L 7 SO 2892/20

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7.
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 2 SO 3747/17
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 SO 2892/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Ein gewöhnlicher Aufenthalt kann nicht an einem Ort begründet werden, an dem ein zukunftsoffener Aufenthalt tatsächlich nicht möglich ist.
2. Die schlichte Übersendung eines Antrags an einen anderen Leistungsträger stellt noch keine Weiterleitung im Sinne von § 14 Abs. 1 Satz 2 SGB IX dar.

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 22. Juli 2020 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen mit Ausnahme der Kosten des Beigeladenen. Dieser trägt seine Kosten selbst.

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist ein von der Klägerin geltend gemachter Erstattungsanspruch für zugunsten der Leistungsempfänger G1, geboren 2005 und G2, geboren 2008 erbrachte Leistungen der Eingliederungshilfe im Zeitraum vom 22. März 2016 bis 31. Juli 2017 streitig.

Bei G1 ist durch B1 – Kinder- und Jugendarzt, Zusatzbezeichnung Neuropädiatrie, sowie Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie – u.a. nach ambulanter Untersuchung am 27. Mai 2015 (Bericht vom 19. Juni 2015) eine leichte geistige Behinderung (ICD-10: F70.0 G), eine erethisch-hyperkinetischen Verhaltensstörung bei mentaler Retardierung (ICD-10: F84.4 G), eine Sprachentwicklungsstörung (ICD-10: R47.8 G) und eine motorische Koordinationsstörung (ICD-10: R27.8 G) bei psychischen Krankheiten in der Familienanamnese (ICD-10: Z81 G) und anderen spezifischen Krankheiten in der Familienanamnese (ICD-10: Z83 G) diagnostiziert worden. Bei G2 stellte B1 die Diagnosen (Bericht vom 19. Juni 2015) einer leichten geistigen Behinderung (ICD-10: F70.0 G), einer umschriebenen Entwicklungsstörung der grobmotorischen Funktionen (ICD-10: F82.0 G) und einer umschriebenen Entwicklungsstörung der Fein- und Graphomotorik (ICD-10: F82.1 G) bei psychosozialen Belastungen (ICD-10: Z60 G und Z62 G) sowie die Verdachtsdiagnosen einer Sprachentwicklungsstörung (ICD-10: F80.28 V) einer expressiven Sprachstörung (ICD-10: F80.1 V) und einer reaktiven Bindungsstörung des Kindesalters (ICD-10: F94.1 V). Die zur Mitbeurteilung herangezogene K1 bestätigte aufgrund eigener Untersuchungen vom 30. Juli 2015 die von B1 gestellten Diagnosen im Wesentlichen, nahm jedoch jeweils nicht nur eine leichte, sondern eine mäßiggradige geistige Behinderung an (Berichte vom 27. August 2015).

Die Leistungsempfänger lebten bis zum 29. Januar 2012 mit ihrer 2011 geborenen Schwester G3 sowie ihren zum damaligen Zeitpunkt verheirateten Eltern – der Mutter G4 und dem Vater A – in einer gemeinsamen Wohnung in P. Am 30. Januar 2012 begab sich die Mutter der Leistungsempfänger mit diesen und deren Schwester G3 in das Autonome Frauenhaus H des Frauen helfen Frauen e.V. Das Jugendamt der Beklagten nahm die Leistungsempfänger am 2. Februar 2012 nach einer Gefährdungsmeldung des Frauen helfen Frauen e.V. vom selben Tag im L-Heim in H in Obhut, wobei G2 im Weiteren in eine Bedarfspflegefamilie kam (Bl. 315 ff., 330 ff. Verw.-Akte – Jugendamt – d. Kläg.). Nach Mitteilung des Trägervereins des Frauenhauses werde der Umzug der G4 in eine Mutter-Kind-Einrichtung als erforderlich angesehen. Das Frauenhaus könne dem Unterstützungsbedarf der G4 nicht gerecht werden, es setze eine eigenständige Strukturierung und Versorgung der Kinder voraus. Der Auszug der G4 müsse zeitnah erfolgen (Stellungnahme F1 ., Frauen helfen Frauen e.V., vom 20. Februar 2012). Ausweislich einer Gefährdungsmeldung des Jugendamtes der Beklagten vom 7. Februar 2012 sei seitens des Jugendamtes der Klägerin am 2. Februar 2012 u.a. mitgeteilt worden, die G4 habe sich von ihrem Ehemann getrennt, allerdings habe dieser ihr nachgestellt, sie bedroht und geschlagen. Daher habe sie für sich entschieden, aus P wegzugehen. Sie selbst sei HIV-positiv, ihre Kinder negativ. Sie habe die Kinder regelmäßig in H untersuchen lassen und kenne eine Mitarbeiterin der Aids-Hilfe. Daher habe sie in das Frauenhaus in H gewollt. Nach einer von der G4 unterzeichneten Erklärung vom 17. Februar 2012 halte sie sich nur vorübergehend im Frauenhaus in H auf. Dieses stelle für sie und ihre Kinder nur einen kurzfristigen Zufluchtsort vor ihrem Ehemann dar. Sie habe in P noch ihre persönlichen Sachen, auch könne sie im Frauenhaus H nicht länger bleiben. Der Vater der Leistungsempfänger widersprach zunächst deren Inobhutnahme, da er die Kinder in der bisherigen ehelichen Wohnung versorgen könne, stimmte im Weiteren jedoch zu (Bl. 85, 89, 112 f. Verw.-Akte –Jugendamt – d. Kläg.). Am 21. März 2012 erfolgte die Beendigung der Inobhutnahme der Leistungsempfänger anlässlich der gemeinsamen Aufnahme der Mutter und der drei Kinder in der Mutter-Kind-Wohngruppe des O e.V. in H (Str. in H), welche seitdem Hilfeleistungen gemäß § 19 Achtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII) von der Klägerin erhielten (Bl. 29 Verw.-Akte G2 d. Kläg.). Mit Beschluss des Amtsgerichts H. – Familiengericht – vom 5. September 2013 (Az.: 38 F 111/12) erfolgte die Scheidung der Eltern der Leistungsempfänger, wobei es beim gemeinsamen Sorgerecht der Eltern verblieb (Bl. 525 Verw.-Akte G2 d. Kläg.).

Mit Schreiben vom 3. Februar 2016 beantragte die Mutter der Leistungsempfänger, diese in einer geeigneten Einrichtung im Rahmen des SGB VIII oder des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) fremdunterzubringen. Dieses Schreiben ist der Klägerin am 3. Februar 2016 zugegangen (Bl. 71 Verw.-Akte G2 d. Kläg.). Weiter weist das Schreiben die Faxnummer des O e.V. als Absender aus, darüber hinaus die Sendedokumentation „03-FEB-2016 13:55 From: S. PF Jug+Soz.amt +49… To: 0…“ (Bl. 31 Verw.-Akte d. Bekl.). Demgegenüber trägt das Schreiben in den Akten der Klägerin den (weiteren) Eingangsstempel 25. Februar 2016. Das Schreiben enthält die handschriftlichen Anmerkungen „z. Hd Herr A u. Frau S1“ – Mitarbeiter des sozialen Dienstes der Klägerin – und, separat und in anderer Schrift sowie mit unleserlicher Unterschrift, „Kinder- und Jugendamt H [,] Herr G5[.] Wie besprochen.“.

Mit Schreiben an die Beklagte vom 4. Februar 2016 verwies die Klägerin – ohne Bezug auf das Antragsschreiben der G4 – auf die von ihr bislang erbrachte Hilfe gemäß § 19 SGB VIII und teilte mit, dass die Hilfe in der Mutter-Kind-Einrichtung des O. e.V. schnellstmöglich beendet werden solle, da die Mutter aus persönlichen und gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage sei, sich ausreichend um ihre Kinder zu kümmern. Es stelle sich nun die Frage, ob G1 und G2 in H einen gewöhnlichen Aufenthalt mit der Folge begründet hätten, dass für eine Folgehilfe nach dem SGB XII die Beklagte zuständig sei. Dies lasse die Klägerin gerade über den Beigeladenen prüfen. Vorsorglich werde ein Antrag auf Eingliederungshilfe gemäß § 53 SGB XII gestellt und ein Anspruch auf Kostenerstattung gemäß § 104 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) angemeldet. Ebenso werde um Fallübernahme in die Zuständigkeit der Beklagten gebeten.

Ebenfalls am 4. Februar 2016 verließ die Mutter der Leistungsempfänger die Einrichtung des O e.V. und ging zurück nach P. Die Leistungsempfänger wurden am selben Tag im L-Heim, R-Kreis, in Obhut genommen (Bl. 65 Verw.-Akte G1 d. Kläg.).

Mit weiterem Schreiben vom 15. Februar 2016 teilte die Klägerin – wiederum ohne Bezug auf den Antrag vom 3. Februar 2016 – der Beklagten mit, dass die Mutter der Leistungsempfänger und ihre Kinder mit dem Zuzug nach H und Wohnungsnahme im dortigen Frauenhaus dort einen gewöhnlichen Aufenthalt begründet hätten. Somit sei für notwenige Folgehilfen nach dem SGB XII die örtliche Zuständigkeit der Beklagten gegeben.

Ausweislich einer Aktennotiz und einer internen E-Mail der Klägerin vom 18. Februar 2016 habe die Beklagte telefonisch eine Zuständigkeit für die Leistungsempfänger verneint und ausgeführt, dass der Antrag vom 3. Februar 2016 von der Mutter an die Klägerin gesandt und dieser nicht nach § 14 SGB IX weitergeleitet worden sei. Daher müsse die Klägerin vorleisten. Die Klägerin übersandte im Nachgang am selben Tag das Schreiben vom 15. Februar 2016 (erneut) per E-Mail an die Beklagte (Bl. 49 f. Verw.-Akte G1 d. Kläg.). Der Abteilungsleiter H1 der Klägerin begann im Weiteren intern und bei der Beklagten nach dem Verbleib des ihm bis dahin offenbar unbekannten Schreibens vom 3. Februar 2016 nachzufragen (Bl. 47, 51, 55 ff. Verw.-Akte G1 d. Kläg.), welches ihm schließlich am 24. Februar 2016 von der Beklagten mit der Bitte um Bestätigung der Zuständigkeit übersandt wurde (Bl. 67 Verw.-Akte G1 d. Kläg.). Bereits am 19. Februar 2016 teilte die Beklagte auf das Schreiben vom 15. Februar 2016 mit, sich unter Verweis auf das Gemeinsame Rundschreiben Nr. R … des Städtetages und Nr. des Landkreistages Baden-Württemberg vom 19. Januar 2009 nicht für zuständig zu halten.

