinnern, indes nur beschränkt auf das dem Hotel angegliederte Casino. Auch wenn der Zeuge, wie er angibt, an dem Tag des Brandes selbst nicht im Betrieb gewesen ist, so ist doch davon auszugehen, dass er durch Beobachtung oder wenigstens durch Erzählungen der übrigen Kollegen auch nach seiner Rückkehr in den Betrieb, nach seinen Angaben ein bis zwei Tage nach dem Ereignis, mitbekommen hätte, dass auch die Hotelküche und die Küchengeräte durch den Brand in Mitleidenschaft gezogen waren. Genau das verneint der Zeuge aber und trägt zudem vor, Küchenbetrieb, Hotelbetrieb und Restaurantbetrieb seien nach dem Brand im Casino weitergegangen, nur das Casino und die dort vorhandenen Geräte seien beschädigt und nicht mehr nutzbar gewesen. Unabhängig davon, dass der Vortrag des Versicherten zum Ereignis selbst nicht bewiesen ist, steht für den Senat ebenso wie für das Sozialgericht nicht zur vollen Überzeugung fest, dass das seinerzeit in der Küche des Hotel D. verwendete Küchengerät wie vom Versicherten behauptet bzw. vermutet überhaupt Asbest enthalten hat, und zwar weder als Isoliermaterial beim Gehäuse noch zur Abdichtung der Backofenklappe. An genau welchem Ofen (Marke/Hersteller) der Versicherte während seiner Ausbildungszeit gearbeitet hat, konnte vorliegend nicht mehr ermittelt werden, wie der BK-Beauftragte Dipl.-Ing. JX. in seinen Stellungnahmen vom 19. Oktober 2018 und vom 20. Februar 2013 nach umfangreichen Recherchen nachvollziehbar unter Hinweis auf Auskünfte der Firma V., Hersteller für Groß-Küchengeräte, dargelegt hat. Produktionsunterlagen sowie Informationen über verbaute Materialien aus dem entsprechenden Zeitraum liegen nach den Angaben dieser Firma nicht vor. Das im Hotel D. verwendete Küchengerät konnte von den Zeugen GX. und CX., Mitarbeiter der Firma V., auf Grund der Angaben des Versicherten und seiner Ausbildungskollegen AX. und BX. aber seiner Art nach als sog. Glühplattenherd aus den 1950er Jahren identifiziert werden (s. Stellungnahme Arbeitsexposition des TAD vom 23. April 2014). Bei seiner Befragung durch den TAD hat der Zeuge CX., der im Vertrieb Ladenbau und Messebau der Firma V. tätig war, mitgeteilt, er gehe davon aus, dass bei den Öfen auch asbesthaltige Materialien verwendet wurden, verweise aber diesbezüglich auf den Zeugen GX. Dieser Zeuge, Leiter des Bereichs Technische Auftragsabwicklung, gab gegenüber dem TAD bei seiner ersten Befragung an (Stellungnahme Arbeitsplatzexposition des TAD vom 23. April 2014), er habe einen engen Kontakt zur Fertigung gehabt, Asbest sei schon ab den 1950er Jahren nicht mehr eingebaut worden, dafür sei Gesteinswolle genommen worden, Asbest hätte auch keinen guten Isolationswert gehabt. Der Senat konnte sich bei der persönlichen Vernehmung dieses Zeugen von dessen Sachverstand und dessen Kenntnissen über die seinerzeit in der Hotelküche eingebauten Küchengeräte überzeugen. Er schildert glaubhaft, dass der von ihm identifizierte gasbetriebene Glühplattenherd eine Lebensdauer von 25 bis 30 Jahren hatte und dass der Herd in der Zeit, als er selbst seine Tätigkeit bei der Firma V. im Jahr 1977 begann, weiterhin verbaut bzw. eingesetzt wurde. Der Aufbau des in der Hotelküche eingebauten Küchengerätes, nämlich ein mit Gas betriebener Glühplattenherd, mit hochwärmebeständigem Unterteil aus Schamott und darunter befindlichem Backofen, sowie die in dem Gerät verwendeten Materialien werden von dem Zeugen GX. präzise beschrieben. Nachvollziehbar stellt der Zeuge dar, dass in dem gesamten Gerät Dichtungen aus Asbest weder erforderlich waren noch verwandt wurden. Die Rahmen des Herdes und des Backofens als Unterteil seien aus emailliertem Blatt gefertigt (Edelstahl sei erst in den 1980er Jahren verbaut worden). Bei der Glühplatte des Herdes habe es sich um eine Stahlplatte gehandelt, die bündig in den Rahmen eingesetzt worden sei mit einer Stange als Abstandhalter an der Vorderfront zum Schutz vor Verbrennungen. Die unter dem Herd zur Isolierung eingefügten Schamottsteine seien extra für diesen Zweck angefertigte Steine gewesen, die daher nicht verfugt werden mussten und waren. Auch die Backofentür sei so konstruiert gewesen, dass sie genau in den Rahmen hineingepasst habe; auch hier seien Abdichtungen nicht erforderlich gewesen und seinerzeit auch nicht erfolgt. Entsprechend seinen Angaben bei dem BK-Beauftragten Weis hat der Zeuge bei der Vernehmung durch den Senat ausgeführt, die Isolierung des Backofens sei durch eine Ummantelung mit Steinwolle erfolgt, die mit Blech verkleidet gewesen sei. Die Gesteinswolle habe seine Firma von der Firma KX. bezogen, er selbst habe sich intensiv mit dem Material befasst. Die Gesteinswolle habe aus flüssigem Gestein bestanden, Asbest sei in der Masse nicht enthalten gewesen. 

