S 47 R 485/21

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Rentenversicherung
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 47 R 485/21
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid

 

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.


T a t b e s t a n d :

Streitig ist die Frage, ob die Beklagte zu Recht die Rente der Klägerin wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit vom 01.01.2019 bis 30.04.2019 in Höhe von 3.283,96 Euro zurückfordert.

Mit Bescheid vom 13.06.2016 gewährte die Beklagte der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung vom 01.05.2016 bis 30.04.2019. Dort wies die Beklagte die Klägerin darauf hin, dass sie verpflichtet sei, die Beklagte unverzüglich darüber zu informieren, wenn sie eine Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit aufnehme oder ausübe. Die Rente könne dann wegfallen. Die Rente wegen voller Erwerbsminderung werde nicht oder in verminderter Höhe gezahlt, sofern durch Einkommen die für diese Rente maßgebende Hinzuverdienstgrenze überschritten werden. Einkommen sei dabei u. a. Arbeitsentgelt.

Im Mai 2019 bezog die Klägerin Arbeitslosengeld II. Am 27.06.2019 teilte der Bevollmächtigte der Klägerin mit, dass diese seit 01.06.2019 sozialversicherungspflichtig beschäftigt sei. Am 08.07.2019 legte der Bevollmächtigte der Klägerin deren Arbeitsvertrag und die Gehaltsabrechnung für Juni 2019 vor.

Mit Bescheid vom 30.07.2019 gewährte die Beklagte der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung über den 30.04.2019 hinaus bis 30.04.2021. Auch dort wies die Beklagte darauf hin, dass Rente nur dann in voller Höhe gezahlt werden könne, wenn der Hinzuverdienst die kalenderjährliche Hinzuverdienstgrenze in Höhe von 6.300 Euro nicht überschreite. Darüber hinaus erzielter Hinzuverdienst führe dazu, dass Rente nur noch teilweise oder gar nicht geleistet werde. Die Beklagte berechne zunächst die Rente mit dem Hinzuverdienst, den die Klägerin voraussichtlich haben werde. Später berechne die Beklagte die Rente rückwirkend mit dem tatsächlichen Hinzuverdienst des zurückliegenden Kalenderjahres. Zuviel gezahlte Beträge müsse die Klägerin zurückzahlen. Zum 01.07. jeden Jahres werde die Beklagte den Hinzuverdienst für das zurückliegende Jahr prüfen und die Rente rückwirkend neu mit dem tatsächlichen Hinzuverdienst berechnen.

Mit Bescheid vom 12.05.2020 stellte die Beklagte die Rente ab 01.01.2019 neu fest. Die Rente sei ab 01.01.2019 nicht zu zahlen. Für den Zeitraum vom 01.01.2019 bis 30.06.2020 ergebe sich eine Überzahlung in Höhe von 6.620,20 Euro, die von der Klägerin zu erstatten sei. Der Bescheid vom 30.07.2019 werde hinsichtlich der Rentenhöhe für die Zeit vom 01.01.2019 bis 31.12.2019 nach § 96 a Abs. 5 SGB VI, § 34 Abs. 3 f SGB VI aufgehoben. Für 2019 sei der tatsächliche und ab Januar 2020 ein voraussichtlicher Hinzuverdienst zu berücksichtigen und eine Rentenanpassung sei durchzuführen. Wegen der Höhe des Hinzuverdienstes stehe die Rente ab 01.01.2019 nicht zu. Für den Zeitraum vom 01.01.2019 bis 30.06.2019 habe sich eine Überzahlung in Höhe von 4.925,94 Euro und für den Zeitraum vom 01.07.2019 bis 31.08.2019 eine Überzahlung in Höhe von 1.694,26 Euro ergeben.

Den Widerspruch der Klägerin vom 18.05.2020 gegen den Bescheid vom 12.05.2020 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 12.08.2020 zurück.

Der dagegen erhobenen Klage gab das Sozialgericht München mit Gerichtsbescheid vom 29.01.2021 (S 56 R 1078/20) insoweit statt, als der dort streitgegenständliche Bescheid vom 12.05.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.08.2020 die Rente für den Zeitraum vom 01.01.2019 bis 30.04.2019 in Höhe von 3.283,96 Euro zurückfordert. Die Beklagte habe lediglich den Bescheid vom 30.07.2019 aufgehoben, der Rente für den Zeitraum vom 01.05.2019 bis 30.04.2021 gewährt habe, nicht jedoch den Bescheid vom 13.06.2016, der der Klägerin Rente für den Zeitraum bis 30.04.2019 bewilligt habe. Im Übrigen wurde die Klage abgewiesen.

Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 25.02.2021 berechnete die Beklagte die Rente für den Zeitraum vom 01.01.2019 bis 30.04.2019 neu. Die Rente sei für diesen Zeitraum nicht zu zahlen. Die entstandene Überzahlung in Höhe von 3.283,96 Euro werde zurückgefordert. Der Bescheid vom 13.06.2016 werde hinsichtlich der Rentenhöhe für die Zeit vom 01.01.2019 bis zum 30.04.2019 aufgehoben. Die Aufhebung erfolge nach § 96 a Abs. 5 SGB VI i.V.m. § 34 Abs. 3 f Satz 1 SGB VI. Die Rente werde neu berechnet, da für das Jahr 2019 der tatsächliche Hinzuverdienst berücksichtigt werde. Wegen der Höhe des Hinzuverdienstes stehe die Rente für die Zeit vom 01.01.2019 bis 30.04.2019 nicht zu. Für die Forderung gelte eine Verjährung von 30 Jahren (§ 52 Abs. 2 SGB X).

Dagegen ließ die Klägerin am 09.03.2021 Widerspruch erheben und vortragen, sie habe bis zu Wiederaufnahme ihrer beruflichen Tätigkeit die Rente zu Recht bezogen. Die erhaltenen Rentenbeträge habe sie zur Lebensführung verbraucht. Das Vertrauen sei schutzwürdig. Hier liege kein Hinzuverdienst vor, sondern es handle sich um den alleinigen Verdienst der Klägerin. Diese sei seit 01.06.2019 voll beschäftigt und beziehe seit Mai 2019 keine Rente mehr wegen voller Erwerbsminderung. Dieser Zeitraum sei abgeschlossen. Somit liege kein Hinzuverdienst und keine Überzahlung vor. Die Rente für den Zeitraum vom 01.01.2019 bis 30.04.2019 sei zu Recht gewährt worden. Es liege ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz vor. Hätte die Klägerin nicht Rente bezogen, so bestünden keine Schwierigkeiten. Die Klägerin dürfe als sozialversicherungspflichtig Beschäftigte nicht schlechter gestellt werden, als ein Versicherter, der zuvor nicht auf Leistungen der Deutschen Rentenversicherung angewiesen gewesen sei. Der Bescheid verstoße gegen Vertrauensgrundsätze und den Grundsatz von Treu und Glauben. Erst nach dem Erlass des Gerichtsbescheides vom 29.01.2021 habe die Beklagte den streitgegenständlichen Bescheid erlassen. Dieser sei verspätet, verjährt, verfristet und verwirkt.

Mit Widerspruchsbescheid vom 24.03.2021 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück.
Nach § 96a Abs. 1 SGB VI werde eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nur in voller Höhe geleistet, wenn die kalenderjährliche Hinzuverdienstgrenze nach Abs. 1c nicht überschritten werde. Selbst wenn Versicherte, wie vorliegend, die Klägerin zum 01.06.2019, im laufenden Jahr eine Beschäftigung aufnähmen und hieraus Einkünfte erzielten, so sei dennoch im Folgejahr eine rückschauende kalenderjährliche Betrachtung vorzunehmen und eine Neufeststellung der Rentenhöhe unter Beachtung des kalenderjährlichen Hinzuverdienstes vorzunehmen. Nach § 34 Abs. 3f SGB VI seien bereits erbrachte Leistungen zu erstatten. Danach seien von der Klägerin im Zeitraum vom 01.01.2019 bis 30.04.2019 aufgrund des kalenderjährlich erzielten Hinzuverdienstes zu erstatten.

Mit Klage vom 07.04.2021 lässt die Klägerin ihr Ziel weiterverfolgen und ihren Vortrag aus dem Widerspruchsverfahren wiederholen.

Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 25.02.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.03.2021 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Mit gerichtlichem Schreiben vom 19.07.2021 wurden die Beteiligten von dem beabsichtigten Erlass eines Gerichtsbescheides informiert.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie den der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.


E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Der angefochtene Bescheid vom 25.02.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.03.2021 ist rechtlich nicht zu beanstanden. Zu Recht hat die Beklagte den Bescheid vom 13.06.2016 hinsichtlich der Rentenhöhe für die Zeit vom 01.01.2019 bis 30.04.2019 aufgehoben und 3.283,96 Euro von der Klägerin zurückgefordert.