Mit E-Mail vom 1. März 2016 teilte das Kinder- und Jugendamt der Beklagten der Klägerin mit, dass bereits nach Alternativen zur Inobhutnahme gesucht worden sei, es einen „Treffer“ gegeben habe und die Diakonie bereit sei, die Leistungsempfänger aufzunehmen.

Das Fallmanagement der Klägerin beurteilte am 10. März 2016 die Betreuung der Leistungsempfänger in einer Therapeutischen Wohngruppe (TWG) für die nächsten 24 Monate als notwendig. Der Bedarf könne durch die Einrichtung der Diakonie M in S, auf deren Gelände sich auch eine Schule für geistig behinderte Kinder befinde, gedeckt werden (Bl. 125 f. Verw.-Akte G1 und Bl. 123 f. d. Kläg.). Am 22. März 2016 erfolgte die Aufnahme der Leistungsempfänger in die dortige TWG.

In den noch vor der TWG-Aufnahme bei der Klägerin gestellten Formularanträgen auf Eingliederungsleistungen vom 16. März 2016 gab die Mutter der Leistungsempfänger an, dass der Aufenthalt des Vaters unbekannt sei, über keine der abgefragten Vermögenswerte zu verfügen und weder Unterhalt noch Leistungen für Kinder zu erhalten. Eine Erwerbstätigkeit oder den Bezug von Sozialhilfe bzw. Grundsicherungsleistungen gab sie nicht an. Nach einem Aktenvermerk der Klägerin vom selben Tag habe sich die G4 bislang nicht beim Einwohnermeldeamt gemeldet und noch kein Arbeitslosengeld II beantragt. Sie lebe bei der Mutter und wohl von deren Rente oder Einkommen. Entsprechend teilte das Jobcenter P der Klägerin mit Schreiben vom 25. April 2016 mit, dass die Mutter der Leistungsempfänger keine Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) erhalte. Das Jobcenter P bewilligte der G4 schließlich mit Bescheiden vom 25. Oktober 2016 und 25. November 2016 Arbeitslosengeld II ab Juni 2016 in einer Höhe von monatlich 444,40 EUR. Die Deutsche Rentenversicherung Baden-Württemberg bewilligte ihr mit Bescheid vom 10. Januar 2017 ab dem 1. März 2017 – ab diesem Zeitpunkt den Anspruch der G4 auf Leistungen nach dem SGB II beseitigend – eine Rente wegen voller Erwerbsminderung mit einem Zahlbetrag von 728,64 EUR.

Mit Bescheiden vom 19. April 2016 gewährte die Klägerin den Leistungsempfängern ab dem 22. März 2016 bis zum 22. März 2018, längstens jedoch für die Dauer der tatsächlichen Anwesenheit, Eingliederungshilfe für deren Aufenthalt in der DiakonieM, bestehend aus der Vergütung für das Angebot TWG, einer Bekleidungspauschale und dem notwendigen Lebensunterhalt. Diesen Bescheiden lag die Vergütungsvereinbarung gemäß § 75 Abs. 3 SGB XII vom 30. Juli 2015 zwischen der DiakonieM, dem N-Kreis als zuständigem örtlichen Träger der Sozialhilfe und dem Beigeladenen zugrunde. Die Klägerin übersandte die vorgenannten Bescheide mit Schreiben vom 19. April 2016 auch zur Kenntnis an die Beklagte und machte jeweils Kostenerstattungsansprüche gemäß § 14 Abs. 4 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) in der bis zum 31. Dezember 2017 geltenden Fassung (a.F.) geltend.

Seitens des Frauen helfen Frauen e.V. wurde auf Nachfrage der Klägerin mit Stellungnahme vom 2. Mai 2016 mitgeteilt, dass sich die Notwendigkeit der Inobhutnahme der Leistungsempfänger erst im Verlauf des dortigen Aufenthaltes herausgestellt; wenn dies vorher bekannt gewesen wäre, wäre eine Aufnahme im Frauenhaus nicht möglich gewesen. Im Rahmen einer persönlichen Vorsprache am 10. Mai 2016 teilte G4 der Klägerin mit, im Januar 2012 in das Frauenhaus gegangen zu sein, da sie von ihrem Ehemann geschlagen worden sei. Die Empfehlung, nach H zu gehen, habe sie von der AIDS-Hilfe bekommen. Sie habe Angst gehabt, von ihrem Ehemann gefunden zu werden, wenn sie in das Frauenhaus P gegangen wäre. Außerdem benötige sie eine spezielle Behandlung, die in P nicht möglich sei. Sie habe gehofft, dass das Frauenhaus H ihr eine Wohnung vermittle (Bl. 175 Verw.-Akte G1 d. Kläg.).

Die AOK Baden-Württemberg lehnte mit Bescheid vom 31. Mai 2016 die Gewährung von stationären Pflegeleistungen für den G1 ab und gewährte dem G2 mit Bescheid vom 24. Juni 2016 einen Zuschuss zur Pflege von bis zu 266,00 EUR monatlich. Dieser erhalte ab dem 1. April 2016 Leistungen der Pflegestufe I. Die Klägerin machte mit Schreiben vom 4. Juli 2016 gegenüber der AOK Baden-Württemberg einen Erstattungsanspruch auf die Pflegeleistungen geltend. Mit Bescheid vom selben Tag machte die Klägerin auch einen entsprechenden Kostenbeitrag bzw. Aufwendungsersatz gegenüber der G4 geltend.

Mit Schreiben vom 10. Juni 2016 lehnte die Beklagte die Kostenerstattung für die Versorgung der Leistungsempfänger in einer vollstationären Betreuung ab, da nach dem gemeinsamen Rundschreiben des Städte- und Landkreistages vom 19. Januar 2009 bei Aufnahme von auswärtigen Frauen und deren Kindern die Zuständigkeitsregelung des § 98 Abs. 5 SGB XII gelte. Da der gewöhnliche Aufenthalt der Leistungsempfänger vor der ersten Aufnahme in eine Einrichtung nicht in H gelegen habe, sei die Beklagte weder zuständig, noch bestehe ein Kostenerstattungsanspruch.

Mit ärztlichen Beurteilungen vom 30. Juni 2016 stellte die S1 des Landratsamtes N-Kreis – Fachbereich Gesundheit und Recht – bei den Leistungsempfängern jeweils eine nicht nur vorübergehende wesentliche bzw. eine drohende wesentliche Behinderung fest. Bei G2 bestehe eine mittelgradige geistige Behinderung (ICD-10: F71.0), eine Sprachentwicklungsstörung (ICD-10: F80.1) und eine Entwicklungsstörung und -verzögerung nach mutmaßlicher Verwahrlosung über Jahre (ICD-10: F83), bei G1 eine mittelgradige geistige Behinderung (ICD-10: F71.0), eine Entwicklungsstörung aufgrund von Verwahrlosung und frühkindlichen Gewalterfahrungen direkter und indirekter Art (ICD-10: F83), eine Anpassungsstörung infolge sexueller Übergriffe (ICD-10: F43), eine Entwicklungsstörung schulischer Fertigkeiten (ICD-10: F81.8) und eine Sprachentwicklungsstörung (ICD-10: F80.1).

Der Vater, der zunächst ab Juli 2014 nach A zurückgekehrt war (Bl. 214 Verw.-Akte G2 d. Kläg.), teilte der Klägerin am 7. September 2016 mit, wieder in P zu wohnen und Arbeitslosengeld II beantragt zu haben (Bl. 259 Verw.-Akte G2 d. Kläg.). Weiter erklärte er sich mit der stationären Eingliederungshilfe für die Leistungsempfänger einverstanden (Bl. 257 Verw.-Akte G1 und Bl. 261 Verw.-Akte G2 d. Kläg.). Das Jobcenter P bewilligte dem Vater der Leistungsempfänger im Weiteren, jedenfalls ab Februar 2018 bis Februar 2019 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II in einer monatlichen Höhe von 716,00 EUR (Bescheid vom 20. Februar 2018). Im Weiteren übernahm die Klägerin Fahrtkosten der Eltern für Besuche bei den Leistungsempfängern (Bl. 319, 335, 357, 363, 451, 501 Verw.-Akte G2 Kläg.) und die Eigenbeteiligung für die Fahrtkosten der Schülerbeförderung (Bl. 357 Verw.-Akte G2 d. Kläg.)

Die Diakonie M, S, übersandte der Klägerin im April 2017 Entwicklungsberichte zu den Leistungsempfängern vom 20. Januar 2017 bzw. vom 21. März 2017.

Am 3. November 2017 hat die Klägerin beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) Klage mit dem Begehr der Verurteilung der Beklagten zur Erstattung der von ihr für die Kläger im Zeitraum 22. März 2016 bis 31. Juli 2017 – ohne Einbeziehung der im Juli 2017 der G4 erstatteten Fahrkosten – zunächst in Höhe von 270.905,53 EUR zugunsten der Leistungsempfänger erbrachten Aufwendungen für die Eingliederungshilfe, den notwendigen Lebensunterhalt, den weiteren notwendigen Lebensunterhalt, die Fahrtkosten, den Eigenbeitrag Kindergarten bis 4. Klasse erhoben. Im Weiteren hat die Klägerin u.a. mitgeteilt, dass das G2 gewährte Pflegegeld von monatlich 266,00 EUR ab 1. April 2016 vom Gesamtaufwand abzusetzen sei. Das SG hat den Beigeladenen als überörtlichen Träger der Sozialhilfe mit Beschluss vom 22. Mai 2019 in das Verfahren einbezogen.

Während des Klageverfahrens hat der Medizinisch-Pädagogische Dienst des Beigeladenen am 9. Mai 2018 auf Ersuchen der Klägerin Stellungnahmen zur Frage der Verlängerung des Verbleibs der Leistungsempfänger in der TWG erstellt und für G2 eine Verlängerung für sechs Monate, bei G1 für längstens ein Jahr empfohlen (Bl. 599 ff. Verw.-Akte G1, Bl. 667 ff. Verw.-Akte G2 d. Kläg.), worauf die Klägerin die entsprechenden Eingliederungshilfen mit Bescheiden vom 6. Juni 2018 weitergewährt hat.