Die Angaben des sachverständigen Zeugen GX., wonach Asbest bei dieser Ofengeneration bzw. diesem Küchengerät aus den 1950er nicht zur Isolierung bzw. Abdichtung verwendet wurde, wird durch die anderslautende Stellungnahme des Dipl-Ing. FX. nicht in Frage gestellt. Der technische Sachverständige FX. konnte ebenso wie der später im Berufungsverfahren gehörte technische Sachverständige EX., IFA, mangels belastbarer Unterlagen nur Einschätzungen abgeben, was Dr. EX. in seiner Stellungnahme, anders als Dipl.-Ing. FX., auch offengelegt hat. Beide Sachverständige kennen die Küchengeräte nicht wie der Zeuge GX. aus eigener Anschauung. Dr. EX., IFA, hat in seiner Stellungnahme im Berufungsverfahren vom 30. Juni 2017 die Angaben des Zeugen GX. im Hinblick auf die um den Backraum verbaute Isolierung/Dämmung auch für plausibel erachtet. Schon aus technischer Sicht ist nach Dr. EX. die Verwendung von Asbest zur Wärmedämmung eines Backraums in einem Glühplattenherd der 1950er Jahre weniger wahrscheinlich als die Verwendung von Mineralwollen (Stellungnahme vom 30. Juni 2017); günstig herzustellende effektive Dämmwollen hätten in den 1950er Jahren auch bereits zur Verfügung gestanden. Wie Dipl.-Ing FX. hält aber auch der Sachverständige Dr. EX. die Verwendung einer Asbestkordel als Abdichtung um die Backofenklappe durchaus für typisch bei den betreffenden Öfen. Durch die von dem Versicherten beschriebene Art der Reinigung mit Spachtel sei - so Dr. EX. - eine kurzfristige Asbestexposition denkbar. Abgesehen davon, dass Dr. EX. nur eine Möglichkeit beschreibt, hat der Zeuge GX. bei seiner Vernehmung durch den Senat dazu nachvollziehbar ausgeführt, dass sich solche Asbestkordeln zwar durchaus an Befeuerungsklappen von kohle- und holzbeheizten Herden befunden habe, nicht aber an dem hier in der Küche des Hotel D. verbauten Gerät, das mit Gas beheizt wurde. Stimmig dazu ist auch die Kritik des BK-Beauftragten JX. (Stellungnahme vom 19. Oktober 2018), dass Dipl.-Ing. FX. bei seinen Angaben von Öfen ausgegangen sei, welche weder der Ofenart noch des Ofentyps oder der Ofengröße entsprachen, welche im Küchenbereich eingesetzt wurden. In der durch den Senat veranlassten Befragung durch den BK-Beauftragten Dipl.-Ing. JX. (Stellungnahme Arbeitsplatzexposition vom 24. August 2018), hat der Zeuge zudem ausgeführt, selbst wenn man rein „theoretisch“ davon ausgehen würde, dass bei dem Küchengerät zwischen der Backofentür und der Backmuffel eine asbesthaltige Dichtung verwendet wurde, so seien solche Dichtungen mit einem Metallgewebe versehen gewesen, so dass die Asbestschnur sich nicht habe auflösen und somit nicht Asbest habe freigeben können.

Die Angaben des fachkundigen Zeugen GX. sind für den Senat insgesamt nachvollziehbar und sprechen dafür, dass Asbest bei den betreffenden Herden weder zur Isolierung des Backraums noch zur Abdichtung der Backofenklappe verwendet oder verbaut wurde. Mit seinen Angaben im Termin vor dem Senat, dass es „denkbar“ sei, dass Reparaturen bei den bruchanfälligen Schamottsteinen mittels einer Asbestmasse erfolgt sind, beschreibt der Zeuge nur die hypothetische Möglichkeit einer Asbestquelle. Im Ergebnis lässt sich jedenfalls nach den umfangreichen Ermittlungen im Verfahren weder positiv feststellen, dass asbesthaltige Materialien bei der Art der im Hotel D. benutzten Geräte (Glühplattenherd/Backofen) verbaut wurden, noch, dass das von dem Versicherten geschilderte Ereignis so stattgefunden hat, wie er es beschrieben hat. Die Klägerin trägt die Darlegungs- und Beweislast für die Tatsachen, aus denen sie ihren Anspruch herleitet.