Gemäß § 96a Abs. 1 SGB VI (Fassung vom 08.12.2016, gültig ab 01.07.2017) wird eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nur dann in voller Höhe geleistet, wenn die kalenderjährliche Hinzuverdienstgrenze nach § 96a Abs. 1c SGB VI nicht überschritten wird. Wird die Hinzuverdienstgrenze überschritten, wird die Rente nur teilweise geleistet. Die teilweise zu leistende Rente wird berechnet, indem ein Zwölftel des die Hinzuverdienstgrenze übersteigenden Betrages zu 40 % von der Rente in voller Höhe abgezogen wird. Überschreitet der sich dabei übergebende Rentenbetrag zusammen mit einem Zwölftel des kalenderjährlichen Hinzuverdienstes den Hinzuverdienstdeckel nach § 96a Abs. 1b SGB VI, wird der überschreitende Betrag von dem sich nach § 96a Abs. 1a Satz 2 SGB VI ergebenden Rentenbetrag abgezogen. Die Rente wird nicht geleistet, wenn der von der Rente abzuziehende Hinzuverdienst den Betrag der Rente in voller Höhe erreicht (vgl. § 96a Abs. 1a SGB VI).

Nach § 96a Abs. 5 SGB VI i.V. mit § 34 Abs. 3d Satz 1 SGB VI ist von dem Kalenderjahr an, das dem folgt, in dem erstmals Hinzuverdienst berücksichtigt wurde, jeweils zum 1. Juli für das vorige Kalenderjahr der tatsächliche Hinzuverdienst statt des bisher berücksichtigten Hinzuverdienstes zu berücksichtigen, wenn sich dadurch rückwirkend eine Änderung ergibt, die den Rentenanspruch betrifft.

Diese Voraussetzungen sind im Falle der Klägerin erfüllt. Die Beklagte hatte im Bescheid vom 13.06.2016 keinen (voraussichtlichen) Hinzuverdienst berücksichtigt. Im streitgegenständlichen Bescheid vom 25.02.2021 hat sie für das gesamte Jahr 2019 einen tatsächlichen Hinzuverdienst von 24.145,-- Euro berücksichtigt. Daraus folgt rückwirkend eine Änderung, die den Rentenanspruch betrifft (§ 96a Abs. 5 SGB VI, § 34 Abs. 3c SGB VI).

Ergibt sich nach § 96a Abs. 5 SGB VI i.V.m. § 34 Abs. 3c SGB VI eine Änderung, die den Rentenanspruch betrifft, sind die bisherigen Bescheide, von dem sich nach den Absätzen
§ 96a SGB VI i.V. mit § 34 Abs. 3c SGB VI ergebenden Zeitpunkt an aufzuheben (§ 96a Abs. 5 SGB VI i.V.m. § 34 Abs. 3f Satz 1 SGB VI). Soweit Bescheide aufgehoben wurden, sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten. § 50 Abs. 3 und Abs. 4 SGB X bleiben unberührt. Nicht anzuwenden sind die Vorschriften zur Anhörung Beteiligter (§ 24 SGB X), zur Rücknahme einen rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakt (§ 45 S SGB X) und zur Aufhebung eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung bei Änderung der Verhältnisse (§ 48 SGB X). Gemäß § 48 SGB X (vgl. § 96a SGB VI i.V. mit § 34 Abs. 3f SGB VI).

Aus der Vorschrift des § 34 Abs. 3f SGB VI ergibt sich, dass der Bescheid vom 13.06.2016 für die Zeit vom 01.01.2019 bis 30.04.2019 hinsichtlich der Rentenhöhe aufzuheben war und die bereits erbrachten Rentenleistungen in Höhe von 3.283,96 Euro zu erstatten sind.

Da nach § 96a SGB VI i.V. mit § 34 Abs. 3f Satz 3 SGB VI die Vorschriften der §§ 24, 45, 48 SGB X nicht anzuwenden sind, finden die dort geregelten Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes und die dort geregelten Aufhebungsfristen keine Anwendung. Es kommt hier also nicht darauf an, ob die Klägerin auf den Bestand des Bescheides vom 13.06.2016 vertraut hat, oder die ihr gewährten Rentenzahlungen verbraucht hat.

Ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG liegt nicht vor. Die Klägerin, die in demselben Kalenderjahr sowohl Rente wegen Erwerbsminderung bezogen hat als auch Arbeitseinkommen erzielt hat, ist nicht vergleichbar mit Versicherten, die in einem Kalenderjahr nur Einkommen aus versicherungspflichtiger Beschäftigung und nicht auch Rente wegen Erwerbsminderung bezogen haben.

Der Erstattungsanspruch der Beklagten ist auch nicht verwirkt.
Eine Verwirkung liegt nur dann vor, wenn der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten darauf vertrauen kann, dass dieser das Recht nicht mehr geltend machen werde. Ein derartiges Verhalten der Beklagten gegenüber der Klägerin ist nicht ersichtlich.

Die Klage konnte daher keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

 

 

 

 

 

Rechtskraft
Aus
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