Nach mündlicher Verhandlung und dortiger Vernehmung der Mutter der Leistungsempfänger als Zeugin – hinsichtlich der auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen wird – hat das Gericht die Beklagte entsprechend des klägerseits in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrags mit Urteil vom 22. Juli 2020 verurteilt, an die Klägerin 270.905,53 EUR abzüglich tatsächlich erhaltener Pflegegelder und tatsächlich erhaltener Kostenbeiträge zu zahlen. Die Kostenerstattung ergebe sich nicht aus § 14 Abs. 4 SGB IX a.F. Diese Regelung schließe innerhalb ihres Anwendungsbereichs als speziellere Norm den Rückgriff auf die §§ 102 ff. SGB X aus. Aus der Aktenlage folge, dass der Leistungsantrag der Mutter der Leistungsempfänger von einem Faxgerät des O e.V. an die Klägerin gesendet und von dort an die Beklagte weitergeschickt worden sei. Die kommentarlose Weiterleitung durch die Klägerin begründe nicht die Zuständigkeit der Beklagten als zweitangegangener Träger im Sinne von § 14 SGB IX a.F. Als Anspruchsgrundlage komme auch § 106 Abs. 1 Satz 1 SGB XII nicht in Betracht. § 106 Abs. 1 Satz 1 SGB XII erfasse nur den Fall, dass bei der maßgeblichen Aufnahme in die TWG am 22. März 2016 der für den tatsächlichen Aufenthaltsort nach § 98 Abs. 1 Satz 1 SGB XII zuständige Träger – die Beklagte – vom Vorliegen eines gewöhnlichen Aufenthaltsortes im Zuständigkeitsbereich eines anderen Trägers ausgehe und deshalb mit Blick auf einen bestehenden Zuständigkeitskonflikt nach § 98 Abs. 2 Satz 3 SGB XII vorleiste. Vorliegend habe jedoch ein anderer als der für den tatsächlichen Aufenthaltsort zuständige Leistungsträger Leistungen erbracht, was den Anwendungsbereich von § 106 Abs. 1 Satz 1 SGB XII ausschließe. Als Anspruchsgrundlage bleibe § 102 SGB X. Bei verständiger Würdigung habe die Klägerin die Leistung nach § 43 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) von Amts wegen als vorläufige Leistung erbracht. Die Klägerin habe mit dem Bescheid vom 16. April 2016 eine bestimmte Sozialleistung erbracht. Dass den Leistungsempfängern dem Grunde nach eine Leistung der vollstationären Eingliederungshilfe zugestanden habe, sei zwischen Klägerin und Beklagter unstreitig. Soweit die Beklagte die Notwendigkeit der Unterbringung in einer TWG bestreite, werde dies – aufgrund der Beurteilung der S1, der Entwicklungsberichte der Einrichtung und der Zustimmung der Beigeladenen zur Verlängerung der Aufenthalte im Jahr 2018 – für widerlegt gehalten. Die Kammer habe keine Zweifel, dass die Fahrtkosten der Eltern der Leistungsempfänger als Teil der Eingliederungshilfe der Leistungsempfänger anzusehen und von der Klägerin zutreffend erbracht worden seien. Die Leistungserbringung sei auch fällig gewesen. Die Klägerin habe bereits anfänglich die Auffassung vertreten, dass die Beklagte für die Leistung TWG örtlich zuständig sei. Die Leistung sei ermessensgerecht und aufgrund gesetzlicher Vorschriften vorläufig erbracht worden. Gehe ein Leistungsträger rechtsirrig davon aus, er erbringe die Leistungen als zweitangegangener Leistungsträger vorläufig bis zu einer Klärung der örtlichen Zuständigkeit nach § 14 Abs. 4 SGB IX a.F. und stelle sich dies im Nachhinein als unzutreffend heraus, sei zur Überzeugung der Kammer der Anwendungsbereich von § 43 SGB I eröffnet, denn die Vorschrift erfordere gerade nicht, dass beim vorleistenden Träger positive Kenntnis davon vorliege, dass er selbst der zuerst angegangene Leistungsträger sei. Die Beklagte sei auch der zur Leistung verpflichtete Leistungsträger. Die Mutter der Leistungsempfänger habe in H einen neuen Lebensmittelpunkt bilden wollen und nach den objektiven Umständen auch tatsächlich gebildet. Auch wenn der Mutter der Leistungsempfänger mit ihrer eigenen Mutter ein Fixpunkt in ihrem Leben in P verblieben sein möge, habe beim Verlassen von P überzeugend ein unbedingter Wille zur dauerhaften Ansiedelung in H ohne eine erstzunehmende Rückkehrabsicht nach P bestanden. Dass die Mutter selbst ggfs. ohne Hilfe in H objektiv überhaupt nicht zur Lebensführung mit Kindern in der Lage gewesen sein möge, führe nicht dazu, dass ein gewöhnlicher Aufenthalt nicht habe begründet werden können. Die Aufnahme in die Mutter-Kind-Einrichtung zeige, dass es durchaus möglich gewesen sei, trotz eventueller Defizite mit der notwendigen Unterstützung in H den Willen zur Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts auch tatsächlich umzusetzen. Dieser Wertung stehe nicht die Fiktion des § 109 SGB XII entgegen. Als gewöhnlicher Aufenthalt im Sinne des Zwölften Kapitels und des Dreizehnten Kapitels, Zweiter Abschnitt, gälten danach nicht der Aufenthalt in einer Einrichtung im Sinne von § 98 Abs. 2 SGB XII und der auf richterlich angeordneter Freiheitsentziehung beruhende Aufenthalt in einer Vollzugsanstalt. Bei einem Frauenhaus handele es sich regelmäßig nicht um eine stationäre Einrichtung im Sinne des § 13 SGB XII, 98 Abs. 2 SGB XII. Wie das Frauenhaus in H mitgeteilt habe, habe sich erst während des Aufenthalts in H herauskristallisiert, dass die Notwendigkeit einer Inobhutnahme der Kinder G1 und G2 bestanden habe, andernfalls sei eine Aufnahme im Frauenhaus in H nicht möglich gewesen. Entsprechend sei eine Erbringung von Betreuungsleistungen im Frauenhaus gerade nicht vorgesehen und auch nicht möglich gewesen. Gerade der Umstand, dass die Leistungsempfänger bereits nach zwei Tagen hätten in Obhut genommen werden müssen, verdeutliche, dass eine qualifizierte soziale Betreuung im Frauenhaus weder vorgesehen, noch gewährleistet gewesen sei. Die Beklagte sei deshalb nach § 102 SGB X zuständiger Träger und habe im Umfang der §§ 108 bis 110 SGB X die Leistungen zu erstatten. Dem stehe zur Überzeugung der Kammer das Einkommen der Eltern bereits deshalb nicht entgegen, weil die Leistungsempfänger bei keinem von ihnen lebten, sondern in einer Einrichtung untergebracht seien. Insoweit komme es auf eine durchaus mögliche Kostenprivilegierung nach § 92 Abs. 2 SGB XII wohl nicht an. Im Übrigen sei festzuhalten, dass die Eltern tatsächlich keine Beiträge geleistet hätten und insoweit (mangels bereiter Mittel) eine uneingeschränkte Kostenübernahme durch die Klägerin habe erfolgen müssen. Soweit die Klägerin für die Leistungsempfänger Pflegegeld oder Kostenbeteiligungen der Eltern erhalten haben sollte, seien diese in Abzug zu bringen, insoweit habe nach § 130 Abs. 1 SGG ein Grundurteil ergehen können.