Auch bezüglich der anderen im Verfahren diskutierten möglichen Quellen einer Asbestexposition ist der Vollbeweis eines Kontaktes des Versicherten nicht erbracht. 

Die von dem Versicherten behauptete Verwendung von Asbesthandschuhen in der Küche des Hotel D. lässt sich nicht verifizieren. Der Versicherte selbst hat im Termin vor dem Sozialgericht am 9. Dezember 2014 die als Hitzeschutz zur Verfügung gestellten Handschuhe im Detail beschrieben („weißlich/gelbliche Färbung mit Silberstepp“); auch seine damaligen Ausbildungskollegen, die Zeugen AX. und BX., haben bei ihren beiden Befragungen durch den BK-Beauftragten JX. detailliert Handschuhe zum Hitzeschutz beschrieben (Stellungnahme Arbeitsplatzexposition vom 23. April 2014, Zeuge BX.: „helle gesteppte Handschuhe, ähnlich wie Leinen, ein bisschen beige-farbe mit Fasern drin…“; Zeuge AX.: „silbern und wie ein Morgenmantel gesteppt“; s. auch Stellungnahme Arbeitsplatzexposition vom 24. August 2018). Alle beschriebenen Merkmale (Farbe, Brandflecken, Aussehen wie Leinen, gesteppte Gewebe, Volumen) sprechen indes nach den überzeugenden und übereinstimmenden Feststellungen der Sachverständigen Dipl.-Ing. FX. und Dr. EX., IFA, sowie auch nach der Beschreibung von Asbesthandschuhen durch den Zeugen GX. nicht dafür, dass es sich bei den beschriebenen Handschuhen um Asbesthandschuhe gehandelt hat. Dr. EX. hat zudem darauf hingewiesen, dass Asbesthandschuhe besonders schwer gewesen seien, im Mittel 3 bis 5mal so viel wiegen würden wie andere textile Handschuhe. Sowohl der Versicherte als auch die Zeugen haben diese sehr auffällige Eigenschaft von sich aus aber gar nicht erwähnt. Der Zeuge BX. hat erst auf die gezielte Nachfrage des Prozessbevollmächtigten der Klägerin im Termin vor dem Senat beschrieben, die Handschuhe seien „recht gewichtig“ gewesen. Gegen die Verwendung von Asbesthandschuhen in der Hotelküche spricht vor allem auch, dass das Tragen solcher Handschuhe nach Dipl.-Ing. FX. und dem Zeugen GX. in Küchen nicht üblich war; denn sie waren dort unpraktisch, taugten nach dem Zeugen GX. nicht für Arbeiten am Herd, und waren bei den dort gegebenen Temperaturbereichen auch nicht erforderlich. Asbesthandschuhe wurden vielmehr im Hochtemperaturbereich (z.B. bei Arbeiten an Hochöfen) eingesetzt. Dies lässt sich auch dem BK-Report 1/2013 entnehmen (s. dort Seite 96). Die Tatsache, dass der Einsatz von Asbest-Handschuhen im Einzelfall entgegen jeder fachlichen Grundlage nach Dipl.-Ing FX. und dem Zeugen GX. nicht auszuschließen ist, erfüllt nicht die Anforderungen an den Vollbeweis ihrer Verwendung und einer entsprechenden Exposition des Versicherten.

Schließlich ist auch nicht der Nachweis erbracht, dass in den Küchen, in denen der Versicherte tätig gewesen ist, zum Abstellen heißer Gegenstände (z. B. von Töpfen) Asbestplatten (Asbestzement oder gepresste Asbestgewebe) verwendet worden. Der Senat ist dieser von Dipl.-Ing. FX. und Dr. EX. aufgezeigten möglichen Expositionsquelle nachgegangen. Bei ihrer Befragung durch den BK-Beauftragten JX. gaben die beiden Zeugen AX. und BX., die beide in derselben Küche des Hotel D. wie der Versicherte tätig gewesen sind, indes unterschiedliche Materialien zum Absetzen von Töpfen an. Nach Erinnerung des Zeugen AX. waren Asbestplatten in Gebrauch; nach Erinnerung des Zeugen BX. wurden die Töpfe auf Ablaufgitter oder Fliesen abgestellt und darunter Billigholz gelegt oder auf Metallgitter bzw. Drahtgeflechte, so dass ringsum eine Belüftung bestand; an Asbestunterlagen konnte sich der Zeuge BX. nicht erinnern. Seine damaligen Angaben hat der Zeuge bei seiner Vernehmung durch den Senat noch einmal bestätigt. Bewiesen ist bei diesen sich widersprechenden Aussagen der Gebrauch von Asbestplatten in der Küche des Hotel D. nicht. Weitere Ermittlungen bei den anderen Arbeitgebern des Klägers oder deren Nachfolgern sind dazu nicht möglich; diesbezügliche Anfragen der Beklagten bezüglich eines beruflichen Kontaktes mit Asbest sind erfolglos geblieben; die entsprechenden Arbeitgeber bzw. ihre Nachfolger konnten aufgrund der lange zurückliegenden Beschäftigungszeiten des Versicherten und des zwischenzeitlich stattgefundenen Personal- und Leitungswechsels keine Auskünfte mehr erteilen bzw. haben die Verwendung von Materialien aus Asbest an den Arbeitsplätzen des Versicherten verneint.