Gegen diese am 6. August 2020 zur Post gegebene, der Beklagten nach deren Angaben am 10. August 2020 zugegangene Entscheidung hat die Beklagte am 10. September 2020 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt. Zur Begründung trägt sie vor, dass § 102 SGB X i.V.m. § 43 SGB I im vorliegenden Fall nicht zum Tragen kommen könne. Die allgemeinen Erstattungsansprüche nach den §§ 102 ff. SGB X würden durch die Erstattungsregelung des § 14 Abs. 4 Satz 1 SGB IX a.F. als „lex specialis“ verdrängt. Die Klägerin sei fälschlich davon ausgegangen, zweitangegangener Träger zu sein und habe daher den Antrag nicht weitergeleitet. Aufgrund dessen sei sie zuständig geworden. Der Fall einer irrtümlich unterbliebenen Weiterleitung unterscheide sich nicht von den Konstellationen, in denen der Träger die eigene Zuständigkeit prüfe, verneine und dennoch eine Weiterleitung unterbleibe. Auch im vorliegenden Fall habe die Klägerin ihre Unzuständigkeit geprüft und verneint. Hinsichtlich des gewöhnlichen Aufenthalts bestünden aus Sicht der Beklagten nach wie vor Bedenken, dass vor stationärer Aufnahme in die TWG der Diakonie M ein solcher in H begründet worden sei. Die an das Frauenhaus anschließenden Unterbringungen der Kinder G2. und G1 seien nahtlos erfolgt und seien, was die örtliche Zuständigkeit betreffe, „geschützt“. Die Beklagte bezweifele weiterhin, dass G4, die nach den Unterlagen der Klägerin an der Grenze zur geistigen Behinderung stehe, im Frauenhaus in der Lage gewesen sein solle, die Kinder adäquat zu betreuen und zu versorgen. Auch wenn das Frauenhaus nicht als stationäre Einrichtung konzipiert sei, könne bei aufgenommenen Müttern und/oder deren Kindern Heimbedürftigkeit bejaht werden. Angesichts des nur zwei Tage später dokumentierten Bedarfs an umfassender fürsorgerechtlicher Betreuung und Begleitung könne nur darauf geschlossen werden, dass das Personal des Frauenhauses habe unterstützend tätig werden müssen, um die elementaren Bedürfnisse der Kinder in den Tagen des Aufenthalts zu decken. Die Beklagte gehe daher davon aus, dass das Frauenhaus den Kindern als Einrichtung gedient habe. Nach dem gemeinsamen Rundschreiben des Städte- und Landkreistags Baden-Württemberg vom 19. Januar 2009 Nr. R 14422/2009 und 45/2009 werde bei der Aufnahme von auswärtigen Frauen im Frauenhaus die Zuständigkeitsregelung des § 98 Abs. 5 SGB XII für ambulant betreute Wohnmöglichkeiten nach dem 8. Kapitel SGB XII zugrunde gelegt. Die in der Vereinbarung beschriebene Anstaltskette beginne somit ab der Aufnahme im Frauenhaus. Bereits nach zwei Tagen seien die Kinder aus dem Frauenhaus heraus in einer stationären Einrichtung in Obhut genommen worden. Das Herkunftsprinzip gelte somit weiter. Feststehe, dass der gewöhnliche Aufenthalt der Leistungsempfänger vor der ersten Aufnahme in eine Maßnahme in P gelegen habe und somit die Klägerin für die Kostentragung der TWG der Diakonie M zuständig sei. Unter anderem aufgrund der von G4 abgegebenen Erklärung vom 17. Februar 2012 dürften kaum Zweifel bleiben, dass den Aussagen aus der zahlreiche Jahre später erfolgten Vernehmung vor dem SG keinerlei Aussagekraft mehr zugesprochen werden könne. Kritisch müsse auch die Aussage gesehen werden, dass es ihr Wunsch gewesen sei, eine Wohnung in der Nähe der angedachten Schule der Kinder zu haben. Der Stadtteil P der Stadt H grenze unmittelbar an die Gemeinde E des R-Kreises, dazwischen gebe es keine erkennbare Gemarkungsgrenze. Auch eine Wohnung auf dem Gebiet des R-Kreises liege ganz in der Nähe der Schule. Im Hilfeplangespräch vom 25. November 2014 habe sie erklärt, G2 in dem S Cschule beschulen lassen zu wollen. Einzugsgebiet dieser Schule sei der südwestliche R-Kreis, eine Aufnahme von Kindern mit Wohnort H sei nicht möglich. Dies spreche dafür, dass G4 keine genauen Vorstellungen gehabt habe, wo sie ihren Wohnort habe nehmen wollen. Auch sei Schwetzingen, der Wohnort ihrer Schwester, erneut von ihr im Zusammenhang mit einem Leben nach Entlassung aus dem O e.V. angesprochen worden. H habe als einzig denkbarer Wohnort für sie nicht festgestanden, sondern sei höchstens als Alternative angedacht gewesen. Unabhängig davon habe die Klägerin den Interessenwahrungsgrundsatz verletzt. Dieser besage, dass der Hilfe gewährende Träger die Pflicht habe, alle nach Lage des Einzelfalles zumutbaren möglichen Maßnahmen und Vorkehrungen zu treffen, die erforderlich seien, um die erstattungsfähigen Kosten möglichst niedrig zu halten. Diesbezüglich bezweifle die Beklagte insbesondere die Erforderlichkeit der Unterbringung der Kinder in einer TWG sowie die Dauer des dortigen Aufenthalts. Selbst wenn ein stationärer Bedarf bei den beiden Kindern seitens der Klägerin gesehen worden sei, fehle bei der Bedarfsprüfung der Aspekt, ob auch eine Aufnahme in einer regulären Kinderwohngruppe der Johannes Diakonie möglich gewesen wäre. Ein Gesamtplan nach § 58 SGB XII sei nicht erstellt worden, eine entsprechende Fortschreibung fehle, konkrete Ziele seien nicht vereinbart worden. Des Weiteren erkenne die Beklagte die Höhe der geltend gemachten Aufwendungen nicht an. Bei der Prüfung der beantragten Kostenübernahme für die vollstationäre Versorgung mit Besuch der heimeigenen Schule sei stets zu prüfen, nach welcher Rechtsgrundlage die Leistungen zu bewilligen seien. Der Schulbesuch stehe somit nicht im Vordergrund der Hilfe, sondern die Teilhabe am Leben in einer geschützten Gemeinschaft. Die Leistungen seien daher nach § 54 Abs. 1 i.V.m. § 55 Abs. 2 Nr. 7 SGB IX zu gewähren gewesen. Die zu gewährende Leistung falle damit nicht unter die Privilegierung in den Regelungen des § 92 Abs. 2 SGB XII. Die Eltern erhielten Hilfe zum Lebensunterhalt in Form der Kostenübernahme für Besuchsbeihilfe nach dem SGB XII. Der Nachweis der Leistungsunfähigkeit sei auch bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit von Leistungen an die Eltern der Leistungsempfänger entscheidend. Der Nachweis sei nicht ausreichend erfolgt. Zudem seien die Kostenzusagen nicht vorläufig, sondern in originärer sachlicher und örtlicher Zuständigkeit der Stadt P ergangen. Es bestehe daher, unabhängig von der fehlenden Prüfung der Rechtmäßigkeit der Leistungsgewährung, kein Kostenerstattungsanspruch für die Besuchsbeihilfen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 22. Juli 2020 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

                        die Berufung zurückzuweisen.

Sie erachtet das Urteil des SG für zutreffend und trägt ergänzend insbesondere vor, dass es bei dem Verweis auf das gemeinsame Rundschreiben des Städte- und Landkreistags Baden-Württemberg vom 19. Januar 2009 Nr. R 14422/2009 und 45/2009 um die Erstattung von Kosten auswärtiger Frauen im Frauenhaus gehe. Bei der ab 22. Juni 2016 gewährten Eingliederungshilfe handele es sich jedoch um eine Folgehilfe außerhalb von H. Die Notwendigkeit der Unterbringung der Leistungsempfänger innerhalb der sehr betreuungsintensiven und kostenintensiven Wohngruppe TWG werde amtsärztlich bestätigt. Sogar die Notwendigkeit der Verweildauer auf dieser Wohngruppe über die üblichen 24 Monate hinaus bestätige der MPD des Beigeladenen. Die Verlängerung dieser Maßnahmen sei vor Erteilung der jeweiligen Leistungsbescheide von dem Fallmanagement bzw. Teilhabemanagement der Klägerin inhaltlich geprüft worden. Es werde die Auffassung vertreten, dass bei behinderten Schülern in Heimen mit Beschulung die Eingliederungshilfe als Leistung zur Teilhabe an Bildung zu gewähren sei. Es werde nicht differenziert, ob die Beschulung oder schwerpunktmäßig die Heimbetreuung im Vordergrund stehe. Für diese „Schulfälle" sei von den Eltern bzw. dem Elternteil ein Kostenbeitrag in Höhe der häuslichen Ersparnis zu erheben. Die häusliche Ersparnis sei bei dem Elternteil zu berechnen, bei dem die Leistungsempfänger zuletzt gelebt hätten. Dies sei bei der Mutter gewesen. Mutter und Kinder bildeten eine Bedarfsgemeinschaft. Das Kindergeld werde – wie die Rente – bei der Mutter als Einkommen angerechnet. Zusammen mit der Rente errechne sich kein Kostenbeitrag. Besuchsbeihilfen seien Leistungen der Eingliederungshilfe. Es werde darauf hingewiesen, dass die G4 eindeutig ausgesagt habe (vor dem SG – Anm. d. Senats), mit dem Ziel nach H gefahren zu sein, nicht mehr nach P zurückzukehren. Demgegenüber sei unklar, wer die Erklärung vom 17. Februar 2012 formuliert habe und was genau damit habe ausgesagt werden sollen. Die G4 habe lebhaft geschildert, wie sie ihren Umzug vorbereitet habe. Sie habe sich erkundigt, wo es eine Aidshilfe gebe und sich vorab um eine Schule für ihren Sohn gekümmert. Das Zurücklassen von Gegenständen habe nicht zur Folge, dass ein gewöhnlicher Aufenthalt nicht begründet werde.

Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

Er trägt vor, dass eine Kostenerstattungspflicht gegen ihn ausscheide, da für den eingeklagten Zeitraum bei ihm kein Kostenerstattungsantrag nach § 106 Abs. 1 Satz 2 SGB XII gestellt worden sei. Daher scheitere bereits aufgrund der Ausschlussfrist des § 111 SGB X eine Kostenerstattung. Weiter seien die Voraussetzungen des § 106 Abs. 1 Satz 2 SGB XII nicht gegeben, da von G4 ein gewöhnlicher Aufenthalt in H begründet worden sei. Diese habe nach dem Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 22. Juli 2020 klar zum Ausdruck gebracht, in H bleiben und zusammen mit ihren Kindern eine Wohnung beziehen zu wollen. Sie habe sich bereits in P nach einer passenden Schule für G1 in H erkundigt, auch sei dort ihre medizinische Versorgung gesichert gewesen. In P habe sie den Schlüssel ihrem Mann gegeben, auch habe sie gebeten, aus dem Mietvertrag entlassen zu werden. Die Erklärung vom 17. Februar 2012 werde durch die Zeugenaussage widerlegt. Die Erklärung sei sprachlich so abgefasst, wie G4 es nicht hätte ausdrücken können und stehe in inhaltlichem Widerspruch zu der Zeugenaussage.

Der Senat hat von dem Rechtsnachfolger des O e.V., dem H e.V., dort noch vorhandene Unterlagen zu dem Aufenthalt der Leistungsberechtigten zwischen 2012 und 2016 beigezogen.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten und der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten der Klägerin (sieben Bände einschließlich Jugendhilfeakte) und der Beklagten (ein Band) sowie die Prozessakten beider Instanzen Bezug genommen.





Entscheidungsgründe

Die Berufung ist statthaft (§ 143 SGG) und auch im Übrigen zulässig. Insbesondere ist die Berufung nicht zulassungsbedürftig, da der Wert des Beschwerdegegenstands in der vorliegenden Erstattungsstreitigkeit 10.000 EUR überschreitet (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG).

Der Senat konnte auch über die Sache entscheiden, ohne dass die Leistungsempfänger notwendig nach § 75 Abs. 2 SGG beizuladen waren. Deren Rechtsposition wird durch den Erstattungsstreit mehrerer Sozialhilfeträger nicht berührt (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 1. März 2018 – B 8 SO 22/16 R – SozR 4-3250 § 14 Nr. 28 m. w. N.).

Die Berufung ist auch begründet. Die auf die Erstattung der klägerseits den Leistungsempfängern bewilligten Leistungen der Eingliederungshilfe gerichtete Klage – soweit noch über sie zu entscheiden war, nachdem die Klägerin sie durch die Reduzierung des ursprünglich geltend gemachten Erstattungsanspruchs um erhaltene Pflegegeldleistungen und Kostenbeteiligungen teilweise zurückgenommen hat (§ 102 Abs. 1 SGG) – ist zwar als (echte) Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 5 SGG zulässig, aber unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erstattung der ihr im Zeitraum vom 22. März 2016 bis 31. Juli 2017 im Rahmen der und im Zusammenhang mit Leistungen der Eingliederungshilfe gemäß § 53 SGB XII in der Fassung vom 27. Dezember 2003, § 54 SGB XII in der Fassung vom 29. August (im Weiteren jeweils: a.F.) zugunsten der Leistungsempfänger entstandenen Kosten.

Rechtsgrundlage für die von der Klägerin erbrachten Leistungen ist die Eingliederungshilfe nach dem SGB XII und nicht ein Anspruch nach dem SGB VIII. Zwar gehen Leistungen nach dem SGB VIII Leistungen nach dem SGB XII vor (§ 10 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII). Abweichend hiervon gehen jedoch Leistungen nach dem SGB XII für junge Menschen, die körperlich oder geistig behindert oder von einer solchen Behinderung bedroht sind, den Leistungen nach dem SGB VIII vor, wie sich aus § 10 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII ergibt (vgl. auch BSG, Urteil vom 4. April 2019 – B 8 SO 11/17 R - juris Rdnr. 14 m.w.N.). Sowohl bei G1 als auch bei G2 liegen wesentliche geistige Behinderungen i.S.d. § 2 Eingliederungshilfeverordnung (EinglHV) in der Fassung vom 1. Februar 1975 in Form einer jeweils (mindestens)
leichten geistigen Behinderung (ICD-10: F70.0) sowie bei G1 einer erethisch-hyperkinetischen Verhaltensstörung bei mentaler Retardierung (ICD-10: F84.4 G), einer Sprachentwicklungsstörung (ICD-10: R47.8 G) und einer motorischen Koordinationsstörung (ICD-10: R27.8 G) sowie bei G2 einer umschriebenen Entwicklungsstörung der grobmotorischen Funktionen (ICD-10: F82.0 G) und einer umschriebenen Entwicklungsstörung der Fein- und Graphomotorik (ICD-10: F82.1 G) vor, wie der Senat den Berichten des B1 vom 19. Juni 2015 und den Berichten der psychologischen Psychotherapeutin K1 vom 27. August 2015 entnimmt und wie mit den ärztlichen Beurteilungen der S1. des Gesundheitsamtes des Landratsamtes N-Kreis vom 30. Juni 2016 bestätigt worden ist.

Die Klägerin kann sich jedoch keines Erstattungsanspruchs gegen die Beklagte oder den Beigeladenen berühmen.

Die Klägerin hat zunächst keinen Kostenerstattungsanspruch aus § 14 Abs. 4 Satz 1 SGB IX in der Fassung vom 1. Mai 2004 (a.F.) gegen die Beklagte. Wird – so § 14 Abs. 4 Satz 1 SGB IX a.F. – nach Bewilligung der Leistung durch einen Rehabilitationsträger nach Absatz 1 Satz 2 bis 4 – des § 14 SGB IX a.F. – festgestellt, dass ein anderer Rehabilitationsträger für die Leistung zuständig ist, erstattet dieser dem Rehabilitationsträger, der die Leistung erbracht hat, dessen Aufwendungen nach den für diesen geltenden Rechtsvorschriften. § 14 Abs. 4 Satz 1 SGB IX gewährt damit dem Rehabilitationsträger, an den von dem zuerst angegangenen Träger ein Antrag auf Teilhabeleistungen nach Prüfung der Zuständigkeit weitergeleitet worden ist (vgl. § 14 Abs. 1 SGB IX; sog. zweitangegangener Träger), einen spezialgesetzlichen Erstattungsanspruch gegenüber dem materiell-rechtlich originär zuständigen Träger, der die allgemeinen Erstattungsansprüche der §§ 102 ff. SGB X verdrängt (BSG, Urteil vom 25. April 2013 – B 8 SO 12/12 R –, SozR 4-1500 § 141 Nr 2, juris Rdnr. 10; BSG SozR 4-2500 § 33 Nr. 36 Rdnr. 11; SozR 4-3250 § 14 Nr. 10 Rdnr. 11 m.w.N.).

Die Klägerin ist jedoch in der vorliegenden Sache nicht als zweitangegangener Träger tätig geworden. Zur Überzeugung des Senats ist der Antrag der Mutter der Leistungsempfänger vom 3. Februar 2016, welchen sowohl die Klägerin als auch die Beklagte zutreffend als Antrag auf Leistungen der Eingliederungshilfe verstanden haben, zuerst bei der Klägerin selbst eingegangen. Hierzu wird auf die zutreffenden diesbezüglichen Ausführungen des SG Bezug genommen (§ 153 Abs. 2 SGG). Zu ergänzen ist insoweit, dass der Zugang des Antrags der Mutter der Leistungsempfänger bereits am 3. Februar 2016 bei der Klägerin auch durch die Mitarbeiterin des sozialen Dienstes der Klägerin S2 bestätigt worden ist. Weiter ist klarzustellen, dass die schlichte Übersendung des Antragsschreibens der G4 an die Beklagte per Fax auch nicht dadurch zu einer Weiterleitung im Sinne des § 14 Abs. 1 Satz 2 SGB IX qualifiziert wird, dass die Klägerin als bislang zuständige Trägerin der Jugendhilfe mit Schreiben vom 4. Februar 2016 selbst „vorsorglich“ Eingliederungshilfeleistungen zugunsten der Leistungsempfänger beantragt und mit Schreiben vom 15. Februar 2016 die Zuständigkeit der Beklagten für diese Leistungen geltend gemacht hat. Zwar fanden diese Vorgänge innerhalb der aus § 14 Abs. 1 Satz 2 SGB IX folgenden Zweiwochenfrist zur Weiterleitung statt, sie standen jedoch in keinerlei Verbindung zu dem Antrag der G4 vom 3. Februar 2016, sondern bezogen sich einzig auf den unabhängigen eigenen Antrag gegenüber der Beklagten. Eine Weiterleitung im Sinne des § 14 SGB IX ist nicht jedes tatsächliche Weiterleiten, sondern nur ein nach außen für den Empfänger, somit den anderen Rehabilitationsträger als solches erkennbare Verhalten des erstangegangenen Rehabilitationsträgers, aus dem zu entnehmen ist, dass dieser seine Zuständigkeit geprüft und verneint und aus diesem Grund den Antrag weitergereicht hat (Götze in Hauck/Noftz, SGB IX, Stand August 2021, § 14 Rdnr. 30). Die Beklagte hat daher zutreffend für sich eine Stellung als zweitangegangener Träger verneint. Dass die Klägerin sich nach Ablauf der am 17. Februar 2016 endenden Zweiwochenfrist irrtümlich in der Stellung des zweitangegangenen Trägers wähnte, genügt für einen Erstattungsanspruch nach § 14 Abs. 4 Satz 1 SGB IX a.F. nicht.

Darüber hinaus setzt der Erstattungsanspruch des zweitangegangenen Trägers – wie auch ein (ausnahmsweise) in Betracht kommender Erstattungsanspruch des erstangegangenen Trägers (vgl. BSG, Urteil vom 20. Oktober 2009 – B 5 R 44/08 R –, BSGE 104, 294-303, SozR 4-3250 § 14 Nr. 9, juris Rdnr. 16 ff.) – voraus, dass derjenige Träger, gegen den sich der Erstattungsanspruch richtet, materiell-rechtlich für die als Grundlage der Erstattung maßgebliche Leistung zuständig ist.


Die Klägerin ist jedoch für die den Leistungsempfängern in der Zeit vom 22. März 2016 bis 31. Juli 2017 erbrachten Eingliederungshilfeleistungen selbst gemäß § 97 Abs. 1 SGB XII sachlich und gemäß § 98 Abs. 2 SGB XII örtlich zuständig gewesen. Denn die G2 und G1 für deren Aufenthalt in der Diakonie M erbachten Leistungen – bestehend aus der Vergütung für das Angebot TWG, einer Bekleidungspauschale und dem notwendigen Lebensunterhalt – sind als in einer Einrichtung erbrachte, die gesamte Lebensgestaltung der Leistungsempfänger umfassende stationäre Leistungen i.S.v. § 98 Abs. 2 Satz 1 SGB XII, für welche der Träger der Sozialhilfe örtlich zuständig ist, in dessen Bereich die Leistungsberechtigten ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Zeitpunkt der Aufnahme in die Einrichtung haben oder in den zwei Monaten vor der Aufnahme zuletzt gehabt hatten. Waren bei Einsetzen der Sozialhilfe die Leistungsberechtigten aus einer Einrichtung im Sinne des Satzes 1 in eine andere Einrichtung oder von dort in weitere Einrichtungen übergetreten oder tritt nach dem Einsetzen der Leistung ein solcher Fall ein, ist der gewöhnliche Aufenthalt, der für die erste Einrichtung maßgebend war, entscheidend (§ 98 Abs. 2 Satz 2 SGB XII, sog. Einrichtungskette, vgl. BSG, Urteil vom 26. Oktober 2017 – B 8 SO 12/16 R –, SozR 4-1750 § 524 Nr. 1, SozR 4-3500 § 13 Nr. 3, SozR 4-1500 § 163 Nr. 11, juris Rdnr. 26).

In diesem Zusammenhang kommt der
zum 1. Januar 2005 in Kraft getretenen baden-württembergischen „Vereinbarung zum Herkunftsprinzip“, welche von den Stadt- und Landkreisen in Baden-Württemberg auf der Grundlage des zum 31. Dezember 2011 außer Kraft getretenen § 21a Abs. 3 Finanzausgleichsgesetz (FAG) geschlossen und sowohl von der Klägerin als auch von der Beklagten gezeichnet worden ist, bereits deswegen keine Bedeutung zu, weil von bundesgesetzlich vorgegebenen Zuständigkeitsregelungen abweichende Absprachen durch koordinationsrechtliche Verträge nicht möglich sind (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 13. Februar 2014 - B 8 SO 11/12 R - juris Rdnr. 31; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 23. Februar 2012 - L 1 SO 135/10 - juris Rdnr. 61; Urteil des Senats vom 25. März 2021 – L 7 SO 4594/18 – openJur 2021, 31130).