Der Nachweis der Exposition konnte somit auch nach den weiteren Ermittlungen im Berufungsverfahren nicht erbracht werden; das Sozialgericht hat in seinen Gründen im Übrigen auch zu Recht darauf hingewiesen, dass vorliegend auch ein Kontakt im privaten Bereich möglich ist.

Dem von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung gestellten Hilfsantrag, zu ermitteln, ob die Mineralwolle, die nach der Aussage des Zeugen GX. für die Glühplattenherde bzw. Backöfen als Isoliermaterial verwandt worden ist, Asbestfasern enthalten hat, brauchte der Senat nicht nachkommen. Dabei kann dahinstehen, ob es sich hierbei nur um eine Beweisanregung handelt oder um einen formalen Beweisantrag. Jedenfalls musste sich der Senat – ausgehend von seiner Rechtsauffassung – durch den Antrag nicht zu einer weiteren Sachverhaltsaufklärung gedrängt sehen; er war nicht objektiv gehalten, den Sachverhalt in dem von dem Antrag erfassten Grund weiter aufzuklären (vgl. dazu BSG, Beschluss vom 30. Januar 2020 – B 2 U 152/19 B – juris Rn. 9). Das Gericht muss von allen Ermittlungsmöglichkeiten, die vernünftigerweise zur Verfügung stehen, Gebrauch machen (BSGE 30, 192, 205). Von einer Beweisaufnahme darf es aber ausnahmsweise absehen bzw. einen Beweisantrag ablehnen, wenn es auf die ungeklärte Tatsache nicht ankommt, wenn sie also als wahr unterstellt werden kann, wenn das Beweismittel völlig ungeeignet oder unerreichbar ist, wenn die behauptete Tatsache oder ihr Fehlen bereits erwiesen oder wenn die Beweiserhebung wegen Offenkundigkeit überflüssig ist (BSG, Beschluss vom 30. Januar 2020 a. a. O.; Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 13. Auflage 2020, § 103 Rn.8 m. w. N. aus der Rspr.). Unterstellt man hier, dass die nach dem Zeugen GX. von der Firma KX. gelieferte Gesteinswolle (entgegen den Angaben des Zeugen) Asbestfasern enthalten hat, so wäre damit nicht erwiesen, dass der Versicherte gegenüber diesen Fasern exponiert gewesen ist. Wie oben ausgeführt, kam er bei üblicher Nutzung oder Reinigung des Küchengerätes gar nicht in Kontakt mit Asbest. Der von dem Versicherten geschilderte Sonderfall der Reinigung des Ofens mit einem Spachtel nach dem Schwefelbrand im Casino ist unter Berücksichtigung der Aussage des Zeugen BX. nicht erwiesen. Zudem wäre der Versicherte auch bei der von ihm geschilderten Art der Reinigung mit dem Spachtel gar nicht mit der Gesteinswolle in Berührung gekommen, da diese nach den glaubhaften Angaben des Sachverständigen GX. mit Blech verkleidet gewesen ist. Die gewünschten Ermittlungen hätten somit keine Relevanz für den Ausgang des Verfahrens.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Klägerin hat das Klageverfahren ihres verstorbenen Ehemannes auf Feststellung eines Versicherungsfalls zulässig fortgeführt, um anschließend auf sie als Sonderrechtsnachfolgerin im Sinne des § 56 SGB I übergegangene Ansprüche auf laufende Geldleistungen geltend zu machen. Sie klagt damit in der Eigenschaft als kostenprivilegierte Sonderrechtsnachfolgerin im Sinne des § 183 SGG (vgl. BSG, Urteil vom 6. März 2021 - B 2 U 17/19 R - juris Rn. 44; Urteil des erkennenden Senats vom 30. November 2021 - L 3 U 165/17 - juris).  

Die Entscheidung über die Nichtzulassung der Revision beruht auf § 160 Abs. 2 SGG.
 

Rechtskraft
Aus
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