Der Begriff „Einrichtung“ war bereits nach dem Rechtsverständnis des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) der Oberbegriff für „Anstalten“, „Heime“ und „gleichartige Einrichtungen“. Nach der vom Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) zu dieser Vorschrift entwickelten Rechtsprechung – der sich auch das BSG im Weiteren angeschlossen hat – handelt es sich bei einer Einrichtung i.S. dieser Vorschrift um einen in einer besonderen Organisationsform zusammengefassten Bestand von personellen und sächlichen Mitteln unter verantwortlicher Trägerschaft, der auf gewisse Dauer angelegt und für einen wechselnden Personenkreis zugeschnitten ist und Leistungen der Sozialhilfe erbringt, wobei entsprechendes für Leistungen der Jugendhilfe gilt. Wesentliches Merkmal einer Einrichtung i.S. des Sozialhilferechts war seit jeher die räumliche Bindung an ein Gebäude (vgl. BSG, Urteil vom 13. Juli 2010 – B 8 SO 13/09 R –, BSGE 106, 264-268, SozR 4-3500 § 19 Nr 2, SozR 4-3500 § 13 Nr 1, juris Rdnr. 13 m.w.N. zur diesbezüglichen Rspr. des BVerwG). Prägend für die „verantwortliche Trägerschaft“ im Sinne des Einrichtungsbegriffs ist, dass der Einrichtungsträger die Gesamtverantwortung für die tägliche Lebensführung des Leistungsberechtigten übernimmt. Die Hilfeleistung in einer Einrichtung kann sich also schon per se nicht auf eine einzelne Verrichtung beschränken, sondern umfasst – schon durch die Eingliederung des Hilfebedürftigen in die Räumlichkeiten des Trägers – die gesamte Betreuung des Leistungsberechtigten, solange sich dieser in der Einrichtung aufhält (BSG, Urteil vom 23. Juli 2015 – B 8 SO 7/14 R –, SozR 4-3500 § 98 Nr. 3, Rdnr. 18). Ausgehend von der Unterscheidung in § 13 Abs. 1 SGB XII zwischen teilstationären und stationären Einrichtungen sind von § 98 Abs. 2 SGB XII nur stationäre Einrichtungen erfasst. Der Begriff entspricht der vollstationären Einrichtung i.S.d. SGB XI. Dementsprechend betreffen auch die von § 98 Abs. 2 Satz 1 SGB XII umfassten stationären Leistungen nur vollstationäre Leistungen (vgl. auch § 13 Abs. 1 Satz 1 SGB XII), die in (stationären) Einrichtungen erbracht werden. Die Zuständigkeit nach § 98 Abs. 2 Satz 1 SGB XII erstreckt sich indes auf alle Sozialhilfeleistungen, welche die in (voll)stationären Einrichtungen lebenden Leistungsberechtigten zur Deckung ihres Bedarfs an Pflege, Behandlung oder an den sonstigen nach dem SGB XII relevanten Bedarfen sowie an Erziehung (vgl. § 13 Abs. 2 SGB XII) erhalten (Söhngen in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Aufl., § 98 SGB XII – Stand: 18.November 2020 – Rdnr. 40). Die Intensität der Betreuung ist für die Abgrenzung stationärer und teilstationärer Maßnahmen dabei ohne Belang und nur als Abgrenzungskriterium im Verhältnis zu ambulanten Leistungen des Betreuten-Wohnens heranzuziehen. Erhält ein Leistungsberechtigter auf dem Weg zu mehr Selbstständigkeit eine umfassende Betreuung beim Wohnen in einer Einrichtung auch dann, wenn nach dem Therapiekonzept bzw. dem Hilfeplan aktive, direkte Hilfen entsprechend dem erreichten Grad an Selbstständigkeit des Leistungsberechtigten in den Hintergrund rücken und andere, stärker auf Abruf angelegten Hilfen in den Vordergrund treten, wird eine solche Hilfe wegen der Eingliederung des Hilfebedürftigen in die Einrichtung gleichwohl in stationärer Form erbracht (BSG, Urteil vom 23. Juli 2015 – B 8 SO 7/14 R –, SozR 4-3500 § 98 Nr. 3, Rdnr. 19). Von einem Übertritt von einer Einrichtung in eine andere i.S.d. § 98 Abs. 2 Satz 2 SGB XII kann nur die Rede sein, wenn sich der Wechsel unmittelbar, also ohne Zeitverzögerung, vollzieht (vgl. Deckers in Grube/Wahrendorf/Flint/Deckers, 7. Aufl. 2020, SGB XII § 98 Rdnr. 27). Für das Vorliegen einer Einrichtungskette im dargestellten Sinne ist dabei nicht erforderlich, dass in den einzelnen Einrichtungen durchgängig Leistungen der Sozialhilfe bzw. Jugendhilfe erbracht worden sind. Es genügt, wenn ein entsprechender Bedarf erst im Laufe des Aufenthalts oder sogar erst bei Übertritt in eine weitere Einrichtung entsteht, soweit mögliche Leistungen nach dem Fünften bis Neunten Kapitel des SGB XII in der bis zum 31. Dezember 2019 geltenden Fassung (bzw. seit dem 1. Januar 2020 nach dem Fünften oder Siebten bis Neunten Kapitels des SGB XII oder dem Zweiten Teil des SGB IX – Eingliederungshilferecht) bzw. Jugendhilfeleistungen als Einrichtungsleistungen von den jeweiligen Trägern hätten erbracht werden müssen, wenn die Förderung nicht durch einen anderen erfolgt wäre (vgl. BSG, Urteil vom 23. August 2013 – B 8 SO 14/12 R –, SozR 4-5910 § 97 Nr. 1, SozR 4-3500 § 13 Nr. 2, SozR 4-3500 § 98 Nr. 2, juris Rdnrn. 16 f.).

In der vorliegenden Sache ist eine ununterbrochene Einrichtungskette i.S.d. § 98 Abs. 2 Satz 2 SGB XII jedenfalls von der Aufnahme der Leistungsempfänger in die
Mutter-Kind-Wohngruppe des O e.V. in H. bis einschließlich der TWG der Diakonie M gegeben. Bei der Mutter-Kind-Wohngruppe des O. e.V. (nunmehr H. e.V.) handelte es sich um eine stationäre Einrichtung im Sinne des § 98 Abs. 2 Satz 1 SGB XII, für welche die Leistungsempfänger – mit ihrer Mutter und jüngeren Schwester – Leistungen der Jugendhilfe, namentlich als gemeinsame Wohnform i.S.d. § 19 SGB VIII in der ab dem 1. Januar 2012 geltenden Fassung (a.F.), erhalten haben. Insbesondere umfassten ausweislich der Jugendamtsakte der Klägerin und den von dem H e.V. vorgelegten Unterlagen die den Leistungsberechtigten diesbezüglich erbrachten Leistungen neben dem Lebensunterhalt und der Unterkunft eine täglich vierundzwanzigstündige Betreuung – teilweise in Form der Vorhaltung eines Bereitschaftsdienstes und unter Berücksichtigung des Ziels der Ermöglichung einer zunehmend selbständigen Lebensführung und Familienorganisation der G4 – in Gesamtverantwortung des O e.V.  Ebenso handelte es sich bei der im unmittelbaren Anschluss an den Aufenthalt bei dem O e.V. ab dem 4. Februar 2016 bis zur Aufnahme in der TWG am 22. März 2016 erfolgten Inobhutnahme in Einrichtungen gemäß § 42 SGB VIII der zu dieser Zeit gerade acht und zehn Jahre alten Leistungsberechtigten in der Notaufnahme des – eine vollständige Unterbringung, Betreuung und Versorgung erbringenden – Kinderheims L-Heim in H. zwanglos um einen Aufenthalt in einer stationären Einrichtung i.S.d. § 98 Abs. 2 Satz 1 SGB XII.

Hinsichtlich des S.G. setzt sich diese Einrichtungskette durch den dem Aufenthalt bei dem O e.V. vorangegangenen Aufenthalt im L-Heim vom 2. Februar bis 21. März 2012 als Inbohutnahme in Einrichtungen gemäß § 42 SGB VIII fort. Der Aufenthalt vom 30. Januar 2012 bis zum 2. Februar 2012 im Frauenhaus des Frauen helfen Frauen e.V. ist dagegen nicht als Aufenthalt in einer stationären Einrichtung einzustufen. Die Zielrichtung des Angebots eines Frauenhauses ist primär die Abschottung gegenüber einer Bedrohung aus dem persönlichen Umfeld der dort Unterkunft suchenden Frauen und Kinder und eine auf diese Zielgruppe ausgerichtete Beratung und Unterstützung. Das Angebot ist entsprechend nicht auf die „Versorgung“ der Frauen innerhalb der Räumlichkeiten, sondern den nach außen gerichteten Schutz angelegt (Urteil des Senats vom 25. März 2021 – L 7 SO 3198/19 – juris Rdnr. 59). So verhält es sich auch in der vorliegenden Sache. Entsprechend ist dem Jugendamt der Beklagten seitens des Frauenhauses in der Gefährdungsmeldung vom 2. Februar 2012, einem Donnerstag, mitgeteilt worden, dass es nicht zu verantworten sei, die G4 mit ihren Kindern über das Wochenende alleine zu lassen, da insoweit eben keine Betreuungsmöglichkeit bestand. Insbesondere aber ist in der Mitteilung des Frauenhauses an das Jugendamt der Klägerin vom 20. Februar 2012 ausgeführt worden, dass eine vollstationäre Einrichtung dringend angeraten sei – mithin gerade im Frauenhaus selbst nicht bestanden hat – und die Unterstützung durch eine Sozialpädagogische Familienhilfe, auch im Frauenhaus, dem Bedarf der G4 nicht genügt. Das Frauenhaus könne dem Unterstützungsbedarf der G4 nicht gerecht werden, da es – das Frauenhaus – eine eigenständige Strukturierung und Versorgung voraussetze. Maßgeblich für die Zuständigkeit nach § 98 Abs. 2 Satz 1 SGB XII ist im Falle des G1 daher der gewöhnliche Aufenthalt bei der Inobhutnahme bzw. der letzte gewöhnliche Aufenthalt in den zwei Monaten zuvor.

Hinsichtlich des G2 der – nach Aufenthalt im L-Heim ab dem 2. Februar 2012 – vom 8. Februar 2012 bis zu der Aufnahme beim O e.V. in einer Bereitschaftspflegefamilie untergebracht gewesen ist, dürfte diese Inobhutnahme in Familien nach § 42 SGB VIII zwar als stationäre Maßnahme (vgl. Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil vom 15. September 2021 – 12 S 487/19 –, juris), aber wohl nicht als eine solche in einer Einrichtung einzustufen sein. Dies kann jedoch im Ergebnis dahinstehen, da durch die Inobhutnahme insgesamt seit dem 2. Februar 2012 als einer mit einer von vorneherein lediglich vorübergehenden Unterbringung einhergehenden Maßnahme (vgl. § 42 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII) kein neuer gewöhnlicher Aufenthalt i.S.d. § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I des M.G. begründet worden ist (dazu sogleich) und sich der nach § 98 Abs. 2 SGB XII maßgebliche gewöhnliche Aufenthalt daher auch im Falle des G2 im Ergebnis nach den im Zeitpunkt der Inobhutnahme gegebenen Verhältnissen bestimmt, wenngleich der Zweimonatszeitraum nach § 98 Abs. 2 Satz 1 SGB XII bei einem Beginn der Einrichtungskette bereits bei Inobhutnahme am 2. Februar 2012 weiter zurückreicht, als bei einem Beginn erst mit der Aufnahme durch den O e.V. Da dieser Zeitraum in beiden Fällen jedoch noch in die Zeit vor Verlassen Ps zurückreicht, folgt hieraus keine unterschiedliche Bewertung der Zuständigkeiten in der vorliegenden Sache.

Der maßgebliche gewöhnliche Aufenthalt sowohl von G1 wie auch von G2 ist vorliegend in den jeweils maßgeblichen Zeitpunkten im örtlichen Zuständigkeitsbereich der Klägerin und nicht der Beklagten gewesen.


Eine Person hat ihren gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo sie sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass sie an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt (§ 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I). Dabei ist unter „Ort“ die jeweilige politische Gemeinde zu verstehen und nicht ein bestimmtes Haus oder eine bestimmte Wohnung. Der gewöhnliche Aufenthalt ist nicht identisch mit dem Wohnsitz im melderechtlichen Sinne. Für die Feststellung des Vorliegens eines gewöhnlichen Aufenthalts sind die mit dem Aufenthalt verbundenen Umstände des Einzelfalls festzustellen; im Rahmen einer vorausschauenden Betrachtung (Prognoseentscheidung) sind alle für die Beurteilung der künftigen Entwicklung im Zeitpunkt des Eintreffens am maßgeblichen Ort erkennbaren Umstände, nicht nur der Wille des Betroffenen, zu würdigen und als hypothetische Tatsache festzustellen, und zwar auch dann, wenn – wie hier – der gewöhnliche Aufenthalt rückblickend zu ermitteln ist (BSG, Urteil vom 24. März 2015 – B 8 SO 20/13 R – juris Rdnr. 13; Urteil vom 17. Dezember 2014 – B 8 SO 19/13 R – juris Rdnr. 15; Urteil vom 10. Dezember 2013 – B 13 R 9/13 R – juris Rdnr. 27 ff.). Die Prognose hat alle mit dem Aufenthalt verbundenen Umstände zu berücksichtigen; dies können subjektive wie objektive, tatsächliche – auch wirtschaftliche – wie rechtliche sein (BSG, Urteil vom 16. Juni 2015 – B 13 R 36/13 R – juris Rdnr. 25; BSG, Urteil vom 17. Dezember 1981 – 10 RKg 12/81 –, BSGE 53, 49-54, SozR 5870 § 2 Nr. 25, juris Rdnr. 23). Es kann demnach nicht allein auf den Willen des Betroffenen ankommen, einen gewöhnlichen Aufenthalt zu begründen; dies gilt insbesondere dann, wenn er nicht mit den tatsächlichen objektiven Umständen übereinstimmt (BSG, Urteil vom 16. Juni 2015, a.a.O. Rdnr. 25). Ist nach der Prognose davon auszugehen, dass die betreffende Person zukunftsoffen „bis auf Weiteres“ an dem Ort oder in dem Gebiet verweilen wird, so hat sie dort ihren gewöhnlichen Aufenthalt, wobei kein dauerhafter (unbegrenzter) Aufenthalt erforderlich ist (BSG, Urteil vom 16. Juni 2015, a.a.O. Rdnr. 25). Die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts ist auch bei minderjährigen Kindern rechtlich selbständig und gegebenenfalls unabhängig von dem der Eltern zu bestimmen (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. September 2002 – 5 C 46/01 – juris Rdnr. 19), wobei auch insoweit vorrangig auf die tatsächlichen Umstände abzustellen ist (BSG, Urteil vom 17. Dezember 1981, a.a.O. Rdnr. 23). Regelmäßig wird ein minderjähriges Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt bei dem Elternteil haben, der das Personensorgerecht ausübt und bei dem es sich tatsächlich aufhält, zwingend ist dies aber nicht; auch ein der Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts entgegenstehender Wille eines personensorgeberechtigten Elternteils ist für sich unbeachtlich (vgl. Spellbrink in Kasseler Kommentar, 117. EL Dezember 2021, SGB I § 30 Rdnr. 20). Zwar kommt bei Minderjährigen dem grundsätzlich bei ihren Eltern liegenden Aufenthaltsbestimmungsrecht insofern Bedeutung zu, als die das Aufenthaltsbestimmungsrecht ausübenden Personen in der Regel nicht nur die rechtliche, sondern auch die tatsächliche Möglichkeit haben, ihre diesbezüglichen Entscheidungen durchzusetzen, so dass grundsätzlich auch der Wille dieser Personen, nicht aber der des Minderjährigen ausschlaggebend ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Mai 1986 – 5 C 68/84 –, BVerwGE 74, 206-217, Rdnr. 16). Allerdings reicht auch das Aufenthaltsbestimmungsrecht für sich nicht zur Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts aus, sondern ist im Zusammenhang mit den tatsächlichen Gegebenheiten des Aufenthalts zu betrachten und zu bewerten.

In der vorliegenden Sache haben die Leistungsempfänger bis zum 30. Januar 2012 ihren Wohnsitz im Zuständigkeitsbereich der Klägerin gehabt. Da die Begriffe „Wohnsitz“ und „gewöhnlicher Aufenthalt“ gemäß § 30 Abs. 3 SGB I zueinander in einem Stufenverhältnis stehen, steht damit zugleich fest, dass sie an ihrem Wohnsitz auch einen gewöhnlichen Aufenthalt begründet hatten (vgl. BSG, Urteil vom 12. April 2017 – B 13 R 25/14 R –, BSGE 123, 82-98, SozR 4-1100 Art 3 Nr. 81, juris Rdnr. 15).

Einen neuen gewöhnlichen Aufenthalt haben die Leistungsempfänger nach dem Wegzug aus P und vor Beginn der (jeweiligen) Einrichtungskette i.S.d. § 98 Abs. 2 Satz 2 SGB XII nicht begründet.

Die Leistungsempfänger haben durch ihren tatsächlichen Aufenthalt im Frauenhaus in H noch keinen gewöhnlichen Aufenthalt begründet. Hierbei ist zunächst hervorzuheben, dass es nach den dargestellten Maßstäben bei der anzustellenden Aufenthaltsprognose aus ex ante-Sicht nicht entscheidend ist, dass der Aufenthalt der Leistungsempfänger im Her Frauenhaus tatsächlich nur drei Tage gedauert hat. Diesem Umstand kommt jedoch insoweit Bedeutung zu, als dass insoweit auf die bis zum 2. Februar 2012 geschaffenen Verhältnisse abzustellen ist und erst danach eingetretene Umstände – etwa, welche aufenthaltsortbezogenen Bemühungen, Erkundigungen u.ä. die Mutter im Weiteren getätigt oder unterlassen hat – die Prognose nicht mehr rückwirkend beeinflussen können. Auch wirkt sich ein ggf. nach dem 2. Februar 2012 eingetretener gewöhnlicher Aufenthalt der Mutter der Leistungsempfänger in H nicht mehr auf den gewöhnlichen Aufenthalt der Leistungsempfänger selbst aus, da es ab deren Inobhutnahme bereits an der Voraussetzung eines tatsächlichen Aufenthalts der Leistungsempfänger bei ihrer Mutter gefehlt hat.

Die Leistungsempfänger hatten in der Zeit vom 30. Januar bis zum 2. Februar 2012 ihren tatsächlichen Aufenthalt in dem Frauenhaus im Zuständigkeitsbereich der Beklagten. Die objektiven Umstände dieses Aufenthaltes stehen jedoch der Annahme einer bereits damit erfolgten Begründung eines gewöhnlichen Aufenthaltes i.S.d. § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I entgegen. Denn ein zukunftsoffener dortiger Aufenthalt war für die Leistungsempfänger tatsächlich von vorneherein nicht möglich. Wie sich aus den zeitnah abgegebenen, bereits angeführten Mitteilungen des Frauenhauses – der Gefährdungsmeldung vom 2. Februar 2012 und dem Schreiben vom 20. Februar 2012 – ergibt, hat sich vom Tag der Aufnahme an (so die vorgenannte Gefährdungsmeldung) gezeigt, dass ein Verbleiben der Leistungsempfänger aufgrund deren zwingenden, seitens der Mutter nicht gewährleisteten Versorgungs- und Betreuungsbedarfs von vorneherein ausgeschlossen gewesen ist. Dem steht die mehr als vier Jahre später erfolgte Mitteilung des Frauenhauses vom 2. Mai 2016 an die Klägerin nicht entgegen, nach welcher sich die Notwendigkeit einer Inobhutnahme der Leistungsberechtigten erst während des Frauenhausaufenthaltes herausgestellt habe und eine Aufnahme im Frauenhaus nicht möglich gewesen wäre, wenn dies bereits vorab bekannt gewesen wäre. Denn hieraus ist nicht abzuleiten, dass erst nach einer etwaigen Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts die Unmöglichkeit des weiteren Verbleibs eingetreten sei, sondern folgt einzig eine Abgrenzung zwischen dem Wissenstand seitens des Frauenhauses vor und ab der Aufnahme. Dies wird insbesondere durch die Klarstellung deutlich, dass bei Kenntnis der zur Inobhutnahme führenden Umstände – mithin der tatsächlichen, bereits zuvor bestehenden Gegebenheiten hinsichtlich des Entwicklungsstandes der Kinder und der Kompetenzen der Mutter – schon keine Aufnahme hätte erfolgen können. Dies unterstreicht, dass für G2 und G1 zu keinem Zeitpunkt – unabhängig von den Wünschen der G4 – ein zukunftsoffener Aufenthalt im Frauenhaus tatsächlich möglich gewesen ist. Auch die wirtschaftliche Versorgung von G2 und G1 war in der Zeit ihres Frauenhausaufenthaltes nach der Aktenlage nicht gesichert, insbesondere auf mehr als nur vorübergehende Sicht. So verfügte die G4 über keine Einkünfte und bezog weder Leistungen nach dem SGB II noch dem SGB XII. Insofern und auch hinsichtlich der Betreuung der Leistungsempfänger unterscheidet sich die Situation ab Aufnahme in dem Frauenhaus in H grundlegend von der zuvor in P gegebenen Situation, in welcher die G4 auf Unterstützung durch ihren Ehemann und wohl insbesondere der in unmittelbarer Nachbarschaft wohnenden Großmutter der Leistungsempfänger hat zurückgreifen können. Da gerade ein gemeinsamer Verbleib der Leistungsempfänger und ihrer Mutter in dem Frauenhaus objektiv von Anfang an nicht in Betracht gekommen ist, genügt dieser in typischen Fällen besonders relevante Umstand vorliegend nicht für die Annahme eines gewöhnlichen Aufenthalts von G2 und G1 in H. Entsprechend kommt der Möglichkeit der Inanspruchnahme der Aidshilfe durch die Mutter bzw. besserer medizinischer Versorgung in H vorliegend kein besonderes Gewicht bei, da diese (tatsächlichen) Umstände den Verbleib der Leistungsempfänger bei der Mutter im hier maßgeblichen Zeitraum nicht beeinflussen bzw. begünstigen konnten. Daneben hat G4 nach ihren eigenen Angaben bereits von P aus die Aidshilfe in H. bzw. die dortigen medizinischen Versorgungsmöglichkeiten in Anspruch genommen. Gegen eine bereits bis zum 2. Februar 2012 erfolgte Verlagerung des Schwerpunkts der Lebensverhältnisse nach H spricht weiter, dass G4 schon die grundlegende Ausstattung ihrer Kinder für einen mehr als nur kurzfristigen Aufenthalt nicht sichergestellt hatte. So hat die Bereitschaftspflegerin, welche G2 ab dem 8. Februar 2012 aufgenommen hatte, für diesen eine umfassende – bei notwendigsten Kleidungsstücken (bspw. Unterwäsche) beginnende – Ausstattung anschaffen müssen, wie der Senat der diesbezüglichen Auflistung in der Jugendamtsakte der Klägerin entnimmt. Ebenso hat die G4 ausweislich ihrer Erklärung vom 17. Februar 2012 auch ihre persönlichen Sachen in P zurückgelassen, was jedenfalls nicht für Verlagerung ihres Lebensmittelpunkts nach H bereits bis zum 2. Februar 2012 spricht. Zwar stimmt auch der Senat der Einschätzung der Klägerin und des Beigeladenen zu, dass die sprachliche Gestaltung dieses Schriftstücks gegen eine Formulierung durch die G4 selbst spricht, hieraus folgt jedoch nicht, dass diese das Schreiben in Unkenntnis bzw. Unverständnis des Inhalts unterzeichnet hätte oder dieses inhaltlich unzutreffend wäre. Im Übrigen wird dieser Punkt der Erklärung durch die weiteren Angaben der G4 im Verfahren – etwa in der mündlichen Verhandlung vor dem SG – bestätigt. Dort hat sie bekundet, dass sie mit dem Zug nach H gefahren sei und ihre Sachen im Keller bzw. dem Keller ihrer Mutter gelassen und sie erst nach „eine[r] Weile“ geholt habe.

Soweit die G4 den Aufenthalt im Frauenhaus in H als Ausgangsposition für die Begründung eines (zukünftigen) gewöhnlichen Aufenthalts hat nutzen wollen, so kann dies gerade hinsichtlich der Leistungsempfänger, wie gezeigt, noch nicht als eine solche Begründung angesehen werden, sondern allenfalls als eine für die Frage der örtlichen Zuständigkeit im Ergebnis unerhebliche Vorbereitungshandlung.

Insbesondere aber ist ein gewöhnlicher Aufenthalt der Leistungsberechtigten in H nicht schon deswegen anzunehmen, weil ihre Mutter – worauf das SG entscheidend abgestellt hat – ernsthaft eine dortige Aufenthaltsnahme gewollt und geplant hätte. Dem steht zunächst die vorgenannte Erklärung der G4 vom 17. Februar 2012 entgegen, nach welcher sie sich nur vorübergehend im Frauenhaus in H aufhalte, dort nicht länger bleiben könne und sie in P noch ihre persönlichen Sachen habe. Auch wenn man der Bewertung des Beigeladenen folgen wollte, dass die Ausführungen missverständlich seien und ggf. nicht auf den Aufenthalt in H als solchen, sondern nur spezifisch auf das Frauenhaus bezogen sein sollten, spricht diese Erklärung durch ihre Bezugnahme auf den Verbleib der persönlichen Sachen in P gegen einen bereits zur damaligen Zeit gefestigten Willen des Verbleibs in H. Ein solcher Wille zur dauerhaften Ansiedelung gerade in H ist im Weiteren nicht daraus abzuleiten, dass die Mutter der Leistungsempfänger sich bereits 2011 nach einer Schule für G1 in dem Her Stadtteil P erkundigt hat. Denn auch diese einfache Nachfrage ohne die Einleitung konkreter Schritte ist als reine Vorbereitungshandlung zu werten, die noch nicht objektiv für einen gewöhnlichen Aufenthalt im Zuständigkeitsbereich der Beklagten spricht. Im Übrigen, worauf die Beklagte zurecht hingewiesen hat, grenzt der Stadtteil P unmittelbar an die Gemeinde E des R-Kreises, ohne dass es dazwischen eine erkennbare Gemarkungsgrenze gäbe. Damit hätte auch eine Wohnung auf dem Gebiet des R-Kreises den Wunsch der G4 nach einer Unterkunft ganz in der Nähe der Schule erfüllt.

Selbst wenn man aber einen gefestigten Willen der G4 bereits in der Zeit vom 30. Januar bis 2. Februar 2012 annehmen wollte, gemeinsam mit ihren Kindern ihren gewöhnlichen Aufenthalt gerade in H zu nehmen, so genügt dieser subjektive Wille – dementgegen im Übrigen der Wille des ebenfalls personensorgeberechtigten Vaters der Leistungsempfänger stand, welcher dem Wegzug seiner Kinder 2012 nicht zugestimmt hat, sondern deren Rückkehr nach P erreichen wollte – auch unter Berücksichtigung der diesbezüglichen Vorbereitungshandlungen in Anbetracht der dargestellten tatsächlichen Gegebenheiten nicht, um einen gewöhnlichen Aufenthalt der Leistungsempfänger in H vor ihrer Inobhutnahme anzunehmen.

Hierbei kann dahinstehen, ob nach den vorliegenden Erkenntnissen davon ausgegangen werden kann, dass die G4 ihren gewöhnlichen Aufenthalt und den ihrer Kinder in P am 30. Januar 2012 definitiv aufgeben hat wollen, wofür insbesondere ihre Angaben zur Aushändigung ihrer Wohnungsschlüssel an den Kindsvater, zu dessen Nachstellungen und Gewalttätigkeiten sowie zu ihrer Bitte um Entlassung aus dem dortigen Mietvertrag angeführt werden können. Denn dem Wunsch zur Verlegung des dauerhaften Lebensmittelpunkts aus P kommt vorliegend keine wesentliche Bedeutung für die Frage der Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts gerade in H zu.


Auch bei einer Aufgabe des gewöhnlichen Aufenthalts der Leistungsempfänger in P folgt hieraus nicht die örtliche Zuständigkeit der Beklagten, da deren jeweils letzter gewöhnlicher Aufenthalt vor der Inobhutnahme am 2. Februar 2012 bzw. der Aufnahme durch den O. e.V. am 21. März 2012 dennoch – nachdem es für das Inbetrachtkommen eines weiteren Ortes als gewöhnlichem Aufenthalt an jeglichen Anhaltspunkten fehlt – in P, mithin im Zuständigkeitsgebiet der Klägerin gewesen ist.

Aufgrund der sachlichen und örtlichen Zuständigkeit der Klägerin für die den Leistungsempfängern im hier maßgeblichen Zeitraum erbrachten Leistungen der Eingliederungshilfe kommen auch die Erstattungsansprüche nach § 102 ff. SGB X gegen die Beklagte nicht in Betracht, da auch diese sich jeweils gegen den materiell-rechtlich (ggf. vorrangig) zuständigen Träger richten.

Schließlich besteht auch ein originär sozialhilferechtlicher Erstattungsanspruch der Klägerin nicht, weder gegen die Beklagte noch den Beigeladenen. Nach dem insoweit vorliegend einzig in Betracht kommenden § 106 Abs. 1 SGB XII, der eine besondere Lastenausgleichsregelung und gegenüber den §§ 102 ff. SGB X eine spezielle Regelung enthält (vgl. BSG, Urteil vom 22. März 2012 – B 8 SO 2/11 R – juris Rdnr. 12; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 30. März 2011 – L 2 SO 1196/10 R – juris Rdnrn. 27, 30; Böttiger in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Auflage 2020, § 106 Rdnrn. 12 f.), hat der nach § 98 Abs. 2 Satz 1 SGB XII zuständige Träger der Sozialhilfe dem nach § 98 Abs. 2 Satz 3 SGB XII vorläufig leistenden Träger die aufgewendeten Kosten zu erstatten (§ 106 Abs. 1 Satz 1 SGB XII). Ist in den Fällen des § 98 Abs. 2 Satz 3 und 4 SGB XII ein gewöhnlicher Aufenthalt nicht vorhanden oder nicht zu ermitteln und war für die Leistungserbringung ein örtlicher Träger der Sozialhilfe sachlich zuständig, sind diesem die aufgewendeten Kosten von dem überörtlichen Träger der Sozialhilfe zu erstatten, zu dessen Bereich der örtliche Träger gehört (§ 106 Abs. 1 Satz 2 SGB XII).

In der vorliegenden Sache ist die Klägerin jedoch schon nicht als Träger am Einrichtungsort – hier der im N-kreis gelegenen Diakonie M – i.S.d. § 98 Abs. 2 Satz 3 SGB XII tätig geworden, weswegen ihr ein Ausgleichsanspruch weder aus § 106 Abs. 1 Satz 1 SGB XII gegen die Beklagte noch aus § 106 Abs. 1 Satz 2 SGB XII gegen den beigeladenen überörtlichen Träger der Sozialhilfe zusteht.

Daher ist die erstinstanzliche Entscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nicht zu erstatten, da dieser keine Anträge gestellt und sich damit nicht in das Kostenrisiko begeben hat (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO).

Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.



 

Rechtskraft
Aus
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